Zeitensprünge ins Glück - Sina Blackwood - E-Book

Zeitensprünge ins Glück E-Book

Sina Blackwood

0,0

Beschreibung

Maja, eine Schriftstellerin, die sich in einer langweiligen Ehe erdrückt und gefangen fühlt, lebt nur auf, wenn sie auf Recherchereisen die Weite der Landschaft und besonders die Erhabenheit der Berge spüren kann. Aus ihrem gewohnten Trott auszubrechen, ist sie zu feige. Als sie wieder einmal auf den Spuren des Mittelalters wandelt, geschieht etwas Seltsames, das mit einem Schlag ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen wird. Sie erlebt Zeitsprünge, die immer wunderlichere Züge annehmen. Sie weiß nie genau, an welchem Punkt der Geschichte sie gelandet ist, und die Abläufe der Ereignisse beginnen, sich stark zu wandeln. Gleichzeitig wächst die Sehnsucht nach einem Leben mit ihrem Beschützer aus dem 16. Jahrhundert, Ritter Georg, fast ins Unermessliche und so fasst sie einen verwegenen Entschluss. (Gesamtausgabe der Sex & Abenteuer Reihe)

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 917

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Schlösser, Burgen, alte Mauern

Buongiorno Liguria!

Filmreif nach Cannes

Donner und Doria

Ave, Gaius Iulius

Der Hohe Schwarm

Sagenhaftes Prag

Auf der Suche nach Mr. X

Paris, mon amour

Fort A Famosa

Laurins Rosengarten

Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd

Auf Wiedersehen – nicht Lebewohl

Sehnsucht nach Burgen und Bergen

Die schönen Dinge des Lebens

Herbstgedanken

Abschied

Willkommen im 15. Jahrhundert

Flucht von Burg Fragenstein

Lebensretter

Auf, nach Süden

Zickenkrieg auf Runkelstein

Erinnerungen

Ein Ziel vor Augen

Spannungen

Allerlei Schwierigkeiten

Es kommt noch dicker

Zwangspause im Fort

Berge & Meer

Wo alles begann

Der lange Ritt zurück

Die einzige Chance geht verloren

Die übliche Unruhe

Sommersonnenwende

Von Schiffen & Wasser

Auf der Suche nach irgendwas

Weihnachtstrip nach Nürnberg

Klostergeflüster

Der Rabe von Innsbruck

Wiederholungstäter

Seemacht Genua

Allerlei Aufbrüche

Der schlafende Kaiser

Sehnsucht – nicht nur nach dem Süden

Rivale Venedig

Veroneser Geschichte(n)

Heimreise mit Hindernissen

Kurztrip mit Hindernissen

Weihnachtsmarktmarathon

Weihnachtliche Wartburg

Spanner, Spinner, Edelfalter

Nudelsymphonie

Hey kids let’s kotz!

Der Rotbart ist schuld!

Der Ruf der Berge

Auf alten Pfaden

Auf der Hausalm von Villanders

Singende Spatzen und anderes „Geflügel“

Zitronen & Zypressen

Hoch hinaus und tief hinunter

Auf Wiedersehen, Berge!

Verwunschene Orte

In lapide regis – Auf dem Stein des Königs

Mal wieder Weihnachten in Wernigerode

Goslar für Wiederholungstäter

Quedlinburg mit Hindernissen

Déjà-vu auf der Wartburg

Noch ein Déjà-vu

Auf nach Rom!

Zur rechten Zeit am rechten Ort

Viele Wege führen durch Rom

Schritt für Schritt, treppauf, treppab

Zurück zu Eis und Schnee

Sehnsucht, ohne Ende

Fest entschlossen

Mit weiblicher List

Schlösser, Burgen, alte Mauern

Seit Jahren fühlte sich Maja im grauen Alltag gefangen, in einer langweiligen Ehe und Verpflichtungen, vor denen sie lieber heute als morgen davongelaufen wäre. So träumte sie sich in ferne Welten, andere Zeiten und in Abenteuer, die sie nur zu gern genau so erlebt hätte.

Anders aus der Wirklichkeit zu fliehen, kam aus vielerlei Gründen nicht infrage. Also schrieb sie ihre Sehnsüchte in Romanen und Kurzgeschichten nieder.

Statt unleidlich gegen sich selbst und die Welt zu werden, überlegte sie, wie sie sich hin und wieder eine kleine Auszeit nehmen könne. Und sie fand eine Lösung par excellence.

Sobald sich Maja fühlte, als würden die Wände der Wohnung immer näher rücken, um ihr die Luft zum Atmen zu rauben, buchte sie kurze Bustouren bei ihren bevorzugten Reisebüros, um ihren angesammelten Kummer wenigstens für kurze Zeit vergessen zu können.

Patrick, seit ein paar Jahren ihr Angetrauter, bekundete höchst selten Interesse an ihrer Arbeit, oder daran, auf Recherchereisen mitfahren zu wollen und so hatte sie sich inzwischen daran gewöhnt, allein unterwegs zu sein.

Eigentlich wäre sie mit dem eigenen Auto beweglicher gewesen. Nur hätte sie dann vorwiegend auf das graue Asphaltband der Straßen gestarrt und kaum etwas von den wundervollen Landschaften wahrgenommen, durch die der Weg führte.

Sie liebte es, versteckte Burgen zu entdecken, ungewöhnliche Wolkenformationen zu beobachten und Tiere, die den anderen fast immer entgingen. Egal, wohin die Reise führte, Maja notierte, fotografierte und recherchierte zu allem, was ihr irgendwie vor die Augen und zu Ohren kam.

Hin und wieder, wenn ihr die Gesprächspartner interessant genug erschienen, offenbarte sie sich als Schriftstellerin, auf der Suche nach neuem Romanstoff.

Maja seufzte. Gerade heute war wieder einer jener Tage, an dem sie glaubte, in der Enge ihrer Ehe ersticken zu müssen. Eine Lokomotive unter Volldampf, gefangen auf 50 Metern Gleis, ohne Anschluss irgendwohin.

Sie setzte sich vor ihren Laptop und tippte das magische Wort Busreise ein, worauf das Gerät eine spärliche, schnell überschaubare Liste auf das Display zauberte. Mit zusammengekniffen Augen checkte sie die magere Datenreihe.

Reiseziele uninteressant, Termine ungünstig, zu teuer…

Weil sie so nicht weiterkam, versuchte sie es über das Eingrenzen des möglichen Zeitraums. Treffer. Ein Tag Urlaub außer der Reihe müsste doch zu machen sein?!

Und Maja träumte schon wieder – von einer Zufallsbekanntschaft, die die Nacht zu einem Erlebnis der besonderen Art machen könnte.

Ziemlich rasch kam sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Nicht nur, weil zu Hause wieder mal alles völlig unromantisch lief. Sie wäre schlicht zu feige gewesen, solche eine Offerte überhaupt anzunehmen.

Zudem fürchtete sie, an einen zu geraten, der die Situation dahingehend ausnutzte, sie nach einem One-Night-Stand zu erpressen. Oder noch schlimmer, an einen, der sie dann bedrängte und plötzlich Absichten hegte, die ihr völlig fern lagen.

Brutal durch ihre eigenen Gedanken im Höhenflug gestoppt, tauchte sie lieber wieder in die Zauberwelten ihrer Manuskripte ein.

Hin und her gerissen, wie jedes Mal, wenn sie aus ihrem Alltagstrott fliehen wollte, dauerte es ein paar Tage, bis sie sich entschloss, endlich ihren Platz im Bus zu buchen, immer bangend und hoffend, eines der raren Einzelzimmer zu erwischen.

Der nächste Nervenkitzel bestand stets darin, darauf zu warten, ob die Reise überhaupt stattfinden konnte, oder aus Mangel an Interessenten abgesagt werden musste.

Wenn schließlich der widrige Fall einsetzte, stürzte Maja, obwohl darauf vorbereitet, in ein tiefes Loch aus schierer Verzweiflung. Sie spürte geradezu körperlich schmerzhaft wertvolle Minuten ihres Lebens unwiederbringlich verrinnen.

Aber lieber so, als gar nichts zu tun, und irgendwann festzustellen, dass man physisch nicht mehr in der Lage war, sich die Welt anzuschauen. Also nutzte sie jede noch so kleine Chance, ihrer großen Leidenschaft, auf den Spuren des Mittelalters zu wandeln, zu frönen.

Was konnte es da Besseres geben, als eine Reise in den Süden zu unternehmen und schon entlang der Autobahnen und Fernstraßen von Deutschland, über Österreich, Italien, bis hin nach Frankreich und Monaco die Burgen, Schlösser oder kaum noch kenntlichen Ruinen solcher zu entdecken.

Und manchem Kleinod der Baukunst schaute sie mit verträumtem Blick so lange hinterher, bis es vom nächsten Felsvorsprung verdeckt wurde. Als Burgfräulein hätte sie die Dienste eines streitbaren Ritters dankbar angenommen und den siegreich zurückkehrenden Recken wohl auch nicht nur mit Goldstücken der geprägten Art entlohnt …

Ja, da war es wieder, das Abstellgleis, der unsichtbare Keuschheitsgürtel, der eine schlimmere Last als ein ganzer Plattenharnisch sein konnte. Maja zählte ihre geheimen Seufzer schon gar nicht mehr. Sie bemühte sich nur noch, es nicht versehentlich laut und vernehmlich zu tun.

Schon gar nicht dann, wenn sie sich bisweilen selbst verwöhnte, um sich als Frau fühlen zu können.

Die Prinzen auf weißen Pferden schienen mit dem Mittelalter ausgestorben zu sein und zur Not hätte es ja auch ein modernerer mit einem Auto sein dürfen. Wobei das Auto nicht einmal Bedingung gewesen wäre.

Mit einem genervten Stöhnen schlug Maja den neuen Reisekatalog zu, wobei sie sehr darauf achtete, ihr Lesezeichen nicht zu verschieben. Denn diesmal wollte sie sich nicht mit nur einem Ort zufriedengeben. Es sollte ein regelrechter Marathon längst vergangener Baukunst werden, der zudem durch fast alle Landschaftsformen der nördlichen Hemisphäre führte.

Natürlich hatte sie die anvisierten Länder schon besucht, mitunter auch mehrmals, aber noch nie unter diesem Aspekt. Mit einem vergnügten Lächeln nahm sie ein paar Tage später die Reisepapiere aus dem Briefkasten.

Mit Landkarte und Entfernungsrechner kam sie auf ein Ergebnis von über 3000 Kilometern, auf denen es sicher enorm viel zu bestaunen gab.

Der Morgen der Abreise präsentierte sich mit einem Wetter, das eher zum Abgewöhnen, als der Förderung jeglicher Reisefreudigkeit gedient hätte. Es goss wie aus Kübeln, sämtliche Taxigesellschaften sagten ab und Maja streifte ihrem Rollköfferchen schließlich einen schwarzen Müllsack über, um den Inhalt halbwegs vor Feuchtigkeit und Schäden schützen zu können, weil sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Treffpunkt fahren musste.

Doch, wie durch Zauberhand, lösten sich die Regenwolken auf, als Maja die Haustür abgeschlossen und den ersten Fuß auf den Bürgersteig gesetzt hatte.

„Na also, es geht doch!“, murmelte sie, ihren Koffer über das nasse Pflaster hinterherziehend.

Den Müllsack hatte sie flugs in einem Außenfach verstaut. Man konnte ja nie wissen, was sich der Wettergott noch alles einfallen ließ. Die paar Schlammspritzer ließen sich in trockenem Zustand sicher ausbürsten.

Endlich auf dem Bushalteplatz angekommen, beobachtete sie interessiert die vielen Passagiere, die sich rasch auf diverse Reisebusse verteilten, und besonders diejenigen, mit denen sie die nächsten Tage verbringen werde. Recht zufrieden stellte sie ihren Koffer in den Frachtraum, um wenige Augenblicke später ihren Platz genau neben der kleinen Bordküche im Bus einzunehmen.

Maja schmunzelte. Alles, was der Mensch zum Wohlfühlen brauchte, gleich zum Greifen nah. Inklusive des Ausgangs, um auf den Rastplätzen mit einem Satz im Freien zu sein. Vor allem mindestens eine Scheibe, vor der niemand saß, um auf der anderen Seite des Busses, während der Fahrt, fotografieren zu können.

Der liebe Gott, weiß schon, was er tut, dachte Maja. Wobei sie eindeutig den falkenköpfigen Horus zu ihrem lieben Gott erklärte. Es gab da so ein paar Dinge aus grauer Vorzeit… Das hatten ihre Familienforschungen ergeben. Kreuzzüge, Schlachtgetümmel, seltsame Verbindungen zu fernen vergangen Zeiten – praktisch Ritter, Tod und Teufel.

Im Augenblick legte Maja aber keinen Schwert- sondern ihren Sicherheitsgurt an, lauschte den Begrüßungsworten der Reiseleiterin und stellte ihren Sitz auf Wohlfühloase ein, wobei der Bus langsam vom Parkplatz rollte und sich in den Morgenverkehr einfädelte.

Im Vogtland gab es die erste Rast mit einem Morgencappuccino vom Busfahrer, der Maja ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Nicht nur der freundliche Herr, auch das heiße Getränk, weil es fantastisch schmeckte. Anschließend ging es bis kurz vor München ganz flott voran, zumal die Standspur freigegeben war und man wirklich Meter machen konnte. Dann plötzlich das übliche Staudilemma.

Zeitig genug, dass der Fahrer, der ja auch seine Pausenzeiten einhalten musste, noch die Autobahn verlassen und eine Route über die Landstraßen einschlagen konnte.

Maja genoss den Anblick der saftig grünen Wiesen und Felder. Sie würde ihm wohl ewig dafür dankbar sein, weil sie hier wohl so schnell nicht wieder hinkommen werde.

Die lange Pause am Tegernsee nutzte sie, um unzählige Fotos zu schießen. Nicht nur das Wasser zog sie magisch an. Die wundervollen Häuser des Örtchens versetzten sie in eine euphorische Stimmung.

Diese steigerte sich noch, als sie den Achenpass überquerten und der gleichnamige See in einen geheimnisvollen dunkeltürkisgrünen Schimmer getaucht, an ihr vorbeiglitt.

Maja rieb sich verwundert sie Augen. Sie wusste genau, dass die Uferregion besiedelt war. Nur konnte sie keine Spur davon entdecken. Das, was sie in den Bögen des Tunnels erspähte, zeigte unberührte Natur.

Einige Worte der Reiseleiterin, über die 941 Meter über Normalnull des Passes auf dem Scheitelpunkt, und ein paar Daten über den See zogen unvermittelt auch den magischen Schleier weg, entblößten zahllose weiße Boote und Ausflugsschiffe. Nur das unglaubliche Türkis des Sees änderte sich nicht.

Was mochte dieser tiefe See wohl schon alles gesehen haben? Maja rief sich in Erinnerung, was sie über ihn wusste: 380 Meter über dem Inntal, die Grenze zwischen Karwendelgebirge im Westen und Brandenberger Alpen im Osten.

Sie mochte Tirol. Das letzte Mal war sie mit dem Zug hier gewesen – eine verrückte und denkwürdige Reise für eine Veranstaltung, die von einem Tiroler Literaturmagazin organisiert worden war.

Sie erinnerte sich daran, wie sie damals nachts allein vom Goldenen Dachl zum Bahnhof gewandert war und sich hoffnungslos verlaufen hatte. Kein Mensch weit und breit, kein Auto und schon gar kein Taxi.

Irgendwann hatte sie Zugschienen entdeckt und war ihnen kurzerhand gefolgt. Glücklicherweise in die richtige Richtung. Dummerweise war sie aber auf der falschen Seite des Bahngeländes herausgekommen und ein Bahnbediensteter hatte sie schließlich aus lauter Mitleid auf verschlungenen Dienstwegen zum öffentlichen Teil des Bahnhofsgebäudes gebracht.

Jetzt führte sie der Weg an Wattens, den Kristallwelten und Innsbruck vorbei. Wobei nicht viel von allem zu sehen war, denn Petrus hatte es wieder vorgezogen, die Landschaft mit dichten Regenwolken zu verhüllen.

Es blitzte, donnerte, goss wie aus Kübeln und bald stand das Wasser mehr als knöcheltief auf der Autobahn. Selbst die 198 Meter lange und 190 Meter hohe Europabrücke über das Wipptal, war nur zu erahnen und Maja setzte ihr ganzes Vertrauen in die Künste des Fahrers, der das schwere Gefährt wie ein eigenes Körperteil beherrschte.

Eine seltsame Ruhe hatte sich ihrer bemächtigt, als betrachte sie das Inferno als Unbeteiligte. Daten, die sie längst vergessen glaubte, kreisten in ihren Gedanken. So auch jene, über die Brücke, die damals, als man sie baute, die höchste in ganz Europa gewesen war. Heute ist das imposante Bauwerk zwar lange von anderen überflügelt, aber immer noch die höchste Brücke Österreichs.

Vorbei an den Abzweigungen zum Stubaital erklomm der Bus den Brennerpass, wo die finsteren Wolken wie angenietet festhingen und weiter ihren Inhalt mit unverminderter Stärke entleerten. Dem typischen Jadegrün des Brennersees schien der Regen allerdings nichts anhaben zu können.

Mit dem Erreichen der zu Italien gehörenden Autonomen Provinz Bozen / Südtirol, hörte auch der Regen auf, als wolle er sagen: Heh, JETZT kommt das, was du erwartest. Die Sonne lugte sogar wieder hervor. Vorab sei verraten, dass sie sich auch nicht lumpen ließ und während der mehrtägigen Reise hell, heiß und absolut verlässlich schien.

Zum inneren Wärmegefühl gesellte sich die äußere Wärme, was sich überdeutlich in Majas strahlenden Augen widerspiegelte.

Logisch, dass ihr gleich wieder tausend Gedanken durch den Kopf schossen. Welche von der harmlosen Sorte, wie Goethes Reisebeschreibungen von Italien, aber auch das bekannte Wortspiel gen Italien / Genitalien, womit sie ohne Umschweife auf das Wort amore kam.

An diesem Punkt knallten die Gedanken wieder an die unsichtbare Mauer, rutschten daran herab und sammelten sich als trauriges Häufchen am Fuße derselben.

Maja musste wohl so todunglücklich gewirkt haben, dass sie der nette Toilettenmann bei der nächsten Rast als VIP an den anderen vorbei auf die Behindertentoilette lotste und ihr hinterher mit einem verschwörerischen Blinzeln eine Tüte Drops entgegenhielt.

Maja fasste mechanisch nach einem der Bonbons, murmelte „grazie“ und hob erstaunt den Kopf, weil sie zudem noch ein von Herzen kommendes Lächeln erhielt.

Sie lächelte zurück. In der Tür drehte sie sich noch einmal um. „Arrivederci!“

Er blinzelte wieder und rief: „Sarei felice“, wenn sie es recht verstanden hatte.

Das traurige Gedankenhäufchen zog es vor, sich in einen Blütenteppich zu verwandeln, und Maja ließ sich, weil sie gerade an der offenen Tür mit der Bordküche vorbeikam, vom Busfahrer einen Cappuccino zaubern, den er ihr mit einem Schmunzeln überreichte.

Die Reisebegleiterin verdrehte lustig die Augen und erklärte: „Da lässt er einfach keinen anderen ran.“

An mich, sinnierte Maja mit einem vergnügten Grinsen, welches sich auch auf die Blümchen übertrug und Maja veranlasste, ihren Blumenteppichgedanken mitzuteilen, sich in den nächsten Tagen nicht von der Stelle zu rühren, und wenn, dann als Höhenflüge über alle Mauern hinaus, sonst werde sie sie aufs Gröblichste mit Füßen treten. Zudem sah sie in dem zart rosaroten Drops die Inkarnation einer gleichfarbigen Brille, die ihr buchstäblich den Urlaub versüßen musste. Denn anders konnte es gar nicht sein. Basta!

Völlig verschüchtert, wagten die Gedanken nicht einen einzigen Einwand und Maja beförderte den leeren Becher mit gezieltem Wurf in den nächsten Mülleimer, enterte die Treppe und kuschelte sich zufrieden ins Polster des Sitzes.

Auf den nächsten Kilometern war sie dann mit Schauen und Staunen beschäftigt, als habe sie noch nie ein Gebirge von nahem gesehen. Links und rechts des Weges reihten sich geschichtsträchtige Gemäuer aneinander, wie Perlen an einer überaus kostbaren Kette.

Kein Wunder, denn in Südtirol wimmelt es geradezu von Schlössern, alten Ansitzen, Burgen und deren Ruinen. Man sagt, es seien um die 400. Maja wurde das Gefühl nicht los, dass rund um Bozen die meisten Adelsherren ihre Anwesen hatten bauen lassen.

Ob es nur strategische Gesichtspunkte gewesen waren oder auch der Sinn für Schönheit, wollte sie dabei lieber nicht wissen. Sicher war nur, dass sehr viele dieser Kleinode auch besichtigt werden konnten.

Einige schmiegten sich fast versteckt in die Landschaft, während andere keck oder drohend auf schwer zugänglichen Felsvorsprüngen thronten, von wo aus den Spähern auf den Türmen sicher nicht einmal ein einsamer Wanderer entgangen sein dürfte.

Weil sich die Blütenteppichgedanken stark zurückhielten, grübelte Maja in Ruhe nach, wie lange es wohl gedauert haben mochte, zu Pferd oder gar auf Schusters Rappen, in solch schwindelerregende Höhe zu gelangen. Irgendwie mussten ja auch Proviant, Heizmaterial und Werkzeuge jedweder Art dahinauf gebracht werden.

Die Glas- und Betonkreationen der Neuzeit nahm sie fast gar nicht wahr, obwohl die eigentlich nicht zu übersehen gewesen wären. Nun hin und wieder ein Auto, das die steilen Wege am Hang des Gebirges erklomm oder vor einer der uralten Festen parkte.

Maja seufzte diesmal tief und innig. Hätte sie vom Schreiben leben können, dann wäre sie glatt in solch einen Adlerhorst ausgewandert.

Die Burg von Gloria von Thurn & Taxis glitt vorbei, Welfenstein, die Nachahmung einer mittelalterlichen Burg, die im 19. Jahrhundert entstand, und das Ossario di Castel Dante, welches auf den Überresten der mittelalterlichen Burg der Herren von Lizzana errichtet worden, und, wie Maja wusste, den Gefallenen des Ersten Weltkriegs gewidmet war.

Dann rückten Oleandersträucher in ihr Blickfeld und scheuchten mit ihren pastellfarbenen Blüten alle Restgedanken an eine Welt voller Sorgen zu jenen, die sich am Fuße der imaginären Mauer ganz still verhielten.

Zudem ließ die langsam untergehende Sonne die eine Seite des Tales in einem goldroten Farbenrausch explodieren, während sie die andere gleichzeitig in tiefes Schwarz tauchte. Maja genoss das grandiose Schauspiel, als gelte es nur ihr.

Kurz darauf erreichten sie das Städtchen Ala, in den Dolomiten, um im Hotel Viennese, gleich an der Hauptstraße, einzuchecken. Als hätte Horus seine goldenen Schwingen im Spiel, bekam Maja ein Zimmer auf der Rückseite, also mit besonders ruhiger Lage, mit Blick auf einen wundervollen Garten, auf Feigenbäume und das Gebirge, welches noch immer im Abendrot glühte.

Nach einem reichhaltigen Abendessen mit Pasta, die sie über alles liebte, entschloss sie sich, mit Gleichgesinnten einen Bummel durch die schmalen Gassen der näheren Umgebung zu machen, denn schon am nächsten Morgen sollte der Bus die letzte Etappe zum endgültigen Hotel in Andora an der Blumenriviera in Angriff nehmen.

Die riesige Palme, die sie in einem Innenhof erspähte, und hier nicht erwartet hatte, war zwar echt, stand aber ein einem gewaltigen Kübel, was Maja dann doch ein Schmunzeln entlockte. DAS war eben noch nicht DER Süden, aber ein wirklich netter Versuch, sich südliches Flair in den Garten zu holen.

Wo kann man am meisten, in kurzer Zeit, über einen kleinen Ort erfahren, ohne Fragen zu stellen? Auf dem Friedhof desselben! Also nichts wie hin und den alten Grabstätten einen stillen Besuch abstatten. Das abendliche Outfit gab es her, dabei nicht unangenehm aufzufallen.

Noch eine abschließende Runde um uralte Gemäuer, die weiß getüncht, im Mondschein leuchteten und dann auf geradem Weg zurück zum Hotel. Die anschließende Nacht fiel, gefühlt, kürzer aus als der Spaziergang, aber Maja musste ja nicht selber fahren.

Ein wundervoller Sonnenaufgang, der die Felsen in zarte Lilatöne hüllte, ließ den fehlenden Schlaf rasch vergessen sein und Maja fotografierte, bis fast die Linse glühte. Es war unbestritten schön hier.

Weniger spektakulär gestaltete sich die Weiterreise. Die, für das Auge wenig abwechslungsreiche, Po-Ebene, stöhnte unter der Hitze des extrem heißen Sommers. Auch, wenn man glaubt, man sähe hier schon am Mittwoch, wer sonntags zu Besuch kommt, gibt es Orte, an denen es sich durchaus lohnt, einen zweiten Blick zu riskieren.

Allerdings hatte Maja am Ende vier bis fünf Blicke gebraucht, um die wenigen Pfützen im steinigen Flussbett, als Po, zu identifizieren. Vom, mit 652 Kilometern, längsten Fluss Italiens waren hier und da nur vereinzelte schmutzige Wasserlachen zu sehen. Der Po schien im wahrsten Sinne des Wortes im Arsch zu sein, wie Maja mit einem amüsierten Grinsen konstatierte.

Bei Cremona, der Stadt der berühmten Geigenbauer, wurde eine längere Pause eingelegt. Von hier stammten nicht nur die, im Bau der Klanginstrumente bewanderten, Familien Amati, Gesu, Guarneri und Stradivari, sondern auch der römische Feldherr Publius Quinctilius Varus.

Maja sah vor ihrem geistigen Auge römische Legionen auf ihrem Weg nach Germanien über die Ebene ziehen. Und ihr fiel der Satz ein, den Augustus nach der verlorenen Schlacht gerufen haben soll: Quintili Vare, legiones redde! Zu Deutsch: Quintilius Varus, gib die Legionen zurück!

Na ja, ein Feldherr, der sie siegreich eroberte, wäre ihr lieber gewesen.

Die Blümchengedanken, hoben die Köpfe. Doch ein gestrenger Blick, ließ sie selbige sofort wieder völlig verschüchtert einziehen. Am Ende eine römische Sklavin zu sein, war ja nun wirklich nicht das höchste, aller Gefühle. Eroberung hin oder her.

Inzwischen hatte der Bus die weite Ebene durchquert und folgte den gewundenen Straßen in die Berge, um Ligurien anzusteuern.

Buongiorno Liguria!

Nach Serpentinen und unglaublich vielen Tunneln öffnete sich der Blick zum Meer, um gleich darauf wieder in der nächsten Betonröhre unterzutauchen.

Gab es hier überhaupt auch noch etwas anderes als Straßen, die irgendwo im Berg verliefen? Maja fühlte sich nach einiger Zeit fast wie ein Maulwurf.

Noch ein Tunnel, noch eine imposante Hochstraße, dann rollte der Bus zwischen blühenden Oleandern, riesigen verschiedenfarbigen Bougainvillea-Sträuchern, Kakteen, Agaven und unzähligen Palmen Richtung Küste.

DAS war der Süden.

Auch hier, im Hotel Liliana, hatte Maja das Glück, eines der Zimmer auf der Rückseite zu bekommen. Zudem lag der Pool auf der gleichen Ebene, weil er in den Berg gebaut worden war und daneben öffnete sich der Blick zum Tal, welches von ebenjener imposanten Hochstraße überspannt wurde, auf der sie hierher gekommen waren.

Die perfekte Kulisse, um Erlebnisurlaub vom Feinsten zu machen.

Beim Gedanken an Erlebnis wagten es die Blümchen erneut, ihre Köpfe zu heben, und staunten, dass sie nicht zurechtgewiesen wurden. So spähten sie am Abend, während eines grandiosen Feuerwerks am Strand, auch ganz ungeniert nach Männern aus, die in Majas Beuteschema passen konnten.

Nur hatte Maja weder Beute noch Schema im Kopf. Sie schickte ihre Gedanken mit zwei Gläsern Rotwein ins Koma, wanderte zurück zum Hotel, um in einen traumlosen Schlaf zu sinken, was ihr sonst nie passierte.

Morgens erinnerte sie sich durchaus an die schrägen Gedanken des Abends, taxierte die Herren im Hotel, befand sie für uninteressant und beschloss, in Monte Carlo oder Monaco etwas genauer hinzuschauen, und sei es, um ein Eis oder einen Cappuccino spendiert zu bekommen, den sie sich gut und gerne selber hätte kaufen können. Es ging einzig und allein ums Prinzip.

Auf den Serpentinenstraßen lauschte sie den Worten der Reiseführerin, stellte fest, dass von Blumenriviera nicht viel zu sehen war, weil die Pflanzen in unzähligen Gewächshäusern an den Hängen der Berge steckten und erfreute sich lieber am Klang der Bezeichnung Côte d’Azur.

Das Meer gab sich die größte Mühe, perfekt azurblau und spiegelglatt zu erscheinen, um sämtliche angenehme Gedanken noch tiefer in Majas Hirn zu verankern.

Sie hatte einige Jahre auf Rügen, direkt am Wasser, gelebt und konnte sich ein Leben ganz ohne Meer nur schwer vorstellen. Auch ohne Berge hätte sie es wohl nicht lange ausgehalten, gab es da doch die schönsten Burgen.

Hier traf nun ein Gebirge direkt aufs Wasser und schuf jene Umgebung, in der ihre Gedanken völlig frei in jede Richtung fließen konnten. Selbst die Blumenteppichgedanken, die sich bemühten, keinen neuen Ärger zu bekommen.

Sie schafften es sogar, Maja die unzähligen Tunnel zu versüßen, indem sie ihre Aufmerksamkeit, kaum draußen, auf die wundervollsten Agaven und Palmen lenkten. Hin und wieder war sogar eine gigantische weiße Magnolienblüte mit dabei, die wohl etwas den Anschluss an ihre längst vertrockneten Geschwister verpasst hatte.

Anschluss verpasst… Maja zog einen Flunsch. Sie hatte noch nie wirklich den Anschluss verpasst.

Nicht mal nach der denkwürdigen Veranstaltung in Tirol. Obwohl es auf dem Heimweg in München ziemlich haarig zuging. Der Zug begann sich bereits in Bewegung zu setzen, als man sie in einem Gewaltakt noch ins Abteil zog.

Bei Männern hatte sie den Anschluss auch nicht verpasst, sondern stets aus freien Stücken und einer reichlichen Portion Feigheit darauf verzichtet.

Die strahlendweißen Yachten auf dem märchenbuchblauen Wasser unter einem völlig wolkenlosen Himmel, der in der Farbe mit dem Meer zu konkurrieren versuchte, lenkten ihre Aufmerksamkeit auf angenehmere Dinge.

Jetzt da unten sein, in der Sonne liegen und sich nicht darum scheren, was der nächste Tag bringen mochte! Als Glücksbringer für einen großen, braungebrannten, gutaussehenden Skipper, der selbst dem stärksten Sturm trotzen konnte.

Heh, Schätzchen, hast du dich mal im Spiegel gesehen? Maja ließ die Blümchengedanken flüstern, bestrafte sie aber, indem sie sie in alte vertrocknete Disteln verwandelte.

Was waren schon ein paar Pfunde zu viel, wie Maja selbst manchmal glaubte, gegen ein Herz aus Gold und Nerven wie Drahtseile? Mit so viel Metall konnte man gar nicht leicht wie eine Feder sein.

Der Bus quälte sich eine enge Straße hinunter, hielt und entließ die neugierige Reisegruppe in den wundervollen Jardin Exotique de Monaco. Schon vor dem Eingang vergaß Maja ihren Groll gegen die Distelgedanken, die sie vor wenigen Augenblicken noch am liebsten hier ausgesetzt hätte.

Abgesehen davon, dass die kleinen Biester manchmal recht nützlich waren, geriet ihr soeben eine Agavenblüte ins Blickfeld, die es eigentlich gar nicht geben konnte.

12 Meter Höhe waren ja nun wirklich keine Seltenheit, aber diese hier schlug alle Rekorde. Maja versuchte, halbwegs sicher die Höhe zu bestimmen, und kam locker auf 15 Meter. Eine wahrhaft fürstliche Pflanze in einem fürstlichen Garten.

Extragroß, extraschön, nur für dich, flüsterten die Distelgedanken, denn die anderen Reisenden hatten den gigantischen Stängel nicht einmal bemerkt, weil er zwischen den Ästen eines benachbarten Baumes in die Höhe geschossen war.

Sie belächelten sogar Majas Bemühungen, den Baum aus allen Positionen und möglichst komplett aufs Bild zu bekommen.

Maja hatte auch wenig Lust, sich durch andere ablenken zu lassen. Sie durchwanderte den herrlichen Garten voller blühender Kakteen und Sukkulenten lieber allein, verweilte hier, staunte da und fotografierte, was immer ihr gefiel.

Dann lehnte sie am Geländer der hohen Klippe, ließ ihren Blick übers Meer schweifen und überlegte, ob man sich wirklich auf diesem Felsen dauerhaft wohlfühlen konnte. Genau genommen sinnlose Gedanken, ihr hätte eh das dafür nötige Kleingeld gefehlt. Sie hätte es sich buchstäblich anheiraten müssen.

Die Distelgedanken erschauerten.

Äh, vom Regen in die Traufe? Maja kicherte amüsiert, statt sich zu ärgern. Sie bezeichnete ihren Status inzwischen als reine Zweckehe. Gewöhnung, eingeschliffener Trott ohne nennenswerte Höhepunkte, Funktionalität zum Überleben.

Dass die Variante Goldener Käfig - reich aber abhängig – lebenswerter war, wagte sie, ernsthaft zu bezweifeln. Besonders in jenem Moment, als sie in der Kathedrale von Monaco, vor der letzten Ruhestätte der Fürstin Gracia Patricia stand.

Es war schön, einmal die engen Gassen zu durchwandern, die ehrwürdigen Paläste zu bestaunen, der Wachablösung zuzuschauen, oder in den Gärten von St. Martin zu verweilen. Aber hier leben? Maja schüttelte den Kopf.

Die nächste Etappe führte sie in den Stadtbezirk Monte Carlo. Die Spielcasinos interessierten sie nicht, eher die Formel 1 Rennstrecke und die Parks. Auf dem Weg von der Tiefgarage, wo der Bus parkte, zum Hügel mit dem Casino, das die meisten aufsuchen wollten, passierten sie eine Autowerkstatt, in der mehrere Ferraris auf Erstversorgung warteten.

Erstaunte Gesichter der Besitzer, weil Majas Aufmerksamkeit ausschließlich der Ausstattung der Werkstatt, statt ihren Flitzern galt. Woher hätten sie auch ahnen sollen, dass das jene der teuren Marken war, die Maja ganz hintanstellte.

Sie widmete den Herren einen so kurzen Blick, dass sie nicht einmal hätte sagen können, ob es junge oder alte Männer gewesen waren.

Na, Mädel, so wird das nie was, lachten die Gedanken.

Haltet die Klappe! Schon gemerkt, dass hier jeder sein eigenes Auto für die größte Touristenattraktion hält?

Von dusseligen Eingebungen unbelästigt, erreichte Maja schließlich den Park oberhalb des Centre Commercial le Metropole und setzte sich auf eine Bank, neben der eine recht ansehnliche Monstera einen Baum erklomm. Hier im Schatten ließen sich die Temperaturen von weit über 30°C besser ertragen, als zu Fuß auf dem Asphalt der Straßen.

Nach wenigen Augenblicken fanden sich ganze Schwärme von Tauben ein, die Maja regelrecht belagerten. Abgesehen von der Angst, die Hinterlassenschaften der Tiere im Flug abzubekommen, kroch sie ein gelinder Grusel an.

Beinahe ausnahmslos fehlten den Tieren an einem oder beiden Füßen die Zehen, was Maja auf die riesigen Möwen zurückführte, die sie bereits in den Gärten von St. Martin dabei beobachtet hatte, wie sie Jagd auf Spatzen machten und dortigen Tauben blitzschnell in die Füße hackten.

Der geradezu widerliche Anblick trieb Maja von ihrer Bank. Der Gedanke, sich ausgerechnet diese Tauben hier als gurrende Liebesboten vorstellen zu müssen, ekelte sie.

Dass diese bedauernswerten Geschöpfe statt auf Bäumen und Dächern, wohl nur noch auf dem Boden landen konnten, nahm sie ganz am Rande wahr.

Zumindest stand jetzt schon fest, dass für Maja ab sofort Monaco weder der Ort der Reichen und Schönen noch der, der ganz schön Reichen sein werde, sondern jener, der verstümmelten Tauben.

Auf dem Weg zurück nach Andora wählte der Busfahrer diese der drei Straßen, die genau mittig am Hang verlief und Maja vergaß rasch den unschönen Anblick der Vögel.

Oberhalb einer malerischen Bucht manövrierte der Fahrer den Bus dicht an den Rand der Klippen, um den laufenden Verkehr nicht zu sehr zu beeinträchtigen, ließ alle aussteigen und ermöglichte ihnen wundervolle Schnappschüsse, denn inmitten winzig wirkender Yachten lag das riesige Kreuzfahrtschiff Celebrity Equinox vor Anker.

Maja stellte wiederholt fest, dass sie für das mondäne Vergnügen, sich auf einem Kreuzfahrtschiff herumzudrücken, wohl auch nicht geschaffen war. Dann schon lieber mit dem Flugzeug ganz schnell irgendwohin und dort intensiv die Zeit zu nutzen, Land und Leute kennenzulernen. Nur bevorzugte sie eben andere kraftvolle Wunderwerke menschlicher Technik, nämlich jene, wie den silberglänzenden Reisebus, der genau hinter ihr stand.

Mit dem Sonnenuntergang trafen sie wieder im Hotel ein, wo Maja sämtliche Speisekarten ignorierte, weil sie nun mal beschlossen hatte, sich jeden Abend an ihre geliebte Pasta in zig Varianten zu halten.

Filmreif nach Cannes

Eine reichliche Stunde vor dem Frühstück erwachte Maja mit heftigem Hungergefühl. Sie hatte sich abends noch in der Nähe der Strandpromenade ein großes Zitroneneis gekauft, ein Glas Rotwein getrunken und offenbar glaubte ihr knurrender Magen, er könne pausenlos weiterschlemmen.

Die Distelgedanken vertrugen die Völlerei wohl nicht ganz so gut. Sie hielten sich stark zurück. Sie wagten es nicht einmal, Maja daran zu erinnern, dass sie für den heutigen Tag eine Schiffstour von Cannes zur Insel Sainte-Marguerite gebucht hatte.

Die wäre um ein Haar auch noch ausgefallen, weil zwei ganz superschlaue Mitreisende ohne Pässe und Personalausweise in den Bus gestiegen waren. Obwohl man sich ja erstens sowieso im Ausland befand, und zweitens von Italien nach Frankreich wollte, wo bekanntermaßen seit Wochen Grenzkontrollen wegen der Asylproblematik durchgeführt wurden.

Nur gut, dass der Fahrer den Diensthabenden kannte und dieser das groteske Drama mitspielte, sonst wären sie rund 130 Kilometer zurück ins Hotel gefahren und das Schiff hätte schon lange, lange abgelegt, ehe sie wieder hier gewesen wären.

Und gerade an diesem Ausflug lag Maja besonders viel. Immer und überall zog es sie aufs Wasser, wenn welches vorhanden und befahrbar war. Seen, Flüsse, Meere – nichts war vor ihr sicher, sobald irgendwie ein Boot oder Schiff zu chartern war.

Selbst die Distelgedanken hatten entnervt geschnauft, als plötzlich SOS-Stimmung im Bus geherrscht hatte.

Nach Ankunft auf dem Parkplatz reichte die Zeit auch eben so, noch an Bord zu gehen. Maja fand einen Platz auf dem Oberdeck, von wo aus sie sich den Wind um die Ohren wehen lassen und erstklassige Fotos schießen konnte.

Sie spielte dabei gerade mit Sonne und Schatten, um den Kerker des Mannes mit der eisernen Maske besonders mystisch abzulichten, als die Luft plötzlich zu flimmern schien. Der Auslöser der Kamera blockierte und Maja schaute fragend auf.

Die herabgebrochenen Fels- und Mauerstücke stücke am Ufer waren verschwunden. Wobei das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Sie hatten nur ihren ursprünglichen Platz wieder eingenommen, wie Maja völlig verblüfft feststellte.

Sie wandte sich um und erstarrte. Auch Hafen und Uferbebauung der Metropole sahen völlig verändert aus. Hatten bei der Abfahrt noch unzählige weiße supermoderne Yachten und Segelboote dort gelegen, waren es jetzt hölzerne Boote und Schiffe, denen man ansah, dass sie schon oft Wind und Wetter getrotzt hatten.

Die Segel grau und zerschlissen, Fischgeruch trieb mit dem Wind herüber. Alles, was vor dem 16. Jahrhundert erbaut worden war, hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Ein großes Segelschiff lag im Hafen.

Der Kapitän, ein hochgewachsener gutaussehender, dunkelhaariger Mann, stand am Bug und schaute direkt zu Maja herüber. Er folgte dem Ausflugsschiff mit den Augen, bis es seinen Liegeplatz erreichte.

Maja reihte sich wie eine Traumwandlerin in den Strom der Aussteigenden ein. Nicht nur ihre Gedanken fuhren Karussell, auch vor ihren Augen drehte sich alles.

„Ist Ihnen nicht gut? Kann ich Ihnen helfen?“, hörte sie jemanden wie durch Watte sagen und spürte eine Hand, die ihren Arm ergriff und die sie sicher an Land brachte.

„Alles in Ordnung“, murmelte Maja, sich für einen Moment an dem Fremden festhaltend.

„Scheint mir nicht so“, erwiderte der mit leicht spöttischem Unterton. „In solch einer Hitze auf dem Wasser zu sein, kann schon mal zu Problemen führen.“

Zuerst wollte Maja aufbegehren, besann sich aber anders. Aus seiner Stimme hatte echte Sorge geklungen. „Vielleicht haben Sie ja recht. Danke für Ihre Hilfe.“ Sie schaute ihm in die Augen und wollte sich eigentlich verabschieden. Eigentlich. Stattdessen rutschte ihr vor Verblüffung glatt die Tasche aus der Hand. Sie hätte schwören können, genau dieses Gesicht soeben noch an Bord des stolzen Seglers gesehen zu haben.

Der Fremde hob amüsiert lächelnd die Tasche auf, reichte sie ihr mit einer kaum merklichen Verbeugung und meinte: „Wie wäre es, wenn ich Sie auf einen Kaffee einlade, bis Sie wirklich wieder vollen Wind in die Segel nehmen können?“

Maja nickte. Der Mann bot ihr wieder den Arm. „Sie sind mit einem der Busse hier, nehme ich an“, fragte er in leichtem Plauderton.

„Ja, und leider nur für einen halben Tag“, erklärte Maja, endlich wieder einigermaßen klar sehend und denkend. Sie schaute auf die Uhr. „In einer Stunde muss ich schon wieder weiter.“

„Genug Zeit, um ganz in Ruhe einen Kaffee zu trinken“, erwiderte er, sie in eines der kleinen Restaurants direkt am Hafen führend.

Maja wählte Cappuccino und Vanilleeis. „Sie leben hier?“

„Ja und nein“, gab er zur Antwort. „Es ist eher meine Wahlheimat, weil ich einfach nicht vom Meer lassen kann.“

„Dann gehört Ihnen eines der Segelboote da draußen?“

Er lachte auf. „Boot ist gut… Einigen wir uns auf ein ja.“

Sofort drängte sich Maja wieder das stolze Schiff auf, welches in ihrer Vision erschienen war. Dass er in jenem Moment nickte, konnte Zufall sein.

„Ich befehlige eine ganze Flotte von Fahrzeugen“, fügte er schließlich hinzu.

„Bei Wasserfahrzeugen würde ich auf Admiral tippen. Bei Landfahrzeugen könnten es auch Busse sein. Wie ein Dispatcher sehen Sie aber nicht aus, eher wie der Herr über ganze Imperien“, überlegte Maja laut. „Oh, tut mir leid.“ Sie bekam sogar einen Hauch Farbe, als sie merkte, dass sie drauf und dran war, ihn auszuhorchen.

„Geschickt im Fragenstellen, ohne dass es welche sind“, stellte er grinsend fest. „Journalistin?“

Maja lachte. „Einigen wir uns auf: Ich schreibe.“

„Worüber?“

„Im Augenblick bevorzugt über das Mittelalter. Hin und wieder ist das Meer dabei, Schiffe, Schätze, Abenteuer…“

„Auch erotischer Art?“

„Kommt vor. Eine romantische Liebesgeschichte ist meist erst das Salz in der Suppe.“

„Gern würde ich Sie wiedersehen, obwohl ich weiß, dass vielleicht nicht nur Entfernungen, sondern Welten zwischen uns liegen“, seufzte er, was Maja einen heftigen Stich im Herzen gab.

„Dann sagen wir doch ganz einfach: Auf Wiedersehen, statt Lebewohl.“ Sie erhob sich.

Im Bus fiel ihr siedendheiß ein, dass sie weder Visitenkarten noch Telefonnummern getauscht hatten und sie nicht einmal nach dem Namen des gutaussehenden Mannes gefragt hatte, wie er nicht nach ihrem. Womit es dann wohl doch ein Lebewohl war.

Maja kämpfte mit den Tränen. Offenbar war sie nicht nur zu feige, sondern auch zu ungeübt, ein Ziel erotischer Art ins Visier zu nehmen.

Dabei stand der nächste Aufenthalt bereits in Nizza auf dem Tagesplan. Von der Seite aus, wo der Bus hielt, kehrte der sieben Meter hohe Apollo auf dem Place Masséna Maja glatt das Hinterteil zu.

Geschieht dir recht, du blöde Kuh, dachte sie. Hast gerade die Bekanntschaft eines Prachtexemplars von Mann gründlich vergeigt.

Die Distelgedanken kicherten schadenfroh.

Aus Ärger über sich selber ging Maja nicht einmal näher an die Statue des griechischen Gottes heran, geschweige denn drum herum, um zu sehen, ob sie vorn hielt, was sie hinten versprach.

Ihren Kummer legte sie buchstäblich auf Eis, denn an dieser Leckerei mit Zitronengeschmack konnte sie einfach nicht vorbeigehen. Am Ende hockte sie auf der Promenade du Paillon in der Nähe des herrlichen alten Karussells und beobachtete das bunte Treiben, bis endlich der Bus auftauchte.

Auf der langen Fahrt zurück nach Andora träumte Maja in jener Art vor sich hin, dass sie zwar die Landschaft wahrnahm, aber in ihr völlig andere Szenen in einer längst vergangenen Zeit. Hölzerne Fischerboote zogen ihre Bahnen und weit am Horizont blähten sich die hellen Segel einer erfolgreich heimkehrenden Handelsflotte in der Sonne.

Erst mit Erreichen des Hotels kam auch Maja wieder in die Realität zurück, die sie sich zum Abendbrot wieder mit Pasta versüßte, und ihrem Gute-Nacht-Eis von der Strandpromenade.

Donner und Doria

Auf San Remo, das als nächster Anlaufpunkt im Programm stand, freute sich Maja aus vielerlei Gründen. Nicht ganz unbedeutend war, was der witzige Film Schussfahrt nach San Remo an Erinnerungen hinterlassen hatte. Denn, wo der pedantische Gerichtsvollzieher Mulot auftaucht, findet selbst der Teufel kein Loch.

Auf der Via Aurelia, jener Römerstraße, die der Censor Gaius Aurelius Cotta im Jahr 241 vor Christus in Auftrag gegeben hatte, strebten sie dem Ziel entgegen.

Die Altvorderen hatten es ganz einfach drauf gehabt. Ihre Bauwerke überdauerten die Zeiten, wenn sie nicht gerade Kriegen oder blindwütigem Abrisswahn der Neuzeitlichen zum Opfer fielen.

Der Schiefe Turm von Pisa hielt sich tapfer über die Jahrhunderte, während heute schon ein Windhauch genügte, ganze Häuser einstürzen zu lassen, wenn nur ein einziger Ziegel außer Lot war.

Mit Geld und Macht stampften die Ur-Alten in Rekordzeit Rekordbauten aus dem Boden. Heute hieß es eher: Macht nichts, wenn man kein Geld hat.

Dass bei all diesen Überlegungen kurzzeitig das Bild des Berliner Pannenflughafens vor ihrem geistigen Auge aufblitzte, ließ Maja beinahe hämisch grinsen.

Jemand, den sie sehr verehrte, und der es wissen musste, weil er in diesen Welten lebte, hatte erst neulich den alten Spruch zu ihr gesagt: Eigentlich geht es immer nur um Macht, Geld und Sex.

An dieser Stelle wurden die Distelgedanken neugierig…

Die weiteren Worte der italienischen Reiseführerin holten Maja übergangslos ins Jetzt und Heute zurück. Endlich bekam sie die Erklärung für die vielen abgestorbenen Palmen, die sie allerorten bemerkt hatte. Der Palmenkäfer war’s gewesen!

Auch, wenn diese imposanten Gewächse ursprünglich nicht hier beheimatet gewesen waren, so wäre es doch ein herber Verlust, auf sie verzichten zu müssen. Sie prägten die Landschaft. Maja konnte sich die Côte d’Azur ohne Palmen einfach nicht vorstellen. Bei jedem Besuch im Süden schaute sie unterwegs nach den allerersten Palmen aus, die sie stets mit einem zufriedenen Lächeln begrüßte.

Der Busparkplatz, gleich am Meer, war reichlich mit diesen Gewächsen bestückt und so speicherte Maja schon hier Bild um Bild, genau wie mehrere Verkehrsschilder, auf denen San Remo zu lesen stand.

Der Ort selber übertraf alle Erwartungen, die Maja an ihn geknüpft hatte. Sie durchwanderte enge Gässchen mit uralten Häusern, die sich gleichsam darüber beugten, wie neugierige Späher, staunte über Plätze, Kirchen und Märkte und kam sich am Ende vor wie eine Japanerin, die mehr die Kamera am Auge, als in der Tasche trug.

Über eine Flaniermeile mit besonders teuren Geschäften schlenderte sie schließlich zurück zum Parkplatz, um ihre gesammelten Eindrücke mit den anderen zu teilen.

Bis die Letzten, aus der Gruppe, eintrafen, stützte sich Maja auf einen der großen rohen Steinblöcke am Rande der Steilküste und schaute aufs Meer hinaus. Während sie noch überlegte, ob es eine Möglichkeit gäbe, direkt zum Wasser hinunter zu klettern, tauchte etwas am Horizont auf, das ihre Aufmerksamkeit fesselte.

Es war etwas Großes, Dunkles, hob sich deutlich von den meist weißen Wasserfahrzeugen der Hobbysegler ab und konnte ja wohl nur ein Schiff sein. Weil sie es nicht genau zu erkennen vermochte, zoomte sie den Ausschnitt kurzerhand mit der Kamera auf und hätte diese beinahe fallen lassen – da draußen zog der stolze Segler seine Bahn, den sie in Cannes gesehen zu haben meinte.

Rasch drückte sie den Auslöser, und, damit sie das Bild wirklich sicher im Kasten habe, gleich noch zweimal. Dann rief sie die Bilder auf, um die Qualität der Aufnahmen zu begutachten ... Sie sah nur azurblaues Wasser, welches am Horizont in einen genauso azurblauen Himmel überging.

„Und? Geworden?“, fragte jemand hinter ihr.

Maja schüttelte, ohne sich umzudrehen, den Kopf. „Hab’s verzittert.“

„Was war es denn?“

„Keine Ahnung. Entweder war es zu schnell oder eine Fata Morgana“, erwiderte Maja, die kleine Kompaktkamera zurück in die Handtasche steckend.

Die wohlige Aufregung, in Erinnerung an den Fremden aus Cannes, ging niemanden etwas an. Ich sehe dich wieder, und sei es nur ein meinen Träumen, dachte sie lächelnd.

Dass keiner der anderen etwas bemerkt hatte, wunderte sie nicht. Sie musste sie ja in der Stadt fast mit der Nase auf die wundervollsten Dinge stoßen, die ihr geradenwegs zuströmten.

Auf dem Rückweg wurde spontan beschlossen, weil noch reichlich Zeit bis zum Abendbrot war, einen Abstecher nach Grasse, in die, direkt am Weg liegende, Parfümerie Fragonard zu machen.

Die meisten Herren hatten gleich den Ferrari im Auge, den man sich gegen ein Bündel Bares für eine Spritztour ausleihen konnte. Die Damen eilten hingegen zielstrebig auf den Eingang zu, als könnten sie etwas verpassen.

Maja schüttelte sowohl über die einen als auch die anderen den Kopf. Sie fühlte sich wie samstagmorgens, wenn alle, ihre Einkaufswagen fest im Griff, schon zehn Minuten vor Ladenöffnung darauf warteten, dass sie endlich im Laufschritt durch die Regalreihen stürzen konnten.

Hier wie dort hielt sie sich im Hintergrund, wohl wissend, dass immer genug für alle, und besonders für sie da war.

Maja kaufte stets nur, was sie wirklich brauchte, oder aus Überzeugung haben wollte. Und das war meist nicht viel. Mit ihrer handfesten Duftstoffallergie werde sie sich hier ganz bestimmt in allen Punkten sehr zurückhalten.

Das Ende vom Lied: Sie durchquerte nach der Führung sofort den Verkaufsraum und nahm als Andenken nur das Probefläschchen mit dem Eau de toilette der Saison Jasmin mit nach Hause. Sie mochte den Duft, nur vertrug sie ihn nicht.

Also stand das Fläschchen später als schöne Erinnerung in seiner orangefarbenen Klappkarte zwischen Heften und Papieren auf ihrem Regal direkt überm Schreibtisch.

Nach der üblichen abendlichen Pasta- und Eisorgie, fiel Maja wie ein Stein ins Bett. Sie wunderte sich beim Aufwachen nur täglich, dass sie hier niemals träumte. Aber andererseits prasselten fast zehn Stunden lang neue Eindrücke wie Hammerschläge auf sie ein. Irgendwann musste wohl auch ein Dichterhirn seine absolute Ruhe haben, um neue Geschichten ausbrüten zu können.

Der Morgen sah eine quietschvergnügte Maja auf dem Balkon stehen, das Treiben im Tal und gleichzeitig den Verkehr auf der Hochstraße beobachtend. Heute sollte es eine Tour ins Nerviatal geben, an welchem sie nun schon ein paar Mal vorbeigefahren waren.

Maja hatte in einem wundervollen Kinderbuch einer befreundeten Autorin so viel über Ligurien gelesen, dass sie jedes Mal völlig aus dem Häuschen geriet, wenn sie dort beschriebene Dinge plötzlich vor die Augen bekam.

Gestern erst hatte sie einen Ape, ein kleines dreirädriges Lastauto, gesehen und sogar fotografiert. Heute sollte sie eine uralte Ölmühle besuchen und dort verschiedene Häppchen aus der Region testen.

Maja liebte es, italienisch zu essen, egal, ob Pizza oder Pasta. Zu focaccia, würzigen, oft mit Käse gefüllten, gebackenen Fladen, sagte sie erst recht nicht nein.

So saß sie dann unglaublich aufgeregt im Bus und sog mit Blicken die Schönheiten des Nerviatals ein, als müsse sie sich für die nächsten Jahre davon ernähren. Sie hatte sich bewusst nicht näher vorinformiert, war auf einiges gefasst gewesen und stellte erfreut fest, dass ihre Erwartungen weit übertroffen wurden.

Sie klebte fast an der Scheibe des Busses, als sie Dolceacqua durchfuhren und sie die Ruine des Castello dei Doria auf der Bergspitze gewahrte.

„Hier rasten wir auf der Rückfahrt. Unser Mittagessen wartet in Isolabona“, sagte die Reisebegleiterin soeben und Maja atmete auf. Nur das ungewöhnliche Herzklopfen blieb.

Ein Stück weiter flussaufwärts erreichten sie Isolabona, dessen mittelalterliche Häuser das Flussbett der Nervia einrahmten, von der jetzt nur schmale Rinnsale übrig waren. Wochenlange Temperaturen von 30 Grad Celsius und mehr, hatten das Wasser bis auf kümmerliche Restpfützen verdunsten lassen.

Die Ölmühle lag auf dem anderen Ufer, zu dem eine uralte steinerne Brücke führte. Maja setzte ganz bewusst einen Fuß vor den anderen. Irgendwie schien sie genau in dieses Mittelalter zu gehören. Es war, wie nach Hause kommen. Ihre Fingerspitzen glitten sacht über den rauen Stein des Geländers.

Willkommen, flüsterten die Distelgedanken, mit verschwörerischem Unterton. Erinnerst du dich?

Verträumt lächelnd blieb Maja mitten auf der Brücke stehen und ließ die Bilder wirken. Ja, sie erinnerte sich tatsächlich. Zuerst an jene Stimme, mit der die Disteln soeben gesprochen hatten. Fast zugleich aber auch an Hohenfreyberg, die Burg aus dem frühen 14. Jahrhundert, mit der sie ein dunkles Geheimnis aus längst vergessener Zeit untrennbar verband.

Maja seufzte und widmete sich dem Anblick des Flussbettes, welches sie völlig gefangen nahm. Selbst ausgetrocknet hatte die Nervia etwas Malerisch-Majestätisches. Vor lauter Rührung stiegen Maja Tränen in die Augen, die sie verstohlen wegwischte. Dann schritt sie beinahe hieratisch durch die verwinkelten Gässchen über holpriges Pflaster, vorbei an einem Brunnen aus behauenem Stein, hinunter zur Ölmühle.

Die Distelgedanken gaukelten umher wie kleine Schmetterlinge und Maja konnte gar nicht anders, als ihnen, zur eigenen Stimmung passend, die Gestalt der farbenfrohen Tiere zu verleihen.

Ganze Schwärme zartbunter Falter flogen auf und verdeckten alles, was von der imaginären Mauer auch nur zu erahnen sein konnte.

Maja ließ ihnen ihren Spaß. Mochten sie sich inzwischen genau so laben, wie sie es an den vielen Köstlichkeiten auf dem Tisch tat. Der wohlschmeckende weiße und rote Wein stimmte Maja zudem besonders milde, was die umherhuschenden Gedankenschmetterlinge schon vorhergesehen hatten.

In freudiger Erwartung auf Dolceacqua stieg Maja nach fast zwei Stunden wieder in den Bus.

Genau gegenüber der wundervollen Brücke Vecchio di Dolceacqua, die die Nervia unterhalb des Doria-Schlosses überspannt, hielt das Fahrzeug.

Claude Monet hatte 1884 das berühmte Gemälde Die Burg von Dolceacqua geschaffen, das jenen eleganten Brückenbogen im Vordergrund zeigt und den er, wie Maja von der Reiseleiterin noch erfuhr, als Juwel der Leichtigkeit bezeichnete.

Bei diesen letzten Worten schwebten Majas Schmetterlingsgedanken besonders majestätisch, um zu verdeutlichen, genau solche Juwelen sein zu können, wenn Maja es nur wollte, wobei sie die Richtung zu den Resten des Schlosses einschlugen.

Maja konnte und wollte ihnen gar nicht so schnell folgen, wie sie flogen. Sie spazierte gemütlich zur Brücke hinüber, freute sich, dass hier sogar noch Wasser im Fluss zu sehen war und hin und wieder erstaunlich große Forellen auftauchten, die darin letzte Rettung vom Tod durch Austrocknung gefunden hatten.

Gedankenversunken lehnte sie am Geländer, freute sich über Fische und funkelnde Sonnenreflexe auf dem Wasser, als jemand über ihre Schulter schaute, obwohl die Brücke lang genug gewesen wäre, sich einen anderen Platz zu suchen.

Maja drehte sich unwillig um. Wenn sie eines nicht ausstehen konnte, dann das, wenn man ihr zu dicht auf die Pelle rückte, wenn ringsum alles frei war.

Überrascht stellte sie fest, dass sie völlig allein auf der Brücke und die Gruppe schon ein paar Meter weitergezogen war. Aus einer Eingebung heraus wandte sie sich wieder dem Fluss zu und gewahrte erneut das Gesicht, welches sich rechts schräg hinter ihrem spiegelte.

Durch Windriffel leicht verzerrt, bemerkte sie, dass der Fremde einen Helm auf dem Kopf trug, welcher hell in der Sonne glänzte und die Reflexe im Wasser von diesem stammten.

Da ertönte Pferdegetrappel, das Bild im Fluss verblasste. Maja wirbelte herum. Was ihr vor die Augen kam, war alles andere als ein Ross mit Reiter. Auf einem altersschwachen Moped knatterte ein junger Mann vorüber, dessen Sturzhelm wie poliertes Silber strahlte.

Maja musste lachen und rannte nun endlich der Reisegruppe hinterher, die sich anschickte, in die Gassen der uralten Gemäuer unter der Schlossruine einzutauchen.

Die unwirkliche Welt, der äußerst schmalen überbauten Durchgänge zwischen unglaublich alten Häusern schlug sie sofort in ihren Bann. Auf dem Boden einer Art winzigem Lichthof entdeckte sie die vereinten Wappen der Doria und Grimaldi. In der linken Hälfte der schwarze Adler der Doria und in der rechten die roten und weißen Rhomben der Grimaldi.

Obwohl ihr dieser Fakt bisher nicht bekannt gewesen war, wunderte sie sich nicht, welche Allianzen die Geschichte der Menschheit schon gesehen hatte.

Ein paar Meter weiter hatte sie das 21. Jahrhundert schon fast vergessen, selbst, wenn winzige wundervolle Läden ihren Weg säumten.

An jenem aufsteigenden Pfad, der zur Schlossruine führen sollte, blieb sie lauschend stehen. Ein Geräusch, welches sie nicht erwartet hatte, das aber perfekt in jene Zeit passte, in der die Häuser entstanden waren, erregte ihre Aufmerksamkeit – der Klang von schweren Schritten und das Klappern von Rüstungsteilen eines Plattenharnischs.

Da trat der Geharnischte auch schon aus dem Licht vor den Gemäuern in das düstere Halbdunkel zwischen diesen.

„Ihr kommt spät“, sprach er Maja an.

„Wie?“, hauchte die völlig verdattert. „Ihr verwechselt mich sicher, mein Herr“, fügte sie dann, ebenfalls in der Ehrenform, hinzu, als unterhielte sie sich mit jedem so.

Er nahm den Helm ab. „Mitnichten, meine Teuerste.“

Maja musste sich an der Wand abstützen, so weich wurden ihre Knie mit einem Mal. Vor ihr stand, mit einem zu Herzen gehenden Lächeln, der Fremde aus Cannes.

Mit den Worten: „Ich werde Euch sicher ins Schloss geleiten“, bot er ihr seinen Arm an.

Maja ließ sich, ohne zu Zögern, den Weg hinauf führen. Als sie ins Freie traten, blieb der Ritter einen Augenblick stehen, taxierte Majas hautenge Jeans und das Sonnentop.

„Eure Verkleidung steht Euch ausgezeichnet zu Gesicht. War es sehr schwierig, unbemerkt zu mir zu kommen?“

„Ich … ich bin etwas durcheinander“, flüsterte Maja, ihn genau so betrachtend, wie er sie. „Seid nachsichtig, wenn ich Euren Worten nicht recht folgen kann.“

„Dann habt Ihr vergessen, dass ich Euch meine Dienste anbot?“

„N … nein.“ Maja schloss einen Moment die Augen. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wollte das aber auch keinesfalls zugeben, um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen. Sie wusste nicht einmal, mit wem sie es überhaupt zu tun hatte und schon gar nicht, wann sie mit ihm über Dienste irgendwelcher Art gesprochen haben sollte.

Er zog sie an sich. „Ihr müsst Euch nicht erklären. Dass Ihr hier seid, sagt mir doch, dass Ihr es akzeptiert, dass ich im Dienst einer anderen Dame stehe und Euch nur unter vielen Gefahren hierher holen kann. So, wie ich es akzeptiere, dass Euch Euer Gemahl dem Henker übergeben würde, erführe er von unseren Treffen.“

„Treffend ausgedrückt“, seufzte Maja, sich in seine Arme schmiegend. Sie fühlte ganz tief in sich, dass es einfach so sein musste, wie es im Augenblick war. Seine Gegenwart wirkte wohltuend und beruhigend. Zudem schien er, woher auch immer, mehr über sie zu wissen, als sie über ihn.

Der Ritter erwiderte die innige Umarmung, wobei die Haut an Majas nacktem Oberarm zwischen die Platten der Armschienen geriet. Mit einem unterdrückten Stöhnen versuchte sie, ihren Arm in eine andere Position zu bringen.

Beunruhigt ließ er sie los. Ein kurzer Blick auf den, sich sofort abzeichnenden schmalen schwarzblauen Bluterguss, eine angedeutete und doch sehr ehrerbietige Verbeugung. „Ich hoffe inständig, dass Ihr mir verzeihen könnt. Es lag mir fern, Euch zu verletzen.“

„Es ist meine Schuld“, versuchte Maja zu erklären. „Ich hätte damit rechnen müssen, so kriegstauglich, wie Ihr gerüstet seid.“

Er zog seinen Kettenhandschuh aus, um sie unbeschadet weiterführen zu können. Hinter der nächsten Wegbiegung öffnete sich der Blick auf das imposante Schloss. Zwei Wachen standen vor dem Portal, Maja genauso interessiert musternd, wie wenige Minuten vorher der Ritter, dessen Namen sie noch immer nicht kannte.

Er zog die schwere Tür auf. Knappen eilten herbei, um ihrem Herrn noch in der Halle Waffen und Rüstung abzunehmen.

„Wollt Ihr denn Euern Dolch nicht behalten?“, fragte einer der beiden, als der Ritter keine Anstalten machte, sich die Lederscheide wieder umzuschnallen.

Ein Entschiedenes: „Nein, mir droht keine Gefahr“, war die Antwort, dann dirigierte er Maja zu einer Wendeltreppe, welche direkt zu einem Zimmer in einem der beiden eckigen Türme führte. Als sie eingetreten waren, verriegelte er sofort die Tür.

Maja schaute sich um. Den größten Teil des Raumes nahm ein Bett ein und ihr wurde schlagartig klar, wie der unerwartete Besuch in der Burg wohl enden werde. Es erschreckte sie keinesfalls, nur konnte sie noch immer nicht nachvollziehen, was mit ihr wirklich geschah.

Woher wusste der Herr der Burg, dass sie heute hier erscheinen werde? Sie war sich ganz sicher, in Cannes nicht darüber gesprochen zu haben. Zudem hätte es jenes Zimmer, sowie das ganze Schloss in ihrer Zeit nur noch als Ruine geben dürfen. Schließlich war es bereits 1746 zerstört und von den Doria als unbewohnbar aufgegeben worden.

Ihr geheimnisvoller Gastgeber zog sie auf seinen Schoss.

„Wollt Ihr mir nicht endlich Euern Namen verraten?“, bat sie leise.

Er hob ihr Kinn an, bis er ihr direkt in die Augen schauen konnte. „Tut der wirklich etwas zur Sache? Man nennt mich Oberto.“

Maja zuckte zusammen. „Ihr seid Oberto Doria, der Admiral?“

Zwar nickte er, erwiderte aber blinzelnd: „Seht in mir, wen immer Ihr wollt. Lasst Euch in meinen Armen treiben, wie in den Wellen des Meeres…“

Mit einem besitzergreifenden Kuss erstickte er alle weiteren Fragen. Gleichzeitig begann er, ihr die Kleidung abzustreifen. Beim ungewohnten Kampf mit dem Reißverschluss der Jeans murmelte er: „Und da sagt man, einen Harnisch abzulegen, sei kompliziert.“

Mit Haken und Ösen schien er sich schneller zu arrangieren, denn ihr BH landete rasch in hohem Bogen auf einem Hocker neben dem Bett, wo auch schon die anderen Kleiderstücke mehr oder weniger verstreut lagen.

Dann spürte sie auch schon seine Lippen über ihre heiße Haut wandern.

Ein siegreicher Feldherr, ganz gleich mit welchen Waffen er kämpft, flüsterten die Schmetterlingsgedanken und sammelten sich in Maja Bauch, die das nervöse Geflatter der kleinen Biester nur zu gut verstehen konnte.

Sie ergab sich schon beim ersten Angriff und erfüllte alle Forderungen des Eroberers, der seinen Sieg sanft und mit allen Sinnen auskostete. Seine Fingerspitzen glitten über ihre Brüste, dann tiefer und tiefer, huschten zwischen ihre Schenkel…

Maja stöhnte lustvoll. Hin und wieder blitzte der Gedanke auf, dass es für die überlieferten Gepflogenheiten des 13. Jahrhunderts viel zu sinnlich zuging. Andererseits, wer Geld und Macht hatte, konnte sich das Liebesleben schon immer nach seinen Vorstellungen gestalten. Und nur wenige hatten mehr von beidem, als Admiral Oberto Doria.

Zudem war er auch von der Natur bei allem bevorzugt worden. Obwohl schon im fortgeschrittenen Alter, sah er umwerfend aus, war groß, stattlich und konnte mit seinem Stehvermögen manch Jüngeren vor Neid glatt erblassen lassen.

Mitten in einem Orgasmus, der Maja fast die Sinne raubte, klopfte es laut und fordernd an die Tür. „Herr, Signora Gioachina naht!“

„Accidenti! Ma non riposate mai?!” (Verdammt! Hat man niemals Ruhe?!)

Oberto schäumte zwar vor Wut, besaß aber die Kaltblütigkeit, zwischen Majas Schenkeln zu verweilen, bis sie wieder zu Atem gekommen war.

Er musste nichts erklären, sie hatte an seiner Reaktion den Inhalt der Botschaft auch so begriffen. Mit fliegenden Händen kleideten sie sich an, eilten gemeinsam die Treppe hinunter und durch die große Halle.

„Auf Wiedersehen, nicht Lebwohl“, raunte er ihr ins Ohr, küsste sie zum Abschied, dann öffnete er das Portal.

Maja schlüpfte hinaus und rannte wie gehetzt denselben Weg zurück, auf dem er sie hierher geführt hatte. Sie blieb erst stehen, als sie ins Halbdunkel der Häuserschlucht eintauchte.

Schwer atmend lehnte sie sich an die kühle Wand, in banger Erwartung dem Reitertrupp der Signora Gioachina zu begegnen.

„Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte da auch schon eine Frauenstimme und Maja kreiselte herum.

Sie blies die angehaltene Luft aus. Vor ihr stand die Reiseleiterin, die soeben mit zwei anderen Damen aus einem kleinen Lädchen kommend, den Weg zur Kirche des Ortes eingeschlagen hatte.

„Alles bestens. Ich war nur oben an der Ruine und habe mich abgehetzt, nicht zu spät am Bus zu sein. Schön, dass ich nun noch mit in die Kirche gehen kann.“

Den merkwürdigen Blick, welchen sie erhielt, würde sie wohl nie wieder vergessen, denn den Weg zu den Resten des Schlosses und wieder zurück, hätte sie nicht in den gerade vergangenen fünf Minuten schaffen können, seit sie sich von den anderen getrennt hatte.

Da zeigte die Reiseleiterin auch schon auf Majas Arm. „Um Gottes willen! Wo haben Sie sich denn verletzt? Ist wirklich alles in Ordnung?“

Maja verkniff sich sämtliche Kommentare und nickte nur. Ein Sonnenstich wäre bei der gerade herrschenden Hitze wohl das Harmloseste, was man ihr andichten würde, hätte sie jetzt glaubhaft versichern wollen, woran sie sich eingeklemmt hatte.

So betrachtete sie den tiefdunklen Strich auf ihrer Haut mit einem fast zärtlichen Lächeln. Für sie der sichtbare Beweis, dass sie wohl doch nicht nur geträumt hatte.

Arrivederci, amore mio, dachte sie, als sie den anderen langsam über das holprige Pflaster der Wege folgte. Inzwischen glaubte sie fest daran, ihn irgendwie und irgendwo wiederzutreffen, in welcher Zeit auch immer.

Sie rekapitulierte, was sie über ihn wusste: Er hatte mehrere sehr erfolgreiche Feldzüge unternommen, zwei Seekriege gegen Venedig geführt und schließlich die genuesische Seemacht zur führenden seiner Zeit gemacht. Zusammen mit den Spinola beherrschte er uneingeschränkt sogar den Staat.

Die Burg auf dem Berg über Dolceacqua hatte er im Jahr 1270 gekauft und als Bollwerk gegen französische Überfalle ausgebaut. 1230, so hieß es, sollte er geboren, 1295 gestorben sein. Einige Quellen gaben 1306 als Todesjahr an.

Anfang des 18. Jahrhunderts war die Burg unter die Herrschaft Savoyens gekommen und wurde während des österreichischen Erbfolgekrieges an einem Julitag im Jahr 1746 zerstört. Zwei Jahre später gingen die Mauerreste, völlig unbewohnbar, wieder in den Besitz der Doria.

Maja schaute noch einmal zurück zur Ruine, von der nur sie allein wusste, wie imposant die Burg in ihrer Blütezeit ausgesehen hatte, wie grandios es wirkte, wenn die Banner mit dem schwarzen Adler im Wind wehten.

Maja runzelte die Stirn. Das österreichische Wappen trug doch auch einen schwarzen Adler…

Die Schmetterlingsgedanken begannen amüsiert zu kichern und Maja steckte ihnen innerlich die Zunge heraus. Dass noch andere einen schwarzen Adler im Wappen trugen, wusste sie auch allein. Nur hatten diese nicht genau denselben Bezug zum Ganzen.

Sant' Antonio Abate, die Pfarrkirche zu Füßen des wundervollen Ortsteiles Terra, stammte aus dem 14. Jahrhundert. Reich mit Stuck- und Goldarbeiten geschmückt und mit kristallgeschmückten Kronenleuchtern ausgestattet, bildete sie einen krassen Gegensatz zu den verwinkelten, malerischen Gässchen des Terra. Maja wandelte mehrmals durch die Gänge und fotografierte winzige Details, die sie besonders ansprachen.

Stromabwärts der Nervia schlenderte sie schließlich zum Busparkplatz, ganz in der Nähe des Friedhofes.

Wehmütig verabschiedete sie sich von hier aus von der Burgruine und deren geheimnisumwobenem Herrn aus dem 13. Jahrhundert.

Für den nächsten Tag war ja auch schon der Abschied von Ligurien vorgesehen, doch Maja wäre am liebsten für immer hiergeblieben. Nicht nur, um vielleicht doch noch einmal Oberto wiedersehen zu können.

Sogar die Schmetterlingsgedanken hockten traurig herum und sahen grau aus, als habe man ihnen den schillernden Flügelstaub gestohlen. Der kleine Rollkoffer schien plötzlich Tonnen zu wiegen, als wolle er es verhindern, aus dem Hotel gebracht zu werden.

Maja warf den riesigen Opuntien, Agaven und Palmen noch einen letzten Blick zu, ehe der Bus auf die Hauptstraße einbog, um sich irgendwann in den dichten Verkehr auf Hochstraßen und Tunnels einzufädeln.

Arrivederci, Liguria!

Ave, Gaius Iulius

Durch die Po-Ebene ging es unweigerlich heimatlichen Gefilden entgegen. Nur eine kurze Galgenfrist, noch eine Übernachtung in Ala, dann würde der graue Alltag wieder Besitz von Maja ergreifen.

So saß sie nun im Bus, schaute über das weite flache Land und träumte mit offenen Augen von ihrem brandheißen Date. Ein Bündel aufgewühlter Gefühle irgendwo zwischen Ligurien, dem Piemont und der Lombardei. Zumindest bekam sie mit, wie sie den 45. Breitengrad überquerten, dessen Ankündigung weithin sichtbar an einer Brücke prangte. Nur für ein Foto war der Winkel recht ungünstig, wie Maja mit einigem Bedauern feststellte.

Inzwischen begann die Reiseleiterin über das nächste Reiseziel, den Gardasee, zu erzählen. Bei dem Hinweis, dass es in Sirmione das beste Eis der ganzen Welt gebe, war Maja schlagartig Ohr. So entging ihr auch nicht, dass man auf dem Parkplatz in der Nähe der Scaligerburg Rast machen werde.

Schon die Erwähnung des Wortes Burg, ließ gleich wieder ganze Wolken zarter Schmetterlinge ins Majas Bauch flattern. Diese setzten sich auch nicht nieder, obwohl noch einige Kilometer Wegstrecke vor ihnen lagen. Ein Zustand freudiger Erwartung, den sich Maja nicht erklären konnte.