Zeitgenossen - Suche nach den Ur-Vampiren (Bd. 4) - Hope Cavendish - E-Book

Zeitgenossen - Suche nach den Ur-Vampiren (Bd. 4) E-Book

Hope Cavendish

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Beschreibung

Die Suche nach den Ur-Vampiren führt Gemma und ihre Freunde zunächst zu dem weisen, aber rätselhaften Zervan Behruz und später auf eine abenteuerliche Reise quer durch die Wüste. Dabei begegnen sie einer undurchsichtigen Artgenossin, die sich ihnen anschließen möchte. Ist sie womöglich eine Feindin? In Babylon werden die Freunde schließlich mit den mystischen Ursprüngen ihrer Vampirherkunft konfrontiert. Erst Jahre später, nachdem verheerende Katastrophen und ein grausamer Krieg ein neues Zeitalter eingeleitet haben, erhalten sie eine Ahnung davon, wie sehr sich ihr Leben dadurch verändert hat. Wie groß ist die Macht der Ur-Vampire wirklich? "Suche nach den Ur-Vampiren" ist der vierte Band der historischen Vampirromanserie "Zeitgenossen". Im Mittelpunkt der Serie steht die Vampirin Gemma, die im Laufe der Jahrhunderte erfährt, was es bedeutet, unsterblich zu sein. Sie wird zur Zeitzeugin vieler historischer Ereignisse, erlebt Kriege, Entdeckungen und Revolutionen, begegnet der Liebe, dem Kampf und dem Tod. Ihre Freunde stehen ihr dabei oft zur Seite, doch ihren Weg muss Gemma letztendlich selbst finden.

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Impressum

Zeitgenossen – Band IV: Suche nach den Ur-Vampiren

Copyright © 2020 by Hope Cavendish

Hans-Sachs-Str. 77, 46236 Bottrop

[email protected]

 

Cover: Hope Cavendish unter Verwendung folgender Bildquellen:

aboutpixel.de / Man using a laptop in his kitchen © Mark Chambers; Bedouin Chief of Palmyra, Holy Land (Public Domain) from the Detroit Publishing Co., catalogue J foreign section. Detroit, Mich.: Detroit Photographic Company, 1905.

 

 

Alle Rechte vorbehalten.

Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Erlaubnis der Autorin möglich.

Die Personen und Handlungen im vorliegenden Werk sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Erwähnungen von historischen bzw. realen Ereignissen, realen Personen oder Orten sind rein fiktional.

 

 

Die Zeitgenossen im Internet:

https://zeitgenossen-romane.de

 

Hope Cavendish im Internet:

https://hope-cavendish.de

https://www.facebook.com/Autorin.HopeCavendish

https://twitter.com/HopeCavendish

 

Inhaltsverzeichnis
Impressum
Inhaltsangabe: Suche nach den Ur-Vampiren
Prolog
Ein weiser Mann
Eine neue Bekanntschaft
Ein Geständnis
Ein anderes Wesen
Ein leichter Kampf
Eine verheerende Katastrophe
Ein grausamer Krieg
Ein neues Zeitalter
Glossar
Weitere Informationen zu den Zeitgenossen
Danke schön!
Liebe Leserin und lieber Leser,
Wie geht es weiter?

Inhaltsangabe: Suche nach den Ur-Vampiren

 

Die Suche nach den Ur-Vampiren führt Gemma und ihre Freunde zunächst zu dem weisen, aber rätselhaften Zervan Behruz und später auf eine abenteuerliche Reise quer durch die Wüste. Dabei begegnen sie einer undurchsichtigen Artgenossin, die sich ihnen anschließen möchte. Ist sie womöglich eine Feindin?

In Babylon werden die Freunde schließlich mit den mystischen Ursprüngen ihrer Vampirherkunft konfrontiert. Erst Jahre später, nachdem verheerende Katastrophen und ein grausamer Krieg ein neues Zeitalter eingeleitet haben, erhalten sie eine Ahnung davon, wie sehr sich ihr Leben dadurch verändert hat. Wie groß ist die Macht der Ur-Vampire wirklich?

 

Suche nach den Ur-Vampiren ist der vierte Band der historischen Vampirromanserie Zeitgenossen. Im Mittelpunkt der Serie steht die Vampirin Gemma, die im Laufe der Jahrhunderte erfährt, was es bedeutet, unsterblich zu sein. Sie wird zur Zeitzeugin vieler historischer Ereignisse, erlebt Kriege, Entdeckungen und Revolutionen, begegnet der Liebe, dem Kampf und dem Tod. Ihre Freunde stehen ihr dabei oft zur Seite, doch ihren Weg muss Gemma letztendlich selbst finden.

 

Hope Cavendish

 

 

Zeitgenossen

Band IV: Suche nach den Ur-Vampiren

 

Prolog

 

Irgendwann erreichen wir alle einmal ein Alter, in dem wir uns bestimmte Fragen stellen. Die Frage nach dem Sinn des Lebens zum Beispiel oder nach dem Ursprung von allem. Da ich ein Vampir war, gab es da schon zweierlei Ursprünge, um die ich mir Gedanken machen konnte. Meine menschliche Abstammung, über die ich als uneheliche Tochter eines englischen Earls und als Adoptivtochter eines Apothekerpaares leidlich informiert war. Was die Herkunft der Menschheit an sich anbelangte, so war ich natürlich mit der Evolutionstheorie vertraut. Aber da gab es ja auch noch meine vampirische Abstammung. Zwar kannte ich Giles, meinen direkten Erschaffer, der sich später als meine große Liebe herausgestellt hat und mit dem ich eine langwährende Beziehung mit vielen Hochs und auch einigen Tiefs führte.

Doch es mussten erst ein paar Jahrhunderte vergehen, bis ich mir Gedanken darum machte, welchen gemeinsamen Ursprung wir Vampire als Spezies wohl haben mochten. Ein paar Jahrhunderte! Für ein Menschenleben eine unerreichbare Zeitspanne, für einen unsterblichen Vampir hingegen nicht. Viel zu oft vergaß ich diesen Umstand und ging mit meiner Zeit allzu leichtfertig um. Wenn einer meiner menschlichen Freunde starb, wurde ich dann wieder schmerzlich daran erinnert.

Da verwundert es wohl kaum, dass viele Vampire eher Einzelgänger waren oder wir uns lieber Freunde unter unseren Artgenossen suchten. Hierzu zählten bei mir neben Giles auch meine älteste Freundin Maddy mit ihrem Lebensgefährten Miguel sowie Francisco und der Gestaltwandler Fergus. Wir hatten gemeinsam schon so manches Abenteuer erlebt und gegen mächtige Gegner gekämpft, wie beispielsweise die Sybarites, eine skrupellose Vampirsekte, oder die Ritter des Dan. Die Sybarites hatten einst eine sehr machtvolle Waffe besessen, die Mort-Vivants. Mort-Vivants waren Vampire, die erst nach ihrem menschlichen Tod verwandelt wurden und ihr Biss war für jeden Vampir tödlich. Sie selbst waren jedoch gegen jeden Biss oder jede Waffe immun und zudem ihrem Erschaffer bedingungslos ergeben – und genau das machte sie so gefährlich. Dank eines glücklichen Zufalls waren meine Freunde und ich gleichwohl eines Tages an das Geheimnis der Mort-Vivant-Erschaffung gelangt und dies hatte uns geholfen, die Bedrohung durch die Sybarites vorerst einzudämmen.

Die Ritter des Dan hingegen waren fanatische Vampirjäger, die alle Vampire für Ausgeburten der Hölle hielten und unwiderruflich entschlossen waren, uns alle zu vernichten. Sie wussten dabei leider genau, wie sie vorgehen mussten, denn sie benutzten Silberwaffen und Silbermunition. Silber hemmte unsere Selbstheilungskräfte, weshalb Waffen aus diesem Material für uns sehr gefährlich und manchmal sogar tödlich sein konnten. Trotzdem hatten wir uns erst kürzlich in New Orleans auf einen Pakt mit den Rittern des Dan eingelassen und ihnen versprochen, gemeinsam mit ihnen die Sybarites zu bekämpfen. Wir hatten uns dazu entschieden, weil wir durch die Vampirjäger erstmalig von der Existenz der vier Ur-Vampire erfahren hatten. Allem Anschein nach war unsere gesamte Spezies aus diesen vier Ur-Vampiren hervorgegangen und wir hatten Grund zu der Annahme gehabt, dass die Ritter uns mehr darüber berichten konnten.

Leider hatte sich später herausgestellt, dass Letzteres nicht stimmte, und die Informationen der Ritter mehr auf fanatischen Lehren denn auf realen Erfahrungsberichten ihrer Vorgänger beruhten. Gleichwohl hatten wir zwei Anhaltspunkte erhalten, die uns bei der Suche nach unseren Ursprüngen weiterhelfen konnten. Der eine war die antike Stadt Babylon, in der die Ur-Vampire erstmalig in Erscheinung getreten sein sollten. Der andere bestand in der Information, dass Giles’ Erschaffer Zervan Behruz, ein alter persischer Vampir, uns womöglich mehr über die Ur-Vampire erzählen konnte, da es hieß, dass er selbst von einem von ihnen verwandelt worden sein soll.

Nachdem es uns gelungen war herauszufinden, dass Behruz sich derzeit in Sofia als Berater am Hofe des bulgarischen Fürsten aufhielt, hatten wir ihn kontaktiert und er hatte uns prompt zu sich eingeladen, um uns unsere Fragen zu beantworten. Damit war die Möglichkeit, doch etwas über unserer aller Ursprung zu erfahren, plötzlich wieder näher gerückt und wir hatten uns sofort auf den Weg gemacht.

Denn inzwischen hatten wir Blut geleckt.

 

Ein weiser Mann

 

Vier Tage nachdem wir Zervan Behruz’ Einladung erhalten hatten, nahmen wir den nächstbesten Transatlantikdampfer, der uns nach Europa brachte, das französische Passagierschiff La Lorraine, das nach Le Havre fuhr. Von dort aus ging es mit dem Zug weiter nach Paris, wo wir uns im Hotel Le Meurice einmieteten, um unsere weitere Reise zu planen. Wir buchten telegraphisch eine Unterkunft im Grand Hotel Sofia und reservierten uns drei Schlafwagenabteile im Orient-Express, der vom Pariser Bahnhof Gare de l’Est über Wien, Belgrad, Budapest und Sofia bis nach Konstantinopel fuhr.

Der Luxuszug war unter anderem für seine hervorragende Küche bekannt, doch da sich unser Speiseplan erheblich von dem der anderen Reisenden unterschied, wollten wir vor der Abfahrt lieber noch jagen gehen, um während der Reise nicht Durst leiden zu müssen. Der Pariser Stadtwald Forêt du Rouvre hatte uns gegen Ende des 17. Jahrhunderts noch eine reichhaltige Palette an Wild zur Verfügung gestellt. Doch jetzt schrieben wir das Jahr 1903, der Wald gehörte mittlerweile zum Parkgebiet des Bois de Boulogne und beherbergte kaum noch eine nennenswerte Anzahl an Tieren. Darum unternahmen wir einen nächtlichen Jagd-Ausflug in den nur 31 Meilen entfernten Wald von Fontainebleau, der nach wie vor einen beträchtlichen Wildbestand vorwies.

Dieser Ort hatte einstmals in Maddys und meinem Leben eine besondere Rolle gespielt. Deshalb nutzten wir die Gelegenheit, noch kurz den elefantenförmigen Sandsteinfelsen aufzusuchen, an dem wir seinerzeit die Asche von Maddys verstorbenem Mann Alexandre verstreut hatten. Anschließend statteten wir auch dem nahegelegenen Gut Larchant einen heimlichen Besuch ab, das mit Hilfe einer von mir eingerichteten Stiftung nach wie vor als Heim für Waisenkinder geführt wurde. Selbstverständlich schliefen die Kinder bereits, doch ein Blick durch die Fenster ermöglichte es uns dennoch, uns zu überzeugen, dass es ihnen an nichts zu fehlen schien.

 

Am Pariser Ostbahnhof Gare de l’Est herrschte am nächsten Morgen ein reges Treiben. Und da wir ein wenig spät dran waren, hatte selbst der architekturinteressierte Fergus kaum einen Blick für den klassizistischen Bau und sein beeindruckendes Glasdach über der Haupthalle übrig. Der Orient-Express stand bereits am Gleis. Die Waggons bestanden aus edlem Teakholz – was angesichts der unterschiedlichen Klimaregionen, die der Zug durchfuhr, gut durchdacht war – und waren gemäß ihrer jeweiligen Funktion mit massiven Messinglettern als Speise-, Schlaf- oder Gepäckwagen beschriftet. Viele der Reisenden verabschiedeten sich noch von ihren Angehörigen, während die Kofferträger ihre Koffer in den Gepäckwagen luden.

Die Reisegesellschaft sah überaus exquisit aus. Einige sehr mondän gekleidete Damen waren darunter sowie etliche Gentlemen, deren elegantes, aber unauffälliges Äußeres sie als Geschäftsreisende auswies. Ein paar der Herren trugen einen Fes, andere waren anhand ihrer prunkvollen Kaftane und Turbane unschwer als orientalische Würdenträger auf der Heimreise zu erkennen. Schließlich ertönte ein lauter Pfeifton der Dampflokomotive und wir beeilten uns, unsere Abteile aufzusuchen.

Die Schlafwagen waren äußerst luxuriös eingerichtet. Alle Wände hatten eine Mahagonitäfelung und waren mit wertvollen Intarsien dekoriert. Die Abteile bestanden je aus zwei weich gepolsterten und mit edlem Seidenbrokat bezogenen Sitzbänken, die sich in der Nacht zu bequemen Betten umbauen ließen, sowie einer angrenzenden kleinen Toilettenkabine mit Waschschrank und eleganten Messingarmaturen. Über den Sitzbänken befanden sich Gepäcknetze aus Messing für das Handgepäck und zwischen den Bänken konnte auf der Fensterseite ein Mahagonitisch ausgeklappt werden. Illuminiert wurde das Abteil am Abend durch einen kleinen Kronleuchter aus Bleikristall sowie durch Gaslampen an den Wandpaneelen. In jedem Schlafwagen standen drei Schlafwagenschaffner zur Verfügung, die sich zu jeder erdenklichen Zeit um das Wohl der Fahrgäste kümmerten.

Verglichen mit meiner Europareise Mitte des 18. Jahrhunderts war das Reisen mittlerweile unglaublich komfortabel geworden. Seinerzeit war ich noch in schlecht gefederten Kutschen unterwegs gewesen, heutzutage reisten wir in einem Luxushotel auf Schienen, das uns mit 32 Meilen in der Stunde voranbeförderte.

Der Speisewagen – den wir, um nicht allzu sehr aufzufallen, gelegentlich aufsuchten – war nicht minder erlesen eingerichtet. Die Tische waren mit weißem Damast, edlem Silberbesteck und Kristallgläsern gedeckt und die lederbezogenen Stühle trugen auf den Rückenlehnen verzierte Initialen der Eisenbahngesellschaft Wagons-Lits. Neben der Tatsache, dass uns menschliche Speisen nicht sonderlich mundeten, war das Silberbesteck noch ein weiterer Grund, uns den Speisewagen eher unbeliebt zu machen. Zwar führte das Silber bei uns nur in Wunden zu brennenden Schmerzen und blockierte dort obendrein unsere Selbstheilungskräfte. Doch an der äußeren Haut fühlte es sich dennoch sehr unangenehm an, weswegen Maddy und ich froh waren, dass die derzeitige Mode es vornehmen Damen vorschrieb, in der Öffentlichkeit Glacéhandschuhe zu tragen. Giles, Francisco, Fergus und Miguel hingegen versuchten, die unerquickliche Berührung mit dem kostbaren Besteck ebenso stoisch zu ignorieren wie den für uns unliebsamen Geschmack des Menüs.

So exklusiv das Ambiente der einzelnen Waggons auch war, so genossen wir dadurch nicht minder die Reise durch fünf verschiedene europäische Länder. Viele eindrucksvolle Landschaften zogen am Fenster vorbei, und wenn wir nicht solch ein wichtiges Ziel gehabt hätten, hätte ich gerne den einen oder anderen Zwischenhalt für einen längeren Stadtbummel genutzt.

 

Zweieinhalb Tage später erreichten wir schließlich den Hauptbahnhof von Sofia, wo uns Zervan Behruz schon erwartete, um uns zu unserem Hotel zu geleiten. Ich war nicht ganz sicher, wie ich mir den Mann vorgestellt hatte, der Giles einst in einen Vampir verwandelt hatte. Doch erschien mir seine äußere Erscheinung sogleich auf seltsame Weise vertraut. Behruz war mindestens einen Kopf kleiner als Giles und trug einen flachen Turban sowie einen edlen, aber dennoch schlichten Kaftan. Sein olivbraunes Gesicht war durch einige markante Falten, kräftige, graumelierte Augenbrauen und einen ebensolchen Schnurrbart geprägt und strahlte eine freundliche Ruhe aus. Er begrüßte jeden Einzelnen von uns mit einem Händedruck und einem herzlichen Lächeln und es kam sicherlich nicht nur mir so vor, als ob seine großen, schwarzbrauen Augen dabei sofort mein Innerstes erfassten.

Als Behruz’ Blick auf den Opalring fiel, den Giles mir geschenkt hatte, vertiefte sich sein Lächeln. »Ein wunderschöner Ring. Mit einer großen Kraft.«

Ich runzelte die Stirn. Konnte er ahnen, welche Bedeutung der Ring für mich hatte, da er mit Giles’ Versprechen verknüpft war? »Giles hat ihn mir geschenkt«, erklärte ich daraufhin.

Behruz dreht sich zu Giles um. »Ich hätte mir denken können, dass dieser Ring eines Tages in deine Hände fällt«, sagte er rätselhaft. Giles und ich wechselten einen erstaunten Blick.

Behruz hatte einige Kutschen organisiert, die uns und unser Gepäck direkt zum Grand Hotel Sofia brachten, damit wir uns zunächst einmal frisch machen konnten. Während der Fahrt bekamen wir bereits einen kurzen Eindruck von der Hauptstadt des bulgarischen Fürstentums und Behruz erklärte uns, dass dieser einst osmanisch geprägte Ort sich immer mehr nach westlichem Vorbild orientierte, etliche neoklassizistische und barocke Gebäude verdrängten offenbar zunehmend die orientalische Architektur. Der Verkehr hingegen schien noch nicht ganz so modern zu sein, denn obwohl unsere Kutschen einmal einer kreuzenden Straßenbahn Vorfahrt gewähren mussten, konnten wir auf den Straßen jedoch noch kein Automobil entdecken.

 

Im Grand Hotel Sofia bezogen wir zunächst unsere feudal eingerichteten Zimmerfluchten und machten uns ein wenig frisch.

»Hast du Behruz’ Bemerkung über den Opalring von dir verstanden?«, fragte ich Giles währenddessen. »Ich hatte angenommen, dass du den Ring bei einem Juwelier anfertigen lassen hattest, aber Behruz schien den Ring zu kennen.«

Giles kam aus dem Bad und sah mich nachdenklich an. »Der Ring befand sich schon sehr lange in meinem Besitz, aber ich habe keine Ahnung, woher Zervan ihn kennen sollte. Als ich 1196 Damaskus verließ und nach England zurückkehrte, konnte ich mich am Hofe Richard Löwenherz’ ja nicht mehr blicken lassen. Immerhin gab es genügend Zeugen, die mich auf dem Schlachtfeld von Arsuf hatten fallen sehen. Dennoch stattete ich Eleonore von Aquitanien, Richards Mutter, einen Besuch ab. Ich hatte immer ein freundschaftliches Verhältnis zu ihr gehabt, sie war diejenige gewesen, die mich seinerzeit gebeten hatte, Richard auf dem Kreuzzug zu unterstützen. Und ich war überzeugt davon, dass sie nicht davor erschrecken würde, dass ich immer noch – oder besser gesagt: wieder – lebte. Und so war es dann auch. Sie schenkte mir den Opalring zum Dank für meine Treue zu ihrem Sohn.«

»Und weißt du, woher sie ihn hatte?«, fragte ich.

»Sie sagte, sie hätte ihn von einem früheren Liebhaber und ich sollte ihn der Frau schenken, in der ich meine Seelengefährtin gefunden hatte. Ich vermute, Geoffrey Plantagenet, der Graf von Anjou war jener Liebhaber, denn die Gerüchte, dass die beiden eine leidenschaftliche Affäre gehabt haben sollen, hatten damals nie so recht verstummen wollen.«

»Das erklärt aber nicht, woher Behruz den Ring kennen könnte«, stellte ich grübelnd fest.

»Nein«, bestätigte Giles schulterzuckend. »Allerdings gehört es zu Zervans herausragenden Talenten, einen immer wieder mit seinem Wissen über die erstaunlichsten Dinge zu verblüffen. Vielleicht können wir ihn ja bei Gelegenheit mal danach fragen.«

Wenig später brach auch schon die Nacht herein und Behruz führte uns in das nahegelegene Witoscha-Gebirge, damit wir dort auf die Jagd gehen konnten. In den Wäldern des Gebirges fanden wir Rothirsche und Rehe ebenso wie Wildschweine, Braunbären und Wölfe vor, so dass wir unseren Durst auf das vortrefflichste stillen konnten. Zervan wartete unterdessen geduldig in einer Lichtung auf uns und ich bemerkte, dass er selbst überhaupt keine Anstalten gemacht hatte, ein Wildtier zu erbeuten.

»Sind Sie denn gar nicht durstig?«, fragte ich ihn.

»Ich habe meinen Durst bereits vorhin an meiner Dienerin gestillt«, antwortete er freundlich.

Daraufhin sah ich ihn ein wenig skeptisch an und er lächelte nachsichtig. »Du fragst dich sicher, ob ich keine Skrupel habe, von Menschen zu trinken. Doch ich kann dir versichern, dass ich dies nur bei denjenigen tue, die sich mir freiwillig zur Verfügung stellen. Keiner von ihnen unterlag je einem Zwang und keiner von ihnen wurde jemals dabei gefährdet.«

»Aber dafür müssen Sie diesen Menschen offenbaren, was Sie sind«, gab ich zu bedenken.

»Das stimmt«, erklärte Zervan schlicht, «doch diejenigen, die ich zu meinen Spendern erwähle, vertrauen mir ebenso wie ich ihnen.«

Ich betrachtete das ruhige und dennoch auch irgendwie rätselhafte Gesicht des alten Mannes vor mir und ahnte, dass er vermutlich großes Geschick darin besaß, Vertrauen aufzubauen.

 

Am nächsten Morgen lud Zervan uns in den Fürstenpalast ein, wo er im zweiten Stock des Westflügels einige Räume zu seiner Verfügung hatte. Seine Position am Fürstenhof war anscheinend nicht unbedeutend, denn er gab uns eine persönliche Führung durch das ganze Gebäude, ohne dass einer der wachhabenden Offiziere sich daran störte. Der Palast war komplett im Second Empire Stil gehalten, eine architektonische Stilrichtung, die – wie Fergus uns erklärte – sich an den Schlössern des französischen Kaisers Napoleon III. orientierte. In der ersten Etage lagen die Gemächer und Büros des Fürsten und der Fürstin. Über die große Freitreppe in der zentralen Säulenhalle gelangte man in den zweiten Stock, wo sich dann der Thronsaal, mehrere Ballsäle, ein weitläufiges Speisezimmer sowie weitere Büros befanden.

Zervans Räume unterschieden sich deutlich von der barocken Pracht der übrigen Zimmer. Wenngleich auch sie mit erlesenen Möbeln und Materialien eingerichtet waren, so wiesen die schweren Vorhänge, Teppiche und gemütlichen Sitzkissen doch unverkennbar auf die orientalische Herkunft ihres Besitzers hin. Zervan bat uns, Platz zu nehmen, und wies einen Diener an, dafür zu sorgen, dass wir in den nächsten Stunden ungestört blieben. Angesichts der behaglichen Umgebung fiel es uns nicht schwer, Zervans Aufforderung Folge zu leisten, uns wie zuhause zu fühlen.

»Du scheinst hier im Palast einen gewissen Einfluss zu haben«, stellte Giles sogleich mit einem leichten Schmunzeln fest. »Aber das war ja damals am Hofe Sultan Saladins auch schon nicht anders.«

»Am Anfang hat mich Fürst Ferdinand nur geduldet, weil er wusste, dass ich im Auftrag der Hohen Pforte ein Auge auf ihn haben sollte«, berichtete Zervan lächelnd. Die Hohe Pforte war eine Umschreibung für den Sultanspalast in Konstantinopel, also den Sitz der osmanischen Regierung, und es wunderte mich etwas, dass Behruz sich für deren Interessen einspannen ließ. Doch als er fortfuhr, begriff ich, dass offensichtlich eher das Gegenteil der Fall war.

»Bulgarien ist dem Osmanischen Reich bis heute tributpflichtig, doch der Fürst wäre natürlich lieber unabhängig, weshalb er auch eine Annäherung an das Russische Reich sucht, in der Hoffnung, vom Zaren unterstützt zu werden«, erklärte Zervan. »Die Hohe Pforte wünscht, dass ich diese Bestrebungen des Fürsten unterbinde, doch ich denke, jedes Volk und jedes Wesen sollte seinen eigenen Weg gehen dürfen. Daher helfe ich ihm, herauszufinden, welches der richtige Weg für ihn ist.«

Giles lächelte. »Wenn ich mich recht entsinne, bist du ebenso verfahren, als ich seinerzeit dein Schützling war. Wie schaffst du es nur, dir über so viele Jahnhunderte hinweg treu zu bleiben?«

»Nichts in der Welt ist schwierig, es sind nur unsere Gedanken, welche den Dingen diesen Anschein geben«, antwortete Behruz.

Giles lachte auf. »Mit deinen rätselhaften Weisheiten hast du mir schon damals so manches Mal Kopfzerbrechen bereitet.«

»Wenn man so lange lebt wie wir, bekommen die Dinge eine andere Bedeutung«, erwiderte Zervan lächelnd. Er blickte in die Runde. »Ihr alle habt dies inzwischen festgestellt. Ihr habt immer noch Wünsche, Ziele und Träume, doch ihr geht anders damit um als ein sterbliches Wesen. Das ist nur natürlich. Und euer nächstes Ziel ist es, etwas über euren Ursprung zu erfahren.«

»Woher wissen Sie das?«, fragte ich unverwandt. Giles hatte mich ja bereits auf Zervans erstaunliche Intuition hingewiesen, aber dennoch war ich überrascht, dass er unsere Absichten so genau durchschaute.

»Möchte nicht jedes Wesen seine Wurzeln kennen?«, entgegnete Zervan freundlich. »Irgendwann kommt jeder in seinem Leben mal an einen Punkt, an dem er mehr über seine Herkunft zu erfahren begehrt. Und da ihr nun hier bei mir seid, werdet ihr wohl herausgefunden haben, dass ich euch in dieser Hinsicht weiterhelfen kann.«

»Also ist es wahr?«, hakte Giles nach. »Du wurdest von einem Ur-Vampir erschaffen?«

Zervan nickte. »Sie hieß Gula. Und sie war eine der ersten unserer Art.«

Ich beugte mich gespannt vor. »Es gab vier von ihnen, nicht wahr? Vier Ur-Vampire.«

Zervan schaute mich amüsiert an. »Oh, es gibt sie noch, mein Kind.«

Verblüfft wechselte ich einen Blick mit meinen Freunden. Doch ehe jemand von uns etwas sagen konnte, meldete Zervan sich wieder zu Wort. »Ich verstehe, dass ihr sehr viele Fragen habt, meine Freunde. Doch zuerst gestattet einem alten Mann, auch seine Neugierde zu befriedigen. Ihr wisst also bereits von den vier Ur-Vampiren, wie ihr sie nennt. Von wem habt ihr davon erfahren?«

»Von den Rittern des Dan«, antwortete Giles knapp.

Zervan nickte verstehend. »Ach ja, die Ritter.«

»Du kennst den Orden?«, fragte Giles. »Die Ritter erzählten uns, dass einer von ihnen, Dagilu, sich 1328 dein Vertrauen erschlichen hätte.«

Behruz blickte bedauernd drein. »Dagilu war ein verirrtes Geschöpf. Als er in meine Dienste kam, war ich Berater am Hof des Bey von Mentesche. Ich ahnte schnell, dass er zu den Rittern des Dan gehörte. Er war zu bestrebt, mir zu gefallen, und wirkte dennoch völlig gefangen in seinen Vorstellungen. Ich war den Vampirjägern schon einige Jahrhunderte zuvor begegnet. Fanatische Männer, denen es als schlimmste Sünde galt, jemals ihren Glauben zu hinterfragen. Ich behielt Dagilu gleichwohl in meinen Diensten, weil ich spürte, dass mir der junge Mann trotz seines eingeredeten Hasses gegenüber Vampiren in gewisser Weise zugetan war. Womöglich hätte ich seine zwiespältigen Gefühle nutzen können, um ihm zu zeigen, dass wir nicht notwendigerweise die Höllengeschöpfe waren, für die er uns hielt. Ich sah, dass Dagilu hin- und hergerissen war zwischen seinem Glauben und seiner Freundschaft zu mir, und offenbarte mich ihm, um ihm seine Entscheidung zu erleichtern. Und wie es schien, berichtete er seinem Orden davon. So gelangte also die Information über meine eigene Verwandlung irgendwann zu dem Mann, den ich selbst verwandelt hatte.« Zervan warf Giles einen väterlichen Blick zu.

»Warum hattest du mir eigentlich nie von deiner Verwandlung erzählt?«, fragte dieser daraufhin.

»Ich hatte dich alles gelehrt, was du wissen musstest, um mit deinem neuen Dasein umzugehen. Aber du wärst damals noch nicht bereit gewesen, dich mit den Ursprüngen unserer Art auseinanderzusetzen.«

»Aber jetzt bin ich es«, stellte Giles fest und sein Tonfall verriet, dass diese Erkenntnis ihm selbst gerade erst richtig bewusst wurde.

Zervan sah uns alle nacheinander aufmerksam an. »Ihr alle seid es. Dagilu jedoch war zu schwach gewesen, um mit diesem Wissen umzugehen. Er verfiel eines Tages einer intriganten Dienerin, die ihn abwechselnd lockte und zurückwies. Er war wie von Sinnen vor Verlangen nach ihr und überwarf sich darüber anscheinend auch mit seinem Orden. Schließlich bat er mich, ihn zu verwandeln, um die Dienerin bezwingen zu können. Als ich ablehnte, griff er mich wieder und wieder an. Ich wehrte ihn nur ab, doch dabei stürzte er plötzlich in sein eigenes Messer und erlag kurz darauf seiner Verletzung.«

»Also hat tatsächlich einmal deine Intuition bei jemandem versagt«, bemerkte Giles überrascht.

»Ich wusste, dass Dagilu zerrissen von zu vielen Sehnsüchten und Einflüssen gewesen war«, erklärte Zervan bedauernd, »doch ich hatte ihm eine Chance geben wollen. Aber nun möchte ich gerne eure Fragen beantworten.« Er lächelte uns freundlich an.

»Sie sagten, Sie seien von einem Wesen namens Gula erschaffen worden«, begann ich daraufhin zögernd. »Woher wussten Sie, was sie war? Dass sie die erste unserer Art war? Und wie waren die näheren Umstände Ihrer Verwandlung?«

Zervan lehnte sich in die Kissen zurück und blickte in die Ferne. »Es war im 25. Regierungsjahr des Achämeniden-Königs Kyros II. – also nach der heutigen Zeitrechnung im Jahre 534 vor Christus – und ich arbeitete damals als Sternendeuter und Berater für den babylonischen Statthalter Gubaru II. Eines Nachts wachte ich in meinen Gemächern auf, weil ein heißer Windhauch über mein Gesicht strich. Ich öffnete die Augen und sah eine junge Frau an meinem Bett stehen. Sie schien das Mondlicht auf sich lenken zu können, denn ich konnte sie trotz der Dunkelheit gut erkennen. Ihr volles Haar hat einen blauschwarzen Glanz und reichte bis zu ihren Hüften. Ich konnte ihr Gesicht klar und hell über mir sehen, doch seltsamerweise fühlte ich mich außerstande, es näher zu beschreiben. In dem Moment wusste ich, dass ich kein menschliches Wesen vor mir hatte.«

»Sie können sie nicht beschreiben?«, hakte Francisco interessiert nach.

Zervan lächelte entschuldigend. »Ihr werdet verstehen, was ich meine, wenn ihr ihr selbst begegnet.«

Er schien sehr zuversichtlich zu sein, dass wir Gula irgendwann begegnen würden, was mich veranlasste, abermals einen überraschten Blick mit meinen Freunden zu wechseln.

»Die junge Frau sah, dass ich nicht vor ihr erschrak, und quittierte dies mit einem anerkennenden Lächeln«, fuhr Zervan fort. »Dann stellte sie sich vor. ›Ich bin Gula‹, sagte sie, ›und ich bin hier, um dir eine wichtige Aufgabe zu übertragen. Deinem Herrn Gubaru droht große Gefahr und es liegt an dir, ihn zu beschützen.‹

›Aber ich bin ein alter Mann‹, wandte ich ein. ›Wie kann ich Gubaru da von Nutzen sein?‹

›Hast du Angst vor dem Tod?‹, fragte Gula da.

›Nein‹, antwortete ich. ›Ich bin nun 64 Jahre alt, und wenn meine Zeit kommt, werde ich bereit sein.‹

›Aber deine Zeit wird nicht kommen‹, verkündete Gula daraufhin.

Zu diesem Zeitpunkt verstand ich den Sinn ihrer Worte noch nicht, doch ich ahnte, dass sie recht hatte. Sodann erklärte mir Gula, dass sie eine der vier ersten Etemmu-Qebrus war, also eine der vier Ur-Vampire. Die anderen drei hießen Dagan, Apason und Nergal. Dem zwieträchtigen Nergal missfiel die Eroberung des babylonischen Reiches durch die Perser unter Kyros II., daher suchte er auch dessen Statthalter zu vernichten. Wenn ich es zuließe, dass Gula mich verwandelte, würde sie mir die Macht verleihen, Gubaru vor Nergals Schergen zu beschützen. Also ließ ich es zu«, erklärte Zervan schlicht.

»Aber hatten Sie denn keine Angst?«, rief ich verwundert. »Oder wussten Sie überhaupt, was Ur-Vampire sind? Wie hatten Sie sie doch gleich genannt?«

»Etemmu-Qebrus«, wiederholte Zervan amüsiert. »Etemmu ist die Bezeichnung für eine Totenseele im babylonischen Glauben und ein Etemmu-Qebru ist die Totenseele, die unter den Lebenden wandelt. Und nein, ich hatte keine Angst. Ich wusste, dass Gulas Anliegen gut und richtig war.«

»Aber haben Sie von Gula nicht mehr erfahren wollen? Zum Beispiel, woher die Etemmu-Qebrus kamen beziehungsweise, wie sie entstanden sind?«

Zervan zuckte mit den Achseln. »Mir genügte, was ich bereits über den babylonischen Totenglauben wusste. Danach konnte es mehrere Gründe dafür geben, dass ein Mensch nach seinem Tod in einen Etemmu verwandelt wurde. Dazu gehörte unter anderem ein gewaltsamer oder unzeitiger Tod, der Tod durch Ertrinken oder Verhungern, der Tod während der Schwangerschaft oder wenn ein Toter nicht mit den üblichen babylonischen Ritualen bestattet worden war.«

»Den Begriff Etemmu haben auch die Ritter des Dan verwendet«, meldete sich jetzt Maddy zu Wort. »Doch ihnen zufolge sind die Etemmu rachsüchtige Totengeister, die entstanden sind, weil sie zu Lebzeiten die Lehre des Propheten Daniel verhöhnt hätten. Und zu Vampiren wurden sie dann angeblich durch den Bund mit Unterweltdämonen.«

Zervan ließ ein leises Lachen hören. »Soweit ich weiß, hat der Prophet Daniel während der Herrschaft Nebukadnezars II. gelebt, also in etwa von 605 bis 562 vor Christus. In babylonischen Schriften ist aber bereits zu Lebzeiten von König Hammurapi I. von Etemmus die Rede, also schon über 1000 Jahre zuvor. Zudem werden Etemmus nicht die Fähigkeiten zugeschrieben, die Gula mir verliehen hat. Fähigkeiten, die wir alle besitzen, meine Freunde. Das legt die Schlussfolgerung nahe, dass bei der Entstehung von Etemmu-Qebrus noch andere Mächte mit im Spiel gewesen sein müssen.«

»Und Sie wollten nicht wissen, was für Mächte dies waren?«, fragte ich ungläubig.

»Das beste Wissen ist das, was du kennst, wenn du es brauchst«, antwortete Zervan ruhig.

Unzufrieden sah ich ihn an. Dieser weise alte Vampir war einst Giles’ Erschaffer und Lehrer gewesen und er schien so viel zu wissen und zu verstehen. Wie war das möglich, wenn er doch so wenig wissbegierig war? Noch während ich nachdachte, was ich sagen könnte, ohne mir meine Enttäuschung darüber anmerken zu lassen, dass er uns nicht mehr über den Ursprung aller Vampire verraten konnte, verzog sich Zervans Gesicht zu einem erheiterten Schmunzeln und er breitete beschwichtigend die Arme aus.

»Meine Freunde, ich verstehe, dass ihr noch mehr erfahren wollt«, sagte er. »Darum möchte ich euch einen Vorschlag unterbreiten: Wir reisen gemeinsam nach Babylon, um Gula dort zu suchen. Sie wird euch alle eure Fragen beantworten.«

Wir blickten ihn skeptisch an und Fergus sprach schließlich aus, was fraglos uns allen durch den Kopf ging: »Bei allem Respekt, alter Freund, von Babylon existieren seit Jahrhunderten nur noch Ruinen. Warum glauben Sie, dass wir dort etwas finden könnten? Oder nehmen Sie gar an, dass sich Gula nach wie vor dort aufhält? Und woher wissen Sie überhaupt, dass die Ur-Vampire immer noch leben?«

»Es gibt nichts, das einen Etemmu-Qebru verletzen oder töten kann. Kein Feuer, kein Silber kein Mort-Vivant-Biss. Nichts«, entgegnete Zervan schmunzelnd. Dann fügte er ernst hinzu: »Gula hat mir in jenen Tagen versprochen, mir die ganze Geschichte der Etemmu-Qebrus zu erzählen, wann immer ich danach verlangen würde. Sie sagte mir, dass ich sie finden würde, wenn dieser Moment gekommen sei. Darum werden wir sie finden. An dem Ort, an dem alles begann. In Babylon.«

Ich sah Zervan an und wusste, dass er recht hatte. Obgleich mir unbegreiflich war, woher diese Gewissheit kam.

 

Am Abend sprachen wir in unserer Hotelsuite über Zervans Bericht. »Wir werden das tun, nicht wahr?«, fragte Francisco. »Wir reisen nach Babylon?«

»Ja, so sieht es wohl aus«, erwiderte Fergus fröhlich. »Aber ich habe keine Ahnung warum. Dort gibt es nur noch Sand und Steine.«

Miguel legt den Kopf schief und sah Fergus nachdenklich an. »Doch, du weißt warum. Zervan hat dich ebenso überzeugt wie uns alle.«

Fergus zuckte hilflos grinsend mit den Schultern. »Das stimmt, aber ich weiß nicht, womit. Womöglich hat er uns hypnotisiert.«

»Zervan hat eine suggestive Gabe«, bestätigte Giles daraufhin mit einem nachdenklichen Lächeln, »aber er würde sie nie nutzen, um jemanden zu täuschen.«

»Was hätte er denn in diesem Fall auch davon?«, pflichtete Miguel ihm bei.

»Den Aussagen der Ritter des Dan zufolge befindet sich das antike Babylon in der Nähe der heutigen Stadt Al-Hillah in der osmanischen Provinz Bagdad. Wir können ja morgen überprüfen, inwieweit das stimmt und ob wir geeignetes Kartenmaterial für solch eine Reise finden«, schlug ich vor.

»Zervan hat damals in Babylon gelebt. Und als ich bei ihm lebte, wurde oft deutlich, welch große Kenntnis er über weite Regionen des nördlichen Arabiens besitzt«, überlegte Giles. »Das qualifiziert ihn möglicherweise recht gut als Reiseführer. Doch da wir nicht wissen, wie aktuell sein Wissensstand über die Region ist, schadet es sicherlich nicht, wenn wir uns trotzdem kundig machen. Bis Konstantinopel können wir zumindest schon mal bequem mit dem Orient-Express weitereisen.«

»So oder so wird es jedoch eine längere Reise werden«, überlegte Maddy. »Wir werden wahrscheinlich wenig Gelegenheit zum Jagen finden, am allerwenigsten in der Syrischen Wüste, durch die uns ein großer Abschnitt der Reise führen wird. Wenn wir einen gewissen Vorrat an Tierblut mitnehmen könnten, könnte dies unser Vorankommen deutlich vereinfachen.«

»Aber wie willst du das Blut aufbewahren?«, fragte ich. »Sobald es dem tierischen Kreislauf entnommen wurde, gerinnt es doch sehr schnell.«

»Genau aus dem Grund beschäftige ich mich in meiner Forschung unter anderem schon länger mit Möglichkeiten, die Blutgerinnung zu hemmen«, bekräftigte Maddy. »Es wäre ein elementarer Schritt, um Blut außerhalb eines menschlichen oder tierischen Organismus haltbar zu machen. Ich habe bereits herausfinden können, dass der Zusatz von Zitronensäure die Gerinnung von Blut aufhalten kann. Allerdings ist die Mixtur in Bezug auf Geschmack und Haltbarkeit noch nicht ganz zufriedenstellend. Wenn ihr mir aber noch ein paar Tage Zeit geben würdet, könnte ich möglicherweise eine Lösung finden.«

Wir alle stimmten darin überein, dass es auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht ankommen würde, zumal solch eine lange Reise ohnehin sorgfältig vorbereitet sein wollte. Darum beschlossen wir, dass Giles und ich in den nächsten Tagen in Erfahrung bringen sollten, wie wir nach Babylon kamen, während Miguel Maddy dabei half, ein kleines Labor einzurichten, um ihre Forschung hinsichtlich der Konservierung von Blut fortzuführen. Francisco und Fergus wollten sich derweil um die nötige Ausrüstung sowie die Besorgung von Feldflaschen für den Transport unserer Blutvorräte kümmern.

 

Anderthalb Wochen später war es schließlich so weit. Maddy hatte durch die Neutralisation von Natronlauge mit Zitronensäure Natriumcitrat gewinnen können, ein Stoff, der sich – wie sie herausfand – hervorragend dazu eignete, die Gerinnung von Blut zu unterbinden. Darum waren wir abermals im Witoscha-Gebirge auf die Jagd gegangen, um uns dort mit einer ausreichenden Menge an Blut zu versorgen, die uns helfen würde, die längere Reise ohne Durst zu überstehen.

Giles und ich hatten in einem örtlichen Reisebüro Zugfahrkarten für uns alle sowie erforderliches Kartenmaterial besorgt und gemeinsam mit Zervan den genauen Verlauf unserer Reise besprochen.

Zunächst ging es, wie Giles schon angekündigt hatte, von Sofia mit dem Orient-Express bis nach Konstantinopel. Dort hatten wir zwei Tage Aufenthalt, die wir dazu nutzten, uns in der faszinierenden Stadt am Bosporus ein wenig umzuschauen. Konstantinopel war die Hauptstadt des immer noch riesigen Osmanischen Reiches und westliche wie orientalische Einflüsse verbanden sich in ihr zu einer reizvollen Mixtur. Prachtvolle Moscheen, luxuriöse Paläste, moderne Bürogebäude und Hotels, labyrinthartige Basare und Geschäftsviertel – Konstantinopel bot eine Vielfalt an Eindrücken für alle Sinne. Zu zwei verschiedenen Kontinenten gehörig, bestand die Stadt aus einem europäischen und einem asiatischen Teil, getrennt durch den Bosporus, eine Meerenge, die das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verband.

Viel zu schnell verging die Zeit in dieser interessanten Metropole und wir mussten mit einem Boot den Bosporus überqueren, um auf die asiatische Seite der Stadt zu gelangen, da sich dort auch der Bahnhof befand, von dem aus wir mit der Anatolischen Eisenbahn bis zur Endstation Konya fuhren. Auch in diesem Zug hatten wir wieder komfortable Schlafwagenabteile gebucht, so dass wir die 18-stündige Fahrt recht rasch hinter uns brachten. Was den Zug als Transportmittel anbelangte, so war unsere Fahrt in Konya zunächst einmal zu Ende. Zwar hatte in Konya vor einigen Monaten der Bau einer Eisenbahnstrecke begonnen, die eines Tages bis nach Bagdad führen sollte, doch da bislang nicht ein einziger Teilabschnitt jener Strecke fertiggestellt worden war, mussten wir uns nun für die weitere Reise ein anderes Verkehrsmittel suchen.

Dieses fanden wir in Form mehrerer Kutschen, die uns aus der Hochebene Konyas hinunter an die Mittelmeerküste und dort schließlich zur Hafenstadt Mersin brachten. Zwar wären wir dank unserer Vampirgeschwindigkeit zu Fuß womöglich schneller vorangekommen, doch wollten wir lieber unauffällig reisen und konnten zudem in den Kutschen unser Gepäck und die Feldflaschen mit den Blutvorräten einfacher transportieren. Die Entfernung nach Mersin betrug gut 226 Meilen und wir hatten die Stadt als Zwischenziel ausgewählt, weil wir beabsichtigten, vom dortigen Hafen mit dem Boot nach Tripoli in der osmanischen Provinz Beirut überzusetzen. Alternativ hätten wir sonst von Konya aus über Land bis in die Provinz Bagdad reisen müssen, was unter anderem bedeutet hätte, das riesige Taurusgebirge zu überqueren. Doch dort lag immer noch Schnee, was eine Passüberquerung schwierig bis unmöglich machte.

---ENDE DER LESEPROBE---