Zerbrochene Formen - Lorna Johannsen - E-Book

Zerbrochene Formen E-Book

Lorna Johannsen

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Beschreibung

In Kyoto wird ein alter Mann aus einem Tempel entführt, das beobachten die Postdoktorandin Manon und der Exilpotsdamer Felix und ziehen sehr unterschiedliche Schlüsse. Als auch Felix verschwindet, macht sich sein Bruder Walter Wolke, Hausmeister auf dem Telegrafenberg, auf den Weg nach Japan. Der verschwundene Bruder steht inzwischen unter Verdacht, den Chef eines Energiekonzerns entführt zu haben, Manon verliebt sich auf der Suche nach der Wahrheit ausgerechnet in dessen Enkel, der leidenschaftlicher Sumoringer ist, doch an Stromerzeugung bisher wenig Interesse zeigt. Das tun ganz Andere, die auch vor Mord nicht zurückschrecken, damit alles bleibt, wie es war, und die Atomlobby weiter Profit machen kann. In Potsdam langweilt sich Luzian Keller und wünscht sich sehnlichst einen Mord... In der Reihe Telegrafenbergkrimi arbeitet der queere Mathematiker Dr. Luzian Keller im PIK, das Potsdamer Wissenschaftsmilieu ist der Ausgangspunkt der Kriminalfälle, in die er und eine Gruppe sehr verschiedener Menschen verwickelt werden, aktuelle Aspekte der Klimafolgenforschung machen diese Krimireihe zu spannender Unterhaltung & Information.

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Lorna Johannsen, an der Elbe geboren, seit den neunziger Jahren mit Lebensmittelpunkt in Berlin, mit Spielbein in Wien, Werder und Marseille, verortet sich als Mensch zwischen den Geschlechtern, hat die Drehbuchschreiberei erlernt und schreibt Romane, Krimis, Geschichten für Kinder und Lyrik. Hat auch einen Haufen, meist trashige, Filme gemacht, seit 2015 die Reihe „Filme gegen Rechts,“ die auf Youtube zu sehen ist. Wenn es Lorna Johannsen am Schreibtisch öde ist, entstehen Collagen, Frottagen, Acrylbilder und Installationen und andere Kunstaktionen.

Jobst Heitzig ist Mathematiker am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und forscht zur langfristigen Entwicklung von Natur und Gesellschaft, zu komplexen dynamischen Systemen und zu Möglichkeiten für kooperatives Handeln.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

1

Der Traum war verrutscht, hing vor den geschlossenen Lidern wie ein auf halber Höhe feststeckender Paternoster… dachte Keller und tadelte sich noch im Halbschlaf für diese unzeitgemäße Metapher. Dann, wenig später, unter der Dusche schon mit dem Schaum-Abspülen beschäftigt, fragte er sich, was für klischeehafte Vorstellungen er eigentlich von Japan hatte und was eine junge Französin, die gerade ihren Doktor in Biologie gemacht hatte, dazu brachte, in einem Tempelgarten in Kyoto einen alten Mann im Kimono dabei zu filmen, wie er, all diesen Klischees von japanischer Gelassenheit zum Trotz, aus dem Shinto-Schrein stürzte und sich das traditionelle Kleidungsstück schreiend vom Leibe riss. Bis er, sich wild widersetzend, von einem jungen Mann in eine Limousine deutschen Fabrikats gezerrt wurde, tobte der Verzweifelte auf dem Kiesplatz herum, wälzte sich zwischen den feinsäuberlich geharkten Wellen, verfluchte dabei möglicherweise, was er damit zerstörte, und wurde bei all dem von Manon Duval gefilmt, als ob es sich dabei um nichts Anderes als die Beobachtung eines wissenschaftlichen Experimentes handelte. Zu allem Überfluss schickte die ehemalige Mitarbeiterin des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, kurz PIK, das Ganze dann ihm, in einer Cloud, die, keine wirkliche Wolke, nun zum Speicher von derartige Datenmonstern degradiert worden war. Wesob sie das getan hatte, wußte nur der Himmel, und der wußte es auch nicht, denn er war in reiner Zen-Manier leer… Darunter gehend zu denken war aber wohl doch besser, um Klarheit zu erlangen, als driftend zu rubbeln, denn unversehens hatte sich Keller mit seinem Frotteehandtuch zu einem mehr als rosigen Hautling gemacht. Der sich das zuraunte, war aber keineswegs Hi-Nun-Ter, die ihm liebgewordene Häuptlingshalluzination, sondern er selbst, Dr. Luzian Keller, Mathematiker in mittleren Jahren, seit Menschengedenken Mitarbeiter des PIK, auch wenn das in seinem Fall erst 13 Jahre dauerte, ihm schienen es Äonen, und jede Abweichung vom Alltagstrott war willkommene Gelegenheit in andere Gefilde abzudriften.

Wirklich jede? „NEIN“, seine entschiedene Verneinung wurde Laut, als er nun nur noch ein geringes Leuchten, Eos ganz unähnlich geworden, in das mausgraue Flanell seines Montagsanzugs gehüllt am Einsteinturm vorbei seinem Arbeitsplatz zueilte, ein Blick auf seine Armbanduhr überzeugte ihn davon, es war 6:30 Uhr, exakt 6:30 Uhr. Ein solch verpixeltes Rätsel zu lösen war er entschieden die falsche Adresse, doch darin täuschte er sich, obwohl er durchaus Recht hatte mit dieser Feststellung…

Der versonnen die Wellen im Kies zu dem machte, was sie vorher gewesen waren, und sich dabei durchaus bewusst war, dass das niemals der Fall sein konnte, es nun gänzlich andere Steinchen waren als zuvor, die da in Wellen zu einem grauen Meer aus Steinen von ihm, dem Harkenden, zusammengefegt wurden. Der sich selbst als lächelndes Teilchen sah und gar nichts dagegen hatte, dass die einzige sichtbare Veränderung, die er in seinen sich gleichenden Tagen wahrnahm, das stete Nachwachsen seiner Haare darstellte, dieser Mann nahm es mit einem Schulterzucken hin, dass er sich gezwungen sah, den mönchisch kahlen Schädel zweimal in der Woche zu rasieren. Was er aber nicht mochte war Berührung, schon gar nicht von Fremden, deshalb schrak er zusammen, als jemand ihm auf die Schulter tippte: „Sumimasen, Wolke-San…,“ der Akzent war genau so grauenhaft wie sein eigener, er drehte sich um und stieß dabei unwillig seine Harke in den aufspritzenden Kies.

Weit entfernt von steinernen Wellen wurde in 8798 km Luftlinie eine andere Harke zurück an ihren Platz im Schuppen gestellt, es war Vollmond, Erdbeermond sogar, und dieses seltene Schauspiel hatte er sich nicht entgehen lassen wollen, und da er den Bruder in Kyoto wußte, erschien es ihm passend, seinerseits ein wenig zu harken, Laub und welke Reiser, das war für ihn genau das Richtige, seinen Sinn für solche Momente behielt er für sich, es war ihm viel lieber, der graue Mann zu sein und ein Schweiger dazu. Hausmeister Wolke zündete sich eine Zigarette an und wiegte sich sachte zu einer unerhörten Melodie, auch er wurde gestört, erschrak aber nicht.

Der langsam aus dem Dämmerzustand, welcher von starken Sedativa herrührte, auftauchte, wusste von keinem dieser drei Männer etwas, auch nicht, dass er von einer jungen Frau gefilmt worden war, er wußte nicht einmal mehr seinen Namen, nur, dass er den Obi seines Kimonos beschmutzt hatte, als er sich beider entledigt hatte, waberte langsam schärfer werdend durch sein benebeltes Hirn, und er schämte sich der Blöße, die er sich vor dem Tempel gegeben hatte. Dann fiel ihm auch der Grund dafür wieder ein, und er weinte bitterlich, bis ihm eine Krankenschwester freundlich auf die Schulter tippte und ihm eine höhere Dosis Beruhigungstabletten verabreichte.

Allein Manon Duval wurde von niemandem auf die Schulter getippt, weder real noch virtuell, dabei wartete sie ungeduldig darauf, eine Antwort zu bekommen, denn desto öfter sie sich die selbstgedrehte Bilderfolge ansah, umso sicherer war sie, dass das, was sie dort gefilmt hatte, nicht anging, etwas daran war falsch, und das war nicht nur die brutale Art und Weise, wie der Verwirrte in die Limousine gestoßen wurde, es war etwas in seinem Gesicht, das einer Maske aus Verzweiflung, Angst und Schrecken glich, was sie nicht mehr losließ, förmlich nach einer Antwort schrie.

Passend zum Papierhäuschen hatte Emma Lindauer sich einen leichten Rollstuhl aus Bambus fertigen lassen, aber in letzter Zeit schaffte sie es auch wieder mit einem Stock, langsam Schritt für Schritt, ihr Refugium zu durchmessen. Sehnsüchtig blickte sie nach oben, als sie am Fuß der Treppe zum ersten Stock angekommen war. Das verbotene Stockwerk nannte sie es, der Ort wo die einstige Hausherrin vorzugsweise gelebt hatte, von Sensei Hatori war ihr eingeschärft worden, die Türen dieses Stockwerks verschlossen zu halten, obschon er ihr ohne zu Zögern die Schlüssel dazu ausgehändigt hatte, als sie das Haus vor zwölf Jahren von ihm mit einem Vertrag auf Lebenszeit gemietet hatte. Wer die vormalige Dame des Hauses gewesen war und warum dort oben niemand erwünscht war, das zu fragen hatte sie unterlassen. Sensei Hatori war Witwer, ein Sohn von ihm lebte in den USA, weitere Verwandte hatte er offenbar nicht. Einmal im Monat kam er zu Fuß von den Hügeln herunter, um die Miete zu kassieren, ein ebenso strenges wie einfaches Ritual, das sich niemals änderte. Auch wenn Emma auf einer ihrer vielen Reisen war, verbat sich Hatori jede andere Art der Zahlung, erst recht eine Vorauszahlung, er wartete geduldig, bis sie wieder zurück in Kyoto war, und freute sich sichtlich über das Knistern der Yenscheine, wenn er sie langsam und akribisch nachzählte und danach in kleinen Schlucken ein kleines Glas Wasser trank, etwas Anderes hatte er nie von ihr angenommen, der Versuch, ihn zu einer Tasse Tee einzuladen, war ein für alle Mal gescheitert, das Gesicht des alten Mannes hatte sich, als sie ihn ganz am Anfang dazu einlud, zusammengezogen, als würde der Kopf einer Schildkröte in ihrem Panzer verschwinden. Sumi masen, es täte ihm leid, aber etwas Anderes als Wasser vertrage er leider nicht, hatte er lächelnd und schlecht gelogen. Klar war, dass die Vorstellung, den von einer Langnase zubereiteten Tee trinken zu müssen, ihn bis ins innerste Erschauern ließ. Emma hatte das begriffen, und wie vieles Andere hingenommen, das war der Preis, den zu zahlen hatte, wer sich in diesem Land niederließ, dass er sich dort heimisch fühlte, war nicht vorgesehen. Das wurde als bekannt vorausgesetzt, die es dennoch taten, hatten in ein unabänderliches Fremdsein eingewilligt, egal ob sie kurz oder lang blieben, allein waren oder heirateten, all das änderte nichts daran, dass sie keine Japaner waren.

Was immer dort oben im Laufe der Zeit von Millionen von Stäubchen eingehüllt im Verborgenen schlummerte, es war unerreichbar, so oder so, auch wenn ihre Beine es ihr erlaubt hätten, nach oben zu gelangen. Sie seufzte, der alten Forscherin fiel es manchmal mehr, manchmal weniger schwer, dieses Geheimnis unergründet zu lassen. Sie war sich seit Längerem nicht mehr sicher, ob es nicht so etwas wie ein Recht auf Geheimnis gab, nicht nur für Menschen, sondern für alle Wesenheiten der Welt. Andererseits war es so, wie mit einer verbotenen Frucht zu leben, sie zu verzehren war zwar verboten, aber immerhin möglich. Dabei hatte sie es bis dato belassen, nicht aus Angst vor den Folgen, sondern um etwas zu haben, was sie immer noch tun konnte.

Der mit matten Blicken aus dem kunstvoll vergitterten Fenster blickte, wußte nicht mehr, was er hätte tun oder lassen können, er konnte sich nicht einmal an seinen Namen erinnern, blickte ratlos auf den blauweißen Yukata, der ihm von einer Frau in weißer Kleidung übergestreift worden war. „KRANKENSCHWESTER,“ langsam wie buchstabierend sagte er das Wort leise, und sein Atem beschlug für einen Moment die Fensterscheibe, er konnte sich mit der wischenden Hand wieder klare Sicht verschaffen auf ein Außen, das sich aus Rasen, Hecke und Mauer zusammensetzte.

Die Sicht auf sich selbst war ihm verstellt, auch durch die Medikamente, die sie ihm gegeben hatten, soviel wusste er, von einem Tempelgarten und dem Geräusch zerreißender Seide auch. Mehr Erinnern erlaubte ihm die chemische Glocke, unter der sein Denken gefangen war, nicht, müde wandte er sich vom Fenster ab und kroch zurück in sein Bett, er verstand ja doch nichts mehr, also konnte er der Welt ebenso gut schlummernd abhanden kommen.

Windstärke Sieben war keine Seltenheit, eine Expedition ins Nordpolarmeer ist keine Dampferfahrt auf dem Müggelsee. Warum es immer wieder dieser banale Satz war, den er dachte, wenn er auf der Brücke des Forschungsschiffs stand, wußte Petershagen selber nicht. Er dachte niemals Potsdam, kein einziges Mal Telegrafenberg, nur immer Müggelsee, obwohl er dort nur ein einziges Mal gewesen war. Nun befand er sich schon fast einen Monat auf der „Polarstern“, es war mittlerweile jedem Mitglied der Crew klar, dass da ein Forscher ohne Fehl und Tadel zu ihnen gestoßen war, ein Kollege, auf den man sich verlassen konnte, dass er dazu schweigsam und einzelgängerisch war, daran hatten sich alle gewöhnt. Diese altertümliche Beschreibung seiner Person hätte Petershagen erfreuen sollen, tat es aber nicht. Als Dr. Nguyen ihn nach ein paar Wochen schulterklopfend so bezeichnete, vermochte er weder, dessen klopfende Hand von der Schulter zu wischen noch zu widersprechen, dabei hätte er beides für sein Leben gern getan. Stattdessen hatte er kurz die Brauen zusammengezogen und sich mit einem „Wenn sie meinen“ in die Mimikry des Floskelhaften geflüchtet. Dass es nun nach Bari ging, um dort das von allen heiß ersehnte Forschungsequipment an Bord zu nehmen, passte Petershagen gar nicht, obwohl auch er durchaus Verwendung dafür hatte, er konnte der Idee, in Bari von Bord zu gehen und ein Paar Tage in der sonnendurchfluteten Hafenstadt zu verbringen, nicht das Geringste abgewinnen. Wozu sollte das gut sein, er war als unsteter Nützling nicht unterwegs um zu flanieren, und fühlte sich, kaum dass er an Land gegangen war, wie ein Flüchtling, obwohl er wusste, dass er das nicht war.

Sein Blick verfinsterte sich, und er zog die Stirn in Falten, das, was dort lag, hätte keinesfalls da liegen dürfen, er musste es übersehen haben, als er diese Stelle zuletzt geharkt hatte. In seinem blauen Leinenzeug, das früher ein Priester getragen hatte und das schon an vielen Stellen fadenscheinig geworden war, bückte sich Felix und wog das Corpus Delicti nachdenklich in der Hand, ein einzelner Geta, eine schlichte Holzsandale, so wie sie überall hier zum traditionellen Kimono getragen wurde. Wer warf denn so etwas weg, Felix verspürte die selbe Beunruhigung, die ihn immer erfasst hatte, wenn er als Obdachloser auf seinen Wegen einzelne Schuhe gefunden hatte, das kam gar nicht so selten vor. Im Gebüsch, am Strand, mitten in der Stadt, da lagen sie, Treibgut, weggeworfenes Zeug, das dadurch, dass es als Paar gedacht wurde, in seiner Einzelheit etwas Unheimliches hatte. Und hier im Tempelbezirk, in Kyoto, mitten in Japan, wo die Menschen einen um Einiges sorgsameren Umgang mit den Dingen pflegten, kam es Felix so vor, als wäre dieser Schuh ein stummer Schrei. Dieser Gedanke war zu verwerfen, auf der Stelle, sofort, er wollte keinesfalls wieder in derartige Grübeleien verfallen, nicht heute, nicht morgen, nie mehr! Deshalb war er hier, deshalb harkte er diesen Kies, und alles Driften führte zu nichts als derartigen Schlampereien. Denn es war ihm sofort klar, dass er den Geta übersehen haben musste, es war keiner hier gewesen, der Tempelbezirk war gesperrt seit dem Vorfall, damit die Kami sich beruhigen konnten. Es war niemand Anderes gewesen als diese Postdoktorandin Duval, was hatte sie gewollt? Grüße ausrichten, aber das kam später, ihn aufmerksam machen, ausfragen, aus seiner Versenkung aufstören, nein, das wollte sie sicher nicht, aber das hatte sie geschafft. Er hatte gar nicht zuhören wollen, was ging ihn der fürchterliche Kerl an, der noch vor Kurzem auf dem Gelände für Unruhe gesorgt hatte, geschrien und getobt, sich den Kimono vom Leib gerissen hatte, als ob es ein Lumpen wäre. All das hatten die lautlos anrollende Limousine und deren Fahrer beendet wie einen bösen Spuk, und Felix war von Herzen dankbar, dass schon Minuten später wieder Stille herrschte, so wie es sich gehörte in der Nähe dieses Shintoschreins. Damit zufrieden hatte er seine Arbeit fortgesetzt, nur um wenig später von Manon Duval gestört zu werden, die ihn mit ihrem Auf-die-Schulter-Tippen nicht nur erschreckt sondern auch aus der nötigen Konzentration gerissen hatte, wozu das führte, war ihr nicht klar, aber für Felix war der im Kies übersehene Geta ein stummer Vorwurf, dass er für ihn eben noch Schrei gewesen war, wollte er nun nicht mehr wissen. Schlimm genug, dass diese aufdringlich duftende Frau ihm so nahe gekommen war, dass er ihn wahrnahm, den Duft einer lang vergangen Zeit, Mitsouko, ein altmodisches Parfüm, warum trägt eine Frau von knapp Dreissig so etwas auf ihrer Haut? Warum rückt sie ihm damit auf die Pelle? Und dann all ihre Fragen, er wollte weder Fragen noch Antworten, nie mehr. Er wollte Ruhe, nichts als seine Ruhe! Selbstverständlich hatte er sich die Ziffern auf dem Nummernschild des Wagens gemerkt, selbstverständlich wußte er, dass das ein Mercedes der S-Klasse gewesen war, er besaß ein fotografisches Gedächtnis, aber das höchste Gut eines Mönchs ist sein Schweigen, deshalb hatte er nur immer wieder verneinend den Kopf geschüttelt und, so wortkarg es ging ohne unhöflich zu sein, geantwortet. Er war glücklich, nun Laienbruder zu sein. Hatte Emma Lindauer nur ungern enttäuscht aber gespürt, dass er sich das schuldig war, sich ganz allein. Die wundervolle Grand Dame der Mikrobiologie hatte nur genickt und es akzeptiert, als er ihr seinen Entschluss mitgeteilt hatte, stolz und froh, dass einer Langnase diese Arbeit zugetraut wurde und er in einem Nebengebäude des Shintoschreins einen drei Matten großen fensterlosen Raum zugewiesen bekam, in dem er samt seiner Gerätschaft seitdem hauste. Nur um Emma zu besuchen verließ er den durch das orangerote Tor und die weißen Taue kenntlich gemachten Bezirk des Schreins. Dass sie ausgerechnet Manon Duval damit beauftragt hatte, ihn zu sich einzuladen, war schon lästig, um Vieles lästiger, dass die Frau aus Potsdam, deren Eltern in St. Malo geboren ebenso wie sie selbst, auch zugegen sein würde, wenn er Emma besuchte. Warum blieben die Menschen nicht am Ort ihrer Geburt, was sollte das Gezappel von einem Ort zum anderen. Er verstand es nicht, war zwar selbst von weit her gekommen, aber doch nur, um hier niemals wieder wegzugehen, sich damit zu begnügen, in einem abgegrenzten Bezirk Kies zu harken, das war ganz etwas Anderes.

„Ein Leben kurz, ein Leben kurz, ein Leben kurz,“ wie ein Mantra wiederholte er das immer wieder, wie lange wußte er selber nicht. Er sah auf seine nackten Beine, die Arme, wie dürre Zweige kamen ihm die Extremitäten des eigenen Körpers vor, aber er war kein Baum, wäre er einer gewesen, dann würde es noch stimmen, „ein Leben lang,“ aber für ihn stimmte es nicht mehr, so wenig er noch von sich wußte, dass er nicht mehr jung war, das wußte er, und seit diese Ärztin bei ihm gewesen war, egal ob am Morgen oder Abend des vorherigen Tages, war etwas in ihm alarmiert, sie hatte gelächelt, dieses Ärztelächeln, das, desto schlimmer es stand, immer breiter zu werden schien, ihres war schmallippig und karmesinrot. „Nervenzusammenbruch…, verständlich…, Zustand…, keinesfalls hoffnungslos…, es gibt Mittel…,“ und dann war die Rede von Umstellung der Medikamente, er hörte, wie sie ihrem Assistenzarzt etwas zu flüstertete, von Angehörigen und Firmenärzten, unnötigen Verzögerungen war die Rede. Wer immer er war, der Name auf dem Schild an seinem Bett sagte ihm nichts: Yasushi Soto, wer sollte das sein, was hatte dieses Namensschild mit ihm zu tun. Am Mittag hatte er mühsam etwas Misosuppe und Reis heruntergebracht und wenig später wieder von sich gegeben. Ebenso wie die Tabletten, das war der Krankenschwester offenbar entgangen, ihm war es egal, zuerst jedenfalls, dass sich jetzt zu der aufkommenden Panik etwas wie Klarheit gesellte, eine unerwartete Nebenwirkung. Er stellte sein Murmeln ein und betrachtete die Umgebung, ein Krankenhauszimmer, soviel war klar, ein Bett, ein Nachttisch, die Notfallklingel, ein kleines Bad, ein Fenster, vergittert, wenig Aussicht, er befand sich im siebten oder achten Stock eines Hauses, genauer konnte er es nicht abschätzen. Machte aber Fortschritte im Aneinanderreihen von Sätzen und Gedanken, sein Verstand kehrte aus dem Exil, in das er sich geflüchtet hatte, zurück. Gut so, er wollte lieber mit den Panikattacken leben als in einer wabernden Nebelkammer. Sie hatten ihm ein Einzelzimmer gegeben, war er so wichtig oder ansteckend? Er musste lachen und fühlte zum ersten Mal, seit er hier war, etwas wie Selbst in sich auftauchen. Die Panik legte sich, bald sank er aus seiner Kauerstellung zurück in die Kissen, endlich war da Vertrauen, groß genug, um endlich einzuschlafen.

Vor sich sah er die Steinlaterne, das schiefe Mäuerchen, den verwilderten Bambus, dort im Schatten lagen die beiden getigerten Katzen, „Aufschnitt“ und „Marzipan“, für ihre Namen konnten die beiden nichts, ebenso wenig wie die Schildkröte „Tigerkralle“ die jetzt langsam auf ihn zusteuerte. Er hatte sich gleich nach dem Tee hierher zurückgezogen und saß schon ein ganze Weile hier im Lotussitz, Gedankenleere wollte sich aber nicht einstellen, bis eben hatten die Stimmen der beiden Frauen ihn, ab- und anbrandend, auch im Garten erreicht, jetzt war es still, er schloss die halboffenen Augen und bemerkte Emma nicht, die auf leisen Bambusrädern hinter ihn gerollt war.

„Sie ist weg, du kannst aufhören mit dem Getue!“ erschrocken schnellte Felix in die Hocke und verlor dabei das Gleichgewicht, sein Bein war ihm eingeschlafen.

„Wie meinst du das?“ Felix ärgerte sich über seine Ungeschicklichkeit, Emma antwortete nicht, sah nur mit zusammengekniffenen Augen auf ihn herab, so empfand er und sagte es auch.

„Bullshit, was redest du dir ein? Meinetwegen kannst du da hocken wie ein Heuschreck und dich im Zikadengesang üben, meinetwegen kannst du Meditation an Meditation reihen, wie Perlen an eine Schnur. Aber als bärtiger Zausel hast du mir besser gefallen,“ Emma rollte, ohne sich weiter um ihn zu kümmern, zurück ins Haus, Aufschnitt und Marzipan folgten ihr und bekamen auf der Türschwelle zwei volle Näpfe mit Futter, ins Haus durften sie nicht.

„So ist das als Streuner, da bist du dankbar für jeden Napf, der dir vor die Tür gesetzt wird, Was ist so verwerflich daran, dass ich so nicht mehr leben will?“ Felix war ihr gefolgt und wartete mit verschränkten Armen auf eine Antwort.

„Gar nichts, im Übrigen bist du kein Katzbock und diese beiden hier sind schon lange keine Streuner mehr, ebenso wenig wie du es warst, als wir uns wiedertrafen, du wolltest als solcher wahrgenommen werden, that ʼ s all…,“ Emma war zum Tisch gerollt und griff nach ihrer Teetasse.

„Gut, dass wenigstens eine meine Gründe kennt, war mir bis eben nicht klar, sag doch gleich, dass ich undankbar bin, Livländer gegenüber, dir gegenüber, meinem Bruder sowieso, ein unfähiger, geisteskranker Penner…“

„Bitte, wenn es der Wahrheitsfindung dient, du bist ein undankbarer, geisteskranker Penner, womit du dich vom Rest der Menschheit nicht unterscheidest, denn wenn es anders wäre, stünde es auch anders um dieselbe und diesen Planeten. Aber ich mag weder Pathos noch selbstmitleidige Attitüden…,“ sie stellte ihre Teetasse ab, um sich ein Toast zu buttern, biss hinein und fixierte Felix kauend.

„Das große Ganze, da ist es wieder, immer geht es darum, dir sind die Dimensionen abhanden gekommen, der Blick für das Wesentliche, der liegt im Winzigen verborgen, der schärft sich nur im eng begrenzten Raum und Abgeschiedenheit.“

„Was zu beweisen wäre, dass dir etwas abhanden gekommen ist hingegen, hast du heute selbst bewiesen, Mitgefühl, was sagt denn dein oller Shinto dazu?“

„Schintoismus ist keine monotheistische Religion, die Kami sind viele, auch dazu…“

„…ist mir Schnuppe, verschone mich damit, ob einer oder viele, bewirkt haben sie meines Wissens nach nichts, oder genauer gesagt, was in ihrem Namen bewirkt wurde, war vorwiegend schlecht, sehr schlecht sogar, und das ist es bis heute…“

„Und was ihr mit eurem Materialismus bewirkt, diesem alles, was nicht beweisbar ist, negierenden Wissenschaftsglauben, das ist der Welt wohlgetan…“

„Behauptet ja keiner, im Übrigen bin ich eine gläubige Heidin, so nannte mich einer, der besser wußte, wer ich bin, dabei habe ich es belassen, solltest du auch tun…,“ Emma wischte sich mit einer Serviette über den Mund und verbarg dahinter auch ihr Lächeln.

„Was ich zu bezweifeln wage, wer immer es war, der das gesagt hat, er kannte dich nicht, Professor, Doktor, Doktor Emma Lindauer, Naturwissenschaftlerin par excelence. Du nimmst nur wahr, was du unterm Mikroskop siehst, was beweisbar ist, das ist Welt für dich, alles andere inexistent!“

„Geschwafel, gemischt mit Missgunst, als ob mich diese Titulierungen je interessiert hätten, ich habe getan, was ich für richtig hielt, Manches war es nicht, aber nur, wer nichts tut, macht keine Fehler, es ist leicht, aus dieser Position heraus Kritik zu üben. Im Übrigen geht es nicht darum, sondern ledig um deine Ignoranz, da ist Manon, ein junge Frau, neu in diesem Land, fremd in dieser Stadt, sie sieht etwas, was sie nicht begreift, wird Zeugin von etwas, was sie verstört. Ein alter, vornehm gekleideter Herr reisst sich voller Verzweiflung seine Kleider vom Leib und schreit dabei, in einer Sprache, die sie nicht versteht. Dann wird er in ein Auto gezerrt und verschwindet darin, sie hat geistesgegenwärtig den Vorfall gefilmt. Nun will sie der Sache nachgehen, sie nicht auf sich beruhen lassen. Aus Mitgefühl, Verantwortung, meinetwegen auch aus Neugier, alles besser als Gleichgültigkeit.“

Felix zuckte mit den Schultern und wandte sich zum Gehen. „Nenn es wie du willst, ich habe mit diesem ganzen Zirkus abgeschlossen, es geht mich nichts mehr an, ich bin der Welt abhanden gekommen, schon vor langer Zeit, dabei bleibt es.“

„Glaub ʼ ich nicht, das kaufe ich dir nicht ab, was immer du damit beweisen willst, diesen Beweis wirst du nicht erbringen…“

„Abwarten! Das da hat der krakeelende Greis am Schrein im Kies liegen lassen, da gehört es nicht hin, ebenso wenig wie ich hierher…,“ er holte den einzelnen Geta aus einem Beutel und stellte ihn zwischen Teetassen und Teller auf den Tisch, dann schob er die Schiebetür auf.

„Danke, Felix, das ist doch schon was, ein Schritt in die richtige Richtung,“ rief Emma ihm hinterher, sie nahm den Schuh und betrachtete ihn, unzufrieden war sie ganz und gar nicht.

2

„7,44 Milliarden Menschen, und in jeder Sekunde werden zwei neue geboren, das musst du dir mal vorstellen, davon sind 74 Millionen Schwangerschaften ungewollt, wir sind zwar die Hälfte des Himmel, aber auf Erden nützt uns das nichts…,“ empört ließ Manon Duval die Zeitung sinken, aus der sie zitiert hatte.

„Schon seltsam, wie wenig dafür getan wird, das zu ändern, wird Zeit, zu begreifen, dass das Gebären von Kindern ein durchaus verzichtbares Erlebnis sein kann. Ich habe es nie verstanden, warum eine Frau, die sich nicht schwängern lässt und lieber mit ihren Gedanken schwanger geht als mit einem weiterem Erdling, so verächtlich gemacht worden ist.“ Emma Lindauer schüttelte den Kopf, ihre grauen Haare wogten in wilden Wellen um ihr Gesicht, sie trug sie hier offen, was sie in Europa nie tat, und sah mit ihrem weich fallenden Kimono seltsam und exotisch aus.

„Was heißt denn ‚wurde‘, die neue Mütterlichkeit feiert doch gerade ihre Renaissance! Kuhäugig wie Europa auf dem Stier, du glaubst nicht, wie oft ich in letzter Zeit gefragt wurde, wie es denn weitergehen soll so ohne Mann, und ob ich denn gar keine Kinder haben wolle, und dann der unvermeidliche Hinweis auf die biologische Uhr, als ob ich eine Zeitbombe in mir trage. Dabei ist es ganz einfach, ich will keine Kinder, ich will forschen und forschen und forschen, so wie du…,“ Manon durchmaß den kleinen Garten mit energischen Schritten und war bald an dessen ummauerter Grenze angelangt.

„…mit dem Unterschied, dass ich mir durchaus nicht darüber im Klaren war, dass es so kommen würde, ich war ein paarmal kurz davor, alles hinzuschmeißen, nicht unbedingt um Kinder zu bekommen, oder doch, ich war mir manchmal gar nicht sicher, die beiden Männer, die ich geliebt habe, haben mich nie gedrängt, aber sie hätten es sich gewünscht…“

„…aber es waren doch auch… ich meine… sie wußten doch, dass du ebenso…,“ Manon verhaspelte sich aufbegehrend im Gestrüpp der deutschen Sprache und redete Französisch weiter.

„Pardon, nicht so schnell, mein Französisch ist so rostig…, und ja, sie wollten mich nicht hindern, ebenso zu forschen wie sie selbst, aber sie hatten Hoffnung, und dann kam alles anders… ist Schnee von Vorvorgestern, lass uns lieber noch einmal deinen Artikel über die Thermodynamik der frühen Evolution durchgehen.“ Sie rollte der offenen Schiebetür entgegen und verschwand in ihrem Arbeitszimmer.

Manon faltete den Asahi Shimbun ordentlich zusammen und überflog dabei noch rasch die regionalen Nachrichten, dann rannte sie los.

Ochsenblutrot hing die Krawatte wie ein leuchtendes Ausrufezeichen zwischen drei Tönen Grau, Luzian Keller hatte sich in den letzten Monaten weit von dem Twinsetträger, der er gewesen war, entfernt. Nur noch selten ging er in sein altes Büro im Süringhaus, noch seltener hockte er dort in seinem alten Lieblingsstück in Pink und rauchte seine schmale weiße Pfeife, ohne Anderes zu tun als zu driften. Er hatte den Posten, der seit Petershagens überraschender Kündigung vakant geworden war, wenn auch widerstrebend, übernommen, übergangsweise, hatte es geheißen, aber es war bis auf Weiteres kein neuer Leiter für den Forschungsbereich V, „Langfristige Koevolution von Natur und Zivilisation“, in Sicht. Und so dümpelten seine Studien über die Daisyworld zuerst vor sich hin, bis sie dann fast völlig von ihm eingestellt wurden. Die weißen und schwarzen Gänseblümchen wären längst verwelkt, wenn sie denn real gewesen wären. Real war die Forderung, in dem immer noch jungen Bereich endlich etwas Greifbares zu entwickeln, real war sein Büro im Erdgeschoss des Kleeblatts, real war sein kleines und wenig williges Team des Forschungsbereichs V, eine schiefe, im unteren Kleeblatt angesiedelte Pyramide, auf deren Spitze zu hocken niemals Kellers Wunsch gewesen war, da saß er nun, ein komischer kommissarischer Leiter, und sang wie Randy Newman, Oh it's lonesome at the top…

Der noch von Petershagen angeschleppte Doktorand Marten de Fries war zwar neu, aber wenn Keller sich die Metapher vom Besen erlaubte einer der zum Kehren viel zu umständlich zu handhaben war.

Karl Egon Mautz verbat sich das Du, der langgediente unkündbare Mitarbeiter war sich seiner Jahre sehr bewusst, auch dass man ihn je nach Lage der Dinge da wie dort parken würde, bis er pensioniert werden würde, ein fast fossiles Fahrzeug, das hatte für ihn den Vorteil, dass er einfach sein Ding durchziehen konnte, ohne viel Federlesens tat er das, was er jeweils für wissenschaftlich geboten hielt, für Keller waren es oft nur spinnerte Ideen.

Die aufstrebende Postdoktorandin aus Mali, Aminata Coulibaly, hielt sich von Anfang an für die bessere Chefin. Keller nannte sie im Stillen schlicht Kotzbröcklein, absolut nicht PC, doch erleichterte es den Umgang mit ihr ungemein.

Antonia Meyer-Schuber war eine graue Maus, tat was sie sollte und somit auch wollte, eigenen Willen und inspirierende Impulse hatte er bisher keine an ihr wahrgenommen.

Dazu kamen etliche Praktikanten, Bachelor- & Masterstudenten, die alles Mögliche beitragen zu können für mehr als nur möglich hielten, dauernd anfragend bei ihm in der Tür standen, und von einem guten Teamchef freundlich betreut werden wollten. Keller gab sich Mühe mit ihnen, mochte die meisten auch, aber sie waren ein erheblicher Zeitfaktor und deshalb nicht immer willkommen.

Den Schlüssel im Schloss umdrehen, abziehen, Tür öffnen, Jackett ebenso, PC hochfahren, Fenster nicht öffnen können, seufzen, Klimalage verfluchen, das war nun Kellers Morgenritual, welches anstelle des Schritte Zählens getreten war, seit er dort unten am Einsteinturm den grausigen Fund gemacht hatte, mied er den Weg, selbst der Blick hinaus zu dem Turm freute ihn nicht mehr, ein Glück, dass der durch die Sichtachse aus seinem Fenster fast verborgen war.

Er war im Moment damit befasst, zum xten Mal einen immer wieder abgelehnten Forschungsantrag zu partizipativen Klimasimulationsexperimenten umzuschreiben, unterbrach seine Arbeit, um bei einem Tee seine Mails zu checken. Die neue aus Kyoto machte er vorsichtshalber gar nicht erst auf, was Manon Duval ihm mitzuteilen hatte konnte warten, er hatte nicht die geringste Lust etwas über den Fortgang der mysteriösen Geschichte zu erfahren, geschweige denn, dazu befragt zu werden. Er war der mausgraue Mann geworden, nannte sich süßsauer selbst so und wollte als ein solcher, ähnlich wie Hausmeister Wolke, ehemals Feind, nun Fast-Freund und von ihm damals wie heute als grauer Mann bezeichnet, nichts als seine Arbeit machen, routiniert und ohne sonderliche Euphorie fern aller Emotionen. Die Mail, in der er von der Unterbrechung der noch am Anfang befindlichen Arktis-Expedition des Forschungsschiffs „Polarstern“ las, von dessen Aufenthalt in Bari und dem dort entdeckten Schaden am vorderen Eisbrecher, der eine zweiwöchige Unterbrechung der Reise nötig machte, verursachte ihm Magendrücken, er nahm einen Säureblocker und scrollte unwillig weiter. Weniger Nebendinge im Postfach zu finden, das wär was, oh ja!