Ziffer und die Seinen - Benny Ziffer - E-Book

Ziffer und die Seinen E-Book

Benny Ziffer

3,0

Beschreibung

Ziffer und Jo leben als schwules Paar in Tel Aviv. Abwechselnd beschreiben sie ihr Leben, das von Raketeneinschlägen geprägt ist wie auch von Ziffers Unsitte, neben das Klo zu pinkeln, von anstrengenden Elternbesuchen und Nazi-Alpträumen. Schließlich flüchten sie nach Berlin, in "diese zürnende Stadt". Jo als Hausmann und Ziffer als Kulturmensch verkörpern das unverbundene Nebeneinander großer Ziele und trivialer Ärgernisse, mal schräge Satire, mal bitterer Ernst. Die Ereignisse sind turbulent und nicht immer ganz realistisch – Ziffer liebt es, die ausgetretenen Pfade der Erzählkunst zu verlassen. Große Oper!

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Ziffer und die Seinen

Männerschwarm Verlag Lange Reihe 102 – 20099 Hamburg www.maennerschwarm.de

BENNY ZIFFER

ZIFFER UND DIE SEINEN

Roman

Aus dem Hebräischen von Markus Lemke

Männerschwarm Verlag Hamburg 2009

Titel der Originalausgabe: Tziffer U-Vnei Mino, Am Oved 1999 © Benny Ziffer 1999

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet die Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Benny Ziffer Ziffer und die Seinen. Roman Aus dem Hebräischen von Markus Lemke

© Männerschwarm Verlag, Hamburg 2009

Umschlaggestaltung: Carsten Kudlik, Bremen, unter Verwendung eines Fotos von privatraum / www.photocase.de

ISBN 978-3-939542-69-8

Wieder Nacht, mein Freund,

lass mich zurück diesmal.

Wieder Nacht, mein Freund,

lass mich zurück und flieh’.

Denn meine Schläfen pochen,

denn das Herz schlägt bang,

denn die Sonne über mir

wird nicht mehr aufgehen.

Schwöre nur, mein Freund,

wenn eines Tages du Ruhe findest

und an meinem Haus vorüber kommst,

so sage denn dies:

Er jagte Nichtigkeiten nach

und war ein Hirte des Windes,

aber starb wie ein Mann,

der sicher weiß.

Am Morgen, mein Freund,

wird kein Hauch mehr in mir sein.

Doch bis zum Morgen werde ich dies

dir nicht vergessen.

Nathan Alterman

Es kommt vor, dass ich mich von der Schönheit eines Mannes nicht weniger angezogen fühle als von der Schönheit, die einer Frau innewohnt – Und darin ist Gott behüte keine abnormale Neigung oder Schamlosigkeit zu erkennen, sondern die reine und gesunde Begeisterung für das Schöne in der Natur.

Mordechai Ovadyahu:

Aus dem Munde Bialiks

Wegen all der Feuer, die sie hier in letzter Zeit anzünden, herrscht so ein Gefühl, als wäre der Sommer schon da, obwohl wir noch nicht mal Winterende haben. Ich trete aus dem Haus und Brandgeruch heftet sich an die Kleider; ich wasche die Sachen und schon wieder klebt Brandgeruch daran. Zu Ziffer hab ich gesagt, dass die Leute hier den Verstand verloren haben: Wenn in der Hochglanzbeschichtung der Taschenbucheinbände tatsächlich ein krebserregender Stoff steckt, was verbrennen sie sie dann und inhalieren die Gase? Und was antwortet Ziffer mir? «Jo, Schätzchen, kümmere dich um deinen eigenen kleinen Mikrokosmos.» Kurzum, wegen der Hitze und des Qualms sind alle Kräuter, die ich auf dem Küchenbalkon gezogen hatte, eingegangen, vor allem das Basilikum, das ich für Spaghetti mit Pesto verwenden wollte. Selbst die Milch ist sauer geworden – wie mitten im August, und gestern, als ich auf den letzten Drücker zum Lebensmittelladen gerannt bin, um eine neue Tüte Milch zu kaufen, wer hält mich da auf? Churi, dieser arabische Hund, der vor der Apotheke auf der Straße hockt und den Leuten aus der Nachbarschaft seine Dienste anbietet. Offenbar geht’s ihm dort gut, anderenfalls würde er ja in sein Dorf zurückkehren, nicht? In der Regel bin ich freundlich zu ihm, weil man sich bei denen vorsehen muss, aber Höflichkeit hin oder her, er ist eine richtige Nervensäge, also hab ich gesagt, mein Freund sei krank – ihr hättet allein die Handbewegung sehen sollen, die er gemacht hat, als ich «mein Freund» sagte – und ich müsse schnell zur Apotheke, was nicht vollkommen gelogen war, weil ich tatsächlich für Toilettenpapiernachschub sorgen musste. Das ist mir schon unangenehm, ständig loszurennen und Toilettenpapier zu kaufen. Die Sache ist die, dass derjenige, der bei uns Toilettenpapier verschwendet, nicht ich bin, sondern Ziffer, gar nicht zu reden davon, dass er regelmäßig rund um die Kloschüssel pinkelt und die Toilette einsudelt und ich hinter ihm herputzen muss wie hinter einem kleinen Jungen. Ich hab ihm gesagt, er soll im Sitzen pinkeln; ich pinkle schon seit Jahren im Sitzen – natürlich nicht an öffentlichen Orten, wo das Klo eingesaut ist –, aber Ziffer, wie alle israelischen Männer, denkt, das würde seiner Männlichkeit Abbruch tun, also pinkelt er nicht nur im Stehen, sondern lässt auch noch die Tür offen, und wenn es etwas gibt, das ich nicht ertragen kann, dann ist es dieses Geräusch, genauso wie ich es nicht ausstehen kann, wenn man mich laut anniest oder wenn geräuschvoll ins Waschbecken gespuckt wird, nachdem man sich die Zähne geputzt hat. Ich bin so erzogen, dass man bei derartigen Verrichtungen keinen Lärm macht.

Aber wie viel Streit erträgt ein Mensch? Ich schweige und schluck’s runter, zumal auch die Seelenruhe des Herrn Schriftstellers nicht gestört werden darf. Ziffer ist Schriftsteller und ich bin die Hausfrau, gieße die Blumen, wasche, koche und sitze in den freien Stunden, falls das die Planungen des hohen Herrn nicht durcheinanderbringt, auf dem Balkon – meinem Eckchen – und lese ein Buch. Doch wenn ich ein Buch lese, nimmt Ziffer das als persönliche Beleidigung. Ginge es nach Ziffer, müsste man alle Büchereien und Buchhandlungen zumachen, weil es seiner Meinung nach nicht ein gutes Buch auf der Welt gibt, abgesehen von seinen eigenen Büchern, selbstverständlich. «Wie kannst du das wissen? Du liest doch neue Sachen gar nicht», sage ich zu ihm. Er antwortet, ich solle mit ihm nicht über Literatur diskutieren und mich auf meinen «kleinen Mikrokosmos» beschränken. Also gehe ich zum Schrank mit den Putzmitteln und fange an, Schubladen und Schränke mit Insektenvernichtungsspray einzunebeln. «Jo, was machst du da», brüllt er. «Ich töte Kakerlaken», antwortete ich. So reagiere ich mich an den Kakerlaken ab, während er in sein Zimmer flüchtet und dort noch eine Weile rumstänkert, bis er sich beruhigt.

Gestern komme ich vom Einkaufen zurück, mit einer Tüte Milch und Tomaten, weil ich im Sinn hatte, Ziffer mit Spaghetti in neapolitanischer Soße, Wein, Kerzen und allem Drum und Dran zu überraschen, darunter wie gesagt auch ein Paket Toilettenpapier. Ich drücke den Knopf der Gegensprechanlage, niemand antwortet. Ich drücke noch mal. Genau in dem Moment kommt Frau Clementine, die Nachbarin, runter und öffnet von innen die Tür. Sie wirft mir einen ihrer Blicke zu und ich schlängle mich mit den Tüten an ihr vorbei. Clementine ist religiös, und der Gedanke, ihre Nachbarn seien etwas, das mit H anfängt und mit O aufhört, gefällt ihr nicht, obwohl sie natürlich jedes nach Gottes Abbild erschaffene Geschöpf respektiert, und Homos sind doch bestimmt auch Kreaturen Gottes? Clementines Geruch hing noch im Treppenhaus, Mitsouko von Guerlain, in solchen Dingen irre ich mich nicht. Aber je weiter ich die Treppe hochstieg, desto mehr vermischte sich der Parfümduft mit dem scharfen Geruch nach Gas oder gedünstetem Kohl oder einer Leiche.

Zuerst dachte ich, Ziffer könnte das Gas aufgedreht haben, um sich umzubringen, erstens, weil so etwas bei ihnen in der Familie liegt, und zweitens, weil er nicht selten in Depressionen verfällt, wenn es mit dem Schreiben bei ihm nicht läuft. Was soll ich ohne ihn machen? Auch wenn ich immer jemanden Neues finden würde bei den Konditionen, die ich biete, freies Wohnen mit Beteiligung an Strom, Abgaben und so weiter gegen einen Fick hin und wieder. «Jo, wie redest du denn! Also wirklich, auch im Spaß darf man so was nicht mal denken», sagte ich insgeheim. Und legte mir dabei schon die ersten Worte zurecht, die ich sagen würde, wenn ich ihn tot daliegen sähe: «Ziffer, Süßer, erst vor einer halben Stunde hab ich dir den verschwitzten Nacken geküsst und dir gesagt, ich geh einen Moment vor die Tür, warum hast du das bloß gemacht?»

Ich betrete die Wohnung, stelle die Einkaufstüten auf der Marmorarbeitsplatte in der Küche ab und spähe ins Arbeitszimmer. Er ist nicht tot, sondern auf der Toilette gewesen, dort sind die üblichen Spritzer zu sehen. Ich schweige und wische es weg, stelle fest, dass er auch noch etwas anderes gemacht hat. Ziffer kann nicht anfangen zu schreiben, ohne es sich zuvor mit der Hand besorgt zu haben, und schon vor geraumer Zeit hat er mir gesagt, ich sollte deshalb nicht beleidigt sein, das habe nicht mehr zu bedeuten, wie für jemand anderen eine Zigarette zu rauchen oder einen Kaffee zu trinken. Interessant, an wen er dabei wohl denkt, sicher nicht an mich, warum sollte er sonst darauf warten, dass ich das Haus verlasse?

Der Geruch aus dem Treppenhaus begann sich in der Wohnung auszubreiten. Ich fing an, nervöse Bewegungen mit der Nase zu machen, und Ziffer wurde hektisch, weil er wusste, was passieren würde. Bevor er den Mund aufmachen konnte, klingelte das Telefon, und als er den Hörer abnahm, sagte ich: «Das ist der Geruch deiner Mutter. Sie sind auf dem Weg hierher.»

Anmerkung

* Der Name «Churi» bedeutet «Priester» und weist darauf hin, dass er ein christlicher Araber ist. Sein ausgemergeltes Erscheinungsbild macht ihn nun zum «Muselmanen», so nannte man im KZ die Hungeropfer im Endstadium. (Anm. d. Ü.)