Zimtträume – Die Frauen der Backmanufaktur - Eva-Maria Bast - E-Book
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Zimtträume – Die Frauen der Backmanufaktur E-Book

Eva-Maria Bast

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Beschreibung

Der Weg in die Zukunft. Bielefeld, 1941: Nachdem ihre Jugendliebe Georg in den ersten Kriegstagen gefallen ist, muss die junge Firmenerbin Käthe neue Ideen entwickeln, um das Familienunternehmen voranzubringen. Die Nachfrage nach den Produkten der Familie Meister ist drastisch gestiegen, und die Werke produzieren auf Hochtouren. Darüber hinaus steht das fünfzigjährige Firmenjubiläum bevor. Zusammen mit dem Italiener Giovanni, der als Sohn eines Eisherstellers im Unternehmen arbeitet, macht sich Käthe fieberhaft an die Entwicklung neuer Produkte.  Der große Abschluss der mitreißenden Saga um die Familie Meister – atmosphärisch erzählt von Bestsellerautorin Eva-Maria Bast.

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Seitenzahl: 394

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Über das Buch

Das Unternehmen Doktor Meister floriert, und die Produktion läuft auf Hochtouren, da die Nachfrage nach den Produkten drastisch gestiegen ist. Aber der Zweite Weltkrieg verschont die Familie Meister nicht. Die junge Firmenerbin Käthe trauert um ihren Mann Georg, der bereits in den ersten Kriegstagen gefallen ist. Trost und Unterstützung findet sie bei ihrer Tante Maria und ihrer Großmutter Josephine, die die Meister-Werke tatkräftig durch die schwere Zeit bringen. Dann stellt sich Käthe ihrer Verantwortung und stürzt sich in die Arbeit. Gemeinsam mit dem Italiener Giovanni, der als Sohn eines Eisherstellers im Unternehmen arbeitet, gelingt es ihr, neue Meister-Produkte zu entwickeln: Doktor Meisters Muntermacherschokolade und das Eispulver werden ein voller Erfolg. Doch findet Käthe auch eine neue Liebe? 

Über Eva-Maria Bast

Eva-Maria Bast ist Journalistin, Leiterin der Bast Medien GmbH und Autorin mehrerer Sachbücher, Krimis und zeitgeschichtlicher Romane. Sie erhielt diverse Auszeichnungen, darunter den Deutschen Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Kategorie Geschichte. Als eine Hälfte des Autorenduos Charlotte Jacobi schrieb sie u. a. den Spiegel-Bestseller »Die Douglas-Schwestern«. Die Autorin lebt am Bodensee. 

Im Aufbau Taschenbuch sind bisher ihre Romane »Vanilletage – Die Frauen der Backmanufaktur« und »Zuckerjahre – Die Frauen der Backmanufaktur« erschienen.

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Eva-Maria Bast

Zimtträume – Die Frauen der Backmanufaktur

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Prolog — Greetsiel, April 1931

Teil 1 — 1941

1. Kapitel: Bielefeld, März 1941

2. Kapitel: London, März 1941

3. Kapitel: Hamburg, März 1941

4. Kapitel: Bielefeld, März 1941

5. Kapitel: Hamburg, März 1941

6. Kapitel: London, April 1941

7. Kapitel: Hamburg, April 1941

8. Kapitel: Bielefeld, April 1941

9. Kapitel: Hamburg, April 1941

10. Kapitel: London, Mai 1941

11. Kapitel: Hamburg, Mai 1941

12. Kapitel: Bielefeld, Mai 1941

13. Kapitel: Hamburg, Mai 1941

14. Kapitel: London, Juni 1941

15. Kapitel: Bielefeld, Juni 1941

16. Kapitel: Hamburg, Juni 1941

17. Kapitel: Bielefeld, Juni 1941

18. Kapitel: Hamburg, Juni 1941

19. Kapitel: Bielefeld, Juni 1941

20. Kapitel: Hamburg, Juni 1941

21. Kapitel: Hamburg, September 1941

22. Kapitel: Baden-Baden, September 1941

23. Kapitel: Hamburg, September 1941

24. Kapitel: Baden-Baden, September 1941

25. Kapitel: Hamburg, September 1941

26. Kapitel: Baden-Baden, September 1941

27. Kapitel: Hamburg, September 1941

28. Kapitel: Baden-Baden, Oktober 1941

29. Kapitel: Hamburg, Oktober 1941

30. Kapitel: Bielefeld, Oktober 1941

31. Kapitel: Hamburg, Oktober 1941

32. Kapitel: Baden-Baden, Oktober 1941

33. Kapitel: Hamburg, Oktober 1941

34. Kapitel: Hamburg, Dezember 1941

Teil 2 — 1943–1944

35. Kapitel: Hamburg, Juli 1943

36. Kapitel: Bielefeld, Juli 1943

37. Kapitel: London, Juli 1943

38. Kapitel: Hamburg, Juli 1943

39. Kapitel: Bielefeld, Juli 1943

40. Kapitel: London, Juli 1943

41. Kapitel: Hamburg, Juli 1943

42. Kapitel: Hamburg, Juli 1943

43. Kapitel: London, August 1943

44. Kapitel: Bielefeld, August 1943

45. Kapitel: Hamburg, Oktober 1943

46. Kapitel: Bielefeld, August 1944

47. Kapitel: Hamburg, August 1944

48. Kapitel: Bielefeld, September 1944

49. Kapitel: London, September 1944

50. Kapitel: Bielefeld, September 1944

51. Kapitel: Hamburg, September 1944

52. Kapitel: Bielefeld, November 1944

53. Kapitel: Bielefeld, Oktober 1944

Teil 3 — 1945–1946

54. Kapitel: Bielefeld, Mai 1945

55. Kapitel: London, Mai 1945

56. Kapitel: Hamburg, Mai 1945

57. Kapitel: Bielefeld, Juni 1945

Danksagung und Nachwort

Impressum

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Prolog

Greetsiel, April 1931

Käthe schloss die Augen und sog den Duft tief in sich ein. Schokolade und Vanille, köstlich! Sie spürte, wie ihr das Wasser im Mund zusammenlief, öffnete die Augen wieder und ließ ihren Blick zufrieden über die Regale streifen. Sorgfältig aufgereiht standen dort die Puddingschälchen, deren Inhalt den köstlichen Duft verströmte. Wie hübsch es aussah! Vanillegelb und Schokobraun – das waren auch die Farben des Busses, in dem sich Käthe befand.

Von draußen drang aufgeregtes Stimmengewirr herein und Käthe spähte durch einen Spalt des vanillegelben Vorhangs auf den riesigen Platz, auf dem der Meister-Bus Position bezogen hatte. Unfassbar, wie viele Menschen sich schon wieder eingefunden hatten! So war das auch in den letzten Tagen gewesen. In Scharen kamen sie angerannt, strömten auf den Bus zu wie Motten, die vom Licht angezogen wurden. Wobei das, wie Käthe sich eingestehen musste, kein sonderlich schmeichelhafter und auch kein passender Vergleich war! Schließlich waren ihnen die Menschen, die ihren Bus umringten, höchst willkommen.

Nachdem zunächst in Bielefeld eine Dr.-Meister-Haushaltsschule gegründet worden war, folgten 1927 in den größeren Städten viele weitere. Bis zu 6000 Frauen pro Jahr lernten dort neben dem Backen und Kochen auch die Zubereitung von Süßspeisen und konnten Waschkurse eines bekannten Waschmittelherstellers belegen, der mit ihnen zusammenarbeitete. Käthe fand die Idee, die dahinterstand, genial: »Weißt du, Liebes«, hatte ihre Großmutter Josephine Meister ihr erklärt, »all diese Frauen lernen unsere Produkte zu verwenden und sie kochen nach unseren Rezepten. Die werden sie dann ihr Leben lang verwenden.«

Weil der Zulauf so enorm war, hatten Josephine Meister und Käthes Stiefvater Richard überlegt, wie man sich auch die kleineren Städte erschließen könnte. Schließlich hatte ihre Großmutter die Idee gehabt, in den Lichtspielhäusern und Gaststätten Werbefilme zu zeigen – einen ersten hatte ihr verstorbener Großvater Carl schon 1911 gedreht. Auch diese Veranstaltungen waren sehr beliebt und in diesem Frühjahr hatte Josephine nun eigene Werbewagen ausstatten lassen. Diese verfügten über eine Leinwand, auf der Filme gezeigt werden konnten, von der kleinen Plattform aus konnten Vorträge gehalten und Kochkurse gegeben werden. Als besonderes Erkennungsmerkmal hatten die Busse einen Anhänger in Form eines riesigen Schokoladenpuddings, der vor allem bei den Kindern große Begeisterung hervorrief. Wann immer sie in einer Stadt ankamen, war der Bus sogleich von einer Traube von Kindern umringt, die hinter ihm herliefen. Da die meisten Interessenten ohnehin Mütter mit Kindern waren, hatte Josephine beschlossen, während der Vorträge Pudding an die Kleinen auszugeben, und somit war die Ankunft des Meister-Busses allüberall die Attraktion des Monats, so auch in diesem entzückenden Städtchen in Ostfriesland, in dem sie nun Station machten.

In diesem Moment öffnete sich die Bustür und ihre Großmutter kam herein. »Es sind unglaublich viele Menschen gekommen«, sagte sie und runzelte angesichts der bereitstehenden Puddingschälchen besorgt die Stirn. »Ich fürchte, das wird niemals reichen.«

Seufzend stellte Käthe das Schälchen mit Schokoladenpudding, das sie sich vor der Vorführung noch hatte gönnen wollen, wieder zurück. Sie hatte sich schon so darauf gefreut. Aber sie wollte den Kindern natürlich nichts wegessen.

»Nun mach schon«, ermunterte ihre Großmutter sie. »Auf ein Schälchen mehr oder weniger kommt es am Ende auch nicht an.«

»Und ich kann ja immer noch nachkochen«, bekräftigte Käthe. »Wenn er noch ein bisschen warm ist, schmeckt der Pudding ohnehin viel besser.«

»Na, dann lass es dir schmecken«, sagte Josephine und nickte ihr zu, während Käthe sich genießerisch einen Löffel in den Mund schob. Himmlisch!

»Hans, lass das, nicht anfassen«, ertönte eine aufgeregte Stimme von draußen. Josephine lächelte ihrer Enkeltochter nochmals zu, öffnete dann die Bustür und begrüßte die Wartenden. Käthe griff nach dem ersten Tablett mit den Puddingschälchen und folgte ihrer Großmutter. Als die Kinder sie erspähten, strahlten sie um die Wette und das Wort »Pudding« drang aus Dutzenden kleinen Kehlen in den hellen Frühlingshimmel.

»Wer ist denn Hans?«, fragte die junge Firmenerbin und ein kleiner, vielleicht vier Jahre alter Junge mit semmelblondem Haar und Sommersprossen hob schüchtern die Hand. Offenbar hatte er Angst, dass er, nachdem ihn schon seine Mutter ausgeschimpft hatte, nun auch noch mit ihr Ärger bekommen würde. Doch Käthe lächelte dem Kleinen nur beruhigend zu und verkündete: »Wenn du Hans bist, dann ist der erste Pudding für dich. Vanille oder Schoko?«

Hans strahlte übers ganze Gesicht und sagte »Schokolade«, was ihm einen strengen Blick seiner Mutter, einer etwas verhärmt und müde wirkenden Frau Mitte dreißig mit modischem kinnlangem Haar, eintrug. Hans begriff sofort. »Bitte«, piepste er pflichtschuldig hinterher.

»Hier für dich«, sagte Käthe und übergab dem Jungen feierlich den von ihm favorisierten Schokoladenpudding.

»Danke«, flüsterte der Junge, nahm die Köstlichkeit entgegen und versteckte sich dann hinter seiner Mutter.

In Windeseile hatte Käthe das ganze Tablett verteilt. Als sie mit den nächsten Puddingschälchen aus dem Bus kam, streckten sich ihr schon unzählige kleine Kinderhändchen entgegen, in der Hoffnung, eine leckere Kostprobe zu ergattern. Käthe hatte Mühe, das Gleichgewicht zu behalten. »Es ist für alle genug da!«, versprach sie, was die Kleinen mit einem Jubel quittierten.

Sie spähte zu ihrer Großmutter herüber, die den begeisterten Hausfrauen gerade verschiedene Zusatzprodukte für einen gelingsicheren Kuchen präsentierte, und lächelte still in sich hinein. Wie schön wäre es, so mit ihrer Großmutter durch ganz Deutschland zu fahren, von Stadt zu Stadt. Doch Josephine Meister war natürlich viel zu wichtig und in der Firma eigentlich unabkömmlich, um ihre Zeit damit zu verbringen, in Kleinstädten für ihre Produkte zu werben. Sie hatte es sich allerdings nicht nehmen lassen, ihre Enkeltochter auf deren erster Tour zu begleiten, später sollte Käthe die Fahrten mit einer Mitarbeiterin und einem Fahrer allein übernehmen. Einem Fahrer! Ein Lächeln flog über ihr Gesicht, denn Käthe musste sich eingestehen, dass sie ihren jetzigen Chauffeur, den jungen Georg Wüst, ausgesprochen charmant und attraktiv fand und die Vorstellung, mit ihm durch das Deutsche Reich zu reisen, ihr sehr gefiel.

Als sie alle Puddingschälchen verteilt hatte – entgegen ihren Befürchtungen waren diese ausreichend gewesen –, musterte sie den jungen Mann verstohlen, der in seiner einfachen braunen Hose und dem schlichten weißen Hemd ausgesprochen gut aussah. Er stand lässig an die Fahrertür gelehnt und hatte die Hände in den Taschen vergraben. Interessiert blickte er in die Menge, doch als er ihren Blick bemerkte, drehte er den Kopf und sah ihr direkt in die Augen. Sofort beschleunigte sich ihr Herzschlag, während sie einander unverwandt anstarrten. Dann nickte er kurz und lächelte, und sie wandte hastig und verwirrt den Blick ab. Was hatte dieser Wüst nur an sich, dass es ihm stets aufs Neue gelang, sie aus der Fassung zu bringen?

Josephine hatte inzwischen ihren Kochkurs beendet und kam erschöpft, aber glücklich lächelnd zu ihrer Enkelin herüber. »Ich hatte ganz vergessen, wie anstrengend ein solcher Ansturm ist.«

»Jetzt haben wir ja eine Stunde Pause, bevor die nächste Vorführung beginnt«, sagte Käthe. »Was hältst du davon, wenn du ins Hotel gehst und dich ein wenig ausruhst? Ich mache das hier schon.«

Sie deutete auf das viele Geschirr, das sich im Spülbecken stapelte. Zweifelnd sah ihre Großmutter sie an. »Bist du sicher?«, fragte sie. »Wir hätten doch ein Mädchen mitnehmen sollen, das uns hilft.«

»Ich könnte helfen«, mischte sich in diesem Moment Georg Wüst ins Gespräch.

»Sie?«, fragte Josephine und Käthe wusste nicht, ob sie die Vorstellung, dass ein Mann beim Abwaschen helfen könnte, befremdlich fand, oder ob sie dessen Anwesenheit schlicht vergessen hatte. Käthe vermutete eher Letzteres, denn ihre Großmutter war eine sehr modern denkende Frau, die für das Frauenwahlrecht gekämpft hatte. Außerdem war sie ihr Leben lang von Dienstboten umgeben gewesen und wenn Josephine auch keineswegs überheblich und dafür bekannt war, ihre Mitarbeiter ausgesprochen gut und fair zu behandeln, hatte Käthe manchmal das Gefühl, dass sie ihre Angestellten gar nicht mehr wahrnahm. Besonders galt das für die Diener, die zu Hause die Mahlzeiten auf- und abtrugen. Josephine sprach in ihrer Anwesenheit über sehr private Dinge, was die deutlich zurückhaltendere Käthe manchmal etwas befremdlich fand.

»Ich«, bestätigte Georg Wüst und nickte Josephine freundlich zu. »Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Kommerzienrat.«

Käthes Herz schlug schon wieder schneller. Die Aussicht darauf, gleich mit Georg allein zu sein, machte sie furchtbar nervös. Wenn sie gemeinsam das Geschirr spülen würden, müssten sie dicht beisammenstehen, und …

So sehr sie hoffte, dass ihre Großmutter das Angebot annehmen würde, so sehr hoffte sie gleichermaßen, dass sie genau das nicht täte.

»Das lasse ich mir nicht zweimal sagen«, erklärte Josephine in diesem Moment und lächelte den beiden jungen Menschen zu. »Zum Glück habe ich es zum Hotel ja nicht weit.«

Sie deutete auf das ehrwürdige Jugendstilgebäude, das die Stirnseite des Platzes einnahm, und versprach: »Ich bin in einer dreiviertel Stunde wieder zurück.«

Käthe blickte ihrer Großmutter nach, als diese den Platz überquerte. Josephine Meister war, wie sie fand, eine eindrucksvolle Dame. Sie ging kerzengerade, ihr weiter Rock wippte bei jedem Schritt.

»Sie ist eine tolle Frau«, sagte Georg dicht an ihrem Ohr.

»Ja«, antwortete sie mit belegter Stimme. »Ja, das ist sie.«

»Und Sie sind auch eine tolle Frau«, fügte er hinzu.

Sie wandte sich nicht zu ihm um, sondern erwiderte nur leise: »Danke.«

Inzwischen klopfte ihr Herz zum Zerspringen.

»Womit fangen wir an?«, fragte Georg, und nun endlich drehte sie sich zu ihm um und musste angesichts seines hilflosen Blicks, mit dem er die Geschirrberge betrachtete, lachen, was ihr aus ihrer Befangenheit half.

»Ich würde sagen, wir waschen ab«, schlug sie vor. »Anschließend zeige ich Ihnen, wie man Schokoladenpudding kocht. Und dann habe ich noch etwas ganz Besonderes für Sie.«

»Etwas ganz Besonderes?«, fragend sah er sie an.

Sie nickte. »Mein Lieblingsgewürz.«

Sie zog ein Glasfläschchen hervor und hielt es ihm unter die Nase. »Riechen Sie.«

»Zimt«, sagte er und seine Augen leuchteten. »Ich liebe Zimt. Meine Mutter hat mir früher immer Grießbrei mit Zimt und Zucker gemacht.«

Er deutete auf das Glas. »Zimt in dieser Form habe ich aber noch nie gesehen. In den Gewürzgläsern meiner Mutter war er immer gemahlen und bereits mit Zucker vermischt. Sieht aus wie Rinde.«

»Es ist Rinde«, bestätigte Käthe. »Das Gewürz wird aus der getrockneten Rinde des Ceylon-Zimtbaums gewonnen. Wenn ich daran rieche, fühle ich mich wie im Märchen. Wie in Tausendundeinernacht.«

»In mir ruft Zimt ein Gefühl von Geborgenheit wach«, erklärte Georg grinsend. »Wegen Mamas Grießbrei.«

»Warten Sie, bis Sie meinen Schokopudding mit Zimtgeschmack probieren.«

»Ich kann es kaum erwarten.«

Teil 1

1941

1. Kapitel

Bielefeld, März 1941

Ich bin froh, dass du mich bei den Vorbereitungen für das fünfzigjährige Firmenjubiläum unterstützt, Liebes«, sagte Josephine Meister und legte den Arm um ihre Enkeltochter. »Und ich bin glücklich, dass du zumindest wieder ab und an lächelst.«

»Ja«, seufzte Käthe, »was bleibt mir denn anderes übrig. Georg hätte bestimmt nicht gewollt, dass ich mein Leben als Trauerkloß verbringe.«

»Das hätte er sicher nicht«, bestätigte Josephine. »Er hätte sich gewünscht, dass du unendlich glücklich wirst.«

»Unendlich glücklich kann ich ohne ihn nicht werden«, murmelte Käthe. »Aber ich kann mir wenigstens Mühe geben.«

Käthe hatte ihre Jugendliebe Georg Wüst nach vielen Irrungen und Wirrungen und gegen den Wunsch ihrer Familie, die eigentlich den Spross einer befreundeten Fürstenfamilie für sie vorgesehen hatte, 1936 geheiratet, doch ihre Ehe hatte nur kurz gewährt: Ihr Liebster war gleich in den ersten Kriegsmonaten gefallen. Ein Jahr war das nun her und nach Monaten der Trauer und der Lähmung hatte die junge Frau inzwischen das Gefühl, langsam, ganz langsam wieder ins Leben zurückzufinden, was vielleicht auch daran lag, dass ihre Großmutter so vehement ihre Hilfe bei der Vorbereitung für das Firmenjubiläum einforderte.

»Ich kann es gar nicht glauben, dass es schon ein halbes Jahrhundert her ist, dass du mit Großvater in die Stadt gekommen bist und die Meister-Werke gegründet hast.«

»Ich auch nicht«, erwiderte Josephine verträumt. »Und wenn uns damals jemand gesagt hätte, was daraus einmal werden würde, ich hätte ihn für verrückt erklärt.«

»Es ist so schade, dass ich keine Erinnerung an Opa habe«, sagte Käthe, die zwei Jahre alt gewesen war, als ihr Großvater von ihnen gegangen war, nur wenige Monate nach dem Tod seines einzigen Sohnes Julius, der in Verdun gefallen war. Dr. Carl Meister war kurz nach der Geburt seines Enkelsohnes, Käthes Bruder, an gebrochenem Herzen gestorben. Ihr Bruder Anton war im Andenken an seinen Vater mit zweitem Vornamen Julius genannt worden.

»Er hat dich geliebt«, sagte Josephine. »Du warst sein kleiner Sonnenschein.«

Käthe nickte und legte nun ihrerseits den Arm um ihre Großmutter. »Vermisst du ihn sehr?«

»Unendlich«, gestand die Firmendirektorin. »Jede Minute, jede Sekunde.« Es klang leidenschaftlich und auch ein wenig verloren. Gleich darauf erhellte jedoch ein Lächeln ihr Gesicht. »Ich habe aber auch nicht das Gefühl, dass er wirklich fort ist.« Sie machte eine weit ausholende Bewegung. »In all dem hier lebt er ja weiter – leben wir als Ehepaar weiter. In jeder Ecke finden sich Erinnerungen, und das Werk auch in schwierigen Zeiten wie diesen vor dem Untergang zu bewahren, das ist es, was ich noch immer für ihn tun kann.«

Käthe nickte. Sie verstand, was ihre Großmutter meinte. Wobei es, wenn die Zeiten allgemein auch entsetzlich waren, für die Firma Meister nicht besser hätte laufen können. Die Nachfrage nach ihren Produkten war im Krieg sogar noch drastisch gestiegen, nicht zuletzt deshalb, weil sie auch das Heer versorgten. Sowohl in Bielefeld als auch im Hamburger und im Wiener Werk produzierten sie ständig auf Hochtouren.

»All das hattest du mit deinem Georg nicht«, sagte ihre Großmutter in ihre Gedanken hinein. »Ihr hattet kaum die Gelegenheit, miteinander Erinnerungen zu schaffen. Außer euren Busfahrten durch ganz Deutschland. Aber das ist nichts, was du im Alltag um dich hast.«

Käthe überlegte kurz und sagte: »Doch, ich habe die schönste Erinnerung überhaupt. In Clara lebt er weiter.« Mit einem zärtlichen Lächeln dachte sie an das kleine, vierjährige Mädchen, das seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war und dessen braunes Haar und die grünen Augen geerbt hatte.

»Ja«, erwiderte ihre Großmutter. »Da hast du wohl recht.« Käthe seufzte. Dann atmete sie tief durch und sagte: »Aber nun genug mit der Trübsalblaserei. Lass uns mit den Vorbereitungen beginnen.«

Josephine sah sich ungeduldig um. »Das würde ich ja gerne«, wandte sie ein. »Aber dazu brauchen wir unbedingt Martha. Wo bleibt sie denn nur?«

»Hier bin ich schon«, sagte die 72-Jährige, die in diesem Moment zur Tür hereinkam. Käthe mochte die Frau ihres lange vor ihrer Geburt verstorbenen Onkels Emil, die inzwischen in zweiter Ehe mit dem Chef der Versuchsküche, Matthias Wohlgemut, verheiratet war, die das Ehepaar gemeinsam leitete. Martha war immer ausgeglichen, immer gut gelaunt und wenn sie nicht gerade kochte oder backte, widmete sie sich mit Leidenschaft der Betreuung ihrer vier Enkelkinder. Ihre eigenen Töchter – die Zwillinge Magdalena und Caroline – waren nicht nur am gleichen Tag Mütter geworden, sondern hatten ihrerseits je ein entzückendes Zwillingspärchen geboren. Zwölf Jahre waren die kleinen nun alt und der ganze Stolz der Großeltern – Matthias Wohlgemut war ein so engagierter wie begeisterter Stiefopa.

Die Tür öffnete sich erneut und Käthes Mutter Lotte kam herein. »Mama!«, rief sie. »Wie schön!«

»Das finde ich auch«, sagte sie und ließ sich auf der Tischkante nieder. »Ich würde mich gerne an den Vorbereitungen für das Fest beteiligen.«

»Du?«, riefen Martha, Josephine und Käthe wie aus einem Munde.

»Na, hört mal!«, erwiderte Lotte und stemmte empört die Hände in die Hüften. »Traut ihr mir das etwa nicht zu?«

»Natürlich trauen wir dir das zu, Mama«, rief Käthe und schlang die Arme um ihren Hals. »Aber du bist doch so viel beschäftigt.«

Lotte war die Frauenbeauftragte der Meister-Werke und hatte in diesem zweiten Krieg mindestens genau so viel zu tun wie im ersten. Wieder hatten viele Frauen ihre Männer verloren oder mussten um deren Leben bangen, wenn diese an der Front kämpften. Auch jetzt wieder mussten sich die Frauen neben dem Haushalt und den Kindern darum kümmern, das Geld zu verdienen und ihre Familie zu ernähren. Und wie schon im ersten Krieg, war die Leitung der Meister-Werke ausgesprochen froh darüber, dass sie die Frauen hatte: Die meisten männlichen Mitarbeiter hatten in den Krieg ziehen müssen, ohne die Tatkraft der Frauen hätten die Maschinen stillgestanden. Die Tatsache, dass es so gut lief und dass sie mit ihren Produkten so viel Geld verdienten, war ihren Mitarbeiterinnen zu verdanken. Und deshalb, da war man sich innerhalb der Familie Meister einig, hatten diese eine gute Behandlung verdient. Lotte war für sie da und kümmerte sich um ihre Sorgen und Ängste. Sie war dafür zuständig, dass der Betriebskindergarten, den sie 1914 gegründet hatten, lief, dass Kinder und Frauen mittags eine warme Mahlzeit bekamen, sie half Kriegerwitwen bei der Bürokratie und war eigentlich rund um die Uhr im Dienst der Frauen im Einsatz. Kein Wunder also, dass die anderen sich fragten, wo sie denn die Zeit für die Vorbereitungen hernehmen sollte.

»Ach«, sagte Lotte nun, »natürlich habe ich viel zu tun, aber ein fünfzigjähriges Firmenjubiläum ist schon etwas Besonderes und da will ich unbedingt beteiligt sein. Außerdem«, sie warf ihrer Ex-Schwiegermutter – Josephine war die Mutter ihres verstorbenen Mannes Julius – einen spitzbübischen Blick zu, »wenn die Chefin persönlich Zeit hat, sich um die Vorbereitung zu kümmern, dann werde ich das wohl auch schaffen.«

»Prima«, sagte Martha begeistert. »Wir Meister-Frauen in Bielefeld richten zum Jubiläum ein rauschendes Fest aus. Krieg hin, Krieg her.«

»Ich weiß nicht«, erwiderte Josephine. »Ich bin mir nicht sicher, ob wir viel Einfluss auf das Programm haben.«

»Wieso das denn?«, wollte Käthe wissen. »Das ist doch unser Fest!«

»Nicht ganz«, schränkte Josephine ein und runzelte verärgert die Stirn. »Der hiesige Gauleiter und dein Stiefvater haben führende Parteimitglieder eingeladen und wollen die Meister-Werke als Musterbetrieb präsentieren.«

Käthe verzog das Gesicht. Sie konnte die Nationalsozialisten ganz und gar nicht leiden und das nicht nur, weil sie sie für den Tod ihres geliebten Georg verantwortlich machte. Ihr wurde jedes Mal ganz kalt, wenn sie einen der Herren mit brauner Uniform und der roten Armbinde mit dem Hakenkreuz erblickte, die sich viel zu sehr in die Belange ihrer Firma einmischten. Altgediente Mitarbeiter hatten gehen müssen, weil sie jüdisch waren, und Käthe hatte heftig mit ihrem Stiefvater gestritten. »Wie kannst du das zulassen?«, hatte sie geschrien. »Wie kannst du das tun? Gerade jetzt musst du ihnen doch helfen!«

Doch Richard Kaiser hatte sie nur traurig angesehen und gesagt: »In diesen Zeiten, mein Kind, kann man nicht so, wie man möchte. Würde ich mich wehren, würde ich all das hier verlieren und damit wäre niemandem geholfen. Vor allem unseren Arbeitern nicht.«

Käthe hatte ihn nur stumm angesehen und das Zimmer verlassen. Sie hatte in den folgenden Wochen gespürt, wie sehr er unter ihrem Zerwürfnis litt, und ihre Mutter hatte ihr ins Gewissen geredet. »Er hat wirklich keine Wahl«, hatte sie ein ums andere Mal gesagt. Und irgendwann hatte Käthe ihn wieder angelächelt, wenn auch ein Stachel in ihrem Herzen zurückblieb und sie fand, dass er sich nicht genug von den neuen Machthabern distanzierte. Er war sogar in die NSDAP eingetreten.

»Von den Nazis lassen wir uns unser Fest nicht verderben«, sagte sie nun kämpferisch. »Sie können uns vielleicht das Programm diktieren und leere Reden schwingen, aber für den Genuss sind wir zuständig.«

»Bravo!«, rief Josephine und spendete ihrer Enkeltochter energisch Beifall. »Dann lasst uns mal mit der Planung beginnen.«

2. Kapitel

London, März 1941

Fertig für heute, mein Schatz?«

Friederike blickte auf und lächelte ihren Ehemann an, der im Durchgang zu ihrem Büro erschienen war. Man sagte ihnen oft, dass sie gerade wegen ihres gegensätzlichen Aussehens ein so wunderschönes Paar waren: Friederike war zierlich, hatte blondes Haar und strahlend blaue Augen. Michael D’Oyly Carte hingegen war hochgewachsen, muskulös, hatte dunkles Haar und dunkle Augen.

»Ja«, sagte sie dann und schob demonstrativ den großen Aktenstapel beiseite, der vor ihr auf dem Schreibtisch lag. Dann erhob sie sich und ging ihrem Ehemann entgegen.

»Das freut mich ausgesprochen, Frau Hoteldirektorin«, neckte Michael sie und bot ihr galant seinen Arm.

Gemeinsam gingen sie vom Verwaltungstrakt des Claridge’s über die breite Treppe in die imposante Eingangshalle des Luxushotels hinunter, dessen Wurzeln bis ins Jahr 1812 zurückreichten. In den Besitz der Familie D’Oyly Carte war das Haus allerdings erst 1894 gekommen: Michaels Vater Richard, der auch das Luxushotel Savoy gegründet hatte, war das konkurrierende Claridge’s immer ein Dorn im Auge gewesen, und so hatte er es 1894 kurzerhand erworben, die alten Gebäude abreißen und prachtvoll neu errichten lassen, um dann 1897 Eröffnung zu feiern. Später war sein Sohn in seine Fußstapfen getreten und hatte sowohl das Savoy als auch das Claridge’s übernommen. Und 1919 war Friederike in sein Leben getreten. Die junge Frau war damals furchtbar durcheinander gewesen. Ihr erster Ehemann hatte sich das Leben genommen und obendrein hatte sie erfahren, dass sie adoptiert war. Das hatte der damals 25-Jährigen das Herz gebrochen und sie hatte ihre Heimat und das Familienunternehmen sehr zum Leidwesen ihrer Adoptivmutter Josephine verlassen. Nach einigen Umwegen war Friederike in London gelandet und war vollkommen orientierungslos durch die Straßen gestreift. So vertieft war sie in ihre Gedanken gewesen, dass sie mit einem gut aussehenden, groß gewachsenen Mann zusammengestoßen war. Er half ihr auf, und seine Worte »es tut mir leid« erinnerten Friederike so sehr an die Entschuldigung ihrer Adoptivmutter, als sie von ihrer Adoption erfahren hatte, dass sie in Tränen ausbrach. Die Erinnerung an Josephine ließ ihre Sehnsucht beinahe übermächtig werden, und zur Bestürzung des Gutaussehenden hatte Friederike gar nicht mehr aufgehört zu weinen. »Sie kommen jetzt erstmal mit«, hatte er nach einigen erfolglosen Versuchen, sie zu trösten, bestimmt und sie in das Hotel gezogen, vor dessen Eingang sie zusammengestoßen waren. Dort hatte er sie auf ein bequem aussehendes Sofa bugsiert und einen Kellner angewiesen, ihr Tee und einige Sandwiches zu servieren. Er hatte stumm bei ihr gesessen und ihr einfach nur zugesehen. Und dann hatte sie ihm alles erzählt. Wie gut das getan hatte! Seit dieser Begegnung war er nicht mehr von ihrer Seite gewichen. Er hatte sie angestellt – mit ihren Fremdsprachenkenntnissen sei sie geradezu prädestiniert dafür an der Rezeption zu arbeiten – und war ihr Freund geworden. Nicht ihr Liebhaber. Sie hatte noch viel zu sehr um ihren Franz getrauert, als dass sie einen anderen Mann in ihr Leben hätte lassen können. Erst viel später waren sie ein Liebespaar geworden und hatten schließlich geheiratet.

Als das Claridge’s in der Weltwirtschaftskrise in finanzielle Schieflage geraten war, hatte Friederike helfen können: Wie durch ein Wunder hatte ihre boshafte leibliche Tante Helene doch noch etwas Gutes in ihrem Leben bewirkt. Sie hatte aus Berechnung einen reichen Greis geheiratet, der kurz darauf verstorben war. Ob es an ihren vielen bösen Taten lag oder nicht, Helene hatte nicht viel von ihrem neuen Reichtum gehabt und war ein Jahr später selbst an einer schweren Krankheit gestorben. Als ihre einzige Verwandte hatte Friederike ihr Vermögen geerbt und war sozusagen über Nacht Millionärin geworden.

Als Friederike und Michael den Fuß der Treppe gerade erreicht hatten, ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Der große, schwere Kristalllüster, der von der Hallendecke hing, schwankte bedrohlich. Friederike schrie leise auf, Michael zog sie schützend an sich.

»Macht das Licht aus«, wies sie die herbeigeeilten Mitarbeiter an. Nachdem alles verdunkelt war, zog sie den schweren schwarzen Vorhang beiseite und konnte bei dem Blick auf die Straße hastig vorbeieilende Passanten erkennen. Vermutlich waren sie auf dem Weg in den nächstgelegenen Bunker. Ängstlich blickte sie in den von dunklen Wolken verhangenen Himmel, konnte jedoch keine weiteren Flugzeuge erkennen. »Ich denke, wir müssen nicht in den Keller flüchten«, ließ sich Friederike nach einer Weile vernehmen. »Man hört zwar noch vereinzelt etwas, aber es scheint weit weg zu sein.«

»Gut«, erwiderte Michael. »Aber wir bleiben hier, der Weg nach Hause ist mir zu riskant.«

»In Ordnung«, stimmte Friederike resigniert zu. Nach sechs Wochen ohne Bombardierung hatte sie gehofft, ja sich im Grunde in der Sicherheit gewiegt, dass die Deutschen London nicht wieder angreifen würden. Nicht nur sie hatte sich zu diesem Trugschluss hinreißen lassen, auch die Londoner waren zu einer gewissen normalen Tagesordnung zurückgekehrt. Die Theater, Geschäfte, Restaurants und sogar die Pubs und Clubs hatten wieder geöffnet.

»George, haben wir noch ein freies Zimmer?«, fragte Michael den Concierge. Der nickte und händigte dem Ehepaar mit leicht fahrigen Bewegungen, die seine Nervosität verrieten, die Schlüssel für eine Suite im fünften Stock aus.

Als Friederike nach einer kurzen und unruhigen Nacht erwachte, bemerkte sie zu ihrer Überraschung, dass Michael nicht neben ihr lag. Verschlafen setzte sie sich auf und sah zu dem Herrendiener hinüber, auf dem ihr Gatte seine Kleider gestern Abend so akkurat abgelegt hatte, wie er das immer tat. Michael war ein ausgesprochen penibler Mann und das trieb die eher kreative und chaotische Friederike manchmal in den Wahnsinn. Doch irgendwann hatte sie sich gedacht, dass man sich auch bewusst dafür entscheiden konnte, einen gewissen Charakterzug an einem Menschen ausdrücklich zu schätzen. Das hatte sie versucht und es war ihr gelungen. Inzwischen liebte sie es, wie Michael seine Kleidung allabendlich zusammenlegte oder über den Herrendiener hängte, während sie sich ihre Röcke und Blusen oftmals ungeduldig vom Körper riss und auf einen Stuhl knäulte.

Jetzt aber waren Michaels Kleider fort. Er war wohl schon nach unten gegangen, um vor dem gemeinsamen Frühstück noch ein bisschen zu arbeiten. Mit einem Seufzen schwang Friederike die Beine aus dem großen und bequemen Hotelbett mit den vielen Kissen und schickte sich an, in den Tag zu starten. Etwas verschlafen tapste sie ins Bad, der Marmorboden unter ihren Füßen fühlte sich kalt und irgendwie unfreundlich an. Das Claridge’s war mit allen Annehmlichkeiten eines Luxushotels ausgestattet. Es gab fließendes Wasser, eine Badewanne und einen großen Spiegel, in dem sich die fünfzigjährige Friederike nun kritisch musterte. Die Zeit ging nicht spurlos an ihr vorüber, um ihren Mund und über ihrer Nase hatten sich Falten eingegraben und zu ihrem Erschrecken stellte sie fest, dass ihre Schläfen ein besonders helles Blond aufwiesen. Bekam sie etwa weiße Haare?

Umso mehr Mühe gab sie sich mit ihrem Aussehen. Sie kämmte sich das kinnlange Haar, bis es glänzte, dann zog sie sich wieder die Kleider vom Vortag an – den eleganten dunklen, etwas weiter geschnittenen Rock, eine schlichte weiße Seidenbluse und die dunkelblaue Jacke mit den modisch gerafften Ärmeln – und ging dann hinunter. Auf dem Weg in das Büro ihres Mannes grüßten die Mitarbeiter sie ehrerbietig, in manchen Gesichtern meinte Friederike aber auch eine kalte Ablehnung zu lesen, die früher nicht dagewesen war. Kein Wunder. Schließlich war sie eine Deutsche und damit Feind, dachte sie traurig. Da spielte es keine Rolle, dass sie sich nach dem Vierteljahrhundert im Vereinten Königreich viel mehr als Engländerin denn als Deutsche fühlte.

»Liebling.«

Michael sah auf, als sie sein Büro betrat, umrundete seinen Schreibtisch und gab ihr einen Kuss.

»Frühstückst du mit mir?«, fragte sie hoffnungsvoll.

»Das lasse ich mich nicht zweimal fragen«, erwiderte er und reichte ihr, wie schon am Abend zuvor, galant den Arm.

Kurz darauf saßen sie einander im Frühstücksraum gegenüber und wurden von ihren Angestellten zuvorkommend bedient. Wie jeden Morgen studierte Michael die Zeitung.

»Steht etwas Interessantes in der Times?«, wollte Friederike wissen, während sie ihren Toast butterte.

»Stell dir vor, das Café de Paris wurde gestern zerstört.«

»Der sicherste Club der Stadt?«, hakte Friederike entsetzt nach, »das kann ich mir fast nicht vorstellen.«

»Doch«, erwiderte Michael, »der Club liegt zwar tief unten im Keller, aber das Kino darüber wurde getroffen und da die beiden Betriebe nur durch eine einfache Zwischendecke getrennt waren, brach diese unter der Last der Trümmerteile zusammen und verwüstete so auch das Café de Paris.«

»Wie furchtbar«, stieß Friederike hervor, griff nun selbst nach der Zeitung und überflog den Artikel. Der Journalist zitierte eine Betroffene: »Wenn ich an diesen Abend zurückdenke, fällt mir vor allem ein, dass wir beschlossen hatten, uns zum Ausgehen feinzumachen. Ich weiß keinen bestimmten Grund dafür, aber ich glaube, dass alle so sorgenvoll und bedrückt waren, dass wir dadurch auf andere Gedanken kommen wollten. Deshalb habe ich ein Abendkleid getragen. Und wir kamen gegen halb zehn Uhr ins Café de Paris, das ziemlich überfüllt war und in dem eine geradezu ausgelassene Stimmung herrschte.«

»Und dann … So viele Tote und Verletzte«, murmelte Michael bedrückt.

Friederike nickte und fragte voller Angst: »Meinst du, es wird jetzt wieder so wie letztes Jahr?«

»Als wir zweiundsiebzig Nächte lang ununterbrochen bombardiert wurden? Ich weiß es nicht«, gab Michael zu.

Friederike konnte die zitierte Dame so gut verstehen. Dass sie voller Sorge gewesen war und nach etwas Ablenkung gesucht hatte. Und dann …

Ob man sich jemals an Sorge und Angst gewöhnen konnte? Mit einem Mal musste sie wieder an die Zeit denken, die sie im Großen Krieg als Lazarettschwester an der Front verbracht hatte. Lauter junge Leben, lauter Hoffnungen, zertrümmert und zerschossen. Wie auch das Leben ihres lieben Bruders Julius. Und nun? Führte sie ein Leben in einem Land, das mit dem ihren verfeindet war. War mit einem Mann verheiratet, der de facto ein Feind war. War der Feind ihrer Nachbarn, der Feind ihrer Gäste. Zwar hatte sie noch nie direkte Anfeindungen erfahren müssen, aber Friederike fürchtete, dass sich das rasch ändern könnte, wenn dieser Krieg nicht endlich einmal ein Ende nähme. Doch das Ende war ganz und gar nicht absehbar.

3. Kapitel

Hamburg, März 1941

Maria starrte fassungslos auf den Zettel. Ihre Hände zitterten und wollten gar nicht mehr damit aufhören. In ihr breitete sich ein Feuer aus, das sie zu versengen drohte. »Ich küsse dich auf deine entzückenden Lippen«, stand darauf. Das Schreiben war nicht ihr gewidmet. Sie hatte es in einer Schachtel gefunden, in der sich zahlreiche Liebesbriefe an eine gewisse Ursula befanden. Sie wusste sofort, um wen es sich bei Ursula handelte: Seine Assistentin. Hübsch, blond, blauäugig, ein wenig drall, ganz so, wie sich Hitler ein ordentliches deutsches Mädel vorstellte. Das genaue Gegenteil von ihr, Maria. Sie hatte schon lange gewusst, dass Ursula für ihren Mann schwärmte, es aber nie ernst genommen. Und sie wäre nie im Leben darauf gekommen, dass er deren Gefühle erwiderte. Doch davon legten die Durchschläge seiner Briefe nun umfassend Zeugnis ab. Ernst fertigte von allem Durchschläge an. Er war widerlich akkurat. Als sie sich darüber einmal während eines Besuchs bei Friederike beklagt hatte, verriet diese ihr, dass Michael diese Eigenschaft ebenfalls aufwies, und gab ihr den Rat, sie anzunehmen und zu lieben. Maria gelang das nicht, was vielleicht auch daran lag, dass Ernst sie zwingen wollte, ebenfalls akkurat zu sein. Ständig verfolgte er sie, schimpfte, wenn ein Papier nicht im rechten Winkel zur Tischkante lag, und mit dieser Schimpferei übergoss er nicht nur sie in schönster Regelmäßigkeit, sondern auch ihre Dienstboten, die alle Angst vor ihm hatten, obwohl Ernst von sich glaubte, der freundlichste und beliebteste Mensch zu sein, den man sich überhaupt vorstellen konnte. Maria war schon lange unglücklich mit ihm. »Ich bin vom Wesen her eher wie eine Wolke«, hatte sie damals zu Friederike gesagt. »Ein wenig wild, ein wenig chaotisch, wenig greifbar. Ernst aber ist ein Schubladendenker. Bei ihm muss alles immer ordentlich abgelegt sein. Auch die Menschen.«

Das galt auch für seine Liebesbriefe, von denen er nun auch noch Durchschläge anfertigte. Wieder starrte sie auf den Zettel in ihrer Hand und versuchte, den brennenden Schmerz loszuwerden. Warum tat es so weh?, fragte sie sich. Warum schmerzte sie sein Verrat, obwohl er sich zunehmend wie ein echtes Scheusal verhielt und nicht einmal davor zurückschreckte, sie in aller Öffentlichkeit zu verhöhnen, zu verspotten und als dumm zu bezeichnen?

In ihrem Bauch krampfte sich etwas zusammen und sie legte ihre Hand schützend darauf. Lag es daran, dass sie ein Kind von ihm erwartete? Das Kind, das sie sich beide seit so vielen Jahren so sehnlich gewünscht hatten und dass sich nun, als sie schon nicht mehr daran geglaubt hatten, entschloss, geboren zu werden? In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und Ernst stürmte ins Zimmer. Als er sie mit dem Zettel in der Hand dastehen sah, wurde er blass. Die Wut blieb diesmal also aus, dachte Maria mit einer gewissen Erleichterung. Ernst hatte zwei Arten zu reagieren. Entweder er wurde wütend, oder er gab sich betont kühl und nüchtern.

»Du hast in meinen Sachen gewühlt.« Es war eine Feststellung. Keine Frage.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Ich wollte den Schrank neu sortieren. Du hättest dir wirklich ein besseres Versteck überlegen können.«

Mit Macht drängte sie die Tränen zurück und suchte in seinem Gesicht nach einer Regung, einer Emotion. Aber da war nichts. Dieser Mann ist eiskalt, dachte Maria nicht zum ersten Mal schaudernd. Zumindest wenn es um die Gefühle anderer geht.

»Hast du mit ihr geschlafen?«, stieß sie hervor.

Er nickte und erwiderte ihren Blick. »Ja«, sagte er schlicht.

Da fuhr es Maria so heftig in den Bauch, dass sie sich zusammenkrümmen musste.

»Was ist?«, fragte er.

»Nichts«, wehrte sie ab.

»Das glaube ich dir nicht.«

Wütend sah sie auf. Der Schmerz hatte etwas nachgelassen, der Schock auch, nun obsiegte der Ärger. Aber den würde sie ihm nicht zeigen. Er gönnte ihr keine Emotionen? Gut. Dann würde sie das auch nicht tun. Zumindest würde sie ihm diese nicht zeigen.

Sie richtete sich auf und stand kerzengerade vor ihm, als sie verkündete: »Ich bin schwanger, Ernst. Und dein Kind findet es offen gestanden nicht gut, was du da tust.«

Ernst wurde, wenn das überhaupt möglich war, noch blasser und Maria musterte ihn mit einer gewissen, fast schon seziererischen Distanz. Hatte sie ihn wirklich einmal als gut aussehend empfunden? Wobei er das, das musste sie der Fairness halber zugeben, durchaus gewesen war und immer noch sein konnte. Wenn er seine furchtbare Opa-Brille abnahm, leuchteten seine seelenvollen Augen, mit denen er so sehnsuchtsvoll dreinblicken konnte, wie eh und je. Es waren diese Augen gewesen, in die sie sich einst verliebt hatte. Riesengroß, unter dichten Wimpern. So hatte sie noch nie ein Mann angesehen. So innig, so glühend, so leidenschaftlich und so zärtlich. Die Augen sind die Spiegel der Seele hatte sie immer gedacht, als aus ihrer anfangs zarten Tändelei mehr geworden war. Inzwischen wusste sie aber, dass dieser Blick binnen Sekunden eiskalt werden konnte. Es gab Menschen, die konnten sogar mit den Augen schauspielern. Und Ernst gehörte dazu. Inzwischen trug er aber meistens seine Brille, die alle Strahlkraft seiner Augen verdeckte, sein Gesicht war teigig geworden und meist ein wenig fahl, was, wie sie vermutete, an der vielen Raucherei lag, außerdem hatte er ständig Mundgeruch.

Jetzt riss er sich seine Brille von der Nase, versuchte sich an seinem seelenvollen Blick und nahm dabei ihr Gesicht in seine Hände. »Liebling«, sagte er. »Das sind ja wundervolle Neuigkeiten.«

»Ach ja?« fragte sie. »Und was sagt Ursula dazu?«

Er winkte ab. »Ursula ist nicht wichtig. Das war nur …«

»Ja?«

»Nun, versteh mich nicht falsch, mein Liebling«, setzte er an. »Aber du weißt, Vater zu werden, war mir immer unglaublich wichtig. Und als du dann über die Jahre einfach nicht schwanger geworden bist und immer mehr Zeit verging …«

»Hast du dir gedacht, du schaffst dir eine Zweitfrau an, um es mal mit ihr zu versuchen?«, rief Maria fassungslos. »Und wenn sie dann schwanger geworden wäre, hättest du dich von mir getrennt?«

»Nun bist du ja schwanger und nicht sie«, wich er aus.

»Oh, die Zuchtstute hat ihre Pflicht getan«, rief sie wütend.

»Maria«, sagte er flehend. »Du verstehst das alles falsch.«

»Ich glaube nicht, dass es da etwas falsch zu verstehen gibt«, schnaubte sie und drängte sich an ihm vorbei. »Und jetzt lass mich in Ruhe. Ich möchte allein sein.«

So schwer es ihr fiel: Maria verbot sich die Tränen, die mit aller Gewalt nach oben drängten. Sie kannte sich gut genug, um zu wissen: Wenn sie sich diese Gefühle erlaubte, würde sie zusammenbrechen. Insofern tat sie das, was sie am besten konnte und was sie auch unbedingt tun musste: arbeiten. Das würde sie ablenken. Maria leitete die Filiale der Meister-Werke am Altonaer Hafen, auf die sie nun, immer an der Elbe entlang, zueilte. Und dort gab es mehr als genug zu tun. Sie wusste gar nicht, wo ihr der Kopf stand: 1934 hatte das Hamburger Werk zehn Mal so viel produziert wie im Gründungsjahr 1924. Und selbst jetzt in Kriegszeiten riss die Nachfrage nicht ab. Die Hochleistungsmaschinen, die während der Wirtschaftskrise stillgelegt worden waren, liefen ununterbrochen. Der Krieg hatte den Umsätzen der Meister-Werke keinen Einbruch beschert, ganz im Gegenteil. Sie kamen nicht nach mit der Produktion von Backpulver, Pudding und Stärke und verschickten die Waren nach Berlin, Ostpreußen und Schlesien und auch nach Übersee. Passenderweise hielt die Familie seit den 1930er Jahren auch erhebliche Anteile an den Reedereien HAPAG und Hamburg-Süd.

Pudding war in den Kriegsjahren ein fester Bestandteil auf den Speiseplänen, Backpulver war für viele Hausfrauen unersetzlich. Und da die Familie Meister vor langer Zeit auch eine Druckerei gekauft hatte, schufen sie sich nun auch mit dem Druck von Lebensmittel- und anderen Bezugskarten ein weiteres Standbein und produzierten in Millionenhöhe.

Im Eingangsbereich der Meister-Werke stieß sie fast mit ihrem Neffen zusammen. »Tantchen!«, rief der 25-Jährige gut gelaunt. »Wo bist du denn mit deinen Gedanken?«

Maria musste lachen. Wenn es jemanden gab, der sie aufzuheitern vermochte, dann war es in der Tat ihr Neffe. Anton war, wie Maria fand, mit seiner hochgewachsenen, muskulösen Gestalt, den unfassbar blauen Augen und dem blonden Haar, das stets etwas zu lang war und ihm in die Stirn fiel, das Ebenbild seines Vaters, der schon vor seiner Geburt in Verdun gefallen war. Maria hatte Anton schon geliebt, als dieser noch ganz klein gewesen war und auf seinen stämmigen Kinderbeinen die Welt erobern wollte. »Ria«, hatte er sie immer genannt.

Jetzt lächelte sie ihm liebevoll zu und reckte sich etwas, um ihm durch das Haar zu wuscheln. Wie sie das immer tat.

»He«, sagte er, ebenfalls wie er das immer tat, und fügte hinzu: »Das darfst auch nur du.«

»Klar«, erwiderte sie grinsend. »Tanten dürfen so was.« Dann sah sie ihn anerkennend an. »Ich finde es großartig, wie du hier mit anpackst.« Sie deutete auf den weißen Kittel und die Sackkarre, die ihr Neffe in der Hand hielt. »Andere Firmenerben wären sich dazu viel zu fein.«

Anton zuckte die Achseln. »Nach meinem Verständnis muss ein Chef da anpacken, wo Mangel ist, und Mangel haben wir zurzeit überall, vor allem aber hinsichtlich der männlichen Arbeitskräfte«, sagte er.

»Das klingt nach einem ›und außerdem‹?«, fragte Maria.

Er nickte. »Und außerdem kann ein Chef nur wirklich gut sein, wenn er seinen Betrieb bis ins letzte Detail kennt und in der Lage ist, jeden Arbeitsschritt selbst auszuführen.«

Zärtlich lächelte sie ihn an. »Bei dir wird die Firma einmal in guten Händen sein. So wie sie es auch bei deinem Vater war.«

Auf einmal war sie von vager Sorge um Anton erfüllt. Was, wenn sich die Geschichte wiederholte? Sein Vater war nicht viel älter gewesen, als er in Verdun gefallen war. Wie Julius hatte auch er bereits ein Kind gehabt – Käthe – und wie heute hatte ein schrecklicher Krieg geherrscht. Waren sich die beiden Männer etwa nicht nur zum Verwechseln ähnlich, sondern hatten auch das gleiche Schicksal?

Wieder verspürte Maria einen scharfen Stich im Magen und wieder legte sie schützend ihre Hand auf ihren Bauch. Zum Glück hatte Anton nichts bemerkt.

»Ich muss dann mal weiter«, sagte er zu ihrer Erleichterung. »Die Arbeit wartet nicht.«

»Kein Problem«, versicherte Maria und nickte ihm beruhigend zu. »Geh nur.«

4. Kapitel

Bielefeld, März 1941

Das schaffe ich nie«, stöhnte Käthe und schlug verzweifelt das Backbuch wieder zu.

»Natürlich schaffst du das«, widersprach Martha und blickte sie aufmunternd an. »Vertrau mir, ich kenne mich aus mit dem Backen. Es ist viel unkomplizierter, als es aussieht. Und ich kann dir versprechen: Es wird dich heilen. Das war bei deiner Mutter auch so. Und auch bei mir, als ich damals meinen Mann verloren habe. Das Backen hat uns Meister-Frauen schon immer getröstet. Und das wird auch bei dir nicht anders sein.«

Fragend sah Käthe sie an. »Erzähl mir mehr«, bat sie. »Nun«, begann Martha, »deine Mutter hat damals sehr um deinen Vater getrauert. Sie hat sich sogar wochenlang in ihrem Zimmer eingeschlossen. Zum Essen mussten wir sie zwingen.«

»Ja, sie hat mir davon erzählt«, sagte Käthe traurig. »Aber sie hat dann wieder mit der Arbeit in den Meister-Werken angefangen und das hat ihr geholfen.«

»Genau«, stimmte ihr Martha zu. »Aber sie hat sich nicht nur, wie heute auch, um die Arbeiterinnen gekümmert, sondern sie hat deinem Vater zu Ehren auch ein Backbuch zusammengestellt und eine nach ihm benannte Torte entwickelt. Das hat ihr sehr geholfen. Sie hatte etwas geschaffen, um Julius zu ehren.«

Käthe nickte nachdenklich. Etwas schaffen, um den Liebsten zu ehren. Im Grunde war es genau das, was ihre Großmutter zu ihr gesagt hatte. Dass es ihr half, jeden Tag hier zu sein, weil sie das weiterlebte, was sie gemeinsam geschaffen hatten. Und was im Grunde ja auch ein Denkmal für ihren Großvater war.

»Ich verstehe sie, ich würde auch gerne etwas kreieren, um Georg zu ehren«, sagte Käthe. »Etwas, das mich für immer an ihn erinnert.«

»Und was hindert dich?«, wollte Martha wissen.

»Das weiß ich gar nicht so genau«, gestand Käthe. »Vielleicht, dass ich nicht weiß, was es sein könnte.«

»Dein Georg liebte, wie du, Schokolade, wenn ich mich richtig erinnere, oder?«

Wie elektrisiert sah Käthe ihre Großtante an. »Ganz genau. Und als ich ihm zum ersten Mal Zimt unter die Nase hielt, war er begeistert und meinte, der Duft erinnere ihn an seine Kindheit. Er probierte dann meinen Schokoladenpudding mit Zimt und konnte nicht genug bekommen. Du bist die Beste!«, rief sie, mit einem Mal ganz euphorisch, und drückte Martha einen dicken Kuss auf die Backe.

»Danke für das Kompliment«, erwiderte sie lächelnd.

»Georg liebte Schokolade, Mama hat für Papa etwas mit Zitrone gebacken und Opa ist unser Vanille-König.«

»Ja?«, sagte Martha, die ihrer Nichte offenbar nicht mehr so ganz folgen konnte.

»Ich backe für das Fest eine dreistöckige Torte!«, rief Käthe triumphierend. »Für Papa hat Mama ja schon die Julius-Zitrone kreiert. Aber Opa hat noch keinen Kuchen, der ihm gewidmet ist. Den hat er aber verdient. Einen mit Vanille. Ohne ihn gäbe es das schließlich alles nicht. Und mein Georg, der bekommt Schokolade, vielleicht mit einer Prise Zimt, das schmeckt in der Kombination ganz wunderbar«, sprudelte Käthe hervor.

Martha lächelte ihr anerkennend zu. »Na, endlich ist deine alte Lebensfreude zurück. Und es ist eine wundervolle Idee. Einen Kuchen für jeden Meister-Mann, vereint als dreistöckige Torte. Das wird deine Großmutter sehr freuen.«

Doch auf einmal blickte Käthe ziemlich betreten drein. »Oder sie wird sich ärgern, wenn ich Georg zum Meister-Mann erhebe. Das war er ja nicht und besonders Großmutter war anfangs ja gegen unsere Verbindung. Sie wollte doch unbedingt, dass ich den Fürsten heirate.«

Martha schüttelte energisch den Kopf. »Das ist Unsinn und das weißt du im Grunde auch. Natürlich hätte deine Großmutter sich gewünscht, dass du Fürst Marlowski heiratest, und es war ihr ein wenig peinlich, der Familie beizubringen, dass du kein Interesse hast und lieber einen Arbeiter aus der Belegschaft ehelichen möchtest.«

»Aber«, fuhr Martha unbeirrt fort, »sie hat ja selbst unter ihrem Stand geheiratet. Und außerdem wollte sie immer nur, dass du glücklich bist.«

»Was ich jetzt ja keineswegs bin.«

»Dass Georg fiel und dich das unglücklich macht, hat doch damit nichts zu tun«, beharrte Martha. »Außerdem war Georg am Ende bei uns allen sehr anerkannt und das nicht nur, weil er dich glücklich gemacht hat. Nein, er hat sein Können unermüdlich unter Beweis gestellt und es schließlich sogar bis zum Logistikleiter gebracht. Und er hat die Beteiligungen an den Reedereien sehr vorangetrieben und deshalb konnten wir vor Kriegsbeginn Rohstoffe in großen Mengen beziehen.«

»Dann findest du es nicht unpassend?«