Zu spät - Heinrich Schaumberger - E-Book

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Heinrich Schaumberger

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Beschreibung

Ein ergreifender Dorfroman und Schaumbergers letztes Werk mit dem Hintergrund der damals grassierenden Auswanderungsbereitschaft in die Vereinigten Staaten.

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Seitenzahl: 404

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Zu spät

Heinrich Schaumberger

Inhalt:

Heinrich Schaumberger – Biografie und Bibliografie

Zu spät

Unterwegs

Unter der Kastanie

Im Kaffenetle

Nochmals im Kaffenetle

In armer Hütte

Scheiden tut weh!

»I hab' einmal ein Schätzli g'habt!«

Ein stürmischer Tag und eine wilde Nacht

Folgen

Trübe Tage

Entscheidung

Wolken

Nach Amerika

Harren in der Fremde

Zu spät

Gefunden

Wiedersehen

Daheim

Zu spät, Heinrich Schaumberger

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849634711

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Heinrich Schaumberger – Biografie und Bibliografie

Deutscher Volksschriftsteller, geb. 15. Dez. 1843 in Neustadt a. d. Heide (Sachsen-Coburg), gest. 16. März 1874 in Davos, wirkte als Volksschullehrer an mehreren Orten, seit 1869 in Weißenbrunn bei Schalkau (S.-Meiningen). Schaumbergers Gebiet ist die Dorfgeschichte auf dem lokalen Boden seiner engeren Heimat. Edle Gesinnung und sichere Darstellung der Charaktere bei schlichter volkstümlicher Sprache zeichnen seine Erzählungen aus, unter denen wir »Vater und Sohn« (4. Aufl. 1899), »Zu spät« (4. Aufl. 1895) und »Im Hirtenhaus« (7. Aufl. 1899) besonders hervorheben. In dem Roman »Fritz Reinhardt« (3. Aufl. 1881, 3 Bde.) hat S. seinen eignen Entwickelungsgang geschildert. Seine Werke erschienen seit 1875 mehrfach gesammelt, zuletzt als Volksausgabe in 2 Bänden (Wolfenb. 1905); »Sämtliche Werke«, herausgegeben von H. Möbius (Leipz. 1905, 8 Bde.). Vgl. Möbius, Heinrich S., sein Leben und seine Werke (Wolfenb. 1883); den Vortrag von E. Schreck (Bielef. 1896); H. C. H. Meyer, Heinrich S. und Rud. Köselitz. Dichter und Illustrator (Wolfenb. 1901).

Zu spät

Unterwegs

Der glühende, endlose Julitag neigte sich; aber trotzdem die Sonne nicht mehr weit vom Untergang war, brannten ihre Strahlen noch heiß herein in die tiefe, heute besonders belebte Schleifgasse. Schwerbeladene, hoch aufgebaute Heuwagen knarrten und schwankten langsam die steile Höhe hinan; feiner, grauer Staub quoll unter den knirschenden Rädern hervor, wirbelte in dünnen Wölkchen durch die heiße, unbewegte Luft und verwandelte das frische Grün der Eichen- und Haselbüsche an den steilen Wegrändern, von deren äußersten Zweigen lange Heufahnen herabwehten, in ein eintöniges, mißfarbenes Grau. Aber trotz der glühenden Hitze, trotz des erstickenden Staubes schritten die Bauern vergnüglich neben den Wagen dahin, qualmten dicke Rauchwolken aus ihren kurzen Pfeifenstummeln, selten einmal mit den Hemdärmeln den Schweiß aus den roten, verbrannten Gesichtern wischend – Hitze, Staub und Schweiß gehören ja zur Heuernte, je ärger die Sonne brennt, desto besser. Im Schatten der Wagen folgten die Frauen und Mädchen, die langen Rechen auf der Schulter, die längst geleerten Brunnstützen in der Hand, jedes irgend entbehrliche Kleidungsstück lässig um den Leib geknüpft. Fröhlich lachten die roten Gesichter aus den hellen Tüchern, welche sie zum Schutz gegen die Sonne um den Kopf gewunden hatten; trotz der Ermüdung waren die Zünglein wacker in Bewegung, oft, besonders dann, wenn junge Burschen mit ihrem Gefährt vorbei kamen, versteckten sie kichernd die Gesichter hinter ihre Schürzen.

»Weich' aus, Paule!« rief der Veitenbauer, eine hagere, etwas gebeugte Gestalt mit roten, fließenden Augen im verkniffenen Gesicht, seinem Sohn zu, als am oberen Ende der Schleifgasse unter dem Hexentor, zwei ins Kreuz gewachsenen Vogelbeerbäumen, dichte Staubwolken aufstiegen und Hufschlag eilender Rosse hörbar wurde. »Weich' aus! Der Türkenfritz fährt einmal wieder wie ein Narr; möcht' wissen, ob der auch noch gescheit wird!«

Bei dem Namen Türkenfritz fuhr das Veitenbärble, die hinter dem Vater dreinging, erschrocken zusammen und schmiegte sich so dicht an den Wagen, als wolle sie um alles in der Welt nicht von dem Genannten gesehen sein. Im vollen Rosseslauf, von Staubwolken umhüllt, rasselte auch richtig ein Leiterwagen herab, aber trotz der rasenden Flucht war die Warnung des Veitenbauers überflüssig gewesen, denn der schlanke Bursche, der lachend vorn auf dem Leiterwagen stand, hielt die schnaubenden Pferde fest im Zügel und wich jedem Hindernis gewandt aus. Schon von weitem faßte er die Veitenleute scharf ins Auge; als ihn aber nur die Mutter begrüßte, verschwand das Lächeln von seinem Gesicht; trotzig knallte er mit der Peitsche, daß die Pferde hinten und vorn ausschlugen, und es schien ihm Freude zu machen, wenn die Fußgänger erschrocken vor den schäumenden Tieren hinter die Bäume am Weg flüchteten.

 »Kreuz, Hagel! Bist du verrückt?« schrie ein Bursche zornig, den hinter der Grundmühle, nach der scharfen Biegung des Weges, nur ein rascher Seitensprung vor den Hufen und Rädern rettete. »Ist das eine Manier zu fahren? Mußt du mit deiner Tollheit die Leute in Gefahr bringen?«

Fritz war selber heftig erschrocken, zügelte sein Gespann ein und brachte nach vieler Mühe die aufgeregten Tiere zum Stehen. »Wo willst hin?« rief er ziemlich kleinlaut nach dem Burschen zurück, der in Sonntagskleidern, mit einem Paar neuer Stiefeln über der Schulter, rüstig dahinschritt.

»Nach Grumbach – was fragst?«

»So mach' voran, kannst bis in die Erleswiesen mitfahren.«

Das ließ sich der Bursche nicht zweimal sagen, kletterte, während die Pferde schon wieder anzogen, auf den Wagen, lehnte sich neben Fritz, der noch immer frei stand, an die Wagenleiter, schlug sich Feuer und meinte. »Was ist mit dir? – Siehst ja ganz desperat aus!«

»So? – Ist dir's den ganzen Tag lacherig?«

»Nu – man braucht deswegen auch kein Gesicht zu machen, wie die Katz', wenn's donnert! – Holla! – ich hab's! – Ha ha – 's ist von wegen dem Bärble! – Daß mir das nicht gleich eingefallen ist!«

Das Lachen verdroß aber Fritz gewaltig; grob fuhr er seinen Kameraden an: »Bist ein Donnerskerl! Hörst das Gras nicht auch noch wachsen?«

»Huhu! – friß mich nur nicht! – Meinetwegen kannst du heulen oder lachen – 's ist mir ganz egal!«

Eine Weile war es still auf dem Wagen; der Bursche, dessen gedrungene Gestalt und schwielige Ballen der Hände den Schuhmacher verrieten, machte sich mit seiner Pfeife zu schaffen; Fritz schwippte unmutig mit der Peitsche und ward noch verdrießlicher, da ihm kein Doppelschlag gelingen wollte. Unterdessen rollte der Wagen langsam auf der hochgelegenen Landstraße hin, von der man den weiten Werthagrund überblicken konnte. Die Sonne stand dicht über den Tannen des Kulms, ihre schrägen Strahlen vergoldeten die Erlen und Pappeln drüben am Fluß, deren Schatten sich endlos über den dunkelgrünen Rasenteppich breiteten. Trotz der weit vorgerückten Tageszeit waren die Wiesen noch voll fleißiger Menschen, die in fröhlicher Arbeit, vom Abendsonnengold umflossen, durcheinanderwimmelten. Hohe, turmartig aufgebaute Wagen fuhren zwischen langen, niederen Heuhaufen dahin, die alle noch droben Platz finden sollten; an anderen Stellen schichteten die Mädchen das halbtrockene Gras auf kleine Schober, ihre roten Halstücher, die kurzen, weißen Hemdärmel leuchteten, und nicht selten blinkten auch die durch langen Gebrauch polierten Rechenstiele wie Metall! Dazwischen tummelten sich jauchzende Kinder, Hunde jagten spielend umher, und von da und dort klang die Sense eines einsamen Mähders. Der leichte Abendwind brachte wohltuende Kühlung und trug süßen Heugeruch das Tal herab. Aufatmend sagte der Schuhmacher: »'s ist doch eine Gottespracht in der Welt, absonderlich in unserem Bergheim. Bin weit 'rum 'kommen draußen, aber so hab' ich's nirgends 'funden. – Ja, Bergheim ist eben Bergheim! – Und nun noch das Wetter! – Ich mein', euch Bauern müßte das Herz im Leib' lachen; solche Ernte ist lange nicht dagewesen.«

 »Ja, 's hat sich was zu lachen!« murrte Fritz. »Wir Bauern sind die geplagtesten Leut' auf Gottes Erdboden. Kommt ein Mißjahr, können wir verhungern; geraten aber einmal die Früchte, gleich fallen Vieh und Getreide im Preis, und wir haben uns wieder vergeblich geschunden!«

»Ja 's ist ein Jammer, was sich so ein Jahr über für Großbauern zu Tod schinden, und zuletzt sterben sie obendrein noch Hungers!« höhnte der andere. »Fritz, du bist ein ganz miserabler Kerl! Wirst du denn nicht einmal genug kriegen?«

Fritz biß in voller Verlegenheit den Knoten an seiner Peitschenschnur ab; gern hätte er dem Kameraden heimgezahlt, aber er wußte, daß er gegen diesen doch nichts ausrichtete. Lachend und singend kam ein Schwarm Mädchen die Straße herauf, und als sein Begleiter die Hand als Schirm gegen die blendenden Sonnenstrahlen über die Augen hielt und scharf nach den Mädchen auslugte, sagte Fritz: »Ja, ja – sie ist's – ich seh's deutlich! Hör', Bernhard,« fuhr er fort, während die Pferde in ein Seitental einbogen und mit hochgehobenen Schwänzen durch den Sumpf am Quellrangen wateten, »hör', aufrichtig: Bist du und dein Dorle auch so oft bös zusammen?«

Bernhard sah dem Frager lachend in die Augen und meinte bedächtig: »Du fragst verfänglich! – Freilich, ganz glatt geht's auch nicht ab – aber solche Geschichten, wie bei euch – Gott bewahr' uns! – Nein, davon wissen wir nichts!«

»'s ist eine Not mit den verdrehten Mädlen!«

»Ja – wie man's treibt so geht's und wer ins Wasser schlägt, muß sich nicht beklagen, wird er bespritzt!«

 »Ich dacht', so wird's kommen, nu werd' ich doch wieder das Kind erbissen haben! – Auf mich kommt alles 'naus!«

»O du gerechter Strohsack! Ich glaub' gar, du möchtest dich weiß brennen? – Na, nu sag' ich nichts mehr!«

»Man könnt' auch wunder denken, was ich verbrochen hätt',« entgegnete Fritz gezwungen leichtfertig. »'s war ein Spaß, weiter nichts, und wenn das Bärble so gar abstenat sein will – meinetwegen auch, deswegen reiß' ich mir nachher den Kopf nicht 'runter!«

»Meiner Seel', Fritz, daß du dir um irgendeiner Sach' willen den Kopf abrissest, darum war's mir noch nicht leid!« lachte Bernhard. »Du bist und bleibst eben der Türkenfritz! – Spaß! – O du armes Mädle, du! – Fritz, im Ernst, es wär' das beste, du ließest von ihr, 's ist ja schändlich, wie du sie zum Narren hast! Erst schwätzst du ihr den Kopf voll von der Theaterfahrt, ruhst nicht, bis sie einwilligt, mitzufahren, und wie nachher Gott den Schaden besieht, hast du noch zwei andere Mädle dazu bestellt. – Pfui Teufel! – 's hat sich alles in mir gedreht, wie ich in Ditterswind die Hämpelsmädle auf den Wagen loskommen sah; hätt' ich's nicht dem Bärble zulieb getan, keinen Schritt wär' ich weiter mitgefahren. Und heut noch vergeß ich nicht, wie das arme Mädle an allen Gliedern zitterte, wie ihr die Tropfen über die Backen 'runter kugelten! – Aber g'freut hat mich's in die Seel' 'nein, wie dich zuletzt die Hämpelsmädle heimschickten – so war's recht!«

»Du bist auch ein feiner Kamrad!« knurrte Fritz. »Aber was frag' ich nach den Hämpelsgänsen, die sind mir ja noch lange nicht gut genug!«

»Zum Heiraten, aber zum Theaterfahren sind sie recht! – Fritz, um dein bißle Verstand war mir's lang leid, daß er so gar unnütz in der Welt umhergetragen wird – jetzt seh' ich, das war vergeblich!«

»Was soll das bedeuten?«

»Nichts, mir ist bloß klar geworden, daß du Häckerling haben mußt, wo andern Leuten das Gehirn sitzt.«

»Potz Dunnerschlag! Ich laß mir viel gefallen, was aber zu arg ist, ist doch zu arg! – Jetzt sag', was soll das heißen?«

»Daß du ein dummer Narr bist, wenn du's grad wissen mußt! – Ist's erhört, daß sich noch einer mit seiner Schand groß macht, den Hochmütigen spielt, wo er sich zu Tod schämen sollt? Siehst du's denn nicht, daß du diesmal radikal verspielt hast? Die Hämpelsmädle sind Gift und Galle auf dich – und 's Bärble – dasmal ist sie ernstlich bös, darfst mir's glauben!«

»Das Bärble? – Darüber lach' ich! Was will denn die? – Solch ein armer Schlucker muß froh sein, wenn sie ein Bursch, wie ich, nur anguckt!«

»So! – Ei da soll gleich ein Himmeldonner 'neinschlagen! – Halt' still – ich will 'runter, sonst passiert noch was! Du bist ja ein erbärmlicher Kerl! – Halt' still, sag' ich! – Im kleinen Fingernagel bedeutet das Mädle mehr wie du, so lang du bist, du großmäuliger Hochmutsnarr! Und nimm dich vor mir in acht! Alle Knochen schlage ich dir zusammen, hast du sie noch einmal zum Narren!«

Damit sprang Bernhard vom Wagen und verschwand in den Büschen des Erlenbaches. Verblüfft schaute ihm Fritz nach, kraute die militärisch kurz gehaltenen Haare und überließ seine Pferde trotz der weit vorgerückten Zeit sich selber. Es war ja nicht das erstemal, daß ihm sein Schulkamerad, der Schustersbernhard, derb die Meinung gesagt hatte, – aber heut war es doch gar zu arg. Der Bauernstolz regte sich in Fritz. – Wie konnte sich solch ein armer Schlucker an ihn, den reichen Bauerssohn, rechnen? Obendrein, was gingen ihn seine Sachen an? Wer hieß ihn, sich zum Beschützer des Veitenbärble aufwerfen? – Aber doch wollte es ihm nicht gelingen, so recht in Zorn zu kommen! Bernhards Worte waren zu ernst, um sich bloß darüber zu ärgern, Fritz empfand ihre Wahrheit, und das machte ihm eine merkwürdige Unruhe. Auch die Drohung ging ihm im Kopfe herum, hatte doch Bernhard bei mehr als einer Gelegenheit gezeigt, daß es ihm Ernst war mit dem, was er sagte. So leichtfertig er sich auch gestellt, in Wahrheit war er tief erschrocken, als er hörte, Bärble sei ernsthaft böse. Bisher hatte er noch immer über die Theaterfahrt gelacht – jetzt ward ihm die Geschichte außer Spaß. Wieder kraute er sich die Haare; – mußte es ihm denn stets so gehen? Wenn er meinte, einen Hauptstreich auszuführen, über den alle Welt erstaunen müsse – immer kam's als lästerliche Dummheit heraus, und statt Ehre und Ansehen, brachte es ihm nur Schaden und Schande! – Fritz kam in eine gewisse Rührung über sein Mißgeschick. Unstreitig war er der erste Bursch der ganzen Gegend; wenn auch nicht an Reichtum, aber an Schönheit, Gescheitigkeit, Witz und Stärke tat es ihm kein Bursch zuvor – und doch ward er überall verlacht, verspottet; hätte ihm nicht sein Geld zu einigem Ansehen verholfen, kein Mensch würde nach ihm gefragt haben. Woran das lag? – Ja, freilich, das war eben sein Unglück, ihm ging alles krumm! Wie herrlich hatte er sich nicht die Theaterfahrt ausgemalt, wie pfiffig, wie fein hatte er alles ins Werk gesetzt, – und wie war ihm seine Freude ins Wasser gefallen! Die Mädle werden gucken, hatte er gerechnet, wenn sie sehen, wie ich mit Schätzen versehen bin; sie werden sich um mich bemühen, mir schön tun, – da hab' ich so recht das Gereiß und sitz' im Glück, wie das Veigele im Rosengarten. – Und wie ging's? – Die Hämpelsmädle rümpften die Nasen, als sie das Veitenbärble erblickten, und gönnten ihm kein Wort; beim Abschied schlugen sie obendrein einen Lärm auf, daß ihm angst und bang wurde, die Ditterswinder könnten aufwachen und seine Schande vernehmen; zum Schluß hatten sie ihm gar gedroht, er solle sich vor ihrem Dorf in acht nehmen, lasse er sich einmal da blicken, wollten sie sorgen, daß ihm ohne Laterne heimgeleuchtet würde. Und Bärble? – Ja, die war nicht aus dem Weinen herausgekommen, nicht mit ihm ins Theater gegangen, und nachts samt dem Dorle, der Beckenmagd, in Ditterswind heimlich vom Wagen gesprungen und hatte ihn allein mit dem Bernhard heimfahren lassen. – War denn das erlaubt? – Und nun mußte er sich deswegen noch von Bernhard grob behandeln lassen, das Bärble wich ihm sichtlich aus – mit Schrecken gedachte er an den festen Willen des Mädchens – 's war wirklich zu arg, so schlecht, wie ihm, mußte es noch keinem Menschen gegangen sein. – Ganz recht hatte er ja freilich nicht gehabt; 's war dumm, daß er die Mädle zusammenbrachte – wäre er einzeln mit ihnen ins Theater gefahren, das hätte ein Vergnügen gegeben, und kein Mensch konnte was dagegen sagen, – aber die Strafe war auch zu hart. Trübselig kaute er an seiner Peitschenschnur und knurrte: »Wer 's Malheur hat, der hat's eben!«

Aber diese Niedergeschlagenheit hielt nicht lange vor; der Gedanke richtete ihn mächtig auf: »Was da, was dort! Ich bin doch der Türkenfritz! 's ist ja nicht das erstemal, daß ich in der Bredulg sitz'! – Meinetwegen mögen die Leut' sagen, was sie wollen, ich bin doch der Türkenfritz und bleib' der Türkenfritz, und nach der Zeit kommt wieder eine andere! Das Bärble bring' ich 'rum, das hat keinen Streit, und den einfältigen Bernhard lach' ich aus! – Und wart't nur, ihr Bergheimer, ihr wißt gar nicht, was ihr an dem Türkenfritz habt, das ist einmal einer! Komm' ich nur erst dazu, mich so recht auszulassen, ergibt sich eine Gelegenheit – Dunnerschlag, 's ganze Dorf soll Maul und Augen aufreißen! Nachher will ich aber sagen: ›Ja, das kann der Türkenfritz – macht's nach!‹ Das sag' ich.« – Mit leuchtenden Augen streckte er die Schulter, straffte die Arme und ballte die Fäuste. Am liebsten hätte er gleich auf der Stelle so was recht Großes, Unerhörtes, in die Augen Springendes vollbracht! – »Herrgott,« sagte er, »wär' jetzt eine Gelegenheit da!! – Na, meine Zeit wird schon auch noch kommen, und dann, und dann!« Ein kräftiger Peitschenknall schloß als vielsagendes Ausrufungszeichen den Satz.

Fast fuhr er erschrocken zusammen, denn jetzt erst merkte er, daß seine Pferde, klüger wie ihr Lenker, den rechten Weg eingehalten und die Wiese erreicht hatten. Ein Blick auf die wartenden Eltern sagte ihm, daß vorläufig seine Zeit noch nicht gekommen, und als er endlich auf der Wiese hielt, drohte der Vater mit der Faust, die Mutter aber stemmte beide Arme in die Seite und rief: »Bist's denn wirklich? Gottes Wunder, wo kommst her? Von Bamberg oder von Triptstrill? – Ein andermal binden wir dir einen Sessel auf den Wagen, daß du nicht 'runter fällst, wenn du einschläfst. – Wär' die Schand' nicht allzu groß, ich könnt' dich auf dem Fleck da ohrfeigen! Plagen wir uns bis auf's Blut, das Heu noch vor Taufall unter Dach und Fach zu bringen, und der Strick da schlenkert in der Welt herum, als wären Wagen und Pferde nur zu seinem Vergnügen da!«

»Potz Christoph von Nordheim! sag' ich's nicht?« keifte der Türkenhenner, ein verhutzeltes Männchen. »Großtun, ins Theater fahren, faullenzen – das ist dem Musje seine Sach'! Ich wollt' wetten, der hat wieder eine Dummheit ausgeheckt und darüber alles vergessen!«

Das Kichern der Mägde trieb Fritz das Blut ins Gesicht, zornig schrie er: »Potz Dunnerschlag, macht's nur nicht gar zu arg. Ich bin gefahren, was die Pferde laufen wollten!«

»Lüg' du!« fiel ihm sein jüngerer Bruder Gottfried ins Wort. »Jawohl, was die Pferde wollten! Wären die nicht g'scheiter gewesen wie du, wer weiß, wo ihr hingeraten wär't. Du wirst dein Lebtag kein Bauer! Herrgott, hätt' ich deine Kräfte, ich wollt' einen andern Kerl darstellen! – Jetzt nicht gebrummt! Aufgepaßt droben! – Läd'st du nicht ordentlich, werf' ich dich vom Wagen!«

Fritz schämte sich vor den Mädchen, noch mehr vor dem Bruder, der, seit seiner Kindheit schwach und kränklich, ihn dennoch an Fleiß und Ausdauer weit überholte, von seiner Umsicht und Bedachtsamkeit gar nicht zu reden. Scheltend gingen die Eltern heim; während des Gehens warf der Türkenhenner seine Arme seltsam durcheinander, von weitem sah es fast aus, als wolle er einen unsichtbaren Feind abwehren.

Fritz hatte auf dem Wagen nicht Zeit zum Nachdenken. Gottfried warf ganze Haufen Heu hinauf und deckte ihn fast damit zu – so schämte er sich einstweilen ohne weiteres Sinnen. Nur wenn er die Mägde kichern hörte, biß er ein Stück von dem Grasstengel in seinem Mund ab und spie es zornig aus. In allerkürzester Zeit stand das Fuder fix und fertig, Fritz sprang herunter und schnauzte die lachenden Mädchen an: »Was steht ihr da und habt Maulaffen feil? – Marsch – heim, an die Arbeit!« Als Gottfried dem Wagen folgen wollte, schrie er: »Brauch' keinen Aufpasser! Bin ich gleich kein Bauer, ein Fuder Heu führ' ich noch allein heim!«

»Mir recht, daheim ist so alles liegen 'blieben!« war die ruhige Antwort. »Am Quellrangen gib Achtung, 's ist ein böser Fleck!«

»Ha, himmeltausend! Bin ich ein dummer Junge?« brauste Fritz auf. »Noch so ein Wort – und ich werf' dir die Peitsche vor die Füße und geh' auf und davon, mögt ihr dann zusehen, wie ihr zurechtkommt!«

»Ho ho – nur stet! Deinethalben bleibt keine Arbeit liegen, das solltest du wissen!« Damit ging Gottfried davon.

Verdutzt blickte Fritz dem Bruder nach; – war denn heute der Teufel los? Fluchend trieb er die Pferde an und schimpfte auf dem Weg: »'s ist nicht zu ertragen, wie mir's geht, ein Malheur jagt das andere. Daß mich meine Alten so 'runtergehunzt haben, das ist wieder ein Gaudium für meine Gesellschaft – vier Wochen geht's fort: ›Fritzle, ist dein Sessel noch nicht fertig‹ Und das Lachen von dem Mädlesvolk – 's ist, um mit Fäusten drein zu schlagen! Ich hätt' auch die Mägde nur so erwürgen können, wie sie die Mäuler aufrissen, daß ihnen ja kein Pipserle entgeht und sie die Geschicht' recht breit treten können! – – Hü, Brauner!« schrie er und sprang auf die Deichselbäume, als er den Sumpf am Quellrangen erreichte.

Mochte nun der plötzliche Zuruf und das Schlagen der Deichsel den Sattelgaul erschreckt haben, oder scheute er vor der spiegelnden Wasserfläche – mit gewaltsamem Ansprung drängte das Tier gegen den Quellrangen hinaus, das rechte Vorderrad stieg am steilen Rand in die Höhe, der schwer beladene Wagen geriet in bedenkliches Schwanken, und Fritz konnte nur mit Mühe seinen Platz behaupten. Zum Glück kamen ihm die Zügel, die an die Wagenleiter befestigt waren, in die Hand, mit kräftigem Ruck riß er die Pferde zurück und seinem freundlichen Zureden gelang es, sie zu beruhigen. Als er sie erst wieder fest in den Zügeln hatte, war die Gefahr vorüber, und er erreichte ohne Unfall die Straße.

Aufatmend wischte er sich den Schweiß von der Stirn und murmelte: »So! – das hätte g'rade noch gefehlt – in der Nacht ein Fuder Heu ins Wasser zu werfen, obendrein am Sonnabend! Vor keinem Menschen hätte ich mich mehr sehen lassen dürfen. O, ich!! Der Gottfried hat recht, ich werd' mein Lebtag kein Bauer, ich bleib' ein tappeter Hansgradzu! – 's ist zum Lachen, was ich mir herwärts eingebildet hab', und jetzt muß ich heimschleichen wie ein begoss'ner Hund! – Und erst gar die Geschichte vor acht Tagen! – Die Haare möcht' ich mir ausreißen! – Was will ich eigentlich, und wo soll's noch 'naus? Was nützt Geld und Gut, wenn man der Mann nicht dazu ist? Das Bärble, die paßt für mich und keine andere, die macht vielleicht noch was aus mir! Gott sollt' ich danken, daß solch ein Mädle was von mir wissen mag! – Ob's wirklich ihr Ernst ist? Zuzutrauen wär's ihr wohl! – Ach du lieber Gott, wenn sie nur diesmal kein dummes Zeug macht und sich belehren läßt, von heute an will ich ja gewiß und wahrhaftig ein anderer Kerl werden!«

Unter der Kastanie

Samstag abend ist für einen Bauernhof eine arbeitsvolle Zeit; besonders in der Heuernte, wo alle Hausbewohner den Tag über auf der Wiese beschäftigt sind, gibt es abends viel zu schaffen, und es ist oft schon weit in der Nacht, ehe der Hof zur Ruhe kommt. Auch im Veitenhof, der etwas abseits vom Dorf drüben über dem Bach einsam in seinen Baumgärten liegt und etwas vernachlässigt aussieht, geht es lebendig her. Die älteren Brüder sind eifrig daran, einen Futtervorrat auf morgen herzurichten, die Ställe gründlich zu reinigen, das Vieh zu striegeln und zu bürsten. Die jüngeren Buben – der Veitenbauer ist mit äußerst zahlreicher Nachkommenschaft gesegnet – müssen zuerst den Ochsen, Kühen und Kälbern die Schwänze auswaschen, sodann ziehen sie mit sämtlichem Schuhwerk der Hausgenossenschaft hinab an den Bach, auch dieses gründlich zu reinigen – was es, beiläufig bemerkt, gar wohl bedarf, denn Stiefel und Schuhe werden nur jeden Sonnabend gewaschen, am Sonntagmorgen sodann mit Fett eingerieben und geschwärzt, dann müssen sie eine Woche lang aushalten. Im Kuhstall eilen die Mädchen hochgeschürzt auf und ab; Bärble, die sonst hier das Regiment führt, ist nicht zu erblicken, dafür geht die Mutter sorgsam ab und zu, damit auch heute dem Vieh sein Recht wird. Der Veitenbauer sitzt schon lange im Wirtshaus – er konnte kaum das Abendessen abwarten – und so hat Bärble im Haus freien Raum für ihre Tätigkeit. Die Tische, Bänke und Stühle sind mit weißem Sand abgerieben und stehen auf einem Haufen im Hausplatz, auch die Fensterscheiben hat sie hell geputzt – jetzt richtet sie eine greuliche Überschwemmung in der Stube an, eine halbe Bütte Wasser gießt sie auf einmal aus und kratzt und fegt mit einem Birkenbesen eifrig in der Sintflut herum. Endlich trocknet sie die schwarze Brühe auf, überspült den Fußboden noch einmal mit reinem Wasser und bestreut ihn mit seinem weißen Sand. Ehe sie die Geräte wieder in die Stube räumt, in der es jetzt sonntäglich sauber aussieht, haben die Brüder noch die Messingbeschläge der Geschirre geputzt und sie neben den Stalltüren in Reihe und Glied gehängt, die kleinen Buben schoben Wagen und Pflüge in Ordnung, und die jüngeren Schwestern rieben im Bach die Bütten und Gelten mit knirschendem Sand ab. Ehe noch völlige Dunkelheit eintritt, ist die Sonnabends-Arbeit vollbracht, das junge Volk sucht müde die Betten auf, die älteren Brüder brennen ihre Pfeifen an und schlendern ins Dorf zu ihren Kameraden. Bärble aber huschte auf ihre Kammer. Nach einem kalten Bad zöpfte sie die Haare neu, schlüpfte in die Sonntagsgewänder, suchte ihr Strickzeug und ging langsam hinab in den Hof. Sie mußte im Anfang viel leiden wegen der Gewohnheit, sich am Sonnabend noch umzukleiden; die Eltern brummten, die Geschwister schalten über Stolz und Hoffart, zuletzt aber hatte sich die Mutter ihrer angenommen, und so ließ man Bärble gewähren. Eben stieg der Mond hinter den Bäumen im Garten empor, als sie durch die Hecke von Jelängerjelieber und Blutnüssen, die im weiten Kreis den mächtigen Kastanienbaum im Hof umgaben, schlüpfte, das einfache Bänkchen sorgfältig abwischte und sich dann seufzend niedersetzte. Es war still ringsum, nur der Bach rauschte und murmelte nicht weit vom Hof, und drüben vom Dorfbrunnen tönte dann und wann ein lautes Lachen herüber. Bärble strich ihre Schürze glatt, fühlte sich wie neugeboren in der frischen Wäsche und freute sich heimlich der wohlverdienten Ruhe, während drüben im Dorfe die Haustöchter und Mägde noch am Brunnen stehen mußten. Dabei regte sie fleißig die Hände, und während sie Masche um Masche verknüpfte, standen auch ihre Gedanken nicht still. Bald lächelte sie nicht mehr; als ein Mondstrahl durch das dichte Blätterwerk den Weg bis zu ihr fand, schimmerte eine Träne in ihrem Auge.

In ihrer Versunkenheit überhörte sie die leise näherkommenden Schritte, erst als sich ihr plötzlich zwei Hände über die Augen legten, schrie sie erschrocken auf. Gleich darauf aber rief sie: »Ach, was bin ich doch dumm! Geh' nur, ich kenne den Schleicher! – Wie du mich erschreckt hast, du bös', gut's Mädle! Komm', Dorle, setz' dich zu mir!«

»Und schon wieder Wasser in den Augen?« sagte eine klare Stimme. »Bärble, Bärble! Wo soll das noch 'naus?«

»Komm', setz' dich,« erwiderte Bärble ausweichend. »Wie hast du's nur angefangen, so bald loszukommen?«

»Ja, 's heißt eben sich fix drehen!« lachte Dorle, die große Beckenmagd, und zog ihr Gestrick aus der Tasche. »Und du schon wieder so sauber! – Lieber Gott, wenn ich's nur so weit hätt', daß ich mir wenigstens die Haare machen könnte! – Hu – das würde einen Lärm geben bei meinen Haustöchtern, wollte sich eine Magd so was unterstehen!«

»Es hat eben jeder Mensch seine Plag'!« seufzte Bärble.

»Ja, aber mit Unterschied. 's gibt zweierlei Plag'; eine, das ist die richtige, wer die auf dem Rücken hat, der weiß, was das Leben besagt; die andere dagegen macht man sich selber, meistens vergeblich, und d'rum meine ich, die darf man gar nicht mitzählen.«

»Du meinst, das ist mein Fall? – Du lieber Gott, hättest du recht, wer wäre froher als ich?«

»Ja, das ist das Verkehrte, daß man sich einbildet, die gemachte Plag' wär' eine wirkliche. – Bärble, hör' einmal auf, dich zu sorgen und zu grämen, der Fritz ist's wahrhaftig nicht wert! Laß ihn laufen, den Hansdampf, du bleibst nicht am Weg liegen.«

»Darum ist mir's nicht!« sagte Bärble leise und ließ ihr Strickzeug in den Schoß sinken. »Ach, das ist ja das Elend, ich kann nicht von dem Türkenfritz lassen, und wenn ich tausendmal einseh', er ist mein Unglück – ich kann nicht!«

»Bist ein wunderlich's Ding!« entgegnete Dorle kopfschüttelnd. »Kann dich nicht verstehen! 's weiß der liebe Gott, der Bernhard ist mir doch auch lieber wie's eigne Leben, – aber wenn ich ihn nichts mehr estimieren könnt', wenn er mir nur halb antät', was dir der Fritz schon zugefügt hat – und müßt' ich darüber sterben: ich gucket' ihn nimmer an!«

»Hast gut reden!« schluchzte Bärble. »Du weißt eben, so was kann dein Bernhard gar nicht.«

Eine Weile war es still unter der Kastanie; drunten murmelte das Bächlein, ein Nachtvogel strich langsam über den Hof, der höher steigende Mond übergoß Haus und Bäume mit seinem Silberlicht, dann und wann streifte ein Strahl die beiden Mädchengestalten unter der Kastanie und glänzte in den Tränen, die auf Bärble's Wangen standen. Leise seufzend begann Dorle, wie zu sich selber sprechend: »Seid wunderliche Menschen, ihr Reichen! Ihr könntet's gut haben, 's ist Euch so leicht gemacht, braucht nur zuzugreifen, so habt ihr das Glück, und doch quält und plagt ihr euch – so vergeblich! Wüßtet Ihr, wie schwer das Leben ist, muß man's alle Tage neu verdienen; müßtet ihr auch jedes Lümple Kleidung, jede kleine Notdurft erst mit eurem Schweiß bezahlen: Ihr würdet bald vernünftig werden! – Du lieber Gott! wie lang sind ich und der Bernhard schon einig, wie sehnen wir uns nach einem eignen Haushalt – und immer fehlt's am Besten, immer heißt's: Geduld haben! – So gehen die schönsten Jahre hin, eines nach dem andern, und wer weiß, ob nicht zuletzt all' unser Mühen doch vergeblich war!«

»Ihr habt den Trost, daß es nicht an Euch gelegen; – was soll dagegen ich sagen? Armut ist ja freilich traurig, aber was der Reichtum für Glück bringt, siehst du an mir. Ach wär' der Fritz arm, blutarm, aber brav und ordentlich, – ich wollt' ja warten, so lang's sein müßt', wollt alles ertragen, und keine Klage sollt' über meine Zunge kommen, hätt' ich doch eine Hoffnung. – Aber so! – Ach, Dorle, wofür bin ich auf der Welt?«

»Bärble, du weißt nicht, was du sagst! Iß nur dein Brot unter fremden Leuten, häng' nur immer von anderen ab, die dich weniger besser achten als ihr Vieh, – du verstehst nicht, was es heißt, tagtäglich im Geschirr stehen und gar nie dein eigen sein! – Bist nicht selber schuld an deinem Jammer? Könntest's so gut haben, jeden Tag freien – gibt's denn 'nen rechtschaffenern, ansehnlichern Burschen wie den Grundmüllersjakob? Und durch ein Feuer ging er dir, auf den Händen trüg' er dich!«

»Hab' ich mir alles wohl hundertmal gesagt, – aber was hilft's. Der Fritz ist mir einmal ins Herz gewachsen, schon von klein auf war er mir der liebste unter allen Buben, – was hilft's Reden? – Ich hab' ihn eben einmal gern, – und hing meine Seligkeit davon ab, einen andern nehm' ich nicht – nie und nimmermehr!«

»Mit dem Jakob hättest du ein bess'res Leben!«

»Bess'res Leben, wenn einem das Herz aus dem Leib genommen ist? – Geh', Dorle, du redest nicht aufrichtig, – oder du hast deinen Bernhard kein Linsele gern!«

»Du wirfst dich weg!«

»Dorle – verzeih' dir's Gott! das hat weh' getan!« rief Bärble und blickte mit großen Augen auf die Freundin. »Nein, Dorle, das verdien' ich nicht! Und sollt' ich sterben, wegwerfen tu' ich mich nicht! – – Dorle, er wird kommen, wird wieder ausgleichen wollen, – steh' mir bei, red' ihm ernsthaft ins Gewissen, du kannst's besser wie ich; mir tut das Herz allzu weh, muß ich ihm ein bös' Wort sagen. Steh' mir bei, er muß ernstlich versprechen, daß er anders wird, so kann's nicht gut tun!«

»Das ist ja eben mein Reden! Hab' ich's nicht immer gesagt? Du bist zu gut, viel zu gut und untertänig! Wärst du früher ernsthaft aufgetreten, jetzt ständ's gewiß anders; so leichtsinnig der Fritz ist, solch' ein Hasenfuß ist er auch. Zehnmal steck' ich ihn in den Sack, bin ich gleich nur ein Mädle. Sei jetzt gut, vor mir hast du Ruh', ich seh', dir ist doch nicht zu helfen, aber den Fritz – nimm mir's nicht übel – den Fritz – aber ich will lieber nichts sagen. Tu' mir nur den einz'gen Gefallen und sei nicht gleich so weichherzig, laß ihn einmal zappeln, der läuft dir nicht davon.«

»Ach, Dorle, mir ist's so weh, so weh im Herzen, – gib acht, das nimmt noch ein traurig End'!« weinte Bärble heftiger und verbarg ihr Gesicht an der Brust der Freundin. Dorle ließ sie still gewähren, sie wußte keinen Trost, dazu war ihr eigenes Herz schwer genug. So ging die Zeit hin; als die Turmuhr halb zehn verkündete, zuckte Bärble zusammen, allein Dorle flüsterte: »Sei still – horch! – er kommt! – Laß mich nur machen – und gib nicht gleich nach, ich bitt' dich!« Bärble richtete sich auf, strich das Haar glatt, legte Schürze und Halstuch zurecht und griff nach ihrem Strickzeug, – aber die Stricknadeln klirrten, und Dorle schüttelte den Kopf.

Fritz kam wirklich vorsichtig näher; als er Dorle neben Bärble sitzen sah, runzelte sich seine Stirn und er stand einen Augenblick überlegend still, dann trat er rasch unter die Kastanie und streckte Bärble die Hand entgegen. Diese jedoch beugte den Kopf tief auf ihr Strickzeug, und Dorle tat, als bemerke sie ihn nicht. Fritz war in großer Verlegenheit, endlich begann er kleinlaut: »Guten Abend zusammen! – Bist du's Dorle?«

»Wenn's kein Pöpel ist – wahrscheinlich!« war die schnippische Erwiderung.

»Das versteh' der Kuckuck! – Was soll's?«

»Narr! – Auf eine dumme Red' gehört eine dumme Antwort!« lachte Dorle.

»Dein Mundwerk geht einmal wieder wie g'schmiert!«

 »Und dir sieht man's auf hundert Schritt an, daß dir's Fett ausgegangen ist!«

»Du bist ein grob's Ding!«

»Bedank' mich für die gute Meinung, du Feiner!«

»Brauchst dir auf deine Unart nichts einzubilden!«

»Meine Unart ist immer noch nicht so schlimm als deine Art!«

»So ist's recht, lob' dich nur selber!«

»Das tu' ich nicht; wenn einen Kerle wie du schimpfen, ist's Lobes genug!«

»Was willst eigentlich? Meinst, ich bin deinetwegen kommen?«

»'s ist dein Glück, daß ich das nicht denk'!«

»Du mußt nicht recht bei Trost sein! Laß mich in Frieden, ich mag mit dir gar nichts zu schaffen haben!«

»Geh' weiter, ich halt' dich nicht auf! Wenn du nichts mit mir zu schaffen haben magst, was redest mich an?«

Fritz kaute ärgerlich an seiner Pfeife, – das war ein schlimmer Empfang; sollte er gehen oder bleiben? Unentschlossen paffte er dicke Rauchwolken vor sich hin; da aber Bärble gar nicht tat, als bemerke sie ihn, begann er kleinlaut: »Ist noch Platz?«

»Der ganze Hof voll!« lachte Dorle.

»Wenn ich übrig bin«, fuhr Fritz gekränkt auf, »braucht ihr's bloß zu sagen, ich mach' mich nicht aufdringlich!«

»'s hat dich kein Mensch hergeheißen, – sonsten fürchten wir uns auch nicht vor dir!«

Fritz schluckte heftig, er wußte wieder nicht, sollte er das für eine Abweisung oder Einladung nehmen. So viel war sicher, sehr angesehen war er heute nicht; aber wenn ihn das auch ärgerte, so machte es ihn noch mehr ängstlich. In ganz verändertem, zutraulichem Ton sagte er darum: »Dorle, dein Bernhard ist nach Grumbach, ich hab' ihn bis in die Erleswiesen mitgenommen«.

»Ist 'ne grausame Ehr' für ihn, seitdem du die Leut' überall vom Weg auflies'st!« entgegnete Dorle verächtlich.

Fritz fuhr sich mit der Hand ins Halstuch, das ihm plötzlich zu eng ward, hustete heftig, und sagte dann, sich gewaltsam aufraffend: »'s hat alles seine Zeit, das Gekippel hab' ich nun satt. Wollt ihr, daß ich dableib', rückt zu, außerdem find' ich meinen Weg weiter!«

Lachend machte Dorle nun doch Platz, aber so, daß sie zwischen Fritz und Bärble zu sitzen kam. Fritz war das freilich ungelegen, doch fügte er sich und sagte: »Bärble, gönnst du mir gar kein Wort?«

»Sie soll sich wohl bedanken für die Ehr' vom vorigen Sonntag?« fiel Dorle schnippisch ein.

»Hör', Dorle, red' jetzt vernünftig oder schweig' still!« entgegnete Fritz, der wirklich ärgerlich ward. »Was hängst du dich immer in meine Sachen?«

»'s Bärble ist mein Kamerad; was ihr zu leid geschieht, tut mir auch weh! – Fritz, hast du denn das Herz, dem Bärble unter die Augen zu kommen?«

»Herrgott, macht nun nicht gar aus einer Mücke 'nen Elefant! 's war ja freilich ein dummer Streich, was anders geb' ich d'rum, könnt' ich ihn ungeschehen machen. Aber die Geschicht' ist doch auch des argen Aufhebens nicht wert. 's sollt eben ein Spaß sein!«

»Fritz – und das magst du noch sagen?« weinte Bärble. »Ach, nun seh' ich erst, wie du mich so gar nichts achtest!«

 »Herrgott von Bentheim!« rief Fritz in heller Verzweiflung und fuhr sich in die Haare. »Mädle – was hast? – Ich sitz' da, wie ein Büble, dem die Gäns' fortg'flogen sind! – Red' nur ein einzig's g'scheit's Wörtle, ich weiß gar nimmer, wo mir der Kopf steht! – Was hab' ich nun wieder verbrochen?«

»Fritz – 's ist das beste, wir gehen auseinander! – – Ach, daß ich das erleben muß! Aber es ist so: wir passen nicht füreinander! – Geh', such' dir ein Mädle, das sich zum Narren halten läßt, ich bin dazu verdorben! – – Laß mich, das ist's ja eben, daß du nicht einsiehst, wie du durch solche Bubenstreiche mich und dich verschimpfst. Zum Spott und Gelächter machst du dich überall, die kleinen Buben haben dich zum besten, jeder Nichtsnutz rechnet dich zu Seinesgleichen. Dabei hast du noch große Rosinen im Kopf, meinst wunder, was du bist, – ach, ich hätt' noch viel zu sagen, aber ich kann nimmer, 's drückt mir das Herz ab! – Merk dir's, wen ich lieb haben soll, vor dem muß ich zuerst Respekt haben, sonst ist's nichts mit der Lieb'! Du aber hast keine Ehr' und Reputation im Leib', du hältst nichts auf dich – wie soll ich dich nachher achten? – Nein, Fritz, wir passen nicht zusammen, – d'rum ist's besser, wir scheiden uns!«

»Deine Lieb' muß nicht gar groß sein,« sagte Fritz kleinlaut, »sonst würdest du mich nicht so arg 'runtersetzen!«

»Denk' das immerhin, obgleich's umgekehrt ist. Daraus erseh' ich wieder klärlich, daß du mich auch kein Linsele verstehst. – Aber das ist's nicht allein, daß ich dich nichts achten kann, – du selber achtest mich auch für nichts! – Spaß, sagst du, wär' die Geschicht' vor acht Tagen gewesen? Daß sich Gott erbarm'! – Nein, Fritz, ich mag weder einen Hanswurst zum Schatz, noch taug' ich zur Närrin! Ich bin ein ehrlich's Mädle und halte was auf mich, – ich will auch Respekt haben. – Geh', Fritz – wir sind einmal nicht für einander geschaffen!«

»Hätt' nicht gedacht, daß du mich so leichtfertig fortschicken könntest!«

»Leichtfertig? – Das willst du mir vorwerfen? Schäm' dich, Fritz, weiter sag' ich nichts!«

»Und ich glaub' nicht, daß 's dein Ernst ist, 's kann ja nicht sein! Bärble überleg', was du tust, mach nicht leichtsinnig dich und mich unglücklich!«

»Ich mach' mich nicht erst unglücklich, ich bin's schon lang; weil ich das Elend nimmer ertragen kann, d'rum sag' ich: 's soll aus sein!«

»Bärble, tu's nicht! – tu's nicht! – Denk' doch: was soll nachher aus mir werden, – wie soll ich ohne dich bestehen?«

»So sagst du stets, – heute machst du mich damit nicht weich. Wär's, wie du sagst, würdest du mich in Ehren halten! Nein, ich weiß jetzt, ich bin dir nur so nebenher gut genug; kannst du eine Reichere kriegen, lässest du mich sitzen. Die Schande will ich mir ersparen, der erste Verdruß ist besser, als der letzte, – geh' nur, ich werd' auch nicht am Weg liegen bleiben!«

»Jetzt lob' ich dich, Bärble!« fiel Dora ein. »Redest doch auch einmal, wie sich's gehört. Bleib' nur dabei, laß dich nicht breit schlagen, 's wär' doch nur zu deinem Unglück!«

Aber diese Worte verfehlten ihre Wirkung nach beiden Seiten. Bärble erschrak, daß ihr Dorle den Rückweg fast abschnitt, und Fritz waren die Worte erwünschte Gelegenheit, sich zu erzürnen. Heftig fuhr er auf: »Oho, pfeift der Wind daher? – Dacht' ich's doch! Das ist nicht schön, Bärble, daß du auf andere Leute mehr gibst, als auf mich! – Hätt' nicht geglaubt, daß du dich verhetzen ließest!«

»Bin nicht verhetzt, hör' auch auf niemand!« entgegnete Bärble und spielte verlegen mit ihren Stricknadeln. »Ich wollt' ja auch lieber, ich könnt' dich lieb haben, könnt' dir vertrauen, – ach, was wär' das für ein Glück!«

»Bärble – sag's, was soll ich tun, daß du wieder gut wirst?« rief Fritz aufatmend. »Sag' – red'! – Durch's Feuer und Wasser geh' ich dir!«

»Damit ist mir nicht gedient!« seufzte Bärble beklommen. »Ach Fritz, ist dir in Wahrheit was an mir gelegen, so zeig's. – Werd' ordentlich – und – mach' Anstalt zur Heirat!«

Fritz atmete auf; also war es ihr doch nicht Ernst. Wohl rührte ihn die Anhänglichkeit des Mädchens, wohl war er hocherfreut, daß sie sich ihm wieder zuwendete, – aber auch sein Leichtsinn erwachte wieder, die Eigenliebe und Selbstsucht raunten ihm zu: »Sie kann nicht von dir lassen, die ist dir sicher, – nun laß dich nur nicht fangen; immer die Hände frei! Das ist das Wahre!«

Dorle beobachtete Fritz scharf, sie ahnte, was in ihm vorging, und sagte vorwurfsvoll: »Bärble, Bärble, was machst? Warum läßt du ihn nicht wenigstens noch eine Zeit zappeln? Du wirst's bereuen, gib nur acht! Ich verwett' meinen Kopf, der denkt schon daran, wie er sich auf die hintern Füß' stellt!«Redensart für falschen Sinn, hier: ein Versprechen geben mit der Absicht, es nicht zu halten.

Fritz war heftig erschrocken; um das nicht merken zu lassen, fuhr er auf: »Was hast du dich wieder darein zu hängen? Sorg' du für dich selber! – Bärble, hab' tausend, tausend Dank. Ich werd' anders, verlaß dich d'rauf, und heiraten – heut' lieber als morgen, wenn's ging! – – Aber, meine Alten wollen nun einmal eine reiche Schnur, kann ich sie zwingen, daß sie ihre Einwilligung geben?«

»Fritz, deine Mutter ist so freundlich gegen mich, – wenn du mich betrügst? – Ich bin doch auch nicht ganz leer. – Und was haben deine Eltern sonst an mir auszusetzen?«

»Nichts, gewiß nichts, aber ihr seid halt gar zu viel Geschwister. – Und wenn sie auch wollten, – worauf sollen wir heiraten? Ich kann doch nicht verlangen, daß sie jetzt schon die Güter aufgeben?«

»'s Dorle hat Recht, du suchst Ausfluchten! – Könnten wir nicht euren hintern Hof pachten?«

»Das Höfle?« rief Fritz verächtlich, setzte aber sogleich erschrocken hinzu: »Ja, ja doch, mir soll's ja recht sein! Hab' nur Geduld – ich kann doch bei meinen Alten auch nicht mit der Tür ins Haus fallen!«

»Aber auf den Herbst muß es gewiß sein, länger laß ich mich nicht auftrödeln!«

»So macht ein End' und vertragt euch, – du bist eben einmal ein gut's Närrle!« rief Dorle und sprang auf. »Aber dir, Fritz, sag' ich, mit mir hättest du nicht so leichtes Spiel! Ich muß dir schon sagen, hielt' das Bärble nicht so große Stücke auf dich, die doch das bravste Mädel ist weit und breit – mir dürftest du drei Schrittle vom Leib' bleiben, mitsamt deinem Reichtum und allem! Schäm' dich! Ist's eine Art, zwei, drei Mädlen zugleich nachzurennen? Einer jeden, die dir in den Weg kommt, schön zu tun, wenn sie nur Geld hat? – Ich sag' nichts; aber wärest du nur eine Stund' Meiner, ich wollt' dir die Schelmkappe abtun, ich brächt's so weit, du müßtest dich vor deinem eigenen Schatten schämen!«

Fritz wollte auffahren, allein Bärble legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte: »Laß nur! 's Dorle meint's gut, und 's ist ja leider Gottes die Wahrheit, was sie sagt. – Noch einmal will ich vergessen, was vergangen ist, will dir glauben und vertrauen, Fritz; aber denk' nicht, du könntest immer mit mir machen, was dir beliebt! 's ist wahr, ich hab' dich gern, vielleicht zu gern, – deswegen weiß ich aber doch, was ich mir selber schuldig bin! Daran halt' ich fest, Fritz: ich nehm' nur einen richtigen Mann, einen, vor dem ich Respekt haben muß in allen Stücken, und von dem ich weiß, daß er mich auch in Ehren hält! – Ich sag' dir's jetzt: wirst du nicht anders, kannst du's nicht lassen, nach andern Mädlen zu gucken, – dann ist's aus zwischen uns, und sollt' ich darüber sterben!«

»Holla, soweit ist's schon wieder? – Fritz, du hast wahrlich mehr Glück als Verstand!« sagte Bernhard, der unbemerkt näher gekommen war, sich auf das Bänkchen setzte und Dorle auf seine Knie nahm. »Na, Gott lenk's zum besten, und laß dich's nicht gereuen, Bärble; du, Fritz, kannst dir aber merken: was ich dir heut' gesagt habe, das bleibt bestehen, davon geht kein Tippele ab, – richt' dich darnach!« Ein paar große Silberstücke in Dorles Hand legend, fuhr er fort: »Mein erster Meisterlohn! – Freu' dich, Mädle! Gibt jetzt der Herrgott seinen Segen, soll der letzte Berg bald überstanden sein – morgen halten wir Verspruch! – Wenn ihr zwei mit ein paar Schalen Schusterkaffee vorlieb nehmen wollt', so kommt nachmittags zu meiner Mutter, ihr seid von Herzen willkommen!«

Im Kaffenetle

Der Türkenhenner zankte auf dem Heimweg von der Wiese fort und fort über die jetzige Verderbtheit der Jugend im allgemeinen und über die seines »Umschlags«, wie er Fritz nannte, im besonderen. In der Nähe des Dorfes begann er zu klagen: auf den Verdruß sei ihm ganz schlecht geworden, der Umschlag sei ein Nagel zu seinem Sarg, er spüre ordentlich, wie ihm der stete Ärger ans Leben greife. Dazu begann er zu ächzen, blieb oft stehen, als wollten ihn die Beine nicht weiter tragen, und wischte sich seufzend den Schweiß ab. Die Bäurin hörte alles geduldig an; in der Nähe des oberen Wirtshauses unterbrach sie jedoch plötzlich die Jeremiaden: »Zier' dich nicht gar so dumm, alter Narr! Weiß schon was das Geraunz' bedeutet – du möchtest doch bloß ins Wirtshaus! – Meinetwegen lauf' hin, daheim bist du einem doch nur im Weg! Aber nimm dein Maul in acht, schwätz' nicht alles aus, und komm' nicht gar so spät heim, ich hab' mit dir zu reden!« Halb erfreut, halb erzürnt drohte der Henner seiner Alten mit der Faust nach und stieg bedächtig die Wirtstreppe hinan.

Im Türkenhof ging es ein wenig wild her; die Arbeiten wollten nicht recht vom Fleck, und Fritz mußte vom Bruder und den Dienstboten manch scharfes Wort hören, als man noch mit Laternen in Ställen und Scheunen schaffen mußte. Fritz nahm das still hin, nur vor dem Zusammentreffen mit der Mutter graute ihm. Aber der gefürchtete Augenblick ging besser vorüber, als er zu hoffen gewagt. Die Bäuerin tat nicht, als sei etwas vorgefallen, war still und freundlich wie immer, griff selber wacker mit an, bis die Ordnung hergestellt war. Fritz war nach dem Tischgebet plötzlich verschwunden, die Dienstboten suchten ihre Kameraden auf, nur Gottfried saß müde im Lehnstuhl und schien daheim bleiben zu wollen. Freundlich trug ihm die Mutter Pfeife und Tabak zu, nötigte ihn in die Jacke und ruhte nicht, bis er sich auf den Weg ins Wirtshaus machte. Hell lag der Mondschein auf der Gasse, – sie blickte dem Sohn nach, bis er um das Ottenshaus bog, dann suchte sie seufzend ihr Strickzeug, setzte sich ans Fenster, und manche Träne fiel in die Maschen.