Zukunft Europa - Ariane Koch - E-Book

Zukunft Europa E-Book

Ariane Koch

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Beschreibung

"Europa: optimistische Anhäufung von Ländern, die bei der erstbesten Gelegenheit flöten ging" Ariane Koch und Joël László erhielten vom Theater Marie in Aarau den Auftrag, Kurzstücke zum Thema "Zukunft Europa" zu schreiben. Es sind fünf Texte entstanden, in denen aus der Zukunft über unser gegenwärtiges und das kommende Europa gesprochen wird – und es sieht nicht besonders rosig aus. In "Costa Concordia. Mare Nostrum" sucht eine Gruppe Europäer mit dem Schiff nach einem neuen Kontinent. Europa ist zerstört. Mit an Bord ein Stier. Die Vorräte gehen langsam aus: Soll man dem Stier huldigen oder soll man ihn einfach aufessen? Und wie wird man wohl empfangen in der neuen Heimat? Gibt es überhaupt noch andere Menschen? Seicht schaukelt das Boot ins Ungewisse. In "Fiverr.com" thematisiert die Autorin das Outsourcen von Produktionsprozessen in Billiglohnländer. Zur Veranschaulichung hat sich Koch kurzerhand Texte für ihr Stück auf einer Internet-Plattform gekauft, die Liedtexte aus Indien oder Reden aus Venezuela zum Preis von 5,00 Dollar anbietet. Die Texte, die Ariane Koch auf diese Weise erworben hat, werfen von außen einen kritischen Blick auf die europäischen Verhältnisse. Kochs "Enzyklopädie des Verschwindens" lässt uns im Lexikon der Zukunft blättern. Was wird es später noch geben, was uns heute so vertraut ist? Unruhig suchen wir nach altbekannten Begriffen, stoßen dabei aber lediglich auf erschreckende Wahrheiten. Joël László lässt uns in "Ich bin das Tier mit dem Fell" Platz nehmen im Friseursalon. Das Echthaar ist längst abgeschafft, aber den Besuch beim Friseur möchte man nicht missen: So werden Perücken frisiert und über die animalische Vergangenheit geplaudert, in der es noch echtes Geld gab und die Menschen noch gestorben sind. Der Einbruch der Unendlichkeit in die Endlichkeit ist bereits geschafft. In Lászlós "Reykjavik-Pinakothek" definieren zwei Kuratoren nach der völligen Zerstörung einen neuen Kanon der Kunst. Nachdem der Isenheimer-Altar gesprengt wurde, gibt es wieder ein wenig mehr Platz. Jetzt gilt es, gründlich zu überlegen. Es ist eine Zeitreise, die wir gemeinsam mit dem Schweizer Autorenduo unternehmen. Doch während wir uns zurücklehnen und in den einzelnen Episoden verfolgen, wie es in der Zukunft so aussehen könnte auf unserem Kontinent, wird schlagartig klar: Was man mit Abstand betrachten wollte, kommt doch erschreckend nahe, und während die beiden Autoren noch schreiben, werden sie eingeholt von den aktuellen Ereignissen, die doch erst in düsterer Zukunft liegen sollten. Die Kurzstücke verstehen sich als Sammlung, die keiner festen Reihenfolge unterliegt. Es ist ein Stücke-Pool, aus dem frei ausgewählt und neu zusammengesetzt werden darf.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 102

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Ariane Koch / Joël László

Zukunft Europa

Fünf Kurzstücke

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Costa Concordia. Mare nostrum

Ich bin das Tier mit dem Fell

Reykjavik–Pinakothek

Enzyklopädie des Verschwindens

Fiverr.com

Über die Autoren

Über die Kurzstücke

Impressum

Costa Concordia. Mare nostrum

Ein Stück von Ariane Koch

Ein paar Menschen machen eine Reise mit dem Schiff. Im Gepäck ein Stier. Dort, wo sie herkommen, können sie nicht zurück. Sie suchen ein neues Zuhause, einen neuen Kontinent, irgendwo muss doch noch einer rumschwimmen. Es herrschen Unwetter, Wasser- und Nahrungsknappheit, also unmenschliche Bedingungen, außerdem wird der Stier langsam unheimlich. Ü, ö und ä sind der dritten oder vierten Lautverschiebung zum Opfer gefallen. Dazwischen immer mal wieder das Tageshoroskop.

Zehn kleine – fuhren ins Meer hinein

Einer blieb am Strand zuruck, da warens nur noch neun

Neun kleine – luden auf sich FrachtDer eine war drunter eingeklemmt, da warens nur noch acht

Acht kleine – wollten sich verliebenDer eine kusste einen Fisch, da warens nur noch sieben

Sieben kleine – assen einen KeksDer eine war verschimmelt schon, da blieben nur noch sechs

Sechs kleine – irrten umher im SumpfDer eine grad versank darin, da warens nur noch funf

Funf kleine – futterten den StierDer eine fiel hinein ins Maul, da warens nur noch vier

Vier kleine – schlugen sich zu BreiDer eine uberlebte nicht, da warens nur noch drei

Drei kleine – wollten mal sein freiEiner hupfte sodann ins Meer, da blieben nur noch zwei

Zwei kleine – hatten keine DollarscheineDer eine wurd sofort verkauft, da blieb nur noch der eine

Ein kleiner – wusst nicht wohin gehenEr segelte ins Meer hinein und wurd nie mehr gesehen

Prolog

Mars und Saturn machen Ihren heutigen Tag zur Holle. Am besten Sie bleiben einfach zuhause.

Man fahrt mit einem SchiffUnd es schaukeltWelle fur WelleWie verrucktKein Mensch weissOb man jemals ankommt

Man ist gefluchtetUnd hoffet stillDass irgendwo Auf dieser WeltEin Platzchen frei istWo man sich niederlasstUnd sich ein Bier gonnt

Das ist ein MatrosenliedWir singen es so laut wir konnenEs trostet gegen Wind und WetterEs halt die Eisberge fernUnd die EisbarenWo sind wir hier eigentlich

Wisst ihr nochAls wir sind aufgehupft Im letzten MomentAuf diesen SchlepperDer angeblich schwimmt nach archimedischem Prinzip

Dass ich nicht lacheDass ich nicht groleWie eine Schar MowenWo doch hier jeder weissDass der kleinste FelsBringt den Oltanker zum Erliegen

Einige haben gebrullt und gestampft Die es nicht mehr geschafft habenAn BordSondern sind zuruckgebliebenIm Zerfall HundertdreiundfunfzigMehr hatten keinen Platz

Wir haben uns moglicherweise verirrtWir sind moglicherweise verlorenWen sollen wir nun zuerst essenDie Hunde oder die Sklaven

War nur ein ScherzNaturlich haben wir keine SklavenGelachter

Der osterreichische Matrose hebt sein GlasUnd prostet uns zuIst der bescheuertOder wasAch Tragodie Tragodie

Nein wir haben sonst keine Tiere an BordWir sind hier nicht die verdammte Arche NoahDie Hunde haben wir langst gegessen

Klagelieder singen wirSolange bis uns jemand Rettungsboote zukommen lasstBitte

Kolumbus

Denken Sie an Ihre Vorbilder. Wie hatten diese eine schwierige Situation gemeistert?

Und fraglich istWonach wird gesuchtMit diesem SchaukelschiffDass einen macht ganz seekrankSodass man sich ubergeben muss In eine Kotzetute

Wir suchen einen neuen KontinentDas ist doch selbstverstandlichOder sah der Alte etwa so ausAls konne man da noch hausenIrgendwo muss doch noch ein Platzchen frei seinFur uns WenigenSo viele sind wir namlich nicht Wenn man mal zahlt

Weisst du noch 1492Da hat einer Amerika entdecktEs ist also nicht unmoglichDass auch wir finden ein neues LandDas wir konnen neu besiedeln

Und ein frohliches Leben fuhrenJedenfalls segeln wir auf KursWas auch immer das bedeutetDenn eigentlich haben wir keinen KursWir suchen ja nur ganz schuchternNach einem neuen genugsamen Heim

Was tragst du uns hier vorUnd schwafelst ohne EndHier gibts ein Boot zu lenkenHier gibt es Leben zu rettenOder siehst du hier irgendwo nen Kapitan

Die Vorrate werden langsam durftigUnd einer guckt hungriger als der Nachste’Ab jetzt wird rationiertFinger weg RumaneFinger weg EnglanderWir tumpeln hier noch ewig

Kommt MannerWir hissen mal die FlaggeWelche Flagge du Blodian

Ist das hier eigentlich ein SchiffOder eher ein IrrenhausAber eigentlich ists mir funferlei

Stier

Der Stier weiss, was er will. Er ist stur, aber diskutierfreudig.

Hier stinkt es irgendwie nach PferdDoch nicht nach Pferd nach Stier naturlichEin Geschopf das riecht haltWas will man machenUnd ein Stierentier erst recht

Ja reitets euch der TeufelDen Ubeltater an Bord zu nehmenMir lauft es kalt den Rucken hinabDen schmeiss ich eigenhandig von der RelingWenn ihrs nicht machtIhr Hubis

Nicht irgendein StierEin Schneeweisser istMit den schonsten HornernDie je ein Mensch gesehenKlar man konnt ihm mal ein Opfer bringen Oder zweiDamit er ist besanftigt

Und trotzdemEin Gehornter an BootWie soll das Gluck bringenWie sollen wir das uberlebenUnd dann brullt er immer soAls war er brunftig

Der Stier das damliche SaugetierWann essen wir das endlichOder warum tut ihr soAls war es gottlich

Das konnen wir nicht essenDas ist alles was wir habeWenn wir es totenWerden wir versinkenIn schaumenden Wellen fur immer

Staub

Lassen Sie die Vergangenheit ruhen. Sie brauchen dringend einen Neuanfang.

Es war ja nicht soDass der alte Ort uns nicht mehr hatte beglucktEr hat uns sogar sehr behagtAber die Erde war so staubigDass alles fing standig FeuerAls triebe der Teufel sein Unwesen

Wir kommen her aus einem schonen LandDas nun keins mehr istUnd nie mehr eins sein wirdAusser man setzt die BrosmelchenMillionen an der ZahlPrazise wieder zusammen

Ganz unglucklich wird manWenn man zuruckdenktAn das flachgedruckte GehausIch wunscht ich war ein FischDer niedertaucht ins dunkle Gewasser

Der treibt im welligen BlauUnd friedlich frisst die Algen und anderes Gewachs

Was machst du fur eine TragodieWo du doch weisstDass der Mensch ist im AllgemeinenNur zu Gast auf dieser Welt

Schon wars man war ein GastEin Verdrangter ist manGefluchtet aus dem eigenen HausWeil man sich hat gefurchtetVor den FlammenUnd HornernDie haben aufgespiesst

Sogar die Huhner

Stadte vergluhenIn Feuer und LavaStadte losen sich aufWerden zertrampeltVon starken HufenDenen niemand standhaltSo wars schon immer

Lastiges HerdentierIst gesprengt aus jeder EckDas Militar der GotterDas sie gezuchtetMit dem sie sich ausgerustetUm zu flachen das Land

Und man ist gestanden vor den HuttenUnfahig und wie gelahmtGewatet durch SandDer hat knochelhochZugedeckt die Strassen

Und das Wuten setzte sich fortJede Windboe brachte neuen SandUnd etliche Leiber blieben flachgedrucktAm Boden liegenWeil die Herde war uber sie druber gerannt

Oh diese erbarmlichen RauberWenn ich sie nur hatt gekonnt erwurgenDie Halse umdrehenUnd Locher in ihre Kopfe schlagenAber man hat sich lediglich genommen ein SchiffUnd sich aus dem Staub gemacht

Ists denn so wichtigWer und wie hat niedergemaht das GemauerIsts denn so wichtigWer und wie hat alles zertrummertDer Mensch warsOder dessen GotterWer denn sonst

Wie schauts dort ausWo wir ankern werdenWenn wir jemals ankern werdenWuste oder WaldStadt oder LandSchwul oder kuhlUnd fahren wir nach Nord oder Sud

Oder im Kreis

Wer wird uns empfangen am neuen OrtWerden sie uns mogenWerden sie uns verschmahenWerden sie mit uns tanzenUnd ist da uberhaupt noch werAuf dieser Erd

Ich traume von einer Inselkette mit StrandWo warmer Sand unter den Fussen knirschtWo Palmen die Kusten zaunen und zierenWo Menschen auf Badetuchern sich braunen

Leider sehen wir nur Welle um WelleGischt um GischtGraues GewolkSchwaden hangen am HorizontUnd hassliche Rochen schwimmen unter der WasseroberflacheWarum nicht wenigstens Delfine

Langeweile

Sie lieben den sicheren Hafen. Dennoch sollten Sie heute Abwechslung suchen, sonst fallt Ihnen die Decke auf den Kopf.

Immer die gleiche OdeTag fur TagNacht fur NachtUnd die Zeit verschwimmtEs ist uns gleichgultig welche Stunde es schlagtEs schlagt ja uberhaupts nichtsOder siehst du hier irgendwo einen Glockenturm

Wir sind alle wie Ol und WasserVollig verschiedenWenn noch einmal diese bescheuerte Durchsage kommtDann dreh ich durchMan kann nur hoffenWir fangen die eine oder andere Schildkrote

Eine Amsel hupft auf den Steinen hin und herAhnlich einem KanguruWenn der See jeden Tag da istKann man ihn irgendwann nicht mehr sehenWeil seine Anwesenheit irgendwie entfallt

Mann uber BordSchon wiederJa was will man machenLassen wir ihn ziehen

Hunger

Ihre Energie ist im Keller. Gehen Sie an die Sonne, gonnen Sie sich eine kleine Auszeit und tanken Sie wieder auf.

Kommt wir essen den StierDen saftigenDen kraftigenKommt wir braten den Stier uber dem FeuerVerbrannte HornerDas mag ich

Ja spinnst du dennJa bist du denn verrucktDas Orakel braten wollenUber dem FeuerWodurch wir sterben wurdenUnd zwar auf der Stell

Stier o StierIch frage ihn nach dem ZukunftigenEr schnaubt funfmalSodass es dampft aus seinen NusternMehr nichtWas soll das nur ausdrucken

Und da frage ichWie lange nochWir schaukeln sollenWie lange nochWir hungern sollenUnd er senkt nur den Schadel zum HeuUnd frisstAls gabs nichts anderes zu tun

Ich verneige michSo tief es gehtUnd bringe hervorMein ArgernisEr peitscht den SchwanzGegen den SegelmastNa dann ist alles klarWir sind verloren

Insel

Heute will Ihnen aber auch gar nichts gelingen. Am besten Sie versuchen es gar nicht erst!

Ist das eine KusteOder werd ich verruckt

Tauschen mich die AugenOder ist das ein Land

Und wenn wir sinkenUnd wenn wir kenternSo werden wir ertrinkenSofern es gibt keine Kustenwach

Wir werden bleiben immer ein WirSodass man sich nicht muss gramenWenn einer uns aus dem Wasser ziehtUnd wir sind mausetot

Wir bleiben immer eine ZahlGanz unpersonlich und grobAls ware es eine lacherliche AngelegenheitVon einem truben Buro

Weisst du wie es istWenn man ertrinkt im MeerWenn Wasser die Lungen fullt

Und das Herz schlagt ganz wie wildUnd trotzdem senkt der KorperSich immer tiefer hinabBis das Gehirn sagtNein dankeIhr konnt mich alle mal

Ich bin keine ZahlIch bin nicht ein WirIch kauere auf dem FlossIn einem aufblasbarenPfutzen zu meinen Fussen

Zuhause gibt es keines mehrZuruck das gibt es nimmerVorwarts muss es gehenWenn man will uberlebenIhr Arschlocher

Findets denn keiner bitterWenns mich an die Kuste spultGanz aufgeblaht und weisslichAls war ich nicht von dieser Welt

Ich bin von dieser WeltDas schwor ichZwar auch nur Gast Wie jeder andereDoch ein Recht zu bleiben Hab ich furwahr

Oder kannst du mir begrundenDas Gegenteil

Ich hab einen NamenUnd fruher ein HausIch bin kein GesetzDessen Paragraphen salopp man andertAls war ich ein DingMit dem man nur handelt

Die Mauern an der Kust sind hochSo hoch dass man kaum druberschautDabei weiss ich dass dahinter istAlles andere als ein Paradies

Ich klettere die Wande hochUnd fall oft wieder runterIsts Verrat wenn ich mach aus Ungluck PoesieDoch es singt sonst keiner druber

Ich wunscht es hat ein EndSind das dort die Faroer-Inseln

Titanic

Erfreuen Sie sich an einem guten Essen, das warmt Ihr Herz und lasst Sie in neuem Glanz erstrahlen.

In meiner SchiffskabineSing ich noch ein LiedEin LetztesBevor der Eisberg kommtUnd der kommt bestimmt

Wollen wir uns vergnugenZum Beispiel im TanzsaalZum Beispiel im Gourmet-Shop Zum Beispiel im CasinoKlippernde Munzen im Sack Wasser und GelBeides sollte sein moglichst flussig

Und kleine HappchenUnd weitere KostlichkeitenSind zum Verspeis aufgedecktMeeresfruchte Tartar au BoeufUnd Mousse au ChocolatZergehen auf der Zunge

Du Boeuf du BoeufMich zerreisst es fast

Wenn ich uberlegeDas saftige Stuck Fleisch