Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute - Theodor W. Adorno - E-Book

Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute E-Book

Theodor W. Adorno

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Beschreibung

Im Herbst 1962 nahm Theodor W. Adorno an einer Tagung des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit teil, auf der er über die Bekämpfung des Antisemitismus sprach. Dieser Vortrag hat in seiner dichten und äußerst vielschichtigen Analyse nichts an Aktualität eingebüßt.

Vor dem Hintergrund der Schuldabwehr und des »sekundären Antisemitismus« der deutschen Nachkriegsgesellschaft begreift Adorno den Antisemitismus als zentrales Bindemittel rechtsradikaler Bewegungen, das die diversen Strömungen eines militanten und exzessiven Nationalismus vereint. Er ist das »Gerücht über die Juden«, das halböffentliche Getuschel, mit dem sich die autoritäre Persönlichkeit zum Opfer stilisiert. Antiintellektualismus und Konformismus sind seine Triebfedern, und mit dem Rassismus teilt er eine identische Struktur. Zugleich warnt Adorno vor einer Idealisierung und Verkitschung der Juden und des Judentums im Kampf gegen den Antisemitismus und plädiert für unverbrüchliche Treue zur Wahrheit im Umgang mit den historischen sowie politischen Realitäten.

Ein antiautoritäres Erziehungsprogramm zur Prävention antisemitischer Charakterbildung und hartes Durchgreifen bei antisemitischen Ausbrüchen sind die einander ergänzenden Elemente der Bekämpfung des Antisemitismus damals wie heute. Ein Nachwort von Jan Philipp Reemtsma zeigt die Bedeutung dieser brillanten Analyse für unsere Gegenwart.

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Seitenzahl: 67

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Cover

Titel

Theodor W. Adorno

Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute

Ein Vortrag

Mit einem Nachwort von Jan Philipp Reemtsma

Suhrkamp

Impressum

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2024.

© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2024

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Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner

eISBN 978-3-518-78004-6

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute

Vorbemerkung

Editorische Notiz

Nachwort

Über die Autoren

Fußnoten

Informationen zum Buch

Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute

Vorbemerkung

So dankbar der Autor die Initiative des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit zu schätzen weiß, welcher seinen Vortrag den Teilnehmern der Europäischen Erzieherkonferenz als Druck zugänglich machen möchte, so sehr zögert er gleichwohl, der Publikation zuzustimmen. Er ist sich dessen bewußt, daß in seiner Art von Wirksamkeit gesprochenes und geschriebenes Wort noch weiter auseinander treten als heute wohl durchweg. Spräche er so, wie er um der Verbindlichkeit der sachlichen Darstellung willen schreiben muß, er bliebe unverständlich; nichts aber, was er spricht, kann dem gerecht werden, was er von einem Text zu verlangen hat. Je allgemeiner die Gegenstände sind, um so mehr verstärken sich die Schwierigkeiten für einen, dem jüngst ein Kritiker freundlich attestierte, seine Produktion gehorche dem Satz »Der liebe Gott wohnt im Detail«. Wo ein Text genaue Belege zu geben hätte, bleiben dergleichen Vorträge notwendig bei der dogmatischen Behauptung von Resultaten stehen. Er kann also für das hier Gedruckte die Verantwortung nicht übernehmen und betrachtet es lediglich als Erinnerungsstütze für die, welche bei seiner Improvisation zugegen waren und welche über die behandelten Fragen selbstverständlich weiterdenken möchten auf Grund der bescheidenen Anregungen, die er ihnen übermittelte. Darin, daß allerorten die Tendenz besteht, die freie Rede, wie man das so nennt, auf Band aufzunehmen und dann zu verbreiten, sieht er selber ein Symptom jener Verhaltensweise der verwalteten Welt, welche noch das ephemere Wort, das seine Wahrheit an der eigenen Vergänglichkeit hat, festnagelt, um den Redenden darauf zu vereidigen. Die Bandaufnahme ist etwas wie der Fingerabdruck des lebendigen Geistes. Indem der Autor von der liebenswürdigen Bereitschaft des DKR Gebrauch macht, all das unumwunden auszusprechen, hofft er, wenigstens einigen der Mißdeutungen vorzubeugen, denen er sonst unweigerlich sich aussetzte.

T. ‌W. ‌A.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich fühle mich etwas in die Situation des Hans Sachs gedrängt, wenn er sagt: »Euch macht Ihr's leicht, mir macht Ihr's schwer, gebt Ihr mir Armem zuviel Ehr'.« Sie dürfen also nicht zuviel erwarten von dem, was ich Ihnen zu sagen habe.

Ich möchte mich ganz einfach beschränken auf die Diskussion einiger kritischer Punkte. Ich werde versuchen, nichts zu sagen, was Ihnen allen mehr oder minder vertraut, sondern das eine oder andere, was vielleicht nicht so im allgemeinen Bewußtsein gegenwärtig ist.

Über den Antisemitismus heute und seine mögliche Abwehr zu sprechen, scheint zunächst ein wenig anachronistisch, weil, wie man so sagt, der Antisemitismus in Deutschland kein aktuelles Problem darstelle. Das wird Ihnen bestätigt werden etwa durch die Erhebungszahlen der Meinungsforscher, vor allem der kommerziellen Meinungsforschungs-Institute, die uns dauernd darüber berichten, daß die Zahl der Antisemiten abnehme. Die Gründe dafür sind zunächst einmal sehr handgreiflich: einmal die offiziellen Tabus, die in unserer Gesellschaft heute, in Deutschland jedenfalls, über dem Antisemitismus liegen, dann das Furchtbare, daß es in Deutschland kaum noch Juden gibt, an die sich das antisemitische Vorurteil heften könnte. Ich möchte dies alles nicht leugnen, aber ich glaube doch, daß die Frage nicht so einfach ist wie ihre statistische Struktur. Sie dürfen nicht annehmen, der Antisemitismus sei ein isoliertes und spezifisches Phänomen. Sondern er ist, wie Horkheimer und ich das seinerzeit in der »Dialektik der Aufklärung« ausgedrückt haben, der Teil eines ›Tickets‹, eine Planke in einer Plattform. Überall dort, wo man eine bestimmte Art des militanten und exzessiven Nationalismus predigt, wird der Antisemitismus gleichsam automatisch mitgeliefert. Er hat sich in solchen Bewegungen bewährt als das Mittel, das die sonst sehr divergierenden Kräfte eines jeden Rechtsradikalismus auf die gemeinsame Formel zu bringen geeignet ist. Dazu kommt, daß das Potential durchaus überlebt hat. Sie brauchen sich dazu nur die rechtsradikale Presse in Deutschland anzusehen, von der es eine erkleckliche Anzahl von Repräsentanten gibt, und Sie werden vielen Äußerungen begegnen, die man als krypto-antisemitisch zu deklarieren vermag, die durch ihre Implikationen, auch durch einen gewissen Gestus des Augenzwinkerns, den Antisemitismus nähren. Schließlich ist es so, daß wir auch gerade in unserer Arbeit am Frankfurter Institut für Sozialforschung einigen Anlaß haben, den schönen Zahlen, die uns von den Meinungsforschungs-Instituten an die Hand gegeben werden, nicht so absolut zu vertrauen. So hat es sich beispielsweise vor einiger Zeit bei einer Erhebung herausgestellt, daß Kinder aus kleinbürgerlichen und zum Teil auch aus proletarischen Kreisen eine gewisse Neigung zu antisemitischen Vorurteilen haben. Wir bringen das damit zusammen, daß die Eltern dieser Kinder seinerzeit zu der aktiven Gefolgschaft des Dritten Reiches gehörten. Sie sehen heute nun sich gezwungen, ihren Kindern gegenüber ihre damalige Haltung zu verteidigen, und werden dadurch fast automatisch veranlaßt, ihren Antisemitismus aus den dreißiger Jahren aufzuwärmen. Unser Mitarbeiter Peter Schönbach hat dafür den recht glücklichen Ausdruck eines »sekundären Antisemitismus« geprägt. Diesen Dingen wäre nachzugehen. Wichtig wäre dabei, von vornherein die Aufmerksamkeit auf die spezifischen Gruppen zu richten, innerhalb deren dies Nachleben des faschistischen Antisemitismus zu beobachten ist. Jede Forschungsarbeit in dieser Zone muß geleitet sein von dem Gedanken der Notwendigkeit, solche Phänomene und Manifestationen zu begreifen und sich einzugestehen, anstatt sich zu entrüsten. Nur wenn man auch das Alleräußerste – nicht einfühlend, sondern schematisch – noch zu verstehen vermag, wird es einem möglich sein, sinnvoll und mit Wahrheit dagegen zu wirken. Ein Symptom für die mächtige kollektive Gewalt der Abwehr des gesamten Schuldzusammenhangs der Vergangenheit ist die begeisterte Aufnahme, die seit einiger Zeit in Deutschland eine Reihe von angelsächsischen Autoren finden, die in bezug auf die Kriegsschuldfrage Deutschland zu entlasten scheinen. Sie werden enthusiastisch zitiert, auch wenn sie selber dem Tenor ihrer Bücher nach alles andere als deutschfreundlich sind. Man kann wahrscheinlich sagen, ohne Gewaltsamkeit unterstellen, daß überall, wo solche Wirkungen stattfinden, aus purem Drang zur kollektiven Selbstverteidigung heraus auch der Antisemitismus des Dritten Reiches irgend apologetisch erklärt wird. Sobald man ihn sich aber einmal plausibel macht, etwa durch das Argument, der Einfluß der Juden damals sei wirklich ungebührlich groß gewesen, ist bereits ein Weg gebahnt, der zu dem unmittelbaren Wiederaufleben des Vorurteils selber führen kann. Man hört denn auch dementsprechend recht häufig, daß man den Juden heute, deren Anzahl, wie gesagt, ja wirklich verschwindend gering ist, keinen zu großen Einfluß einräumen, daß man sie nicht in hohe Ämter zulassen sollte und ähnliches. Lassen Sie mich gleich vorweg sagen, daß ich es deswegen, im Sinne der Abwehr des Antisemitismus, nicht für richtig fände, etwa den Einfluß der Juden in der Weimarer Republik zu leugnen. Wenn man sich auf eine solche Kasuistik, gar auf ein Herumwürfeln mit Zahlen einläßt, ist man von vornherein im Nachteil. Man muß viel radikaler argumentieren: sagen, daß in einer Demokratie überhaupt die Frage nach dem Anteil verschiedener Bevölkerungsgruppen an verschiedenen Berufen von vornherein das Prinzip der Gleichheit verletzt. Ich sage Ihnen das, weil mir hier ein Modellfall gegeben zu sein scheint für Probleme der Gegenargumentation gegen den Antisemitismus, mit denen wir ständig konfrontiert sind.