Zur Geschichte hannoverscher Privattheater - Rainer Ertel - E-Book

Zur Geschichte hannoverscher Privattheater E-Book

Rainer Ertel

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Beschreibung

Das Buch erinnert an die Geschichte hannoverscher Privattheater von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen dabei Thaliatheater/Residenztheater sowie Stadttheater/Deutsches Theater. Aber auch andere Bühnen wie Apollo-, Metropol- oder Uniontheater und nicht zuletzt die (später städtische) Schauburg an der Hildesheimer Straße werden behandelt. Nicht vergessen werden darf bei dieser Aufzählung das Mellini-Theater, über das der Verfasser bereits an anderer Stelle ausführlicher berichtet hat. Gesprochen wird aber nicht nur über die Theater und ihre Architektur, sondern natürlich auch über die dort tätigen Schauspielerinnen und Schauspieler, Regisseure, Direktoren und die wechselnden Eigentümer der Bühnen. Bemerkungen zu den aufgeführten Stücken runden die Betrachtungen ab. Die hier beschriebenen Privattheater erlitten unterschiedliche Schicksale; so endeten sie als Autogarage (Residenztheater und Uniontheater), als Kino (Metropoltheater) oder als Magazin der Städtischen Bühnen (Deutsches Theater). Die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg setzten dann auch der Schauburg und dem Mellini-Theater ein endgültiges Ende.

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„Jede Theaterbühne ist eine Welt im Kleinen: Gunst und Mißgunst; unerwartete Glücksfälle und getäuschte Hoffnungen; rasch erworbener Ruhm, noch rascheres Vergessenwerden; viel Ränke und wenig Wahrheit; Wechsel zu allen Zeiten und an allen Enden.“

„Signale für die musikalische Welt“, 42. Jg., No. 7, 1884, S. 97

Inhalt

Zum Geleit

Vorwort des Verfassers

Thaliatheater und Residenztheater

Vom Theaterverein zur Autogarage

Anmerkungen 1-4

Literatur

Stadttheater und Deutsches Theater

Nachnutzer der königlichen Reithalle

Anmerkungen 1-2

Anhang

Literatur

Sonstige Theater

Ortsfest und auf Tournee

Anmerkungen 1-2

Literatur

Personenregister

Zum Geleit

„Theaterwissenschaft ist im besten Fall immer Sisyphusarbeit, Archäologie, die Bereitschaft, sich auch ums kleinste Detail, die letzte Spur zu bekümmern, um das, was einmal – und einmalig – war, zu veranschaulichen, es in der Vorstellung zu erwecken und damit die Gegenwart zu bereichern.“

Leonhard M. Fiedler

Was wären wir – die Museen, Archive und wissenschaftlichen Sammlungen – ohne die Hilfe der privaten Rechercheure und Stadt- oder Heimatforscher? Sie haben oft mehr Zeit und Geduld, sich um einzelne Fragestellungen zu kümmern – und in die Vertiefung zu gehen. Sie sind im besten Fall unsere helfenden Hände – für deren Assistenz, Recherchen und Forschungen wir sehr dankbar sind!

Theater in Hannover! Wenn wir auf die Jahre zwischen 1852 und 1933 zurückblicken, sprechen wir vor allem von den Königlichen Schauspielen und den Städtischen Bühnen. Sie stehen für die große Zeit der darstellenden Künste in Hannover – sichtbarstes Zeichen ist noch heute das Opernhaus auf dem Windmühlenhügel.

Unsere heutige Sicht trügt! Denn für die Menschen damals gab es in Hannover ein reiches Angebot an weiteren theatralen Angeboten – die Privattheater.

Sie waren mit ihrem Repertoire, mit ihren Ensembles und mit ihren unterschiedlichsten künstlerischen Ausrichtungen nicht weniger qualitätvoll und beachtlich – nicht weniger modern. Auch sie prägten das gesellschaftliche und künstlerische Gesicht der Stadt Hannover.

Und ebenso mit ihrer Architektur mussten sich die privat geführten Spielstätten nicht hinter dem Opernhaus verstecken.

Auch wenn sie heute nicht mehr sichtbar sind – so gab es sie doch – und ihre Geltung. Wir müssen nicht erst die Namen von Heinz Rühmann oder Theo Lingen nennen – die am Residenztheater Hannover ihre schauspielerischen Anfänge nahmen – um die Frage nach der spannenden Geschichte der Privattheater zu rechtfertigen. Der Besuch der zahlreichen Privattheater war damals für viele Hannoveranerinnen und Hannoveraner fester abendlicher Programmpunkt ihrer Unternehmungen.

Es ist Rainer Ertel zu danken, dass er hier all die vergessenen Theaternamen noch einmal nennt – Thaliatheater, Residenztheater, Stadttheater, Deutsches Theater. Nach der Lektüre des Buches werden wir mit wacheren Augen durch Hannover gehen. Denn er hat für seine Arbeit die Museen und Archive nicht nur nach den Besitzern der Privattheater und den Theaterprogrammen befragt – er ist gleichfalls auf direkte Spurensuche gegangen und hat auch die letzten baulichen Zeugnisse dieser Häuser in der Stadt entdeckt.

Rainer Ertel ist über seine Arbeit zu einem Experten für die Privattheater in Hannover geworden. Schon vor kurzem hat er in den Hannoverschen Geschichtsblättern einen grundlegenden Aufsatz über das Privattheater Hermann Mellinis veröffentlicht.

Wir hoffen sehr, dass sich Rainer Ertel auch zukünftig mit Themen des Theaters beschäftigt. Er hat mit dieser Arbeit unser Wissen über die frühen Privatbühnen in Hannover maßgeblich erweitert – und uns auch zahlreiche Dokumente für unsere Sammlung ergänzend zur Verfügung gestellt.

Für dieses kluge und kenntnisreiche Buch gilt ihm unsere aufrichtigste Anerkennung!

Dr. Carsten Niemann Theatermuseum Hannover

Vorwort des Verfassers

Die Geschichte der vier ältesten hannoverschen Privattheater, die bislang nur in Ausschnitten dokumentiert wurde (Kapitel 1 und 2) und der Blick auf weitere Privattheater in Hannover (Kapitel 3), eröffnen in der Zusammenschau interessante fachliche, aber auch heimatkundliche Perspektiven.

Da geht es zum einen um die bauliche Situation der Spielstätten, die im Laufe der Jahre viele Aus- und Umbauten erfahren haben, um letztlich als Magazin der Städtischen Bühnen (Deutsches Theater in der Reuterstraße) oder als Autogarage (Residenztheater in der Marktstraße und Uniontheater in der Maschstraße) zu enden.

Spannend und instruktiv ist auch der Blick auf die zahlreichen Wechsel von Eigentümern der Immobilien und Direktoren der Theater, deren Herkunft bzw. Zukunft Hannover mit anderen Städten verbindet, darunter auch Berlin und Wien. Insbesondere zwischen Deutschem Theater und Residenztheater hat aber auch ein bilateraler Austausch stattgefunden, wenn man an die Direktoren Friedrich Wiedemann, Julius Ritter oder Ewald Schindler denkt.

Wir erfahren auch, dass viele der Direktoren, die ja Pacht zu zahlen und i.d.R. Kautionen zu hinterlegen hatten, zur Sicherung der Beschäftigung und der Finanzierung ihrer Vorhaben mit ihren Ensembles parallel auch Theater an anderen Orten bespielten; so: Leo Walt(h)er Stein das Stadttheater in Minden, Karl Waldmann das Kurtheater auf Norderney, Georg Altmann das Fürstliche Schauspielhaus und das Sommertheater in Bad Pyrmont und Hermann Jaeger das Sommertheater Union in der hannoverschen Maschstraße.

Auf Dauer angelegt war offenbar das Spannungsverhältnis zwischen (Königlichem) Hoftheater und den Privatbühnen, beginnend 1852 mit einer scharfen Attacke des Hoftheaterintendanten gegen den Thaliaverein und dauerhaft präsent mit der Frage, ob die privaten Bühnen (notgedrungen) die Lücken zu füllen hatten, die das Hoftheater bot (wie Operette und Lustspiel) oder ob ihnen nicht eine eigenständige Aufgabe gerade im Hinblick auf die neuere Literatur zukam und zugekommen ist, so dass „neben deren Existenzmöglichkeit auch ihre Existenzberechtigung“ getreten war, wie es Georg Altmann einmal formuliert hatte.

Typisch für die Geschichte der Privattheater war und blieb auch der Spagat zwischen den künstlerischen Ansprüchen der wechselnden Direktoren und der Notwendigkeit, mit zugkräftigen Stücken ihre Häuser füllen zu müssen, um ein eigenes Ensemble und im günstigsten Fall auch Chor, Musiker und technisches Personal dauerhaft finanzieren zu können. Die Einladung von Tourneetheatern und Ensemblegastspielen geschah daher oft nicht nur aus künstlerischen Erwägungen und zur Abwechslung für das Publikum, sondern war manchmal auch finanziellen Überlegungen geschuldet, wenn ein fester Mitarbeiterstamm nicht (mehr) zu bezahlen war. Zur Geschichte der hannoverschen Privattheater gehören aber auch Aufführungsverbote wie anfänglich jenes für Hauptmanns „Weber“ im Deutschen Theater 1896, die dann aber doch erfolgreich über die Bühne gingen, oder öffentliche Proteste gegen die „Theaterschande“ der Aufführung von Schnitzlers „Reigen“ 1921 im Residenztheater.

Soweit der Prolog – und nun: Vorhang auf für einen Blick vor und hinter die Kulissen!

Dank

Für die Unterstützung bei der Abfassung der Arbeit, die Bereitstellung von Abbildungen und seine stete Gesprächsbereitschaft gilt mein Dank dem Leiter des Theatermuseums Hannover, Dr. Carsten Niemann. Katharina Walter hat freundlicherweise zusätzliche Bilder aus dem umfangreichen Bildarchiv des Historischen Museums Hannover (einschließlich HAZ-Nachlass Willhelm Hauschildt) herausgesucht und für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.

Dank auch an Maximilian Koch für die Bereitstellung der Aufnahme Wilhelm Hauschildts aus dem Jahr 1952 mit der Ruine des Deutschen Theaters und dem neuen Fahrzeugpark der Fa. Machwitz GmbH. Nicht zuletzt gilt mein Dank Helmut Knocke, der den Text kritisch durchgesehen hat und dem ich wichtige Hinweise zu architektonischen Fragen verdanke.

Ohne die Mitwirkung Ingrid Szurowskis hätten Text und Abbildungen des Bandes nicht in der vorliegenden Form gestaltet und für den Druck vorbereitet werden können. Auch dafür herzlichen Dank.

Dr. Rainer Ertel

1. Thaliatheater und Residenztheater Vom Thaliaverein zur Autogarage

„Das Thaliatheater, die Gründung eines Theatervereins, war in dem v. Steinbergschen Haus Marktstraße 47 eingerichtet und bestand in einem großen Saale mit Bühne“ (Nöldeke, 1932, S. 714). Zur Beschreibung des Hauses Marktstraße 47 heißt es bei Nöldeke dann an anderer Stelle weiter, dass das zwei Grundstücksbreiten einnehmende Hauptgebäude ein Traufenhaus mit Ziegeln sei, erbaut von Johann Scheele, der 1419 zum Bischof von Lübeck wurde. Die Front des Hauses sei wohl schon im 17. Jahrhundert verändert worden. 1852 bis 1924 habe das Haus das vom Thalia-Verein begründete Theater beherbergt, sei zu diesem Zweck im Inneren ausgebaut worden und diene jetzt als Kraftwagenhalle (vgl. Nöldeke, 1932, S. 572). Der Ausbau wurde 1852 von Oberhofbaurat Justus Molthan durchgeführt.

Pfahl (1913, S. 210) erläutert, dass in dem Theatersaal (Abb. 1) von einer eigenen Schauspielgesellschaft, anfangs nur für Vereinsmitglieder und später auch für Fremde, gute Vorstellungen gegeben wurden.

Abb. 1: Der Theatersaal des Thalia-Theatervereins; kolorierter Stahlstich um 1855/60; Hof-Steindruckerei der Gebr. Jänecke; Darstellung 28,5 cm x 34,8 cm (Sammlung des Verfassers)

Der Thalia-Verein beschloss auf einer Generalversammlung am 12. Mai 1851 im „Odeon“ eine Satzung, deren erste beide Paragraphen wie folgt lauten:

“§ 1. Die Gesellschaft führt den Namen ‚Thalia-Verein‘. Ihr Zweck ist: gesellige Vereinigung für Conversation, Spiel, Lectüre, Kränzchen, Maskeraden, Concerte und theatralische Vorstellungen.

§ 2. Der Verein dauert ohne Unterbrechung fort. Ueber die Dauer und die Art der theatralischen Vorstellungen, so weit sie möglich sind, bleibt die weitere Bestimmung dem Vorstande überlassen (§ 40).“

Des Weiteren wurde festgelegt, dass der Ankauf und die Unterhaltung des für die Vereinszwecke erforderlichen Lokals aus der Vereinskasse bestritten wird (§ 6). Diese wiederum wurde durch Einschüsse der Mitglieder gefüllt (§ 8), deren unterschiedliche Höhe davon abhing, ob man dem Verein als Besitzer (mit 50 Talern Gold) oder als Teilnehmer (mit 2 ½ Talern jährlich) angehörte. Zusätzlich galt die Verpflichtung zur Abnahme von Eintrittskarten.

Die Akten des Vereins verwahrt das Niedersächsische Landesarchiv, Hauptstaatsarchiv Hannover, darunter auch die bei der Schlüterschen Hof-Buchdruckerei 1851 aufgelegten „Gesetze des Thalia-Vereins“, also dessen Satzung.

In dem umfangreich dokumentierten Schriftwechsel geht es zentral um die Erteilung und Verlängerung von Konzessionen zu öffentlichen Theaterveranstaltungen, aber auch um die Frage, ob die Schauspieler eine Erlaubnis im Rahmen der Gewerbeordnung von 1847 benötigen oder nach dem Vagabondengesetz von 1826 zu behandeln sind (und damit auch polizeilich ausgewiesen werden dürfen).

Die Ankündigung einer Aufführung des Thalia-Vereins aus dem Jahre 1853 zeigt Abb. 2.

Interessant für unser Thema ist auch eine amtliche Aufstellung der in Hannover und den Vorstädten befindlichen privaten Theater 1854/55. Dort heißt es zum Thalia-Theater:

„Die Vorstellungen werden am Sonntag, Montag, Mittwoch und Freitag jeder Woche gegeben. Das Publikum besteht aus den Mitgliedern des Thaliavereins und sollen andere Personen keinen Zutritt haben. Der Verein zählt gegen 1700, unterschiedlichen Ständen und verschiedenen Religionen angehörige Mitglieder. Der überwiegenden Mehrzahl nach sind dieselben Subalternbeamte und Handel- und Gewerbetreibende …“ (Niedersächsisches Landesarchiv, HA Hann. 80 Hannover Nr. 02294, S. 7 f.).

Weiter werden in dieser Aufstellung genannt:

2. Das Theater des neuen bürgerlichen Vereins im Ballhofsaal (kleine Schauspiele, Operetten und Vaudevilles).

3. Das so genannte „Apolloclub-Theater“ im Gasthaus zum Deutschen Kaiser in der Steintorvorstadt („Die Darsteller sind Dilettanten aus der niederen Arbeiterklasse … Die aufgeführten Stücke meist Lustspiele sind werthlos, indeß nicht unsittlich“).

4. Das „Uraniaclub-Theater“ im Lokal der Gastwirtschaft Hahn „zum grünen Walde“ (Kommentar zu Stücken und Leistungen wie zuvor).

5. Das „Amicitiaclub-Theater“ im Lokal „Sans souci“ des Gastwirts Heine („Hinsichtlich Darstellern und Publikum gilt das unter 3 und 4 Gesagte, mit dem Zusatze, daß die weiblichen Darsteller notorisch liederliche Mädchen zum Theil waren“).

Schließlich werden noch die Sommertheater auf der Marieninsel und auf Tivoli genannt.

Abb. 2: Ankündigung des Thaliavereins im Hannoverschen Tagblatt, Nr. 298 vom 18.12.1853 (NLA Hannover, Hann. 80 Hannover 02293/1, S. 67; Digitalsat)

Am Rande sei noch erwähnt, dass 1868 dem Gesuch des Regisseurs der Urania-Bühne in Berlin Th. Kopka um Konzession zur Errichtung eines zweiten Theaters in Hannover nicht stattgegeben wurde, „… indem aus dem Gutachten der zuständigen Behörden ein Bedürfniß zur Errichtung eines neuen Theaters hierselbst in keiner Weise vorhanden ist“ (NLA HA, Hann. 80 Hannover, Nr. 02297). Der ablehnende Bescheid ist gezeichnet vom Oberpräsidenten der (jetzt) preußischen Provinz Hannover Otto Graf zu Stolberg.

Doch zurück zum Thalia-Theater:

Die hannoverschen Adressbücher nennen als Eigentümer des Hauses Marktstraße 47 von 1852 bis 1875 den Maurermeister Konrad Nordmann mit dem Hinweis “für den Thaliaverein“. Man hatte im vorderen Bereich Clubräume eingerichtet und im Hof den Saal mit Theater gebaut (vgl. Rischbieter, 1991, S. 109). Heinz Rühmann, der hier 1921/22 engagiert war, erinnerte sich später daran, dass das Residenztheater ganz eingeschachtelt zwischen anderen Häusern stand und sehr bescheiden wirkte (vgl. Rühmann, 1982, S. 72). In der beengten Altstadtsituation (siehe auch Abb. 19 und 28) galt es natürlich, sich auch Gedanken „betreffend der Locale des hiesigen Thalia-Vereins in Bezug auf deren Feuergefährlichkeit“ zu machen. Ein Gutachten gleichen Namens an die königliche Polizeidirektion erstatteten der Direktor der Polytechnischen Schule Karl Karmarsch und der dort als zweiter Lehrer im technologisch-chemischen Fache tätige Friedrich Heeren (vgl. Niedersächsisches Landesarchiv, HA Hann. 80 Hannover Nr. 02293. S. 121-126). Darin wird u.a. festgestellt, dass die Lage des Lokals des Thalia-Vereins günstiger ist als die des Ballhofes und des ehemaligen Remy´schen Hofes. Die neuen Gebäude seien zudem nur an wenigen Stellen an nachbarliche Grundstücke angebaut, durch starke Brandmauern geschützt und grenzten nur an drei Stellen an nachbarliche Höfe. Auch die kleine Bühne des Thalia-Vereins sei für Spritzen und jede Art Löschapparatur mit der hinreichenden Bedienung zugänglich. Sobald außer der stabilen Gasbeleuchtung keine Feuer-Experimente auf der Bühne vorgenommen würden, seien die Bedenken (auch hinsichtlich der Lage der Gebäude) nicht größer als bei vergleichbaren Objekten.

Der Vorlage des Gutachtens schloss sich zudem eine Ortsbesichtigung an, so dass aus dieser Sicht keine Bedenken gegen die Aufnahme des Theaterbetriebs bestanden. Bedenken ganz anderer Art trug allerdings der Hoftheaterintendant Hermann von Malortie, der Bruder des Hofmarschalls, gegen Theateraufführungen des Thaliavereins vor. Hierüber informiert der Hannoversche Courier bei Eröffnung des dem Thaliatheater nachfolgenden Residenztheaters 1879: „Man ging, wie H. Müller in seiner Chronik des Hoftheaters erzählt, sogar so weit, politische Motive gegen den harmlosen Club ins Treffen zu führen, man wollte illoyale oder gar demokratische Umtriebe wittern. Erst eine königliche Entscheidung mußte den Streit schlichten und die Existenz des neuen Theaters sichern“ (HC, No. 9951, 17.9.1879). Aus dem Brief den Malortie in dieser Angelegenheit an das königliche Ministerium schickte, zitiert Rahlfs (1928, Anm. 4, S. 51 f.). Es heißt dort u.a., dass „… jenes Unternehmen keine Begünstigung verdient, daß solches sogar in socialer Beziehung gefährlich ist, da jede Controlle gegen Mißbrauch fehlt. Daß in Sonderheit die politische Frage bei dem Kreise der Besucher jenes Theaters nicht unbeachtet bleiben darf, wird nicht verkannt werden. Daneben bedarf es keiner Nachweise, daß schon nach der Einrichtung des Clubs die Sache auf der alleräußersten Grenze des Erlaubten sich bewegt … und ist vorauszusehen, wenn nicht geeignete Maßnahmen ergriffen werden, den Thalia-Verein einer Censur zu unterwerfen, daß dort mit der Zeit Manches gesagt und gesungen wird, was schwerlich der Volksbildung Vortheil bringen möchte, wohl aber die guten Sitten zu verderben geeignet wäre.“

Der vom Kurier bereits zitierte Hermann Müller erhellt den Hintergrund dieses Protestes gegen die Einrichtung des Thalia-Theaters, der kurz vor Eröffnung des neuen Hoftheaters 1852 erfolgte: „Seine Gründe für diesen Protest waren: zuerst die Gefahr einer Schmälerung der Einnahmen des neuen Hoftheaters durch die Concurrenz (!), dann die zu befürchtende Überwucherung eines seichten und frivolen Geschmacks! Die letzte Befürchtung klingt umso befremdlicher, da sie von einem Intendanten herrührt, unter dessen elfjähriger Amtsführung nachweislich eine solche Versumpfung des Repertoirs hatte Platz greifen können … Da man dem Könige gegenüber nicht zu dem beabsichtigten Zweck gelangen konnte (die unerquickliche Angelegenheit zog sich ein Jahr lang hin) so versuchte man eine Pression auf die Hofbeamten, welche Mitglieder des Vereins waren; man entzog ihnen die zustehenden Freibillets für das Hoftheater…“ (Müller, hier 1884, S. 252 f.). Die Einschüchterung führte auch zu Austritten von Hofbeamten aus dem Thaliaverein. Als Georg V. von der Angelegenheit erfuhr, erhielten die ausgeschiedenen Hofbeamten aber die Order, „... wieder einzutreten, da Sr. Majestät nicht beikäme, seine treuen Diener im Genusse ihrer geselligen Vergnügungen zu stören.- Somit ward durch diese königliche Entscheidung der Streit erledigt und der Thalia-Verein hat länger als zwanzig Jahre bestanden, ohne die Casseneinnahmen des Hoftheaters durch seine Concurrenz zu beeinträchtigen“ (Müller, hier 1884, S. 253 f.). Am 15. April 1855 wurde zu Ehren des Geburtstags der Königin Marie im Thalia-Theater der szenische Prolog „Ein Frühlingsmorgen“ aufgeführt (Fürst, 1855). Nicht unerwähnt sei auch eine Anekdote, die der humoristische „Münchener Punsch“ (1856) berichtet: „Im Thaliatheater zu Hannover sollte dieser Tage Gottschall’s „Pitt und Fox“ aufgeführt werden. Eben vor Beginn der Vorstellung erschien ein Polizeibeamter, um höherer Weisung gemäß den Wunsch auszusprechen, daß die Aufführung unterbleibe, weil ein König von England nicht die beste Rolle in diesem Stücke spielt. Es sollen daselbst künftig nur mehr oktroyierte (bewilligte, d.V.) Stücke gegeben werden.“

Und noch einige weitere Streiflichter: Den festlichen Abschluss der im August 1861 in Hannover abgehaltenen Hauptversammlung des Gustav-Adolf Vereins bildete ein Konzert des Königlichen Hof- und Kirchenchors im Thaliasaal (vgl. Leipziger Zeitung, 1861). Bei dieser Versammlung wurde auch der Antrag auf Aufnahme der österreichischen Vereine entgegengenommen, die gegründet werden durften, nachdem Kaiser Franz Joseph im April d.J. das „Protestantenpatent“ erlassen hatte.

Ein Verzeichnis der auf dem Thalia-Theater in der Spielzeit 1866/67 gegebenen Vorstellungen wurde 1867 bei den Gebrüdern Jänecke herausgegeben (siehe Anm. 1). Am 29. November 1867 tritt Herr Hörmann vom hannoverschen Thaliatheater als Gast im Königlichen Theater in Passau in dem Stück „Das bemooste Haupt“ auf und übernimmt dort am 1. Dezember auch die Titelrolle in Charlotte Birch-Pfeiffers „Der Scheiben-Toni“ (Passauer Ztg, 1867) (Abb. 3).

Abb. 3: Ankündigung in der Passauer Zeitung am 30.11.1867 (digipress.digitale-sammlung.de)

1871 ist Emil Wiese Theaterdirektor und führt auch die Oberregie (Roeder, 1871, S. 190).

Während des deutsch-französischen Krieges musste dann offenbar der auf der Thaliabühne angekündigte Cancan-Tanz „wegen allgemein laut gewordener Entrüstung“ unterbleiben. Diese Entrüstung, so das Hannoversche Sonntagsblatt (1871), galt auch der Tatsache, dass nach Ankündigung im Tageblatt in der „Norddeutschen Liederhalle“ eben zu dieser Zeit zum ersten Male der Cancan getanzt werden sollte. „Ob sich diese Sache mit der Gewerbe-Ordnung und dem Strafgesetzbuche verträgt, mögen Juristen untersuchen; daß sie vor Gottes Wort verworfen ist, leidet keinen Zweifel“, so der Kommentar des christlichen Wochenblattes.

1873 wird berichtet, dass am 21. Februar auf dem Thaliatheater in Hannover Sacher-Masoch’s „Mann ohne Vorurtheil“ in Szene ging und dieselbe beifällige Aufnahme gefunden habe wie in Berlin, Wien, Graz, Salzburg und Klagenfurt (vgl. „Über Land und Meer“, 1873). Den Anzeigen des Thalia-Theaters im Courier ist dazu ergänzend zu entnehmen, dass es sich um eine öffentliche Vorstellung und eine Benefizveranstaltung für Herrn Willi handelte. Tags zuvor gab es als 51. Vereins-Vorstellung dort Offenbachs „Die schöne Helena“ und noch einen Tag früher (wiederum in öffentlicher Veranstaltung) zum ersten Mal „Die Cameliendame“.

Als der Thalia-Verein sein Haus in den 1870er Jahre verkaufen musste (siehe Anm. 2