Zürich-Transit - Max Frisch - E-Book

Zürich-Transit E-Book

Max Frisch

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Beschreibung

Das Filmskript Zürich - Transit ist hervorgegangen aus einer Episode des 1964 erschienenen Romans Mein Name sei Gantenbein: »Eine Geschichte für Camilla: von einem Mann, der immer wieder einmal entschlossen ist, seinen Lebenswandel zu ändern, und natürlich gelingt es ihm nie ...«

Doch eines Tages kommt er, Theo Ehrismann, von einem Auslandaufenthalt zurück und liest in der Zeitung seine eigene Todesanzeige. Er kommt gerade noch recht zur Beerdigung und beobachtet die Trauergemeinde, vermag aber nicht, sich den anderen und vor allem seiner Frau zu erkennen zu geben: »Wie sagt man, daß man lebt?«

Max Frisch setzt gegen die herkömmliche, sich kausal entwickelnde Dramaturgie von Texten eine Dramaturgie des Zufalls. Das Leben, so Max Frisch 1965, »summiert sich aus Handlungen, die oft zufällig sind, und es hätte immer auch anders sein können, es gibt keine Handlung und Unterlassung, die für die Zukunft nicht Varianten zuließe«.

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Seitenzahl: 68

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Max Frisch

Zürich – Transit

Skizze eines Films

Suhrkamp

Inhalt

Verfilmung von literarischen Werken… Max Frisch

Widmung

Düsenlärm in der Nacht, …

Verfilmung von literarischen Werken, die sich schon in Sprache verwirklichen und ohne das bewegte Bild auf der Leinwand bestehen, ist üblich und selten glücklich; ich versuchte das andere: zu schreiben für den Film. Das heißt aber: es gilt nur, was sich mit filmischen Mitteln fassen läßt, und der Text, übrigens nicht ohne freundschaftliche Beratung durch Film-Macher entstanden, kann und soll nicht mehr sein als Anweisung, als Plan, als Gerüst; was nur sprachlich zu vermitteln ist, aber nicht bildlich, wäre wertlos. Das ist für einen Schriftsteller (weniger für einen Stückschreiber als für einen Erzähler) ungewohnt; ich hatte daher eine möglichst einfache Geschichte zu wählen: für den Film-Anfänger, der ich bin und vorderhand bleibe, da die Produktion, im Herbst 1965, zweimal infolge Mißgeschicks abgebrochen werden mußte. Was hier vorliegt, ist also nicht eine Erzählung, sondern: ein Libretto.

M.F.

Dezember 1965

Für Ernst Schröder

– Düsenlärm in der Nacht, wenn ein Jet steht und die Triebwerke auslaufen läßt, dann Stille: Straßenbelag, und man sieht einen Wagenschlüssel, den offenbar jemand verloren hat. | Blinklicht auf dem Kommando-Turm des Flughafens kreisend in der Nacht, FLUGHAFEN ZÜRICH, wieder Düsenlärm in der Ferne. | Der Porsche-Schlüssel auf dem Straßenbelag, er glänzt jedesmal, wenn ihn das Blinklicht streift. Jetzt ein Männerschuh daneben. Stille. Der Schuh nähert sich dem Porsche-Schlüssel, schiebt ihn zweimal hin und her; kurz darauf eine Männerhand, die den Schlüssel nimmt. | Vogelsicht auf den nächtlichen Parkplatz, der ziemlich leer ist; unter einer Bogenlampe steht ein weißer Porsche, unweit davon der Mann, der den Schlüssel gefunden hat und sich jetzt umsieht, ob irgend jemand ihn sehen kann. Der Mann, übrigens mantellos, tut eine Weile, als schlendere er, und dreht sich nochmals um, bevor er, plötzlich flink, zum weißen Porsche geht, aufschließt und einsteigt. | Jetzt das Armaturen-Brett eines Porsche: offensichtlich kennt der Mann sich nicht aus, seine Hand mit dem Schlüssel sucht den Anlasser, aber findet ihn nicht, man sieht den Mann nur als Umriß. Ein junger Mann. Der Motor springt an, Leerlauf mit Vollgas. | Vogelsicht wie vorher: der weiße Porsche, lichtlos, fährt rückwärts in einem unsicheren Bogen aus dem Parkfeld und steht einige Sekunden, bevor seine Scheinwerfer aufblenden, dann fährt er mit grobem Ruck los und verschwindet in der Nacht. | Seine linke Hand am Steuer, man sieht, daß er den fremden Wagen nicht ganz in der Gewalt hat. | Quietschen der Reifen in geschnittenen Kurven, Überlandstraße, eine Allee flitzt durch Scheinwerferlicht, es wird gehupt, man hört Bremsen und dann, wobei die Leinwand dunkel wird, eine Detonation.

– Stille, es erscheint der Titel: ZÜRICH – TRANSIT. Vorspann, während man im Hintergrund die nächtliche Unglücksstelle sieht: Polizei, die absperrt, Helme und Stiefel, | ein Lastwagen-Anhänger gekippt am Straßenrand, Flammen von brennendem Benzin auf der Straße, | Schattengestalten, | man sieht den brennenden Porsche aus Entfernung, | das Licht-Signal des Sanitätswagens, | ein Löschgerät in Betrieb, Flammen, die das Löschgerät nicht tilgen kann, | zuletzt zwei Sanitäter: sie stellen eine leere Tragbahre an einen Mast. Ende des Vorspanns.

– Groß aus der Nähe: der brennende Porsche, der völlig zerschmettert ist, mit den Rädern nach oben, und jetzt hört man das Prasseln der Flammen; die Reifen brennen auch. | Dasselbe Bild plötzlich als starres Foto auf Zeitungspapier, Stille, Text darüber: »Wieder Tod auf der Straße«, und daneben das Foto eines Mannes im besten Alter, Pfeife im Mund, lächelnd, ein hiesiges Gesicht und sympathisch und voll alltäglicher Zuversicht, Text darüber: »THEO EHRISMANN, Dipl.-Ing. †« | und dann die lebenden Hände, die diese Zeitung halten, Armbanduhr, Manschetten, | und jetzt der Zeitungsleser von vorne: es ist dasselbe Gesicht, das man eben in der Zeitung gesehen hat, jedoch ohne Pfeife im Mund, ohne Lächeln, nicht entsetzt, nur verdutzt; er überlegt, er schaut auf, er träumt nicht: | Kabine einer Caravelle, | und nochmals sein Foto in der Zeitung: ein durchschnittliches Gesicht, sicher ein tüchtiger Mann, einer, der mit dieser Welt zurechtkommt; man hört jetzt das Geräusch von anlaufenden Düsen. | Lichtschrift: »Fasten your Seatbelt.« | Ehrismann sitzt allein an einem Fenster, die Zeitung noch in der Hand; eine Stewardeß geht durch die Kabine, lächelnd wie immer, prüft links und rechts, ob alle Passagiere angeschnallt sind, und kommt auch zu Ehrismann.

STEWARDESS Can I help you?

– Schweißperlen auf seiner Stirne.

STEWARDESS Can I do anything for you?

– Ehrismann schnallt sich an, sofort bemüht um eine Haltung, als wäre nichts vorgefallen, und versucht zu lächeln, während die Stewardeß, die den Schweiß auf seiner Stirne sieht und über ihn hinweg an einer Ventilation hantiert, ihm ihrerseits zulächelt, bevor sie weitergeht. | Die Caravelle (»Swissair«) von außen: Windspuren auf dem nassen Beton, ein Signal-Mann gibt die Ausfahrt frei, das langsame und mühsame Abrollen der Caravelle mit großem Düsenlärm, dann Flughafenbauten, LONDON AIRPORT. | Ehrismann an seinem Fensterplatz, nachdem er die Zeitung auf den leeren Nebensitz gelegt hat, steckt sich unwillkürlich eine Pfeife in den Mund.

STEWARDESS No smoking, Sir.

– Sofort läßt er seine Pfeife verschwinden, tut, als blickte er zum Fenster hinaus: | Morgensonne über Gras, Pisten-Signale gleiten unter der Tragfläche vorbei, während man seine Stimme hört:

Um auszusteigen und zuhause anzurufen, war es zu spät–

– Sein Hinterkopf, während er zum Fenster hinausschaut, | Eine Frau in mittleren Jahren, ein Gesicht, das auf eigentümliche Weise sehr schön sein kann, aber jetzt wie versteinert ist.

Die arme Monika!

– Sie sitzt, sie trägt einen Pullover, sie starrt, sie weiß nicht, was machen. | Ein Passagier, der wie alle anderen angeschnallt auf den Start wartet, möchte die Zeitung lesen, die Ehrismann auf den leeren Nebensitz gelegt hat:

PASSAGIER Sie gestatten?

– Ehrismann dreht sich um.

PASSAGIER Sie gestatten?

– Ehrismann nickt.

EHRISMANN Please.

– Und dann dreht er sich wieder zum Fenster, damit man sein Gesicht nicht sieht; der Passagier auf der andern Seite des Korridors entfaltet die Zeitung, das Foto von dem brennenden Porsche interessiert ihn nur einen Blick lang, er blättert weiter.

LAUTSPRECHER Kapitän Hügi und seine Besatzung begrüßen Sie an Bord unsrer Caravelle. Unser Flug nach Zürich dauert eine Stunde und zehn Minuten. Danke.

– Ehrismann schaut auf seine Armbanduhr.

LAUTSPRECHER Captain Hügi and his crew (Düsenlärm.) Thank you. (Knacken im Lautsprecher.) We hope you will enjoy your flight.

–Jetzt Düsen auf Vollgas.

– Stille: man sieht eine Halle, das städtische Sarg-Lager beim Friedhof Sihlfeld, die leeren Särge stehen reihenweise zur Auswahl.

Monika tat mir leid: die Nachricht von meinem Tod und all die Schererei, die ich ihr nicht hatte abnehmen können –

Monika erscheint in einem Pelzmantel, begleitet von ihrem Bruder Willy, geht von Sarg zu Sarg. Ein städtischer Beamter geht voran, indem er überall, wo Monika stehen bleibt, taktvoll-sachlich den Preis nennt.

BEAMTER Vierhundertnünzg.

– Sie geht weiter. Man hört nur die Schritte in der feierlich-öden Halle.

Ich solle nicht fahren wie ein Verrückter. Das war ihr letztes Wort –

– Monika bleibt stehen.

BEAMTER Drühundertsächzg.

– Willy, der Bruder, will sich nicht einmischen, er wäre mit jedem Sarg einverstanden, zeigt aber Geduld. Die Halle ist lang, die Auswahl beträchtlich. Särge mit Verzierung und ohne.

BEAMTER Zweihundertzwänzg.

– Monika bleibt stehen.

Ich hatte gelogen. Geschäftsreise! Ich hatte niemand gesagt, daß ich nach London flog.

–Sie schaut auf den Sarg, geistesabwesend, aber irgendein Sarg muß es ja sein, nur nicht grad der billigste; Monika geht nicht weiter, aber schaut hin zum nächsten Sarg.

BEAMTER Sechshundert.

– Sie nickt, und der taktvoll-sachliche Beamte notiert sich die Nummer, während Willy, der Bruder, jetzt der Witwe seinen Arm gibt.

– Ehrismann in der Kabine der fliegenden Caravelle: man darf sich jetzt losschnallen, und er tut es. Aber was weiter? Als die Stewardeß mit einem Bündel neuer Zeitungen kommt, läßt er sich die »Neue Zürcher Zeitung« geben, schlägt die Seite mit den Todesanzeigen auf, wie er den Handelsteil oder den Sportteil aufschlagen würde, sucht kurz und findet: | Todesanzeige groß: »Zürich, 4. Oktober 1965. Theo Ehrismann. Dipl.-Ing. Gott, dem Allmächtigen, hat es gefallen –« | Sein Gesicht, während er seine Todesanzeige liest; | dann steckt er die Zeitung in die Tasche am Vordersitz.

Um II Uhr war meine Bestattung.

– Nebelmeer, Sonne, der wolkenlose Himmel mit der blinkenden Tragfläche darin.

Ich hatte nicht gewußt, daß Monika religiös ist; sie hatte es nie verraten.