Zwei Jahre Ferien - Jules Verne - E-Book

Zwei Jahre Ferien E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Dies ist die illustrierte Version dieses Klassikers. In dem Buch geht es um 14 Jungen aus dem neuseeländischen Internat Chairman in Auckland, im Jahre 1860, die als Auszeichnung für besondere Leistung von ihren wohlhabenden Eltern eine Schifffahrt rund um Neuseeland geschenkt bekommen. Am 16. Februar sollten die Kinder samt einer ausgebildeten Mannschaft und Kapitän die Reise mit dem Schoner "Sloughi" starten. Jedoch sind die Schüler in der Nacht vor der Abfahrt schon an Bord, während die Mannschaft im Hafen schläft. Durch ungeklärte Umstände reißt sich das Schiffsseil los und der Schoner gerät in einen fürchterlichen Sturm. Entsetzt bemerken die Kinder das sie zu fünfzehnt auf sich alleine gestellt sind. (aus wikipedia.de)

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Zwei Jahre Ferien

Jules Verne

Inhalt:

Jules Verne – Biografie und Bibliografie

Zwei Jahre Ferien

Erstes Capitel.

Zweites Capitel.

Drittes Capitel.

Viertes Capitel.

Fünftes Capitel.

Sechstes Capitel.

Siebentes Capitel.

Achtes Capitel.

Neuntes Capitel.

Zehntes Capitel.

Elftes Capitel.

Zwölftes Capitel.

Dreizehntes Capitel.

Vierzehntes Capitel.

Fünfzehntes Capitel.

Sechzehntes Capitel.

Siebzehntes Capitel.

Achtzehntes Capitel.

Neunzehntes Capitel.

Zwanzigstes Capitel.

Einundzwanzigstes Capitel.

Zweiundzwanzigstes Capitel.

Dreiundzwanzigstes Capitel.

Vierundzwanzigstes Capitel.

Fünfundzwanzigstes Capitel.

Sechsundzwanzigstes Capitel.

Siebenundzwanzigstes Capitel.

Achtundzwanzigstes Capitel.

Neunundzwanzigstes Capitel

Dreißigstes Capitel.

Zwei Jahre Ferien, Jules Verne

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

Jules Verne – Biografie und Bibliografie

Franz. Schriftsteller, geb. 8. Febr. 1828 in Nantes, gest. 24. März 1905 in Amiens, studierte in Paris die Rechte, muß sich aber schon früh auch den Naturwissenschaften zugewandt haben, denn gleich sein erster Roman, der die Reihe jener originellen, eine völlig neue Gattung begründenden Produkte Vernes eröffnete: »Cinq semainesen ballon« (1863), zeugt von jenem Studium. Der Erfolg, dessen sich diese Schöpfung erfreute, bestimmte ihn, die dramatische Laufbahn, mit der er sich bereits durch mehrere »Comédies« und Operntexte vertraut gemacht hatte, zu verlassen und sich ausschließlich dem phantastisch-naturwissenschaftlichen Roman zu widmen. V. führt seine Leser auf den abenteuerlichsten, stets aber physikalisch motivierten Fahrten nach dem Monde, um den Mond, nach dem Mittelpunkte der Erde, »20,000 Meilen« unter das Meer, auf das Eis des Nordens, auf den Schnee des Montblanc, durch die Sonnenwelt etc., und man kann nicht leugnen, daß er es verstand, die ernste Lehre, wenigstens die große Fülle seiner realen Kenntnisse, mit dem Faden der poetischen Fiktion geschickt zu verweben und dem unkundigen Leser eine gewisse Anschauung von naturwissenschaftlichen Dingen und Fragen spielend beizubringen. Wir nennen hier seine »Aventures du capitaine Hatteras« (1867), »Les enfants du capitaine Grant«, »La découverte de la terre« (1870), »Voyage autour du monde en 80 jours« (1872), »Le docteur Ox« (1874), »Un hivernage dans le glâces«, »Michel Strogoff (Moscou, Ireoutsk)«, »Un capitaine de 15 aus«, »Les Indes noires« (1875), »La maison à vapeur«, »Mathias Sandorf« (1887), »Claudius Bombarnai«, »Le Château des Carpathes« (1892), alle bereits in vielen Ausgaben erschienen und von der Lesewelt verschlungen, auch meist ins Deutsche übersetzt und in Form von Ausstattungsstücken mit nicht geringem Erfolg auf die Bühne gebracht (vgl. »Les voyages an théâtre« von V. und A.Dennery). Die »Œuvres complètes«

Vernes erschienen 1878 in 34 Bänden (illustrierte Ausg. 15 Bde.).

Romane:

    Fünf Wochen im Ballon. 1875

    Reise zum Mittelpunkt der Erde. 1873

    Von der Erde zum Mond. 1873

    Abenteuer des Kapitän Hatteras. 1875

    Die Kinder des Kapitän Grant. 1875

    Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer. 1874

    Reise um den Mond. 1873

    Eine schwimmende Stadt. 1875

    Abenteuer von drei Russen und drei Engländern in Südafrika. 1875

    Das Land der Pelze. 1875

    Reise um die Erde in 80 Tagen. 1873

    Die geheimnisvolle Insel. 1875 und 1876

    Der Chancellor. 1875

    Der Kurier des Zaren. 1876

    Reise durch die Sonnenwelt. 1878

    Die Stadt unter der Erde. 1878

    Ein Kapitän von 15 Jahren. 1879

    Die 500 Millionen der Begum. 1880

    Die Leiden eines Chinesen in China. 1880

    Das Dampfhaus. 1881

    Die „Jangada“. 1882

    Die Schule der Robinsons. 1885

    Der grüne Strahl. 1885

    Keraban der Starrkopf. 1885

    Der Südstern oder Das Land der Diamanten. 1886

    Der Archipel in Flammen. 1886

    Mathias Sandorf. 1887

    Ein Lotterie-Los. 1887

    Robur der Sieger. 1887

    Nord gegen Süd. 1888

    Zwei Jahre Ferien. 1889

    Die Familie ohne Namen. 1891

    Kein Durcheinander. 1891

    Cäsar Cascabel. 1891

    Mistress Branican. 1891

    Das Karpatenschloss. 1893

    Claudius Bombarnac. 1893

    Der Findling. 1894

    Meister Antifers wunderbare Abenteuer. 1894

    Die Propellerinsel. 1895

    Vor der Flagge des Vaterlandes. 1896

    Clovis Dardentor. 1896

    Die Eissphinx. 1897

    Der stolze Orinoco. 1898

    Das Testament eines Exzentrischen. 1899

    Das zweite Vaterland. 1901

    Das Dorf in den Lüften.1901

Zwei Jahre Ferien

Erstes Capitel.

 Der Sturm. – Ein verirrter Schooner. – Vier Knaben auf dem Berdeck des "Sloughi". – Das Focksegel in Stücken. – Im Innern der Yacht. – Der halberstickte Schiffsjunge. – Land in Sicht durch den Morgennebel. – Die Klippenbank.

In der Nacht des 9. März 1860 beschränkten die mit dem Meere fast zusammenfließenden Wolken die Sehweite bis auf wenige Fadenlängen.

Auf dem empörten Wasser, dessen Wogen, fahle Lichter werfend, einherstürmten, flog ein leichtes Fahrzeug fast segellos dahin.

Es war eine Yacht von hundert Tonnen – ein Schooner, mit welchem Namen man in England und Amerika solche Goëletten bezeichnet.

Dieser Schooner führte den Namen »Sloughi«; doch vergebens hätte man denselben am Achter des Fahrzeugs zu lesen gesucht, da die betreffende Tafelplanke durch irgend einen Zufall – durch Anprall der Wogen oder Collision – unter der Regeling zum größten Theil abgesprengt war.

Es war jetzt um elf Uhr Nachts. Unter den Breiten, wo sich das Schiff befand, sind die Nächte zu Anfang des März noch kurz. Das erste Tagesgrauen war etwa gegen fünf Uhr Morgens zu erwarten. Doch verminderten sich damit, daß die Sonne den Weltraum erleuchtete, die Gefahren, welche den »Sloughi« bedrohten? Blieb das gebrechliche Fahrzeug nicht noch immer der Gnade der ungeheuren Wogen anheimgegeben? Unzweifelhaft; nur die Besänftigung der hohlen See, das Abflauen des wüthenden Sturmes konnte dasselbe vor dem entsetzlichsten Schiffbruche bewahren, vor dem auf offenen Meere, fern von jedem Lande, auf dem die Ueberlebenden vielleicht hätten Rettung finden können.

Auf dem Hintertheile des »Sloughi« standen drei Knaben, der eine im Alter von vierzehn, die beiden andern in dem von dreizehn Jahren, und außerdem ein zwölfjähriger Schiffsjunge von Negereltern, am Steuerrade. Hier vereinigten sie ihre Kräfte, um den seitwärts anstürmenden Wellen, welche die Yacht querzulegen drohten, Widerstand zu leisten. Es war ein hartes Stück Arbeit, denn das trotz ihres Entgegenstemmens sich drehende Rad schien sie jeden Augenblick über die Schanzkleidung schleudern zu können. Kurz vor Mitternacht brach auch einmal eine solche Wassermasse über die Seite der Yacht herein, daß es ein Wunder zu nennen war, als das Steuer derselben noch glücklich Stand hielt

Die Knaben wurden zwar von dem Stoße umgeworfen, konnten sich aber sofort wieder erheben.

»Gehorcht es noch dem Steuer, Briant? fragte einer derselben.

– Ja, Gordon,« antwortete Briant, der seinen Platz schon wieder eingenommen und offenbar die gewohnte Kaltblütigkeit bewahrt hatte.

Darauf wandte er sich an den Dritten.

»Fest halten, Doniphan, rief er, und auf keinen Fall den Muth verlieren!... Es gilt, außer uns auch noch Andere zu retten!«

Diese Worte wurden englisch gesprochen, doch verrieth der Tonfall bei Briant die französische Abkunft. 

Dieser kehrte sich nachher nach dem Schiffsjungen um.

»Du bist doch nicht verletzt, Moko?

– Nein, Herr Briant, erklärte der Gefragte. Doch lassen Sie uns darauf achten, die Yacht gerade gegen die Wellen zu halten, sonst laufen wir Gefahr versenkt zu werden!«

Eben wurde die Kappenthüre der nach dem Salon des Schooners hinabführenden Treppe hastig geöffnet.

»Briant!... Briant! rief ein Kind von neun Jahren. Was ist denn geschehen?

– Nichts, Iverson, gar nichts, erwiderte Briant. Geh' mit Dole wieder hinunter, aber recht schnell!

– Ach, wir fürchten uns so sehr! ließ sich das zweite, noch etwas jüngere Kind vernehmen.

– Und die Anderen? fragte Doniphan.

– Die Andern auch! versicherte Dole.

– Nun geht nur Alle hinunter, ermahnte Briant. Schließt Euch fest ein, sucht Eure Lagerstätten auf und macht die Augen zu, dann werdet Ihr keine Furcht mehr spüren. Gefahr ist nicht vorhanden.

– Achtung!... Wieder eine große Welle!« rief Moko.

Ein gewaltiger Anprall erschütterte das Hintertheil der Yacht. Diesmal schlug die See glücklicherweise nicht über, denn wenn das Wasser in größerer Menge durch die Treppenthür gedrungen wäre, hätte sich die noch weiter belastete Yacht bei dem starken Seegange schwerlich wieder aufrichten können.

»Macht doch, daß Ihr hineinkommt! rief Gordon. Hinunter, oder ihr bekommt's mit mir zu thun!

– Geht, geht hinunter, Ihr Kleinen!« setzte Briant in freundlicherem Tone hinzu.

Die beiden Köpfe verschwanden gerade in dem Augenblicke, wo ein anderer am Treppenausgange erscheinender Knabe sagte:

»Du bedarfst unser nicht, Briant?

– Nein, Baxter, antwortete dieser. Du magst mit Croß, Webb, Service und Wilcox bei den Kleinen bleiben. Wir Vier sind uns genug.«

Baxter schloß wieder sorgfältig die Thür.

»Die Anderen fürchteten sich auch!« hatte Dole gesagt.

Aber befanden sich denn ausschließlich Kinder auf diesem vom Orcan verschlagenen Schooner? – Ja, nichts als Kinder. – Und wie viele waren es? – Fünfzehn, unter Einrechnung Gordon's, Briant's, Doniphan's und des Schiffsjungen.

– Durch welche Zufälligkeiten diese allein mit ihrem Schiffe abgesegelt waren, werden wir später erfahren.

Und auf der Yacht befand sich kein erwachsener Mann? Kein Capitän, um diese zu führen? Kein Seemann zur Bedienung des Segelwerkes und der Takelage? Kein Steuermann, um bei diesem Sturme das Steuer zu handhaben? – Nein, kein einziger!

 Briant und Moko bewiesen erstaunliche Geschicklichkeit. (S. 11.)

Ebenso hätte keine lebende Seele an Bord genau angeben können, an welchem Orte auf dem Ocean der »Sloughi" sich befinde..... Welcher Ocean

 Das Wasser rührte nur von Spritzseen her. (S. 13.)

war es überhaupt?... Der ausgedehnteste von allen, das Stille Weltmeer, das sich über 140 Längengrade von der Landmasse Australiens und den Küsten Neuseelands bis zur Küste von Südamerika erstreckt.

Was mochte hier vorgegangen sein? War die Besatzung des Schooners durch einen Unfall verunglückt? Hatten malayische Seeräuber sie entführt und an Bord die jungen Passagiere, deren ältester kaum vierzehn Jahre zählte, ihrem Schicksale überlassen? Eine Yacht von hundert Tonnen erfordert mindestens einen Capitän, einen Obersteuermann und fünf bis sechs Leute, und von diesem zur Führung des Schiffes unentbehrlichen Personal war ein Schiffsjunge allein übrig!... Woher endlich kam dieser Schooner, aus welchem australischen Gebiete oder welchem oceanischen Archipel? – Und wohin war er bestimmt? Auf diese Fragen, welche jeder Schiffer gestellt hätte, wenn ihm der »Sloughi« in diesen einsamen Meerestheilen begegnet wäre, würden die Kinder wohl haben Antwort geben können; es war jedoch weder ein Segel in Sicht, noch einer jener transatlantischen Dampfer, deren Reiserouten sich auf den Meeren Oceaniens kreuzen; ebensowenig eines der unter Segel oder Dampf laufenden Kauffahrteischiffe, welche Europa, wie Amerika, zu Hunderten nach den Häfen des Großen Oceans entsendet. Doch hätte auch eines jener mächtigen Fahrzeuge, durch seine Dampfmaschine oder seine große Besegelung gegen den Sturm ankämpfend, sich in dieser Gegend gezeigt, so würde es doch nicht in der Lage gewesen sein, der von der rollenden See gleich einem Spielballe umhergeworfenen Yacht Hilfe zu leisten.

Inzwischen wachten Briant und seine Gefährten so gut sie konnten darüber, daß der Schooner nicht nach der einen oder der andern Seite abgedrängt wurde.

»Was thun wir nun?... fragte da Doniphan.

– Alles, was uns mit Gottes Hilfe möglich sein wird, uns zu retten, antwortete Briant.

In der That verdoppelte der Sturm jetzt seine Gewalt. Der Wind wehte »fuderweise«, wie die (französischen) Seeleute zu sagen pflegen, und wiederholt schien es, als müsse der »Sloughi« bei dem schauerlichen Unwetter in Trümmer gehen. Seit achtundvierzig Stunden rhedelos, der Großmast vier Fuß über den Deckbalken abgebrochen, hatte man kein Schönfahrsegel hissen können, um das Schiff sicherer zu regieren. Der nur seiner Oberbramstenge beraubte Fockmast stand zwar vorläufig noch fest, doch war jede Minute zu befürchten, daß er, wenn die Wanten (Strickleitern) desselben rissen, sich auf das Deck herabsenken würde. Vorn flatterten und klatschten die Fetzen des kleinen Klüversegels so laut wie der Knall einer Feuerwaffe. Als einziges Segelwerk war nur das Focksegel übrig, welches aber ebenfalls zu zerreißen drohte, da die Knaben nicht Kraft genug hatten, durch ein eingezogenes Reff seine Oberfläche zu verkleinern. Kam es auch noch dazu, so konnte der Schooner nicht mehr im Striche des Windes gehalten werden; die Wogen rollten dann von der Seite her über ihn herein, brachten ihn zum Kentern und zum Sinken, und damit verschwanden seine Passagiere im schauerlichen Abgrunde.

Und bisher war nach der offenen See zu keine Insel entdeckt worden, keine Linie festen Landes im Osten aufgetaucht! Sich mit einem Schiffe auf den Strand zu setzen, ist ein entsetzliches Rettungsmittel, und doch würden diese Kinder es weniger gefürchtet haben, als das Wüthen des grenzenlosen Meeres. Jedes beliebige Ufer hätten sie trotz etwaiger Untiefen, Klippen, trotz des darauf stürmenden Wogenschwalles und der Brandung, welche unaufhörlich gegen die Felsmauern donnert, als winkende Rettung begrüßt, als festes Land unter den Füßen an Stelle des Oceans, der sie jeden Augenblick zu verschlingen drohte.

Auch nach einem Lichte, auf das sie hätten zusteuern können, spähten sie vergebens...

Kein freundlicher Schein durchdrang das tiefe Dunkel der Nacht.

»Der Fockmast ist gebrochen! rief Doniphan.

– Nein; nur das Segeltuch hat sich von den Saumtauen losgerissen, erklärte der Schiffsjunge.

– Wir müssen uns desselben entledigen, meinte Briant. Gordon, bleib' Du mit Doniphan am Rade, und Du, Moko, hilfst mir!«

Wenn Moko als Schiffsjunge einige nautische Kenntnisse besitzen mußte, so gingen diese auch Briant nicht vollständig ab. Da er auf seiner Fahrt von Europa nach Oceanien den Atlantischen und den Stillen Ocean durchschifft, hatte er sich mit der Führung eines Schiffes einigermaßen vertraut gemacht. Das erklärt es, weshalb die anderen Knaben, welche davon gar nichts verstanden, Moko und ihm die Sorge, den Schooner zu führen, hatten überlassen müssen.

In einem Augenblicke waren Briant und der Schiffsjunge unerschrocken nach dem Vordertheil der Yacht geeilt. Um deren Drehung zu verhüten, mußten sie dieselbe von dem Focksegel befreien, dessen unterer Theil eine Art Tasche bildete und durch Abfangen des Windes den Schooner so bedenklich nach seitwärts neigte, daß dieser fast die Wellenkämme berührte. Kam es aber erst so weit, so konnte dieser sich nicht wieder aufrichten, wenn nicht der Fockmast nach Sprengung seiner metallenen Puttings gekappt wurde; wie hätten Kinder das indeß ausführen können?

Unter diesen schwierigen Umständen bewiesen Briant und Moko eine wirklich erstaunliche Geschicklichkeit. In der Absicht, an Leinwand so viel wie möglich zu behalten, um den »Sloughi« während der Dauer des Sturmes vor dem Winde zu erhalten, bemühten sie sich – und zwar mit Erfolg – das Hißtau der Raa zu lösen, welche sich nun bis auf vier bis fünf Fuß über dem Deck herabsenkte. Nach Lostrennung einzelner Fetzen des Focksegels mittels Messer, wurden dessen untere Ecken durch einige Hilfsbrassen an den Pflöcken der Schanzkleidung befestigt, wobei die zwei muthigen Knaben freilich zwanzigmal in Gefahr kamen, von Sturzseen weggespült zu werden.

Unter dieser bis aufs äußerste verminderten Segelfläche konnte dem Schooner wenigstens die Richtung gesichert werden, die er jetzt schon lange Zeit einhielt. Schon der Druck des Windes an seinem Rumpf allein genügte übrigens, ihn mit der Schnelligkeit eines Torpedobootes dahinzujagen. Das war von Wichtigkeit, weil es darauf ankam, schneller als die nachrollenden Wogen fortzutreiben, um von zu schweren Sturzseen über Hackbord frei zu bleiben.

Nach Durchführung ihrer Aufgabe kehrten Briant und Moko wieder zu Gordon und Doniphan zurück, um diese beim Steuern zu unterstützen.

Eben jetzt öffnete sich die Thür der Treppenkappe zum zweiten Male. Ein Kind steckte den Kopf heraus. Es war Jacques, der um drei Jahre jüngere Bruder Briant's.

»Was willst Du, Jacques? fragte ihn sein Bruder.

– Komm! Komm schnell! erwiderte Jacques. Im Salon steht Wasser!

– Ist das möglich?« rief Briant erschreckt.

Eilenden Schrittes lief er nach der Kappe und sprang die Treppe hinunter.

Den Salon erleuchtete nur ganz nothdürftig eine Hängelampe, welche bei dem Stampfen des Schiffes heftig schwankte. Beim Scheine derselben erblickte man etwa zehn Kinder auf den Polsterbänken oder den Lagerstätten des »Sloughi« Die kleinsten derselben – und es waren solche von acht bis neun Jahren darunter – hatten sich in ihrer Todesangst dicht an einander gedrängt.

»Es ist keine Gefahr vorhanden! rief ihnen Briant, der sie zunächst beruhigen wollte, zu. Wir sind ja da! Fürchtet Euch nicht!«

Darauf mit einer Signallaterne den Fußboden des Salons ableuchtend, mußte er sich überzeugen, daß eine gewisse Menge Wasser in der Yacht von einem Bord zum anderen hin und wieder fluthete.

Jetzt galt es festzustellen, woher dieses Wasser kam und ob es wohl gar durch einen Sprung in der Seitenwand eingedrungen war.

Vor dem Salon befand sich das große Zimmer und weiterhin der Speisesaal, dann die Wohnung und darüber das Wachhaus der Mannschaft.

Briant durchsuchte alle diese Räumlichkeiten und erkannte, daß das Wasser weder ober-, noch unterhalb der Schwimmlinie eingedrungen sein könne. Dasselbe war vielmehr nur durch das Aufbäumen des Vorderstevens hiehergeschleudert worden und rührte von Spritzseen her, welche, über das Vordertheil schlagend, theilweise durch die zur Mannschaftswohnung führende Treppenkappe Eingang nach dem Innern gefunden hatten. Von dieser Seite drohte also keine eigentliche Gefahr.

Briant beruhigte seine Leidensgefährten, als er wieder durch den Salon kam, und nahm auch selbst mit größter Zuversicht seinen Platz am Steuerrade wieder ein. Der sehr solid gebaute und erst unlängst frisch gekupferte Schooner zog kein Wasser und versprach auch dem Anprall der Wogen Widerstand zu leisten.

Es war jetzt ein Uhr Nachts, und während schwere Wolken die Dunkelheit noch verschlimmerten, entfesselte sich der Orcan zur schlimmsten Wuth. Die Yacht flog dahin, als wäre sie völlig in Wasser eingetaucht. Scharf drang dann und wann der Schrei eines Sturmvogels durch die Luft. Von deren Erscheinen konnte man jedoch keineswegs auf die Nähe eines Landes schließen, denn man begegnet denselben oft mehrere hundert Seemeilen von der nächsten Küste. Uebrigens außer Stande, gegen den Sturm aufzukommen, folgten die Vögel diesem vielmehr selbst ebenso wie der Schooner, dessen Schnelligkeit keine menschliche Kraft zu hemmen vermocht hätte.

Eine Stunde später hörte man an Bord wieder etwas zerreißen. Der Rest des Focksegels war in Stücken gegangen und die Leinwandfetzen flatterten gleich riesigen Möven durch die Luft davon

»Nun haben wir kein Segel mehr, rief Doniphan, und ein anderes zu setzen ist ganz unmöglich.

– Thut nichts! antwortete Briant. Verlass' Dich darauf, daß wir doch noch ebenso schnell vorwärts kommen.

– Eine schöne Antwort! erwiderte Doniphan. Wenn das Deine Art und Weise zu manövriren ist...

– Achtung auf die Wellen von rückwärts! unterbrach ihn Moko. Festgehalten oder wir werden weggeschwemmt...«

Er hatte den Satz kaum beendet, als mehrere Tonnen Wasser über das Hackbord hereinstürzten. Briant, Doniphan und Gordon wurden gegen die Treppenkappe geschleudert, wo sie sich zum Glück noch anklammern konnten.

Der Schiffsjunge dagegen war verschwunden mit der Wassermasse, welche sich in brodelndem Schwall von hinten nach vorne über den »Sloughi« ergoß und dabei einen Theil des Mastwerkes, die beiden Boote und die Jolle – obwohl diese ganz hereingeholt waren – sowie mehre Schiffsbalken und das Compaßhäuschen mit fortriß. Da jedoch gleichzeitig die Schanzkleidung streckenweise zerstört war, konnte das Wasser schnell wieder abfließen, was die Yacht vor dem Untergange durch diese ungeheure Ueberlastung bewahrte.

»Moko!... Moko! rief Briant, sobald er wieder ein Wort sprechen konnte.

– Ist er etwa ins Meer geschleudert worden? fragte Doniphan.

– Nein; doch man sieht und hört nichts von ihm, erklärte Gordon, der sich über die Regeling hinausgebeugt hatte.

– Wir müssen ihn retten – ihm eine Rettungsboje oder Stricke zuwerfen!, antwortete Briant.

Und mit lauter Stimme, welche während einiger ruhigerer Secunden kräftig wiederhallte, rief er noch einmal:

»Moko!... Moko.

– Hierher!... Zu Hilfe! erklang die Antwort des kleinen Negers.

– Er liegt nicht im Meere, sagte Gordon. Seine Stimme kommt vom Vordertheile des Schooners her.

– Ich werde ihn retten!« rief Briant.

Sofort tastete er sich über das Deck hin unter steter Vorsicht, den Blöcken und Rollen auszuweichen, welche lose an den herabgelassenen Raaen hingen, und sich festklammernd, um bei den Bewegungen des Schiffes auf dem schlüpfrigen Verdeck nicht umgeworfen zu werden.

Noch einmal hörte er die Stimme des Jungen, dann war Alles still.

Mit größter Anstrengung war es Briant gelungen, die Treppenkappe des Volkslogis zu erreichen.

Er rief laut...

Keine Antwort.

War Moko etwa durch eine neue heftige Schiffsbewegung über Bord geschleudert worden, nachdem er den letzten Schrei ausgestoßen? In diesem Falle mußte der unglückliche Bursche schon weit von ihnen, weit hinter dem Winde treiben, denn die Wellenbewegung konnte ihn nicht mit gleicher Schnelligkeit wie der Sturm den Schooner mit fortgetragen haben; dann war er verloren...

Nein; eben drang wieder ein schwacher Hilferuf bis zu Briant, der nach dem Gangspill eilte, in dessen Fuß das Ende des Bugspriets eingelassen war. Hier fand er einen sich umherwindenden Körper. –

Der Schiffsjunge war es, halb eingeklemmt zwischen die an der Spitze zusammenlaufende Schanzkleidung. Ein Hißtau, das er mit aller Kraft von sich abzudrängen suchte, schnürte ihm den Hals zu. Erst zurückgehalten durch dieses Hißtau, als die gewaltige Woge ihn wegspülte, war er jetzt nahe daran, durch dasselbe erwürgt zu werden.

Briant riß sein Messer heraus, und nicht ohne Mühe gelang es ihn, das Hanftau, welches den Schiffsjungen festhielt, zu durchschneiden.

Moko wurde nach dem Hintertheile zurückgeführt.

»Danke, Herr Briant, danke!« sagte er, sobald er die Sprache wiedererlangt hatte.

Dann nahm er seinen Platz am Steuerrade wieder ein, und alle Vier banden sich fest, um gegen die Wasserberge, welche sich hinter dem »Sloughi« aufthürmten, gesichert zu sein.

Entgegen der Annahme Briant's, hatte sich die Geschwindigkeit der Yacht doch etwas vermindert, seitdem vom Focksegel gar nichts mehr übrig war – und darin lag eine neue Gefahr. Die jetzt schneller als jene laufenden Wellenberge konnten über das Hintertheil hereinbrechen und sie mit Wasser anfüllen. Doch war dagegen nichts zu thun und jedenfalls an das Aufhissen eines Segels gar nicht zu denken.

Auf der südlichen Halbkugel der Erde entspricht der März dem Monat September auf der nördlichen, und die Nächte sind noch nicht zu lang. Da es jetzt um die vierte Morgenstunde war, konnte es nicht mehr lange währen, bis der Horizont im Osten, also in der Richtung, nach der der »Sloughi« getrieben wurde, sich aufhellen mußte. Vielleicht nahm die Gewalt des Sturmes mit anbrechendem Tage etwas ab. Vielleicht kam auch ein Land in Sicht und das Loos dieser Kindergesellschaft entschied sich binnen wenigen Minuten. Wir werden das erfahren, wenn das Morgenroth erst die Tiefen des Himmels färbt.

Gegen viereinhalb Uhr glitt ein schwacher Lichtschein bis zum Zenith empor. Unglücklicher Weise beschränkte der Dunst in der Luft den Gesichtskreis auf kaum eine Viertelmeile. Man fühlte es fast, daß die Wolken mit ungeheurer Schnelligkeit dahineilten. Der Orcan hatte nichts an Kraft verloren, und weit hinaus verschwand das Meer unter dem Schaume der sich überstürzenden

 Gordon.

Wogenkämme. Kam der Schooner in parallele Lage mit diesen, so wäre er, der jetzt einmal auf dem Scheitel einer Welle tanzte und dann in das Thal derselben hinuntergestürzt wurde, wohl zwanzigmal gekentert.

 Doniphan.

Die vier Knaben betrachteten unverwandt das Chaos der durcheinander wirbelnden Fluthen. Sie ahnten wohl, daß ihre Lage, wenn das Meer sich nicht bald beruhigte, eine verzweifelte werden mußte. Nimmermehr hätte der »Sloughi« noch weitere vierundzwanzig Stunden dem Anprall der Wogen, welche zuletzt doch die Treppenkappen wegreißen mußten, Widerstand leisten können.

Da ertönte auf's neue Moko's Stimme.

»Land! rief er jubelnd, Land!«

Durch einen Nebelspalt glaubte der Schiffsjunge vor ihnen im Osten die Umrisse einer Küste erkannt zu haben Täuschte er sich nicht? Es ist oft gar so schwer, die schwachen Linien eines Landes zu unterscheiden, wenn von ferne gesehen die Wolkenschichten unmittelbar darauf lagern.

»Ein Land?«... hatte Briant geantwortet.

– Ja, versicherte Moko... ein Land... dort im Osten!«

Er wies dabei nach einem Punkte am Horizont, den jetzt schon wieder wallende Nebelmassen verhüllten.

»Bist Du Deiner. Sache sicher?... fragte Doniphan.

– Ja!... Ja!... Ganz sicher, behauptete der kleine Neger. Wenn der Nebel wieder einmal zerreißt, so seht nur scharf dorthin, etwas nach rechts vom Fockmast... da... Achtung... da unten!«...

Die sich eben öffnenden Nebelmassen lösten sich allmählich von der Meeresfläche, um nach höheren Zonen aufzusteigen. Einige Augenblicke später war der Ocean auf die Strecke von mehreren Seemeilen vor der Yacht klar zu übersehen.

»Ja... Land!... Das ist Land!... rief Briant.

– Und ein sehr niedriges Land!« setzte Gordon hinzu, der die gemeldete Küste schärfer ins Auge gefaßt hatte.

Jetzt konnte kein Zweifel mehr aufkommen. Auf einer breiten Strecke des Horizontes zeichnete sich Land, ein Continent oder eine Insel, in deutlicher Linie ab. Dasselbe mochte fünf bis sechs Seemeilen von hier entfernt sein. Bei der Richtung, der er folgte und aus der abzuweichen der Sturm ihm gar nicht erlaubte, mußte der »Sloughi« binnen einer Stunde unbedingt auf dasselbe geworfen werden. Dabei war freilich zu befürchten, daß er zertrümmert wurde, vorzüglich wenn ihn Klippen aufhielten, bevor er den eigentlichen Strand erreichte. Hieran dachten die Knaben jedoch gar nicht. In dem Lande, welches so unerwartet sich ihren Blicken darbot, sahen sie nur das Heil, die winkende Rettung.

In diesem Augenblick begann der Wind wieder stärker zu wehen. Wie eine Feder davongetragen, stürmte der »Sloughi« auf die Küste zu, welche sich scharf wie ein Tintenstrich vom weißlichen Grunde des Himmels abhob. Hinter dem Strande erhob sich nämlich ein höheres Uferland, das aber nicht mehr als hundertfünfzig bis zweihundert Fuß aufsteigen mochte. Vor ihm dehnte sich ein gelblicher Strand aus, zur Rechten eingerahmt von abgerundeten Massen, welche einem Wald im Innern anzugehören schienen.

O, wenn der»Sloughi« dieses sandige Vorland erreichen konnte, ohne auf eine Klippenreihe zu stoßen, wenn die Mündung eines Flusses ihm Zuflucht bot – dann, ja, dann konnten seine jungen Passagiere noch heil und gesund davonkommen!

Während Doniphan, Gordon und Moko am Steuer blieben, hatte Briant sich nach dem Vorderdeck begeben und betrachtete das sich sichtlich nähernde Land; so schnell schossen sie dahin. Vergebens suchte er aber eine Stelle, wo die Yacht hätte unter günstigen Bedingungen anlaufen können. Hier zeigte sich weder die Mündung eines Flusses oder Baches, noch selbst ein flach ins Meer abfallender sandiger Strand, auf dem man mit einem Stoße festfahren konnte. Vor dem Strande hin nämlich streckte sich eine Reihe von Klippen, deren schwärzliche Häupter bei den auf und ab schwankenden Wogen auftauchten und wieder verschwanden und an welchen das Wasser fortwährend schäumend brandete. Hier mußte der »Sloughi« beim ersten Stoß in Stücken gehen.

Briant sagte sich da, daß es besser sei, im Augenblicke der Strandung alle seine Kameraden auf dem Deck zu haben. Er öffnete also die Thür der Kappe und rief hinunter:

»Alle, alle herauf!«

Sofort kam ein Hund herausgesprungen und ihm folgten zehn Kinder, die sich nach dem Hintertheile der Yacht drängten. Die kleinsten stießen beim Anblick der bergehohen Wellen ein entsetzliches Angstgeschrei aus.

Kurz vor sechs Uhr Morgens war der »Sloughi« bis an den Rand des Klippengürtels herangekommen.

»Jetzt festhalten! rief Briant. Tüchtig festhalten!«

Die Kleider halb abgelegt, hielt er sich bereit, denen zu Hilfe zu springen, welche der Wogenschlag etwa fortriß, denn sicherlich wurde die Yacht über die Klippen hin gewälzt.

Da machte sich ein erster Stoß fühlbar. Der »Sloughi« stampfte mit seinem Hintertheile auf einen Felsen, aber trotz der gewaltigen Erschütterung des ganzen Schiffsrumpfes drang doch kein Wasser durch dessen Plankenwand.

Von einer zweiten Welle gehoben, wurde er gegen fünfzig Fuß weiter getragen, diesmal ohne die Klippen zu streifen, welche an unzähligen Stellen emporstarrten. Endlich blieb er, nach Backbord geneigt, inmitten der kochenden Brandung liegen.

Wenn auch nicht im offenen Meere, so befand er sich doch noch eine Viertelseemeile vom Strande entfernt.

Zweites Capitel.

 In der Brandung. – Briant und Doniphan. – Die Küste. – Vorbereitungen zur Rettung. – Das umstrittene Boot. – Von der Höhe des Fockmastes. – Ein muthiges Unternehmen Briant's. – Eine Folge der Springfluth.

Die von der Nebelwand befreite Atmosphäre gestattete jetzt einen weiten Ausblick rings um den Schooner. Die Wolken flogen noch immer mit rasender Schnelligkeit am Himmel hin, der Sturm hatte noch immer nicht ausgewüthet. Vielleicht peitschte er dieses unbekannte Gebiet des Stillen Oceans aber doch nur mit seinen letzten Ausläufern.

Das war mindestens höchst wünschenswerth, denn die Lage des »Sloughi« war jetzt nicht minder beängstigend als in der Nacht, wo er gegen das empörte Meer ankämpfte. Eines sich an das andere schmiegend, mußten diese Kinder sich verloren glauben, wenn eine Woge über die Schanzkleidung schlug und sie Alle mit Schaum bedeckte. Die Stöße waren jetzt desto härter, da der Schooner denselben nicht frei nachgeben konnte. Jedenfalls erzitterte er bei jedem Anprall bis in alle Rippen und doch schien es nicht, als ob seine Wand geborsten wäre, weder als er den Rand der Klippen streifte, noch als er sich zwischen den Köpfen der Klippen sozusagen festkeilte. Briant und Gordon, die nach den unteren Räumen gegangen waren, überzeugten sich wenigstens, daß noch kein Wasser in den Rumpf eindrang.

Sie beruhigten in dieser Hinsicht nach Möglichkeit ihre Kameraden, vorzüglich die kleinsten derselben.

»Habt nur keine Angst!... wiederholte Briant immer wieder. Die Yacht ist fest gebaut!... Der Strand ist nicht mehr fern!... Wartet nur, wir werden den Strand schon erreichen!

– Und warum sollen wir warten? fragte Doniphan.

– Ja... warum denn?... setzte ein anderer, zwölfjähriger Knabe, Wilcox mit Namen, hinzu. Doniphan hat recht. Warum denn warten?

– Weil der Seegang noch zu schwer ist und uns auf die Felsen schleudern würde, erwiderte Briant.

– Und wenn die Yacht nun in Stücken geht?... rief ein dritter Knale, Namens Webb, der mit Wilcox etwa gleichalterig war.

– Ich glaube nicht, daß das zu befürchten ist, antwortete Briant, mindestens nicht mehr, wenn die Ebbe eintritt. Sobald das Wasser sich so weit zurückgezogen hat, wie der Sturm das zuläßt, werden wir an unsere Rettung gehen!«

Briant hatte völlig recht. Obwohl die Gezeiten im Stillen Ocean verhältnißmäßig schwach auftreten, so können sie doch zwischen Fluth und Ebbe eine nicht unbeträchtliche Verschiedenheit des Wasserstandes hervorbringen. Es war also von Vortheil, einige Stunden zu warten, zumal wenn dann auch der Wind abflaute. Vielleicht legte die Ebbe einen Theil der Klippen trocken; dann war es leichter, den Schooner zu verlassen und die letzte Viertelmeile bis zum Strande zu überwinden.

So vernünftig dieser Rath indeß erschien, zeigten sich Doniphan und zwei oder drei Andere doch gar nicht geneigt, demselben Folge zu geben. Sie traten auf dem Vorderdeck zusammen und sprachen gedämpften Tones mit einander. Es trat schon klar zutage, daß Doniphan, Wilcox, Webb und ein anderer Knabe, Namens Croß, keine Lust hatten, sich mit Briant zu verständigen. Während der langen Fahrt des »Sloughi« leisteten sie ihm noch Gehorsam, weil Briant, wie erwähnt, einige seemännische Erfahrung besaß Sie hegten dabei aber stets den Gedanken, sofort nach dem Wiederbetreten eines Landes sich ihre Freiheit des Handelns zu wahren – vor Allen Doniphan, der sich durch genossenen Unterricht und natürliche Beanlagung sowohl Briant wie allen seinen Kameraden überlegen dünkte. Diese Eifersucht Doniphan's gegen Briant bestand übrigens schon seit langer Zeit, und schon weil letzterer von Geburt Franzose war, empfanden junge Engländer wenig Neigung, sich seiner Oberherrschaft zu fügen.

Es lag also die Befürchtung nahe, daß diese Umstände den Ernst der ohnehin beunruhigenden Lage noch verschlimmern könnten.

Inzwischen betrachteten Doniphan, Wilcox, Croß und Webb das schäumende, von Wirbeln aufgeregte und von Strömungen hingerissene Wasser, welches freilich schwer zu überwinden schien. Der geübteste Schwimmer hätte der Brandung des zurücksinkenden Meeres, welches der Sturm von rückwärts packte, nicht zu widerstehen vermocht. Der Rathschlag, einige Stunden zu warten, rechtfertigte sich also von selbst. Doniphan und seine Kameraden mußten das endlich einsehen, und so kehrten sie wieder nach dem Hinterdeck zurück, wo die Kleinen sich aufhielten.

Da sagte Briant zu Gordon und einigen Andern, die ihn umstanden:

»Wir dürfen uns auf keinen Fall trennen!... Bleiben wir zusammen, oder wir sind verloren!

– Du nimmst Dir doch nicht heraus, uns Vorschriften machen zu wollen? rief Doniphan, der jene Worte verstanden hatte.

– Ich nehme mir gar nichts heraus, antwortete Briant, und verlange nichts, als daß wir zum Heile Aller vereinigt handeln.

– Briant hat recht, erklärte Gordon, ein ernster, schweigsamer Knabe, der nie sprach, ohne seine Worte reiflich erwogen zu haben.

– Ja!... Ja!...« riefen einzelne der Kleinen, welche eine Art geheimer Instinct trieb, sich an Briant anzuschließen.

Doniphan erwiderte nichts mehr; doch er und seine Kameraden hielten sich abseits in Erwartung der Stunde, wo zur Rettung geschritten werden sollte.

Doch welches Land lag eigentlich vor ihnen? Gehörte es zu einer der Inseln des Stillen Oceans oder zu einem Festlande? Diese Frage mußte vorläufig offen bleiben, da der »Sloughi« sich viel zu nahe dem Ufer befand, um einen hinreichenden Gesichtskreis überblicken zu können. Seine hohle, eine geräumige Bucht bildende Masse lief in zwei Vorgebirge aus – das eine ziemlich hoch und nach Norden zu scharf abgeschnitten, das andere in einer nach Süden vorgestreckten Spitze endigend. Vergebens suchte aber Briant mit einem der an Bord befindlichen Fernrohre zu erkennen, ob das Meer jenseits dieser Vorberge die Uferlinien einer Insel badete.

Im Fall dieses Land nämlich eine Insel war, entstand die ernste Frage, wie man diese wieder verlassen könne, wenn es sich als unmöglich erwies, den Schooner wieder flott zu machen, den die nächste Fluth schon dadurch, daß sie ihn auf den Klippen hin und her warf, elend zertrümmern mußte. Und war diese Insel obendrein unbewohnt – solche giebt es im Stillen Ocean gar viele – wie sollten auf sich selbst angewiesene Kinder, die nichts besaßen, als was ihnen vielleicht von den Vorräthen der Yacht zu bergen gelang, sich die nothwendigsten Lebensbedürfnisse verschaffen?

Auf festem Lande dagegen hätte sich die Aussicht auf Rettung entschieden verbessert, weil dieses Festland kein anderes als Südamerika sein konnte. Da mußten sie, auf dem Gebiet von Chile oder Bolivia, jedenfalls Hilfe finden, und wenn auch nicht sofort, so doch wenige Tage nach stattgehabter Landung. Freilich waren auf diesen Nachbargebieten der Pampas mancherlei schlimme Begegnungen zu fürchten – jetzt handelte es sich aber einzig darum, überhaupt erst das Land zu erreichen.

Die Witterung war jetzt klar genug geworden, um alle Einzelheiten desselben zu erkennen, und deutlich unterschied man das Vorland des Strandes, das hohe, diesen im Hintergrunde einrahmende Ufer, nebst verschiedenen auf letzterem zerstreuten Baumgruppen. Briant erkannte sogar die Mündung eines Rio rechts am Ufer.

Wenn der Anblick dieser Küste auch nichts besonders Anziehendes bot, so wies doch der grüne Vorhang derselben auf eine gewisse Fruchtbarkeit hin, welche der der Länder unter mittlerer Breite zu entsprechen schien. Voraussichtlich zeigte die Vegetation jenseits der Uferhöhe, wo sie Schutz vor den Seewinden und gewiß noch günstigeren Boden fand, eher eine üppigere Entwickelung.

Bewohnt schien der sichtbare Theil des Ufers nicht zu sein, wenigstens bemerkte man hier kein Haus und keine Hütte, nicht einmal an der Mündung des Rio. Vielleicht wohnten die Eingebornen, wenn es solche gab, mit Vorliebe mehr im Innern des Landes, wo sie dem heftigen Ansturme des Westwindes am wenigsten ausgesetzt waren.

»Ich kann nicht den geringsten Rauch entdecken, sagte Briant, das Fernrohr senkend.

– Und am Strande befindet sich kein einziges Boot, bemerkte Moko.

– Wie sollte das der Fall sein, da hier kein Hafen vorhanden ist?... warf Doniphan ein.

– Ein Hafen ist dazu nicht gerade nothwendig, erwiderte Gordon. Einfache Fischerboote können auch in einer Flußmündung Schutz finden, und es wäre möglich, daß diese des Sturmes wegen sich hätten weiter landeinwärts zurückziehen müssen.«

Gordon's Bemerkung war ganz richtig. Mochte es nun diesen oder jenen Grund haben, jedenfalls war nirgends ein Boot wahrzunehmen, und in der That schien dieser Theil des Ufers keine Bewohner zu haben. Es mußte demnach die erste Aufgabe der jungen Schiffbrüchigen werden, festzustellen, ob dasselbe sich überhaupt als bewohnbar erweise

Inzwischen sank das Wasser mit der Ebbe, doch sehr langsam, weiter zurück, denn der Wind von der Seeseite hemmte dessen Abfluß, obwohl dieser bei einer gleichzeitigen Drehung nach Nordwest schwächer zu werden schien. Jetzt galt es also sich bereit zu halten für den Augenblick, wo die Klippenreihe einen Uebergang gestatten würde.

Es war nun gegen sieben Uhr. Jeder beschäftigte sich damit, die für den ersten Bedarf nothwendigsten Gegenstände auf das Deck zu schaffen, in der Hoffnung, die übrigen aufzufischen, wenn die Wellen sie aus Ufer trügen. Die Großen wie die Kleinen legten hierbei die Hände an. An Bord befand sich unter anderem ein großer Vorrath an Conserven, Bisquit, an gepöckeltem und geräuchertem Fleisch. Diese Nahrungsmittel wurden zu handlichen Ballen verpackt und sollten, unter die Größeren vertheilt, von diesen an's Land geschafft werden.

Um das aber ausführen zu können, mußte die Klippenreihe erst einen trockenen Weg bieten, und Niemand wußte doch, ob das Meer sich auch beim niedrigsten Stande so weit zurückziehen würde, um die Felsen bis zum Strande bloß zu legen.

Briant und Gordon beobachteten unablässig und aufmerksam das Meer. Mit der Veränderung der Windrichtung wurde die Luft merkbar ruhiger und die Gewalt der Brandung begann ebenfalls nachzulassen, so wie man leicht bemerken konnte, daß das Wasser an den hervorragenden Felsblöcken niedersank. Der Schooner selbst lieferte einen Beweis für diese Abnahme des Wasserstandes, da er sich noch etwas weiter nach Backbord überneigte. Es war sogar zu befürchten, daß diese Neigung noch ferner zunahm und er sich ganz auf die Seite legte, denn er hatte sehr seine Formen und einen schlank abgerundeten Rumpf mit hohem Kiel, gleich den schnellsegelnden Yachten. Wenn das Wasser dann das Vorderdeck des Fahrzeuges eher erreichte, als man das letztere verlassen konnte, mußte die Situation sich äußerst bedrohlich gestalten.

Wie beklagenswerth erschien es nun, daß die Boote vom Sturme weggerissen worden waren. Diese hätten hingereicht die ganze Gesellschaft aufzunehmen, und die jungen Leute wären jetzt schon in der Lage gewesen, einen Landungsversuch zu unternehmen. Und welche Bequemlichkeit, eine Verbindung zwischen Schooner und Küste zu unterhalten, um vielerlei nützliche Gegenstände, die jetzt an Bord zurückgelassen werden mußten, fortzuschaffen! Wenn der »Sloughi« schon die nächstfolgende Nacht vielleicht in Stücken ging, was waren seine Wracktrümmer werth, nachdem die Brandung sie durch die Klippenreihe hingewälzt hatte? Konnten diese überhaupt noch nützliche Verwendung finden? Würden dann die noch übrigen Vorräthe nicht vollständig havarirt sein? Sahen sich die jungen Schiffbrüchigen nicht in kürzester Zeit allein auf die Hilfsquellen angewiesen, welche dieses Land ihnen bot?

 Briant und Jacques.

Ja, es war ein beklagenswerther Umstand, daß kein Boot mehr vorhanden war, um die Ausschiffung zu bewerkstelligen.

Plötzlich ertönte vom Vorderdeck ein lauter Aufschrei. Baxter hatte eine jetzt hochwichtige Entdeckung gemacht.

Die für verloren gehaltene Jolle hatte sich unter dem Knie des Bugspriets in den Ketten des letzteren gefangen. Diese Jolle konnte freilich nur fünf bis sechs Personen aufnehmen; doch da sie sich unbeschädigt zeigte, was leicht zu erweisen war, nachdem man sie auf's Deck gezogen hatte, erschien es nicht unmöglich, sie zu benützen, im Falle das Meer die Ueberschreitung der Klippen trockenen Fußes verhinderte. Hierzu mußte man natürlich den niedrigsten Stand der Ebbe abwarten, und inzwischen kam es wieder zu einer lebhaften Auseinandersetzung, vorzüglich zwischen Briant und Doniphan.

Doniphan, Wilcox, Webb und Croß, die sich der Jolle bemächtigt hatten, gingen nämlich schon daran, sie wieder über Bord zu befördern, als Briant auf sie zutrat.

»Was beginnt Ihr hier? fragte er.

– Was uns paßt! antwortete Wilcox.

– Ihr wollt dieses kleine Fahrzeug besteigen?...

– Ja, erwiderte Doniphan, und Du wirst uns nicht davon abhalten.

– Das werd' ich doch thun, ich und alle die Uebrigen, die Du verlassen willst.

– Verlassen?... Wer sagt Dir das? antwortete Doniphan hochmüthig. Ich will Niemand verlassen, verstehst Du? Wenn wir erst am Strande sind, wird Einer die Jolle zurückrudern....

– Und wenn er nicht zurückkehren kann, rief Briant, der sich nur mit Mühe beherrschte, wenn sie zwischen den Felsen leck würde...

– Einsteigen!... Zum Einsteigen fertig!« unterbrach ihn Webb, der Briant zurückdrängte.

Von Wilcox und Croß unterstützt, hob er schon das leichte Fahrzeug auf, um es in's Wasser zu bringen.

Briant packte dasselbe an dem einen Ende.

»Ihr werdet nicht einsteigen! rief er.

– Das wollen wir doch sehen! antwortete Doniphan.

– Ich sage Euch, Ihr steigt nicht ein! widerholte Briant, entschlossen im allgemeinen Interesse Widerstand zu leisten. Die Jolle muß zunächst für die Kleinsten zurückbehalten werden, im Falle auch bei niedrigem Meere zu viel Wasser stehen bliebe, um den Strand zu erreichen.

– Laß' uns in Ruhe! schrie Doniphan aufbrausend. Ich erkläre Dir nochmals, Briant, Du wirst uns nicht hindern zu thun, was wir wollen.

– Und ich wiederhole Dir, Doniphan, herrschte ihn Briant ebenso laut an, daß ich Euch doch hindern werde!«

Die beiden Knaben waren schon bereit, auf einander los zu stürzen. Bei diesem Streite hätten Wilcox, Webb und Croß natürlich für Doniphan Partei ergriffen, während sich Baxter, Service und Garnett voraussichtlich auf Briant's Seite stellten. Die Sache hätte die schlimmsten Folgen haben können, als Gordon sich noch ins Mittel legte.

Gordon, der älteste und besonnenste von Allen, sah das Beklagenswerthe eines solchen Zwischenfalles ein, und war vernünftig genug, sich zu Gunsten Briant's auszusprechen.

»Halt! Halt, Doniphan! rief er, etwas Geduld! Du siehst doch, daß der Seegang noch stark ist und wir Gefahr laufen, unsere Jolle ganz einzubüßen.

– Ich mag es nicht leiden, daß Briant uns Gesetze vorschreibt, wie er sich das seit einiger Zeit angewöhnt hat, erwiderte Doniphan heftig.

– Nein!... Nein!... ließen Croß und Webb sich vernehmen.

– Es fällt mir gar nicht ein, irgendwem Gesetze vorzuschreiben, antwortete Briant, ich werde das aber auch keinem Anderen gestatten, wenn es sich um das Interesse Aller handelt.

– Das liegt uns ebenso sehr am Herzen wie Dir, schleuderte ihm Doniphan entgegegen; und jetzt wo wir auf dem Lande sind....

– Leider noch nicht, fiel ihm Gordon in's Wort. Trotze nicht ferner, Doniphan, und laß uns einen günstigen Augenblick abwarten, wo wir die Jolle verwenden können.«

Gordon trat zu sehr gelegener Zeit als Vermittler zwischen Briant und Doniphan – wozu er übrigens schon mehrfach Veranlassung gefunden hatte – und die Kameraden fügten sich seinen Vorstellungen.

Der Wasserstand hatte jetzt um zwei Fuß abgenommen, und es entstand die Frage, ob sich zwischen den Klippen vielleicht eine Art Canal hinziehe.

In der Meinung, von der Höhe des Fockmastes die ganze Anordnung des Klippengürtels besser übersehen zu können, begab sich Briant nach dem Vorderdeck, erklomm die Steuerbord-Wanten und kletterte dann noch an den Tauen der Bramstenge hinaus. Quer durch die Klippenbank zeigte sich da eine Durchfahrt, deren Richtung durch viele, sie auf beiden Seiten begrenzende Felsblöcke angedeutet war und der man folgen mußte, wenn man mit Hilfe der Jolle nach dem Strande gelangen wollte. Augenblicklich freilich brodelte und wirbelte die Brandung hier noch viel zu heftig, um sich jener mit Erfolg bedienen zu können. Unfehlbar wäre die Jolle auf eine Felsspitze geworfen und damit schwer beschädigt, wenn nicht vernichtet worden. Es empfahl sich also noch so lange zu warten, bis das sinkende Meer hier eine gefahrlosere Wasserstraße zurückließ.

Von der Oberbramraa aus, auf welcher Briant reitend sich anklammerte, bemühte sich dieser, das Uferland noch genauer zu besichtigen. Er suchte mit dem Fernglase Stück für Stück den Strand ab bis zu der höher ansteigenden Hinterwand desselben. Zwischen den beiden, etwa acht bis neun Seemeilen von einander entfernten Vorgebirgen schien die Küste völlig unbewohnt zu sein.

Nach halbstündigem Auslugen stieg Briant wieder hinunter und berichtete seinen Gefährten, was er gesehen. Wenn Doniphan, Wilcox, Webb und Croß ihm zuhörten, ohne etwas zu sagen, so fragte ihn Gordon dagegen:

»Als der »Sloughi« strandete, Briant, war es da nicht gegen sechs Uhr Morgens?

– Ja, antwortete Briant.

– Und wie lange dauert es bis zum niedrigsten Wasserstande?

– Ich glaube fünf Stunden. – Nicht wahr, Moko?

– Ja, zwischen fünf und sechs Stunden, erklärte der Schiffsjunge.

– Das träfe also gegen elf Uhr ein, fuhr Gordon fort. Dann wäre der günstigste Zeitpunkt zu dem Versuche, die Küste zu erreichen.

– So hatt' ich auch gerechnet, bemerkte Briant.

– Nun wohl, nahm Gordon wieder das Wort, wir wollen uns für diese Zeit bereit halten und inzwischen etwas essen. Sind wir gezwungen selbst in's Wasser zu gehen, so geschehe das wenigstens mehrere Stunden nach eingenommener Mahlzeit.«

Ein guter Rath, wie er von diesem klugen Knaben zu erwarten war. Jetzt ging's also an das erste, aus Conserven und Bisquit bestehende Frühstück. Briant besorgte und überwachte dabei vorzüglich die Kleinen. Jenkins, Iverson, Dole, Costar begannen sich bei der glücklichen Sorglosigkeit ihres Alters schon wieder völlig zu beruhigen und hätten gewiß ohne jede Rücksicht drauf los gegessen, denn sie hatten seit vierundzwanzig Stunden nichts über die Lippen gebracht. Alles ging jedoch gut ab, und einige Tropfen mit Wasser verdünnten Brandys lieferten ein anregendes Getränk.

Nach eingenommenem Frühstück begab sich Briant wieder nach dem Vordertheile des Schooners und beobachtete, auf die Schanzkleidung gestützt, die Klippenreihe.

Wie langsam wich doch das Meer zurück! Es lag aber auf der Hand, daß dessen Niveau sich erniedrigte, denn die Schieflage des Schooners nahm noch weiter zu. Moko hatte mittels eines Senkbleis gefunden, daß noch mindestens acht Fuß Wasser über der Bank standen. Daß die Ebbe so tief sinken würde, um jene völlig trocken zu legen, glaubte Moko nicht annehmen zu dürfen und theilte seine Ansicht Briant heimlich mit, um Niemand unnöthig zu erschrecken.

Briant setzte dann Gordon hiervon in Kenntniß. Beide begriffen, daß der Wind, obwohl er noch weiter nach Norden umgegangen war, doch das Meer verhinderte, soweit zurückzusinken, wie es bei stillem Wetter der Fall gewesen wäre.

»Was beginnen wir dann also? sagte Gordon.

– Ich weiß es nicht... ich weiß es nicht!... antwortete Briant. Und welches Unglück, es nicht zu wissen... welches Unglück, in unserer Lage fast noch Kinder und, wo es so nöthig wäre, nicht Männer zu sein.

– Die Nothwendigkeit wird unsere Lehrmeisterin sein, versicherte Gordon. Verzweifeln wir nicht, Briant, und handeln wir klug!

– Ja, handeln, Gordon! Wenn wir den »Sloughi« vor Wiedereintritt der Fluth nicht verlassen haben, wenn wir noch eine Nacht an Bord bleiben müssen, sind wir verloren...

– Kein Zweifel, denn die Yacht wird dann zertrümmert werden. Wir müssen dieselbe auf jeden Fall verlassen haben...

– Gewiß; um jeden Preis, Gordon!

– Wäre es nicht rathsam, eine Art Floß oder etwas wie eine Fähre herzustellen?

– Daran hab' ich wohl auch gedacht, antwortete Briant, leider hat uns der Sturm aber alles dazu geeignete Material entführt. Die Schanzkleidung abzubrechen, um aus deren Theilen ein Floß zusammen zu zimmern, dazu fehlt uns die Zeit. So bleibt nur die Jolle übrig, deren wir uns aber bei dem schweren Seegange nicht bedienen können. Doch nein, wir könnten auch noch versuchen, ein Tau durch den Klippengürtel zu ziehen und dessen Ende an der Spitze eines Felsens zu befestigen. Vielleicht gelingt es uns, daran bis ganz in die Nähe des Strandes hingleiten zu können...

– Wer soll das Tau aber auslegen?

– Ich, erklärte Briant.

– Und ich werde Dir helfen, sagte Gordon.

– Nein, ich vollbring' es allein, versetzte Briant.

– Denkst Du dabei die Jolle zu benützen?

– Das hieße, es wagen, sie ganz einzubüßen, Gordon, und es ist besser, diese als allerletztes Hilfsmittel aufzubewahren.«

Bevor er zur Ausführung seines gefahrvollen Vorhabens schritt, wollte Briant jedoch, um jede unglückliche Möglichkeit auszuschließen, noch eine nützliche Maßregel treffen.

An Bord befanden sich verschiedene Schwimmgürtel, und er veranlaßte die kleinsten Gefährten, sich sofort mit denselben auszurüsten. Im Fall sie die Yacht verlassen mußten, während das Wasser noch so tief war, daß diese mit den Füßen keinen Grund fanden, würden diese Apparate sie schwimmend erhalten, und die größeren Knaben, welche an dem Tau hinglitten, sollten sie dann nach dem Strande zu vor sich herschieben.

Es war jetzt zehneinviertel Uhr. Binnen fünfundvierzig Minuten mußte die Ebbe den tiefsten Stand erreicht haben. Am Steven des »Sloughi« maß man nur noch vier bis fünf Fuß Wasser, es schien aber nicht, als ob dieser Stand sich noch um mehr als wenige Zoll erniedrigen sollte. Gegen sechzig Yards weiterhin stieg der Grund freilich merkbar höher auf, das verrieth sich deutlich an der mehr schwärzlichen Farbe des Wassers, sowie an den zahlreichen Spitzen, die längs des Strandes aufgetaucht waren. Die Schwierigkeit lag nur darin, über die tiefere Stelle vor dem Schiffe glücklich hinweg zu kommen. Gelang es Briant, in dieser Richtung ein Tau auszulegen und es an einem Felsen haltbar zu befestigen, so mußte dieses Tau, nach dessen Anspannung mittels des Gangspills an Bord, es ermöglichen, eine Stelle zu erreichen, wo man wenigstens Grund fand. Holte man an demselben Kabel die Ballen mit Mundvorräthen und Werkzeugen herüber, so gelangten diese voraussichtlich unbeschädigt an's Land.

Wie gefährlich dieser Versuch auch sein mochte, so wollte Briant doch Niemand gestatten, für ihn einzutreten, und er traf demgemäß seine Vorbereitungen.

Am Bord befanden sich mehrere schwächere Taue von etwa hundert Fuß Länge, welche gelegentlich zum Bugsiren gedient hatten. Briant wählte eines von mittlerer Dicke, das ihm am geeignetsten erschien, und befestigte dasselbe, nachdem er sich halb entkleidet, am Gürtel.

»Jetzt Achtung, Ihr Andern! rief Gordon. Seid bei der Hand, das Tau nachgleiten zu lassen. Hierher auf's Vorderdeck!«

Doniphan, Wilcox, Croß und Webb konnten ihre Mithilfe bei einem Unternehmen nicht verweigern, dessen Wichtigkeit sie einsahen. Trotz ihrer Mißlaune ließen sie sich dazu herbei, an dem Tau mit anzufassen und dieses je nach Bedarf nachschießen zu lassen, um Briant's Kräfte möglichst zu schonen.

In dem Augenblicke, wo dieser bereit stand über Bord zu springen, näherte sich ihm sein Bruder und rief:

»Ach, Briant, was wagst Du?

– Keine Furcht, Jacques! Aengstige Dich nicht um mich!« antwortete der muthige Knabe.

Gleich darauf sah man ihn schon im Wasser auftauchen und mit kräftiger Bewegung fortschwimmen, während das Tau ihm nachrollte.

Selbst bei ruhigem Meere wäre dieses Unternehmen sehr schwierig gewesen, denn die Brandung schlug stets heftig gegen das Felsengewirr. Strömungen und Gegenströmungen hinderten den unerschrockenen Knaben oft eine gerade Richtung einzuhalten, und wenn sie ihn packten, hatte er große Mühe, sich wieder herauszuarbeiten.

Immerhin kam Briant dem Strande allmählich näher, während seine Kameraden das Tau nach Bedarf ablaufen ließen. Offenbar aber nahmen seine Kräfte ab, obwohl er sich erst fünfzig Fuß weit vom Schooner befand. Vor ihm tobte jetzt ein heftiger Wirbel, erzeugt durch verschieden aufeinandertreffende Wellen. Gelang es ihm, um diesen herumzukommen, so durfte er hoffen, sein Ziel zu erreichen, denn hinter demselben war das Wasser bedeutend ruhiger. Er versuchte also sich mit aller Anstrengung nach links zu werfen. Vergeblich! Auch der beste Schwimmer im kräftigsten Mannesalter wäre hieran gescheitert. Von der durcheinanderschießenden Wellenbewegung erfaßt, wurde Briant unwiderstehlich nach der Mitte des Wirbels gezogen.

»Zu Hilfe!... Zieht an!... Holt ein!« hatte er noch die Kraft zu rufen, bevor er verschwand.

An Bord der Yacht verbreitete sich ein unbeschreiblicher Schrecken.

»Holt ein!«... rief Gordon kaltblütig.

Seine Kameraden beeilten sich das Tau schnell einzuziehen, um Briant wieder an Bord zu holen, ehe er durch zu langes Verweilen unter Wasser erstickte.

Binnen weniger als einer Minute war Briant – freilich bewußtlos – an Bord geholt; er kam jedoch in den Armen seines Bruders bald wieder zu sich.

Der Versuch, ein Tau irgendwo an der Klippenreihe zu befestigen, war mißglückt und Keiner hätte ihn mit Aussicht auf Erfolg wiederholen können. Die unglücklichen Kinder waren also darauf angewiesen, ruhig zu warten.... Auf

 Von der Wellenbewegung erfaßt. (S. 31.)

was denn zu warten?... Auf Unterstützung?... Doch von welcher Seite und von wem hätte eine solche kommen können?

Jetzt war schon Mittag vorüber; die Fluth machte sich bereits bemerkbar und die Brandung wurde stärker. Da gleichzeitig Neumond war, mußte die Fluth sogar höher steigen als am vergangenen Tage. Wenn dazu der Wind wieder mehr nach der Seite des hohen Meeres zurückging, lief der Schooner Gefahr, von seinem Felsenbett noch einmal abgehoben zu werden... Er streifte dann von Neuem den Grund, er mußte an den Klippen kentern! – Diesen endlichen Ausgang

des Schiffbruchs hätte Keiner überlebt. Und letzt war nichts zu thun... nichts!

Auf dem Achterdeck versammelt, die Kleinen in der Mitte der Großen, betrachteten Alle das Wiederanschwellen des Meeres, das sich durch die nach einander verschwindenden Klippenhäupter verrieth. Leider war der Wind wieder nach Westen umgeschlagen, und wie in vergangener Nacht peitschte er das Land mit voller Wucht. Mit dem sich vertiefenden Wasser wuchsen auch die Wellen wieder an, hüllten den »Sloughi« in feuchte Dünste und mußten bald über denselben hinweg branden. Gott allein konnte den jungen Schiffbrüchigen zu Hilfe kommen, und ihre Gebete vermischten sich mit ihren Angstrufen.

Kurz vor zwei Uhr hatte der Schooner sich wieder aufgerichtet und lag jetzt nicht mehr nach Backbord geneigt. Infolge seines Stampfens stieß er aber mit dem Vordertheile auf den Grund, obwohl sein Hintersteven noch auf dem Felsen festsaß.

 Baxter.

Bald wiederholten sich die Stöße ohne Unterlaß und der »Sloughi« rollte dabei von einer Seite zur anderen. Die Kinder mußten sich fest aneinander halten, um nicht über Bord geschleudert zu werden.

In diesem Augenblicke kam ein schaumgekrönter Berg von der offenen See her angestürmt und thürmte sich zwei Kabellängen von der Yacht noch höher auf. Man hätte ihn für die ungeheure Woge einer Springfluth, wie diese in einige große Ströme sich eindrängt, halten können. In einer Höhe von über zwanzig Fuß kam er herangedonnert, brauste über den Klippengürtel hinweg und hob den »Sloughi«auf, den er über die Felsen wegtrug, ohne daß sein Kiel dieselben nur streifte.

Binnen weniger als einer Minute wurde der »Sloughi«, umhüllt von der gurgelnden Wassermasse, bis mitten auf den Strand und hier auf einen Sandhügel geworfen, so daß er kaum zweihundert Schritte von den Bäumen des hohen Uferrandes entfernt lag. Hier blieb er, diesmal auf dem festen Lande, unbeweglich sitzen, während das wieder abfluthende Meer den Strand trocken zurückließ.

Drittes Capitel.

 Die Pension Chairman in Auckland. – Große und Kleine. – Ferien auf dem Meere. – Der Schooner »Sloughi« – Die Nacht des 15. Februar. – Verschalagen. – Sturm. – Berathung in Auckland. – Was vom Schooner übrig ist.

Zur Zeit, da unsere Geschichte spielt, war die Pension Chairman eine der angesehensten in Auckland, der Hauptstadt Neuseelands, jener bedeutenden englischen Colonie im Stillen Ocean. Dieselbe zählte gegen hundert, den besten Familien des Landes angehörige Zöglinge. Die Maoris, die Eingebornen der Inselgruppe, konnten in derselben ihre Kinder nicht unterbringen, doch waren für letztere andere Unterrichts-und Erziehungsanstalten vorhanden. Die Pension Chairman besuchten nur junge Engländer, Franzosen, Amerikaner und Deutsche, lauter Söhne von Plantagenbesitzern, Rentnern, Kaufleuten oder Beamten des Landes. Sie erhielten hier eine allseitige Erziehung und Ausbildung, vollkommen entsprechend derjenigen, welche die ähnlichen Anstalten des Vereinigten Königreiches gewähren.

Der Archipel von Neuseeland besteht zunächst aus zwei Hauptinseln, nämlich Ika-Na-Mawi oder die Fischinsel im Norden, und Tamaï-Ponamu oder Nephrit-Land im Süden. Durch die Cookstraße getrennt, liegen diese zwischen den 34. und 45. Grade südlicher Breite, was auf der nördlichen Halbkugel etwa der Lage Nordafrikas und Italiens entspricht.

Die in ihrem südlichen Theile stark zerrissene Insel Ika-Na-Mawi bildet eine Art unregelmäßiges Rechteck, das sich nach Norden zu in einem durch das Cap Van-Diemen abgeschlossenen Bogen fortsetzt.

Fast am Anfange dieses Bogenstückes und an einer Stelle, wo die Halbinsel nur wenige (englische' Meilen (zu je 1609 Meter) Breite mißt, ist Auckland erbaut. Die Stadt liegt also ganz ähnlich wie das griechische Korinth und hat wirklich auch den Namen »das südliche Korinth« erhalten. Im Westen und im Osten besitzt sie je einen offenen Hafen. Da der östliche, der im Hauraki-Golf liegt, nicht tief genug ist, hat man mehrere jener langen »Piers« (nach englischem Vorbilde) erbauen müssen, an denen wenigstens Schiffe von mittlerem Tonnengehalt anlegen können. Unter diesen befindet sich der »Commercial-Pier,« an welchem die Queens-Street, eine der Hauptstraßen der Stadt, ausmündet.

In der Mitte dieser Straße hat man die Pension Chairman zu suchen.

Am Nachmittage des 14. Februar 1860 traten aus genanntem Pensionat gegen hundert Knaben, begleitet von ihren Eltern und mit lustigen Gesichtern und freudiger Lebendigkeit – junge Vögel, deren Käfig man geöffnet hatte.

Es war nämlich der Beginn der Ferien. Zwei Monate Unabhängigkeit, zwei Monate Freiheit! Einer beschränkten Anzahl dieser Zöglinge winkte die verlockende Aussicht einer Seereise, welche schon lange Zeit vorher in der Pension Chairman der Gegenstand lebhafter Gespräche gewesen war. Wir brauchen wohl nicht zu schildern, welch freudige Erwartung Diejenigen erregte, denen günstige Umstände gestatteten, sich an Bord der Yacht »Sloughi« einzuschiffen, um mit derselben an einer Umsegelung von ganz Neuseeland theilzunehmen.

Der von den Eltern der Zöglinge gecharterte hübsche Schooner war für eine Reise von sechs Wochen ausgerüstet. Er gehörte dem Vater eines derselben, M. William H. Garnett, einem ehemaligen Capitän der Handelsflotte, zu dem man das beste Vertrauen haben konnte. Eine unter die verschiedenen Familien vertheilte Subscription sollte die Kosten der Reise decken, die voraussichtlich die denkbar größte Sicherheit und Annehmlichkeit zu bieten versprach. Für die jungen Leute war das natürlich eine große Freude, und schwerlich hätte man die wenigen Wochen Ferien besser verwenden können.

In den englischen Pensionaten unterscheidet sich die Erziehungsmethode sehr wesentlich von der in ähnlichen französischen Anstalten. Man gönnt den Zöglingen daselbst mehr ein gewisses Recht der Selbstbestimmung und damit eine größere Freiheit, welche die Zukunft derselben recht glücklich beeinflußt. Mit einem Worte, die Erziehung hält hier gleichen Schritt mit der vielseitigsten Ausbildung. Daher kommt es, daß die meisten Zöglinge höflich und gewandt, zuvorkommend, sowie achtsam auf ihr Benehmen sind und, was wohl hervorgehoben zu werden verdient, zur Verheimlichung und Lüge kaum je Zuflucht nehmen, selbst wenn es sich darum handelt, einer verdienten Bestrafung zu entgehen. Dabei sei auch bemerkt, daß die Schüler dieser Lehranstalten weit weniger den Regeln gemeinsamen Lebens und den daraus hervorgehenden Vorschriften des Stillschweigens u. s. w. unterworfen sind. Meist bewohnen dieselben besondere Zimmer, wo sie auch gewisse Mahlzeiten einnehmen, und wenn sie sich an die Tafeln eines gemeinsamen Speisesaales setzen, so steht es ihnen frei, nach Belieben zu plaudern.

Je nach dem Alter sind die Schüler in Abtheilungen untergebracht, deren das Pensionat Chairman fünf zählt. Wenn in der ersten und zweiten die Kleinen sich gelegentlich noch an den Hals ihrer Eltern hingen, so ersetzten die Größeren schon den kindlichen Kuß durch den männlichen Händedruck. Dabei gab es keinen Lauscher, sie zu überwachen, das Lesen von Erzählungen und Zeitschriften war gestattet, Urlaubstage wurden häufig bewilligt, die Arbeitsstunden blieben möglichst beschränkt, während daneben auf Körperübungen, wie Turnen, Boxen und anregende Spiele in freier Luft, hoher Werth gelegt wurde. Als Dämpfer gegenüber jener Unabhängigkeit, welche die Schüler übrigens nur selten mißbrauchten, hatte man jedoch die körperliche Züchtigung, vorzüglich mit der Gerte, beibehalten. Gelegentlich ausgepeitscht zu werden, erschien den jungen Angelsachsen nicht als ehrenrührig, und sie unterwarfen sich widerspruchslos einer solchen Züchtigung, wenn sie dieselbe als verdient erkannten.

Jedermann kennt die bei den Engländern gewöhnliche Achtung vor der Ueberlieferung im privaten, ebenso wie im öffentlichen Leben, und diesen Ueberlieferungen, selbst wenn sie an sich unvernünftig erscheinen, trägt man auch Rechnung in den Lehranstalten des weiten Reiches. Wenn es den älteren Schülern obliegt, die jüngeren zu unterstützen, so geschieht das nur unter der Bedingung, das letztere es den ersteren durch gewisse häusliche Dienstleistungen, denen sie sich auf keine Weise entziehen können, vergelten. Diese Dienste, welche in der Herbeischaffung des Morgenimbisses, der Reinigung der Kleider wie des Schuhwerkes, der Besorgung von Aufträgen u. dergl. bestehen, sind unter dem Namen »Faggisme« (etwa Fuchspflichten) bekannt, und diejenigen, welche sie zu leisten haben, heißen »Fags« (Füchse).

Es sind die Kleinsten, die Mitglieder der ersten Abtheilungen, welche den Zöglingen der höheren Classen als »Füchse »dienen, und wenn sie sich dessen weigerten, würde ihnen das Leben gewiß recht sauer gemacht werden. Daran denkt jedoch Keiner, und das gewöhnt sie, sich einer Disciplin zu fügen, von der man z.B. bei den Zöglingen der französischen Lyceen keine Spur findet. Die Ueberlieferung verlangt es hier einmal, und wenn es ein Land giebt, welches diese beachtet, so ist es das Vereinigte Königreich, wo sie den einfachsten Londoner Straßenjungen ebenso beherrscht, wie die Peers des Oberhauses.

Die Zöglinge, welche an der Spazierfahrt des »Sloughi« theilnehmen sollten, gehörten verschiedenen Abtheilungen der Pension Chairman an. Wie der Leser schon weiß, befanden sich an Bord des Schooners solche von acht bis zu vierzehn Jahren. Und diese fünfzehn Knaben, mit Einrechnung des Schiffsjungen, sollten weit weg verschlagen werden und die schlimmsten Abenteuer zu bestehen haben.

Wir führen nun nicht nur ihre Namen auf, sondern auch ihr Alter, Gewohnheiten, Charakter, Familienverhältnisse neben den Beziehungen, welche zwischen ihnen bestanden, als sie zur gewöhnlichen Zeit der beginnenden Spätsommerferien die Anstalt verließen.

Mit Ausnahme zweier Franzosen, der Brüder Briant, und Gordon's, eines Amerikaners, sind Alle englischer Abkunft.