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Im flüsternden Nebel der alten Wälder tanzen Licht und Schatten ihren ewigen Reigen. Hier beginnt die Geschichte zweier Seelen, die gegensätzlicher nicht sein könnten — und doch füreinander bestimmt sind. Soilsiu, die Lichtweberin, geboren im Glanz der Morgenröte, trägt in ihren Händen die Macht, Wunden zu heilen und Dunkel zu vertreiben. Doch hinter ihrem sanften Strahlen ruht eine Sehnsucht, älter als Zeit — das Wissen, dass kein Licht ohne Schatten bestehen kann. Und er —Caolan, der Schattenbeschwörer. Ein Wanderer zwischen den Welten, vom Schmerz geformt, vom Verlust verdunkelt. Einst ein Schüler des Lichts, nun gebunden an die Macht, die ihn zugleich schützt und verzehrt. Als ihre Wege sich im Kreis der Runen kreuzen, erwacht eine uralte Kraft. Licht und Schatten beginnen zu fließen wie Atemzüge eines vergessenen Gottes — und die Grenze zwischen Liebe und Verdammnis zerfließt im goldenen Nebel des Schicksals. So entwickelt sich ein Lied aus Magie, Erinnerung und dem Mut, sich selbst im Anderen zu erkennen. Denn wer die Schatten fürchtet, hat das Licht nie wirklich gesehen. Ein episches, lyrisches Fantasy-Märchen über die heilige Balance zwischen Dunkelheit und Glanz — und die Liebe, die selbst im tiefsten Nebel den Weg weist.
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Seitenzahl: 179
Veröffentlichungsjahr: 2025
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P.G. Baum
Zwei Seelen aus Nacht und Glanz
Ein Lied aus Licht, Schatten und Runenzauber
Impressum
Texte: © 2025 Copyright P. G. Baum
Umschlag:© 2025 Copyright P. G. Baum erstellt mit KI
Verantwortlich für den Inhalt:
P. G. Baum, In der Au 20, 51570 Windeck
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:
Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH
Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin
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Buch 1 Caolan
✧༺ Prolog ༻✧
✧༺ Geburt im Zeichen der Finsternis ༻✧
✧༺ Kindheit im Dorf ༻✧
✧༺ Der erste Verlust ༻✧
✧༺ Der Ruf des Waldes ༻✧
✧༺ Lehrjahre bei einem Wanderer ༻✧
✧༺ Die Versuchung ༻✧
༻✧ Das Zerbrechen der Kindheit ༻✧
✧༺ Der Weg in die Einsamkeit ༻✧
✧༺ Der Schwur der Schatten ༻✧
✧༺ Epilog – Der Kreis schließt sich ༻✧
Buch 2 Soilsiu
✧༺ Prolog – Die Geburt im Zeichen des Lichts ༻✧
✧༺ Kind des Morgentaus ༻✧
✧༺ Die ersten Prüfungen ༻✧
✧༺ Die Begegnung mit den Geistern ༻✧
✧༺ Die Gabe des Lichts ༻✧
✧༺ Die Lehrjahre bei der Priesterin ༻✧
✧༺ Die Versuchung des Schattens ༻✧
✧༺ Das Zerbrechen der Unschuld ༻✧
✧༺ Aufbruch ins Unbekannte ༻✧
✧༺ Die Prüfung des Herzens ༻✧
✧༺ Ruf der Sterne ༻✧
✧༺ Im Bann der Nacht ༻✧
✧༺ Tanz der Schattenflammen ༻✧
✧༺ Der Schwur der Sterne ༻✧
✧༺ Das Lied der Schatten ༻✧
Buch 3 Das Lied der Schatten
✧༺ Prolog–Das Flüstern im Nebel ༻✧
✧༺ Der Ruf des Waldes ༻✧
✧༺ Die Seelenbindung ༻✧
✧༺ Die Prüfung des Baumes ༻✧
✧༺ Die Begegnung mit Soilsiu ༻✧
✧༺ Die Irrlichter ༻✧
✧༺ Kirvi-Spont, der Hirschgeist ༻✧
✧༺ Der Gesang der Steine ༻✧
✧༺ Die Prüfung der Erinnerung ༻✧
✧༺ Die Schwelle des Vertrauens ༻✧
✧༺ Der Aufstieg der Schatten ༻✧
✧༺ Der letzte Schwur ༻✧
✧༺ Epilog – Das Lied vom letzten Schwur ༻✧
✧༺ Charakterverzeichnis ༻✧
✧༺ Ortsverzeichnis ༻✧
✧༺ Magieverzeichnis ༻✧
✧༺ Verzeichnis der Mächte und Runen ༻✧
I. Die Lehren des Lichts – Magie der Lichtweber
II. Die Künste der Dunkelheit – Magie der Schattenrufer
III. Die Runen der Balance – Die Magie der Mitte
IV. Die verlorenen Zauber – Aus den Schatten der Zeit
Anhang I – Die Zwei Seelen aus Nacht und Glanz
I. Soilsiu – Die Lichtweberin
II. Der Schattenbeschwörer
III. Die Vereinigung der Gegensätze
Über den Autor
Bevor der kalte Nebel lautlos zwischen den uralten Bäumen kroch und das Mondlicht verschluckte, bevor die Runen im Kreis zu leuchten begannen, gab es einen Jungen, dessen Herz im Widerstreit zweier Mächte schlug. Oft lag Caolan nachts wach und spürte das Ziehen in seinem Herzen – ein Schmerz, der ihn zugleich ängstigte und faszinierte. Er war geboren zwischen Sternenlicht und Schattenflammen, genährt von der Liebe einer Mutter, doch gezeichnet vom Erbe eines Vaters, den niemand beim Namen nennen wollte.
Die Alten sprachen von Zeichen: vom Heulen der Wölfe, vom Schweigen der Vögel, vom Sturm, der die Nacht seiner Geburt begleitete. Für sie waren diese Zeichen Vorboten eines Wandels, den niemand verstand. Doch nur wenige begriffen, dass hier nicht bloß ein Kind zur Welt gekommen war, sondern ein Knotenpunkt des Schicksals. In ihm sollte sich dereinst entscheiden, ob das Gleichgewicht zwischen Licht und Dunkel gewahrt bliebe – oder ob eine Seite das andere verschlingen würde.
Dies ist die Geschichte von Caolan, ehe er den Namen Schattenbeschwörer trug. Es ist die Chronik eines Kindes, das mit jedem Atemzug näher an sein Schicksal trat – und doch immer die Wahl in sich trug. Stille Nächte, in denen der Wind an den Fenstern kratzte und der Nebel das Dorf einhüllte, ließen ihn das Dunkel wie einen Mantel spüren und das Licht wie einen fernen Ruf. So formte sich in Caolan das ewige Ringen, das sein Leben bestimmen sollte.
Der Nebel lag schwer wie nasser Samt auf den Hügeln, als die Stunde von Caolans Geburt kam. Die Luft schmeckte nach feuchtem Moos, nach Erde und dem harzigen Atem des Waldes, der sich bis in die letzten Winkel des Dorfes schlich. Jeder Atemzug trug den kühlen Hauch von etwas Uraltem in sich – als würde die Dunkelheit selbst die Lungen füllen. Das Mondlicht, sonst silbern und klar, zerbarst an den Nebelschwaden zu matten Flecken, die zwischen den Ästen der Bäume zerflossen und den Boden mit einem geisterhaften Glanz überzogen. Die Tiere hielten inne, als hätte der Wald den Atem angehalten. Nur das tiefe Heulen der Wölfe zog durch die Nacht, näher als je zuvor, und vibrierte wie eine Warnung in der Brust der Schlafenden.
Im Haus am Waldrand, wo das Licht der Feuerstelle schwach gegen die Schatten ankämpfte, rang Donezon Doue mit Schmerzen und Erinnerungen. Die Gerüche von Eisenkraut und getrocknetem Beifuß, die in Stoffbeuteln an den Balken hingen, mischten sich mit dem scharfen Duft von Blut und Schweiß, während draußen der Wind an den Läden rüttelte. Donezon presste die Augen zu, spürte das raue Leinen unter ihren Fingern, suchte Halt an vertrauten Dingen. „Wird mein Kind verflucht sein? Oder gesegnet?“ Der Gedanke nagte in ihr, machte ihr Herz schwer. Sie erinnerte sich an das Lied, das ihre Mutter ihr einst in Nächten wie dieser gesungen hatte – ein uralter Reim, der versprach, dass das Licht selbst im tiefsten Schatten wohnen könne. Doch heute Nacht, als kein Vogel sang und selbst das Knistern des Feuers zu verstummen schien, kroch die Angst wie klamme Finger an ihrer Wirbelsäule empor.
Ihr Mann war fort – ein Fremder, gekommen aus dem Nebel, gegangen mit dem Licht eines Morgens. Die einzige Spur, die von ihm blieb, war das Amulett aus dunkler Eiche, das an der Tür hing: Ein Symbol, das die Alten als Schutz gegen den Zorn der Walddämonen kannten. Die Legende besagte, dass der, der das Amulett bei sich trug, mit dem Wald sprechen könne – doch Donezon hatte nie gewagt, es zu berühren. Manchmal spürte sie den Blick ihres Sohnes, noch ungeboren, als würde er wissen, dass in ihr Hoffnung und Furcht zugleich wohnten.
Als das Kind endlich kam, zuckte das Feuer im Herd auf, als wolle es der Dunkelheit trotzen. Der erste Geruch, den Caolan aufnahm, war der nach Asche und warmer Milch, nach frischem Brot, das auf dem Herd ruhte – ein Versuch, das Leben zu feiern, selbst in einer Nacht, die von alten Unheilsklagen durchdrungen war. Doch als er seinen ersten Laut von sich gab, war es kein Weinen – vielmehr ein kehliges Grollen, tief und fremd. Die Hebamme – alt, runzlig, mit den Händen einer Kräuterfrau – sog scharf die Luft ein. „Das ist kein gewöhnliches Kind“, raunte sie, während ihr Atem nach Wacholder und altem Schnaps roch. „Er trägt den Atem der Nacht in sich.“ In Donezons Herz kämpften Freude und Sorge, Stolz und eine namenlose Trauer um den Platz in ihrer Seele. Sie hielt das Kind an sich, küsste seine Stirn, spürte die Kühle, die von ihm ausging, und flüsterte mit bebender Stimme: „Du bist mein Licht, und doch fürchte ich den Schatten, der dich umhüllt.“
Am nächsten Morgen lag das Dorf unter der drückenden Decke des Nebels, der nach feuchtem Holz, nach Moder und den versponnenen Träumen der Alten rocht. Die Menschen, in dicke Wolltücher gehüllt und mit runzeligen Gesichtern, kamen zum Haus am Waldrand. Sie tuschelten, manche mit einem Zeichen gegen das Böse in der Luft – dem alten Brauch folgend, eine Kralle aus Eberzahn über der Tür zu streichen. Einige brachten Brot und Salz, wie es die Sitte verlangte, um das Schicksal des Neugeborenen zu mildern. Die Kinder warfen verstohlene Blicke, als hofften sie, einen Funken Magie zu erhaschen. Eine alte Frau erzählte leise die Legende vom Hirschkönig, der in der Geburtsnacht auserwählte Kinder segnete – jener Hirsch, dessen Augen im Sturm wie Silber flackerten und dessen Hufschlag im Wind zu hören war.
Der Dorfälteste – sein Bart glänzte im Zwielicht wie Reif auf alten Steinen – trat hervor, hielt dem Kind eine geschnitzte Holzfigur entgegen: ein Wächterbaum, Symbol für Gleichgewicht zwischen Licht und Dunkel. „Sein Name soll Caolan sein“, sagte er, und seine Stimme war rau wie das Holz, das er in Händen hielt. „Denn er wird zwischen den Wegen wandeln, zwischen Hoffnung und Finsternis, wie es die alten Lieder berichten.“ Donezon fühlte, wie der Segen und die Last dieser Worte sich um ihr Herz schlangen. In ihren Gedanken flackerte ein Bild von Caolans Zukunft auf – ein Leben zwischen Misstrauen und Bewunderung, zwischen den Erwartungen der Menschen und dem Zwiegesang des Waldes. Sie fragte sich, ob er je seinen Platz finden würde, fürchtete, dass sein Weg einsam werden könnte.
Schon bald zeigte sich, dass mit Caolan etwas nicht stimmte – oder mehr: dass er die Welt anders zu berühren schien. Wenn er weinte, roch es nach kaltem Rauch, als würde der Wind selbst durchs Haus streichen und die Kerzen ersticken. Wenn er lachte, war die Luft elektrisiert, ein Hauch von Ozon lag über dem Herdfeuer, und die Flammen tanzten hell und ungestüm. Die Tiere des Dorfes mieden ihn zunächst, aber später kamen die Katzen und Krähen, als fühlten sie die Nähe eines Verwandten. Die Alten raunten: „Er ist ein Hexenmeister“, „ein Kind des Waldes“, „ein Zeichen der alten Götter“. Andere erzählten von der Sage, dass jene, die in einer Nacht wie dieser geboren wurden, zwischen den Welten wandeln und das Gleichgewicht halten sollten – oder es ins Wanken bringen.
Donezon beobachtete ihren Sohn mit einer Mischung aus Sorge und Hoffnung. „Was, wenn er sich verliert? Was, wenn der Schatten in ihm wächst?“ fragte sie sich oft im Stillen, während sie ihm Lieder vorsang, die die Dunkelheit vertreiben sollten. Doch manchmal, wenn sie ihm tief in die Augen sah, schimmerte dort ein Licht, das ihre Ängste für einen Moment verstummen ließ. Vielleicht, dachte sie, liegt in ihm tatsächlich der Funke, der das Alte wandeln kann.
Caolan selbst spürte, dass er nicht war wie die anderen. Die Stimmen im Nebel – sie klangen für ihn wie das Flüstern von Freunden, nicht wie das Dräuen des Unbekannten. Oft lag er nachts wach und lauschte, fühlte den feuchten Hauch der Nacht auf seiner Haut, roch das Moos, das durch die Ritzen der Dielen wuchs, hörte das ferne Raunen des Waldes, das nur er zu verstehen glaubte. Manchmal, im Zwielicht zwischen Schlaf und Erwachen, fragte er sich, ob die Geschichten, die die Alten über ihn erzählten, wahr waren – ob er wirklich zwischen den Welten stand, oder ob die Sehnsucht nach Zugehörigkeit ihn nur träumen ließ.
Die Nacht seiner Geburt wurde im Dorf noch lange weitergetragen – in Geschichten am Feuer, in Liedern, die von Sturm, Nebel und dem Ruf des Hirsches erzählten. Die Menschen erinnerten sich an das Frösteln, das durch ihre Knochen kroch, an den Duft von verbranntem Salbei, mit dem sie das Haus reinigten, und an das Gefühl, dass in jener Nacht die Welt für einen Augenblick still stand. Nur Donezon Doue wusste, dass diese Stille mehr war als Angst – sie war das Innehalten vor einer großen Veränderung, der Anfang einer Geschichte, die der Wind noch immer durch die Bäume trägt.
Caolan wuchs zwischen Strohgedecken, Feuerstellen und dem ewigen Raunen des Waldes auf. Das Dorf, in dem er lebte, war klein, nur ein Dutzend Hütten, deren Dächer sich wie gebeugte Rücken unter den Stürmen krümmten. Für die meisten war es ein sicherer Ort, ein Schutz gegen die Wildnis ringsum – doch für Caolan war es zugleich ein Käfig aus Blicken, Flüstern und Erwartungen.
Die Kinder des Dorfes spielten oft miteinander: sie jagten sich zwischen den Hütten, bauten kleine Fallen im Gras oder kletterten auf die niedrigen Apfelbäume. Caolan war dabei, aber nie ganz Teil von ihnen. Wenn er lachte, verstummten die anderen, als sei das Geräusch ihnen fremd. Wenn er schwieg, tuschelten sie hinter seinem Rücken. „Das ist der Junge, der den Wind befiehlt“, sagten sie manchmal. „Der Sohn der Lichtfrau und des Fremden, den niemand kennt.“
Caolan spürte, dass er anders war. Oft saß er am Rand der Gruppe, den Blick in den Himmel oder in die Schatten zwischen den Bäumen gerichtet. Es war, als lauschte er auf etwas, das die anderen nicht hören konnten. Und tatsächlich – seit frühester Kindheit vernahm er Stimmen. Zuerst hielt er sie für Träume: ein Wispern, das ihn bei Nacht begleitete. Doch bald wusste er, dass sie real waren. Der Wald sprach zu ihm.
Manchmal, wenn er allein war, antwortete er. Leise, scheu, so wie ein Kind mit einem unsichtbaren Freund spricht. Er erzählte dem Wald von seinen Spielen, von seiner Mutter, von den Blicken der anderen. Und der Wald antwortete. Nicht in Worten, sondern in Bildern: der Schatten eines Vogels, der plötzlich über den Boden huschte; ein Blatt, das in seine Hand fiel, obwohl kein Wind wehte; ein Funke, der aus der Feuerstelle sprang, genau in dem Moment, da er um ein Zeichen bat.
Doch es gab auch dunkle Momente. Einmal, als ein anderes Kind ihn verspottete und einen Stein nach ihm warf, geschah etwas Seltsames: Der Stein blieb in der Luft stehen, nur einen Augenblick – dann fiel er zu Boden, als hätte eine unsichtbare Hand ihn aufgehalten. Das Kind, das ihn geworfen hatte, starrte Caolan an, mit geweiteten Augen, und rannte schreiend davon. Von diesem Tag an mieden ihn die meisten noch mehr.
Seine Mutter Donezon Doue tat alles, um ihm Geborgenheit zu schenken. Sie nahm ihn mit auf ihre Streifzüge, lehrte ihn die Namen der Kräuter, die Sprache der Winde, die Bedeutung der Sterne. Doch auch sie konnte die Schatten nicht ganz von ihm fernhalten. Manchmal sah sie ihn still in einer Ecke sitzen, den Blick starr auf eine dunkle Wand gerichtet, als sehe er etwas, das für ihre Augen unsichtbar blieb.
„Caolan“, sagte sie dann, „verliere dich nicht in den Schatten. Du bist nicht allein.“
Und er nickte, doch tief in seinem Herzen wusste er, dass ein Teil von ihm den Schatten mehr vertraute als den Menschen.
Die Jahre seiner Kindheit waren ein Tanz auf der Schwelle: zwischen Lachen und Schweigen, zwischen Spielen und Fliehen, zwischen Liebe und Furcht. Das Dorf gab ihm Nahrung, ein Dach und manchmal auch Freundschaft. Doch die wahre Heimat fand er in dem Flüstern des Waldes, in den geheimnisvollen Stimmen, die ihm von Rätseln erzählten, die weit älter waren als das Leben seiner Mutter oder seines Dorfes.
Mit jedem Jahr wuchs das Gefühl, dass er nicht ganz dazugehörte. Die Kinder wurden zu Jugendlichen, die über Arbeit, Ernte und Feste sprachen. Caolan hingegen lauschte immer stärker den Stimmen der Nacht. Er fühlte, dass in ihm etwas wartete, etwas, das größer war als das Dorf, größer sogar als der Wald.
Und doch blieb er ein Kind – mit Sehnsucht, mit Fragen, mit der unausweichlichen Einsamkeit, die sein Schicksal mit sich brachte.
Caolan war zehn Winter alt, als der erste große Schatten über sein Leben fiel. Bis dahin hatte er die Jahre in einer eigentümlichen Mischung aus Geborgenheit und Fremdheit verbracht: geliebt von seiner Mutter, misstrauisch beäugt von vielen Dorfbewohnern, begleitet vom Flüstern des Waldes. Doch in jenem Winter änderte sich alles.
Die Kälte war hart, härter als in den Jahren zuvor. Der Wind schien das Dorf in eisiger Umarmung zu halten, die Felder waren leer, die Speicher nur halb gefüllt. Die Menschen drängten sich enger an die Feuerstellen und beteten, dass der Frost bald enden möge. Doch der Frost blieb.
Eines Abends, als der Himmel von blassgrünen Nordlichtern erhellt wurde, kam eine Krankheit ins Dorf. Zuerst war es nur Husten, dann Fieber, schließlich das schnelle Erlöschen ganzer Leben. Niemand wusste, woher sie gekommen war. Manche sagten, ein Reisender habe den Fluch gebracht, andere behaupteten, die Götter hätten den Menschen ihre Gaben entzogen. Doch einige Blicke fielen auch auf Caolan – zu oft hatte man schon gemurmelt, dass seltsame Dinge geschahen, wenn er in der Nähe war.
Donezon Doue aber zögerte nicht. Tag und Nacht ging sie von Hütte zu Hütte, legte ihre Hände auf die Stirnen der Kranken, kochte Tränke aus Wurzeln und Kräutern, sang die alten Lieder, die das Herz beruhigten. Caolan begleitete sie, trug Wasser, sammelte Holz, lauschte den Seufzern der Leidenden. Er war stolz auf seine Mutter, wie sie kämpfte, wie sie nie den Mut verlor, auch wenn ihre Augen von Müdigkeit verdunkelt waren.
Doch eines Nachts, als der Frost draußen die Fenster in Kristallmuster hüllte, erwachte Caolan und hörte ein Flüstern, das nicht vom Wald kam. Es war eine dunklere, kältere Stimme. Sie sprach direkt in sein Herz:
„Deine Mutter wird versagen. Ihre Hände sind zu schwach. Aber du – du kannst es wenden. Sprich meinen Namen, rufe mich, und ich werde die Krankheit bannen. Die Seelen der Kranken sollen dein Dank sein.“
Caolan zitterte. Er wusste, dass er mit niemandem von dieser Stimme sprechen durfte. Doch in seiner Brust rang die Verzweiflung mit der Angst. Er konnte die Menschen schreien hören, das Röcheln der Alten, das Weinen der Kinder. Wenn er helfen konnte – sollte er nicht?
Am nächsten Morgen wurde ein Kind begraben. Es war Lira, kaum älter als er, die manchmal mit ihm am Bach gespielt hatte. Er sah, wie ihre Mutter den kleinen Körper in die Erde legte, wie der Vater schweigend danebenstand, Tränen über die Wangen laufend. Und Caolan wusste: Er hatte versagt. Denn er hatte geschwiegen, er hatte die Stimme nicht erhört.
In dieser Nacht rief er sie doch. Leise, voller Scham und dennoch entschlossen, flüsterte er im Schlaf die Silben, die ihm die Schatten diktierten. Und die Schatten antworteten.
Es war, als zöge ein kalter Strom durch sein Herz, als würden Fäden unsichtbarer Macht in seine Hände gelegt. Er legte die Hände auf einen Kranken, und das Fieber sank. Ein zweiter atmete leichter, ein dritter öffnete die Augen. Freude und Hoffnung kehrten zurück – zumindest für diesen Moment.
Doch bald zeigte sich der Preis. Denn während die Kranken sich erholten, wurden andere seltsam still. Sie blickten Caolan an, als sei er ein Fremder, einer, der etwas genommen hatte, das ihm nicht zustand. Manche mieden ihn, manche warfen ihm verstohlene, feindselige Blicke zu.
Und schlimmer noch: In derselben Nacht erwachte er schweißgebadet und sah Gestalten in seinem Zimmer – blasse, durchscheinende Formen, die ihn anstarrten. Die Gesichter derer, die gestorben waren, standen vor ihm. Lira, das Mädchen, war unter ihnen. Sie sagte nichts, doch ihre Augen fragten ihn: Warum? Warum hast du uns nicht gerettet?
Caolan schrie, doch niemand hörte ihn. Die Schatten zogen sich zurück, doch sie kehrten jede Nacht wieder.
Am Tag tat er, als sei alles normal. Er half seiner Mutter, er hörte den Gesprächen der Dorfbewohner zu. Doch in seinem Inneren wuchs die Gewissheit, dass er etwas angerührt hatte, das nicht für ihn bestimmt gewesen war. Er hatte den Tod berührt – und der Tod ließ ihn nicht mehr los.
Nach einigen Wochen klang die Krankheit ab. Das Dorf überlebte, wenn auch geschwächt. Doch Caolan hatte den ersten Preis seines Schicksals gezahlt: Er hatte verloren. Nicht nur Freunde, nicht nur das Vertrauen der Dorfbewohner – sondern auch seine Unschuld.
Die Schatten flüsterten fortan öfter zu ihm. Und jedes Mal, wenn er sie hörte, dachte er an Lira und die stummen Vorwürfe in ihren Augen. Er wollte ihnen widerstehen, doch zugleich wusste er: Die Macht, die er gespürt hatte, war real. Und eines Tages würde er sie wieder brauchen.
So endete Caolans Kindheit nicht in einem Fest oder in einem neuen Frühling – sondern in Grabgesängen, kalten Nächten und dem Wissen, dass er ein Erbe in sich trug, das ihn niemals mehr verlassen würde.
Nach jenem Winter, der so viele Leben forderte, war Caolan nicht mehr derselbe. Die Schatten begleiteten ihn nun wie stumme Gefährten, mal fern, mal flüsternd nah. Und wenn er die Augen schloss, hörte er sie zwischen den Atemzügen des Windes, im Knacken des Holzes, selbst im Herzschlag der Erde.
Doch zugleich begann eine neue Stimme zu ihm zu sprechen – nicht kalt und verhängnisvoll wie die der Schatten, sondern tief, uralt und voller Geheimnisse. Sie kam aus dem Wald.
Schon als Kind hatte er die Bäume geliebt, ihre hohen Kronen, die wie Kathedralen über ihm rauschten, die weichen Moose unter seinen Füßen. Aber nun schien es, als erwachten die Wälder zu einem eigenen Leben, das nur er verstehen konnte. Die Wurzeln flüsterten ihm von verborgenen Strömen, die Vögel sangen Lieder, die keine anderen Ohren vernahmen, und manchmal glaubte er, ein uraltes Auge hinter dem grünen Dunkel auf sich ruhen zu spüren.
Es begann schleichend: Er fühlte sich nach den langen Tagen im Dorf schwer, als würde die Luft dort seine Brust zusammendrücken. Doch sobald er den ersten Schritt in den Wald tat, atmete er leichter. Der Geruch von Harz, feuchter Erde und verwittertem Laub war wie Balsam, und er konnte fast spüren, wie die Last von seinen Schultern fiel.
Donezon Doue, seine Mutter bemerkte es.
