Zwielicht - Ney Sceatcher - E-Book

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Ney Sceatcher

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Beschreibung

Im Kampf zwischen Gut und Böse darf Alba niemandem vertrauen

Ein Land, gespalten in Gut und Böse. Alba gehört zu dem Volk der Verstoßenen, der Mörder und Verbrecher. Niemand sieht in ihr das unschuldige Mädchen, das dazu verdammt ist, um ihr Überleben zu kämpfen. Niemand, bis auf den Grenzwächter Neo.
Alba hat es sich zum Ziel gemacht, die trennende Mauer des Schicksals zu überwinden, und bekommt ungeahnt Hilfe: Auch Lavera, die einstige Dienerin der Prinzessin der Guten, wurde verdammt. Sie ahnen, dass auf Seiten des Königs Intrigen und Missgunst herrschen. Doch je näher Alba ihrem Ziel und auch Neo kommt, desto gefährlicher wird ihr Auftrag.
Denn ihre Feinde sind mächtig …

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Das Buch

Im Kampf zwischen Gut und Böse darf Alba niemandem vertrauen.

Ein Land, gespalten in Gut und Böse. Alba gehört zu dem Volk der Verstoßenen, der Mörder und Verbrecher. Niemand sieht in ihr das unschuldige Mädchen, das dazu verdammt ist, um ihr Überleben zu kämpfen. Niemand, bis auf den Grenzwächter Neo. Alba hat es sich zum Ziel gemacht, die trennende Mauer des Schicksals zu überwinden, und bekommt ungeahnt Hilfe: Auch Lavera, die einstige Dienerin der Prinzessin der Guten, wurde verdammt. Sie ahnen, dass auf Seiten des Königs Intrigen und Missgunst herrschen. Doch je näher Alba ihrem Ziel und auch Neo kommt, desto gefährlicher wird ihr Auftrag. Denn ihre Feinde sind mächtig …

Die Autorin

© privat

Ney Sceatcher, geboren in der Schweiz, las schon immer gern aufregende Bücher. Selbst zu schreiben begann sie bereits mit neun Jahren. Damals entstanden ihre Geschichten noch in kleinen Notizbüchern. Heute schreibt sie im Internet und ist schon seit 2014 auf der Seite Wattpad aktiv. Bis jetzt hat sie dort unter dem Namen NeySceatcher einige Bücher veröffentlicht und eine große Anzahl an Lesern gewonnen. Wenn sie nicht gerade schreibt oder Tieren hilft, reist sie in der Welt umher und träumt von aufregenden Abenteuern.

Mehr über die Autorin auf: https://www.instagram.com/neysceatcher/

Der Verlag

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Loomlight auf Instagram: www.instagram.com/loomlight_books/

Viel Spaß beim Lesen!

Ney Sceatcher

ZwielichtVerborgen hinter Schatten

Für all jene, die an das Gute in jedem Menschen glauben. Die zwischen den Zeilen lesen und begreifen, dass jeder einzigartig und individuell ist.

Prolog

Ich war in einem Land aufgewachsen, in dem die Menschen daran glaubten, dass man zwischen Gut und Böse unterscheiden konnte. Dass es Menschen gab mit schlechten Eigenschaften, bösen Gedanken und dass eben nur diese zu schrecklichen Taten fähig waren.

In meiner Welt glaubte man daran, dass Gedanken an Mord, Diebstahl oder Verrat nur in den Köpfen von eben diesen bösen Menschen spuken würden. Dass nur sie dazu fähig wären, anderen Leid zuzufügen.

Dabei hatte ihnen niemand erklärt, dass in jedem Menschen diese Seite steckte. Das selbst der einfachste Gemüsehändler dazu in der Lage war, jemanden mit seinen bloßen Händen zu erwürgen.

Jeder hatte diese Seite an sich, diesen pulsierenden dunklen Kern im Inneren des Herzens, der sich im Laufe der Zeit an die Oberfläche kämpfte.

Das Land, in dem ich lebte, war in zwei Hälften aufgeteilt worden. Es gab die Seite der Tendra, der Bösen. Dort blühte so gut wie gar nichts, die Behausungen waren heruntergekommen, das Essen knapp und die Arbeit schlecht bezahlt. Schmutz und Dreck lagen auf den Straßen, selbst die Sonne vermied es, ihre hellen Strahlen auf diese Seite zu richten. Hier lebten eben diese bösen Menschen. Leute, die Morde begangen und kostbares Gut gestohlen hatten oder auch solche, die unschuldig waren, aber es nicht beweisen konnten.

Auf der anderen Seite lag Callad. Der schönere Flecken, wo alles blühte und wuchs, was man sich in seinen kühnsten Träumen nur so vorstellen konnte. Die Menschen, die hier lebten, trugen atemberaubende Gewänder in jeglichen Farben, hatten sonnengebräunte Haut und kannten Dinge wie Hunger oder Durst nur aus geschriebenen Zeilen. Hier lag auch das prunkvolle Schloss des Königs und seiner Familie.

Tendra und Callad trennte eine hohe Mauer aus kaltem Stein, die von den Wachleuten des Königs gesichert wurde. Sie sorgten dafür, dass keiner der Bösen auf die Seite der Guten kam. Denn diesen Abschaum, wie sie ihn nannten, wollten sie nicht auf ihrer Seite haben.

Aber viele Menschen auf der bösen Seite waren nicht schon immer dort gewesen. Denn hier gab es eine Art Punktesystem. Alle Menschen waren anfangs in Callad aufgewachsen. Mit guten Taten konnten sie Punkte sammeln, die dann von dem königlichen Schreiber fleißig notiert wurden. Taten wie mehr Steuern zahlen, an Feierlichkeiten teilnehmen, jemandem das Leben retten oder einfach seine Arbeit zu verrichten. Umso mehr Punkte man hatte, desto besser lebte man. Mit vielen Punkten stieg man automatisch in der Rangliste höher auf, durfte sich ein Haus in der Nähe des Schlosses kaufen oder die Arbeit verrichten, die man wollte.

Man konnte aber auch Punkte verlieren, wenn man schlechte Dinge tat wie lügen, seine Arbeit nicht erledigen, Steuern nicht zahlen oder schlecht über den König sprechen. Verlor man zu viele Punkte und geriet unter die Nullgrenze, so musste man die Seite der Callad verlassen und hinüber nach Tendra gehen. Das gleiche Schicksal blühte Menschen, die besonders schreckliche Dinge begingen wie Mord, Verrat oder Erpressung. Diese wanderten ohne Wenn und Aber auf die andere Seite.

Wenn man ein Callad war, konnte man ohne Probleme zum Tendra werden. Aber war man einmal ein Tendra, so gab es keine Möglichkeit, jemals wieder auf die gute Seite zu wechseln.

Denn Menschen vergaßen nicht und wenn man etwas getan hatte, was schlecht war, so wurde einem das sein Leben lang vorgehalten. All die anderen positiven Dinge, die wurden hingegen schnell vergessen.

Der König war sich sicher, mit diesem Punktesystem hatte er sein Land von all den schlechten Sachen befreit, von all den bösen Menschen. Er lebte glücklich und zufrieden, wog sich in Sicherheit. Aber wie schon zuvor erwähnt, hatte er nicht begriffen, dass jeder Mensch eine gute wie auch eine schlechte Seite in sich trug.

Zwischen zwei Welten

Alba

„Willst du etwas kaufen oder nur schauen?“

Die Frau mit den raspelkurzen Haaren und dem Kleid, das die Farbe von Asche hatte, blickte mich von oben herab an. Ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst, die Hände hatte sie in die Hüfte gestemmt. Vor ihr auf dem Tisch lagen kleine Glasphiolen mit unterschiedlichen Flüssigkeiten. Graue, unförmige Etiketten klebten darauf und mit schwungvollen Buchstaben hatte jemand Namen auf die Zettel geschrieben. Namen wie Liebestrank, Schönheitselixier, Vitaminkur, Wunschwasser … Und obwohl sie alle anders hießen, so hatten sie etwas gemeinsam, sie entsprachen nicht der Wahrheit. Denn was in diesen Gefäßen schwamm, war meist dreckiges Wasser aus dem See an der Grenze mit ein wenig Farbpulver.

„Nur schauen“, sagte ich, streckte meine Hände in die Jackentaschen und lief weiter.

Der Boden unter meinen Füssen knirschte bei jedem meiner Schritte. Er hatte dieselbe Farbe wie der Rest von Tendra, ein ausgewaschenes grau, dreckig und staubig.

Ich ließ den kleinen Marktplatz hinter mir, kam vorbei an den Wohnsiedlungen mit den schwarzen Hauswänden, den morschen Dächern und den eingeschlagenen Fensterscheiben.

Vor langer Zeit einmal waren die Häuser farbig gewesen, aber die nicht vorhandenen Mittel für eine Erneuerung hatten dafür gesorgt, dass die Farbe nach und nach verblasste, bis davon nichts mehr übrig geblieben war.

Viele Menschen in Tendra verdeckten ihre Münder und Nasen hinter dicken Tüchern, damit sie die Luft nicht direkt einatmen mussten. Im Winter brannten überall Feuer, um Wärme zu erzeugen, dann roch die Luft nach Rauch, Asche oder Schwefel. Im Sommer war es oft so warm und stickig, dass die Lebensmittel verdarben oder Staubwolken durch die Luft tanzten.

Und so kam es, dass ich durch einen Stadtteil lief, wo Menschen mit starren Blicken und ohne jegliche Hoffnung durch die Gegend wanderten. Selbst wenn sie lächelten, so sah man es nicht, da sie diese grauen Fetzen vor ihren Gesichtern hatten.

Bei einem bereits vergilbten Plakat an einer Hauswand blieb ich stehen.

Punktesystem - Abzüge für Vergehen:

Lügen -10

Diebstahl leicht -20

Diebstahl mittel -40

Diebstahl schwer -80

Nicht zur Arbeit erscheinen - 100

Steuern nicht bezahlen -120

Schlecht über König sprechen – 130

Mord – bis zur Nullgrenze

Verrat an Königshaus – bis zur Nullgrenze

Brandschatzung – bis zur Nullgrenze

Entführung – bis zur Nullgrenze

Erpressung – bis zur Nullgrenze

Mit einer raschen Bewegung riss ich es herunter und warf es auf den Boden. Die Nullgrenze gab es hier nicht mehr. Hier gab es auch kein Punktesystem. Denn wer in Tendra lebte, der befand sich unter dieser und hatte ohnehin keine Chance mehr, jemals zurück zu den Callad zu gelangen.

Ich lebte hier inmitten von Verbrechern, von Mördern oder Erpressern, von Verrätern, aber auch von Unschuldigen.

Unschuldigen, wie mein Vater einer war.

Die Wut in meinem Bauch kämpfte sich an die Oberfläche, ließ zu, dass ich meine schlanken Finger zu Fäusten ballte. Meine Fingernägel gruben sich in die Handinnenflächen, hinterließen hässliche kleine Schrammen. Doch so schnell, wie ich mich aufgeregt hatte, so schnell war die Wut auch wieder verflogen. Wie ein rauer Sommerwind, der über das kahle Land strich, an den Fensterläden rüttelte und sich dann verzog.

In all den Jahren hatte ich eines gelernt: Wut war vielleicht ein Gefühl, dass einen machtlos wirken ließ. Aber die Wut nährte sich und umso mehr Nahrung man ihr gab, desto stärker und mächtiger wurde sie. Bis sie eines Tages an der Oberfläche erscheinen würde und Unheil anrichtete.

Manche der Mörder hatten erzählt, dass sie sich an ihre grauenvollen Taten nicht erinnern konnten. Sie erinnerten sich nur noch daran, wie die Wut hochkroch und dann war da Schwarz. Schwarze kleine Punkte, die ihre Sicht trübten und erst wieder verschwanden, als das Leben ihres Gegenübers ausgehaucht war.

Ich vertrieb also meine Gedanken und lief immer weiter. Eine kleine Hütte mit einem schrägen Dach, dem schon einige Ziegel fehlten, tauchte vor mir auf. Die Tür besaß kein Schloss mehr, die Fenster waren eingeschlagen. Womöglich glänzte die Außenfassade früher in einem kräftigen Blutrot. Doch heute war davon nicht mehr viel übrig außer leeres Grau.

Vorsichtig lehnte ich mich gegen das alte Holz der Tür, drückte die Klinke langsam nach unten in der Hoffnung, dass sie nicht direkt wieder abfiel, und betrat dann mein Zuhause.

Mein Vater saß an dem runden Tisch, der nur noch drei Beine hatte und in den gierige Holzwürmer kleine Löcher hineingefressen hatten. Er starrte auf das spärliche Licht der Kerze, beobachtete, wie die Flamme ganz langsam hin und her tanzte. Neben ihm stand ein Krug Gwendar, ein starkes Kräutergetränk, das Kummer und Sorgen vergessen ließ. Zumindest bis zum nächsten Tag.

Seine Hände waren umwickelt mit roten Stoffstücken, die Fingernägel schwarz und eingerissen. An seinen Händen wimmelte es von Narben. Narben, wie er sie in seinem Herzen trug. Das helle Haar war stumpf und leblos, der Bart ungepflegt. Er arbeitete in der Mine am Rande von Tendra. Deshalb war seine Haut ganz fahl und fleckig. Ich mochte die Minen nicht. Darin roch es nach Asche, nach Tod und Trauer. In all den Jahren hatte mein Vater den Geruch angenommen. Und inzwischen roch auch unsere kleine Wohnung danach, erstickte all die Hoffnung und nistete sich ein wie ein böser Geist, der von einem Besitz nahm.

Als kleines Kind hatte ich mich oft neben ihn gesetzt, hatte seine Hand in meine genommen und die Augen geschlossen. In solchen Momenten hatte ich mir vorgestellt, was er einst für ein sorgenfreier Mann gewesen sein musste. Ich erinnerte mich vage an die edlen Gewänder, die wir besessen hatten, die goldenen Broschen und die glitzernden Ketten. Wie die Leute uns mit strahlendem Lächeln gegrüßt hatten.

„Wie war dein Tag?“, brummte er leise. Die trüben Augen noch immer auf das Licht der Kerze gerichtet.

Ich zuckte mit den Schultern, lief hinüber zu dem Kessel mit Regenwasser, der in der Ecke stand, und tauchte meine Hände darin ein. Die Kälte machte mich wach, vertrieb die Müdigkeit, die in meinen Gliedern saß.

„Ich war auf dem Markt.“

„War es schön?“

Draußen vor dem Hintereingang, der nur mit einer kaputten Tür und etlichen Stoffstücken bedeckt war, hörte man den Klang eines Windspieles.

Tendra veränderte die Menschen, ob sie es wollten oder nicht. Es nahm ihnen alles, zeigte ihnen, wie wenig wert sie waren. Wir wohnten in diesem kleinen Haus, direkt neben Mördern, Unschuldigen und Geisteskranken, deren Stimmen bis spät abends zu hören waren.

„Es war schön. Ich habe eine tolle Kette gesehen“, sprach ich, die Hände noch immer in dem kalten Wasser.

Doch mein Vater antwortete darauf gar nicht mehr. Als ich mich umdrehte, stellte ich fest, dass er auf dem Tisch eingeschlafen war. Seinen Kopf hatte er auf den Armen gebettet. Die hellen Haare standen ihm in alle Richtungen ab.

Die Augen leer, die Seele verflogen … Die Gedanken weit weg, der Herzschlag ganz leise …

Erst, als sich meine Hände bereits taub von der Kälte anfühlten, zog ich sie wieder aus dem Wasser. Ich lief hinüber in die kleine Kammer, holte eine der kratzigen Decken und breitete sie über seinem knochigen Rücken aus.

Ich wartete, bis die Kerze hinuntergebrannt war und der letzte Schatten an den Wänden entlang nach draußen kroch.

Dann verließ ich die Wohnung, kehrte meinen trüben Gedanken und dem Geruch nach Tod den Rücken zu.

Noch während des Laufens zog ich mir die Kapuze über die hellen Haare und den Schal enger um den Hals.

Wieder erklang das Windspiel in meiner Nähe. Wie ein sanftes Flüstern, ein Lockruf.

Mein Vater hatte mich immer davor gewarnt, um diese Uhrzeit das Haus zu verlassen. Er hatte Angst vor den Halunken, den Menschen mit den kalten Herzen und den seelenlosen Gedanken.

Aber in Wahrheit war es den Menschen egal, ob es Nacht oder Tag war. Wenn sie schreckliche Taten ausüben wollten, dann machten sie es dann, wenn sie Lust dazu hatten.

Und umso länger ich in den vier Wänden festsaß, desto wahnsinniger würde ich werden.

„Zwei Gwendar für den Preis von einem! Zwei Gwendar, die Dame?“ Ein schlaksiger Kerl mit einem kahlrasierten Schädel stand vor einem Gasthaus und schenkte mir ein breites Lächeln.

Doch ich beachtete ihn nicht, lief weiter, vergrub meine Hände in den Taschen meiner Jacke. Ich senkte meinen Blick auf meine Stiefelspitzen, beeilte mich vorwärtszukommen und ignorierte alles um mich herum. Wenn man den engen Gassen folgte, dann kam man nach einiger Zeit zu einer braunen Wiese. Hier gab es kaum noch Häuser oder Stände. Auch Menschen irrten hier selten umher. Denn allzu weit kam man nicht mehr, vor meinen Augen lag das Ende von Tendra. Ein runder See, umgeben von Nebelschwaden und Bäumen, deren Köpfe hoch in den Himmel ragten. Ihre kahlen Äste schienen ins Leere zu greifen, grüne Blätter gab es an ihnen schon lange nicht mehr.

Auf einem besonders hohen Baum saß eine Eule. Sie hatte ein goldbraunes Federkleid, der Bauch war schneeweiß und ihre Gesichtsform ähnelte der eines Herzens. Mit den kleinen Knopfartigen Augen sah sie direkt in meine Richtung.

Im Grunde war eine Eule in Tendra nichts Besonderes. Da es hier oft von Mäusen wimmelte, fanden sie genug zu essen. Und trotzdem musste ich bei dem Anblick des Tieres lächeln.

Meine Mutter hatte mir früher immer erzählt, dass Eulen als besonders weise galten. Sie waren clever, flogen lautlos durch die Nacht und schlugen blitzschnell zu.

Die Eule legte ihren Kopf leicht schräg, bevor sie ihr Federkleid schüttelte, die Flügel ausbreitete und hinüber auf die andere Seite flog. Selbst eine Eule, machte keinen Unterschied zwischen Tendra und Callad. Sie hatte die Freiheit, sich zu entscheiden.

Nachdenklich sah ich dem Tier dabei zu, wie es in der Dunkelheit verschwand.

Rechts von mir lag die meterhohe Steinmauer, deren Anblick einem deutlich machte, dass man auf der falschen Seite lebte. Alles, was dahinter lag, war ein Geschenk der Götter. Nur hier, hier schien es keine Götter zu geben.

Da es die letzten Tage geregnet hatte, sanken meine Schuhe in das weiche Gras ein und verursachten eklige schmatzende Geräusche, welche mich durch die sonst so stille Nacht begleiteten.

Ich steuerte auf einen der Bäume zu, angelte mich an den knorrigen Ästen hoch und schlang meine Arme um den Stamm des Baumes. Jede Bewegung kostete mich Kraft, schmerzte in meinen Fingern und raubte mir den Atem.

Doch die Mühe lohnte sich, denn sobald ich ganz oben angekommen war, fühlte ich mich frei. Für einen Moment schloss ich meine Augen, strich die Kapuze nach hinten und ließ zu, dass der Wind durch meine Haare fuhr.

Ich fühlte mich frei, schwerelos. Als ob ich auf der hohen Mauer sitzen würde und meine eigenen Entscheidungen treffen dürfte. Als wäre ich weder gut noch böse.

Sobald ich meine Augen öffnete, sah ich sie. Die vielen bunten Lichter auf der anderen Seite. Den Palast des Königs mit den vier spitzen Türmen und den honiggelben Dächern, den schneeweißen Wänden und den vielen kleinen farbigen Häusern davor. Ich sah, wie die hellen Lichter der Laterne auf die sauberen Straßen schienen, wie grünes Gras sichtbar wurde.

Wie ungerecht die Welt doch war, dachte ich mir, während ich meine Augen erneut fest schloss in der Hoffnung, dass die bunten Bilder niemals wieder verschwinden würden.

***

Etwas später kletterte ich wieder den Baum hinunter, klopfte mir die dreckigen Hände an der Hose ab und lief zurück auf den Weg. Inzwischen war es kälter geworden und ein leichter Nebel lag in der Luft, der die Umrisse der Häuser nach und nach verschwinden ließ.

Erneut wanderten meine Gedanken zu meinem Vater. Als ich noch jünger war und wir damals in Callad lebten, war mein Vater ein angesehener Kaufmann. Er verkaufte nur die beste Ware, wurde sogar an den Königshof eingeladen. Voller Stolz brachte er meiner Mutter und mir handbestickte Stoffe oder kostbare Perlenketten mit. Er hatte sich stets bemüht, keine Fehler zu machen, Punkte zu sammeln und anderen Menschen zu helfen. Auch mit seinem Geld hatte er niemals angegeben, trug selbst einfache Kleidung und gab uns all die Kostbarkeiten. Aber eines Abends kam alles anders, die Geschichte nahm eine überraschende Wendung.

Auf dem Nachhauseweg wurden wir von einer Gruppe Räuberüberfallen. Es ging so schnell, dass wir keine Zeit hatten zu handeln. Sie wollten unseren Schmuck und all die anderen Kostbarkeiten. Die Räuber hatten Waffen bei sich, gingen ziemlich gezielt vor. Während mein Vater sich ergab und ihnen alles vor die Füße warf, was er bei sich hatte, so wehrte sich meine Mutter dagegen. Sie schrie um Hilfe, schlug die Räuber und verhinderte, dass sie auch nur die kleinsten Schmuckstücke an sich rissen.

Zwei der Täter ergriffen die Flucht, als man aus weiter Ferne die Stimmen der Königlichen Wache vernahm. Doch einer blieb und rang mit meiner Mutter um eine besonders kostbare Perlenkette. Er stach mit seinem Messer zu, riss noch einmal an der Kette, bis sie auseinanderbrach und die kleinen runden Kugeln wie Regentropfen auf den Boden prasselten.

Als mein Vater das Blut sah, das über das schneeweiße Kleid meiner Mutter tropfte, erwachte der Überlebensgeist in ihm. Er stürzte sich auf den Räuber und gemeinsam kämpften sie um das Messer. Ich stand da, sah zu mit zitternden Händen. Vor lauter Schock traute ich mich nicht, mich zu bewegen. Ich wollte meine Augen schließen, aber auch das gelang mir erst nach einer Weile.

Als die Wachen kamen, lag der Räuber leblos zwischen grünen Grashalmen die sich leicht im Wind bewegten.

Meine Mutter überlebte den Überfall nicht und mein Vater war zum Mörder geworden. Sobald die ersten Sonnenstrahlen den Himmel in kunstvolle Rottöne färbten und somit die Schatten der Nacht vertrieben, kamen die königlichen Wachen zu uns nach Hause. Sie nahmen uns alles weg, packten uns und brachten uns zu der Mauer. Sie hörten uns nicht zu, glaubten unseren Worten nicht. So etwas wie einen Prozess gab es nicht. Man glaubte einfach das, was andere Zeugen erzählten. Darum gab es viele Unschuldige auf der Seite der Tendra.

Die Erinnerungen verblassten, genau wie der Nebel um mich herum.

Ich war stehen geblieben, starrte zu der Mauer. Mein größter Wunsch war es, wieder hinüberzugehen. Nicht wegen mir oder den schönen Gewändern. Ich wollte wegen meinem Vater zurück nach Callad. Wollte dem König erklären, warum er einen Fehler begangen hatte. Denn wenn er meinen Vater weiterhin hierbehalten würde, würde es nicht mehr lange dauern und die Schuldgefühle fraßen ihn regelrecht auf.

Die Mauer lag direkt vor mir, wurde immer höher, je mehr ich auf sie zusteuerte. Das breite Tor aus Eisen wirkte wie der Eingang der Hölle. Es besaß einige Schlösser, wurde verstärkt durch Metallstangen und einen breiten Holzbalken. Selbst um das Tor zu öffnen, brauchte es eine Handvoll starker Frauen und Männer. Aber keiner traute sich. Keiner wagte es mehr, gegen die Wachleute des Königs zu kämpfen.

Der Ort, der zwischen Callad und Tendra lag, wo die Mauer stand, den nannte man die Grenze. Die Wachleute, die hier lebten, waren im Grunde neutral. Ausgebildet vom Hofe des Königs, aber im Herzen weder das eine noch das andere. Sie konnten keine Punkte verlieren, konnten nicht auf- oder absteigen. Ihr Platz hier war ihnen sicher.

Zu meiner Verwunderung stand heute nur einer vor dem Tor, die Hände vor der Brust verschränkt. Bestimmt waren seine Kameraden gerade in der Pause oder hielten sich in unmittelbarer Nähe auf, um alles zu beobachten.

Der junge Mann vor mir hatte dunkle lange Haare und ebenso nachtschwarze Gewänder. Seine Füße steckten in blankpolierten Stiefeln, an den Händen trug er silberne Ringe. Ihn hatte ich hier noch nie gesehen.

Mit selbstsicherer Miene lief ich auf ihn zu, die Hände noch immer in den Taschen meines Mantels vergraben, die Kapuze wie auch den Wind im Nacken.

„Was willst du?“, fragte er, den Blick auf seine Hände gerichtet. Sein Schwert lag achtlos neben ihm, seine Körperhaltung war völlig entspannt, als würde er mich nicht als Gefahr einstufen.

„Ich will über die Mauer“, sagte ich mit fester Stimme.

Erst jetzt blickte er auf. Dunkelbraune Augen trafen meine und ich sah, wie er überrascht zusammenzuckte, als er bemerkte, dass mein rechtes Auge nicht blau wie das andere, sondern weiß war. Weiß wie der Schnee,der an bitterkalten Tagen vom Himmel fiel und mit kalter Todeshand an den Türen klopfte.

Er schnaubte belustigt auf. „Kein Bewohner von Tendra kommt jemals auf die andere Seite“, erklärte er mir das, was ich schon wusste.

Seine Nase war leicht schief, als ob sie schon einmal gebrochen worden wäre. Drei kleine silberne Narben zierten seine Wangen, sahen aus wie winzige Tränen.

„Bist du alleine hier?“ Ich sah mich um, kniff die Augen zusammen und ließ meinen Blick über die karge Landschaft schweifen. Nichts… weit und breit sah ich niemanden.

„Sei nicht so neugierig, Mädchen“, warnte er mich.

„Alba …“

Verwirrung zeichnete sich auf seinen Gesichtszügen ab.

„Mein Name ist Alba“, erklärte ich.

Doch auch dafür hatte er nicht mehr übrig als ein Schnauben.

„Zeig mir doch einmal deine Hand.“

Bevor ich reagieren konnte, hatte er sich mein Handgelenk geschnappt und den Stoff nach oben geschoben. Zwei unschöne Narben zogen sich über die Außenseite meiner linken Hand.

„Eine Schwerverbrecherin bist du also schon einmal nicht.“

Eilig entzog ich ihm meine Hand und schob den Stoff wieder über die Narben.

Ich war die Tochter eines Mörders, also hatte ich zwei Striche bekommen. Ein Strich war für viele kleine Vergehen. Drei Striche für schwere Verbrechen, wo aber niemand umgekommen war, und vier Striche für Mörder.

„Ich werde es schaffen, über die Mauer zu kommen.“ Mit diesen Worten drehte ich ihm meinen Rücken zu und folgte den Nebelschwaden zurück in das karge Wohnviertel von Tendra.

Wichtige Neuigkeiten

Lavera

„Verzeihung!“

„Achtung! Darf ich bitte?“

Eilig drängte ich mich vorbei an den Menschen, die sich auf dem Marktplatz vor dem Schloss versammelt hatten. Mit genervten Blicken gingen sie mir aus dem Weg. Manche von ihnen riefen mir ein paar nicht ganz so nette Worte hinterher.

Leider bekam man für schlechtes Benehmen keine Abzüge. Wäre ich König oder Königin, ich würde solch eine Regelung sofort einführen.

„Darf ich bitte?“

Der Saum meines lavendelfarbenen Kleides schlug mir um die Beine. Doch auch das hinderte mich nicht daran, wie eine Verrückte den bepflasterten Schlossweg hinaufzurennen. Links und rechts von mir blühten wunderschöne Blumen. Sonnenblumen, die ihre gelben Köpfe hochreckten. Schneeweiße Rosen ohne jeglichen Makel oder lilafarbene Stiefmütterchen in solch einer intensiven Farbe, dass man sich daran gar nicht sattsehen konnte.

An jedem anderen Tag wäre ich gemächlich daran vorbeigelaufen, hätte mir Zeit für die Wunder der Natur genommen, aber heute, heute hatte ich keine Zeit.

Das Schloss des Königs stand auf einem grasbewachsenen Hügel. Die honiggelben Dächer funkelten im Schein der Sonne. Manche der Fenster bestanden aus buntem Glas und an der hellen Außenwand waren hie und da wunderschöne schwarze Muster in der Form von Kleeblättern aufgezeichnet worden.

Mir war einmal ein Gerücht zu Ohren gekommen, dass der König diese Zeichnungen alle drei Monate erneuern ließ. Nur so würden sie in eben dieser perfekten Pracht erstrahlen.

Eine große weiße Kutsche rauschte an mir vorbei. Man hatte bunte Blumenketten um die Halfter der Pferde sowie die Fenster der Kutsche gehängt. Ein leichter Blumenduft drang in meine Nase, nur ganz kurz, dann war das Gefährt bereits wieder außer Sichtweite.

Es war einer dieser herrlichen Tage, wo die Sonne hoch am Himmel hing, die Vögel zufrieden ein Lied zwitscherten und die Bewohner von Callad ein breites Lächeln auf dem Gesicht hatten.

„Verzeihung!“, rief ich schon von Weitem, als ich über die hölzerne Zugbrücke rannte und die Wachen mir ausweichen mussten. Sie trugen die typischen roten Samtumhänge, die blankpolierten schwarzen Stiefel und das goldene Symbol einer Krone auf ihrer Brust.

Vor der hohen Mauer und dem Eisentor blieb ich keuchend stehen. „Ich muss zur Prinzessin!“, rief ich und rang nach Atem. „Ganz wichtig!“

Die beiden Wachmänner, beides noch junge Kerle, blickten mich überrascht an.

„Ich arbeite hier!“ Genervt griff ich in die eingenähten Taschen an den Seiten meines Rockes und zog ein braunes Stück Papier hervor. „Lavera Canerion, die persönliche Dienerin der Prinzessin von Callad.“

Auf einmal erwachte Leben in ihren Körpern und sie beeilten sich, das Tor zu öffnen.

„Danke!“ Mit einem kurzen Nicken nahm ich meinen Ausweis wieder an mich und rannte dann weiter.

Direkt vor mir lag ein prächtiger Garten mit einem hohen Springbrunnen. Exotische Bäume, Pflanzen, aber auch Tiere traf man hier an. Vieles waren Gastgeschenke an den König gewesen, denn wie man wusste, liebte er Dinge, die anders waren. Links von mir stand ein Baum mit der Form eines Herzens und rechts von mir flatterte ein handgroßer Schmetterling mit orangeleuchtenden Flügeln durch die Luft.

Eine breite Marmortreppe führte hoch zu dem Eingang des Schlosses. Auch hier hatte man Wachen positioniert, aber bevor sie mich auch nur aufhalten konnten, streckte ich ihnen meinen Ausweis entgegen.

Völlig außer Atem blieb ich in der Ankunftshalle stehen. Die Halle selbst war ein großer runder Raum mit purpurrotem Teppich und ebenso roten Vorhängen an den Fenstern. Ein beeindruckender Kronleuchter hing genau über meinem Kopf, schwankte bedrohlich hin und her.

„Lavera!“ Die helle Stimme der Prinzessin erklang hinter meinem Rücken. Eilig drehte ich mich um und machte einen kleinen Knicks. Möglichst unauffällig schnappte ich gierig nach Luft.

„Wundervolle Neuigkeiten, Eure Hoheit“, sprach ich und lächelte leicht.

Die Prinzessin war eine wunderhübsche junge Frau mit Haaren in der Farbe von Asche, stahlblauen Augen und winzigen kleinen Sommersprossen auf ihrer Nasenspitze. Heute trug sie ein dunkles Violett auf ihren Lippen, das ihre helle Haut gleich noch mehr betonte.

„Für dein Zuspätkommen sollte ich dir 10 Punkte abziehen“, scherzte sie und strich liebevoll über das dunkelrote Kleid, das sie trug.

„Ach, das macht nichts.“ Ich winkte ab. „Momentan habe ich so viele Punkte, da fällt es nicht auf, wenn ein paar wieder weg sind.“

Prinzessin Sarina lächelte und zeigte dabei eine Reihe von hellen Zähnen. „Also, was für wundervolle Neuigkeiten hast du?“ Sie hakte sich bei mir unter und führte mich durch den Palast.

Prinzessin Sarina behandelte alle ihre Diener wie Freunde. Hatte stets ein nettes Wort auf ihren Lippen und ein Lächeln für jeden Fremden.

„Ich habe gerade erfahren, dass die Stoffe für die neue Saison in Beerenfarben gehalten werden. Genau passend zu Eurer Garderobe.“

„Das heißt …“ Sie hielt abrupt an und drehte sich zu mir um. „Für den diesjährigen Sommerball kann ich also ein Kleid in genau den Farben tragen?“ Erneut strahlte sie über das ganze Gesicht.

„Genau!“ Zufrieden nickte ich. Es hatte sich gelohnt, den ganzen Weg hier hinaufzurennen, nur um diese Neuigkeiten zu überbringen. In Callad sprach man gerade über nichts anderes als über den Sommerball, der jedes Jahr auf dem Schloss des Königs abgehalten wurde. Ein rauschendes Fest, welches im Grunde ein großes Dankeschön an die Götter war. Wir Menschen in Callad dankten ihnen dafür, dass wir zu den Guten gehörten. Unsere Seele war rein und unsere Gedanken ebenso weiß wie die Zähne der Prinzessin.

„Dann werde ich morgen die königlichen Schneider zu mir rufen. Sie sollen mir ein paar Entwürfe zusammenstellen.“ Sarina blickte verträumt hoch an die Decke, wo Maler kunstvolle Gemälde hinterlassen hatten. Es waren Bilder von der Verwandtschaft des Königs, von Maskenbällen oder vom Garten seiner Hoheit.

„Möchtest du auch ein Kleid?“, fragte sie und tippte mir leicht an die Schulter. „Ich weiß, du magst Lavendel, aber wie wäre es mit einem erdbeerroten Kleid mit Ärmeln aus Spitze?Mit einem Kragen, der zu deinen schulterlangen braunen Haaren passt.“

Zusammen mit der Prinzessin betrat ich das Teezimmer. Die Wände waren in einem sanften Beige gehalten, während der Boden zu unseren Füßen aus dunklem Holz bestand. Die hohen Fenster hatten keine Vorhänge, sodass die hellen Strahlen der Sonne hereinschienen. In der Mitte des Raumes stand ein runder Tisch mit Stühlen darum. Direkt darauf hatte jemand Sonnenblumen in einer gelben Vase platziert.

„Das ist sehr nett, Eure Hoheit. Doch ich darf leider nicht solch kostbare Kleidung tragen.“

Prinzessin Sarina setzte sich auf einen der freien Stühle und faltete die Hände vor sich auf dem Tisch ineinander. „Und wenn wir eine Ausnahme machen?“, flüsterte sie verschwörerisch.

„Wollt Ihr Tee? Ich bringe euch eine Kanne von dem leckeren Kräutertee“, kam es über meine Lippen, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Bevor sie etwas darauf erwidern konnte, rauschte ich aus dem Raum.

Für die Diener der Adelsfamilie gab es Geheimgänge im ganzen Schloss, damit wir uns unbemerkt im Palast bewegen konnten und dem König und seiner Familie nicht im Weg standen. Genau so ein Gang führte mich direkt in die Küche.

Wärme kam mir entgegen, als ich die Tür öffnete und meinen Blick über das Chaos von Töpfen, Besteck und Esswaren schweifen ließ.

„Cassandra?“, rief ich und suchte nach der Köchin mit den schulterlangen roten Locken.

„Hier drüben, bei dem Brot!“

Ich folgte dem Klang ihrer Stimme und tatsächlich, hinter einigen Töpfen und Kisten kam ihr rundliches Gesicht zum Vorschein. Ihre Wangen hatten einen leichten Rotton angenommen, was wohl an der Wärme in dem Raum lag.

„Was brauchst du?“, fragte sie lächelnd, während sie eine Kiste nach der anderen auf deren Inhalt überprüfte.

„Haben wir noch von dem Kräutertee, den die Prinzessin so gerne mag?“ Die Küche selbst war wohl mehr Labyrinth als etwas anderes und die Einzige, die wusste, wo man was fand, war Cassandra. Seit ich denken konnte, arbeitete sie hier unten. Sie mied Menschen und besonders bei Veranstaltungen des Königs, wo sich einige Hundert Bewohner im Palast aufhielten, war sie glücklich, wenn sie sich hinter Töpfen und Kisten verbergen konnte. Aber ich verstand, warum sie lieber alleine war. Sosehr ich all diese prachtvollen Gewänder wie auch kunstvoll geschmückten Bälle liebte, irgendwann fühlte ich mich eingeengt von so vielen Menschen, neuen Gesichtern und Namen.

„Zweite Schublade, direkt bei dem Holztisch mit dem schwarzen Topf, wo die Gemüsesuppe drin schwimmt.“

„Danke!“, rief ich und machte mich auf die Suche. Zusammen mit dem Tee und einem Krug heißem Wasser lief ich die Treppen wieder hoch, schlüpfte durch die unscheinbare Tür und befand mich augenblicklich wieder im Teezimmer.

Nur war Prinzessin Sarina nicht mehr alleine. Eine Frau mittleren Altersstand neben ihr. Sie hatte sich die Lippen schwarz angemalt, die Augen mit bunten Farben umrandet und die schwarzen Locken zu einer aufwendigen Hochsteckfrisur arrangiert.

„Lady Mirelia.“ Ich machte einen leichten Knicks, stellte den Tee dann auf den Tisch. Mirelia trug ein roséfarbenes Kleid aus mehreren Schichten, das sich spielerisch um ihren Körper wand bis hoch zu ihrem Hals.

„Wenn das nicht die Freundin der Prinzessin ist.“ Sie lächelte, aber das Lächeln erreichte ihre dunkelbraunen, fast schwarzen Augen nicht. Sie war eine der drei engsten Berater des Königs und genoss dadurch so etwas wie einen Adelstitel. Wenn es nach mir ginge, hätte sie diesen Posten niemals erhalten. Falls man in dem Schloss nach einem Menschen mit einer schwarzen Seele suchte, dann würde man bei ihr fündig. Und trotzdem war sie eine Callad.

„Möchten Sie auch Tee?“, fragte ich so höflich wie möglich und schluckte meine bissige Bemerkung herunter.

„Ich habe zu tun, danke.“ Damit rauschte sie auch schon aus dem Teezimmer und knallte die Tür mit Schwung zu.

„Was für eine liebenswerte Person.“ Während ich den Tee in die kleinen Porzellantassen goss, merkte ich, wie meine rechte Hand leicht zitterte.

Sarina räusperte sich. „Warum mögt ihr euch eigentlich nicht? Die Geschichte dahinter hast du mir nie erzählt.“

Sie nahm sich eine Tasse und schnupperte daran. Das war eine ihrer Angewohnheiten die sie wohl niemals loswerden würde. Immer wenn die Prinzessin etwas zu essen oder zu trinken bekam, roch sie erst einmal daran.

„Im Grunde gibt es keine Geschichte dahinter.“ Ich blickte in das dunkle Teewasser. Kleine Blütenblätter zogen darin ihre Kreise, strömten einen intensiven Geruch aus.

„Irgendetwas Dunkles umgibt ihre Seele. Außerdem hab ich schon öfters mitbekommen, wie sie mit den anderen Dienern umgeht. Ihre abschätzigen Blicke, die mahnenden Worte und der bissige Tonfall.“ Wütend klammerte ich mich mit beiden Händen an der Tasse fest. Die Hitze stieg in meine Handflächen und brachte mich dazu, eilig loszulassen. „Aua!“, zischte ich leise.

„Womöglich hast du recht, Freundin.“ Sarina lächelte leicht und nippte an dem Tee. „Irgendetwas stimmt mit den Beratern meines Vaters nicht.“ Die letzten Worte waren mehr ein Flüstern. „Aber lass uns über erfreuliche Dinge sprechen.“

„Wie meint Ihr das?“, hakte ich nach. „Was stimmt mit ihnen nicht?“

Doch bevor sie mir darauf antworten konnte, wurde die Tür geöffnet und eine Dienerin betrat den Raum. Eilig verneigte sie sich vor der Prinzessin.

„Eure Hoheit, der König möchte mit Euch sprechen.“

„Du entschuldigst mich.“ Sarina schenkte mir noch einmal ein Lächeln, ehe sie weitaus königlicher als Lady Mirelia den Raum verließ.

Ich sah hinab auf die Teeblätter, welche die Form eines Herzens angenommen hatten. Doch wenn man genauer hinsah, erkannte man einen feinen Riss genau in der Mitte. Was mochte das wohl bedeuten?

***

Es war bereits dunkel draußen, als ich hinaus auf den kleinen Balkon meines Zimmers trat. Der runde Mond hing über meinem Kopf und warf sein gespenstisches Licht auf den Garten des Königs. Der Wind zog ganz leicht an meinen Haaren und fuhr liebevoll über meinen Nacken. Fröstelnd rieb ich mir die Arme.

Von hier aus sah man die dunkle Mauer der Grenze. Dahinter lag Finsternis. Auf der anderen Seite lebten die schrecklichen Menschen. Mörder, Verbrecher, Kriminelle … Allesamt von den Göttern gestraft für ihre furchtbaren Gedanken. Zum Glück verhinderte die Mauer, dass sie jemals wieder in unseren Teil kamen. Solchen Menschen durfte man keine zweite Chance geben!

Eilig ging ich wieder hinein, kroch unter die weiche Bettdecke und schloss meine Augen. In Gedanken zählte ich all meine guten Taten und Punkte auf. Doch bis zum Ende kam ich nicht, da glitt ich bereits ins Reich der Träume.

Auf geheimer Mission

Lavera

Bunte Blumen lagen in meiner Hand, die Köpfe zu mir gedreht. Ganz behutsam fuhr ich über die grasgrünen Stiele. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, schien mit all ihrer wundervollen Wärme hinab auf die Seite der Callad und entlockte den Bewohnern ein Lächeln.

Der Geruch von Frische lag in der Luft, ließ mich träumerisch die Augen schließen.

„Wie gerne würde ich den ganzen Tag hier im Garten stehen und in meinen Gedanken versinken“, seufzte ich zufrieden.

„Und wer dekoriert den Tisch?“ Prinzessin Sarina saß in meiner Nähe auf einer Bank. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und blinzelte der Sonne entgegen.

„Gute Frage.“ Ich riss eine blutrote Tulpe ab, steckte sie zu den anderen Blumen in meiner Hand. „Freut Ihr Euch auf den Sommerball?“

„Ich freue mich auf die Kleider und die bekannten Gesichter, aber nicht darauf, was mein Vater geplant hat.“ Sie bückte sich, um ein paar der Grashalme zu ihren Füßen abzureißen.

„Er will mich verheiraten. Immerhin bin ich seine einzige Tochter.“

Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu sehen, wie sie ihre Stirn in Falten legte. Der König von Callad, ein älterer Mann mit ebenso aschefarbenen Haaren wie seine Tochter und freundlichen braunen Augen, hatte nur ein Kind. Seine Frau verstarb bei deren Geburt und seitdem hatte er sich geweigert, wieder zu heiraten. Die große Liebe gab es nur einmal, hatte mir Sarina erklärt, als ich gefragt hatte, warum er sich nicht wieder eine Frau nahm. Immerhin gab es genug Anwärterinnen, die gerne an der Seite des Königs wären. Je älter die Prinzessin wurde, desto mehr kam das Thema Hochzeit auf. Der König zog sich immer weiter zurück, wurde nur noch an seinen vielen Veranstaltungen gesehen.

„Möchtet Ihr denn heiraten?“, fragte ich. Ich selbst durfte es nicht. Als Dienerin des Adels verpflichtete man sich dafür, sein Leben lang am Hofe zu dienen, bis man irgendwann zu alt dafür war. Man durfte durchaus einen Partner oder eine Partnerin haben, aber eine Hochzeit war nicht erlaubt, genauso wenig wie Kinder. Die Königsfamilie sollte immer das Wichtigste im Leben sein.

„Nein!“ Sarina schüttelte eilig den Kopf.

Ich nahm eine weitere blutrote Tulpe in meine Hände und riss auch diese mit einer raschen Bewegung aus.

„Die Vorstellung alleine reicht aus, damit es mich am ganzen Körper schüttelt. Ich bin doch noch ein Kind. Aber sobald ich verheiratet bin, muss ich all das hier übernehmen.“

Ich ließ meinen Blick über den Garten des Königs schweifen. Direkt neben mir stand ein Baum mit violetten Früchten in der Form von glitzernden Diamanten.

„Man kann sie nicht essen.“ Sarina war aufgestanden und lief in die Richtung, in die ich geblickt hatte. „Wunderschön, nicht wahr? Und doch hochgiftig.“ Sie tippte eine der Früchte mit ihrer rechten Hand an. An jedem Finger trug sie einen Ring von kostbarem Wert. So oft hatte ich mich schon dabei ertappt, wie ich darüber nachgedacht hatte, wie schön diese Ringe wohl an meiner Hand aussehen würden. Aber schon der Gedanke alleine reichte aus, dass ich beschämt den Blick zu Boden senkte. Solchen Schmuck würde ich niemals tragen dürfen und Stehlen war etwas, was nur die Tendra taten.

„Irgendwie ist das Leben ein bisschen wie diese Früchte, nicht wahr?“, flüsterte die Prinzessin leise.

„Ich verstehe nicht.“ Unsicher umklammerte ich die Blumen in meinen Händen.

„Man darf sich nicht täuschen lassen von all dieser Schönheit.“ Lächelnd nahm sie mir die Blumen aus der Hand. „Wir sollten uns beeilen. Bald kommen die Schneider und die Tische sind noch nicht gedeckt und geschmückt. Ich will, dass das Teezimmer voller bunter Farben und Blumen ist. Immerhin inspiriert das doch die Schneider und umso mehr Ideen sie haben, desto schöner wird mein Kleid.“

„Ich beeile mich, Eure Hoheit.“ Ich verneigte mich und machte mich dann auf den Weg zum Teezimmer, wo mich bereits ein großes Chaos erwartete.

„Ich werde den Tee besorgen! Die 20 Punkte gehören mir!“

„Nein! Wag es nicht. Mir fehlen nur noch 20 Punkte und dann bin ich besser als ihr alle zusammen!“

„Gib her!“

Inmitten von bunten Stoffen, die man extra für den Besuch der Schneider organisiert hatte, saßen zwei kleine Mädchen mit langen wunderschönen blonden Haaren. Sie sahen völlig identisch aus und hätten sie nicht unterschiedliche Kleiderfarben getragen, hätte man sie definitiv nicht unterscheiden können.

„Was ist hier los?“, fragte ich eilig und machte mich daran, sie aus den Stoffen zu befreien.

„Lady Mirelia hat gesagt, wir kriegen 20 Extrapunkte, wenn wir den Tee besorgen“, schniefte die eine mit dem sonnengelben Kleid.

„Und warum macht ihr das nicht gemeinsam?“, hakte ich nach.

„Weil wir dann nur jeweils 10 Punkte bekommen“, erklärte die andere mit dem blattgrünen Kleid. Trotzig hatten sie beide die Arme vor der Brust verschränkt.

Ich seufzte auf und befreite den letzten Stoff. Das sah der Beraterin ähnlich. Wenn sie konnte, stiftete sie Unruhe.

„10 Punkte sind doch auch schön“, versuchte ich die beiden jungen Damen zu beruhigen. Doch eine Stimme in meinem Kopf lachte mich für diesen Satz aus. Für 20 Punkte mehr auf ihrem Konto würden andere über Leichen gehen.

„Wisst ihr was? Ihr geht jetzt gemeinsam los und holt zusammen den Tee. Ich richte der Prinzessin aus, dass ihr beide 20 Punkte bekommt.“

Wie von einer Wespe gestochen sprangen die beiden Mädchen auf. „Würdest du das tun?“, fragte die mit dem gelben Kleid. Zufriedenheit glitzerte in ihren Augen. An manchen Tagen machte es mir Angst, wie versessen die Menschen waren, wenn es um die Punkte ging. Aber ich war nicht anders. Las der Prinzessin jeden Wunsch von den Lippen ab, und rannte sogar noch zu unmöglichen Uhrzeiten durch den Palast, nur um Punkte für gewissenhafte Arbeit zu bekommen.

„Natürlich“, sagte ich eilig, bevor sie es sich anders überlegten. „Und jetzt, beeilt euch. Wir haben noch viel zu tun.“

Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Und während die beiden Mädchen sich auf den Weg zu Cassandra machten, kümmerte ich mich um den Raum. Dafür holte ich mir die Hilfe von zwei anderen Dienern und zusammen schmückten wir die Fenster, Tische und Stühle mit duftenden Blumen. Für den Besuch der Schneider wurden extra golden schimmernde Vorhänge an den Fenstern des Teezimmers angebracht. Man rollte einen roten Teppich aus, ließ rote Samtkissen für die Stühle bringen.

Ich hatte gerade noch Zeit, den Tee, welchen mir die Mädchen inzwischen gebracht hatten, in die dafür vorgesehenen Schalen zu platzieren, als das Geräusch einer Glocke erklang.

Die weißen Türen mit den goldenen Griffen wurden aufgestoßen und vor mir standen zwei hochgewachsene Personen. Der Mann hatte sorgsam gepflegtes silbernes Haar und eine kleine Brille auf seiner Nasenspitze. Er trug einen leuchtend gelben Anzug und einen ebenso auffallenden Zylinder. Unter seinen rechten Arm hatte er eine kleine Ledertasche geklemmt, worin sich wohl die Entwürfe für die Kleider befanden.

Die Dame neben ihm war eher unscheinbar. Sie hatte ein luftiges rosafarbenes Kleidchen und gerade,dunkelbraune Haare. In ihrer Hand hielt sie einige Blätter Papier, ein Tintenfass und eine Feder.

„Wie inspirierend!“, rief der Mann vergnügt und legte die Ledertasche auf den Tisch. Dass er dabei einige Gänseblümchen darunter zerquetschte, schien ihn nicht zu stören.

„Hattet Ihr eine angenehme Reise?“, fragte ich aus Höflichkeit und schenkte den beiden etwas von dem Tee ein.

„Nunja…“ Er räusperte sich, während er den Raum genauer inspizierte. „Unsere Kutsche fuhr an der Mauer entlang. Ich konnte den bitteren Geschmack der Trostlosigkeit auf meiner Zunge spüren.“ Angewidert schüttelte er den Kopf. „Man müsste meinen, diese grauenhaften Menschen wären nicht mehr Teil unseres Lebens. Aber dennoch sind sie so präsent.“

„Wie Maden“, warf die Dame ein.

„Du sagst es, meine Liebe, wie Maden, die man nicht mehr loswird.“

Zufrieden lächelte die Dame. Es schien ihr wichtig zu sein, von Ophelius Anerkennung zu bekommen. Ophelius Marx war schon seit einigen Jahren Schneider für die königliche Familie. Er machte die Menschen besonders durch seine extravaganten Entwürfe auf sich aufmerksam. Ein Kleid aus seinen Händen war mehr als nur ein Stoffstück, es war ein Kunstwerk.

„Ich bedauere sehr, dass Sie das mit ansehen mussten. Aber wir haben ja nichts mit diesen Menschen zu tun. Sie leben hinter der Mauer, dort, wo sie hingehören“, sagte ich. Mir selbst goss ich keinen Tee ein. Noch immer spukte das Bild von den Maden in meinem Kopf herum. Außerdem mochte ich Tee im Grunde gar nicht. Er war mir viel zu bitter und ich nippte nur aus reiner Höflichkeit daran, weil Sarina nicht gerne alleine trank.

„Also, wenn man mich fragt, der König geht viel zu milde mit solchen Leuten um.“ Ophelius fuhr behutsam über die goldenen Vorhänge. „Wenn es nach mir ginge, dann müsste man für jede schlechte Tat das Doppelte an Punkten einbüßen.“

„Sehe ich auch so“, antwortete ich ihm. Soweit ich wusste, hatte der Schneider einen bemerkenswerten Punktestand im siebenstelligen Bereich. So viel hatte ich zwar nicht, aber dennoch fand ich seinen Vorschlag angemessen.

„Wenn Ihr mich entschuldigt. Ich werde die Prinzessin holen.“

Auf dem Weg in den Garten ging ich in meinem Kopf die Liste mit den Punkten durch.

Besuchte man die Feierlichkeiten des Königs, gab es 50 Punkte. Wenn man mehr Steuern zahlte, 80. Bei gewissenhafter Arbeit meist zwischen 20 und 40 Punkten und wenn man jemandem das Leben rettete, 90. Stand man im Dienst des Adels, so wie Ophelius, dann bekam man meist wöchentlich 60 Punkte mehr. Für jeden Hinweis, den man über eine Person hatte, die Schlechtes getan hatte, gab es 20. Die Liste mit den Punkten, die man sich dazuverdienen konnte, war lang und an manchen Tagen hatte ich das Gefühl, sie war mehr Wettbewerb als etwas anderes. Wie oft rannten Menschen zu den königlichen Schreiberlingen, um ihren genauen Punktestand zu erfahren. Die Gier in ihren Augen war meist größer als der Wert ihrer Punkte.

„Prinzessin Sarina?“ Suchend sah ich mich in dem Garten um. Links von mir standen Bäume in der Form von Rosen und rechts wanderte ein Pfau mit einem silbernen Federkleid durch das hohe Gras.

„Hier drüben!“

Die Prinzessin stand neben einem der hohen Springbrunnen und tauchte ihre Hände in das Wasser. „Sind sie schon da?“, fragte sie, ohne mich anzusehen. Kleine Wassertropfen befanden sich auf ihrem Kleid. Doch die Prinzessin schien sich nicht daran zu stören.

„Sie warten im Teezimmer, Eure Hoheit.“

„Ich habe nachgedacht“, erklärte sie, die Hände noch immer im Wasser.

„Worüber?“ Erstaunt sah ich sie an. Hatte sie sich etwa schon Gedanken zu ihrem Kleid gemacht?

„Ich werde bald Königin sein.“ Mit diesen Worten drehte sie sich zu mir um, dasselbe fröhliche Lächeln wie immer. Heute trug sie Himbeerfarben auf ihren Lippen. „Vorausgesetzt, mein Vater findet einen Partner für mich.“

„Da hege ich keine Zweifel.“ Ich warf einen Blick hoch zu den Fenstern. Direkt über uns lag das Teezimmer. Bestimmt wunderte sich Ophelius schon, wo wir abgeblieben waren. Normalerweise war es üblich, dass der Adel ein bisschen zu spät kam. Sie waren die Einzigen, die sich das erlauben durften und es auch ausnutzten. Je höher der Rang, desto später kamen sie üblicherweise. Aber wenn wir noch weiter hier standen, hatte es bald den Eindruck, als hätte Sarina bereits den Rang einer Königin.

„Und darum habe ich mir in den letzten Tagen Gedanken um das Schloss gemacht und was hier vor sich geht.“

„Vor sich geht?“

„Wir sind doch Freunde, oder?“

„Aber sicher, Eure Hoheit.“ Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Das Gespräch bezog sich nicht auf den Sommerball oder irgendwelche Kleider, so viel war sicher.

„Ich würde dich gerne heute Abend in etwas einweihen.“ Sarina strich über ihr Kleid, als würden damit die Wasserspritzer verschwinden.

„Hat es etwas mit Eurer Bemerkung bezüglich den Beratern zu tun?“, fragte ich unsicher. Wir waren nur zu zweit in dem Garten, aber auf einmal hatte ich das Gefühl, jemand würde uns beobachten. Erneut blickte ich hoch zu dem Teezimmer, aber bis auf die schweren Vorhänge sah ich nichts.

„Genau.“ Eilig nickte sie. „Aber lass uns später darüber reden. Ophelius wartet bestimmt schon sehnsüchtig darauf, mir seine Ideen zu präsentieren.“

„Da bin ich mir sicher.“

***

Es war bereits spät abends, der Mond hatte sich hinter einer Decke aus Wolken verkrochen, als ich zusammen mit Sarina im Teezimmer saß und Tee trank. Die königlichen Schneider waren wieder gegangen, würden aber bereits morgen wieder auf dem Schloss sein. Es dauerte meist Wochen, bis man sich für ein Kleid entschieden hatte, aber auch dabei blieb es nicht. Meist wurden fünf bis sechs Kleidungsstücke hergestellt und trotzdem nur eines getragen.

„Darf ich Euch etwas fragen?“ Seit einer Weile saßen wir uns schweigend gegenüber. Keiner hatte wirklich etwas zu erzählen und irgendwie waren wir beide auch müde von der ganzen Prozedur mit den Kleidern.

„Nur zu, Freundin.“ Sarina nickte mir ermutigend zu. Auch jetzt, wo sie bestimmt völlig erschöpft war, strahlte sie noch immer diese Wärme und Freundlichkeit aus.

„Ihr wolltet mich heutein etwas einweihen. Es ging dabei um Eure Berater“, sprach ich so leise wie möglich.

Prinzessin Sarina nippte leicht an ihrem Tee. „Kann ich auf deine vollste Verschwiegenheit zählen?“

Den ganzen Tag hatte ich mir Gedanken zu unserem Gespräch im Garten gemacht. Am Ende war meine Neugierde größer als mein Verstand. Entgegen meines mulmigen Gefühls hatte ich mich dazu entschieden, mir anzuhören, was die Prinzessin zu sagen hatte. „Ihr könnt euch sicher sein, diese Lippen bleiben versiegelt.“ Verschwörerisch tippte ich mir mit den Fingern auf den Mund.

„Ich glaube, sie planen etwas.“ Ihre Mimik blieb völlig teilnahmslos, aber in ihren Augen sah man die Sorge geschrieben stehen.

„Planen?“ Verwundert hob ich eine Augenbraue.

„Sie warten oft, bis mein Vater schläft, und treffen sich dann hier unten.“ Ihre Stimme wurde immer leiser. „Ich bin ihnen einmal gefolgt.“

„Warum?“ Neugierig klammerte ich mich mit meinen Händen an der noch warmen Tasse fest.

„Weil ich wissen wollte, was sie vorhaben. Sie haben über andere Leute gesprochen, ihre Namen notiert.“ Sarinas Lippen zitterten leicht bei den Worten. Immer wieder sah sie sich um. Als ob sie Angst hätte, jemand könnte uns belauschen.

„Aber das ist doch nicht verdächtig“, versuchte ich sie zu beruhigen. Doch meine Worte schienen gegen eine Mauer zu prallen.