Zwischen deinen Lines - Julie G. Ohm - E-Book
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Zwischen deinen Lines E-Book

Julie G. Ohm

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Beschreibung

Eine Rockstar-Romanze mit Feel-good-Vibes, die auch nach dem Umblättern der letzten Seite noch lange im Gedächtnis bleibt...! Toni steht nicht gerne im Rampenlicht. Außer auf der Bühne beim Stand-up! Doch leider führt ein unfreiwilliges Video ihrer Gesangseinlage auf der Königstraße dazu, dass der Sänger ihrer Lieblingsband Felix Dolor nach ihr sucht. Klingt wie ein modernes Aschenputtel-Märchen, oder? Toni hat allerdings wenig Interesse daran, gefunden zu werden. Doch der #DolorGirl lässt nicht locker und verfolgt sie hartnäckig. Toni hofft nur, dass Felix keine noch absurderen Ideen hat, um sie ausfindig zu machen.

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Playlist

Playlist Zwischen deinen Lines – Buch

LARYSSA – 600km

KUMMER – Bei Dir

Montreal – Cottbus im Regen

Tate McRae – chaotic

Kraftklub – Kein Liebeslied

Lizzy McAlpine, FINNEAS – hate tobe lame

Post Malone, The Weeknd - One Right Now (with The Weeknd)

Sasha Alex Sloan, Sam Hunt – when was is it over? (feat. Sam

Hunt)

FLETCHER – Healing

Tate McRae – rubberband

Franzi Harmsen – Ich wär so gern

Giant Rooks – Morning Blue

SOPHIA – Herz mit dem Pfeil

Eyelar – till you hate me

Cian Ducrot – All For You

Pale Waves – Jealousy

Cardi B, Kehlani – Ring (feat. Kehlani)

Carlie Hanson – Illusion

RAR – Die schönste Misere

Julia Michaels – Sorry To Me Too

LARYSSA – Nie Mehr

Juju – Nie wieder sehen

Kraftklub – Songs für Liam

LARYSSA - Alles was bleibt

Clueso - Keinen Zentimeter

Ashley Kutscher - Everyone And No One

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Toni

Kapitel 2: Felix

Kapitel 3: Toni

Kapitel 4: Felix

Kapitel 5: Toni

Kapitel 6: Felix

Kapitel 7: Toni

Kapitel 8: Felix

Kapitel 9: Toni

Kapitel 10: Felix

Kapitel 11: Toni

Kapitel 12: Felix

Kapitel 13: Toni

Kapitel 14: Felix

Kapitel 15: Toni

Kapitel 16: Felix

Kapitel 17: Toni

Kapitel 18: Felix

Kapitel 19: Toni

Kapitel 20: Felix

Kapitel 21: Toni

Kapitel 22: Felix

Kapitel 23: Toni

Kapitel 24: Felix

Kapitel 25: Toni

Kapitel 26: Felix

Kapitel 27: Toni

Kapitel 28: Felix

Kapitel 29: Toni

Kapitel 30: Felix

Kapitel 31: Toni

Kapitel 32: Felix

Kapitel 33: Toni

Kapitel 34: Felix

Kapitel 35: Toni

Kapitel 36: Felix

Kapitel 37: Toni

Kapitel 38: Felix

Kapitel 39: Toni

Kapitel 40: Felix

Kapitel 41: Toni

Kapitel 42: Felix

Kapitel 43: Toni

Kapitel 44: Felix

Kapitel 45: Toni

Kapitel 46: Felix

Kapitel 47: Toni

Kapitel 48: Felix

Kapitel 49: Toni

Kapitel 50: Felix

Kapitel 51: Toni

Kapitel 52: Felix

Kapitel 53: Toni

Kapitel 54: Felix

Kapitel 55: Toni

Kapitel 56: Toni

Kapitel 57: Felix

Kapitel 58: Toni

Kapitel 59: Toni

Kapitel 60: Toni

Kapitel 61: Felix

Kapitel 62: Toni

Kapitel 63: Felix

Kapitel 64: Toni

Bonuskapitel 1: Felix

Bonuskapitel 2: Toni

Epilog: Felix

Bonusepilog: Toni

Danksagung

Autorenvita

Vorwort

Dieses Buch ist für alle, die einen Traum haben, und diesem aus Angst nicht folgen.

Hab keine Angst! Jeder Misserfolg auf dem Weg zur Verwirklichung deines Traumes macht dich stärker. Aufgeben ist keine Option. Das Glücklichsein ist das Ziel und die Erfüllung deines Traums.

So wie ich mir mit diesem Buch meinen Lebenstraum erfüllt habe.

Viel Spaß beim Lesen.

Julie

Kapitel 1

Toni

Toni?, erklang die flehende Stimme von Frau Bergmann.

Sie war die Pflegedienstleiterin in der Seniorenresidenz, in der ich als Physiotherapeutin arbeitete.

Ich schaute auf, als die Mittfünfzigerin den Gymnastikraum betrat. „Was kann ich für Sie tun?“

„Frau Lau hat sich in den Kopf gesetzt, morgen zum Friseur zu gehen.“

Ich lachte auf. „Ich verstehe. Sie will für ihr Date hergerichtet werden.“

„Genau. Nur leider sind wir personell so schlecht aufgestellt, dass ich niemanden erübrigen kann, um sie zu begleiten.“

Ich lief vor ihr aus dem Raum. In meinem Therapieraum angekommen, steuerte ich auf meinen Schreibtisch zu. Ich öffnete meinen digitalen Kalender. Der morgige Tag war etwas ruhiger, was nur daran lag, dass ich am Nachmittag Überstunden abbauen wollte. „Wann hat sie denn ihren Termin?“

„Um 15:30 Uhr.“

Ich verzog mein Gesicht. „Können Sie nicht doch jemand anderen finden?“

„Leider hat sich Frau Lau schon vollkommen auf dich eingeschossen.“

„Aber dann komm ich zu spät zum Konzert.“

„Frau Lau will dir ein Taxi spendieren, wenn du mitspielst.“

„Beim Stuttgarter Verkehr ist das keine Garantie für Pünktlichkeit!“

„Soll ich Frau Lau lieber direkt zu dir schicken?“

„Seien Sie nicht so gemein zu mir.“ Jeder hier wusste, dass ich meiner Lieblingsomi nichts abschlagen konnte.

Frau Bergmann streichelte mir aufmunternd über meinen linken Oberarm. „Ich werde ihr einschärfen, dass sie maximal eine Stunde beim Friseur hat.“

„Vielen Dank.“ Sie war höchstens fünf Minuten fort, als Frau Lau mit ihrem Rollator zu mir kam. „Toni! Ich brauche etwas zum Anziehen!“

Ihr Befehlston gestattete mir nicht, zu widersprechen. Etwas, was die pensionierte Lehrerin auszeichnete. Und trotzdem liebte ich Frau Lau wie meine eigene Oma. Wobei, überlegte ich, legte Oma Maybach nicht auch immer so einen Tonfall an den Tag? Ich sah von den täglichen Reinigungsarbeiten auf. „Sie möchten der Königstraße also einen Besuch abstatten?“

„Wohin sollte ich denn sonst gehen wollen?“

Ja, wie konnte ich nur so ignorant sein und etwas anderes in Betracht ziehen? Ich musste stark an mich halten, um nicht mit den Augen zu rollen. Noch so eine Sache, die meine Oma ebenfalls hervorrief. Wenn die Pensionärin dann auch noch anfing, meinen nicht vorhandenen Freund und die fehlenden Urenkel zu bemängeln, würde ich sie mit Sicherheit bald Oma Lau nennen. Wobei ich sie schon als meine Lieblingsomi betitele, wenn ich mit anderen über meine Arbeit sprach. Ihr genervtes Aufstöhnen signalisierte mir, dass sie auf eine Antwort wartete. „Ich habe noch einen Termin. Danach begleite ich Sie gern.“

„Wunderbar! Du bist die Einzige, die etwas von Mode versteht.“

Das entlockte mir kichernde Laute. „Hören Sie auf zu schleimen, Frau Lau. Mein Sinn für Mode beinhaltet Sweatshirts, Jeans und Sneakers.“

„Und trotzdem siehst du stets vorteilhaft gekleidet aus. Vor allem, wenn du mit deinem Vater auf eine Gala gehst.“

Ich zuckte mit den Schultern. „So ist das eben, wenn man ständig das Plus 1 seines Vaters ist. Zum Glück bezahlt er die Kleider. Selbst könnte ich mir so was niemals leisten.“

„Dann sollte ich mir wohl eher deinen Vater angeln.“

„Das finde ich nicht witzig!“

Ausgelassen lachte Frau Lau über mich. „In einer Stunde erwarte ich dich am Ausgang, Antoinette.“

Meine zerknautschte Miene ließ sie noch lauter gackern, weil sie genau wusste, dass ich meinen Namen nicht besonders mochte und mich immer mit meinem Spitznamen vorstellte. Leider implizierte das meistens die Frage, ob Toni für Antonia stehen würde. Ich sage euch, wenn ich einen Euro für jedes Mal bekommen würde, wenn jemand einen Witz über meinen Kopf macht, bräuchte ich nicht mehr zu arbeiten.

Zu ihrem Glück verschwand Frau Lau schnell. Sonst hätte womöglich ihr Kopf dran geglaubt.

Ich seufzte auf, als Frau Lau mich in das sechste Geschäft schleifte. So hatte ich mir meinen Feierabend nicht vorgestellt. Und doch machte es mir ein bisschen Spaß. Sie suchte sich manchmal so verrückte Kombinationen aus, dass ich darüber lachte oder entsetzt den Kopf schüttelte. Während sie Kleidungsstücke von den Ständern nahm, erklang im Hintergrund mein Lieblingslied. Automatisch sang ich den Text leise mit.

Singen war eigentlich das falsche Wort. Hip-Hop beziehungsweise Rap hatte mit dem klassischen Begriff des Singens nichts zu tun. Und doch liebte ich jede einzelne Line dieses Liedes, weil mich der Text und die Stimme des Sängers berührten. Genau darum freute ich mich seit Monaten auf das morgige Konzert. Endlich würde ich Felix Dolor von Dolores Feder mit seinem Soloalbum live sehen.

Seine Platte lief seit Tagen in meiner WG rauf und runter. Meine Mitbewohnerin Hermine und ich waren eingefleischte Fans von Dolores Feder. Weshalb wir Felix‘ Soloalbum gekauft hatten. Unser Mitbewohner Victor, mein Cousin, hatte sich am Anfang darüber beschwert. Nachdem er sich aber auf die Stücke eingelassen hatte, gab er zu, dass er die Musik mochte. Morgen würden wir zusammen in die Arena gehen.

Am Ende des Songs klatschten ein paar der anderen Kunden. Überrascht blickte ich mich um und bemerkte, dass sie mich anstrahlten. Huch. Hatte ich etwa laut gesungen? Ein Mädchen steckte mir sogar ein Zweieurostück zu, als wäre ich eine Straßenmusikerin. Ich sollte wirklich an meiner Selbstbeherrschung arbeiten.

Zum Glück zerstreute sich die Traube schnell. Ich wäre sonst rot wie eine Tomate angelaufen.

„Es ist so schade, dass du nicht mehr aus deinem Talent machst!“

„Ach, Frau Lau. Das ist einfach nicht mein Ding. Wenn ich singe, dann nur für mich selbst. Ich will nicht wie der Rest meiner Familie auf der Bühne stehen.“

„Und was ist mit dem Stand-up?“

„Das mache ich nur für mich, nicht, weil ich den Ruhm suche. Es macht mir einfach Spaß, meine Liebsten und mich selbst durch den Kakao zu ziehen.“

„Hast du deinen Eltern denn endlich davon erzählt?“

„Sind Sie wahnsinnig, Frau Lau?“

„Toni, du kannst das nicht ewig vor ihnen geheim halten!“

Ich seufzte auf, während ich der Pensionärin durch den Laden zu den Umkleidekabinen folgte. „Sobald sie erfahren, was ich mache, kommen sie zu einem meiner Auftritte. Und dann wissen alle, wer meine Eltern sind. Und was wird dann passieren? Sie werden mich mit ihnen vergleichen. Genau das will ich nicht!“

„So schlimm wird das schon nicht.“

„Sie mussten ja während Ihrer Schulzeit nie diesen Vergleich aushalten.“

„Wohl wahr. Aber deine Geschwister hat es trotzdem nicht aufgehalten, in die Fußstapfen eurer Mutter zu treten.“

„Die sind beide auch vollkommen abgedreht!“

Lachend trat Frau Lau aus der Kabine heraus. „Und? Was sagst du?“

„Sie sehen hinreißend aus. Der Farbton des Kleides schmeichelt Ihnen.“

„Vielen Dank.“ Sie drehte sich vor dem Spiegel ein bisschen hin und her. „Ich denke, dass ich es nehmen werde.“

„Super. Dann brauchen Sie nur noch passende Schuhe.“

Randnotiz: Für diese waren wir in drei weiteren Geschäften!

Nach etwa anderthalb Stunden machten wir uns auf den Weg zur U-Bahn. Auf dem Weg dorthin streiften mich immer wieder die Blicke von Passanten, was mir seltsam vorkam. Doch ich schenkte dem keine große Aufmerksamkeit. Ich kannte das aus der Vergangenheit. Nur, dass dann meistens einer meiner Elternteile neben mir lief. Seltsam. Aber egal!

Kurz vor sieben schloss ich die Tür zu meiner WG auf. Felix‘ Stimme empfing mich sofort, was mir ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Morgen um diese Uhrzeit würden wir in der Arena sein, uns mit ungesundem Zeug wie Pommes oder Burgern vollstopfen und die Sachen am Merchandisestand sondieren.

Ich schlüpfte aus meinen Sneakers. Hermine und Victor traten aus der Küche. Bei ihnen war Rudolf, mein anderer Cousin. Sie grinsten mich an. Ich kniff die Augen zusammen. „Was ist?“

Hermine reichte mir ihr Handy. „Wie fühlt man sich als Internetberühmtheit?“

„Als was?“

„Schau selbst.“ Sie deutete auf das Display.

Ich riss ihr das Gerät aus der Hand. Instagram war geöffnet. Jemand hatte mich vor einigen Stunden gefilmt. Schockiert scrollte ich durch die Kommentare. Viele User hatten Felix verlinkt und meine Gesangsleistung gelobt. Ziemlich viele fragten nach meinem Namen. Oh nein!

Ich gab Hermine das Smartphone zurück. Eilig zog ich mein Eigenes hervor. Erleichtert atmete ich auf, weil keine Nachrichten oder Anrufe meiner Eltern eingegangen waren. „Gott sei Dank!“

„Wir haben uns nicht getraut, deinen Instagram-Account zu posten“, gestand Victor mir.

„Ist auch besser so!“

„Ach, komm schon, Toni. So schlimm wird das schon nicht.“

„Eure Eltern gehören ja auch nicht zur Schauspielelite dieses Landes.“

„Dafür ist unser Onkel weltberühmt!“, sprang Rudolf seinem jüngeren Bruder bei. Beschwichtigend umarmte er mich. „Irgendwann wird jemand dich erkennen. Und dann wird Felix Dolor, der Mann deiner feuchten Träume, davon erfahren.“

„Du hast heute irgendwas gegen den Kopf bekommen!“

„Ja. Wir haben heute Kopfbälle geübt.“

„Dann weiß ich ja, woher dieser Hirnschaden herrührt.“

Die anderen ließen mich zum Glück für den Rest des Abends mit diesem Thema in Ruhe. Doch als ich im Bett lag und durch meinen Facebook-News-Feed scrollte, stellte ich fest, dass jeder Fünfte mein Video geteilt hatte.

Auf meinem Bildschirm wurde mir eine eingehende Nachricht von meiner Schwester in unserer Geschwistergruppe angezeigt.

Clary: Das bist doch du!!!

Leider.

Ben: Voll cool! Du gehst voll viral!

Hast du sie noch alle?

Clary: Alter, Toni! Das ist doch voll geil!

Ben: Vielleicht wird ja so dein Schatz auf dich aufmerksam.

Kann sich bitte die Erde auftun und mich verschlucken?

Ben: XD

Clary: Wenn er nicht herausfindet, wer du bist, dann hat er dich nicht verdient!

Können wir bitte das Thema wechseln?

Clary: Mom hat noch nichts mitbekommen.

Wenigstens eine gute Nachricht!

Ben: Und dein Dad?

Der dreht zurzeit. Da ist er nicht so viel auf Socialmedia unterwegs.

Clary: Freust du dich schon auf morgen?

Was ist denn das für eine Frage?

Clary: Sorry! Ich vergaß, mit wem ich spreche ...

Ben: Dem Felix-Dolor-Groupie schlechthin!

Haha. Seid ihr witzig.

Ben: Immer. Weißte doch! Apropos witzig ... ich soll fragen, wann du wiederkommst.

Keine Ahnung. Bei uns ist gerade Land unter. Ich helfe deshalb viel aus.

Clary: Mann, Toni! Lass dich doch nicht immer so ausnutzen!

Das hat nichts mit Ausnutzen zu tun. Ich liebe meine alten Leutchen.

Ben: Wir kommen vom Thema ab.

Ich hab die Karten für das Berlin-Konzert. Du kannst Leo also ausrichten, dass ich beim Open Mic mitmache.

Ben: Cool! Aber sei diesmal bitte weniger bissig.

XD Träum weiter, Benny-Boy!

Clary: Ja, zertrümmere wieder seine Chancen bei den Mädels.

Ben: Ich finde, dass Clarissa auch mal etwas abbekommen sollte.

Clary: Tja. Ich weiß einfach zu viel.

Viel zu viel!

Clary: Wissen ist Macht!

Ben: Das solltest du dir auf die Stirn tätowieren.

XD wäre hilfreich.

Clary: Ich kann nix dafür! Ihr erzählt mir immer alles freiwillig.

Kapitel 2

Felix

Ey Felix! Hast du dieses Fanvideo schon gesehen?

Ich blickte vom Zeitplan auf, den mir Sabrina, meine Tourmanagerin, vor wenigen Minuten in die Hand gedrückt hatte. Sie erstellte für jeden Tourstop einen groben Ablauf. Besonders dann, wenn noch Interviews oder Meet and Greets anstanden.

Mein Blick flog nochmals über ihre Auflistung. Morgen war ein Termin bei einem Stuttgarter Radiosender geplant. Danach ein Interview mit einer regionalen Zeitung und vor der Show ein Meet and Greet mit meinen Fans.

Ich hasste so viel Programm vor einem Auftritt. Aber dafür hatte ich heute einen freien Tag. Nach fast zwei Wochen war das nötig gewesen.

Stuttgart gehörte bei jeder Tour zu einem Fixpunkt. Doch nicht immer hatte ich die Gelegenheit, die Stadt zu erkunden. Mit einigen aus der Crew war ich heute auf der Königstraße unterwegs gewesen. Eigentlich nur, um irgendwo etwas zu essen. Doch danach waren wir in einem Plattenladen und im Kino versackt.

Deshalb nahm ich den Stress morgen gern in Kauf. Und mal ehrlich! Ich verdiente mein Geld seit zehn Jahren damit, dass ich Musik machte. Nicht jeder hatte dieses Privileg. Meine Fans ermöglichten mir das alles. Also konnte ich Zeit in sie investieren.

„Was für ein Fanvideo?“

Paul, mein Tontechniker, reichte mir sein Telefon.

Eine Brünette stand in einem Bekleidungsladen. Sie schaute sich einzelne Stücke an und sang zu einem meiner Songs. Der zufälligerweise mein absoluter Favorit war. Deshalb startete ich das Video gleich ein zweites Mal.

Ihr war gar nicht bewusst, wie sie mit ihrem Gesang die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zog. Oder dass sie jemand filmte. Sie war richtig gut!

Beim Refrain strahlte sie, was mich noch mehr umhaute als ihre Stimme. Wer war sie? Ich scrollte durch die Kommentare unter dem Video. Nichts. Keine Verlinkung ihres Profils. Kein Name. Einfach nichts.

Dafür wurde ich häufiger erwähnt. Aber was nutzte es mir, dass man mich auf sie aufmerksam machte, ohne ihren Namen zu erwähnen.

Eine Sache war mir jedoch sofort ins Auge gefallen. Sie trug ein altes Dolores-Feder-Sweatshirt, der Druck verblasste langsam. Ich wusste genau, dass wir diese Hoodies nur bei unserer zweiten Tour verkauft hatten. Sie war also ein Fan. Vielleicht sogar seit der ersten Stunde? Aber ich erinnerte mich nicht an sie. Zu vielen unserer ersten Fans hielt ich engen Kontakt. Ihr Gesicht kannte ich noch nicht.

Ich hätte es mit Sicherheit nicht vergessen. Ihre grünen Augen waren schwer zu beschreiben. Sie wirkten in ihrem jugendlichen Gesicht zu alt. Konnte man das so sagen? Ich wusste nicht, wie ich es sonst ausdrücken sollte. Und ihre sanft geschwungenen Lippen luden zum Küssen ein.

Oh Mann, Felix! Erinnerst du dich noch an deinen Grundsatz? Keine Groupies mehr. Du hast dadurch schon genug Scheiße fabriziert. Vor allem, wenn du noch rechtzeitig festgestellt hast, dass sie zu jung waren.

Wie alt sie wohl war? Schwer einzuschätzen. Sicher war sie schon ein paar Jahre volljährig.

Paul räusperte sich neben mir. „Kann ich bitte mein Telefon wieder haben?“

„Äh, ja klar.“ Ich reichte es ihm. „Sie ist ziemlich gut.“

„Meiner Meinung nach sollte sie morgen für dich auf die Bühne gehen!“

„Arschloch!“

Lachend trollte er sich aus dem Backstagebereich. Die Vorband war noch nicht mit dem Soundcheck fertig. Also holte ich mein Handy hervor, öffnete Instagram und schon wurde mir das Video vorgeschlagen.

Mir fiel auf, dass die Königstraße getaggt worden war. Sie kam also von hier. Würde sie morgen zum Konzert kommen? Das musste ich herausfinden. Ich wollte unbedingt wissen, wer sie war.

Ich likte das Video, bevor ich in einem Kommentar fragte, ob jemand sie kannte. Zum Schluss teilte ich das Video auf meinem Profil. Wenn sie ein eingefleischter Fan war, dann musste sie ja jemand kennen. Oder sie würde meinen Post sehen und sich bei mir melden.

Am nächsten Tag stellte ich enttäuscht fest, dass sie immer noch niemand geoutet hatte. Und sie hatte sich mir nicht zu erkennen gegeben. Was war denn so schwer daran, mir ihren Namen zu verraten? Ich schaufelte mein Frühstück in mich hinein, während ich überlegte, wie ich sie finden könnte.

Ob sie bei Tinder war? Oder einer anderen Dating-App? Ich musterte den Screenshot, den ich vom Video gemacht hatte. Sie war sicher kein Single mehr. So jemand wie sie konnte sich garantiert nicht vor Angeboten retten. Wahrscheinlich hatte sie so einen Modelverschnitt als Freund.

Okay. Dating Apps versprachen keinen Erfolg. Dort hatte ich meine Profile sowieso schon vor einem Jahr gelöscht. Ich hatte keinen Bock mehr auf diese Kacke. Am Ende lief es so oder so nur in eine Richtung.

Ich legte mein Telefon zur Seite.

Sabrina lächelte mich schelmisch an. „Kein Erfolg?“

„Nee. Sie ist wie ein Geist.“

„Vielleicht will sie nicht gefunden werden? Nicht jeder will im Rampenlicht stehen.“

Ich verdrehte meine Augen. Natürlich hatte ich schon darüber nachgedacht. Akzeptieren wollte ich es trotzdem nicht. Ich musste sie unbedingt finden!

Verschwörerisch flüsterte Sabrina mir zu: „Du könntest beim Radio erwähnen, dass sie sich noch nicht bei dir gemeldet hat.“

„Meinst du, dass erhöht meine Chancen? Dass sie sich meldet?“

„Vielleicht nicht. Aber du könntest deine Fans aufrufen, dir Hinweise zu geben, falls sie jemand bei deinem Konzert sieht.“

Ihr Vorschlag klang nicht übel. Offensichtlich wollten ihre Freunde sie nicht verraten. Aber Fremde hätten sicher keine Skrupel.

Während wir zum Radiosender aufbrachen, entwarf ich einen groben Schlachtplan. Sie wollte nicht gefunden werden? Tja, Pech gehabt. Heute Abend würden viele ihren Namen kennen. Vor allem ich.

„Herzlich willkommen in Stuttgart, Felix“, begrüßte mich der Radiomoderator.

„Schön, hier zu sein.“

„Felix, du hast zusammen mit deinem Bruder Tim und euren Schulfreunden Karim, Martin und Stefan die Band Dolores Feder gegründet. Das ist inzwischen fast fünfzehn Jahre her. Kommt dir das manchmal seltsam vor?“

Ich pustete einen Schwall Luft aus. „Seltsam ist jetzt nicht das richtige Wort dafür. Ich bin eher dankbar, dass sich alles bisher so gefügt hat. Unsere Leben hätten auch anders verlaufen können. Ich weiß nicht, ob wir weiterhin zusammen Musik machen würden, wenn unser erstes Album nicht so einen Erfolg gehabt hätte. Wir haben damals einen Nerv bei vielen getroffen.“

„Und nicht nur mit dem ersten Album. Auch die nachfolgenden Platten wurden mit Platin ausgezeichnet. Wobei eure Texte mit den Jahren teilweise gereift sind. Siehst du das auch so?“

„Teilweise gereift? Sind wir’n Wein oder was?“ Ich lachte. „Na ja. Man kann nicht für immer Anfang zwanzig sein. Irgendwann muss man erwachsen werden. Und dann spielen auch andere Themen eine Rolle.“

„Wobei ihr nie politische Themen vernachlässigt habt.“

„Wir sind eben alle in Familien aufgewachsen, die sehr kontrovers am Abendbrottisch diskutiert haben.“

„Stimmt. Davon hat Karim beim letzten Mal erzählt. Da wart ihr alle hier. Wie ist es für dich, jetzt solo unterwegs zu sein?“

„Anders. Ich vermisse die Jungs richtig. Was ich bestimmt nach ein paar Tagen bereuen werde.“

Wir unterhielten uns über mein Album, bis der Moderator das Video ansprach. Darauf hatte ich gehofft. „Seit gestern geht ein Video viral. Ein weiblicher Fan singt einen Song von dir. Du hast es inzwischen geteilt und gefragt, wer sie ist. Hast du sie inzwischen gefunden?“

„Bedauerlicherweise nicht. Sie hat sich nicht gemeldet. Und auch niemand, der sie vielleicht kennt.“

„Willst du sie immer noch finden?“

„Natürlich! Sie hat eine fantastische Stimme! Ich möchte zumindest wissen, wie sie heißt.“

„Wie willst du das machen?“

Ich grinste. „Ich bitte alle meine Fans heute Abend beim Konzert, die Augen offen zu halten. Ich hoffe, dass sie unter euch sein wird. Bitte postet alle Hinweise mit #DolorGirl.“

„Du meinst es ernst, was?“

„Sie hatte genug Zeit, sich selbst zu stellen. Jetzt muss sie mit den Konsequenzen leben. Mir ist klar, dass sie anonym bleiben will.“

„Also Leute, greift Felix unter die Arme, damit er sein Dolor-Girl findet! Ich drück dir fest die Daumen, dass du sie findest.“

„Danke.“

„Vielleicht sieht man dich jetzt häufiger in Stuttgart.“

„Ich glaube nicht, dass sie noch Single ist. Würde mich zumindest wundern, wenn doch.“

„Manchmal, lieber Felix, muss man einfach am richtigen Ort zur richtigen Zeit sein. So wie die Person, die das Video gepostet hat.“

„Wie wahr, wie wahr.“

„Also, Leute, spielt mal ein bisschen Schicksal und verhelft Felix möglicherweise zu einer Stuttgarter Freundin. Zum Abschluss hier das Lied, was in aller Munde ist.“

Entgegen meiner Gewohnheit schaute ich ständig auf meinen Kanal. Vor allem vor dem Konzert. Immer wieder aktualisierte ich die App, um ja keinen Hinweis zu verpassen. Tatsächlich tauchten mehrere auf. Zwei meiner Fans schickten mir persönliche Nachrichten. Mit Fotos von ihr.

Bei einer Eva stieg sie aus einem Taxi aus. Anstatt dem Dolores-Feder-Sweatshirt trug sie nun den Hoodie zu meinem Soloalbum. Ihre braunen Haare waren zu einem Knoten verschlungen. Sie wirkte abgehetzt. Hatte sie Angst, zu spät zu kommen? Und sich darum ein Taxi genommen? Offensichtlich war sie ein eingefleischter Fan. Sie besaß sogar die Tasche, die wir vor drei Jahren als Limited Edition verkauft hatten.

Ein Schnappschuss von Kati zeigte sie in einer Gruppe vor der Arena. Ich sah eine andere Frau unter ihnen. Sonst nur Typen. War einer von ihnen ihr Freund? Ich musterte das Bild intensiv. Irgendwie wirkte es nicht so. Sie hielt Abstand zu allen.

Auch die nächsten Aufnahmen gaben mir keine Antwort auf meine Frage. Keiner der Typen hielt ihre Hand, was ich als ihr Freund getan hätte. Also hatte sie keinen? Oder war er nur nicht mit dabei?

Erst in einer Stunde musste ich auf die Bühne. Wieso schrieb sie mir keine Nachricht? Das wäre so einfach. Aber nein! Ich musste meine Fanbase auf sie hetzen.

Sollte ich die Fans bestechen, um ihren Platz herauszufinden?

Brauchte ich gar nicht. Ein Andreas schickte mir einen Schnappschuss von ihr. Sie saß auf einer der Tribünen. Er schrieb mir, welche es war, sodass mir die Zeit erspart blieb.

Okay, du Unbekannte. Wenn du dich nicht bis zum letzten Song meiner Vorband meldest, werde ich etwas ganz Dummes tun.

Da ich ahnte, dass sie es mir nicht so leicht machen würde, schlenderte ich auf Björn, meinen Lichttechniker, zu. Mein Plan würde ihr nicht gefallen. Doch ich musste dieses Rätsel lösen. Ich wollte, dass sie mir verriet, wer sie war.

Und vielleicht gab es auch einen winzigen Hoffnungsschimmer, dass diese brünette Schönheit mit den viel zu ernsten Augen noch zu haben war.

Kapitel 3

Toni

Ich war keine fünf Minuten auf Arbeit, da fragten mich die ersten Kollegen nach dem Video. Sogar meine alten Leutchen hatten Wind davon bekommen. Das machte meinen Tag nicht besser. Vor allem als dann auch die Queen der deutschen Theaterbühnen herself in meiner Mittagspause anrief. Meine Mutter!

„Toni? Was ist passiert? Seit wann lässt du dich filmen?“

„Ach, Mama. Das hat irgendwer ohne mein Wissen gemacht.“

„Bisher hat aber niemand deinen Namen veröffentlicht.“

„Weil meine Freunde wissen, dass sie sonst einen grausamen Tod sterben!“ Ausgelassenes Gelächter drang durch die Leitung. Ich liebte dieses Geräusch. Meine Laune hob sich etwas. „Machst du Pause?“

„Nein. Ich habe heute frei.“

„Das ist schön. Du hast viel gearbeitet.“

„So wie du.“

„Diese alten Petzen!“

„Sie machen sich eben Sorgen um dich, Toni. Genauso wie dein Vater und ich.“ Sie machte eine Kunstpause. „Ich weiß, wie wichtig dir die Arbeit mit deinen Senioren ist. Lass dich nur nicht immer so einlullen.“

Ich seufzte auf. „Ich versuch‘s, Mama.“

„Das ist schon mal etwas. Und? Freust du dich auf heute Abend?“

„Natürlich. Hauptsache, ich bin pünktlich. Nachher komme ich noch zu spät, weil meine Lieblingsomi für ihr Date aufgepimpt wird.“

„Ach, herrje!“

„Ich sag dir ... echt peinlich, dass die Herrschaften sich häufiger verabreden als ich.“

„Woran das wohl liegt?“

„Wehe du benutzt das böse Wort! Dann lege ich auf!“

„Bindungsphobie?“

„Ich leide nicht unter einer Bindungsphobie!“

„Und warum bist du seit fast einem Jahr solo?“

„Ich habe hohe Ansprüche!“

„Dann hoffe ich mal, dass dein Idealbild von einem Mann nicht in sich zusammenfällt, wenn du ihn kennenlernst.“

„Wovon redest du?“

„Er sucht nach dir!“

Die Gabel fiel auf meinen Teller. „Was?“

„Felix Dolor hat dein Video gesehen. Er will wissen, wer diese atemberaubende Stuttgarterin ist.“

Sprachlos starrte ich in die Luft.

„Hallo? Toni? Lebst du noch?“

„Äh.“

„Wieso überrascht dich das? Du singst fantastisch und die Männer drehen sich oft nach dir um.“ Sie seufzte. Meine Mutter wusste, dass sie anders vorgehen musste. „Toni, du hast sein Interesse geweckt. Er will dich kennenlernen. Das ist doch toll!“

„Mich kennenlernen?! Nein! Ich hasse solche Aufmerksamkeit! Jetzt habe ich keine Lust mehr auf das Konzert!“

„Hast du Angst, dass er dich auf die Bühne holt?“

„So schätze ich ihn ein.“

„So schlimm wird das schon nicht, Toni.“ Ich hörte ein Klingeln im Hintergrund. „Oh, da ist mein Lunchdate.“

„Du hast gar nicht erzählt, dass du zurzeit jemanden triffst.“

„Ich geh es entspannt an.“ Ich hörte, dass sie sich anzog. „Ich wünsch dir viel Glück heute Abend. Und vor allem viel Spaß, mein Schatz!“

„Danke, Mama. Dir noch einen schönen Tag.“

Seit der Scheidung vor sechs Jahren hatte meine Mutter einige Männer gedatet. Doch mit keinem war sie länger als ein halbes Jahr zusammen gewesen. Sie versicherte uns immer wieder, dass sie nicht auf der Suche nach einem dritten Ehemann war, aber wir wussten, dass sie nicht den Rest ihres Lebens allein bleiben wollte.

Seit meine Geschwister Engagements in ganz Deutschland annahmen, wirkte sie etwas einsam. Bei den Quadratmetern der Wohnung wunderte es mich nicht, dass sie sich verloren fühlte.

Nach der Pause würde ich einen Blick in den Schichtplan werfen. Vielleicht konnte ich ein paar Guttage abbauen und sie zu einem Kurzurlaub überreden. Oder einem Mädelsnachmittag.

Dann konnte ich mehr über diesen mysteriösen Freund aus ihr herauskitzeln.

Abgehetzt stieg ich aus dem Taxi, das mir Frau Lau spendiert hatte. Nur, um zehn Minuten länger beim Friseur zu sitzen. Meine Freunde warteten schon auf mich. Wir waren zu sechst. Rudolf hatte seine Teamkollegen Timo, Julian und Lars mitgeschleift. Die drei würden auf der Tribüne hinter uns sitzen, da die Stehplätze sofort ausverkauft gewesen waren. Von Victor fehlte noch jede Spur. Ich begrüßte alle mit einer freundschaftlichen Umarmung.

„Na, Toni? Aufgeregt?“, zog mich Lars auf.

Ich beschloss, besser keinen Kommentar abzugeben, und rollte mit den Augen.

„Also dem Thema entsprechend ist sie zumindest gekleidet“, sprang Julian darauf an.

„Wieso sollte ich denn nicht mein Dolorshirt tragen? Ihr tragt eure auch. Beim letzten Dolores-Feder-Konzert musste ich den ganzen Abend mit mehreren Sweatshirts rumlaufen. Ich hab aus meinen Fehlern gelernt. Ich kauf mir inzwischen einen Teil meiner Shirts vor dem Konzert. So muss ich mich nicht davor umziehen.“

„Und trotzdem werden wir alle mit zusätzlichem Merch nach Hause gehen“, prophezeite uns Rudolf.

„Mit viel Glück geht Toni mit Felix Dolor höchstpersönlich nach Hause.“

„Timo!“

„Was denn? Du kannst mir nicht erzählen, dass du seine Nummer ablehnst!“

„Er wird sie mir gar nicht erst geben.“

„Sie hat den Hashtag noch nicht gesehen, oder?“, fragte Lars.

„Ich glaub nicht.“ Timo griff nach seinem Telefon und trat neben mich. Auf dem Display sah ich Felix‘ Seite. Er bat seine Stuttgarter Fans, ihm einen Hinweis zu geben, falls jemand das Mädchen aus dem Video beim Konzert sah. Unter #DolorGirl.

„Scheiße! Was für eine Kacke macht er da?“

Meine Freunde lachten laut. Das erregte die Aufmerksamkeit der Umstehenden. Bald würde der erste Hinweis bei Felix eingehen. Wie schnell konnte ein Schönheitschirurg mein Gesicht vollkommen verändern?

„Wollen wir ihm einen Gefallen tun und gleich ihren Sitzplatz posten?“

„Wenn du das tust, Timo, lebst du nicht mehr lange!“

„Du bist aber empfindlich.“

„Ey, da kommt Victor. Lasst uns reingehen.“ Ich wendete mich, ohne auf eine Antwort zu warten, der Treppe zu. Blick nach unten, kein Augenkontakt zu den Fans. Bloß niemanden ansehen.

Doch das nützte nichts. Während wir in der Schlange beim Essensstand warteten, erschienen die ersten Kommentare unter Felix´ Post. Mit seinem ach so wunderbaren Hashtag. Ich könnte kotzen! Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich heute Abend auf der Bühne zum Klops machte, überstieg so langsam die Skala. Sollte ich mich stellen? Würde er mich dann in Ruhe lassen?

Meine Freunde lenkten mich nach Kräften ab, bis ich nicht mehr ganz so angespannt war. Als die Vorband spielte, vergaß ich die Hashtag-Affäre sogar vollkommen.

Egal, was in meinem Leben abging, Musik brachte mich immer auf andere Gedanken. Ich versank darin, sang mit und tanzte zur Melodie. Tja, und das hatte mich in den Schlamassel gebracht, in dem ich jetzt steckte.

Das wurde mir in der Pause zwischen der Vorband und dem Hauptakt bewusst. Zwei Reihen vor uns drehte sich jemand um und rief mir zu: „Ey! Du bist doch das Mädchen aus dem Video!“

Schlagartig wendeten sich mir alle Köpfe unserer Tribüne zu. Gott, war das peinlich! Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.

Zum Glück konnte ich mich auf meine Freunde verlassen. Julian fuhr die Leute an: „Kümmert euch gefälligst um euren eigenen Scheiß!“

Lächelnd schaute ich zu ihm auf. „Danke.“

Er beugte sich zu mir. „Verschonst du mich beim nächsten Stand-up?“

„Ich werde dich lobend erwähnen.“

„Ist sogar noch besser. Erhöht meine Chancen bei den Frauen.“

Die anderen, die uns zuhörten, lachten mit uns. Nur Sekunden später wurde die Beleuchtung im Saal gedimmt. Felix Dolor trat auf die Bühne und performte das erste Stück seines Albums. Die Zuschauer erhoben sich von ihren Plätzen. Wir natürlich auch. Jemand motzte, dass man keine Sitzplätze brauchte, wenn man doch die ganze Zeit stand.

Diesen Kommentar konnte ich nicht so stehen lassen. „Wenn du die Musik nicht fühlst, bist du hier falsch. Geh doch nach Hause!“

Einige drehten sich zu mir. Eine Frau mit Hornbrille nickte amüsiert. Ein milchgesichtiger Teenager hob seinen Daumen. Ich konzentrierte mich wieder auf die Show.

Felix stand dort allein. Alles war perfekt getimt. Die Wechsel der Farben, die Geschwindigkeit der Lichtkegel und seine Bewegungen auf der Bühne.

Ich hatte jeden Fitzel gelesen, den es über ihn zu lesen gab. Er war ein verkappter Perfektionist und behauptete von sich, dass es manchmal sogar krankhafte Züge annahm. Doch diesmal hatte er ganze Arbeit geleistet. Die Hintergrundmusik, seine Stimme und die Lichter harmonierten miteinander. Das Wort perfekt war zu abgedroschen. Aber ich kannte keine bessere Beschreibung für dieses Spektakel.

Eine Weile ließ ich mich von der Atmosphäre einnehmen, bis Felix sein Konzert unterbrach. „Hey Stuttgart!“

Wir jubelten alle los.

„Ihr seid der Wahnsinn!“

Wieder lauter Jubel.

Man hörte, wie er leicht lachte. „Ja, ihr seid wirklich gut. Und hilfsbereit. Dank euch weiß ich, dass sich das Mädchen, das ich suche, in dieser Halle befindet. Auch wenn mir keiner ihren Namen verraten hat, weiß ich doch, dass sie auf dieser Seite sitzt.“ Er zeigte in unsere Richtung.

Ich sank auf meinen Sitz zurück und verdeckte mein Gesicht mit der Kapuze meines Hoodies. Das amüsierte meine Freunde sichtlich.

Jemand kreischte hinter mir: „Sie ist schüchtern!“

Wieso war die Welt so ungerecht?

„Sie ist schüchtern? Ich möchte trotzdem, dass sie zu mir auf die Bühne kommt.“

Plötzlich wurde ein Scheinwerfer auf unsere Tribüne gerichtet.

„Also du unbekannte Stuttgarterin, spring über deinen Schatten und sing den nächsten Song mit mir.“

WTF?! Nein!

Meine Freunde grinsten sich an, bevor sie meinen Namen riefen und synchron klatschten. So wie beim Fußball. Das übernahm unsere komplette Tribüne. Dann die Nächste. Und so ging es immer weiter, bis mein Name durch die Halle schallte.

Um diese Schmach zu beenden, lenkte ich ein und stand auf. Die Leute um mich herum rasteten aus. Felix schrie und jubelte so sehr, dass sich ein Lächeln auf meinen Mund stahl. Doch das Lachen verging mir schnell.

Während ich die Treppen zum Ausgang hinaufstieg, reduzierte ein Techniker den Scheinwerfer auf einen Lichtkegel, der mir folgte. Na klasse! Wollt ihr mir auch noch einen persönlichen Einspieler verpassen?

Durch das Stand-up wusste ich, wie es war, vor Menschen aufzutreten. Doch das hier war anders. So aufgeregt war ich noch nie.

Keine Ahnung, was der kürzeste Weg zur Bühne war. Ich lief zum Eingang des Innenraums. Einer der Securitymänner geleitete mich zum Backstagebereich und sprach mir Mut zu. Offensichtlich sah man mir an, dass ich überall lieber wäre als hier. Die Leute, an denen wir vorbeikamen, riefen mir aufmunternde Worte zu.

Bevor ich die Bühne betrat, drückte mir jemand ein Mikrofon in die Hand und schob mich ins Licht. Überwältigt betrachtete ich die Kulisse vor mir. Die Halle wirkte noch viel größer. „Oh, wow.“

„Du brauchst nicht nervös zu sein, Toni. Die beißen dich nicht.“

Felix trat zu mir. Er schaute auf mich hinab. Mit meinen 1,60 m gehörte ich nicht zu den Größten, doch er überragte mich beinahe um zwei Köpfe. Das Licht ließ seine blaugrauen Augen funkeln. Sein schelmisches Lächeln milderte die kantigen Züge.

Eine Strähne seines dunkelblonden Haares fiel in seine Stirn. Dies lenkte meinen Blick auf die Narbe, die seine rechte Augenbraue teilte. Dort hatte er sich vor einigen Jahren beim Stagediven verletzt. Er besaß eine Zweite an seiner Unterlippe. In der Nähe des linken Mundwinkels. Sie verliehen ihm etwas Verwegenes.

Auch wenn ich es stets und ständig abstritt: Felix Dolor war das Idealbild eines Mannes für mich. Schönheit ohne Makel war mir schon immer zuwider. Ich mochte Menschen mit Ecken und Kanten.

„Bist du fertig?“

„Womit?“

„Mich anzustarren.“

Blut schoss mir in die Wangen. Ich wollte mich umdrehen und von der Bühne rennen, aber Felix griff nach meiner Hand.

Kapitel 4

Felix

Hey. Das war nicht so gemeint.

Unsicher blickte sie zu mir auf. „Wie dann?“

Okay. Auch wenn Toni nicht gern im Mittelpunkt stand, auf den Kopf war sie nicht gefallen. Und schüchtern war sie schon lange nicht. Das gefiel mir.

Fans kann man in zwei Extreme aufteilen. Die Hyperschüchternen und die Superaufdringlichen. Allerdings gehörte diese Brünette mit der Wahnsinnsstimme zu keinem dieser Lager.

„Jetzt starrst du mich aber an!“

„Sorry, aber du bist noch viel hübscher als auf Instagram.“

Ihre Wangen färbten sich feuerrot. Na klasse, Felix! Willst du sie noch mehr in Verlegenheit bringen? Dann wird sie bestimmt total gern mit dir deinen Song performen. Offenbare ihr doch auch gleich, dass du mit dem Gedanken spielst, einen Remix mit ihr aufzunehmen.

„Tut mir leid. Ich höre auf. Außerdem warten die anderen darauf, dass wir loslegen. Ich würde dich vorher gern etwas besser kennenlernen.“

„Muss das sein?“ Dabei verzog sie ihr Gesicht. Was irgendwie süß war.

„Ja.“

Sie seufzte schwer. „Okay. Frag bloß nicht, wofür Toni steht. Klar?“

„Einverstanden. Ich frag dich das nicht auf der Bühne.“ Ich hielt immer noch ihre Hand und zog sie in die Mitte. Dort hob ich mein Mikrofon. „So Leute, macht mal Lärm für Toni!“

Meine Fans folgten der Anweisung wie ein Orchester ihrem Dirigenten. Ich befürchtete, dass Toni die Flucht ergreifen würde, und ließ sie nicht los. Auch wenn das wahrscheinlich einige Gerüchte verursachte. Ich wollte kein Risiko eingehen. Am Ende verschwand sie auf Nimmerwiedersehen.

Nachdem Ruhe eingekehrt war, schrie ein Mädchen: „Toni, ich liebe dich!“

„Pat, ich hab deine Stimme erkannt. Kannst du bitte aufhören, dich so peinlich zu benehmen? Sonst landet ein Gag über dich in meinem Programm.“

Ein Gag? In ihrem Programm? Hatte ich sie etwa falsch eingeschätzt?

Offensichtlich stand mir meine Verwunderung ins Gesicht geschrieben, denn Toni erklärte: „Ich mach ab und zu Stand-up.“

„Sie ist voll gut!“, ertönte eine männliche Stimme.

„Sie ist mehr als gut!“

„Und worüber machst du so Gags?“, fragte ich sie.

„Hauptsächlich über meine Mitmenschen und mich selbst.“

„Und welche Mitmenschen sind deine bevorzugten Opfer?“

„Meine Geschwister und meine Mitbewohner. Über die vier könnte ich stundenlang Dinge erzählen.“

„Also ein abendfüllendes Programm?“

„Sozusagen. Aber ich darf es nicht übertreiben. Mein Bruder heult mir immer die Ohren voll, dass ich seine Chancen bei den Mädels pulverisiere. Und er deswegen nie eine abbekommt.“

„Trotzdem geht er zu deinen Auftritten?“

„Korrekt.“

„Dann ist er ja selbst schuld.“ Das sorgte für Gelächter. „Du hast gesagt, dass du ab und zu Stand-up machst. Heißt das, dass du noch einen Brotjob hast?“

„Ja. Ich bin examinierte Physiotherapeutin.“

Uh. Das kam unerwartet. Ich hatte gedacht, dass sie etwas ganz anderes machte. Etwas mit Musik.

„Jetzt geht bei dir das Kopfkino an, was?“

„Du solltest nicht alle Männer über einen Kamm scheren, Toni. Obwohl ... ich hätte da schon eine Verspannung, die du wegmassieren könntest.“

„Ich will für dich hoffen, dass sie oberhalb der Gürtellinie ist.“

Das erzeugte lautes Klatschen in der Halle.

„Austeilen kannst du in jedem Fall. Aber kannst du auch einstecken?“

Sie legte ihren Kopf schräg. „Dann säße ich schon längst wieder auf meinem Platz.“

„Glaub ich dir. Kommst du aus Stuttgart?“

„Ich hab lange in Berlin bei meiner Mom gewohnt, bevor ich mit fünfzehn zu meinem Dad nach Stuttgart gezogen bin. Inzwischen fühle ich mich hier viel heimischer als in der Hauptstadt.“

„Woran liegt das?“

„Die Menschen hier sind chilliger. Nur beim Autofahren drehen alle Stuttgarter regelmäßig durch.“

Zustimmendes Gemurmel aus dem Publikum.

„Hab ich schon gemerkt. Königstraße und Ku’damm, das kannst du einfach nicht vergleichen. Alle sind entspannt. Drängeln nicht. Und sind ausnahmslos freundlich.“

„Ja, in Berlin wird man schon mal grundlos angeschnauzt.“

„Oh ja. Passiert mir persönlich häufig.“

Toni lachte. Ein ansteckender Laut. Nicht nur auf mich, sondern auch für die Fans.

„Wo wir schon von der Königstraße sprechen: Dort wurde das Video aufgenommen. Wie kam es dazu?“

„Indem jemand meine Privatsphäre verletzt hat?“

„Mal abgesehen davon.“

Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Kehle. „Es gibt da diese Omi in der Seniorenresidenz, in der ich arbeite. Ich kann ihr leider absolut nichts abschlagen.“

„Du arbeitest in einem Altersheim?“

„Seniorenresidenz!“, verbesserte Toni mich energisch.

„Ja, schon klar. Bei uns heißen die Altersheime.“

„Mein Arbeitsplatz kann mit jedem Luxushotel konkurrieren. Das hat nichts mit einem Altersheim zu tun.“

„Okay. Verstanden. Und was hat diese Omi mit dem Video zu tun?“

„Na ja. Die älteren Herrschaften finden, dass ich die Einzige bin, die etwas von Mode versteht. Aber es hat eher etwas damit zu tun, dass ich die Jüngste im Team bin und mich normal kleide. Deshalb bitten mich meine Omis und Opis regelmäßig, mit ihnen shoppen zu gehen.“

„Nach oder in deiner Arbeitszeit?“

„Sowohl als auch. Mein Chef trägt es mir oft als Arbeitszeit ein.“

„Und da ist das Video entstanden?“

„Ja. Meine Lieblingsomi brauchte ein Outfit für ihr heutiges Date.“

Meine Fans jubelten begeistert.

„Da geht es ja richtig ab in deiner Seniorenresidenz.“

„Wenn du wüsstest ... “

„Oh ho! ... Passiert dir das häufiger?“

„Dass mich meine alten Leutchen um den Finger wickeln?“

„Nein. Dass du in einem Laden singst.“

„Eigentlich nicht. Sonst kann ich mich ganz gut beherrschen. Aber dieser Song gehört zu meinen absoluten Favoriten. Bei Musik, die mich wirklich berührt, vergesse ich die Welt um mich herum.“

Das war das größte Kompliment, das ich jemals bekommen hatte. Für solche Momente machte ich Musik. „Danke.“

Sie zuckte leicht mit ihren Schultern. „Du hast ein Meisterwerk mit diesem Album abgeliefert. Es ist schade, dass du keine weitere Platte herausbringen möchtest. Das ist viel tiefgründiger als das Zeug, das Dolores Feder macht und jemals machen wird.“

„Und dabei schreibe ich auch deren Songs.“

„Tja, keine Ahnung. Vielleicht überrascht ihr mich ja in ein paar Jahren und macht das melancholischste Album aller Zeiten.“

„Dafür sind wir mit unserem Konzept viel zu erfolgreich. Und Partyrock mit tiefsinnigen Texten macht mehr Spaß. Aber langer Rede, kurzer Sinn. Du bist ja hier, um zu singen!“

Sofort verzog sie wieder ihr Gesicht. „Muss ich? Kann ich nicht zugucken? Oder mitsummen?“

Als ich ihr widersprechen wollte, setzte ein Sprechchor mit ihrem Namen ein. Vorsichtig trat ich näher an sie heran, während ich mein Mikrofon sinken ließ. „Willst du die etwa enttäuschen?“

Ihr Blick wanderte durch die Halle. Danach sah sie mich flehend an. „Ich bin noch nie vor so vielen Menschen aufgetreten.“

Ich wusste, wie sie sich fühlte, und lächelte sie aufmunternd an. „Brauchst keine Angst zu haben. Du stehst nicht allein hier oben. Wenn du dich verhaspelst, helfe ich dir.“

Mit einem zaghaften Nicken lenkte sie ein.

Behutsam führte ich sie zu der Markierung, die für sie vorgesehen war. Aus einem irrationalen Grund wollte ich sie nicht loslassen. Um den Moment herauszuzögern, flüsterte ich ihr zu: „Ich fange an und du setzt beim Refrain ein. Okay?“

„Okay.“

„Wenn du willst, kannst du mehr übernehmen. Gib mir einfach ein Zeichen.“

Wieder nickte sie leicht.

Ich drückte kurz ihre Hand. Langsam trat ich von ihr zurück. Ihre grünen Augen richteten sich auf mich, bevor die Techniker die Halle in Dunkelheit tauchten. Nur die blauen Streifen der Treppenaufgänge leuchteten. Dann erklang das Intro.

Automatisch hob ich mein Mic. Ich schaute in die Menge. Das kam mir aber nicht richtig vor. So drehte ich mich Toni zu.

Keine Ahnung, was ich erwartet hatte. Doch nicht das!

Toni strahlte mich an und wippte zum Beat. Als wenn jemand einen Schalter in ihrem Inneren betätigt hätte. Sie wirkte anders als zuvor, sie war eine strahlendere Version ihrer selbst. So wie im Video.

Ich hatte die Aufnahme von ihr gefühlt tausendmal angeschaut. Doch die Realität stellte alles in den Schatten. Ihre Stimme und die Freude in ihrem Gesicht hauten mich um. Ihr Lächeln brachte ihre grünen Augen zum Leuchten. Sie tanzte zur Melodie, während sie jeden mitriss.

Beinahe hätte ich meinen Einsatz verpatzt. Peinlich!

Toni schmunzelte ein wenig. Was diese Schmach für mich abmilderte. Wahrscheinlich zog mich später die Crew damit auf. Aber sie mussten nicht neben dieser Granate auftreten.

Als das Lied dem Ende zuging, hätte ich am liebsten noch einmal von vorn angefangen. Ich hatte die Bühne schon mit vielen Menschen geteilt. Doch das hier war anders. Ein Lächeln von ihr, und mein Puls raste. Sobald sie den Abstand nur ein bisschen verkleinerte, kribbelte es in meinen Handflächen. Ich wollte sie wieder berühren. Und nicht nur ihre Hand. Wir kannten uns nicht mal richtig, aber ich verspürte eine Verbindung zu ihr. Während des Songs brauchten wir uns nur einen Blick zuwerfen und schon wussten wir, was der andere tun würde. Es war verrückt.

Beim Ausklang des Tracks überwand ich den Abstand zwischen uns. Behutsam umarmte ich sie im Halbdunkel. „Danke, dass du auf die Bühne gekommen bist. Das war der Wahnsinn.“

„Danke, dass du nicht lockergelassen hast.“

Noch rechtzeitig löste ich mich von ihr. Sonst wären meine Fans auf dumme Ideen gekommen. Dachte ich zumindest.

„Küssen!“, schrie jemand aus dem Innenraum, bevor der Jubel losbrechen konnte. Der wurde durch einen Sprechchor ersetzt.

„Also bitte Leute! Toni hat mit Sicherheit einen Freund, der wenig begeistert davon wäre!“

Augenblicklich erschallte aus verschiedenen Richtungen: „Nein!“

Überrascht musterte ich Toni. „Echt?“

Ohne ihr Mikrofon zu heben, erwiderte sie mir: „Meine Mutter behauptet, dass es eine Bindungsphobie sei. Ich nenne es einfach hohe Ansprüche.“

Was war nun die Wahrheit? Das musste ich wohl selbst herausfinden. „Hat mal jemand einen Stift für mich?“, rief ich in mein Mic. Sofort hoben einige Fans ihre Hände. Ich lieh mir von einem Mädchen in der ersten Reihe einen Kulli. „Bekommst du gleich zurück“, versprach ich ihr. Sie winkte ab und meinte, dass ich ihn behalten könnte.

Toni ahnte nicht, was ich vorhatte. Denn sie ergriff nicht die Flucht. Ich nahm ihre Hand und schrieb meine Telefonnummer in ihre Handfläche. Sie starrte mich fassungslos an. Was megasüß war, weil ihr Mund offenstand.

Nachdem ich fertig war, bat ich sie: „Ruf mich nach der Show an. Dann können wir noch irgendwo hingehen.“

Kapitel 5

Toni

WTF? Felix Dolor hatte mir seine Nummer gegeben? Und nicht nur das! Er hatte mich quasi, um ein Date gebeten! Groupie-Toni in meinem Inneren rastete aus. Der Rest von mir hinkte immer noch hinterher.

Wie in Trance stieg ich zu den Tribünen hinauf und konnte meinen Blick nicht von meiner Hand abwenden. Seine Schrift war krakelig. Aber ich war es gewohnt Arztbriefe zu lesen, die eine sehr viel schlimmere Handschrift aufwiesen. Der Schweiß auf meiner Haut würde die Zahlen verwischen.

Eilig holte ich mein Telefon heraus, speicherte seine Nummer ab und schrieb ihm eine Nachricht. Vielleicht war es dumm von mir. Mir kamen Zweifel. Was war, wenn ich da mehr hineininterpretierte, als es bedeutete? War das wirklich seine Nummer? Vielleicht wollte er nur den Zwischenrufen aus dem Weg gehen. Schließlich war kaum etwas über sein Privatleben bekannt. Niemand wusste, ob er gerade in einer Beziehung war. Oder eben nicht.

Ich seufzte und steckte mein Telefon in die Tasche. Abwarten. Mal sehen, ob er mir zurückschrieb. Nur das brachte mir die Antworten. Vor allem auf die Frage, was er in mir sah.

Vor dem Konzert hatte ich weibliche Fans beobachtet. Die spielten weit über meiner Liga. Doch denen hatte er nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie mir. Hatte ich mir dieses Prickeln auf der Bühne eingebildet? Seinen Patzer bei der Strophe? Der war definitiv da gewesen! Und alles nur, weil er mich angeschaut hatte.

Ich holte tief Luft, bevor ich auf meine Tribüne zurückkehrte. Zum Glück fesselte Felix die Aufmerksamkeit seiner Fans so sehr, dass kaum jemand von mir Notiz nahm. Nur meine Freunde bemerkten meine Rückkehr. Ich schlug mit jedem ein, bevor ich mich der Show widmete.

Viel zu schnell war diese zu Ende. Um dem Besucherstrom aus dem Weg zu gehen, quatschten wir noch ein bisschen auf unseren Plätzen. Julian hielt mir sein Handy vor die Nase. Die Aufnahmen, die er von mir gemacht hatte, waren gut geworden.

„Schickst du mir die?“

„Klaro!“

„Ey, Toni! Super Show!“, rief Patricia aus dem Innenraum zu mir hoch.

„Danke, du Schleimer!“

„Ich liebe dich auch!“

Lachend lehnte ich mich in meinem Sitz zurück.

„Und? Hast du ihm schon geschrieben?“, wollte Hermine plötzlich wissen.

Kommentarlos verschränkte ich meine Arme vor der Brust.

„Sie hat! Und jetzt wartet sie darauf, ob er ihr antwortet.“

„Was ist denn mit dir los, Timo? Natürlich wird er ihr antworten!“

„So wie die Funken zwischen ihnen gesprungen sind, bleibt Toni bestimmt über Nacht weg“, fügte Victor hinzu.

„Habt ihr sie noch alle? Ich steig doch nicht gleich mit ihm in die Kiste!“ Sie glaubten mir kein Wort, so sehr grinsten sie. Um weiteren Sticheleien zu entgehen, erhob ich mich. „Wollen wir gehen? Ich muss aufs Klo.“

Hermine und ich reihten uns vor der Damentoilette ein. Die Jungs schlenderten weiter. Manchmal wünschte ich mir, ein Mann zu sein. Besonders in solchen Situationen. Denn ich musste superdringend pinkeln! Aber natürlich stand wieder halb Stuttgart an.

Ich schaute auf mein Handydisplay und stieß die angehaltene Luft aus. Nichts.

„Er meldet sich schon noch“, flüsterte Hermine mir zu.

Ich gab ihm noch eine halbe Stunde. So lange würden wir definitiv noch hier sein. Ich hatte die Traube vor dem Merchandisestand gesehen. Danach würde ich mit den anderen nach Hause fahren. Verarschen konnte ich mich auch selbst. Ich wartete nicht auf etwas, was niemals passieren würde!

Was soll ich sagen? Wir brauchten sogar eine dreiviertel Stunde. Und was war? Keine Nachricht! Einerseits war ich enttäuscht und überlegte kurz, alle meine Fanartikel, auch die Neuen, in einer Tonne anzuzünden. Andererseits war ich wütend auf mich. Ich war ihm vor all diesen Leuten auf den Leim gegangen. Da war das Verbrennen noch viel zu gut. Ein bisschen Dynamit wäre angebrachter. Oder mit einer Rakete ins All schießen?

Ich lief mit den anderen zur U-Bahn und grübelte, was ich machen sollte. Noch bevor ich eine Lösung hatte, vibrierte mein Telefon.

Felix: Sorry, hat länger gedauert. Ich warte am Hinterausgang auf dich.

Sofort stoppte ich meine Schritte. „Äh, Leute. Ich hab was vergessen. Wartet nicht auf mich.“

„Schon klar, Toni. Viel Spaß“, erwiderte Hermine mir. Ich wusste, was in den Köpfen meiner Freunde abging. Deswegen winkte ich ihnen nur zum Abschied. Ihre Kommentare würde ich noch früh genug hören.

Während ich die Richtung wechselte, textete ich Felix.

Okay. Könnte aber länger dauern.

Felix: Autsch. Bist du etwa schon auf dem Weg nach Hause?

Noch nicht. Wäre aber fast in die nächste U-Bahn gestiegen.

Darauf kam keine weitere Nachricht. Was Sekunden später Sinn ergab.

„Wenn du durch die Gegend läufst, Toni, solltest du geradeaus gucken.“

„Und du solltest nicht an Hausecken auf Mädchen lauern.“

„Ich wollte dir nur entgegenkommen.“

Ich realisierte, dass wir einander sehr nah waren. Ein bisschen zu nah. Ich trat einen Schritt zurück. So konnte ich ihn viel besser betrachten.

Er hatte geduscht. Ich roch einen Hauch von Zedernholz und Bergamotte. Außerdem hatte er sich umgezogen.

Die schwarzen Jeans, dunklen Sneakers und das olive Shirt mit der Collegejacke standen ihm genauso gut wie sein Bühnenoutfit.

„Du starrst mich schon wieder an.“

„Du hast doch gesagt, dass ich geradeaus gucken soll!“

Das brachte ihn zum Lachen. „Touché.“

Für einen Augenblick schwiegen wir. „Und jetzt?“

„Keine Ahnung. Du kommst von hier. Was macht man an einem Dienstagabend in Stuttgart?“

„Schlafen?“

„Außer das.“

„Hm. Netflixen?“

„Ich habe das Gefühl, dass dieses Gespräch in eine bestimmte Richtung verläuft.“

„Träum weiter!“

„Das werden sehr süße Träume sein.“

Lachend boxte ich ihn. „Hunger?“

„Oh ja.“

„Gut. Dann kenn ich da was.“

Felix schaute sich um. „Ist das hier in der Nähe? Oder müssen wir die U-Bahn nehmen?“

„Hast du was dagegen?“

„Ich hab vorhin eine abfahren sehen. Das war wie inna Sardinenbüchse. Wenn’s geht, würde ich so was gern vermeiden.“

Ich blickte zur U-Bahnstation zurück. Der Strom dorthin war noch nicht versiegt. Aufgezwungenes Kuscheln mit Fremden war mir auch unangenehm. „Dann lass uns zur Mercedesstraße laufen. Das sind zwei U-Bahnstationen. Also nicht so weit. Von dort fahren mehrere Linien ab, sodass wir nicht zur Sardine werden.“

„Klingt fantastisch.“ Ungefragt griff er nach meiner Hand und ging los.

Es dauerte ein paar Sekunden, bevor ich reagierte, so hatte er mich überrumpelt. „Äh, Felix?“

„Was denn?“

„Muss das sein?“ Zur Verdeutlichung hob ich unsere verschlungenen Hände.

„Muss? Nein.“

Lachte er mich aus?

„Und warum machst du das dann?“

„Weil ich‘s so will. Weißt du, das macht man so bei Dates. Jedenfalls da, wo ich herkomme. Ist man hier konservativer?“

Okay. Ich sollte die Klappe halten. Nachher überlegte er es sich noch anders. Er schien mit meiner Entscheidung zufrieden zu sein und grinste mich an.

Wir liefen nebeneinanderher, bis Felix fragte: „Und? Wofür steht Toni nun? Jetzt kannst du es mir ja verraten.“

Oh, dieser Unterton. Ich ahnte, dass er die Antwort kannte. „Hast du mich etwa gestalkt?“

„So würde ich das nicht bezeichnen. Ich hab einfach nur ‚Toni Stand-up Stuttgart‘ bei Google eingegeben.“

„Und hast du eine Vermutung, wie ich mit vollem Namen heiße.“

„Dein Künstlername ist schon sehr ungewöhnlich. ‚Toni mit der Guillotine‘ heißt definitiv nicht jeder.“

„Das ist mein Eingangsgag.“

„Schade, dass wir darauf verzichtet haben. Kannst du es mir mal zeigen?“ Er blieb stehen und sah mich erwartungsvoll an.

Ich ließ seine Hand los, trat einen Schritt zurück und richtete mein imaginäres Mikrofon. „Hey Leute. Ich bin Toni.“ Dabei zeigte ich mit beiden Daumen auf mich. „Nein, das steht nicht für Antonia.“ Meine Stimme klang sichtlich genervt, als wenn jemand danach gefragt hätte. „Nee. Meine Eltern waren da etwas kreativer. Womit sie mich auch ein Leben lang bestraft haben. Sie haben mich Antoinette genannt.“ Ich machte eine winzige Kunstpause. „Ja, wie die mit dem Kopf ab“, antwortete ich meinem imaginären Gesprächspartner. Währenddessen deutete ich mit meiner rechten Hand einen Schnitt durch meinen Hals an.

Felix lachte, bevor er klatschte. Nachdem er seine Finger wieder mit meinen verschlungen hatte, meinte er: „Voll gut.“

„Der Name nicht.“

„Wie konnten dir deine Eltern das nur antun?“

„Schauspieler halt!“

„Schauspieler?“

Ich schaute zu ihm auf. „Das musst du für dich behalten. Ich geh damit nicht gern hausieren.“ Das verwirrte ihn. Doch er stimmte meiner Bedingung zu. „Du kennst Georg Maybach und Sibylle Wagner?“

Felix blieb stehen. Dann brach er in furchtbares Gelächter aus.

„Was soll das?“

Er konnte sich kaum beruhigen, was mich irritierte. Kurz darauf fing er sich. „Georg Maybach habe ich noch nicht persönlich kennengelernt, wobei ich ein großer Fan bin. Bei Sibylle ist das etwas anderes.“

„Du kennst meine Mutter?!“

„Wir sind uns vor ein paar Jahren bei einer Charity Veranstaltung begegnet.“

„Und wieso hat sie mir nie davon erzählt?!“

Felix presste seine Lippen aufeinander. Er stand kurz vor einem weiteren Lachflash. Das bedeutete dann wohl... Oh, nein! Ich wollte im Erdboden versinken!

„Das hat sie nicht gemacht?“

„Oh, doch. Leider hatte ich zu der Zeit eine Freundin, weshalb ich deine Nummer nicht annehmen konnte.“

„Felix!“, jammerte ich los und schlug ich mir die Hände vors Gesicht. Wie peinlich war das denn?

„Im Endeffekt würde ich mich gern selbst ohrfeigen. Ich hätte mir zumindest mal ein Foto von dir zeigen lassen sollen. Das hätte mir viel Zeit erspart, dich zu finden.“

Ich schubste ihn energisch. „Das macht es nicht besser. Sie wollte uns verkuppeln!“

„Ach. Schwamm drüber.“

Kapitel 6

Felix

Ich sah Toni an, dass sie nun etwas gehemmt war. Schnell lenkte ich unser Gespräch auf etwas anderes. „Du bist Halbberlinerin und Halbstuttgarterin. Wie kommt’s?“

Ich hatte gehofft, dass dieses Thema unverfänglicher wäre. Doch da irrte ich mich. Ihre Miene verschloss sich nun vollkommen. Sie distanzierte sich auch körperlich von mir. Eine gefühlte Ewigkeit liefen wir so die Straße entlang. Mit den Händen in den Taschen. Eine Armlänge voneinander entfernt.

„Kann ich dich was fragen?“

Ich erwiderte ihren Blick. „Klar.“

„Für wen hast du das Lied geschrieben?“

Mit allem hatte ich gerechnet, doch nicht damit. Toni schaute mich unumwunden an. Ihr war dies wohl wichtig, weshalb ich mit meinen Prinzipien brach. Warum auch immer, denn normalerweise offenbarte ich meinen Fans keine privaten Dinge. „Für meinen Sohn.“ Sie wirkte nicht überrascht. „Das war deine Vermutung, richtig?“

„Ehrlich gesagt.... zuerst habe ich gedacht, dass es für deine Freundin sei. Aber der Tenor war so anders. Mein Vater meint, dass ihn dieser Song an all die Gefühle erinnert, die nach meiner Geburt auf ihn eingeströmt sind. Dass er dieses Innehalten und Resümeeziehen kennt.“

„Das hat mein Vater auch gesagt.“ Mein Geständnis zauberte ein kleines Lächeln auf ihre Lippen. Vielleicht war es dumm von mir, aber ich wollte ihr mehr erzählen. „Dennis ist fünf. Wegen ihm hab ich eine Wohnung in Berlin.“

„Zurzeit siehst du ihn aber nicht viel oder?“

„Ich versuche, mir trotzdem die Zeit zu nehmen. Gott sei Dank spielt meine Ex da mit. Unsere Beziehung ist in die Brüche gegangen, weil sie mit meinem Leben nicht mehr klarkam.“

„Da ist sie schon eine bessere Mutter als meine.“

„Wie meinst du das?“

Toni entrang ein tiefer Seufzer. Ich befürchtete, dass sie mir nicht antworten würde. Doch sie deutete mit ihrem Kopf auf eine Bank.

„Mein Vater war drogen- und alkoholabhängig. Ich wusste das lange Zeit nicht.“ Sie schaute auf ihre Hände in ihrem Schoss hinunter. „Für meine Eltern veränderte sich viel, nachdem sie von der Schwangerschaft erfahren haben. Meine Mutter begriff, dass sie nicht bei meinem Vater bleiben konnte, wenn er nicht an sich arbeitete. Er war auch dazu bereit, nur war es für ihn äußerst schwer, vom Alkohol wegzukommen. Er brauchte mehrere Therapien und mehr als ein Jahrzehnt.“ Toni beobachtete den Verkehr. Danach blickte sie mich an. „Als ich zwei Jahre alt war, hatte meine Mutter eine Affäre mit einem Kollegen am Theater. Sie wurde nach kurzer Zeit schwanger und hat die Scheidung eingereicht. Sie bekam das Sorgerecht zugesprochen und erwirkte ein Kontaktverbot. Mein Vater durfte mich nach der Verfügung erst wiedersehen, wenn er nachweislich trocken war.“

„Scheiße. Das hat bestimmt alles nur noch schlimmer gemacht.“

„Hat es. Mein Onkel und meine Tante haben dafür gekämpft, dass er sich selbst nicht aufgibt. Schlussendlich hat er es geschafft. Inzwischen ist er fast zwanzig Jahre trocken.“

„War bestimmt ein harter Weg.“

„Das ist sogar noch untertrieben, wenn ich meinem Vater glauben darf. Für meine Mutter war‘s auch schwer. Der Mann, den sie liebte, verschwand immer mehr und ich sollte nicht in diesem Sumpf versinken. Jetzt würde sie vieles anders machen. Vor allem das Kontaktverbot bereut sie. Aber damals dachte sie, dass es das Richtige sei.“ Sie schwieg. „Dein Song hat für mich eine persönliche Bedeutung.“

„Wieso? Musst du an deinen Vater denken?“

„Ja.“ Ich hörte, wie sie schluckte. „Ich war in meiner Pubertät ein Monster. Gerade meiner Mutter gegenüber. Ich gab ihr an allem die Schuld. Es war egal, was sie sagte oder tat, ich verurteilte sie. An meinem fünfzehnten Geburtstag eskalierte alles.“ Tonis Blick fixierte etwas in der Ferne. Es schien so, als wenn sie diesen Tag in ihren Gedanken noch einmal durchlebte. „Sie hatte sich richtig Mühe gegeben und eine kleine Überraschungsparty für mich organisiert. Nur meine besten Freunde und meine Familie. Allerdings hatte sie eine Person nicht eingeladen.“

„Deinen Vater.“

Sie nickte. „Mir waren die anderen so egal. Ich wollte nur ihn sehen. Und selbst das hatte sie mir zu meinem Geburtstag verwehrt. Wir stritten uns. Schlimmer als jemals zuvor. Und dann sagte sie es.“ Toni wischte sich eine Träne weg. „Sie sagte, dass sie das Ganze nicht mehr ertrug. Und ich meine Sachen packen sollte. Dass sie mich nicht wiedersehen wollte.“

„Das hat sie sicher nicht so gemeint.“ Ich legte meinen Arm um ihre Schulter und drückte sie vorsichtig an mich.

„Doch. In dieser einen Sekunde hat sie es genauso gemeint. Ich kann es ihr nicht mal verübeln.“ Ich spürte ihren zittrigen Atem an meinem Hals. „Warum erzähle ich dir das überhaupt?“

„Du bist nicht die Einzige mit einer verkorksten Kindheit.“

„Deswegen mag ich deine Songs so.“

„Und warum musst du bei dem Lied an deinen Vater denken?“

„Weil er mich wieder heil gemacht hat. Auch wenn das abgedroschen klingt.“

„Er hat dich einfach so aufgenommen?“

„Na ja, nicht einfach so. Nachdem ich vor seiner Tür stand, hat er meine Mutter angerufen, um ihr zu sagen, dass ich bei ihm sei.“

„Weil er wusste, dass sie sich Sorgen um dich macht.“

„Ja. Und danach haben wir geredet. Fast die ganze Nacht. Er hat nichts beschönigt, seine Fehler zugegeben und mir die Augen geöffnet. Wenn meine Mutter ehrlich zu mir gewesen wäre, dann wäre unser Verhältnis mit Sicherheit nicht so angespannt gewesen. Ich bin danach zu meinem Vater gezogen. Meine Mutter und ich brauchten eine Pause. Irgendwann schlug er vor, uns mal zu treffen. Damit wir uns einander wieder annähern konnten. Ich vermisste sie schrecklich. So wie sie mich.“

„Hat wohl funktioniert.“

„Ja, hat es. Auch bei meinen Eltern. Inzwischen glaube ich sogar, dass sie feste Telefondates haben, bei denen sie ihre Informationen über mich austauschen.“

Das erinnerte mich an meine Eltern, was mich zum Lachen brachte. „Dabei ist dein Vater sicher besser informiert als deine Mutter.“

„Nicht immer. Zurzeit hat meine Mom die Nase vorn.“

„Inwieweit?“

„Mein Dad hat das Video noch nicht gesehen.“

„Das ist natürlich blöd für ihn.“

„So ist das eben mit Künstlern. Wenn sie arbeiten, gehen sie darin vollkommen auf und vergessen ihre Umwelt. Wollen wir weiter?“

Mir gefiel es gar nicht, dass sich Toni von mir löste und aufstand. Sie blieb vor mir stehen und reichte mir ihre Hand.

Ich hatte nicht bemerkt, dass wir so nah an der U-Bahnstation gewesen waren. Toni führte uns ohne Umwege zum richtigen Gleis, an dem nur Minuten später unsere Bahn einfuhr.

Ich konnte mich noch nicht von unserem Gespräch loseisen. Zu viele Dinge flogen mir durch den Kopf. Offene Fragen, die Antworten brauchten.

„Bist du deshalb so wählerisch?“

„Hm? Beim Essen?“