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Beschreibung

Der vorliegende Band enthält die schriftlichen Fassungen der Vorträge, die im Rahmen der Sektion 2 – Zwischen den Texten: Die Übersetzung an der Schnittstelle von Sprach- und Kulturwissenschaft – auf dem 9. Frankoromanistenkongress vom 24.-27.9.2014 in Münster gehalten wurden. Die Beiträge beziehen sich im Kontext der Übersetzung, verstanden als Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Sprachen und Kulturen, auf zwei thematische Bereiche: Zum einen wird die Übersetzung als Resultat sprachlicher Entscheidungsprozesse und als Gegenstand des interkulturellen Sprachvergleichs in den Mittelpunkt gestellt. Dies geschieht vor allem am Beispiel literarischer Übersetzungen. Den zweiten Schwerpunkt dieses Bandes bildet die Frage nach dem Einfluss der Übersetzungstätigkeit auf die Herausbildung der französischen Kultursprache. Dieser thematische Komplex umfasst die Behandlung unterschiedlicher Textsorten im interkulturellen Vergleich. Ein Beitrag ist der Rolle von Sprachvergleich und Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht gewidmet.

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Seitenzahl: 362

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Table of Contents

Title Page

Vorwort

Übersetzungsstrategien fingierter Mündlichkeit am Beispiel von Christine Nöstlingers Jugendroman Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse

Un type de linéarisation marquée en allemand et sa traduction en français

Zur Übersetzung mehrsprachiger historischer Romane ins Französische am Beispiel von Andrea Camilleris Il birraio di Preston und Il re di Girgenti

Mille milliards de mille sabords ! La traduction de la bande dessinée à l’exemple des insultes et jurons du capitaine Haddock

Der Blick des Übersetzers und die Aspektualität in deutsch-französischen und französisch-deutschen literarischen Übersetzungen

Aussi laides que fidèles? Nähesprachliche französische Syntax in der literarischen Übersetzung

Les phrases clivées de l’italien en contact avec le français. Une analyse basée sur les textes diffusés sur le portail swissinfo.ch

Operndeutsch und Opernfranzösisch. Zwei Sprachvarietäten im Spiegel normativ-präskriptiver Übersetzungskritik

Warum wir mittelalterliche Fachtexte nicht ‚lesen‘ können – der moderne Leser und das mittelalterliche Fachwort

Zwischen Übersetzung und Adaptation: Tourismuswerbung im Vergleich (Spanisch-Französisch-Deutsch)

Transkription Werbespots Spanisch – Französisch – Deutsch

Interkulturalität erfassen. Eine linguistische Analyse mittels Kontrastierung von französischen und deutschen Zeitungsartikeln

Durch welche typologischen Merkmale sollten die Sprachobjekte gekennzeichnet sein, die gegenübergestellt werden?

Sprachmittlung – alter Wein in neuen Schläuchen?

RomSD Romanische Sprachen und ihre Didaktik

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.d-nb.de. ISSN: 1862-2909 ISBN-13: 978-3-8382-6931-3 © ibidem-Verlag

ibidem-Verlag

ibidem-Verlag, Stuttgart

 

 

Vorwort

Der vorliegende Band enthält die schriftlichen Fassungen der Vorträge, die im Rahmen der Sektion 2 – Zwischen den Texten: Die Übersetzung an der Schnitt­stelle von Sprach- und Kulturwissenschaft – auf dem 9. Frankoromanisten­kongress vom 24.-27.9.2014 in Münster gehalten wurden.

Der Prozess des Übersetzens lässt sich als Annäherung des Übersetzers an den Ausgangstext in einem konkreten historischen und kulturellen Kontext beschreiben, der unterschiedliche Ergebnisse und Bewertungen hervorbringt. Die zentrale Frage nicht nur für literarische Übersetzungen ist die einer wahlweise Ausgangs- oder Zieltext-orientierten Herangehensweise (‚belles infidèles‘ vs. ‚Verfremdung‘) (Schreiber 2006, 19). Beide Ansätze, eingeschlossen die jeweils unterschiedliche ‚Sichtbarkeit‘ des Übersetzers im Verhältnis zum Autor, lassen sich für den französischen Sprachraum, mit Übergängen und Abwandlungen, jeweils bestimmten historischen Perioden zuordnen (Venuti 1995, 5).

Die Beschäftigung mit der Übersetzung umfasst gleichzeitig den translatori­schen Prozess und dessen Ergebnis. Als Kriterium einer gelungenen Überset­zung gilt die ‚Äquivalenz‘, ein Konzept, das aufgrund seiner Oszillation zwi­schen Form und Funktion kaum als verlässliches Definiendum taugt und dessen Verständnis außerdem einem historischen Wandel unterliegt. Zugleich existie­ren im Sprachvergleich für einzelne Sprachenpaare, wie z.B. Deutsch und Französisch, Stereotypen der Divergenz, die auch den Übersetzungsprozess beeinflussen.

Die hier abgedruckten Beiträge beziehen sich im Kontext der Übersetzung auf zwei thematische Bereiche: Die Übersetzung als Resultat sprachlicher Entscheidungsprozesse und Gegenstand des interkulturellen Sprachvergleichs sowie der Einfluss der Übersetzungstätigkeit auf die Herausbildung der französischen Kultursprache.

Der erste Bereich ist eng mit der Übersetzung literarischer Texte verbunden, die den Gegenstand mehrerer Beiträge dieses Bandes bildet. Einige dieser Beiträge haben eine autorenspezifische Perspektive. Cordula Neis (Flensburg) illustriert am Beispiel eines Werkes der österreichischen Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger stilistische Besonderheiten und Äquivalenzbedingungen der deutsch-französischen Übersetzung im Bereich fingierter Mündlichkeit. Auch im Beitrag von Martina Nicklaus (Düsseldorf) steht mit dem Roman der deutschen Autorin Julia Franck Die Mittagsfrau und dessen französischer Übersetzung ein einzelnes Werk im Mittelpunkt, die Perspektive wird jedoch durch die Konzentration auf typische Beispiele informationsstrukturell markierter Wortstellung als zwar autorenspezifisches, aber grundsätzlich in der deutschen Syntax rekurrentes syntaktisches Merkmal erweitert. Daher ergeben sich über den Einzeltext hinausgehende Aussagen für das Französische. Die Problematik der Übersetzung dialektaler und mehrsprachiger Literatur stellt Vivien Könnemann (Halle) am Beispiel zweier historischer Romane des Sizilianers Andrea Camilleri und deren französischer Übersetzung in den Mittelpunkt, während Anna Ewig (Münster) die Übersetzung von Kraftausdrücken in deutschen Übersetzungen der Comicserie Tintin untersucht.

Der Beitrag von Gerda Haßler (Potsdam) nimmt den Bereich der Aspektualität als in einigen Sprachen grammatisch, in anderen überwiegend lexikalisch kodierte Kategorie in den Blick. An Beispielen aus mehreren deutsch- und französischsprachigen literarischen Werken arbeitet sie die unterschiedlichen Zwänge und Möglichkeiten der Übersetzung heraus, die sich jeweils beim Französischen und Deutschen als Ausgangs- und Zielsprache ergeben. Georgia Veldre-Gerner (Münster) thematisiert in ihrem Beitrag mit der Rechtsdislokation eine syntaktische Konstruktion, die im Deutschen und Französischen (sowie im Italienischen) grundsätzlich vergleichbar ist, deren detaillierte Analyse auf der Basis eines literarischen Korpus jedoch für das Französische als Ausgangssprache die Notwendigkeit und Möglichkeit von Übersetzungen jenseits formaler Äquivalenz zeigt.

Der Einfluss der Übersetzertätigkeit und des damit verbundenen Kulturkontakts auf die Herausbildung einer Kultursprache ist Gegenstand mehrerer Beiträge, in deren Mittelpunkt der interkulturelle Vergleich einer bestimmten Textsorte steht. Anna-Maria De Cesare (Basel) untersucht am Beispiel von Pressetexten des Schweizer Internetportals swissinfo.ch die Entlehnung syntaktischer Strukturen aus dem Französischen ins Italienische. Dazu vergleicht sie die Form und Frequenz des Spaltsatzes in italienischen Originaltexten mit derjenigen in aus dem Französischen übersetzten Texten sowie in französischen Originaltexten. Mario Agnetta (Saarbrücken) diskutiert in seinem Beitrag den Einfluss der Übersetzungstätigkeit auf die Herausbildung des sogenannten ‚Librettoidioms‘ am Beispiel sprachlicher Charakteristika des ‚Operndeutsch‘ und ‚Opernfranzösisch‘. Dass interkultureller Vergleich und Übersetzung auch auf intralingualer Ebene grundlegende Voraussetzungen für die Interpretation und Rezeption von Texten sein können, zeigt Yela Schauwecker (Stuttgart) am Beispiel mittelalterlicher Fachtexte auf, die sich durch die Alterität ihrer Epistemologie von modernen naturwissenschaftlichen Fachtexten unterscheiden. Sie stellt die Lektüre eines mittelalterlichen Fachtextes als ‚interkulturelle Fachkommunikation‘ zwischen mittelalterlichem Autor und modernem Leser sowie als ‚Übersetzung‘ zwischen zwei unterschiedlichen epistemologischen Welten dar.

Kulturtransfer steht auch im Mittelpunkt des Beitrags von Uta Helfrich (Göttingen), die die internationale Tourismus-Werbekampagne der staatlichen spanischen Institution Turespaña – I need Spain – im Hinblick auf multimodale, d.h. sowohl interlinguale als auch intersemiotische, Adaptationsprozesse untersucht. Sie weist durch einen Vergleich der spanischen Originalfassungen mit ihren französischen und deutschen Übersetzungen bzw. Adaptationen nach, dass die verbalen einzelsprachlichen Divergenzen des Translats im Vergleich zur Ausgangssprache im Französischen größer sind als im Deutschen, während die visuelle und auditive Ebene zwischen Ausgangs- und Zielkulturen weitgehend de­ckungsgleich sind. Livia Gaudino Fallegger (Gießen) stellt auf der Basis eines exemplarischen Paralleltextvergleichs die Frage, ob Erkenntnisse aus kontrastiv-linguistischen Untersuchungen zur Erforschung interkultureller Fragestellungen fruchtbar gemacht werden können. Ausgehend von Konzepten der Diskursanalyse und Pragmatik arbeitet sie diskursintrinsische Symmetrien und Asymme­trien zwischen informativen französischen und deutschen Zeitungsartikeln heraus und stellt die Hypothese auf, dass im französischen und deutschen Kulturkreis unterschiedliche Erwartungen der Rezipienten existieren in Bezug auf die Frage, wie Information in Zeitungsartikeln verwaltet und präsentiert wird.

Der Band schließt mit einem Beitrag von Sylvia Thiele (Mainz), die sich mit der Rolle des Sprachvergleichs und der Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht auseinandersetzt. Auf der Basis einer kritischen Auseinandersetzung mit Sprachmittlungsaufgaben aus verschiedenen Lehrwerken kommt sie zu dem Schluss, dass es sich bei Sprachmittlung um einen komplexen Aufgabentyp handelt, für den geeignete Analyse- und Evaluationskriterien erarbeitet werden müssen, da sich ein singuläres Messen und Überprüfen von Kompetenzen als schwierig gestaltet und den Anforderungen dieses Aufgabentyps nicht gerecht wird.

Wir danken Anna-Lena Düffels und Anna Ewig für die redaktionelle Mitarbeit an diesem Band und Valerie Lange vom ibidem-Verlag für die verlegerische Betreuung. Michael Frings, Andre Klump und Sylvia Thiele danken wir für die Aufnahme des Bandes in die Reihe Romanische Sprachen und ihre Didaktik.

 

Christina Ossenkop (Münster) Georgia Veldre-Gerner (Münster)

April 2016

Bibliographie

Schreiber, M. (2006): Grundlagen der Übersetzungswissenschaft. Tübingen: Niemeyer.

Venuti, L. (1995): The translators invisibility: A History of Translation. London: Routledge.

 

Übersetzungsstrategien fingierter Mündlichkeit am Beispiel von Christine Nöstlingers Jugendroman Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse

Cordula Neis (Flensburg)

La traduction d’un texte représente indubitablement un grand défi à plusieurs niveaux. Souvent, le passage d’une langue source à une langue cible ne s’accomplit qu’au prix d’un éloignement considérable du sens initial. Outre les problèmes multiples posés par l’usage des métaphores et par le traitement des particularités culturelles, qui sont typiques de la langue de départ mais ignorées par la culture de la langue cible, le phénomène de l’oralité simulée rend encore plus ardue la tâche du traducteur.

Le concept de l’oralité simulée a été créé par Paul Goetsch qui la caractérise comme élément constitutif du style et comme stratégie narrative délibérément utilisée par les auteurs pour créer une ambiance particulière, pour conférer une couleur typiquement locale aux caractères et aux circonstances d’un texte narratif.

Afin d’illustrer le problème de l’oralité simulée nous nous consacrerons ici à l’analyse d’un livre pour enfants de la célèbre auteure autrichienne Christine Nöstlinger, notamment son Môme en conserve, publié en 1975.L’analyse de quelques passages choisis nous donnera l’occasion de vérifier à quel point et comment des éléments caractérisés par l’oralité simulée peuvent être conservés dans la langue cible.

0. Präliminarien

Die Übersetzung eines Textes in eine andere Sprache stellt zweifelsohne eine besondere Herausforderung an die Übersetzungspraxis dar. Nicht selten führt sie zu Ergebnissen, bei denen sich teilweise eine deutliche Entfernung des Zieltextes vom Ausgangstext konstatieren lässt. Man denke in diesem Zusammenhang etwa an das bekannte italienische Sprichwort traduttore, traditore, das den Übersetzer als ‚Verräter‘ am Originaltext ausweist. Ebenso ungetreu nehmen sich etwa die belles infidèles im Frankreich des 17. Jahrhunderts mit ihrem allzu großzügigen Tribut an den damaligen Zeitgeist der bienséance und Stilisierung aus (vgl. Albrecht 1998, 76-83; von Stackelberg 2013, 13; 90-105). Sollte die Übersetzung per se etwa ein ‚Verrat‘ am Ausgangstext sein? Und eine Übersetzung, die auf einem Ausgangstext beruht, der Merkmale sogenannter fingierter Mündlichkeit aufweist, etwa ein doppelter Verrat, wenn man, ausgehend von einer der Wortbedeutungen des lateinischen Verbs fingere, an Vorspiegelung falscher Tatsachen, Täuschungsmanöver oder gar Betrug denkt (vgl. in diesem Sinne die Kritik von Freunek 2007, 27; Andújar & Brumme 2010, 7)?

1. Fingierte Mündlichkeit als theoretisches Grundproblem

Im Folgenden sollen die Ausdrücke ‚fingierte Mündlichkeit‘ oder ‚fingierte Oralität‘ jedoch keineswegs mit Täuschungsmanövern assoziiert werden. Vielmehr möchten wir das lateinische Verb fingere in diesem Zusammenhang im Sinne seiner Bedeutung von ‚erdichten‘ verstehen. Bei ‚fingierter Mündlichkeit‘ handelt es sich um eine fiktionale narrative Form des Erzählens. Diese narrative Form der Mündlichkeit unterscheidet sich von der alltagssprachlichen oder mundanen Mündlichkeit durch bestimmte Charakteristika.

Das Konzept der fingierten Mündlichkeit wurde bereits 1985 von dem Freiburger Anglisten Paul Goetsch entwickelt. Goetsch postuliert, dass „Mündlichkeit in geschriebenen Texten nie mehr sie selbst, sondern stets fingiert“ sei (Goetsch 1985, 202). Für Goetsch ist die Verwendung von Mündlichkeit in narrativen Texten als eine „Komponente des Schreibstils und oft auch der bewussten Schreibstrategie des jeweiligen Autors“ (ibid.) anzusehen. Fingierte Mündlichkeit tritt an gewissen Stellen erzählender Texte als ein in stilistischer Hinsicht auffälliges Strukturelement in Erscheinung. Sie tritt insbesondere im realistisch naturalistischen Roman, aber auch in anderen literarischen Texten auf. Dort wird sie als Stilelement und als rhetorische Strategie benutzt, um bestimmten Charakteren und Situationen ihren eigentümlichen Charakter und ihr individuelles Kolorit zu verleihen. Im Gegensatz zu Formen von Mündlichkeit der Alltagskommunikation muss bei fingierter Mündlichkeit aber stets auch ihr Bezug zur Schriftlichkeit gesehen werden (vgl. ibid., 203).

Äußerungen in fingierter Mündlichkeit stehen zweifelsohne in engem Bezug zu alltäglicher Kommunikation, sind aber keineswegs deren Abbilder (vgl. Freunek 2007, 26). Der Germanist Johannes Schwitalla und seine finnische Kollegin Liisa Tiittula, die sich intensiv mit den Eigenheiten gesprochener Sprache und dem Problem ihrer Übersetzung befasst haben, kommen gar zu dem Schluss:

Überhaupt wollen wir bei dieser Gelegenheit einmal sagen, dass die möglichst genaue Abbildung von Alltagssprache nicht eo ipso etwas mit der Qualität eines literarischen Werkes zu tun hat. Die moderne Literatur basiert nicht auf Mimesis. (Schwitalla & Tiittula 2009, 19)

Texte, die durch fingierte Mündlichkeit gekennzeichnet sind, sind also keine Transkriptionen gesprochener Alltagssprache. Vielmehr handelt es sich um stilisierte Manifestationen gesprochener Sprache, die im Medium geschriebener Sprache präsentiert werden. Dabei wird in narrativen Texten keineswegs das gesamte Spektrum der Charakteristika gesprochener Sprache ausgeschöpft, sondern nur eine Auswahl getroffen. Fingierte Rede wählt nur wenige Elemente gesprochener Sprache aus, die sich durch Wiederholung und Zuspitzung kennzeichnen lassen (vgl. ibid., 20-21).

Das Auftreten fingierter Mündlichkeit in literarischen Texten ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Sie dient als Mittel zur Schaffung einer Illusion von Realität und Authentizität. Ihre Effektivität gewinnt fingierte Mündlichkeit gerade dadurch, dass der Autor Möglichkeiten der Sprache der Distanz im Sinne von Koch/Oesterreicher (vgl. Koch & Oesterreicher 1985; 1990) wie erhöhten Planungsgrad, Komprimierung, Auswahl und Zuspitzung der jeweiligen sprachlichen Mittel auswählt und auf diese Weise die Merkmale der Sprache der Nähe besonders deutlich hervortreten lässt (vgl. Goetsch 1985, 213; Tannen 1980, 209). Es geht also bei fingierter Mündlichkeit nicht darum, additiv in einem Text möglichst viele Einzelmerkmale gesprochener Sprache zu versammeln, sondern um die „Herstellung einer Illusion der Nähe“ (Goetsch 1985, 217). Goetsch schreibt dazu weiter:

Im Gegensatz zu anderen Arten der Schriftlichkeit strebt schriftliches Erzählen nämlich nicht danach, den Leser durch einen hohen Reflexions- und Abstraktionsgrad, durch Objektivität oder durch logische Argumente zu überzeugen. Vielmehr will es den Leser zur Lektüre bewegen, ihn fesseln, seine Phantasietätigkeit anregen und ihm Identifikationsangebote machen. Vor allem aber will es ihn zur Konstituierung der Erzählwelt im Akt des Lesens auffordern. Zu diesem Zweck setzt schriftliches Erzählen auch ganz gezielt die Illusionswirkung ein, die von fingierter Mündlichkeit und einer entsprechenden Kommunikationssituation ausgeht. (ibid., 217-218)

2. Probleme der Übersetzung von Mündlichkeit

Für die Übersetzung von Mündlichkeit ergeben sich eine Reihe komplexer Pro­blemfelder. So kann es beim Übersetzungsprozess etwa zu Konflikten zwischen den Sprachnormen der Ausgangssprache und der Zielsprache kommen. Beispielsweise können Ausgangssprache und Zielsprache etwa im Hinblick auf ihre literarische Tradition voneinander abweichen. Die Stellung der gesprochenen Varietäten kann in der Ausgangs- und in der Zielsprache unterschiedlich bewertet werden. Auch die Einstellung der Sprachbenutzer im Hinblick auf gesprochene Sprache kann in den Ländern der Ausgangs- und der Zielsprache differieren (vgl. Schwitalla & Tiittula 2009, 34). Es können sich Probleme bei der Wiedergabe von Dialekten ergeben. Es kann, wie etwa im Falle des Deutschen, wo Theodor Siebs’ (1862-1941) Werk Deutsche Bühnenaussprache von 1898 normativ und die Verwendung von Dialekten traditionell verpönt war (vgl. ibid., 28-29), zu Konfliktsituationen bei der Verwendung informellerer mündlicher Varietäten kommen. Zusätzlich sind grundsätzliche Probleme des Übersetzungsprozesses in Rechnung zu stellen, wie etwa die Frage, ob der Übersetzer selbst eine Reproduktion des Originaltextes zu liefern habe oder ob er im Sinne künstlerischer Freiheit seiner Übersetzung ein individuelles Gepräge zu verleihen vermag. Darüber hinaus muss sich der Übersetzer zwischen zwei verschiedenen Übersetzungsstrategien entscheiden, nämlich zwischen der Anpassung oder der Nicht-Anpassung an die Normen der Zielsprache und Zielkultur. Er muss also wissen, ob er eine einbürgernde oder eine verfremdende Übersetzung wählen möchte (vgl. Albrecht 1998, 69-76; Schwitalla & Tiittula 2009, 35-36). Bei der einbürgernden Übersetzung würde er eher versuchen, einen Text zu produzieren, der sich wie ein Original liest. Dies ist häufig der Fall bei Kinderbüchern, wo beispielsweise oftmals Namen übersetzt werden. Im Hinblick auf die Behandlung von Mündlichkeit würde die einbürgernde Übersetzung bedeuten, dass der Übersetzer die Figurenrede in Analogie zur literarischen Tradition der Zielkultur gestaltet. Bei einer verfremdenden Übersetzung wären dagegen im Text der Zielsprache die Charakteristika der fremden Sprache und Kultur sichtbar. Der Übersetzer wird nun, abhängig vom Charakter des jeweiligen Textes, eine vermittelnde Position zwischen beiden Strategien auswählen müssen.

Zweifelsohne ergeben sich bei der Übersetzung von Kinderbüchern im Vergleich zur Übersetzung von Erwachsenenliteratur zusätzliche Herausforderungen. Rieken-Gerwing (1995), die der Frage nach der Existenz einer „Spezifik kinderliterarischen Übersetzens“ nachgeht, beschreibt zahlreiche Problemfelder, mit denen der Übersetzer von Kinder- und Jugendliteratur konfrontiert wird. In einem kurzen Abriss der wichtigsten Positionen zu dieser Thematik (Rieken-Gerwing 1995, 84-90) betont sie mit Bamberger (1963) die Notwendigkeit einer besonderen schriftstellerischen und künstlerischen Begabung des Übersetzers von Kinderliteratur, der zudem auch noch über „schöpferisches Talent“ verfügen müsse (Rieken-Gerwing 1995, 85). Ein zusätzliches Hindernis resultiert aus der Asymmetrie des Übersetzungsprozesses. Da weder Sprachkompetenz noch Lesefertigkeit der Kinder bereits vollständig entwickelt sind, muss der Übersetzer, der noch dazu über das größere Weltwissen und die größere Lebenserfahrung verfügt, die Sprache der Kinder beherrschen und verwenden können (vgl. ibid., 87-88). Bedingt durch die Asymmetrie zwischen kindlichen kognitiven, sprachlichen und sozialen Kompetenzen einerseits1 und den Kompetenzen des erwachsenen Übersetzers andererseits entsteht ein Gefälle, das dieser durch eine besondere Orientierung am Rezipienten kompensieren muss (vgl. ibid., 90). So zeichnet sich Kinderliteratur im Unterschied zu Erwachsenenliteratur gerade durch ihre Orientierung am Rezipienten aus, was den Übersetzer eher zu einbürgernden als zu verfremdenden Übersetzungsstrategien greifen lässt. Dennoch wird auch bei Kinderbuch-Übersetzungen keineswegs eine vollkommene Anpassung aller Kulturspezifika an die Kultur des Zielsprachenlandes vorgenommen (vgl. Fischer 2006, 184-192). Da insbesondere Übersetzungen von Kinder- und Jugendliteratur einen wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung darstellen, gilt in diesem Falle als oberste Maxime die Texttreue und der weitgehende Verzicht auf Adaptionen, um gerade die Alterität der übersetzten Ausgangssprache und Kultur hervorzuheben (vgl. Rieken-Gerwing 1995, 91-92).

Tendenziell sind Übersetzungen im Hinblick auf die Norm konservativer als die Originalwerke. Allerdings kann es unter Umständen erforderlich sein, dass bestimmte Sprachmuster der Ausgangssprache durch andere sprachliche Verfahren in der Zielsprache kompensiert werden müssen. In diesem Zusammenhang sei etwa beispielsweise an das Problem der Übersetzung deutscher Modalpartikeln in romanischen Sprachen (vgl. Beerbom 1992; Fischer 2006, 243-248) gedacht, mit dem wir uns in unserem Beispieltext näher befassen werden. Bei der Übersetzung fingierter Mündlichkeit ergibt sich zusätzlich das Problem, dass der Übersetzer die vom Autor beabsichtigte Illusion der Mündlichkeit, der Authentizität, der Nähe in die Zielsprache übermitteln muss.

Bei fingierter Mündlichkeit handelt es sich also um eine quasi künstlich nachgestellte, simulierte Art von Mündlichkeit, die als stilistisches Element gezielt eingesetzt wird. Für die Übersetzung dieses Phänomens ergibt sich eine Reihe von Fragestellungen: Wie werden unterschiedliche Register wiedergegeben? Was wird aus bestimmten Stilmitteln wie z.B. Ironie? Wie soll der Übersetzer mit dialektalen Einsprengseln verfahren? Inwieweit lassen sich stilistische Merkmale und der Grundduktus fingierter Mündlichkeit im Zieltext bewahren? Verwenden unterschiedliche Sprachen unterschiedliche Strategien der Versprachlichung, wenn fingierte Mündlichkeit in Erscheinung tritt?

3. Christine Nöstlingers Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse (1975)

3.1. Zur allgemeinen Einordnung des Textes

Zur Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen wollen wir uns einem Text zuwenden, der gewissermaßen einen Sonderfall fingierter Mündlichkeit darstellt. Es handelt sich um das Buch Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse der mehrfach preisgekrönten österreichischen Kinder- und Jugendbuchautorin Christine Nöstlinger (geboren 1936). Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse ist im Jahr 1975 im Oetinger Verlag zu Hamburg erschienen, wurde 1976 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und in bisher insgesamt 21 Sprachen übersetzt. Das Buch wird für Kinder ab einem Alter von 9 Jahren empfohlen.

Die Wahl eines Kinder- und Jugendbuches wie diesem stellt deswegen einen Sonderfall fingierter Mündlichkeit dar, weil bereits die Autorin selbst versucht, die Sprache der Kinder nachzudichten und nachzuempfinden, und sich für den Übersetzer nicht nur das Problem stellt, gesprochene Sprache als solche wiederzugeben, sondern auch Besonderheiten gesprochener kindlicher Sprache, garniert mit den für den Personalstil dieser Autorin charakteristischen Merkmalen.

Bevor exemplarisch Probleme der Übersetzung an einem Kinder- und Jugendbuch Nöstlingers aufgezeigt werden, soll an dieser Stelle eine kurze Einordnung dieser Autorin und ihres kinder- und jugendliterarischen Werkes vorgenommen werden.

Christine Nöstlinger, die sich selbst als wildes und wütendes Kind beschreibt (vgl. Nöstlinger 1996, 5-6), beginnt ihr literarisches Schaffen in einer Zeit, in der Kinder- und Jugendliteratur in der ehemaligen Bundesrepublik zusehends als Teil der allgemeinen Literatur anerkannt wurde (vgl. Lypp 2000b, 828-829). In den Büchern der damaligen Zeit, so wie beispielsweise auch in Nöstlingers Erfolgswerk Wir pfeifen auf den Gurkenkönig von 1972 (vgl. Kümmerling-Meibauer 1999, 789-790; Fischer 2006; von Vegesack-Boßung 1978; Daubert 2000, 687), geht es um die Sozialisation des Kindes und seine Integration in die gesellschaftliche Wirklichkeit (vgl. Ewers 2000a; Ewers 2000b, 5; Gelberg 2005, 20-21). Die Kinder- und Jugendliteratur der Zeit, so auch Nöstlingers Werke, werden aus einer antiautoritären Perspektive geschrieben (vgl. Mattenklott 1989, 17). Ziel ist es, Kinder als Teilhaber am Sozialisationsprozess zu begreifen und mithilfe der Literatur ihre Kompetenzen für das Verständnis von Konflikten zu entwickeln (vgl. Daubert 2000, 685; Kümmerling-Meibauer 2012, 71). In gewisser Weise steht die Kinder- und Jugendliteratur der siebziger Jahre im Zeichen einer Renaissance der Aufklärung. Das Kind wird als eigenständiges, mündiges Wesen aufgefasst, das aktiv in die soziale Wirklichkeit eingreifen kann und soll.

Typisch für Nöstlingers Bücher sind antiautoritäre und bisweilen auch antipädagogische Tendenzen (vgl. Stoyan & Spinner & Németh 1998, 73-74; Fischer 2006, 222),2 die Vorliebe für unkonventionelles, nicht normkonformes Verhalten sowie ihr Kampf um Respekt und Akzeptanz der kindlichen Persönlichkeit. Der neue Realismus der Kinder- und Jugendbuchliteratur der siebziger Jahre wendet sich insbesondere der Behandlung gesellschaftlicher Tabuthemen wie etwa Scheidung der Eltern, Sexualität oder Pubertätsproblemen zu (vgl. Kümmerling-Meibauer 2012, 72). Diese Aspekte durchziehen auch das Werk Christine Nöstlingers. In diesem Sinne ist beispielsweise etwa die in Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse vorgebrachte Kritik an den zu dieser Zeit gerade entstehenden medizinischen Verfahren künstlicher Reproduktion zu verstehen (vgl. Lypp 2000a, 112-113).

3.2. Inhalt von Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse

Der Inhalt dieses unterhaltsamen Buches ist schnell erzählt. Frau Bartolotti ist eine unkonventionelle, chaotische Frau, die mit Kindern nicht viel am Hut hat. Die etwas schrullig gezeichnete Frau im besten Alter mit einer Vorliebe für Gratis-Coupons und Probepäckchen trifft fast der Schlag, als aus einem dieser Päckchen ihr künftiger Sohn Konrad hinaussteigt. Das Kind wird tatsächlich in einer Konservenbüchse geliefert. Dieser Lieferirrtum entpuppt sich als ein nahezu vollkommenes, perfektes Kind mit besten Manieren, höchsten intellektuellen Fähigkeiten, tadellosem Verhalten und einem grandiosen Sinn für Ordnung, der für die mehr als chaotische Frau Bartolotti äußerst gewöhnungsbedürftig erscheint. Trotz der Verschiedenheit ihrer beider Charaktere gewinnt Frau Bartolotti den kleinen Konrad so lieb, dass sie ihn für sich behalten möchte. Dabei hat sie allerdings die Rechnung ohne die himmelblauen Männchen aus der Konservenfabrik bzw. Reproduktionsklinik gemacht, die die ‚Bestellung Konrad‘ den rechtmäßigen Besitzern zukommen lassen möchten und dabei auch vor Gewaltanwendung nicht zurückschrecken. Mithilfe von Konrads listiger kleiner Freundin Kitti gelingt es aber, die Männer aus der Konservenfabrik in die Flucht zu schlagen. Nachdem der aufmerksame Schüler Konrad von Kitti Unterricht in Flegelhaftigkeit, Aufsässigkeit und schlechtem Benehmen erhalten hat, führt er sich in Gegenwart der potentiellen neuen Eltern, die ja ein ‚perfektes Kind‘ bestellt hatten, so unmöglich auf, dass diese ebenso wie die zahlreich erschienenen Vertreter der Reproduktionsklinik die Flucht ergreifen. Am Ende der Erzählung erhebt sich die Frage, ob normgerechtes Verhalten im Sinne der Erwachsenen wirklich immer ein zu erstrebendes Ideal ist oder ob eine gewisse kindliche Kreativität, Naivität und Spontaneität nicht doch vorzuziehen sei (vgl. Kaminski 1987, 84/89; Fischer 2006, 387).

Die besondere Komik dieser Erzählung verdankt sich der Tatsache, dass der kleine, für seine sieben Jahre reichlich altkluge Konrad seiner – in diesen Dingen gänzlich unbeleckten – Mutter Ratschläge darüber erteilt, wie man mit einem Kind seines Alters als Elternteil umzugehen habe. Durch diese Umkehrung realer Familienverhältnisse entsteht eine Reihe grotesker Situationen, in denen der Humor der Autorin, der eines ihrer auffälligsten Stilmerkmale ist, besonders hervorzutreten vermag (vgl. Stoyan & Spinner & Németh 1998, 75-76; Lypp 2000a, 112-113; Czech 2000, 874-877).

4. Charakteristische Merkmale des Personalstils von Christine Nöstlinger

Eine pointierte und gelungene Kurzcharakteristik des Personalstils von Christine Nöstlinger liefert Inge Wild, die die Wienerin als eine der produktivsten Jugendbuchautorinnen des deutschsprachigen Raumes lobt und ihre Darstellungsweise in Anlehnung an Winfred Kaminski (Kaminski 1987, 89) als „drastischen Realismus“ bezeichnet (Wild 2006, 43). Nach Auffassung Wilds ist es vielleicht „der ‚Wiener Schmäh‘ ihrer Dialogführung und Personenzeichnung, der mit seinem leichten Verfremdungseffekt für bundesrepublikanische Leser ihrem Humor eine spezifische Note, den inzwischen unverwechselbaren ‚Nöstlinger-Ton‘ verleiht“ (ibid.).

Die Autorin Christine Nöstlinger betont selbst die besondere Rolle der Sprache für ihre literarischen Texte:

Mir ist in einem Roman die Sprache sehr wichtig, ich würde sagen, zu 80 Prozent besteht die Literatur für mich aus Sprache. Ein Text muss eine Melodie haben. Ich sage immer: Ich spreche meine Texte nicht vor mich hin, ich murmle sie vor mir her. (Pirker 2007, 90)

Die Tatsache, dass eine Autorin, die so sehr auf ihrer an die Mundart angelehnten Sprache beharrt, im gesamten deutschsprachigen Raum erfolgreich ist, führt Ursula Pirker auf den besonderen Humor in all ihren Texten zurück (vgl. ibid.).

In einem Aufsatz über fingierte Mündlichkeit in der Kinderliteratur am Beispiel der Geschichten vom Franz in spanischen Übersetzungen diesseits und jenseits des Atlantiks resümiert Martin B. Fischer (2010, 43-44) einige charakteristische Züge der Sprache Christine Nöstlingers. Er gibt dabei u.a. folgende Charakteristika an: einfacher Satzbau unter Bevorzugung der Parataxe, gelegentliche Einschübe von Nebensätzen, Verbindung offensichtlich ungleicher Elemente durch Konnektoren, Appositionen, um nähere Informationen über bereits genannte Elemente zu vermitteln, Wiederholungen insbesondere von Eigennamen, Pronomen und Konnektoren, Gebrauch von Modalpartikeln, häufige Verwendung der direkten Rede, Gebrauch des Dativs anstelle des Genitivs, Verwendung von Neologismen, darunter häufig zusammengesetzte Wörter, die ad hoc kreiert werden, Verwendung dialektaler Formen im Bereich der Lexik, Morphologie und Syntax. Weitere typische stilistische Charakteristika dieser Autorin sind ihr Humor, der sich etwa in Situationskomik oder in Wortspielen äußert, oder die Ironie. Zahlreiche Merkmale der von Nöstlinger benutzten Elemente sind, wie Fischer zutreffend feststellt, der ‚Nähesprache‘ im Sinne von Koch/Oesterrei­cher (vgl. Koch & Oesterreicher 1985; 1990) zuzuordnen. Da sich ‚Nähesprache‘ insbesondere in direkter Rede äußert, wählen wir als Beispiele bevorzugt Dialoge aus.

Zu den zentralen Problemen der Übersetzung von Kinder- und Jugendliteratur zählen neben der Behandlung von Kulturspezifika die Wahrung der verschiedenen sprachlichen Register im Zieltext sowie die Übersetzung von Slang und Dialekten. Diese Aspekte sind gerade für die Texte von Christine Nöstlinger von besonderer Relevanz, die sich in ihrem literarischen Œuvre zur Anwältin der kleinen Leute aufschwingt (vgl. Dilewsky 1993, 20) und ihre dramatis personae im Arbeiter- und Kleinbürgermilieu ihrer Heimatstadt Wien ansiedelt. Da die Autorin sehr gerne umgangssprachliche und dialektale Elemente verwendet, weisen viele ihrer Kinderbücher Glossare mit hochdeutschen Übersetzungen lexikalischer Elemente aus dem Wienerischen und aus der Umgangssprache ihres Heimatlandes auf (vgl. Pirker 2007, 90-111; Fuchs 2001, 107-125). Die zahlreichen Tücken, die sich für die Übersetzung derartiger diatopischer Besonderheiten ergeben, haben die Übersetzungswissenschaftlerin Wilma Heinrich dazu veranlasst, in ironischer Anspielung auf einen Buchtitel Nöstlingers einen wissenschaftlichen Aufsatz mit dem Titel „‚Che Stress!‘“ – Tradurre letteratura austriaca per l’infanzia“ zu verfassen (vgl. Heinrich 2010).

5. Zur Übersetzung von fingierter Mündlichkeit in Christine Nöstlingers Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse

Grundlage unseres Vergleichs ist die 1982 erschienene Übersetzung von Alain Royer, die unter dem Titel Le môme en conserve erschien. Offenbar empfand der Übersetzer den Namen Konrad als ein Hindernis für die Rezeption dieses Textes in Frankreich. Im Buch wird der Name konsequent durch Frédéric ersetzt. Diese Ersetzung lässt sich als eine Konzession an das Deutschlandbild der französischen Leserschaft verstehen, für die Friedrich oder Fritz eben ein typisch deutscher Name par excellence ist. Durch diese Namenswahl geht jedoch die exotische Note des im Österreich der Entstehungszeit der Geschichte doch eher ungewöhnlichen und seltenen Namens Konrad verloren. Bereits anhand der Tilgung dieses Namens wird die grundlegende Übersetzungsstrategie, die Alain Royer wählt, deutlich. Wie oft in Fällen von Kinder- und Jugendliteratur wählt der Übersetzer eine einbürgernde Übersetzung, die sich an den Normen der Zielsprache orientiert und damit seinem jungen Leserpublikum möglichst weit entgegenzukommen versucht. Wie sehr Royer diese Strategie verfolgt, wird etwa daran deutlich, dass er die kaum jugendfreien Lieder, die die unbedarfte Frau Bartolotti dem kleinen Konrad vorsingt, kurzerhand durch deftige Chansons (etwa Georges Brassens’ Le moyenâgeux oder Le temps ne fait rien à l’affaire) ersetzt (Nöstlinger/Royer 1982, 59).

Für einen Vergleich zwischen Original und Übersetzung habe ich mich für drei kurze Textausschnitte entschieden. Beginnen möchte ich diese Beispielsequenz mit einer Szene, in der die Kinder aus der Schule herauskommen und der frisch eingeschulte Oberstreber Konrad von ihnen gehänselt wird. Frau Bartolotti und Herr Egon, der selbsternannte Ersatzvater Konrads, nehmen diesen in Empfang:

Textbeispiel I

Original

(Nöstlinger 1975, 75):

Frz. Übersetzung

(Nöstlinger/Royer 1982, 109):

Drinnen im Schulhaus läutete die Glocke. „Gleich wird er da sein“, meinte der Herr Egon. „Hoffentlich hat es ihm gefallen“, meinte die Frau Bartolotti. „Sicherlich hat er gleich am ersten Tag einen Einser bekommen“, meinte der Herr Egon. „Das ist mir Wurscht“, meinte die Frau Bartolotti.

La cloche sonna.

« Il va bientôt sortir, dit M. Alexandre.

J’espère que l’école lui aura plu, dit Mme Bartolotti.

Il aura certainement déjà eu une bonne note, dit M. Alexandre.

Je m’en moque éperdument », dit Mme Bartolotti.

Ein Vergleich des Originals und der Übersetzung lässt einige grundsätzliche Übersetzungsschwierigkeiten einerseits sowie Probleme der Übersetzung fingierter Mündlichkeit andererseits deutlich werden. Die Wiedergabe des Satzes „Drinnen im Schulhaus läutete die Glocke“ mit « La cloche sonna »(Textbeispiel I) zeigt, dass der Übersetzer sich hier für eine Verkürzung entscheidet, unter der die Verständlichkeit jedoch nicht leidet. Der Leser weiß, dass sich die Protagonisten auf dem Schulgelände befinden. Dennoch wäre zu fragen, ob diese Verkürzung dem Originaltext gerecht wird. Der manchmal etwas umständliche, sehr explizite Ton, den Nöstlinger gerne verwendet, ist ja gerade auch ein Phänomen, das in gesprochener Sprache und insbesondere in der Kindersprache häufig auftritt.

Typisch für Nöstlinger ist auch die Wiederholung der Verben des Sagens, die die direkte Rede flankieren. Hier verwendet sie gleich dreimal hintereinander das Verb meinen. Dadurch bekommt der Dialog eine gewisse Gleichförmigkeit der Struktur. Dies ist eine typische Eigenschaft des Nöstlinger-Stils, die vom Übersetzer auch adäquat mit der dreifachen Wiederholung des Verbs dire wiedergegeben wird. Ein Stück weit versucht Nöstlinger, mit dieser Art der Wiederholung der verba dicendi auch die Erzählweise von Kindern zu imitieren, die sich im jüngeren Alter ja gerade durch die bisweilen arg monoton anmutende Verwendung von Repetitionen charakterisieren lässt (vgl. Fischer 2010, 44-45).

Eine Nuance der fingierten Mündlichkeit des Ausgangstextes, die für das gesamte Buch konstitutiv ist, vermag die Übersetzung jedoch nicht wiederzugeben. Grundsätzlich heißt es im Originaltext „die Frau Bartolotti“, „der Herr Egon“ und auch „der Konrad“ (Textbeispiel I). Die Tendenz, den bestimmten Artikel vor den Namen zu setzen, ist in der gesprochenen Sprache des Deutschen sehr geläufig. Es handelt sich dabei um eine Erscheinung der Umgangssprache, deren Gebrauch für die Figurenrede in Nöstlingers Werken ja ohnehin sehr charakteristisch ist. Fischer charakterisiert den Gebrauch des bestimmten Artikels vor Eigennamen als ein regionales Merkmal, verweist aber auch auf eine möglicherweise implizite pejorative Konnotation: „Dieser Artikelgebrauch gilt im deutschen Sprachgebiet als mundartlich oder je nach Region als umgangssprachlich bis abwertend“ (Fischer 2006, 249).

Durch die Verwendung des anaphorischen Artikels wird außerdem suggeriert, dass den Gesprächspartnern bzw. dem Autor und dem Leser die in Rede stehende Person/Figur bekannt sei. Die Autorin kann auf diese Weise einen erhöhten Grad von Vertrautheit erzeugen, ganz im Sinne der ‚Nähesprache‘ von Koch/ Oesterreicher. Bereits der erste Satz des Buches lautet: „Die Frau Bartolotti saß im Schaukelstuhl und frühstückte.“ Dabei wird durch den Gebrauch des anaphorischen Artikels eine Nähe und Vertrautheit a priori evoziert, die inhaltlich noch gar nicht gerechtfertigt sein kann, weil der Leser die Protagonistin der Geschichte ja überhaupt erst einmal kennenlernen muss.

Die Nuance der Vertrautheit, die durch den systematischen Gebrauch des bestimmten Artikels vor den Eigennamen der Protagonisten gebraucht wird, kann in der französischen Übersetzung nicht adäquat wiedergegeben werden. Interessant ist jedoch, dass bei der Übersetzung der Name der Frau Bartolotti zwar erhalten bleibt, der für unsere Verhältnisse etwas altertümlich erscheinende Name Herr Egon jedoch kurzerhand zu einem Mr. Alexandre wird. Offenkundig haftet dem Namen Alexandre etwas Altmodisches an, zumindest nach Meinung des Übersetzers. Vielleicht spielt hier aber auch der Beruf des Herrn Egon eine Rolle. Da er Apotheker ist, wurde der vielsilbige und gelehrt klingende Name Alexandre offenbar als geeignet empfunden.

Dass der Name des Protagonisten Konrad kurzerhand durch Frédéric ersetzt wird, haben wir bereits als eine Konzession an das Deutschlandbild der französischen Leserschaft interpretiert. Da sich der Name Konrad jedoch auch als Reminiszenz an den Daumenlutscher Konrad aus dem international bekannten und auch mehrfach ins Französische übersetzten Struwwelpeter auffassen lässt (vgl. Stoyan & Spinner & Németh 1998, 75), erscheint seine Ersetzung nicht wirklich zwingend.

Die Wiedergabe des Satzes „Sicherlich hat er gleich am ersten Tag einen Einser bekommen“ mit « Il aura certainement déjà eu une bonne note » (Textbeispiel I) trifft auch nicht ganz die stilistische Nuancierung des Originals. Im Hochdeutschen hätte man zudem ‚eine Eins‘ gesagt und nicht den Ausdruck ‚einen Einser‘ verwendet, der laut DUDEN als im süddeutschen und österreichischen Raum zu verortendes Lexem sowie als umgangssprachliches Wort gelten kann. Sehr gut lässt sich das Problem der Übersetzung fingierter Mündlichkeit anhand des Satzes „Das ist mir Wurscht“, zeigen. Dieser wird viel zu umständlich mit « Je m’en moque éperdument » (ibid.) wiedergegeben. Bereits die an die Aussprache angepasste Schreibweise „Wurscht“ anstelle von ‚Wurst‘ verdeutlicht jedoch den umgangssprachlichen Charakter des Satzes nachdrücklich, der im Französischen schlicht mit ça m’est égal oder noch besser mit je m’en fous (royalement) zu übersetzen gewesen wäre. 

Textbeispiel II

Eine Textstelle, an der sich besonders gut die Charakteristika fingierter Mündlichkeit zeigen lassen, ist die Darstellung eines Streits auf der Geburtstagsparty von Konrads neuer Freundin Kitti. Kitti hat ein Ratespiel geschenkt bekommen, welches einiges an Wissen voraussetzt, über das Konrad im Gegensatz zu den anderen Gästen verfügt. Als er dieses Wissen naiv kundtut, geraten seine Mitspieler in Rage:

Originaltext

(Nöstlinger 1975, 84-86):

Frz. Übersetzung

(Nöstlinger/Royer 1982, 126-128):

Der Konrad wollte ihnen die Fragen erklären.

Er sagte: „Die Hauptstadt von Polen, nach der da gefragt wird, heißt Warschau. Und der schiefe Turm steht in Pisa, und die Wurzel aus hundertvierundvierzig ist zwölf!“

„Bäää, bääää, bääää, Angeber du! Bäää, Angeber du!“ rief der Anton.

„Alles Schwindel. Er weiß gar nichts, Angeber der!“ rief der Florian und boxte dem Konrad in den Bauch.

„Hau ihm eine runter!“ flüsterte die Gitti dem Konrad zu. Der Konrad schüttelte den Kopf.

„Der ist ja feig, der traut sich nichts, bäää!“ rief der Florian.

„Feigling du, Feigling du!“

„So hau doch schon“, flüsterte die Gitti wieder, und als der Konrad trotzdem nicht zuschlug, drehte sich die Gitti um und sagte zur Michi: „Du, der ist ja wirklich ein Feigling, der läßt sich beleidigen und tut nichts dagegen.“

Frédéric voulut néanmoins commencer à jouer et entreprit de répondre aux questions :

«La capitale de la Pologne est Varsovie, la tour penchée est située à Pise, la racine carrée de 144 est 12…

Bouh…Bouh…ooouuuh ! Frimeur ! beugla Antoine.

Tout ça c’est du baratin ! Il frime ! Il ne sait rien ! brailla Florian en bourrant le ventre de Frédéric de coups de poing.

Cogne-le ! », souffla Sylvie à Frédéric. Mais ce dernier se contenta de hocher la tête.

« C’est une poule mouillée, il a la trouille ! Bouh ! s’écria Florian. Trouillard, trouillard !

Mais qu’est-ce que tu attends pour cogner ? » chuchota de nouveau Sylvie.

Lorsqu’elle vit Frédéric encaisser sans broncher, elle se tourna vers Martine et soupira : « C’est vrai, c’est une poule mouillée. Il en prend plein la figure, et il ne réagit pas !»

Interessanterweise ist der Übersetzer zu Beginn dieser Textpassage zugleich ein Interpretant und Ausdeuter der Textaussage Nöstlingers. Im Original heißt es schlicht:

Der Konrad wollte ihnen die Fragen erklären. (Textbeispiel II)

Frédéric voulut néanmoins commencer à jouer et entreprit de répondre aux questions. (ibid.)

So heißt es sehr explizit und über die Textaussage hinausgehend in der Übersetzung. Dass Konrad spielen möchte und daher die Fragen des Ratespiels den Mitspielern erklären wollte, ist eigentlich selbstverständlich. Von daher erscheint die Übersetzung an dieser Stelle redundant.

Das sich nun entspinnende Streitgespräch ist mit seinen zahlreichen Verwendungsformen expressiver Ausdrücke wie Interjektionen oder Repetitionen sowie dem umfangreichen Gebrauch umgangssprachlicher und sehr informeller Redewendungen äußerst charakteristisch für fingierte Mündlichkeit.

„Bäää, bääää, bääää, Angeber du! Bäää, Angeber du!“ rief der Anton.

„Alles Schwindel. Er weiß gar nichts, Angeber der!“ rief der Florian und boxte dem Konrad in den Bauch. (ibid.)

wird übersetzt mit

Bouh…Bouh…ooouuuh ! Frimeur ! beugla Antoine.

Tout ça c’est du baratin ! Il frime ! Il ne sait rien ! brailla Florian en bourrant le ventre de Frédéric de coups de poing. (ibid.)

Durch den intensiven Gebrauch der Interjektionen wird der Streit unter den Kindern sehr plastisch simuliert. Man kann sich zu den Bäää- oder Bouh-Rufen bestens ein Herausstrecken der Zunge vorstellen. Die im Vergleich zur face-to-face-Interaktion geringeren Möglichkeiten geschriebener Sprache kompensieren in diesem Fall Mimik und Gestik durch die langgedehnten Interjektionen, die allein schon durch ihre Typografie, ähnlich wie beim Comic, ins Auge springen.

Ihr besonderes Gepräge erhält die fingierte Mündlichkeit in dieser Textpassage auch durch die Verwendung zahlreicher Wörter und Wendungen, die der Umgangssprache entlehnt sind:

Der Angeber wird als frimeur bezeichnet, womit sich der Übersetzer genauso in den Bereich der langue familière begibt wie mit dem Ausdruck c’est du baratin! – ‚Das ist alles nur Geschwätz!‘. (Dabei entfällt allerdings die Konnotation des Betrugs, die das Wort Schwindel im Originaltext enthielt.)

Auffällig ist auch die eigenwillige gesprochensprachliche Syntax in dem Satz

„Er weiß gar nichts, Angeber der!“ (ibid.)

Die Nachstellung des Artikels erfolgt hier aus Gründen der Expressivität. Bedingt durch das hohe Erregungsniveau der kleinen ‚Kombattanten‘ im Streit muss die sprachliche Richtigkeit geopfert werden.

Der französische Übersetzer Alain Royer löst diese Schwierigkeit, indem er mit einer syntaktischen Umstellung und einer Umwandlung des Substantivs Angeber in das Verb frimer arbeitet: „Er weiß gar nichts, Angeber der!“wird zu « Il frime ! Il ne sait rien ! » (ibid.).

Ein Problem ergibt sich bei der Wiedergabe der verba dicendi: Nöstlinger verwendet hier dreimal das Verb rufen:

„Bäää, bääää, bääää, Angeber du! Bäää, Angeber du!“ riefder Anton.

„Alles Schwindel. Er weiß gar nichts, Angeber der!“ riefder Florian und boxte dem Konrad in den Bauch.

„Hau ihm eine runter!“ flüsterte die Gitti dem Konrad zu. Der Konrad schüttelte den Kopf.

„Der ist ja feig, der traut sich nichts, bäää!“ riefder Florian. (ibid., Hervorhebung C.N.)

Der Übersetzer verfährt hier jedoch nach der Devise variatio delectat, wenn er drei verschiedene Verben, nämlich beugler, brailler und s’écrire verwendet:

Bouh…Bouh…ooouuuh ! Frimeur ! beugla Antoine.

Tout ça, c’est du baratin ! Il frime ! Il ne sait rien ! brailla Florian en bourrant le ventre de Frédéric de coups de poing.

Cogne-le ! souffla Sylvie à Frédéric. Mais ce dernier se contenta de hocher la tête.

C’est une poule mouillée, il a la trouille ! Bouh ! s’écria Florian. Trouillard, trouillard ! (ibid., Hervorhebung C.N.)

Das lautmalerische beugler evoziert das missmutig klingende Muhen einer Kuh, während brailler als Kreischen und Brüllen schon deutlich intensiver erscheint und die laute Begleitmusik zur körperlichen Attacke gegen Konrad darstellt. Weniger expressiv nimmt sich das neutralere s’écrier als ein entrüsteter Aufschrei aus.

Diese stilistische Varianz der verba dicendi ist von Nöstlinger jedoch nicht beabsichtigt. Gerade um die geringere Varianz solcher Formen im Erzählstil von Kindern, noch dazu aufgebrachten Kindern, zu simulieren, wählt Nöstlinger das fast monoton wirkende Verb rufen gleich dreifach.

Sehr gut wiedergegeben ist dagegen die Passage:

„Hau ihm eine runter!“ flüsterte die Gitti dem Konrad zu. Der Konrad schüttelte den Kopf. (ibid.)

mit

Cogne-le ! souffla Sylvie à Frédéric. Mais ce dernier se contenta de hocher la tête. (ibid.)

Cogner, das der langue populaire zuzurechnen ist und so viel wie ‚vertrimmen‘ oder ‚verdreschen‘ bedeutet, ist hier genau die richtige Wahl.

Der Satz

„Der ist jafeig, der traut sich nichts, bäää!“ (ibid.)

stellt dagegen mit der Verwendung der Modalpartikel ja und der apokopierten Form feig statt feige wieder eine besondere Herausforderung dar.

Der Übersetzer entscheidet sich hier für die der langue familière zuzuordnende Redewendung: „C’est une poule mouillée“ (ibid.) – ‚Das ist (aber) ein Hasenfuß‘.

Bei der nächsten Modalpartikel muss der Übersetzer mit mehr Einfallsreichtum aufwarten. Die Aufforderung „So hau doch schon“ gibt er mit der rhetorischen Frage „Mais qu’est-ce que tu attends pour cogner ?“ (‚Worauf wartest Du noch, um zuzuschlagen?‘) wieder (ibid.).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass diese Textstelle in besonderem Maße Merkmale fingierter Mündlichkeit aufzeigt, nicht zuletzt, weil es um die möglichst realistische Darstellung eines Streits unter Kindern geht. Dabei wird eine Vielzahl expressiver Ausdrücke wie Interjektionen benutzt. Die Sprache ist weitgehend parataktisch strukturiert. Es werden zahlreiche Wörter aus der Umgangssprache verwendet und teilweise mit drastischen Aufforderungen zur Gewaltanwendung kombiniert. Durch die Kondensierung dieser stilistischen Mittel wie etwa das durch die Dehnung der Interjektionen gut vorstellbare Herausstrecken der Zunge wirkt die hier dargestellte Situation sehr authentisch. Sie kann damit exemplarisch für die Herstellung einer Illusion der Nähe und der Authentizität der Situation im Sinne von Goetsch stehen.

6. Fazit

Dass es sich bei fingierter Mündlichkeit jedoch um eine stilisierte Form von Mündlichkeit handelt, bei der bestimmte Merkmale zugespitzt werden können, die dem Übersetzer unter Umständen ein besonderes Maß an Phantasie abverlangen, möchte ich an einem letzten Beispiel verdeutlichen. Dieses Beispiel illustriert zugleich auf wunderbare Weise den besonderen Humor der Autorin.

Textbeispiel III

Originaltext

(Nöstlinger 1975, 96):

Frz. Übersetzung

(Nöstlinger/Royer 1982, 145):

Und an der Ecke bei der Hauptstraße wartete der Florian. Er marschierte dann neben dem Anton und schimpfte das ganze Alphabet durch. Er schimpfte: „Arschgeier, Brummhummel, Clodeckel, Depp, Esel, Feigling, Geierschlund, Hottentott, Iltis stinkender, Knülch, Lackel blöder, Mondgesicht, Neandertaler, olle Pute, Pißnelke, Quastenschwein, Rübe, Sau, Trampeltier, Urviech, Volltrottel, Warzensau und Ziegenbock.“

Un peu plus loin, à l’angle de la grande avenue, c’était Florian qui les attendait. Il emboîtait le pas à Antoine et dévidait l’alphabet : « Amibe, Babouin, Connard, Dindonneau, Ectoplasme, Furoncle, Gargouille, Hippocampe, Ichtyosaure, Jabiru, Kangourou, Limace, Merdeux, Nullard, Ornithorynque, Poule mouillée, Quadrupède, Rabougri, Staphylocoque, Tarentule, Ubu, Ver de terre, Wapiti, Xylophone, Zébu ! »

Mit dieser Mischung von Bakterien, Einzellern, Krankheiten und vor allem exotischen Tieren aus Gegenwart und Urzeit (Ichtyosaure, Ornithorynque) garniert mit konventionelleren Beschimpfungen wie Connard, Merdeux und Nullard wird die Absicht der Autorin geschickt umgesetzt. Ihre virtuose Aufstellung eines Schimpfwörter-Alphabetes3 zeugt jedoch deutlich von der Artifizialität fingierter Mündlichkeit, die sich, obwohl als Simulation gesprochener Sprache gedacht, zugleich Verfahren geschriebener Sprache anverwandeln muss, um zu einer kunstvollen narrativen Schreibstrategie zu werden.

Corpus

NÖSTLINGER, Christine. 1975. Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse. Hamburg: Oetinger.

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