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Es geht um Menschen, wie dich und mich im täglichen Straßenstaub mit Liebesfunken, zu dem um Liebespaare, Stammtischfrauen in OTTOs Allstadtkneipe, allleinstehende Menschen und Außenseiter, Leute im Heute, die links und rechts neben uns leben. Ihre täglichen Begleiter sind oft Erinnerungen, die zwangsläufige Realität oder ein erhofftes Wunschdenken. Jede Story gleicht einem bunten Intermezzo und lässt hier und da ein Spiegelbild erkennen.
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Seitenzahl: 126
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Eigentlich
Ist alles okay,
aber eigentlich
Ist eigentlich
kein Wort.
AnnKalin Braun
Zwischen
Straßenstaub
und
Liebesfunken
18
Geschichten
voller Nähe
im Alltagsgewühl.
*1
Jetzo
Wenn Zuneigung Staub aufwirbelt.
Endlich, es ist so weit.
Mit einem kurzen Wink verabschiedet sich Rita durch die fast menschenleere Abteilung von ihrer Kollegin, läuft durch den speziellen Ausgang für Mitarbeiter, um die Kaufhausetage schnell verlassen zu können, läuft weiter, entlang der großen Müllcontainer, und schlängelt sich zwischen eng geparkten Autos in den wohlverdienten Feierabend hinein.
Mitunter zeigten sich am Ende des Tages fühlbare Folgen. Die angeschwollenen Füße, ebenso der schmerzende Rücken, ließen dann keine anmutige Körperhaltung mehr zu. Sei es, wie es sei. Jetzt freut sie sich vor allem auf den heutigen Abend, denn sie ist noch verabredet. Nichts wird sie aufhalten können.
Drinnen wie draußen nimmt das Wechselspiel der Natur seinen Lauf. In der oberen Kaufhausetage wurde bereits die dritte Jahreszeit mit aktuellen Modetrends signalisiert. Die Klimaanlage sorgte zwar für etwas Erleichterung, doch die Besucher zeigten bei dem schwülwarmen Wetterumschwung wenig Kauffreude. Ihr leises Pusten bestätigte, dass sie sich schwertaten. In den Straßen schien das Leben indes stillzustehen.
Der wolkenverhangene Himmel mit einer schwülen Gewitterluft liegt wie eine Bleidecke über der Stadt. Zu allem Überfluss ist ein bedrohliches Grummeln zu hören. Der skeptische Blick zum Himmel lässt wenig Gutes erwarten.
Ein Unwetter zieht auf.
Rita muss sich jetzt sputen, denn die Zeit drängt mal wieder. Zudem will sie versuchen, trockenen Fußes der düsteren Naturgewalt zu entkommen.
Abgesehen davon macht der Wettergott
per se, was er will. Er schickt drohende Vorboten wie zickzackförmige Blitze mit Donnergetöse, zeigt kurz, aber heftig seine Stärke, indem er mit einem Sturzregen ruckzuck die Luft von Schadstoffen befreien will. Zurück bleibt eine unge-
mütliche Feuchtigkeit und freudlos dreinblickende Menschen, die rasch an ihr Ziel kommen wollen.
Heute ist Stammtischabend und Rita überquert nun schnurstracks den trostlos aussehenden Rathausplatz, begleitet von klangvoll schallendem Glockengeläut
der antiken Rathausuhr, die über den nahezu menschenleeren Vorplatz verhallt.
Es ist bereits neunzehn Uhr und sie entscheidet sich für den kürzesten Weg, den Trampelpfad durch die 'Krumme Gasse', obschon der enge Durchgang nur durch
ein schummriges Licht zu erkennen ist.
Ein mulmiges Gefühl beschleunigt erneut ihre Schritte.
Am Ende des Weges atmet sie erleichtert auf. Wie eh und je schicken hier die nostalgischen Straßenlaternen ihr gelbliches
Licht auf das alte Kopfsteinpflaster und lassen die urige Pinte im Fachwerkhaus schnell erkennen. Endlich hat sie es geschafft.
Erwartungsvoll zieht sie die schwere
Kneipentür auf und wird zugleich von der typischen Geräuschkulisse empfangen. Lachen, Gemurmel, lautes Zurechtrücken von Stühlen, der übliche Klang vom Tresen wie auch eine überlagernde Luft schwirren durch den Raum, versuchen, durch die geöffnete Tür zu entweichen.
Drinnen sitzen Alte wie Junge beisammen. Zumeist sind es Stammgäste, hier und da ein paar zufällige Besucher.
Jeder erzählt jedem irgendetwas. Wie immer werden auch die Stammtischfrauen viel zu erzählen haben.
Mal geht es um die Familie, mal um den Job, mal um politische Themen, oder sie lachen über Kurioses. Bei alldem darf natürlich die unergründliche Liebe mit ihrer Bitterkeit und Süße nicht zu kurz kommen.
Alles fing mit einem Aufruf in der Zeitung an: 'Frau sucht Frauen für gesprächige Stunden am runden Tisch'.
Viele kamen, einige gingen wieder, andere hatten sich gefunden. Rita blieb.
OTTO, der Kneipenwirt, hat seine kleinen Eigenarten. Es Usus, dass er um Mitternacht mit einer alten Tischglocke aus
Messing die allerletzte Runde einläutet, außer am Dienstag, dienstags ist immer Ruhetag. Man erzählt sich, er sei ein Guter, noch einer vom alten Schlag.
Zum Beispiel würden in seiner speziellen Schublade vom Thekenschrank spezielle Bierdeckel mit speziellen Strichen von ebenso speziellen Kunden ausdauern.
Seine urgemütliche Altstadtkneipe ist ein beliebter Treffpunkt für jedermann, gleich da vorne, rechts um die Ecke.
Im beschaulichen Zentrum kehrte derweil Ruhe ein. Manni überstand das nasse Naturereignis im geschützten Eingang der Cafeteria. Für gewöhnlich ist seine Verkaufsmeile die Fußgängerzone.
Unter der Woche steht er dort, um mit einladender Gestik das aktuelle Exemplar 'draußen!' anzubieten. So auch heute, bis der Regenschauer einsetzte und den Fußgängern lange Beine machte. Ansonsten nimmt manch einer das Straßenmagazin mit, rundet auf und zahlt zwei Euro dafür. Einige Passanten bleiben stehen, um einen Small Talk zu führen, wieder andere laufen achtlos an ihm vorbei. Das Entgelt am Abend wird zum 'Zubrot' in seinem schmalen Portemonnaie.
Manni ist einer von vielen Langzeitarbeitslosen. Zielsicher marschiert er nun in
Richtung Altstadt-Kneipe. Drinnen legt er wie gewohnt die restlichen Straßenmagazine zu den bunt bedruckten Werbeflyern auf das kleine Tischchen neben der Garderobe. Oben drüber hängt eine alte Schiefertafel, auf der mit deutlicher Kreideschrift das Tagesgericht zu lesen ist.
OTTO begrüßt ihn per Handschlag.
Manni ist ein Stiller, erzählt gewiss das eine oder andere, jedoch nichts, was von erheblicher Bedeutung hätte sein können. Das Leben meinte es mal mehr, mal weniger gut mit ihm. Es hat ihn nicht glücklich werden lassen. Immerhin spendiert OTTO ihm einmal in der Woche das Gericht des Tages mit einem Lieblingsgetränk.
Bevor Manni die gemütliche Gastlichkeit beendet, schlurft er noch einmal zurück ans Tischchen.
Das letzte Straßenmagazin lässt er liegen. Obendrauf sieht er ein paar Euromünzen, die er rasch in seine Hosentasche steckt. Satt und zufrieden winkt er in die bunte Runde, trottet hinaus in eine nachtdunkle Stille.
Die Abende in OTTOs Kneipe sind stets
unterhaltsam. Wie immer reden auch die gestandenen Frauen unaufhaltsam, grübeln über Gott und die Welt, wie auch Sonnen- und Schattenseiten einmal mehr infrage gestellt werden. Bella will heute Abend mit einer neuen Idee die Lebensgeister der Frauen wecken und versucht, sie in eine spezielle Richtung zu lenken.
»Rückblickend haben wir in all den Jahren
diskutiert, lamentiert, geschmunzelt, waren ausgelassen oder zeigten uns über einzelne Schicksale sichtlich bewegt. Besondere Augenblicke mit individuellen Bedeutungen sollten wir wieder aufleben lassen, um das, was uns wichtig erscheint, aufs Papier zu bringen. Zum einen geht uns nichts verloren, zum anderen könnten damit Geschichten entstehen.« Eine deutliche Anspannung macht sich bemerkbar.
Die Frauen debattieren, stellen Fragen über Fragen und warten auf anregende Tipps. Nach einem lebhaften Austausch zeigt sich dennoch eine Bejahung.
Jäh zieht ein Raunen durch die Kneipe, sodass sie vom Thema abgelenkt werden.
Zu vorgerückter Stunde kommt noch Onkel Willi herein.
Der kurios aussehende Mann sorgt mit seinem speziellen Erscheinungsbild für allgemeine Aufmerksamkeit. Wie immer trägt er den speckig aussehenden Lederhut, dazu eine in die Jahre gekommene Old-Style-Kleidung. Sein ergrauter Männerzopf sieht ein bisschen mickrig aus und landet kraftlos auf dem abgewetzten Jackenkragen. Der Mann sah sicherlich mal attraktiv aus. Zumindest deutet sein markantes Gesicht darauf hin, wenngleich sein gelebtes Leben tiefe Spuren hinterließ.
An der Theke ist noch ein freier Platz.
OTTO streckt ihm einladend die Hand
entgegen, tut einen aus, das Übliche,
ein Korn, ein Bier. Mit einem kurzen wie auch kräftigen Zug löscht der andersartige Gast seinen Durst. Beim letzten Schluck wird es mucksmäuschenstill. Alle Augen richten sich erwartungsvoll auf ihn. Entspannt holt der Lebenskünstler seine chromatische Mundharmonika aus der Jackentasche. Er umfasst sie behutsam, bevor er sie zum Musizieren tief zwischen seine Lippen setzt.
Zur Einstimmung spielt er mit dem rhythmischen Kippeln einen Mississippi-Blues, klagend bis klagend mit jener tiefen Melancholie.
Als Nächstes versetzt er mit einem stimmigen Körpereinsatz die Gäste in eine gegensätzliche Gefühlslage und bringt aus dem breiten Repertoire der Musikszene
ein paar fetzige Zugaben.
Lautstarke Begeisterung, kräftiger Beifall
wie auch ein weiteres Gedeck vom Wirt sind ihm sicher.
Einige Gäste verbinden ihren notwendigen Gang, stecken beim Entlanggehen etwas in seine Jackentasche, klopfen ihm brüderlich
auf die Schulter und eilen weiter zum
'stillen Örtchen'.
Er ist bekannt in Stadt und Land. Beim Musizieren fliegen ihm die Herzen zu. Wer er ist, woher er kommt, wohin er geht, darüber spricht er nicht.
Die Zeit vergeht im Handumdrehen. Wieder einmal ist es viel zu spät geworden. Peu à peu verabschieden sich die Gäste mit einem verstohlenen Gähnen und wünschen sich eine gute Nacht. Die Kneipenluft ist verbraucht.
Alle Tische sind sauber abgeräumt und die Kerzenstummel endgültig ausgelöscht.
An der Theke stehen noch zwei Männer, halten sich fest am letzten Glas Bier.
Sie müssen loslassen, denn der Schlussakkord ist längst verklungen und die alte Messingglocke zurück an ihrem Platz.
Vier Wochen zogen ins Land.
Der Terminkalender erinnert an das nächste Treffen.
Zwischendurch stellten sich die lebensklugen Frauen der Herausforderung und zogen sich zurück ins stille Kämmerlein.
Motiviert verwirklichten sie, übten das Texten und hielten fest, was die Erinnerungen noch zuließen.
Bella, die Initiatorin, eine sympathische,
moderne, weltoffene Frau, ist schaffensfreudig und kann ohne Punkt und Komma reden, darüber hinaus philosophieren über das Sein oder Nichtsein im gegenwärtigen Dasein. Sie ist mit Anfang fünfzig die Jüngste unter den Mädels, eine überzeugte Singlefrau.
Bella arbeitet seit vielen Jahren in einem Verlagshaus. Im Job befasst sie sich mit Unterhaltungsliteratur. In ihrer Freizeit liebt sie die lyrische Dichtkunst, liebt nicht nur Bücher, sondern gibt sich auch der Malerei hin.
Bevorzugt malt sie mit Acrylfarben und setzt ihre Ideen dynamisch um, indem sie zusätzlich mit ausdruckskräftiger Spachteltechnik experimentiert. Mitunter fühlt sich der ein oder andere Betrachter etwas überfordert, in der künstlerischen Verfremdung das Wesentliche zu erkennen.
Nach Büroschluss engagiert sie sich im Frauen-Forum und unterstützt die Wiedereingliederung ins Berufsleben. Im Laufe der Jahre wurde sie mit guten wie auch weniger guten Charakteren konfrontiert, die sie heute umso mehr, mit beiden Beinen fest im Leben stehen lassen. Bella ist der Genießertyp, steht zur vollschlanken Figur mit augenfälligen Rundungen, lebt leidenschaftlich und schätzt ihre Selbstbestimmtheit. Was sie glaubt, haben zu müssen, nimmt sie sich vom Leben und erwartet nichts vom anderen, nichts, was sie selbst hätte zuwege bringen können.
Auch Karin gehört von Anfang an dazu. Heute ist sie wieder dabei. Noch vor wenigen Monaten zeigte sie sich als souveräne, gut aussehende Sekretärin im Vorzimmer einer Chefetage.
Jetzt sitzt sie still am Stammtisch. Sie sieht blass aus. Die Chemo-Mütze hat sie zu Hause gelassen und trägt erstmals eine Perücke, die speziell von einer geprüften Zweithaarspezialistin angefertigt wurde. In letzter Zeit wurde sie für die Frauen ein 'Sorgenkind'.
Vor jedem Arztbesuch hofft sie auf bessere Werte.
Nach einer Vorsorgeuntersuchung erhielt sie die negative Diagnose Lungenkrebs. Kann sein, erwähnte sie einmal, dass eine familiäre Vorbelastung da sei.
Ihr Vater war einer der vielen Lohnarbeiter in einem Zementwerk. Damals fehlte es an gesundheitlichen Aufklärungen, sodass einige Gefahrenquellen unterschätzt oder womöglich verdrängt wurden. Die Werktätigen arbeiteten ohne nennenswerten Schutz. Der Vater starb an Krebs.
Karins Ehemann steht ihr mit all seiner Kraft zur Seite. Dennoch kommt es vor, dass er sich mit ihrem Krankheitsbild seelisch überfordert fühlt. Er kann nur schwerlich den negativen Verlauf der Wahrscheinlichkeit realisieren.
Die Kinder fühlen sich anders betroffen.
Ein jedes verkraftet den Schicksalsschlag auf seine Art, mit dem untröstlichen Wissen um das leidvolle Dahinschwinden der geliebten Mutter. Gezeichnet von der Krankheit gibt Karin nicht auf und beansprucht jede denkbare Lebenshilfe. Sie klammert sich an alle Strohhalme dieser Welt. Ihr Dasein am runden Tisch klappt nicht mehr regelmäßig.
Ist sie mit von der Partie, dann genießen alle einmal mehr, unter Freundinnen zu sein.
Monika ist von jeher dabei. Sie sitzt wie immer gelassen in der Runde, ist eine in sich ruhende Frau und zweifache Großmutter. Fast vierzig Jahre lang ist sie mit ihrem gutmütigen Mann verheiratet. Sie führen das Familienleben in christlicher Gesinnung. Darüber hinaus engagieren sich beide in sozialen Bereichen.
Jahrelang arbeitete Monika in der Kantine einer Behörde. Sie gab zu gegebener Zeit den Job auf, weil sie für die Familie gebraucht wurde. Ihre berufstätige, alleinerziehende Tochter wohnt mit ihren Zwillingen in der Einliegerwohnung. Monika übernimmt den geregelten Tagesablauf für die Großfamilie. Ohne spürbare Ermüdungserscheinungen hat sie alles im Griff. Das Bewusstsein, unentbehrlich zu sein, lässt die eigenen Belange allerdings in den Hintergrund treten, denn in letzter Zeit zeigte sie sich etwas hausbacken.
Die pflegeleichte Bobfrisur, der praktische Kleidungsstil und bequem aussehende Schuhe zeigen ein biederes Äußeres. Der modische Akzent ging ihr verloren.
Stattdessen setzte sie ihre Prioritäten. Sie frönt einem nicht alltäglichen Hobby. Angelehnt an eigene Kinderjahre frischt sie ihre Kenntnisse in der plattdeutschen Sprache auf und gibt gerne das ein oder andere Döneken zum Besten, schmunzelt verständnisvoll, wenn nicht alles sofort verstanden wird.
Im Heimatverein ist sie ein langjähriges Mitglied. Sie pflegt dort das alte Sprachgut und vermittelt es an all jene, die eine Vorliebe für diesen Wortschatz hegen.
Monika ist mit sich und ihrer Welt im Einklang, hat sensible Ohren für zu laute Töne wie auch offene Augen für die vielen Schattenseiten im Leben.
Rita hatte sich ebenfalls der Gruppe angeschlossen, ist alleinstehend und von Beruf Verkäuferin im Kaufhaus. Vor einiger Zeit bewarb sie sich um die Position einer Abteilungsleiterin. Strategisch eingeschätzt hatte sie kaum eine Chance. Den Fehlversuch wie auch die hämischen Freuden einiger Kollegen ignorierte sie und legte sich einfach ein 'dickes Fell' zu.
Heute, am Feierabend, gönnt sie sich erst
einmal einen Schoppen Weißwein und redet mit lockerer Zunge drauflos, redet sich ihren Frust von der Seele. Im Grunde genommen hätte sie genug gearbeitet, dementsprechend werde sie das Beste für sich herausholen und es in Zukunft einfach langsamer angehen lassen. Inzwischen fehle ihr die Lust, auf nervige, sich wiederholende Kundenfragen zu antworten, hin und herzulaufen, um gewünschte Ware zu zeigen und überdies Regale einzusortieren, damit das übersichtliche Gesamtbild Kauffreude weckt. Man erwarte von ihr ein gutes Fachwissen mit allzeit freundlicher Ausstrahlung, stets nach dem Motto, 'Der Kunde ist König', selbst dann, wenn er weit davon entfernt ist.
Sie setzt noch einen drauf. Die Wartezeit bis zum offiziellen Rentenbeginn werde sie in Zukunft mit dem Zauberwort ‘Krankmeldung' verkürzen.
Mittlerweile haben die Frauen erkannt, dass ihr Privatleben recht eintönig verläuft, da sich ihr Wunsch nach einem Herzensmann nicht erfüllt. Sie hatte die eine oder andere Chance, aber es sollte wohl nicht sein. Der Richtige ist immer noch nicht greifbar. Es könnte an ihrer Erscheinung liegen, denn Rita ist kaum mit femininen Reizen ausgestattet, wobei das robuste Äußere zu ihrem Redestil passt. Für Neuankömmlinge ist sie etwas gewöhnungsbedürftig. Jeder braucht ein bisschen Zeit, den weichen Kern unter der rauen Schale zu erkennen.
Die Mädels sind sich einig. Rita muss man mögen, wie sie ist.
Ulrike, die Fünfte in der Gruppe, ist ebenfalls von Anfang an dabei. Sie steckt mitten in einer Lebenskrise.
Ihr Erscheinungsbild ist überaus sportlich. Sie schminkt sich minimal, bevorzugt einen superkurzen Haarschnitt und zieht zur superschlanken Figur superenge Hosen an. Vor Jahren trieb sie noch Sport.
Als Vereinsmarathonläuferin war sie stets im Laufschritt unterwegs. Doch mit dem Alltagstrott der Ehejahre vernachlässigte sie ihr Training.
Jetzt fängt sie wieder mit dem Laufen an, läuft und läuft, will dem Seelenschmerz davonlaufen.
Nach fast dreißig Ehejahren verließ er sie wegen einer anderen. Dieser Tag wurde der schwärzeste im Kalendarium. Schonungslos machte er sein Geständnis. Ulrike bekam keine Chance.
All die Jahre lebte sie vertrauensvoll, hielt die Familie beieinander, verabschiedete zu gegebener Zeit die Kinder positiv ins Leben und hielt ihm für seine berufliche Karriere den Rücken frei.
Dank hat sie nicht erwartet, ausgetauscht zu werden, damit hatte sie nicht gerechnet.
Die gemeinsame Sichtweise auf das sich nahende Rentenalter warf er ebenfalls, mir nichts, dir nichts, über Bord. Ohne einen Anspruch zog er aus. Wütend, zugleich tief verletzt, blieb sie zurück.
Ulrike macht weiter, wo sie einst aufhörte,
läuft und läuft, läuft, bis sie ankommt. Marga ist die sechste Frau, kam zunächst als Gastfrau und wurde einstimmig aufgenommen. Eine obligatorische Tischrunde 'Kurze' besiegelte ihre Zugehörigkeit.