Auf Liebe gebaut - Mary Kay Andrews - E-Book
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Auf Liebe gebaut E-Book

Mary Kay Andrews

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Beschreibung

Der perfekte Lesegenuss von Bestseller-Autorin Mary Kay Andrews: ein Roman voller Sonne, Shabby Chic und Südstaatencharme. Exklusiv als E-Book. BeBe Loudermilk hat leider kein Glück mit Männern – und ihre Liaison mit Reddy Millbanks stellt keine Ausnahme dar. Als sie ihn auf einem Ball trifft, verfällt BeBe seinem Charme und seinem guten Aussehen, doch nur kurze Zeit später erleichtert Reddy BeBe skrupellos um all ihr Geld und ihre Besitztümer. Das einzige was ihr bleibt ist das Breeze Inn, ein heruntergekommenes Motel auf Tybee Island. Es scheint ein hoffnungsloses Unterfangen, das Motel wieder auf Vordermann zu bringen – vor allem mit dem mürrischen Verwalter Harry Sorentino an BeBes Seite. Harry möchte eigentlich nur genug Geld verdienen, um sich sein Boot zurückzukaufen und wieder ein Leben als Fischer zu führen. Mit BeBes Enthusiasmus und deren bester Freundin Eloise hat Harry jedoch nicht gerechnet. Die beiden machen sich mit Feuereifer daran, dem Motel einen neuen Look im Shabby Chic zu verpassen. Vielleicht kann Harry den beiden doch noch hilfreich zur Seite stehen? Doch dann taucht plötzlich die Möglichkeit auf, sich an Reddy zu rächen ...

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Seitenzahl: 650

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Mary Kay Andrews

Auf Liebe gebaut

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Tanja Hamer

FISCHER digiBook

Inhalt

Widmung12345678910111213141516171819202122232425262728293031323334353637383940414243444546474849505152535455565758596061626364656667RezepteBreeze Inn CrabcakesBlue Breeze CocktailDanksagungLeseprobe: Kein Sommer ohne Liebe1

Für Patti Hogan Coyle,

»Sie ist nicht dick, sie ist meine Schwester!«

In Liebe.

1

Er wurde mir als »Reddy« vorgestellt – kurz für Ryan Edward Millbanks der Dritte. Und ich hätte es besser wissen müssen. Er war jünger. Zu jung. Sexy. Zu sexy. Verdammt sexy. Ein perfekter Gentleman. Und als er sich zu mir beugte, um mir einen leichten Kuss auf die Wange zu geben, wäre ich um ein Haar in Ohnmacht gefallen, so viel Testosteron verströmte der Typ. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört – von Ihrem Exmann«, flüsterte er, und sein Schnurrbart kitzelte mich am Ohr.

In dem Moment hätten bei mir alle Alarmglocken schrillen müssen. Sirenen, Blinklichter. Roboterstimmen hätten mich warnen sollen, ihm ja fernzubleiben. Stattdessen spielte die Band irgendwas Gershwin-mäßiges, und ich hätte sowieso nicht auf die Stimmen gehört. Ich höre immer nur das, was ich gern hören will.

Als er meinen Ex erwähnte, schaute ich mich schnell in dem überfüllten Ballsaal um. »Richard? Was macht der denn hier? Ich hätte doch benachrichtigt werden sollen, wenn er entlassen wird.«

Reddy schien verwirrt und lachte gekünstelt, um seine Verlegenheit zu übertünchen. »Richard? Aber … Ich rede doch von Sandy Thayer, er hat mir von Ihnen erzählt. Sandy meinte, Sie wären seine Exfrau. Genauer gesagt hat er in diese Richtung gedeutet und gemeint, ich sollte mich mal ein bisschen mit Ihnen unterhalten, weil Sie so aussehen, als müssten Sie vor Ihrem Date gerettet werden. Sie sind doch BeBe Loudermilk, oder?«

Jetzt musste ich lachen. »Oh, Sandy. Ja, das stimmt, Sandy ist mein Ex. Oder ich seine. Schon zweimal, um genau zu sein. Entschuldigen Sie bitte, ich trinke schon den ganzen Abend Wein. Was mein Date angeht – ich bin mir nicht einmal sicher, ob er noch weiß, dass er mit mir hergekommen ist.« Ich deutete mit dem Kopf in die Richtung von Tater Love, meinem sogenannten Date, der den halben Abend damit verbracht hatte, mir auf mein Abendkleid zu sabbern und sich jetzt an die Bar geparkt hatte, wo er ein Bier nach dem anderen in sich hineinkippte.

Tater war ein Last-Minute-Notfalldate, und ich hätte gleich wissen müssen, dass das nicht gutgehen konnte. Aber es handelte sich immerhin um den Telfair Ball, was das Ereignis schlechthin in Savannah war. Außerdem hatte ich schon die Tickets gehabt, und es sah nicht wirklich danach aus, als hätte mein ehemaliger Verlobter, Emery Cooper, vor, mich zu begleiten.

Emery Cooper, von Cooper-Hale Bestattungen, hatte mich in der Woche zuvor angerufen, um mir mitzuteilen, dass er und seine Exfrau auf dem Weg nach Jamaica waren, wo sie vorhatten, am selben Strand noch einmal zu heiraten, wo auch ihre erste Hochzeit stattgefunden hatte. Und offenbar würden sie auch ihre zweiten Flitterwochen dort verbringen.

Ich fand, ich war mit der Neuigkeit ziemlich gut umgegangen. Ich hatte mir die Lachsfilets geschnappt, die ich fürs Abendessen gekauft hatte, bin zu seinem Stadthaus am Lafayette Square gefahren und habe sie ihm durch den Briefschlitz in der Tür geschoben. Auf die Weise würden Emery und seine neue Braut etwas vorfinden, was sie an mich erinnerte, wenn sie nächste Woche nach Hause kamen.

Den Telfair Ball konnte ich jedenfalls unmöglich verpassen. Zum einen, weil ich im Veranstaltungskomitee war. Zum anderen, weil inzwischen bestimmt die ganze Stadt wusste, dass mich Emery für Cissy Drobish, die hasenzähnige, millionenschwere Mutter seiner drei Kinder verlassen hatte. Und ich zog es vor, mich der Sache persönlich zu stellen, anstatt die Leute hinter meinem Rücken über mich reden zu lassen.

»Immer schön den Kopf hoch, Mädchen«, konnte ich die Stimme meines Vaters hören. Dann hatte er mir einen Stups mit dem Ellenbogen gegeben, weil ich auf der Kirchenbank in mich zusammengesackt war. Also tat ich, wie geheißen. Ich hatte den ganzen Tag mit Vorbereitungen für den Ball verbracht: Maniküre, Pediküre, Termin bei der Kosmetikerin, Kräutermassage und neue blonde Strähnchen. Außerdem hatte ich meine Große-Mädchen-Juwelen aus dem Safe geholt und Roi, meinen Friseur, angewiesen, mir die Haare zu einer Hochsteckfrisur zu drapieren, so dass alle Welt sehen konnte, dass ich Emerys Diamantohrringe nicht zurückgegeben hatte.

Allerdings konnte ich noch so umwerfend aussehen, es änderte nichts an der Tatsache, dass ich Tater Love an der Backe hatte, den Freund eines Freundes eines Freundes, eingefleischter Junggeselle und zu geizig, um sich zu seinem Smoking auch noch die passenden Schuhe auszuleihen. Abgewetzte-schwarze-Slipper-Tater-Love. Cocktail-Sauce-auf-dem-Hemd-Tater-Love. Es versprach ein endlos langer Abend zu werden. Weshalb ich schon kurz nach unserer Ankunft beschlossen hatte, mich mit Chardonnay zu betäuben.

Reddy fasste mich am Ellenbogen und führte mich bestimmt von der Tanzfläche weg in eine ruhigere Ecke des Saals, in der ein paar lächerlich protzige Marmorstatuen und eine palmenartige Topfpflanze standen.

»Also, das mit meinen Exmännern …«, fing ich an zu erklären.

»Pssst.« Reddy legte mir den Zeigefinger auf die Lippen. »Bin gleich wieder da«, versprach er. Und als er kurz darauf wieder auftauchte, balancierte er eine Platte mit Hummer in der einen Hand, in der anderen hielt er zwei Champagnergläser. Er stellte alles auf dem Stehtisch vor mir ab, lupfte dann seine Smoking-jacke – sah nach Armani aus, ich war mir aber nicht ganz sicher – und zog eine ungeöffnete Flasche Moet & Chandon hervor, die er sich in den Hosenbund geklemmt hatte.

Was eindeutig die nächste Runde Alarmglocken in mir hätte auslösen sollen – nimm dich vor Männern in Acht, die Geschenke in der Hose haben!

Mit einer gekonnten, fließenden Bewegung öffnete er den Champagner – wie sich bald rausstellen sollte, war er in sehr vielen Dingen sehr fachmännisch – und goss uns ein.

Reddy prostete mir zu. »Auf Neuanfänge«, sagte er mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen.

Und das war es dann mit meinen guten Vorsätzen.

2

Ohne einen weiteren Gedanken an Tater oder den Telfair Ball zu verschwenden, warf ich mir den langen Pelzmantel meiner Großmutter Lorena um die Schultern und verließ das Museum. Als ich den vom Mond beschienenen Bürgersteig der Barndard Street betrat, kam schon Reddy im silbergrauen Jaguar angebraust. In einem hautengen Etuikleid mit Schlitzen, die bis fast an die Hüfte reichen, in einen Sportwagen einzusteigen, ist nicht gerade die leichteste Sache der Welt, aber irgendwie schaffte ich es, mich einigermaßen auf dem Beifahrersitz zu platzieren, ehe Reddy auch schon das Gaspedal durchtrat. Als wir quasi auf zwei Reifen um die Ecke schossen, erhaschte ich noch einen Blick auf einen Mann im weißen Jackett, der einsam und verlassen auf der Straße stand und sich an eine Flasche Bier klammerte.

Ich hatte einen plötzlichen Anflug von Schuldgefühlen. Nicht wegen Tater. Tater hatte nach wie vor die offene Bar und zwei weitere kostenlose Mahlzeiten, die ihn an diesem Abend noch erwarteten. Er würde mich kein Stück vermissen. Nein, die Schuldgefühle hatte ich wegen meiner Mutter.

Seit fünf Jahren war sie nun schon tot und begraben, trotzdem konnte ich immer noch hören, wie sie missbilligend mit der Zunge schnalzte. »Also wirklich, BeBe! So ein unsägliches Verhalten ist mir ja noch nie untergekommen.«

In letzter Zeit hatte ich ab und zu diese Aufkleber hinten auf Autos gesehen: »Was würde Jesus tun?« Mir doch egal, dachte ich dann immer.

Was würde Mama sagen?

Mama war mein Richtwert für korrektes Verhalten. Und über mein Verhalten an diesem Abend wäre sie mehr als entsetzt gewesen. Allerdings – wenn ich so darüber nachdachte – auch über mein Verhalten an allen anderen Abenden in den vergangenen fünf Jahren, seit wir sie drüben auf dem Bonaventure Friedhof begraben haben.

Schnell verdrängte ich die Gedanken an Tater und Mama und konzentrierte mich voll und ganz auf den Mann, der neben mir im Jaguar saß.

Er war groß, natürlich, aber bei meinen Ein-Meter-Sechzig erscheinen mir die meisten Leute groß. In Wahrheit war er wahrscheinlich so um die eins achtzig. Seine Augen waren hellblau und bildeten einen auffälligen Kontrast zu seiner gebräunten Haut. Seine Haare waren dunkelblond und leicht gewellt. Der Haaransatz wanderte bereits merklich nach hinten, im Nacken fielen ihm die Haare über den Kragen. Ich gab ihm ein paar Extrapunkte dafür, dass er sich die Haare nicht so widerlich über den Kopf kämmte. Weiter Punkte brachte ihm der Diamantohrring ein, den er auf der linken Seite trug. Ein Ohrring! Quel scandal! Und überhaupt, ich hatte noch nie einen Mann gedatet, dessen Schmuck so teuer war wie mein eigener. Aber der absolute Knaller war sein Grübchen im Kinn. Ich musste krampfhaft die Hände im Schoß falten, um nicht die Hand auszustrecken und das Grübchen zu berühren.

»Wird Ihnen in dem knappen Kleidchen nicht zu kalt werden?« Er schaute kurz zu mir rüber, während wir den Victory Drive in Richtung Strand hinunterrasten. Es war Februar, und in dieser Nacht lag die Temperatur nur bei etwa fünf Grad, was für Savannah arktische Zustände bedeutete.

Ich vergrub das Kinn tiefer im kuschligen Kragen des Pelzmantels, und ein Hauch von Lorenas Chanel No. 5 stieg mir in die Nase. »Kommt drauf an, wo wir hinfahren«, meinte ich. »Für Tybee habe ich nicht wirklich das Richtige an, fürchte ich.«

»Es geht nicht an den Strand«, versicherte er mir. »Aber ich werde Sie bitten müssen, die Schuhe am Pier stehen zu lassen. Diese Absätze wären die Hölle für mein Teakholz-Deck.«

»Ein Boot?« Ich musste grinsen. Reddy grinste zurück.

»Aber das ist doch eine Yacht«, korrigierte ich, als ich das glänzende weiße Schiff erblickte, das beim Wilmington Island Yachtclub vor Anker lag. Blue Moon war in fließenden gold-blauen Buchstaben ans Heck geschrieben. »Und sie ist riesig.«

Reddy kletterte behände an Bord und reichte mir dann die Hand. Er zerrte an den Haltetauen, um das Boot näher an die Anlegestelle zu ziehen. Ein verschlagener Ausdruck huschte über sein Gesicht, als ich mein Kleid noch höher ziehen musste, um an Bord zu springen. Er fing mich gekonnt auf und hielt mich einen Moment fest. »Genaugenommen ist es keine Yacht«, flüsterte er mir ins Ohr. »Es ist nur vierzehn Meter lang.«

»Nur.«

Er lachte in sich hinein. »Na ja, man könnte sagen, es ist eine Baby-Yacht.«

Eine halbe Stunde später saßen wir Champagner trinkend auf Liegestühlen auf dem Deck der Blue Moon und beobachteten die Sterne, während die Wellen sanft gegen den Bootsrumpf klatschten.

Aus einem CD-Player in der Kabine drang leise Jazzmusik zu uns nach draußen, und wir hatten unsere Stühle so nah wie möglich zusammengerückt. »Erzähl mir was von dir, BeBe Loudermilk«, forderte Reddy mich auf und drückte meine Hand. Er war unaufgefordert zum Du übergegangen, was mich aber kein bisschen störte.

Ich seufzte. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe mein ganzes Leben in Savannah gelebt. Alle in meiner Familie haben ihr ganzes Leben in Savannah gelebt. Ich habe ein paar Anlagengeschäfte. Ich bin eine echte Blondine. Zum größten Teil. Und derzeit bin ich Single.«

»Derzeit«, wiederholte er. »Wieso habe ich das Gefühl, dass da eine Geschichte dahintersteckt?«

»Ach, das ist schnell erzählt«, entgegnete ich. »Vielleicht hast du gehört, dass ich vor kurzem sitzengelassen wurde. Nicht direkt vor dem Altar, aber nahe genug daran, dass es immer noch wehtut.«

Er schüttelte verwundert den Kopf. »Was für ein Idiot würde jemanden wie dich wieder gehen lassen?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich ist es das Beste so. Letzte Woche ist er mit seiner Exfrau abgehauen. Und mir sind ein paar wirklich vorzeigbare Schmuckstücke geblieben.«

Er lehnte sich zu mir und knabberte an meinem Ohrläppchen. »Inklusive dieser Ohrringe, die du heute Abend nur getragen hast, um der ganzen Stadt zu zeigen, dass er dir scheißegal ist.«

Ich kicherte. »Bin ich so durchschaubar?«

»Nicht durchschaubar. Faszinierend. Ich liebe es, wenn eine Frau eine Vergangenheit hat.«

»Das würde meine Mutter aber anders nennen.« Ich lächelte trocken. »Mama hat es nie verwunden, dass ich die Erste in der Familie war, die sich hat scheiden lassen.«

»Meine Mutter hat es nie verwunden, dass ich ein Semester vor dem Abschluss das Jurastudium abgebrochen habe«, erwiderte Reddy. »Ich bin der einzige männliche Millbanks in vier Generationen, der keinen Abschluss der Duke-Universität hat.«

»Oha.« Mir lief ein Schauer über den Rücken. »Noch ein schwarzes Schaf.«

»Noch eins? Was soll das denn heißen?«

Der Wind wurde stärker, und trotz der tausend Lagen Haarspray, die Roi auf meinem Kopf versprüht hatte, fühlte ich, wie sich meine Frisur langsam auflöste.

»Du stehst auf Frauen mit Vergangenheit«, erklärte ich und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Dummerweise stehe ich wohl auf böse Jungs.«

»Hey, ich muss doch sehr bitten. Ich habe nie gesagt, dass ich böse bin.«

»Das ist nicht nötig.« Ich schlug den Pelzkragen hoch. »Du bist es einfach. Es ist nicht deine Schuld. Und meine auch nicht.«

»Dir ist kalt«, stellte er fest. Er tätschelte seinen Schoß. »Komm her, BeBe. Ich zeige dir, dass ich gar nicht so böse bin.«

Seine Küsse waren tatsächlich alles andere als schlecht. Sie waren lang und süß und zärtlich. Und gefährlich. Und köstlich. Ich glaube, ich war noch nie so gut und so genüsslich geküsst worden.

»Was für eine Art Vergangenheit hast du denn?«, fragte er, als wir nach einer Weile zum Luftholen auftauchten.

»Ich bin eine Geschiedene«, antwortete ich. »Dreimal, um genau zu sein. Schockiert dich das?«

Er lachte. »Eine Geschiedene? Das sagt doch heute kein Mensch mehr. Aber echt jetzt? Drei Mal?«

»Theoretisch schon. Praktisch war ich nur mit zwei Männern verheiratet. Und ich war erst neunzehn, als ich Sandy Thayer geheiratet habe, den Mann, der dir von mir erzählt hat. Er war der beste Freund meines älteren Bruders. Wir sind zusammen weggelaufen, nach Myrtle Beach. In den Frühlingsferien haben wir dann geheiratet, ich war gerade in meinem ersten Studienjahr an der St. Mary’s Uni. Meine Eltern waren zu Tode entsetzt. Sie haben die Ehe sofort annullieren lassen. Der Uni haben sie gesagt, ich hätte Pfeiffersches Drüsenfieber. Danach bin ich zurück und habe weiter studiert, als wäre nie etwas passiert.«

Reddy hielt einen Finger in die Höhe. »Okay, die erste Ehe wurde annulliert, also hat sie eigentlich nie bestanden. Was war mit Ehemann Nummer zwei?«

»Richard Hodges.« Ich erschauderte, als ich seinen Namen sagte. »Was für ein Albtraum. Mein letztes Blind Date. Für immer. Ich war achtundzwanzig und führte mein erstes kleines Restaurant, was mich derart auf Trab hielt, dass ich eigentlich überhaupt keine Zeit hatte, jemanden kennenzulernen, geschweige denn zu daten. Aber Richard schien so ein toller Kerl zu sein. Sehr erfolgreicher Börsenmakler, aus gutem Hause. Wir dateten ein Jahr lang, und ich war total verrückt nach ihm. Sogar meine Mutter liebte den Kerl. Was mir eigentlich schon hätte zu denken geben müssen.«

»Wie meinst du das?«

»Richard«, fuhr ich fort, »hat sich als pervers herausgestellt. Ein erstklassiger Perverser. Wir waren gerade mal zwei Monate verheiratet, da habe ich die Telefonrechnungen gefunden. Er hatte es doch tatsächlich geschafft, zwölftausend Dollar von unserem gemeinsamen Konto auszugeben. Für Telefonsex. Das mit der Internet-Pornografie habe ich erst rausgefunden, nachdem ich ihn schon rausgeschmissen hatte.« Ich verzog das Gesicht. »Da habe ich mir seinen Laptop geschnappt, bin mit dem Auto drübergefahren und habe ihn anschließend in einem Müllcontainer entsorgt. Was ein Fehler war, wie mir mein Anwalt später gesagt hat, weil wir den Computer vor Gericht hätten verwenden können. Aber in dem Moment war mir das egal. Ich wollte ihn nur aus meinem Leben raushaben. Und das ist er. Vollkommen raus. Er hat ein paar Jahre im offenen Vollzug bekommen.«

Reddy zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Du armes Ding.« Er küsste mich wieder. »Liebes, deine Vergangenheit ist Vergangenheit. Ich bin nur an der Zukunft interessiert.«

Ich erwiderte den Kuss. »Warte, ich bin fast fertig. Ehemann Nummer drei war Sandy.«

»Wieder Sandy?«

»Yep. Mit ihm habe ich mich über Richard hinweggetröstet. Meine Schwägerin hatte meinem Bruder Arch eine Überraschungsparty zu seinem vierzigsten Geburtstag geschmissen, und Sandy war auch eingeladen. Ich hatte ihn zehn Jahre nicht gesehen. Er war so süß, so aufmerksam. So gar nicht wie Richard. Ich habe mich einfach wieder in ihn verliebt.«

»Ich habe ja nur ein paar Minuten mit ihm geredet, aber er schien mir ein anständiger Kerl zu sein.«

»Das ist er auch«, stimmte ich zu. »Sandy ist echt ein Schatz. Aber nur wenige Monate nach der Hochzeit hat er einen Job in Chicago angenommen. Und es war Januar. Warst du jemals im Januar in Chicago?«

»Nein.«

»Da hast du nichts verpasst«, entgegnete ich. »Es war niemandes Schuld, dass es so gelaufen ist zwischen Sandy und mir. Sandy war einfach immer beruflich unterwegs, und ich saß in dieser versnobten Chicago-Vorstadt fest, was mich zunehmend unglücklich gemacht hat. Irgendwann habe ich nur noch gegessen und die Tage heulend vor dem Fernseher verbracht. Nach anderthalb Jahren hatte ich fünfzehn Kilo zugenommen. Als dann im zweiten Jahr der erste Schneesturm aufkam, stand meine Entscheidung fest. Ich habe meine Sachen gepackt und mir ein Taxi gerufen. Vom Flughafen aus habe ich Sandy angerufen. Er hat es mir gar nicht wirklich übel genommen, aber so ist eben Sandy. Er war noch nie nachtragend. Er würde alles für mich tun und ich für ihn.«

Ich seufzte. »Also, das ist sie. Das ist meine große, schlimme Vergangenheit. Aber was ist mit dir? Was macht dich zu einem bösen Jungen, Ryan Edward Millbanks?«

»Dir ist doch kalt«, stellte er plötzlich fest. Er setzte sich auf und hielt mich in den Armen wie ein großes, in Pelz gewickeltes Baby. »Komm, wir gehen in die Kabine, ehe du dir hier noch eine Lungenentzündung holst.«

Ich schob seinen Ärmel hoch und drehte seine Armbanduhr so, dass ich das leuchtende Ziffernblatt sehen konnte. Es war schon spät. Fast zwei Uhr. »Was gibt es denn da so in der Kabine?«, fragte ich.

»Ach, nur das Übliche. Es gibt zum Beispiel eine hübsche kleine Galerie. Hast du vielleicht Hunger, Liebes? Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass du wegen mir das Abendessen auf der Party verpasst hast. Ich könnte uns noch schnell was kochen. Ein bisschen Chili aufwärmen oder so.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht hungrig. Nur ein bisschen müde.«

Da war wieder dieses Grinsen. »Okay, wieso hast du das nicht gleich gesagt? Die Schlafquartiere sind ziemlich besonders, wenn ich das mal so sagen darf. Und ich würde mich sehr freuen, sie dir zeigen zu dürfen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das habe ich damit nicht sagen wollen. Es ist schon spät. Ich hatte einen langen Tag und muss morgen früh wieder bei der Arbeit sein.« Ich gab ihm einen leichten Kuss. »Es war ein wunderschöner Abend, Reddy. Aber ich glaube, es wäre besser, wenn du mich jetzt nach Hause bringst.«

Er küsste mich zurück. »Nach Hause? Aber ich dachte, wir verstehen uns gerade so gut. Du bist eine Frau mit Vergangenheit, und ich bin ein böser Junge. Wir sind füreinander bestimmt.«

Die Versuchung war zu groß. Ich war zu müde. Und seine Arme fühlten sich zu gut an, wie er mich so festhielt. Ich fühlte mich geborgen. Und glücklich. Und ja, ich gebe zu, ich war auch mehr als ein bisschen scharf auf ihn.

»Bleib bei mir«, flüsterte er mir ins Ohr.

In dem Moment dämmerte mir, dass ich diesen Mann erst ein paar Stunden zuvor kennengelernt hatte. Und ich war schon drauf und dran, mit ihm in die Kiste zu hüpfen.

Was würde Mama sagen?

3

»Das wurde ja auch Zeit«, begrüßte mich Daniel, als ich um vier Uhr nachmittags in der Küche des Guale auftauchte. Ich gähnte und streckte mich demonstrativ, ohne auf den Kommentar meines Kochs einzugehen. Es stimmte schon, ich hatte den Sonntagsbrunch verschlafen, und für unser wichtiges Dinner-Geschäft war ich auch schon knapp dran. Aber wofür hat man denn sein eigenes Restaurant, wenn man nicht auch mal ab und an verschlafen kann?

Ich blätterte im Reservierungsbuch, um abzuschätzen, was uns an dem Abend erwartete. Sah nicht schlecht aus. Ich entdeckte die Namen einiger Stammgäste und freute mich, zu sehen, dass der neue Rezeptionist des Westin Hotels vier Tische für Gäste reserviert hatte.

»Wie war der Brunch?«, fragte ich Daniel.

»Nicht viel los«, antwortete er. »Aber besser als letzte Woche.«

»Der Hartriegelstrauch in meinem Vorgarten ist voller Knospen. Bald blühen die Azaleen im Forsyth Park, und ehe du dich versiehst, rennen uns die Touristen die Bude ein. Genieß lieber noch die Ruhe vor dem Sturm, mein Freund.«

Er nickte zustimmend. Wir stammten beide aus Savannah, was bedeutete, dass wir uns noch an die Zeiten erinnern konnten, als die Stadt nur eine zwar recht hübsche, aber doch verschlafene Hafenstadt im Süden war. Früher waren der Handel per Schiff und die Papierfabriken die einzigen Industrien, die den Leuten Arbeit garantierten. Als ich klein war, in den Siebzigern, gab es gerade mal ein gutes Hotel in der ganzen Stadt, das DeSoto Hilton, und nur eine Handvoll Restaurants, die man als etwas gehobener bezeichnen konnte. Doch in den Neunzigern änderte sich alles. Nur wegen eines Buches und dem darauffolgenden Film, worin Savannah als dampfende Brutstätte aus Voodoo, Sex, Transvestiten und Skandalen porträtiert wurde.

Heutzutage pumpte die Tourismusbranche jedes Jahr Millionen in unsere Wirtschaft. Ganze Blocks heruntergekommener Geschäfte und Häuser waren restauriert worden und erstrahlten in ihrem ursprünglichen Glanz. Am Flussufer hatten sie eine ganze Reihe neuer Luxushotels hochgezogen. Reisebusse und Gepäckwagen verstopften die alten bemoosten Plätze, und wenn man sich an einen Tisch in einem der neuen Restaurants in der Innenstadt setzte, war es schon fast genauso wahrscheinlich, dass am Nachbartisch Japanisch oder Deutsch gesprochen wurde als der in der Gegend übliche Südstaaten-Akzent.

Aber manche Dinge hatten sich nicht verändert. Die Hochsaison – und der Frühling – begannen in Savannah offiziell am St. Patrick’s Day. Die Stadt veranstaltete dann immer eine riesige Party, die angeblich nur von der am selben Tag in New York stattfindenden übertroffen wurde. Wie jedes Jahr waren wir auch dieses Mal schon die ganze Woche vor St. Patrick’s Day komplett ausgebucht, und wenn es nicht gerade eine Naturkatastrophe geben würde, sollte unser Geschäft ab dann solide laufen bis Weihnachten.

Daniel hob den Deckel von einem Topf, in dem Kalbsfonds vor sich hinköchelte, und probierte mit einem Esslöffel. Mit dem Kopf deutete er in Richtung meines schrankgroßen Büros. »Da war heut Morgen so ein Typ, der was für dich abgegeben hat«, meinte er, während er mit der Pfeffermühle über dem Topf hantierte.

»Hmm. Hat er seinen Namen genannt?«

»Hab ihn nicht gefragt«, entgegnete Daniel. »Ich hatte alle Hände voll zu tun, den Laden hier zu schmeißen, weißt du?«

Ich zeigte ihm den Mittelfinger und eilte in mein Büro.

Ein riesiges Arrangement blassrosa Rosen in einer gläsernen Vase thronte auf einem Stapel Werbepost auf meinem Schreibtisch. Eine Visitenkarte war mit Tesa an der Vase befestigt. Eine Visitenkarte aus dickem Pergament. »Ryan Edward Millbanks III«, las ich. »Vermögensverwalter.« Keine Adresse, nur eine Telefonnummer. Ich drehte die Karte um. Darauf waren nur zwei Worte geschrieben. »Abendessen heute?«

Ich lächelte in mich hinein. »Auf jeden Fall Abendessen heute.«

»Neuer Freund?«

Ich fuhr herum, mein Gesicht rot vor Scham, dass er mich in meinem verträumt-verliebten Zustand ertappt hatte. Daniel lehnte sich an den Türrahmen.

»Neuer Freund«, erklärte ich. Mit dem Fuß schloss ich die Tür, setzte mich an meinen Schreibtisch und wählte die Nummer auf der Karte.

Das Telefon klingelte viermal, ehe mir eine Stimme empfahl, eine Nachricht zu hinterlassen. »Immer mit der Ruhe, Mädchen«, redete ich mir selbst zu. Ich wollte auf keinen Fall zu eifrig erscheinen. Schnell legte ich auf, ohne eine Nachricht aufs Band zu sprechen. Zeit, an die Arbeit zu gehen. Ich zupfte Reddys Visitenkarte von der Vase und steckte sie mir in die Hosentasche. Die Rosen nahm ich und platzierte sie auf dem hölzernen Empfangspult am Eingang.

Die nächsten Stunden rauschten nur so vorbei. Um fünf Uhr, als gerade die ersten frühen Gäste eintrudelten, meldeten sich sowohl Kevin, der Barkeeper, und Rikki, eine der Kellnerinnen, krank. Es war nicht das erste Mal, dass die beiden am selben Abend nicht da waren, und ich hatte da so einen Verdacht, was es mit ihrer »Krankheit« wirklich auf sich hatte. Aber so schlecht, wie wir besetzt waren, blieb keine Zeit, Nachforschungen anzustellen.

Die meisten Leute denken, ein Restaurant zu besitzen sei der Inbegriff des hippen Szenelebens, aber die Wahrheit ist, dass es die meiste Zeit ein echt hartes Geschäft ist. Für jede Stunde, die ich damit verbringe, lokalen Berühmtheiten Handküsse zuzuwerfen, stehe ich drei Stunden in der stickigen Küche – die Arme bis zum Ellenbogen in schmutzigen Pfannen – und muss zwischen zornigen Köchen und inkompetenten Aushilfen vermitteln. Wenn auf der Damentoilette mal wieder ein Rohr verstopft ist, bin ich diejenige, die den Boden wischt und den Klempner verflucht. Wenn mein Lebensmittellieferant Sahne statt Crème fraîche bringt oder Barsch statt Schnapper, bin ich diejenige, die Daniel beibringen darf, dass er seinen Fisch des Tages ändern muss. Und wenn die Aushilfe krank ist, muss ich einspringen.

Es stimmte schon, ich war ordentlich zu spät gekommen an dem Tag, dafür konnte sich mein Styling sehen lassen: schicker schwarzer Hosenanzug, dazu hohe, elegante Riemchen-Pumps. Ich verbrachte den ganzen Abend damit, zwischen der Bar, der Küche und dem Empfangstresen des Oberkellners hin und her zu rennen, Gäste zu begrüßen, Getränke zuzubereiten und Daniel und seine Küchenhilfen anzuhalten, das Essen zügig und ohne große Diskussionen rauszugeben.

Gegen zehn Uhr, als auch die letzten Gäste – eine trinkfeste sechsköpfige Gruppe – endlich Anstalten machten, sich von ihren Stühlen zu erheben, war ich kurz davor, aus Erschöpfung umzukippen. Meine Zehen waren ein einziger greller Schmerz.

»Großartiges Essen, BeBe«, rief Preston Conover, der rotgesichtige Vizedirektor der Coastal Trust Bank, während er mir den Arm um die Schulter legte und einen Kuss auf die Wange drückte, der für meinen Geschmack etwas zu nah an meinem Mund landete. »Du hast hier einen so schönen kleinen Laden.« Über seine Schulter sah ich, wie seine Frau mit den Augen rollte. Ich schaffte es, seinen Arm unauffällig abzustreifen, und bedankte mich mit so viel Ernsthaftigkeit, wie ich aufbringen konnte. Immerhin war er nicht nur irgendein Bankdirektor. Er war mein Bankdirektor, der persönlich meinen Kredit über eine halbe Million Dollar abgesegnet hatte, damit ich in der Barnard Street meine Lounge erweitern konnte, wofür ich die leerstehende Wohnung neben mir hatte zukaufen wollen.

Preston warf mir die Rechnung und seine Platin-American-Express-Karte hin, und ich schob ihm die Kreditkarte brav wieder zurück.

»Aaach, Bebe«, protestierte er gekünstelt. Dieses Spiel liebte er, um seine Freunde zu beeindrucken. Großmaul Preston bestand regelmäßig darauf, in den besten Restaurants der Stadt für seinen Tisch die Rechnung zu begleichen, in dem Wissen, dass der Restaurantbesitzer sie ihm natürlich erlassen würde. Ehrlich gesagt hätte es mir auch nichts ausgemacht, Preston und Jeanine einzuladen. Aber hier saßen sechs Leute, die alle die teuersten Vorspeisen, Hauptgänge und Wein geordert hatten. Allein ihre Getränkerechnung belief sich auf dreihundert Dollar, was ich deshalb so genau wusste, weil ich sie persönlich den ganzen Abend mit Getränken versorgt hatte.

»Sieh zu, dass du nach Hause kommst, Preston«, meinte ich lächelnd mit einem Nicken in Richtung Tür. Sobald er und seine Gesellschaft das Restaurant verlassen hatten, schloss ich die Tür ab und ließ mich auf einen Hocker an der Bar sinken.

»O Gott«, seufzte ich, während ich mir die Schuhe von den Füßen kickte. »Uuuh«, entfuhr es mir, als mein Blick auf den Spiegel hinter der Bar fiel. Meine Haare hingen mir strähnig und kraftlos um die Schultern, von meinem Lippenstift waren nur noch Überreste geblieben, und mir fehlte ein Ohrring.

Plötzlich klopfte jemand an die Tür.

»Wir haben geschlossen«, rief ich, weil ich zu erschöpft war, um aufzustehen.

Aber es klopfte wieder.

»Versuchen Sie es mal beim Marriott«, rief ich. »Die haben bis zwölf geöffnet.«

Erneutes Klopfen.

Widerwillig erhob ich mich von meinem Hocker und humpelte barfuß zur Tür, die ich genervt aufriss. »Verdammt, ich habe doch gesagt –«

Den Rest konnte ich gerade noch runterschlucken, denn vor mir stand Ryan Edward Millbanks der Dritte.

»Hey.« Er machte einen Schritt zurück. »Ist das gerade ein schlechter Moment für dich?«

Ich zog mir hastig die Schürze aus und strich mir eine verschwitzte Haarsträhne hinters Ohr.

»Langer Tag«, murmelte ich.

Er schielte an mir vorbei in den Gastraum, und ich sah, wie sein Blick an den Rosen hängenblieb. »Die Blumen sind wunderschön«, sagte ich schnell. »Meine Lieblingsfarbe bei Rosen. Ich hatte noch gar keine Zeit, dich anzurufen und mich angemessen zu bedanken, weil wir den ganzen Abend so die Bude voll hatten. Mein Barkeeper und eine der Kellnerinnen sind nicht aufgetaucht, wahrscheinlich haben sie sich in ihr gemeinsames Liebesnest verkrochen. Also musste ich selbst aushelfen und gleichzeitig noch die strahlende Gastgeberin geben. Und dann –«

Er legte mir einen Finger auf die Lippen. »Pssst«, machte er. »Ist egal. Ich wollte nur vorbeischauen, um zu sehen, ob du Lust hast, ’ne Kleinigkeit essen zu gehen.«

»Jetzt gleich? Ich kann so nirgends hingehen, schau mich doch an! Ich bin ein Wrack.«

»Ich finde, du siehst gut aus. Und es muss ja kein schicker Laden sein«, lockte mich Reddy. »Ich bin wirklich nur an ein wenig Gesellschaft interessiert.«

»Es ist Sonntag und fast elf Uhr abends«, erinnerte ich ihn. »Wir sind hier in Savannah, nicht in New York. Hier hat doch nichts Gescheites mehr offen.«

»Ich wüsste da was«, erklärte er und streckte mir die Hand entgegen. »Na los, komm. Du bist doch der Chef, du wirst nicht die Stühle hochstellen müssen, oder?«

Ich lachte trotz meiner Erschöpfung. »Nein. Aber ich muss schnell Daniel Bescheid sagen, dass ich gehe.«

»Ist das der Koch?«

»Genau. Ich glaube, du hast ihn heute Mittag getroffen, als du die Blumen gebracht hast.«

»Na ja, treffen kann man das nicht nennen«, sagte Reddy. »Ich habe die Rosen abgestellt und bin wieder gegangen. Ich hatte außerdem den Eindruck, als wäre er nicht allzu begeistert davon, dass Fremde in seiner Küche aufkreuzen.«

»Hunde, die bellen, beißen nicht«, erwiderte ich. »Er ist ein guter Kerl. Ich würde euch ja mal richtig vorstellen, aber vielleicht nicht gerade jetzt. Wir hatten alle einen langen Tag.«

»Dann ein anderes Mal.«

Ich ging nach hinten in die Küche. Dort war Daniel gerade dabei, seine Messer einzusortieren, was bedeutete, dass er ebenfalls kurz davor war, Feierabend zu machen.

»Ich bin erledigt«, erklärte ich.

»Wie lief es denn da draußen?«, fragte Daniel. »Hat sich jemand beschwert, dass die Muscheln aus waren?«

»Allerdings. Aber ich war zu beschäftigt, um darauf einzugehen. Deine neue Austernvorspeise war ein ziemlicher Hit. Bei dem sautierten Thunfisch hatte ich den Eindruck, dass nicht alle so begeistert waren.«

»Das liegt nur daran, dass sie ihn zu Tode gekocht haben wollen. Das ist erstklassiger Thunfisch, den könntest du für Sashimi verwenden, BeBe. Der ist nur gut, wenn man ihn roh isst«, nörgelte Daniel. »Wir müssen die Geschmacksnerven dieser Leute erst noch erziehen.«

»Nein. Wir müssen ihnen Essen servieren, das ihnen schmeckt«, korrigierte ich ihn. »Wir sollten mal überlegen, ob wir den Thunfisch nicht für eine Weile von der Karte nehmen. Vielleicht probieren wir es mal mit Flunder.«

»Flunder?!« Daniel klatschte empört mit der flachen Hand auf die Edelstahl-Arbeitsplatte. »Wieso servieren wir nicht gleich Fischstäbchen mit Kartoffelbrei?«

»Wir reden am Dienstag noch mal drüber, okay?« Ich wandte mich zum Gehen. »Bis dann.«

»Moment mal, wo willst du denn hin?« Daniel klang überrascht. »Es ist doch Sonntagabend. Die anderen erwarten uns.«

Seit ein paar Jahren hatten meine beste Freundin Eloise – mit vollem Namen hieß sie Jean Eloise Foley – und ich quasi ein stehendes Dinnerdate für den Sonntagabend.

Angefangen hatte es als Mädelsabend, zu einer Zeit, als wir gerade beide tief in der dunklen Scheidungsverarbeitungsphase steckten. Wir trafen uns bei Eloise zum Abendessen und endeten mit alkoholischen Getränken auf der Couch und schauten uns alte Schnulzen an. Am liebsten malten wir uns aus, wie es wäre, sich einmal in einer Szene unserer Lieblingsfilme zu befinden. Daniel war später dazu gestoßen, als er und Eloise etwas miteinander anfingen. Irgendwann waren noch Eloises Onkel James und Jonathan McDowell, seine bessere Hälfte, hinzugekommen.

Die Männer waren eine angenehme Erweiterung – immerhin kochte Daniel wie ein Gott, und James und Jonathan waren schwul und mochten alle Dinge, die wir auch mochten, und waren außerdem noch beide Anwälte, was man auch immer mal gebrauchen konnte.

»Verdammt.« Ich schlug mir auf den Oberschenkel. »Das habe ich glatt vergessen. Ich habe sozusagen ein Date heute Abend.«

»Dann bring ihn doch mit, Eloise ist in Florida, da können wir Verstärkung gebrauchen«, entgegnete Daniel.

»Nein«, erwiderte ich schnell. »Nicht so eine Art Date. Also, ich … Es ist kompliziert, okay? Die anderen werden schon Verständnis haben.«

»Ein Mann also?« Daniel zog eine Augenbraue hoch. »Doch nicht der Typ mit den Rosen?«

»Das geht dich nichts an«, blockte ich ab. »Dann bis Dienstag.«

Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Weiß Eloise denn schon von diesem dritten Ryan Edward Millbanks?«

»Du hast die Karte gelesen? Meine private Nachricht?«

»Klar«, meinte Daniel ganz unverblümt. »Da rauscht so ein Typ in meine Küche, will wissen, wo du bist und wie das Geschäft so läuft – verdammt, ja, ich habe die Karte gelesen. Nicht, dass es da viel zu lesen gab. Was soll das denn für ’ne Visitenkarte sein, ganz ohne Adresse?«

»Reddy ist Vermögensverwalter«, erklärte ich. »Er stammt aus einer der besten Familien in Charleston. Er braucht keine Visitenkarte, die den Leuten sagt, was er tut oder wo er wohnt. Und ich kann es nicht gebrauchen, dass du deine Nase in meine Privatangelegenheiten steckst.«

»Schon klar«, erwiderte Daniel leicht eingeschnappt. »Weil du auch so berühmt bist für dein ausgezeichnetes Urteilsvermögen, was Männer angeht.«

»Ich habe dich eingestellt«, erinnerte ich ihn. Und ich konnte mir gerade noch verkneifen, hinzuzufügen, dass ich ihn auch feuern konnte, wenn er so weitermachte. Aber so doof war ich nicht. Und außerdem wartete draußen ein überaus attraktiver Mann, der mich zum Abendessen ausführen wollte.

»Sag den anderen liebe Grüße«, rief ich Daniel zu, während ich schon die Tür zum Gastraum aufstieß. »Und halt dich in Zukunft von meinem Büro fern.«

4

Montag war mein einziger wirklich freier Tag, den ich in der Regel dazu nutzte, beim Heim vorbeizuschauen. Offiziell nannte sich die Einrichtung »Magnolia Manor Assisted Living«, aber eigentlich war es auch nur ein Altenheim. Zugegeben, ein sehr komfortables Luxus-Altenheim, in dem meine Großeltern Spencer und Lorena Loudermilk seit drei Jahren gemeinsam wohnten.

Opa öffnete mir die Tür zu dem verputzten, kleinen Häuschen, das er mit meiner Großmutter auf dem Heimgelände bewohnte. Er trug verwaschene rote Jogginghosen, ein kariertes Flanellhemd und eine Schirmmütze von Georgia Tech Golf. Seine riesigen Füße steckten ohne Socken in nicht zugeschnürten Arbeitsstiefeln. Durch die dicken Bifokalgläser seiner Brille schielte er auf mich runter, und als er mich erkannte, funkelten seine hellblauen Augen freudig.

»Engelchen!«, rief er aus und faltete die dünnen Arme um mich. »Wann bist du zurückgekommen?«

»Wieso zurückgekommen?« Ich blinzelte. »Opa, ich war doch gar nicht verreist.«

»Du warst doch in Europa«, erklärte er. »Dein Bruder hat mir gesagt, du wärst zwei Wochen in Europa.«

»Welcher Bruder?«

»Du weißt schon.« Er fuchtelte mit der Hand in der Luft herum. »Der mit den Haaren.«

Ich habe sechs Brüder, und zum jetzigen Zeitpunkt hatten alle noch Haare, soweit ich wusste. Namen waren einfach nicht Opas Stärke. Aber da außer meinem ältesten Bruder keiner der nutzlosen Bande es für nötig erachtete, ab und zu mal bei unseren Großeltern vorbeizuschauen, ging ich davon aus, dass er ihn meinte.

»Arch? Hat Arch euch besucht? Das ist ja nett!«

»Arch«, wiederholte Opa und nickte selig. »Er ist ein ganz schön haariger Brocken, nicht wahr?«

»Opa! Ich finde, Arch ist ein attraktiver Mann. Mit dem Bart wirkt er doch viel seriöser.«

»Behaart wie ein Affe ist er«, entgegnete Opa bestimmt. »Das hat er nicht von den Loudermilks. Die Familie deiner Mutter – das war so ein behaarter Haufen. Ich hab mal einen Onkel von ihr kennengelernt, der sah aus wie dieser russische Rasputin. Aber Ellen hatte nicht so Haare. Oder sie hat sich nur rasiert, und ich habe es deshalb nie bemerkt.«

»Nein«, meinte ich kichernd. »Ich glaube nicht, dass Mama außergewöhnlich starken Haarwuchs hatte.« Ich folgte ihm in das kleine Wohnzimmer, das vollgestellt war mit dunklen verzierten Mahagonimöbeln, einem sperrigen Sofa und einem riesigen Fernseher, der, soweit ich wusste, nur angeschaltet wurde, um den Wetterbericht oder die Aktienkurse zu schauen. Letztere flackerten gerade über den Bildschirm, die Lautstärke bis zum Anschlag aufgedreht.

Ich schnappte mir hastig die Fernbedienung von Opas verstellbarem Sessel und stellte den Ton aus.

»Wo ist denn Oma?«, fragte ich und schielte um die Ecke in die kleine Küche. Mein Blick fiel auf ein offenes Glas Erdnussbutter auf dem Esstisch, in dem ein großer Löffel steckte. Der Tisch war übersät mit leeren Süßigkeitenverpackungen, schmutzigen Tellern und Tassen. »Sie macht doch um diese Zeit noch keinen Mittagsschlaf, oder?«

»Wer?« Opa ließ sich auf seinen Sessel sinken.

»Oma«, wiederholte ich um Beherrschung bemüht. »Deine Frau, Lorena. Schläft sie?«

»Woher soll ich das wissen?«, erwiderte er genervt. »Frag doch die Schwester.«

»Die Schwester?« Ich ging zum Schlafzimmer, das Bett war zwar etwas dilettantisch gemacht, aber leer. »Welche Schwester? Opa, wo ist Lorena?«

Er machte eine vage Geste mit der Hand. »Da drüben.«

»Wie, da drüben?« Ich setzte mich auf die Lehne seines Sessels und packte ihn am Handgelenk.

»Du weißt schon.« Er lehnte sich zur Seite, um den Fernseher besser sehen zu können. »Da drüben in dem Gebäude.«

Ich nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. »Opa! Bitte. Was für ein Gebäude? Wo ist Lorena hingegangen? Kannst du mir das sagen?«

»Verdammt, ja. Ich kann es dir sagen«, polterte er. »Hältst du mich etwa für senil? Wie gesagt, sie ist da drüben in diesem großen Gebäude. Du weißt schon. An diesem Ort. Der Doktor hat gesagt, sie kann nicht nach Hause, bis das mit dem Pinkeln wieder besser ist.«

»Sie ist im Krankenhaus?« Ich verstand es immer noch nicht. »Willst du sagen, Oma ist im Krankenhaus? Was ist denn passiert?«

»Woher soll ich das wissen?« Opa zuckte mit den Schultern. »Ich kann mir auch nicht alles merken, was hier so vor sich geht. Ich weiß nur, dass ich schon sehr lange keine warme Mahlzeit mehr hatte.«

Ich zog mein Handy aus der Handtasche und rief meinen Bruder Arch an, in der Hoffnung, dass er im Büro und damit erreichbar war.

»Arch? Ich bin’s, BeBe. Ich bin im Heim bei Opa. Weißt du irgendwas davon, dass Oma im Krankenhaus ist?«

»Ähm, nein«, antwortete er verwirrt. »Ich habe sie letzte Woche noch gesehen. Ich glaube, es war am Sonntag. Da schien es ihr gutzugehen. Sie war vielleicht ein bisschen daneben, aber eigentlich nicht mehr als sonst. Hat Opa das erzählt?«

»Ja, ich glaube, das wollte er mir sagen.« Ich seufzte. »Also, sie ist jedenfalls nicht hier. Das Bett ist unbenutzt, in der Küche herrscht heilloses Chaos, und ich fürchte, er hat sich die letzten Tage von Erdnussbutter und Schokoriegeln ernährt.«

»O Gott«, seufzte Arch. »Und was wirst du jetzt tun?«

Ich kaute auf der Unterlippe. Ja, was würde ich tun? Was würde er tun? Wo wir schon dabei waren, was würde irgendjemand aus der Familie tun? Es blieb doch immer alles an mir hängen.

»Ich bin ja nun hier«, sagte ich schließlich. »Ich ruf mal beim Krankenhaus an und frage, ob sie dort ist.«

»Mach das«, erwiderte Arch. »Hör mal, es tut mir leid, aber ich habe gleich ein Meeting. Ruf mich doch später an und sag mir, ob du sie gefunden hast, okay?«

Als ich aufgelegt hatte, suchte ich die Nummer des Magnolia-Manor-Krankenhauses raus, und nach fünfzehn Minuten in der Warteschleife bekam ich tatsächlich die Auskunft, dass Mrs Lorena Loudermilk vor drei Tagen mit einer Blaseninfektion eingeliefert worden war.

»Ich bin die Enkelin«, sagte ich in möglichst herrischem Tonfall. »Ich wusste nichts davon, dass sie krank ist. Mein Großvater war die letzten drei Tage auf sich allein gestellt und hat offenbar weder gegessen noch geschlafen. Wieso ist die Familie nicht informiert worden, dass sie ins Krankenhaus gebracht wurde?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, meinte die Frau leichthin. Und ganz offensichtlich war es ihr auch völlig egal. »Da müssen Sie den Arzt fragen.«

»Genau das werde ich tun«, entgegnete ich und unterbrach schwungvoll die Verbindung.

»Komm, Opa«, sagte ich gezwungen fröhlich. »Wir gehen Oma im Krankenhaus besuchen, okay?«

»Vielleicht später.« Opa winkte ab und schaute demonstrativ auf die große Wanduhr über dem Fernseher. »Der Rukeyser Report läuft gleich.«

»Ich glaube, wir gehen besser jetzt«, erwiderte ich bestimmt und zog ihn leicht am Ärmel. »Du kannst doch später noch fernsehen.«

Ich kramte den Schlüssel zum Bungalow aus meiner Handtasche und schloss hinter uns ab. »Es ist zu kalt, um bis zum Hauptgebäude zu Fuß zu gehen«, erklärte ich meinem Großvater und deutete auf den weißen Lexus, den ich auf dem Besucherparkplatz abgestellt hatte. »Ich habe gleich da drüben geparkt.«

»Und ich hab gleich da geparkt«, entgegnete Opa und zeigte stolz auf einen ebenfalls weißen Lincoln direkt neben meinem Auto. Er zog einen Schlüsselbund aus der Tasche seiner Jogginghose und klimperte damit vor meiner Nase herum. »Nach dem Krankenhaus können wir noch Eis kaufen, so wie früher immer, als du noch ein kleines Mädchen warst.«

Ich ging um den Lincoln herum und erstarrte, als ich den Aufkleber in der Scheibe entdeckte. Vor mir stand ein brandneuer Wagen, für den irgendjemand stolze 42698 Dollar bezahlt hatte.

Opa drückte auf dem automatischen Schlüssel herum, bis die Verriegelung hörbar aufsprang. Er öffnete die Beifahrertür und machte eine Handbewegung, dass ich einsteigen sollte. »Nach dir«, sagte er mit vor stolz geschwellter Brust.

Der Fußraum war noch mit Pappe ausgelegt, und die ledergebundene Betriebsanleitung lag auf dem Sitz. Ich schielte auf die Anzeige, die mir verriet, dass das Auto erst dreiundzwanzig Kilometer gefahren war.

»Opa«, sagte ich, als ich eingestiegen war. »Wo hast du dieses Auto her?«

»Mitchell Motors, wie immer«, antwortete er und strich zufrieden über die weichen Ledersitze. »Seit 1964 kaufe ich meine Autos bei den Mitchells. Nette Leute.«

»Dieses Auto hat fast dreiundvierzigtausend Dollar gekostet.« Meine Stimme kam gepresst, weil sie sonst gezittert hätte. »Wie hast du das bezahlt?«

»Cash. Wie immer.«

»Aber woher hattest du das Geld?« Inzwischen fiel es mir wirklich schwer, ruhig zu bleiben. Seit meine Großeltern ins Magnolia-Heim gezogen waren, kümmerte ich mich um die finanziellen Angelegenheiten. Wir hatten ein gemeinsames Konto eingerichtet, von dem ich die monatlichen Rechnungen beglich und den beiden ein Taschengeld für Lebensmittel und andere Dinge auszahlte, wie Omas Friseurtermine oder die Flasche Scotch, die Opa alle paar Wochen nachkaufte. Soweit ich wusste, konnten sich im Haus nicht mehr als ein paar Hundert Dollar Bargeld befunden haben.

Er wedelte mit der Hand. »Ach, ich hab ihnen einen Scheck ausgestellt. Von denen, die du in der Schublade im Sekretär gelassen hast.«

Ich spürte, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich. Letzten Monat hatte ich das Scheckbuch in der Schublade im Sekretär im Schlafzimmer liegen lassen, nachdem ich es zum Bezahlen der üblichen Rechnungen verwendet hatte. Mir war nicht bewusst gewesen, dass Opa wusste, wo das Scheckbuch war.

»Du hast einen Scheck über dreiundvierzigtausend Dollar ausgestellt«, murmelte ich ausdruckslos.

»Ja, Ma’am«, tönte Opa zufrieden, während er mit dem Schlüssel an der Konsole herumstocherte und versuchte, das Zündschloss zu finden.

»Ach, verdammt«, schimpfte er. »Da braucht man ja einen Hochschulabschluss, um diese neuen Autos zu bedienen.«

Beim nächsten Stochern öffnete sich das Verdeck des Lincoln lautlos, dann schoben sich unsere Sitze automatisch in eine beinahe liegende Position. Opa stocherte weiter, und auf einmal hallte eine fremde Stimme durch den hellen Innenraum des neuen Autos.

»OnStar«, meldete sich die sanfte Frauenstimme.

»Wie bitte?« Opa schaute sich verwirrt nach der Ursache der Stimme um. »Was ist das denn?«

»OnStar«, wiederholte die Frau.

»Wer sind Sie?«, wollte Opa wissen.

»OnStar Pannenhilfe«, antwortete die Frau mit ruhiger Stimme. »Sir, ist bei Ihnen alles in Ordnung?«

Er dachte ein paar Sekunden über die Frage nach.

»Mir geht’s gut«, erklärte er schließlich. »Aber Lorena hat so Frauenprobleme.«

»Sir?« Die Frau schien jetzt doch nicht mehr weiter zu wissen.

»Es ist alles in Ordnung«, schaltete ich mich ein. »Fehlalarm.« Schnell drückte ich auf den OnStar-Knopf, um das Gespräch zu beenden.

»Die klang aber nett«, bemerkte Opa, dann ließ er den Motor an und strahlte mich an. »Wo soll’s denn hingehen, Engelchen?«

Er brauchte mindestens eine Viertelstunde, um dieses Schiff von einem Wagen aus dem Parkplatz zu manövrieren und uns die paar Straßen bis zum Hauptgebäude von Magnolia Manor zu kutschieren. Wir nahmen den Aufzug in den dritten Stock und folgten dem langen Gang bis zu einer großen Tür mit der Aufschrift KRANKENSTATION.

»Sie schläft gerade«, erklärte uns die Krankenschwester am Empfangstisch. »Mrs Loudermilk legt viel Wert auf ihren Mittagsschlaf.«

»Sicher tut sie das«, erwiderte ich. »Aber ich muss sie dringend sehen und mit ihr sprechen. Es wird auch nicht lange dauern.«

Irgendein Unterhaltungsprogramm dröhnte aus dem an der Wand befestigten Fernseher im winzigen Wartebereich direkt neben dem Empfang. Zielstrebig ging Opa auf einen der freien Stühle zu und ließ sich nieder, den Blick bereits auf den überdimensionalen Bildschirm geheftet. »Ich warte hier«, erklärte er zufrieden.

Die Schwester zog den Vorhang zurück, der den hintersten von drei abgetrennten Räumen umgab. Meine Großmutter lag zusammengerollt auf der Seite, die Augen geschlossen, der zahnlose Mund im Schlaf geöffnet. Ein hellblaues Laken war über sie gebreitet, ein dünner Plastikschlauch führte vom Infusionsständer zu ihrem spindeldürren Arm, ein weiterer Schlauch war mit dem Kathederbeutel verbunden, der seitlich am Bett befestigt war.

»Sie bekommt Antibiotika«, flüsterte die Schwester. »Ihre Urinproduktion ist schon wieder viel besser. Der Arzt geht davon aus, dass er den Katheder bis zum Wochenende wieder entfernen kann.«

Ich legte meine Finger um das bläulich schimmernde Handgelenk meiner Großmutter. Es war so dünn, dass ich das Gefühl hatte, es zweimal umfassen zu können. Warme Tränen liefen mir über die Wangen.

Es war gerade mal eine Woche hergewesen, dass ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Aber es schien so, als hätte Lorena Loudermilk seitdem den Körper verlassen, in dem ich sie gekannt und mein Leben lang geliebt hatte. Dieses eingesunkene Wesen war niemand, den ich kannte.

»Was ist sonst noch?«, wandte ich mich an die Schwester. »Was fehlt ihr? Vor einer Woche ging es ihr noch gut. Ich habe sie noch besucht, wir haben Mensch-ärger-dich-nicht gespielt, und sie hat gewonnen, so wie immer. Sie hat Suppe zum Mittagessen gekocht.«

Die Schwester zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur von der Blasenentzündung. Sie ist eine süße, kleine Frau. Beschwert sich nie.«

Ich starrte sie entgeistert an. Süß? Beschwert sich nie? Okay, hier stimmte aber etwas gewaltig nicht. Meine Großmutter war ein Biest. Sie und mein Großvater waren siebenundfünfzig Jahre verheiratet, und es war kein Tag vergangen, an dem sie sich nicht über irgendetwas beschwert hatte. Lorena Loudermilk war eine komplizierte, wundervolle, anstrengende Person. Süße, kleine Frau – von wegen!

5

Mit Notizblock und Stift bewaffnet, saß ich kurze Zeit später inmitten von Pillenschachteln und Döschen, die ich überall in der Wohnung zusammengesammelt hatte, am Esstisch und machte mich daran, eine Liste aller Medikamente meiner Großmutter zu erstellen. Digoxin. Lasix. Flagyl. Cipro. Vicodin. Ativan. Zolpidem. »Nimmt Oma wirklich alle diese Tabletten?«, fragte ich meinen Großvater, während ich misstrauisch das Mindesthaltbarkeitsdatum auf der Digoxin-Flasche kontrollierte.

»Wie soll ich das denn wissen, bitte schön?«, erwiderte er, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, auf dem gerade die Animation eines großen Wirbelsturms gezeigt wurde, der offenbar demnächst auf Minnesota treffen würde.

Ich seufzte. So lange meine Großmutter im Krankenhaus bleiben musste und Opa sich von Erdnussbutter und Kitkats ernährte, blieb mir wohl nichts anderes übrig, als einzugreifen.

»Wäre es für dich okay, wenn ich ein paar Tage hierbleibe?«, fragte ich schwach.

Er zuckte die Achseln, immer noch, ohne mich anzuschauen. »Mach’s dir bequem. Obwohl ich mich frage, wieso du das möchtest, wo du doch so ein schönes Haus hast, das dir einer deiner Ehemänner gekauft hat.«

»Jaa«, erwiderte ich gedehnt. Es war zwecklos, ihm ein weiteres Mal zu erklären, dass ich das Stadthaus in der West Jones Street sowie drei weitere Immobilien in der Stadt alle selbst gekauft hatte.

Meine Eltern hatten in den siebziger Jahren ihr eigenes Maklerbüro gegründet, Loudermilk & Partner, und besonders meine Mutter hatte immer gepredigt, wie wichtig es war, eigene Immobilien zu besitzen. Mit ihrer Hilfe war ich an günstige Angebote gekommen, noch bevor sie überhaupt auf dem Markt waren, und hatte so bereits mit zweiundzwanzig Jahren mein erstes Haus gekauft, ein hässliches rotes Backsteinhaus mit zwei Schlafzimmern im Süden der Stadt, das ich inzwischen für achtundvierzigtausend Dollar an die Bank zurückverkauft hatte.

Mama hatte mir damals fünftausend Dollar für die Anzahlung vorgeschossen und die Hypotheke auf das Haus mitunterschrieben. Danach jedoch war ich, was Häuserkaufen angeht, immer allein unterwegs gewesen. Ich hatte das Backsteinhaus renoviert – und zwei Jahre später für ordentliche dreißigtausend Dollar Profit wieder verkauft. Das Geld steckte ich direkt in mein nächstes Projekt – ein baufälliges Holzhaus an der East Sixtyseventh Street.

Seit meinem ersten Hässliche-Entlein-Haus hatte ich auf diese Art ein Dutzend Häuser gekauft und verkauft, und jedes Haus war ein bisschen schicker und teurer als das vorherige – und ich tastete mich allmählich an den historischen Stadtkern vor, wo ich schon immer hatte wohnen wollen. Schon als kleines Mädchen hatte ich von einem Haus dort geträumt.

Das Stadthaus in der West Jones Street war ursprünglich eines von zwei identischen alten Reihenhäusern aus wunderschönem grauen, Savannah-typischen Backstein, die ein reicher Baumwollhändler 1853 für seine Zwillingssöhne hatte bauen lassen. Als meine Mutter das Haus entdeckte, war es so heruntergekommen, dass ein riesiger Mimosenstrauch an der Stelle durch das Dach wuchs, wo früher die Küche gewesen war. Ich fand das Haus furchtbar, aber Mama hatte darauf bestanden, dass es ein Rohdiamant war – davon abgesehen, dass es mit einem Preis von 450000 Dollar das mit Abstand günstigste Haus im ganzen Bezirk war.

Ich steckte Unsummen in das Haus, und es dauerte fünf Jahre, bis es zu dem Schmuckstück wurde, das es jetzt war, und in dieser Zeit hatte ich zwei Scheidungen durchlitten und so viel Herzschmerz erlebt, dass ich mich nicht mehr daran erinnern mochte.

Aber es war eben das letzte Haus, das Mama für mich gefunden hatte. Ich konnte immer noch ihre Stimme hören, die durch den hohen Marmor-Eingangsbereich hallte, als sie mir das Haus vorstellte. »BeBe – schau dir dieses Treppenhaus an. Sieh mal, das gusseiserne Kaminsims. Dieses Haus wird ein Traum. Du wirst einen Traum daraus machen.« Und so war es auch gekommen, aber sie hatte nicht mehr lang genug gelebt, um die Fertigstellung noch mitzubekommen.

Trotz meiner erfolgreichen Immobiliengeschäfte war ich in den Augen meines Großvaters immer noch eine arme, einfältige Geschiedene, die auf die Großzügigkeit von Männern angewiesen war, um in der Welt zurechtzukommen.

»Ich fahre schnell was einkaufen. Willst du mitkommen?«

»Nö.«

Ich schnappte mir seine Autoschlüssel vom Küchentisch. »Ist es okay, wenn ich mir dein schickes neues Auto mal ausleihe?«

Auf einmal hatte ich seine Aufmerksamkeit.

»Das hat aber viel mehr Pferdestärken, als du gewöhnt bist«, erklärte er mir und musterte mich zweifelnd.

»Ich fahre ganz langsam«, versprach ich.

Er nickte zögerlich und fasste dann in die Tasche seiner roten Jogginghose.

»Hier«, sagte er und steckte mir einen Zehndollarschein zu.

»Wofür ist das denn?«

»Für mein Engelchen.« Er lächelte wohlwollend. »Füll den Tank ein wenig auf und kauf dir ein Eis an der Tankstelle.«

Ich gab ihm einen Kuss auf die mit Altersflecken übersäte Stirn. »Danke, Kumpel. Ich bin gleich wieder da.«

Mit dem Lincoln rückwärts aus der Parklücke zu kommen fühlte sich an, als würde man ein Sofa rangieren. Ich war noch nie zuvor mit einem so großen Auto gefahren. Sehr, sehr vorsichtig fuhr ich mit dem Wagen zu Mitchell Motors, die ihr Autohaus am Victory Drive hatten.

Es war vier Uhr nachmittags, und der Himmel war mit dicken Regenwolken verhangen, obwohl eigentlich längst Frühling sein sollte in Savannah. Der gläserne Ausstellungsraum war menschenleer, auf einem riesigen Plasmabildschirm präsentierte ein Werbevideo den neuen Lincoln Navigator. Es war wohl kein guter Nachmittag, um amerikanische Riesenschlitten zu verkaufen, nahm ich an.

Ein pausbäckiger Junge im blauen Anzug, der ihm eine Nummer zu groß zu sein schien, saß am schweren Empfangstisch aus Mahagoni und blätterte in der Märzausgabe der Maxim.

»Hi!«, grüßte er, als er mich erblickte, und schob hastig die Zeitschrift unter die Schreibunterlage. »Kann ich Ihnen den neuen Lincoln Navigator vorstellen?«, fragte er und stand auf.

»Nein, danke«, antwortete ich. »Ehrlich gesagt habe ich schon genug Autos. Mein Name ist BeBe Loudermilk. Ich komme wegen des neuen Autos meines Großvaters.«

»Oh?« Er nahm wieder am Schreibtisch Platz. Ich bemerkte das Namensschild, wonach ich es mit Tyler Mitchell zu tun hatte.

»Mein Großvater ist Spencer Loudermilk«, fuhr ich fort. »Jemand hier hat ihm letzte Woche ein neues Auto verkauft – für dreiundvierzigtausend Dollar. Er hat offenbar den regulären Preis bezahlt.«

Tyler Junior nickte. »Ich erinnere mich an Mr Loudermilk. Mein Onkel Ray hat ihm das Auto verkauft. Spitzenwagen, was?«

Ich stützte mich auf dem Schreibtisch ab. »Die Sache ist die, Tyler, mein Großvater ist zweiundachtzig Jahre alt. Er hat grünen Star und Bluthochdruck. Er lebt in einem Pflegeheim und fährt maximal zum nächsten Supermarkt. Sein alter Buick Electra hatte gerade mal fünfundvierzigtausend Kilometer drauf. Aber Ihr Onkel Ray hat ihm diesen riesigen neuen Lincoln verkauft. Der hat ein offenes Verdeck und die teuersten Michelin Reifen und Satellitenradio.«

»Und GPS«, ergänzte Tyler hilfsbereit. »Das ist echt ein Knaller, der Wagen.«

»Aber er ist zweiundachtzig«, wiederholte ich. »Er hat kein Einkommen mehr.« Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss, jetzt, wo wir über Finanzen sprachen. »Hören Sie mal, Tyler, Rentner brauchen keinen Knaller-Wagen. Was sie brauchen, ist ein Buick, der noch nicht zu viele Kilometer drauf hat und den sie ohne Probleme bedienen können. Und sie brauchen Geld, um ihre Medikamente und ihre Arztrechnungen zu bezahlen, und sie brauchen den Platz im Pflegeheim. Nicht zu vergessen, Kitkats und Scotch.«

»Gibt es ein Problem mit dem Lincoln? Wir haben nämlich auch ganz tolle DVDs, auf denen erklärt wird, wie man die Elektronik bedient.« Tyler öffnete die oberste Schublade des Schränkchens unter dem Schreibtisch und zog eine DVD in einer schicken Plastik-Schmuckhülle hervor.

»Eine DVD?« Ich lehnte mich nach vorn, so dass mein Gesicht dicht vor Tylers war. Seine Haut war milchig, ich ging davon aus, dass er sich noch nicht einmal rasieren musste. »Er ist zweiundachtzig, verdammt nochmal! Er denkt wahrscheinlich, DVD ist das Amt, wo man seinen Führerschein abholt. Was ich versuche, Ihnen zu sagen, Tyler, ist, dass Sie den Lincoln zurücknehmen sollen. Ich will, dass Sie mir den vollen Kaufpreis zurückerstatten, und ich will, dass Sie mir den 1986er Buick wiedergeben.«

Tyler blinzelte und schob seinen Stuhl zurück.

»Ich glaube nicht«, sagte er kopfschüttelnd. »Nein, ich glaube nicht, dass mein Onkel Ray so etwas machen würde.«

Ich tippte auf das Telefon auf dem Schreibtisch. »Rufen Sie ihn an. Sagen Sie ihm, Sie hätten da eine Kundin, die dringend mit ihm sprechen muss. Sie könnten auch erwähnen, dass ich ziemlich wütend bin. Und dass ich meine Medikamente gerade nicht nehme.«

Tyler schüttelte weiter den Kopf. Er erinnerte mich inzwischen an diese Wackel-Dackel, die manche Leute hinten auf der Hutablage im Auto stehen haben. Opa hatte so einen in seinem alten Buick. »Aber Onkel Ray ist nicht hier«, erklärte er. »Er ist bei der NADA-Konferenz.«

»Alles klar. Holen Sie mir einen anderen Verkäufer.«

»Das kann ich nicht. Die sind alle bei der Konferenz. In Palm Beach. Onkel Ray ist zum besten Händler des Jahres nominiert.«

Ich schob ihm den Schlüssel des Lincoln hin. »Na schön. Ich gehe mal davon aus, dass Sie in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, wenn man Ihnen hier schon allein die Verantwortung überträgt. Geben Sie mir das Geld zurück. Und den Electra.«

Tyler schob den Schlüssel von sich. »Sorry. Das kann ich nicht machen.«

»Hier muss es doch jemanden geben, der mir helfen kann«, rief ich mit erhobener Stimme. »Der Lincoln hat gerade mal zwanzig Kilometer drauf. Die Schutzpappe liegt noch im Fußraum. Mein Großvater kann sich das Auto nicht leisten. Sie müssen mir das Geld zurückgeben.«

Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte, und Tyler nahm hastig ab. »Mitchell Motors«, meldete er sich atemlos. »Kommen Sie heute vorbei und fahren Sie den neuen Lincoln Navigator Probe, und gewinnen Sie mit etwas Glück ein Wochenende für zwei in Montego Bay, Jamaica.«

Ich riss ihm den Hörer aus der Hand und legte krachend auf. »Tyler! Hier spielt die Musik. Ich will meine dreiundvierzigtausend Dollar zurück. Und den Buick.«

Er errötete vom Hals aufwärts. Die Augen zu Schlitzen verengt, zischte er: »Was ist denn los, BeBe, haben Sie etwa Angst, dass der alte Mann Ihr Erbe verprasst?«

Ohne nachzudenken, holte ich aus und scheuerte ihm eine. Ich schnappte mir die Autoschlüssel vom Tisch und verließ mit quietschenden Reifen den Parkplatz.

6

Meine Hände zitterten vor Wut und Hilflosigkeit, als ich die Eingangstür zu meinem Stadthaus aufschloss. Ich hob die Post auf, die durch den Briefschlitz geworfen worden war, und schaute sie flüchtig durch.

Das Telefon in der Küche klingelte, und ich sprintete zum Apparat, in der Hoffnung, es wäre einer der Ärzte meiner Großmutter.

Aber die digitale Anzeige sagte mir, dass der Anruf aus dem Budget Inn in Daytona Beach in Florida kam.

»BeBe? Hey. Hier ist Rikki.« Meine vermisste Kellnerin klang, als hätte sie mit Kieselsteinen gegurgelt.

»Hi Rikki«, erwiderte ich kühl. »Wie geht’s dir?«

Als Antwort hustete es heftig am anderen Ende der Leitung. »Nicht so gut«, antwortete sie mit kratziger Stimme. »Ich bin nur am Husten. Und ich hab schon den ganzen Tag 39 Fieber. Mein Arzt meint, es geht was rum. Er hat mir geraten, im Bett zu bleiben, auch weil ich bestimmt ansteckend bin.«

»Ach, du Arme«, heuchelte ich. »Das ist ja furchtbar. Hör zu, du bleibst mal schön im Bett. Ich bringe dir was von Daniels berühmter Hühnersuppe vorbei und kaufe dir Hustenbonbons.«

Rikki hustete wieder. »Nein, bloß nicht! Ich bin in ein paar Tagen wieder auf den Beinen. Ich will auf keinen Fall, dass du dich ansteckst, das ist echt nicht schön.«

»Oh, das ist lieb von dir«, meinte ich. »Und was ist mit Kevin? Wie geht es ihm?«

»Kevin?«, fragte sie vorsichtig. »Ich … ich weiß nicht.«

»Wirklich? Wieso lehnst du dich nicht einfach mal rüber in eurem Budget-Inn-Bett in Daytona Beach und reichst ihm den Hörer?«

»Was?«

»Ertappt, Rikki. Du kannst mit der Schauspielerei aufhören. Ehrlich gesagt habe ich überhaupt genug von der Scheiße. Aber danke für deinen Anruf, so kann ich euch beide nämlich gleichzeitig feuern. Und das Schöne daran ist, du bezahlst das Ferngespräch auch noch. Tschüss!«

Ich warf den Hörer auf die Gabel. Leider hielt sich meine Genugtuung in Grenzen. Kevin und Rikki waren jetzt nicht wirklich Vorzeige-Angestellte, aber Rikki war eine kurvige Blondine, die es immer schaffte, unseren Gästen den teuersten Wein anzudrehen. Kevin war groß, dunkel und etwas einfältig, aber die weiblichen Gäste liebten ihn. Wahrscheinlich, weil sie von einer heißen Affäre mit dem Barkeeper fantasieren konnten.

Wut stieg in mir auf. Die Hauptsaison stand kurz bevor, und ich hatte plötzlich zwei erfahrene, wenn auch etwas unzuverlässige Angestellte weniger.

Ich ging weiter die Post durch und schmiss den Stapel Werbung wütend auf den Küchentisch, als wieder keine Mietabrechnung meiner Mieterin Brenna dabei war. Obwohl es mich nicht wirklich überraschte. Brenna, die Nichte einer alten Freundin, war schon seit drei Monaten immer zu spät mit der Miete, manchmal bis zu zehn Tagen.

Zeit, mal härter durchzugreifen, beschloss ich. Das Häuschen in der West Gordon Street kostete achthundert Dollar im Monat, und wenn Brenna, die Filmstudentin am Savannah College für Kunst und Design war, die Miete nicht aufbringen konnte, würde ich auf jeden Fall jemand anderen finden, der es konnte.