Das Vermächtnis der Wächter - C.K. Jennar - E-Book

Das Vermächtnis der Wächter E-Book

C.K. Jennar

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  • Herausgeber: C.K. Jennar
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Lass Dir diesen irischen Nervenkitzel vor der atemberaubenden Kulisse der Grünen Insel nicht entgehen! Eine Moorleiche. Ein Buch. Eine Journalistin. Eigentlich wollte Bella Bertani endlich ihren Traum verwirklichen und ihr erstes Buch schreiben.Doch auf ihrer Irlandreise gerät sie in einen Strudel aus Morden, Verschwörung und irischen Mythen. Wie von Geisterhand geführt, rutscht die 32-Jährige immer tiefer in die Polizeiermittlungen ihrer alten Liebelei Scott O’Mara. Unheimliche Träume foltern sie. Ryan McCormick quält ihr Herz. Bella riskiert ihr Leben, als sie eine Lüge aufdeckt, die alles infrage stellt, was sie bisher geglaubt hat! „Das Vermächtnis der Wächter“ ist ein spannungsgeladener Irland-Thriller, der Dich zu den mystischen Stätten der Grünen Insel entführt. Bella liebt die grünen Landschaften, die unendlich erscheinenden Ausblicke und den salzigen Geschmack des Meeres auf der Zunge. Doch ihr Plan, in dieser wunderschönen Landschaft ihr Buch zu schreiben, wird von einem Mord durchkreuzt. In Keltengräbern, Schlössern und düsteren Moorlandschaften versucht Bella eine jahrhundertealte keltische Legende zu entschlüsseln. Schnell kommt die Vermutung auf, dass ihr bisheriges Leben eine komplette Lüge war! Erlebe, wie Bella in eine verhängnisvolle Dreiecksbeziehung gezogen wird, während die laufenden Ermittlungen zunehmend zur Gefahr für ihr Leben werden. Wird sie überleben? Starte sofort mit Deiner Reise nach Irland und klicke auf „jetzt kaufen“. Geh mit Bella sofort auf Spurensuche mit dem E-Book. Bei diesem Buch handelt es sich um eine überarbeitete Neuveröffentlichung von „Die Prophezeiung der Wächter“.

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Dein Leseglück ist mein Ziel!

Prolog

Prelude

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

Epilog

Zugabe

Danksagung

Meine Fotos

»Carline« − Leseprobe

Weitere Bücher: Carline

Weitere Bücher: Ballincoona – Ruf der Vergangenheit

Der schnelle Weg zu meinen Büchern

Über die Autorin

Deine Zufriedenheit ist mein Ziel!

Impressum

C.K. Jennar

Das Vermächtnis Der Wächter

irland-thriller

Dein Leseglück ist mein Ziel!

Lieber Leser, liebe Leserin,

ich freue mich, dass Du dieses Buch erworben hast. Vielen herzlichen Dank. Kunst ist ein brotloses Unterfangen, heißt es. Ich kann bestätigen, dass es gar nicht so einfach ist, vom Schreiben leben zu können. Aber da es meine Leidenschaft ist, freue ich mich über jeden Verkauf!

Dennoch möchte ich, dass mein Buch für Dich zu einem einzigartigen und wundervollen Leseerlebnis wird. Deswegen liegt mir Deine Meinung ganz besonders am Herzen!

Ich würde mich über Dein Feedback zu meinem Buch freuen! Hast du Anmerkungen? Gibt es Kritik? Bitte lass es mich wissen. Deine Rückmeldung ist wertvoll für mich, damit ich in Zukunft noch bessere Bücher für Dich schreiben kann.

Schreibe mir gerne: [email protected]

Nun wünsche Dir viel Freude mit diesem Buch!

C.K. Jennar

Prolog

Es war kalt. Es war dunkel. Es war totenstill.

Dichter Nebel schwebte über dem Moor. Es roch nach feuchter Erde. Es roch faulig. Es roch falsch.

Wäre er noch am Leben gewesen, hätte er sich in diesem Moor gefürchtet. Doch sein Geist war entschwunden und sein Körper von dem grausamen Mord gezeichnet, dem er zum Opfer gefallen war: Der Kopf abgeschlagen, der Korpus in zwei Hälften geteilt. Zerstückelt im Moor. Wo Torf, Schilf und Wasser seine Überreste einhüllten.

Wäre er noch am Leben gewesen, käme es ihm wie eine Ewigkeit vor. Doch er wusste nicht, dass er gerade erst ins Moor geworfen worden war. Vor einem Tag oder früher. Unentdeckt. Starr und tot. Noch hatten Maden sein totes Fleisch nicht entdeckt. Das stand ihm noch bevor.

Wäre er noch am Leben gewesen, würde er die Hufspuren neben sich entdecken. Er würde die Brieftasche nehmen, die unweit von ihm lag, sein Jackett aufheben, ausschütteln und umhängen. Er würde sich die Schuhe anziehen und diesen fauligen, dunklen, feuchten Ort verlassen.

Doch er war tot. Tot wie alles um ihn herum. Selbst seine Kleidung wirkte tot, roch tot, sah tot aus. Zerstückelt im Moor.

Es war kalt. Es war dunkel. Es war totenstill.

Prelude

Der Nebel baute sich wie eine weiße Wand bedrohlich vor ihr auf. Sie wusste, sie musste durch ihn hindurch. Doch sie hatte Angst. Entsetzliche Panik. Ihr Körper schwebte auf diese Wand zu. Unaufhaltsam − sie hatte keine Kontrolle. Anhalten. Oh, bitte anhalten! Doch sie schwebte weiter. Immer näher auf den Nebel zu.

Vertraue!

Plötzlich war der Dunst überall. Vor ihr, hinter ihr, unter ihr. Und in ihr. Ihr Körper schwebte weiter. Sie konnte nichts bewegen. Nur ihre Augen schienen überall hinblicken zu können. Aber alles, was sie sah, war dieses weiße Nichts.

Vertraue!

Ihre Furcht steigerte sich ins Unermessliche. Sie spürte Schweißperlen auf ihrer Haut. Ihr war eiskalt. Der Wind hinter ihr trieb sie unaufhaltsam vorwärts. Immer weiter durch diese weiße Wand.

Vertraue!

Grün mischte sich in diesen weißen Dunst. Erst bemerkte sie es kaum. Doch dann wurde es immer stärker. Weißgrün. Blassgrün. Gelbgrün. Und dann konnte sie die ersten Details erkennen. Gras! Der Nebel lichtete sich. Unter ihr tat sich eine wundervolle maigrüne Wiese auf. Über ihr Blau. Himmel. Das weiße Nichts hinter ihr. Immer noch schwebte ihr Körper unaufhaltsam vorwärts. Sie spürte Sonnenstrahlen auf ihrem Rücken. Wärme erfüllte sie.

Flieg weiter. Komm her. Du musst herkommen!

Sie hörte Hufe auf das Gras aufschlagen. Schnell und dumpf. Und dann sah sie sie. Drei Reiter galoppierten unter ihr über die Wiese. Sie hetzten, als sei der Teufel hinter ihnen her. Ihre schwarzen Mäntel flogen im Wind nach hinten. Die Pferde schnaubten.

Der Dunkle, die Schlacht und der Adler!

Sie flog den Reitern entgegen, flog über sie hinweg und schon war ihr Ritt nicht mehr zu hören. Ein Wald tat sich vor ihr auf. Das Grün vermischte sich mit Dunkelheit. Wie der weiße Schleier zuvor umhüllte sie jetzt ein schwarzes Nichts. Feuchte kalte Luft strömte ihr ins Gesicht. Es roch nach faulen Eiern. Sie hörte Wasser. Erneut kroch die Angst in ihre Glieder.

Vertraue! Du musst herkommen! Nur du kannst es lösen!

Dann verlangsamte sich ihr Flug und sie sank nach unten. Der Gestank wurde immer stärker. Tod kroch in ihre Nase. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Sie sah graue Umrisse, Wasser, Baumstämme. Abgestorbene Baumstümpfe. Vergammelte Schilfhalme standen senkrecht gen Himmel. Ihr Körper sank immer näher zu ihnen herab. Ein grauer Fleck. Wieder ergriff sie nackte Panik. Der Fleck nahm schärfere Konturen an. Ein Jackett. Ein Schuh. Eine Brieftasche. Sie schrie. Laut. Durchdringend. Schrill. Neben den Utensilien lag der Körper. Grausam zerstückelt, senkrecht in zwei Teile geschlagen. Ein Bein fehlte. Der Kopf vom Hals abgetrennt. Vor Entsetzen aufgerissene Augen starrten sie an. Sie schrie, so laut sie konnte.

Schweißgebadet wachte Bella auf. Der Hall ihres eigenen Schreis hing noch im Raum. Wo war sie? Ihre Augen suchten die Umgebung ab. Vor ihr stand ein Kleiderschrank, neben ihr der Nachttisch und die vertrauten Bücher. Langsam schimmerte auch das Apricot der Wände durch die Dunkelheit. Bella lag in ihrem Bett. Die Realität bahnte sich langsam einen Weg durch ihr wild klopfendes Herz in ihre panischen Gedanken: Gott sei Dank, sie hatte nur geträumt. Augenblicklich beruhigte sich ihr Herzschlag. Ein merkwürdiger Traum, dachte sie. Sie hatte nie Albträume. Und diese Gegend hatte sie auch noch nie gesehen. Hatte sie eine Stimme gehört?

Bella atmete tief durch. Jetzt war nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Ihr Wecker zeigte mit weißgelben Zahlen: halb 3 Uhr morgens. Sie bekäme noch vier Stunden Schlaf. Diese würde sie auch bei dem Pensum brauchen, das sie sich für den nächsten Tag vorgenommen hatte. Bella kuschelte sich hoffnungsvoll zurück in die Kissen, um schnell in schönere Träume zu versinken. Vielleicht tauchte sie in ein Szenario aus ihrem Buch ab, das sie endlich schreiben würde? Mit diesem Gedanken glitt Bella bereits zurück in den Schlaf. Er war traumlos.

1. Kapitel

Oh Himmel − all dieses Chaos!

Alles musste seinen Platz haben. Sie konnte es nicht ertragen, wenn Unordnung herrschte. Doch als sich ihr Blick hob, musste Bella unwillkürlich lächeln. Diesmal liebte sie diesen Anblick. Ja. Denn es war richtig, das fühlte sie. Sie hatte ihr Thema gefunden!

Zahllose Papiere lagen kreuz und quer auf dem Tisch verteilt. Manche waren mit Bleistift bekritzelt, andere wiederum Computerausdrucke. Hier und da lagen Bücher, aufgeklappt und umgedreht, geschlossen und aufeinandergestapelt. Dazwischen ragte ihr Laptop wie ein Fels in der Brandung hervor. Irgendwo hatte sie ihre Stifte vergraben. Sie würde sie suchen müssen. Ein Aschenbecher quoll über, die Teetasse hatte längst keinen Inhalt mehr. Dieses Durcheinander hatte seinen Reiz, musste sich Bella selbst eingestehen. War es doch das Ergebnis ihrer Kreativität und Energie, die sie die letzten Stunden wie im Wahn überfallen hatten. Dennoch würde sie es in den nächsten Minuten sicher ordnen, auch wenn die Müdigkeit jeden Muskel in ihrem Körper erschlaffen ließ. Nur ihre Gedanken rasten, als plötzlich irgendwo das Handy klingelte.

Verdammt, wo bist du, fluchte sie. Bella hörte es, konnte es aber nicht sehen. Mit beiden Händen wühlte sie sich durch den Papierstapel, geführt durch die vertraute Melodie ihres Handys. Sie hatte immer das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn sie Anrufe nicht entgegennahm. Sie musste es finden. Unter dem Irlandreiseführer war sie erfolgreich und ein Lächeln überkam sie, als sie die Nummer auf dem Display erkannte!

»Oh Scott, ich hab es! Ich habe mein Thema gefunden. Ich weiß es ganz genau. Ich weiß, wie ich es machen will. Ich muss es nur tun«. Bella vergaß vor Aufregung jegliche Begrüßung.

»Hallo Bella. Dir auch einen schönen Tag. Ja, mir geht es gut.« Unsicherheit überkam Bella. Stichelte Scott nur oder war er ernsthaft beleidigt?

»Entschuldige. Ich bin nur gerade ganz aufgeregt. Hallo Scott! Schön, von dir zu hören.« Die übertriebene Freundlichkeit war kaum zu ignorieren, die verdrehten Augen konnte er jedoch nicht durch die Leitung sehen.

»Warum rufst du an? Wie geht es dir?«

Bella zwang sich zur Ruhe. Dabei brannte alles in ihr, sie wollte es herausschreien. Ich habe das Thema für mein Buch, ich werde endlich mein Buch schreiben, freute sie sich innerlich. Diese Erkenntnis überwältige sie so sehr, dass ihr Tränen in die Augen schossen.

Der Wunsch, ein Buch zu schreiben, schlummerte nun schon so lange in ihr. Schon auf dem College wusste Bella, dass es irgendwann ihre Berufung sein würde. Doch mit ihren jungen Jahren traute sie sich nicht. Die Schreibübungen aus der Teenagerzeit, wie Bella liebevoll ihre Kurzgeschichten nannte, waren nicht schlecht. Aber auch nicht gut genug. Die Geschichten waren mehr Flucht als ernsthafte Ambitionen. Flucht vor ihrer Identität. Sie konnte es besser, wusste Bella. Aber nicht wie. Also ging sie voll in ihrem Beruf als Journalistin auf. Doch der Wunsch nach ihrem eigenen Buch schlummerte weiter tief in ihr.

»Danke, mir geht es gut«, riss Scott sie aus bruchstückhaften Erinnerungen. »Aber wovon redest du? Welches Thema?«

Das war Bellas Stichwort. Sofort plapperte sie wie ein Wasserfall los. Für ganze zehn Minuten vernahm sie gelegentlich ein »mmh« oder ein »oh ja« in der Leitung. Zu mehr wäre Scott auch nicht gekommen, denn Bella vergaß sogar das Atmen beim Erzählen. Schließlich schnappte sie nach Luft.

»Und deswegen muss ich nach Irland. Das Buch spielt in Irland. Ich muss noch so viel sehen, ich muss noch so viel wissen. Oh Scott, ich würde am liebsten sofort in ein Flugzeug steigen.«

»Dann passt es ja genau, dass ich gerade angerufen hab«, meinte Scott immer noch amüsiert.

»Das muss Vorsehung sein. Ich schau mal, ob ich dir ein paar Flüge und einige Hotelzimmer heraussuchen kann. Vielleicht hilft dir das. Wann willst du denn kommen?«

»Am liebsten so schnell wie möglich.« Vorfreude trieb das Blut in ihre Wangen. »Aber ich muss noch einen Auftrag abschließen. Der dauert sicher noch ein paar Tage. Aber spätestens in einer Woche wäre ich gern wieder auf der Insel.«

»Ich schau, was ich erreichen kann. Ich freue mich, dich endlich wiederzusehen.« Scotts Tonfall wurde weicher, aber Bella bemerkte es nicht.

»Ja. Ich freue mich auch.« Sie war schon längst wieder in die Story ihres Buches vertieft.

»Also, ich schick dir einfach eine E-Mail. Pass auf dich auf, Bella. Und genieße die Zeit.« Dann hörte sie nur noch das Tuten der Telefonleitung.

Ihr Blick schweifte wieder auf das Chaos vor sich. Oh ja, sie würde es tun. Sie würde ihr Buch schreiben. Über Irland, über das, was sie schon immer fasziniert hatte. Eine irische Liebesgeschichte, verstrickt in den irischen Mythen. Die Müdigkeit in Bellas Gliedern wurde schlagartig von Euphorie vertrieben, die sie wieder völlig im Griff hatte. Im Kopf war sie hellwach und aufgeregt, wie ein kleines Kind. Doch zuerst würde Bella das Chaos ordnen.

Entschlossen klappte sie den Irlandführer zu. Sie brauchte die Informationen nicht mehr. Bella hatte alle Bilder im Kopf, die sie benötigte. Sie hatte den Geruch bereits in der Nase, das Gefühl des Windes auf der Haut und die Idylle vor Augen. Das reichte vollkommen aus. Entschlossen stapelte sie die Papiere auf einen Haufen, die Bücher auf einen anderen. Der Aschenbecher sollte auch ausgeleert, die Tasse mit neuem Tee gefüllt werden und die Stifte gehörten in den Becher. Lautstark fuhr der Laptop hoch, als Bella die ON-Taste drückte. Sie könnte schon einige Sätze schreiben, wenn es ihr doch so in den Fingern kribbelte. Warum warten? An Schlaf war nicht mehr zu denken. Und es würde auch nicht lange dauern, bis Scotts E-Mail einträfe. Es war kurz nach Mitternacht hier in Los Angeles. Aber bei ihm in Irland hatte der nächste Tag längst begonnen. Er würde sich sofort darum kümmern. Sie konnte es kaum erwarten. Scott! Sie würde ihn nach so langer Zeit wiedersehen, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Scott. Warum hatte er noch mal angerufen?

Scott lächelte versonnen, als er den Hörer aufgelegt hatte. Das war so typisch für seine Bella. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann wollte sie es auch unbedingt. Sofort. Ohne Umwege. Bella gab nicht auf, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Selbst wenn sie dafür mit dem Kopf durch die Wand musste.

»Ich werde sie wiedersehen«, sprach er mit seinem Spiegelbild im schwarzen Computermonitor, das er lächelnd anblickte. »Ich werde sie wiedersehen.« Scott konnte sein Glück kaum fassen. Er rückte seine Brille auf der Nase zurecht und lächelte sich weiter selbst an.

Irgendwie schien es, als sollte sie kommen. Er hätte sich all das gar nicht ausdenken müssen, um sie anzurufen. Sie hatten nicht nur miteinander gesprochen, jetzt würde sie auch herfliegen. Von allein. Als sollte es so sein, als sollte er sie wiedersehen. Seine trübe Stimmung war verschwunden. Sein Herz klopfte, Euphorie breitete sich aus. Scott konnte die Aufregung kaum kontrollieren, die der Gedanke an ein Wiedersehen in ihm hervorrief. Gut gelaunt pfiff Scott vor sich hin und öffnete den Internetbrowser, um sich gleich ans Werk zu machen. Sie kommt, konnte er nur denken. Endlich!

Das hätte er sich gar nicht zu träumen gewagt. Mühsam hatte er eine sich abstruse Geschichte ausgedacht, warum er sie anrufen müsste. Über zwei Wochen schon hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Vierzehn lange Tage. Vierzehn lange Nächte, in denen Scott nur schwer die Gedanken an diese verrückte Amerikanerin abschütteln konnte. Morgens nach dem Aufwachen galten sie ihr. Tagsüber erwischte er sich immer öfter dabei, im Geiste mit ihr zu reden. Über die belanglosen Dinge, die in seinem Leben passierten. Und abends vor dem Einschlafen tanzte ihr Bild vor seinen Augen. Die unkontrollierbaren braunen Locken, die faszinierenden Augen, ihre Grübchen beim Lachen. Manchmal glaubte Scott, es vergehe keine Stunde, in der er nicht an Bella dachte. So gern wollte er wieder mit ihr schreiben. Dabei wusste er gar nicht, warum ihre E-Mails mal wieder aufgehört hatten. Es gab nichts zu besprechen.

Doch das bereite ihm Kopfschmerzen. Scott liebte es, mit Bella zu schreiben oder zu reden. Das Thema ihrer Gespräche war ihm herzlich egal. Er vermisste es, wenn sie es nicht taten. Die letzten Tage kreisten seine Gedanken permanent um einen möglichen Vorwand, eine neue Unterhaltung zu beginnen. Doch er fand nur fadenscheinige Ausreden, die ihr cleverer Kopf durchschaut hätte. Sein Leben war von Banalitäten erfüllt. Es gab keinen spannenden Fall im Dezernat, nur langweiligen Aktenkram. Dafür war er nicht zur SDU – der Special Detektiv Unit – gegangen. Er wollte gegen Spione ermitteln, Verschwörungen aufdecken, Terroristen entlarven. Doch sein Hang zur Öffentlichkeit wurde ihm zum Verhängnis, denn SDU-Detektivs blieben im Verborgenen. Mussten sie vor Gericht aussagen, blieben sie hinter einem Vorhang geschützt. Auftritte in den Medien gab es unter keinen Umständen. Nur Scott hatte einst dagegen verstoßen, im Anfangsjahr in der Einheit. Er hatte großes Glück gehabt, dass er nicht aus der SDU geflogen war. Der Detektive Chief Superintendent nutzte ihn fortan als den Vorzeigedetektiv für die Öffentlichkeit. Ein Vorteil, um die Identitäten aller anderen Kollegen zu schützen. Im Alltag bekam Scott nur Vermisstenfälle ab, die einen Hinweis auf tiefere Gefährdung des Landes in sich bargen.

Es waren die Tage, die Scott schon hasste, als er morgens auf dem Weg in sein Büro war. Der Dauerregen verhagelte ihm den letzten Rest seiner ohnehin schon spärlich gesäten guten Laune. Die Gossen von Dublin ekelten ihn an. Der Wind zog an seinen Nerven und die Suche nach Vermissten, die sich nur als Ausreißer herausstellten, raubten ihm die letzte Kraft. Scott fühlte sich ausgelaugt, ausgepowert und leer. Das einzige Highlight des Tages war das Guinness am Abend im Pub. Dort nervten ihn sogar die Besucher. Touristen, die das berühmte irische Pubflair suchten, die berühmten lockeren Iren, mit denen man stundenlang plaudern konnte. Mit Scott konnte man nicht plaudern. Sollte man nicht plaudern. Durfte man nicht plaudern.

Tony ließ ihn meist in Ruhe, Thomas blickte selten von seiner Zeitung auf und auch Seamus hinterm Tresen beschränkte sich nur auf die wortkarge Preisnennung. Ein Winken reichte zur Bestellung. Ein Fingerzeig, wenn der Tag besonders schlecht war. Scott wollte nur sein Bier trinken und über seine Leere sinnieren. Er musste in der Vergangenheit träumen, auch wenn ihn das an keinem Abend weitergebracht hatte. Freunde treffen, das käme Scott nicht in den Sinn. Wer war schon sein Freund? Ihm fiel nur Bella ein, doch die war Tausende Kilometer entfernt. Er wollte allein sein. An den Morgen darauf kam der Kater, der Scott in unendliches Selbstmitleid stürzte. Garniert mit der Verzweiflung, kein neues Thema für Bella zu finden, war Scott in den letzten Wochen in einem unaufhaltsamen Strudel nach unten gefangen. Der Anblick seiner Wohnung ekelte ihn an. Dreckiges Geschirr, chinesische Essenspackungen, schmutzige Hemden über dem einzigen Stuhl in der Wohnung, wohin das Auge schaute. Staub lag auf Computer und Büchern, das Bett war zerwühlt und ungemacht wie jeden Tag. Doch gleichzeitig war er nicht in der Lage, auch nur eins dieser Dinge zu ändern.

Und nun würde sie kommen. Einfach so. Scotts Lächeln weitete sich zu einem Grinsen aus. Was für ein Zufall. Es schien einfacher als gedacht. Er spürte förmlich den Serotoninstoß in seinem Gehirn, als er die Seite der ersten Fluggesellschaft aufrief.

»O’Mara. In mein Büro.« Scott schreckte beim Klang seines Namens zusammen. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Sein Vorgesetzter stand in seiner Bürotür, der Blick starr auf Scott verharrend. »Wir haben eine steinreiche Promitussi, die ihren allerliebsten Ehemann vermisst.«

Oh nein, nicht schon wieder ein Ausreißer. Bellas E-Mail würde warten müssen. Das Highlight des Tages war verschoben. Widerwillig trat Scott den Weg in das Büro des Regional Assistant Commissioner an. Der Duft eines zu blumigen Parfüms schlug ihm entgegen, schluchzenden Frauenlaute drangen an seine Ohren. Vor dem Schreibtisch saß ein heulendes Häufchen Elend, das einst so elegant wirken wollte.

»Darf ich vorstellen? Mrs Fitzpatrick.« Ein bösartiges Lächeln umspielte die Lippen des Commissioners. Scott ignorierte es und setze sich. Vor seinem inneren Auge blitzten Bilder aus Zeitungen auf. Mrs Fitzpatrick, Ehefrau von Mark Fitzpatrick, der bei der letzten Wahl einen Sitz im Unterhaus erreichte. Ein »Teachta Dála«(»TD«) wie diese Parlamentarier hießen. Partei Fianna Fáil. Reich. Neureich. Ein politischer, reicher und bekannter Ausreißer. Oh Gott, dachte Scott. Dennoch lauschte er dem erbärmlichen Schluchzen.

Der Commissioner schaute hilfesuchend zu Scott.

»Schon gut, Commissioner. Ich übernehme das«, sagte Scott mit großem Widerwillen.

»Mrs Fitzpatrick, vertrauen Sie Detektiv Inspektor O’Mara. Er ist mein bester Mann. Wenn jemand ihren Ehemann finden kann, dann er.« Der Commissioner lächelte breit. Scott sah ihm die Freude an, diese Frau endlich loswerden zu können. All dieses Theater nur wegen eines durchgebrannten, untreuen Ehegattens. Damit würde sich Scott jetzt herumärgern müssen.

Er bedeutete der völlig aufgelösten Frau, mit in sein Büro zu kommen. Ihre Absätze klackerten auf dem Fußboden, die zahlreichen Armreife klimperten, die Schnalle ihrer Gucci-Tasche klapperte und aus ihrem Mund kamen immer noch schluchzende Laute. Die halbe Abteilung verfolgte Mrs Fitzpatricks Weg in Scotts Büro und warf ihm einen amüsierten oder mitleidigen Blick hinterher. Scott tat sich selbst leid. Im Büro schloss er schweren Herzens den Internetbrowser mit Bellas Flugmöglichkeiten. Wie gerne hätte er sich jetzt der Flugsuche verschrieben, von Bella geträumt und sich schöne Begebenheiten ausgemalt.

»Jetzt bist du verrückt geworden. Sechs Monate. Himmelherrgott.«

Bella sah regelrecht vor ihrem geistigen Auge, wie ihre Mutter die noch freie Hand auf die Stirn schlug. Sie hielt den Telefonhörer bereits 30 Zentimeter von ihrem Ohr entfernt, zu laut kreischte ihre Mutter. Schräg, schrill und laut, wie sie es immer tat, wenn sie mit etwas nicht einverstanden war.

»Mom, ich-.« Bella setzte vergebens an.

»Ich kann nicht verstehen, was du an diesem Irland so findest. Wir sind Italiener. Du warst noch nie in Italien.«

Bella hasste die ständige Erinnerung an ihre Abstammung. Doch Sofia war eine stolze Frau.

»Stattdessen treibst du dich ständig auf dieser rauen Insel mit irgendwelchen Leuten herum. Das Wetter ist eine Katastrophe, Dauerregen und der Wind erst! In Italien scheint die Sonne, dort ist es immer warm …«

»Mom, ich-«

»Du kannst dort baden und das Land hat so viel Kultur zu bieten. Das Essen ist schmackhafter als der Fraß da oben. Du und diese karge Insel. Dabei haben wir Verwandte in Italien, die hast du noch nie besucht.«

Bella stellte das Telefon auf Lautsprecher und legte es auf den Tisch. Aus dem Hörer dröhnte ihre schimpfende Mutter weiter. Es hatte keinen Sinn, ihr ins Wort zu fallen. Sofia Bertani war eine heißblütige Italienerin durch und durch, mit all dem Temperament, das diese Kultur zu bieten hatte. Bella erinnerte sich noch gut an ihre Kindertage, wenn Mom und Dad sich stritten. Als sie neun Jahre alt war, hatte sie begonnen, wortlos die Geschirrscherben vom Boden aufzukehren, während ihre Eltern vom Esszimmer ins Arbeitszimmer weitergegangen waren, um sich dort weiter zu beschimpfen. Zwei Stunden später hatten sie sich genauso leidenschaftlich versöhnt, wie sie sich gestritten hatten. Versöhnung. Wie sehr sehnte sich Bella nach diesem Gefühl. Aber sie konnte nicht.

»Mom, es sind nicht -«

Bella sprach nicht zu Ende. Sie nahm den Telefonhörer wieder in die Hand. Sofort legte sich eisiges Schweigen in die Leitung. Da war sie wieder, die Mauer. Das Thema. Der Streit. Das Unverzeihliche. Bella hörte den angestrengten Atem ihrer Mutter. Sie versuchte offensichtlich, sich zurückzuhalten. Vielleicht würde ihre Tochter endlich mit ihr darüber reden? Bella wusste, wie schwer es ihrer Mutter fallen musste, jetzt zu schweigen.

»Mom, ich will jetzt nicht darüber reden.« Angestrengt rieb sich Bella die Augen. Sie war müde. Sie hatte nur vier Stunden geschlafen und saß gerade bei ihrer ersten Tasse Tee, als das Telefon geklingelt hatte.

»Gut, dann lass uns über dieses irrwitzige Vorhaben reden. Wenn dein Vater noch bei uns wäre, er würde sich im Grab umdrehen.«

Damit versuchte es Sofia immer. Wenn sie bei ihrer Tochter kein Vorwärtskommen sah, erinnerte sie Bella immer wieder an die unwiederbringliche Liebe zu ihrem Vater. Als würde Sofia eine Liste von Argumenten und Themenrichtungen abarbeiten.

»Dad würde mich unterstützen. Das hat er immer getan.«

Wie oft hatte Bella diesen Satz geantwortet? Wie oft hatten sie diese Diskussion bereits geführt?

»Das stimmt. Dein Vater glaubte immer, du müsstest deine Träume verwirklichen. Aber das hast du doch schon. Du bist erfolgreich. Du schreibst, wie du immer wolltest. Du bist frei, bestimmst dein Leben selbst. Was willst du denn noch?«

»Mein Buch. Das wollte ich schon immer. Aber du wolltest das nie hören.«

»Ein Buch.« Sofia schnaubte verächtlich in die Leitung. »Diese Schriftstellerhalunken, treiben sich nur herum, schreiben dann ein paar Zeilen und halten sich für die größten Arbeiter der Welt.« Sie stöhnte, als habe Bella sie tief getroffen. »So eine willst du sein? Was ist mit Familienplanung? Ich würde mich über einen Enkel freuen. Aber wenn du dich nur mit solchen Hirngespinsten an solch rauen Orten herumtreibst, kann das ja noch ewig dauern.«

Bella wusste, woher diese Einstellung kam. Sofia hatte ihr Leben lang in einer Weberei gearbeitet. Ihr Körper war von der Arbeit gezeichnet, ihr Rücken kaputt, ihre Hände verkrümmt. Für Sofia war nur körperliche Arbeit richtige Arbeit. Die einzigen Werte, für die eine Frau außer der Arbeit leben sollte, waren Kinder und deren Erziehung. Eine Frau existierte für die Familie.

Welch Ironie, dachte Bella bei sich. Sie nahm alle Kraft zusammen, um ihrer Mutter sachlich zu antworten. Auf eine Familiendiskussion würde sie sich unter keinen Umständen einlassen. Nicht heute.

»Nein. Mom. Du weißt, dass ich kein Schriftstellerhalunke sein will. Schriftsteller sind keine Halunken. Wenn du ab und zu ein Buch lesen würdest, wüsstest du das. Schreiben ist eine Kunst. Es ist schwierig und wirklich harte Arbeit.«

Bellas Blick glitt zu dem Bücherregal an ihrer rechten Seite. Es war fast voll, wie die beiden hinter ihr.

»Schriftsteller sind im Gegenteil sehr geordnet, müssen Unmengen an Disziplin aufbringen und immer wieder sich selbst zum Durchhalten zwingen. Die richtigen Worte zu finden, kann manchmal genauso schwer und erschöpfend sein wie körperliche Arbeit. Ich kann dir gerne ein paar Beispiele schicken.«

Bella müsste sich bald ein viertes Bücherregal kaufen, auch wenn im Wohnzimmer kaum noch Platz war. Vielleicht könnte sie den großen Holztisch noch ein wenig nach links stellen? Bella wusste nicht, wie viele Bücher sie in den vergangenen Jahren gelesen hatte. Romane, Fachliteratur, alles. Sie konnte sich ein Leben ohne Lesen und Schreiben nicht vorstellen. Mit zehn hatte sie erste Verse verfasst, mit 16 Jahren mutierte das Schreiben zu ihrer Therapie. Damals, als … − sie seufzte innerlich − als sie die Wahrheit erfuhr. Als ihre Illusion zerbarst. Damals, als sie erwachsen wurde.

»Aber es ist ein einsames Leben, so ein Schriftstellerleben.« Jetzt steigerte sich Sofia in die Theatralik. Ein typischer Schritt. Wünschte sie sich denn so sehr Enkel, dass sie Bella ihren Traum deswegen vermiesen würde?

»Das kann es sein, aber das muss es nicht sein. Nur weil man schreibt, bleibt man nicht unverheiratet«, lenkte Bella ein. Zumindest der Traum vom Fortbestehen der Familie sollte nicht zerstört werden, obwohl Bella noch nicht an Kinder dachte. Sie wollte Kinder in ihrem zukünftigen und nicht im gegenwärtigen Leben.

»Dann schreib doch wenigstens ein Buch über unsere Leute in Italien.« Sofias Stimme nahm erneut schrille Töne an, als hätte sie Bellas letzten Gedankengang gehört.

»Ich schreibe, worüber ich schreiben will.« Jetzt ergriff die Wut Bella, jeglicher Abwehr zum Trotz. Sie wollte nicht darüber reden. Sie konnte es ihnen nicht verzeihen.

»Also gut Kind. Ich merke schon. Im Moment kann man mit dir nicht reden. Lass uns später noch einmal in Ruhe darüber sprechen. Ich ruf wieder an.«

»Das wird nichts ändern«, erwiderte Bella.

»Das werden wir sehen«, schloss Sofia und legte auf.

Sofia hatte wie immer das letzte Wort. Bella war allein mit ihrer Wut. Sie war verärgert. Und sie war müde. Diese Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter erlahmten regelmäßig Bellas Enthusiasmus. Als wäre ihre Mutter nur dazu da, ihr ständig ihre Träume auszureden. Sofia war konservativ. Sie würde nie dieses freie Leben verstehen, das Bella für sich gewählt hatte und das sie glücklich machte. Einmal mehr wünschte sich Bella, ihr Vater wäre noch hier. Manuel Bertani war ein außergewöhnlicher Mensch gewesen. Er hatte diese Seuche nicht verdient, die ihn langsam dahinvegetieren ließ. Der Krebs hatte sich gemächlich, aber unaufhaltsam durch seine Zellen gefressen. Von dem einst lebhaften und standhaften Mann war nach drei Jahren Krankheit nur noch ein Schatten seiner selbst übriggeblieben. Doch bis zum Tod vor fünf Jahren war Manuel ein gutmütiger Vater geblieben. Er hatte Bellas Zorn hingenommen und sie ungestört weiter verehrt, unterstützt und ermutigt. Bellas Gefühle überwältigten sie. Sie würde nicht nach Irland reisen können, ohne sich an seinem Grab zu verabschieden. Auch wenn das bedeutet, dass sie ihre Mutter besuchen und ein weiteres Mal diese kalte Distanz ertragen müsste. Bella hasste es, den Kontakt halten zu müssen. Aber ihr Pflichtgefühl ließ ihr keine Wahl. Schließlich hatte Sofia Bertani sie großgezogen. Sofia und Manuel Bertani hatten sie 20 Jahre lang zu einem selbstständigen Menschen gemacht. Und Bella konnte alles sein, nur nicht undankbar.

Sie machte sich an die Arbeit. Sie müsste noch einen letzten Artikel beenden. Dann könnte sich Bella ihre Auszeit nehmen. Sechs Monate sollten es sein. Dafür würde ihr finanzielles Polster reichen. Sechs Monate Recherchereise, um endlich ihr Buch zu schreiben. Nächste Woche wollte sie los. Doch noch immer wartete sie auf Scotts E-Mail. Sicher war ihm etwas dazwischengekommen. Bella fuhr ihren Laptop hoch, machte sich einen neuen Tee und eine Scheibe Toast. Sie wusste, in den nächsten Stunden des Schreibens würde sie Essen und Trinken wieder völlig vergessen. Und wenn sie später in ihre Heimatstadt aufbrach, würde sie nichts essen können. Bella öffnete das letzte Dokument und begann sich auf ihren Artikel zu konzentrieren. Sofia Bertani war ausgeblendet, mit ihr der Ärger und die traurigen Gefühle. Bella schrieb einfach nur. Und lebte.

Diese Frau raubte Scott alle Nerven. Er mochte ihr Styling nicht, er mochte ihre schrille Stimme nicht und auch die Krokodilstränen, die aus ihren Augen rannen, stießen ihn ab. Wie gern hätte er lieber nach Flügen für Bella gesucht, als sich dieses hysterische Gekreische dieser neureichen Politikergattin anzuhören. Sicher war ihr Ehemann nur mit seiner viel jüngeren Geliebten durchgebrannt.

»Nein, ich kann nicht glauben, dass er abgehauen sein soll. Das tut Mark nicht. Er hat seine Fehler, unsere Ehe hat ihre, aber er geht nicht, ohne ein Wort zu sagen.« Neue Tränen rannen ihr über das Gesicht.

»Mrs Fitzpatrick, das wollte auch niemand sagen. Beruhigen Sie sich und dann gehen wir alle Einzelheiten in Ruhe durch.« Scott nahm seine Brille ab, um sie zu putzen.

»Beruhigen? In Ruhe? Wie soll ich Ruhe bewahren? Mein Mann ist verschwunden! Ihm ist sicher etwas passiert!«

Mit Sicherheit, dachte Scott im Stillen und setzte seine Brille wieder auf. Er betrachtete ihre bebenden Lippen.

»Mark liebt mich, wissen Sie. Er würde nie durchbrennen und mich verlassen. Wir sind jetzt seit zehn Jahren verheiratet. In den ersten Jahren hat er mir morgens immer eine Rose auf dem Bett hinterlassen.«

Ein kurzes Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Er war von Anfang an so romantisch, wissen Sie. Das war der Grund, warum ich mich sofort in ihn verliebt habe, als wir uns das erste Mal in Temple Bar getroffen hatten. Besser gesagt hat er mich damals fast umgerannt, weil Mark in Eile war.«

Auch Scott musste lächeln. Nicht wegen der Vorstellung, wie Mark Fitzpatrick diese kleine zierliche Frau fast umrannte. Er dachte daran, wie Bella ihn damals in Temple Bar umwarf.

Drei Jahre war ihr Kennenlernen nun her. Wehmütig dachte Scott an die zwei Wochen zurück, in der sie gemeinsam durch das Land gereist waren. Die schöne, unternehmungslustige amerikanische Journalistin Bella Bertani und der irische Detektiv Inspektor Scott O’Mara. Wie mochten sie wohl auf die Einheimischen oben in Galway gewirkt haben? Oder unten in Kerry? Bella hatte ihn von der ersten Sekunde an fasziniert, als sie in der Tür des Pubs in Temple Bar gestanden hatte. Wie mittlerweile fast jeden Tag hatte er sich nach Feierabend ein Guinness genehmigen wollen. Der Tag war eintönig gewesen und er glaubte, nur mit Bier die gähnende Leere in seinem Leben herunterspülen zu können. Frisch sitzen gelassen zu sein war ein Gefühl, das Scott gut kannte, aber immer noch nicht so leicht verdaute. In diesem Moment hatte Bella in der Tür des Pubs gestanden. Sie sah wie eine Touristin aus. Und irgendwie wirkte sie dennoch, als gehöre sie hier her. Ein einziges Mal war Scott nicht genervt, als eine Touristin nach dem typischen irischen Flair suchte.

»Ich habe noch nie Guinness getrunken, wissen Sie?«, hatte Bella ihren ersten Schluck kommentiert. »Ah, das schmeckt aber stark. Aber nicht herb. Und nicht süß. Es schmeckt blau.«

Scott pustete seinen Schluck quer über die Bar.

»Blau? Wie um Himmelswillen kommen Sie auf Blau?« Zum ersten Mal in seinem Leben lachte er über eine dieser typischen Touristinnen.

»Ich weiß nicht, das ist manchmal bei mir so. Geschmack hat Farben.« Das Gesicht dieser Frau war völlig ernst.

Das war der Moment, in dem Scott sich verliebte. Diese Frau faszinierte ihn.

»Ich bin Scott. Scott O’Mara.«. Er hielt ihr seine Hand entgegen. Zitterte sie wirklich?

»Nett Sie kennenzulernen. Ich bin Bella.«

Ihre Hand fühlte sich unglaublich warm und weich an. Scott fühlte einen elektrischen Schlag, als sie seine ergriff. Von nun an konnte er seinen Blick nicht mehr von ihr lösen. Bella war eine Frau, wie er sie noch nie getroffen hatte. Sie schien alles wissen zu wollen. Ihre Augen suchten permanent die gesamte Umgebung nach jedem Detail ab. Wenn ihre kastanienbraunen Locken ins Gesicht fielen, schob sie sie schnell unwirsch hinters Ohr. Scott erinnerte sich heute nur noch dunkel daran, was sie alles in dieser ersten Unterhaltung gesprochen hatten. Heute wirkte dieser erste Abend wie ein Traum. Er konnte kaum glauben, was aus diesem einen Abend entstanden war. Zwei Tage später brach er mit Bella zu einer Reise durch sein eigenes Land auf. Er war so fasziniert von dieser Amerikanerin gewesen, dass er kurzerhand zwei Wochen Urlaub einreichte und mit ihr fuhr. Die schönsten zwei Wochen seines Lebens.

»Wir haben drei Monate später geheiratet. Alle sagten mir, das sei zu überstürzt. Aber ich war mir sicher.« Neue Tränen. Neues Schluchzen. Mrs Fitzpatrick schnäuzte sich in ein Taschentuch.

»Beruhigen Sie sich doch endlich.« Scotts Ton war nun flehend. Er stand auf und holte etwas zu trinken aus dem Wasserspender. Ihr Blick war dankbar, als er ihr den Becher reichte. Sie trank einen tiefen Schluck und atmete einmal durch. Zum ersten Mal seit den vergangenen Stunden wähnte Scott sie ruhig. Er nahm seinen Notizblock und versuchte erneut, Einzelheiten zu erfahren.

»Also noch mal von vorn. Wann haben Sie ihren Mann das letzte Mal gesehen?«

»Gestern Morgen. Er hat das Haus wie immer verlassen. Keine Rose mehr. Denn seit zwei Jahren bin ich immer mit ihm auf. Sie wissen, dass ich mich viel für Charity engagiere?«

Der fragende, unsichere Blick schoss Scott tief ins Innere.

»Ja, Mrs Fitzpatrick. Ich weiß, was Sie tun. War er irgendwie anders gestern Morgen?«

»Nein. Er gab mir wie immer einen Abschiedskuss und meinte, wir sehen uns am Abend beim Dinner.«

»Dinner?«

»Ja, wir waren mit einigen anderen Parlamentariern verabredet. Ich freute mich schon auf die Frauen.«

»Aber …?«

»Aber Mark kam nicht. Er wollte mich mit dem Wagen abholen. Mark war immer pünktlich. Als er bereits zehn Minuten zu spät war, wurde ich unruhig. Ich versuchte, ihn zu erreichen. Sein Handy war aus. Sein Handy ist nie aus, wissen Sie?«

»Was haben Sie dann getan?« Scott blickte nicht auf. Er sog jedes Wort auf und schrieb mit dem blauen Kuli, so schnell er konnte.

»Ich habe beim Dinner angerufen, vielleicht hatte ich ihn ja nur falsch verstanden. Aber dort war er auch nicht. Niemand wusste, wo er ist. Ich habe seinen Assistenten angerufen. Der meinte nur, Mark sei wie immer aus dem Büro gegangen.«

»Wann war das?«

»Das habe ich nicht gefragt.«

Scott machte sich eine Notiz. Der Assistent. Der vielleicht letzte Mensch, der Mark Fitzpatrick gesehen hatte. Das wäre eine seiner ersten Anlaufstellen.

»Ich habe alle angerufen. Zwei Stunden lang. Und keiner wusste, wo Mark war. Niemand. Als sei er vom Erdboden verschluckt.« Die Verzweiflung stand direkt wieder in ihr Gesicht geschrieben.

»Dann rief ich bei der Polizei an. Doch der unwirsche Beamte befahl mir regelrecht, die Nacht abzuwarten. Vielleicht käme Mark nur von seiner Geliebten zu spät nach Hause. Das müssen Sie sich mal vorstellen.«

Ihre Stimme brach ab und heftiges Schluchzen setzte wieder ein. Scott wusste, dass er ihre Konzentration gleich wieder verlieren würde. Widerwillig legt er seine Hand auf ihre.

»Mrs Fitzpatrick. Konzentrieren Sie sich. Ich muss noch mehr wissen, wenn ich Ihren Mann finden soll.«

»Ich versuch es«, schluchzte sie.

»Haben Sie im Haus geschaut. Hat sich dort irgendetwas verändert?«

»Nein.«

»Seine Kleidung …«

»Nein«, schrie sie. »Er ist nicht durchgebrannt.«

»Schon gut, schon gut. Es fehlt also nichts.«

»Nein. Nichts. Im Haus ist alles wie immer.«

Scott würde sich selbst umsehen müssen.

»Was hatte er an, als Sie ihn das letzte Mal gesehen haben?«

Mrs Fitzpatrick gab ihm eine Beschreibung. Typische Kleidung, nichts Auffälliges. An ihrem Tagesablauf war ebenfalls nichts Ungewöhnliches, sollte er tatsächlich wahr sein. Scott sammelte Adressen, Namen, Anlaufpunkte. Innerlich stöhnte er. Das würde ihn wieder einige Tage auf Trab halten. Doch er glaubte nicht an Erfolg. Sein Gefühl sagte ihm, dass es sich wirklich nur um einen durchgebrannten Ehemann handelte. Oder er habe es mit einem Verbrechen zu tun, dass er nicht aufklären konnte.

Wo ist dein Selbstbewusstsein, dein Ehrgeiz, fragte er sich augenblicklich. Sollte wirklich ein Verbrechen dahinterstecken, würde es enormen Wirbel geben. Es war Wahlkampfzeit. Fianna Fáil, Fine Gael und Sinn Fein buhlten um die Gunst der Wähler. Die Straßen waren bereits von Plakaten übersät, zahlreiche Veranstaltungen angemeldet. Auch die irischen Medien berichteten verstärkt über die verschiedenen Wahlprogramme. Würde die Fianna Fáil gewinnen, gäbe es einen neuen Taoiseach. Nathan Ratigan war der Kandidat, der für diesen Posten infrage käme. Devlin McCannon war sein Gegner und Führer der Sinn Fein. Noch lagen einige Tage bis zur Wahl vor ihnen, der Wahlkampf war längst nicht in die schmutzige Phase gegangen. Das könnte in diesem Jahr jedoch eher der Fall sein als gedacht, steckte wirklich mehr hinter Fitzpatricks Verschwinden. Heute Abend gäbe es kein Guinness, schwor sich Scott. Er zwang sich zu Ehrgeiz. Damit würde er direkt im Haus der Fitzpatricks anfangen.

Frische Blumen. Bella lächelte. Das musste man ihrer Mutter lassen. Sie sorgte sich bewundernswert um Vaters Grab. Jeden zweiten Tag kam sie, um ihm Blumen zu bringen. Diese Gazanien nannte Vater früher immer liebevoll die Sonnentaler. Ihr Gelb strahlte über das gesamte Grab. Umrahmt von frisch sprießendem Gras des Frühlings sah es einfach wunderbar aus. Wärme erfüllte Bella. Sie hatte die gleichen Blumen in der Hand, Dads Lieblingsblüten. Doch gleichzeitig sah sie auch, dass die Sonnentaler ihrer Mutter schon einen Tag alt waren. Es war Mittwoch, das passte. Ihre Mutter würde heute nicht kommen. Erleichterung erfüllte Bella. Nichts wäre schlimmer gewesen, als an Vaters Grab mit ihrer Mutter zu streiten. Sie wollte ein paar Minuten mit ihrem Vater allein haben.

»Hallo Dad.« Bella setzte sich ins Gras.

»Ich weiß, ich war lange nicht da. Aber jetzt bin ich es ja«. Ein schlechtes Gewissen nagte an ihr.

»Ich muss dir was sagen«, fuhr Bella mit ihrem Monolog fort. Sie hatte immer mit ihrem Vater am Grab gesprochen. Bella glaubte an Energie und daran, dass ihr Vater noch hier sei. Manchmal schien sie ihn zu spüren, seine Hand auf ihren Schultern zu fühlen. Oder es gab einen Windstoß, als ob er aus Entrüstung über Bellas Pläne heftig schnaubte. Doch in diesem Moment war es windstill.

»Ich fliege wieder nach Irland. Diesmal nicht zum Urlaub. Ich werde mein Buch dort schreiben. Du weißt doch, das wollte ich schon immer.« Liebevoll legte sie die Blumen vor sich und drapierte sie in einem kleinen Kreis auf dem Grab.

»Ich liebe Irland. Ich liebe die Landschaft, ich liebe die Geschichte. Ich liebe die Märchen.« Ein Windstoß fegte ihr die Locken ins Gesicht. Unwirsch schob sie sie hinters Ohr.

»Dad, hör mir doch erst mal zu.« Der Wind legte sich und wieder erfüllte der Duft von frischem Gras die Luft. Bella sah Irland vor sich, als sie nun ruhig erzählte.

Sie liebte die Insel für ihre Gegensätze und ihre Naturschönheiten, für ihr unkompliziertes Flair und ihre märchenhafte Geschichte. Seit Jahren war Bella von Irland fasziniert. Und diese Leidenschaft schien sich von Jahr zu Jahr, von Besuch zu Besuch noch zu steigern. Für Bella stand dieses grüne Fleckchen Erde immer für ihr Leben, ihre eigene Freiheit und ihre Flucht. In den letzten Wochen ertappte sie sich immer mehr, wie sie aus dem Fenster schaute und von dieser Insel träumte. Manchmal konnte sie die Sturmböen auf ihrer Haut fühlen, das Gras riechen, den Regen spüren. Sie fragte sich, warum gerade jetzt der Gedanke an eine Flucht dorthin sie nicht mehr losließ. Eigentlich war alles wunderbar in ihrem Leben. Sie hatte genügend Aufträge als Journalistin, ihre Finanzen waren in Ordnung, Bella liebte ihre Wohnung. Freunde? Na ja, sie legte nie Wert auf Gesellschaft. Auf diese aufgedrehten, karrieregeilen Tussis oder die ach so gediegenen Ehefrauen erfolgreicher Männer konnte sie in ihrer Umgebung getrost verzichten. Selten traf Bella einen Menschen, der sie wirklich faszinierte. Eine Freundin aus Schultagen gab es noch, aber ansonsten hatte Bella nur flüchtige Bekannte. Das war mehr als genug. Und da war ja noch Scott. In ihm sah sie ihren besten Freund, auch wenn er hinter dem Atlantik wohnte. Mit Scott konnte sie reden. Er schien immer da, wenn sie ihn brauchte.

»Er wird auf mich aufpassen, Dad. Also mach dir keine Sorgen. Scott ist ein guter Mensch, glaube mir. Und außerdem ist er Detektiv bei der "Special Detektive Unit" in Dublin. Bei wem wäre ich sicherer?«

Bella brauchte selten jemanden, dachte sie heimlich. Dazu war sie zu ausgeglichen in sich selbst. Ein Partner kam ihr momentan schon gar nicht in den Sinn. Vergangene Beziehungen hatten ihr das gründlich ausgetrieben. Auch wenn sie sich insgeheim nach wahrer, erfüllender Liebe sehnte, war ihr Wunsch nach Freiheit einfach größer. Freiheit – dafür stand Irland in Bellas Herzen. Nie im Leben hatte sie sich so frei gefühlt wie dort. Und gleichzeitig so heimisch. Alles war neu und vertraut zu gleich gewesen.

»Weißt du Dad, eigentlich ist es komisch, dass ich erst jetzt auf die Idee gekommen bin.« Im Geiste sah sie sich schon in einem kleinen Cottage, aus dem Fenster über weite Wiesen schauend, auf ihren Laptop einhämmernd an ihrem Buch schreiben.

»Eigentlich ist es doch völlig logisch. Warum ist mir das nie aufgefallen? Ich hätte das eher machen können. Machen müssen.« Instinktiv schüttelte Bella ihren Kopf.

»Vielleicht habe ich mich nie getraut. Aber jetzt traue ich mich, Dad. Du weißt, wie wichtig mir das Schreiben ist. Und du hast mich immer darin unterstützt.« Plötzlich fühlte es sich so selbstverständlich an, ihre Leidenschaft für Irland mit ihrer zweiten, fast noch größeren Leidenschaft im Leben zu verbinden. Das Schreiben. Wie der Gedanke an Flucht hatte auch der Gedanke an ihr Buch sie nicht mehr los-gelassen. Nachts wachte sie unkontrolliert auf und konnte stundenlang nicht wieder einschlafen. Fieberhaft überlegte Bella jeweils, welches Buch sie schreiben wollte. Wie sie es machen würde, wo sie anfangen wollte, wohin die Reise gehen sollte. Und plötzlich hatte sie nun die Verbindung. Die grüne Insel und ihr Buchtraum gehörten zusammen!

»Es fühlt sich so an, als sollte es so sein. Es fühlt sich richtig an. Ich habe nur den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Ich habe keine Angst, Dad. Also bitte hab du auch keine.« Eine sanfte Brise flog über Bellas Kopf hinweg. Bella schloss die Augen.

»Danke, Dad«. Sie warf einen Luftkuss in die Richtung des Grabsteins.

»Ich liebe dich, egal was war.« Als sie aufstand und zu ihrem Wagen ging, kam ein Windstoß von hinten, der sie nach vorne schob.

»Ja. Ja. Aber so einfach wird es nicht, Dad«, rief sie zum Grab hinüber. Doch das machte ihr nichts aus. Für »einfach« war Bella noch nie zu haben. »Einfach« war zu langweilig. Bella schmunzelte vor sich hin, als sie sich hinters Steuer setzte. Die erste Hürde war nun ihre Mutter. Innerlich stellte sie sich auf einen weiteren Kampf mit ihr ein, als sie die Straße vom Friedhof hinunterfuhr. Ich bin kein kleines Mädchen mehr, schoss es ihr durch den Kopf, als sie durch diese so durch und durch typische amerikanische Kleinstadt fuhr. Ich bin erwachsen, ich bin selbstständig, ich habe mein eigenes Leben, nichts bringt mich wieder in dieses Kleinstadtgefängnis zurück, dachte Bella. Aus dem Augenwinkel sah sie Mrs Connor aus ihrem Blumenlädchen treten und ihrem Auto hinterherschauen. Mr Hilton kehrte wie immer den Bürgersteig vor dem Kleinstadtkino und Mr Edwards stopfte gerade Post in den Briefkasten der Dearings. In dieser Stadt änderte sich nie etwas. Alle wussten alles über jeden. Die Kinder gingen, die Alten blieben. Manchmal kehrten die Jungen zurück. Aber Bella war nicht die verlorene Tochter, die zurück nach Hause fand. Ich bin kein Teenager mehr, dachte sie, als sie vor ihrem alten Heim anhielt. Wie in der gesamten Stadt hatte sich auch nichts an diesem Haus geändert. Seit Jahren. Die blauen Fensterläden in der unteren Etage waren aufgeschlagen. Auf der Veranda standen ebenfalls Sonnentaler, die einen enorm farblichen Kontrast zur weißen Holzverkleidung darstellten. Ein brauner Schaukelstuhl daneben, eine Zeitschrift auf dem Tisch. Sicher wieder irgendein Klatschmagazin, dachte Bella. Sie erblickte gerade die heruntergelassenen Rollos in ihrem alten Zimmer in der ersten Etage, als sich die Tür öffnete.

»Bella. Ich dachte mir schon, dass du kommst. Was sitzt du da sinnlos im Auto herum. Komm endlich rein«, er klang es schrill und laut, wie ihre Mutter immer war. Wie ein Fels stand sie in der Tür. Klein, aber unumstößlich. Die braunen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, eine Kochschürze um die Hüften, Topflappen in der Hand. Bellas Füße fühlten sich merkwürdig wacklig auf dem Kiesweg an, als sie zum Haus schritt. Unter dem starren, strengen Blick ihrer Mutter näherte sie sich der Tür.

»Hallo Mom«, sagte sie so selbstsicher, wie sie konnte. Kein Teenager mehr, dachte sie insgeheim.

»Warst du bei deinem Vater?«, fragte Sofia Bertani auf dem Weg in die Küche.

»Natürlich.«

»Ich mach uns einen Kaffee. Ich habe gerade Plätzchen gebacken. Damit können wir in Ruhe über diese Sache reden.«

»Es ist keine Sache.« Bella verteidigte sich sofort. Alle Stacheln in ihr waren aufgestellt. Sie war für den Kampf bereit. Sie würde sich nicht aufhalten lassen. Sie brauchte die Erlaubnis ihrer Mutter nicht mehr. Der strenge Blick über die Schulter zu ihr herüber bestärkte sie nur noch mehr.

»Und ich hätte lieber einen Tee.«

Ihre Mutter setzte Wasser auf. Stillschweigend stapelte sie Plätzchen in eine Schale, stellte zwei Teller auf ein Tablett. Zwei Tassen. Zucker. Löffel. Als der Wasserkessel pfiff, goss sie heißes Wasser in die Tassen. Bella stand immer noch im Türrahmen. Ihre Mutter nahm das Tablett und schritt an ihr vorbei ins Esszimmer.

»Ja. Gut. Es ist keine Sache. Es ist ein irrwitziges Vorhaben.« Bellas Mutter gab die Teebeutel in die Tassen. »Kind, Urlaub ist das eine, das was du vorhast, ist was ganz anderes.«

»Ich bin kein Kind mehr.« Bella setzte sich trotzig ihrer Mutter gegenüber. »Es ist nicht irrwitzig, es ist mein Traum. Dad ist dafür.«

»Dad ist tot. Er kann nicht mehr dafür sein. Alles andere bildest du dir nur ein. Er würde es niemals gutheißen.«

Bella schluckte einen bissigen Kommentar herunter. Sie wusste, ihre Mutter würde sich nie auf eine mystische Diskussion einlassen. Sofia war praktisch, durch und durch. Leidenschaftlich italienisch, aber praktisch. Hatte sie einmal eine Meinung, wich sie davon nicht mehr ab.

»Ich bin dagegen«, sagte sie wie zur Bestätigung. »Aber ich weiß, dass ich dich nicht aufhalten kann. Also werde ich dich unterstützen.« Bella starrte ihre Mutter mit offenem Mund an. Sofia trank seelenruhig einen Schluck Tee, nahm sich ein Plätzchen, biss hinein und kaute zurück starrend auf ihm herum.

»Mom, was …«

»Nein. Jetzt hörst du mir erst einmal zu. Ich habe nachgedacht. Ja, ich weiß, wir haben damals Fehler gemacht. Wir hätten es eher sagen sollen.«

»Mom, ich will nicht darüber reden. Das weißt du.«

»Schon gut, schon gut.« Sofia hob ihre Arme ergebend in die Luft. »Das müssen wir jetzt auch nicht. Aber wie gesagt, ich habe nachgedacht. Schon als Kind wolltest du immer Bücher über irischen Märchen haben. An jedem Schaufenster mussten wir stoppten, wenn nur ein Kobold oder Elf darin zu finden war.« Die Erinnerung daran war noch wach. Bella sah sich direkt wieder vor der Scheibe schmachten. Dort, wo ihr Mund klebte, lief sie an.

»Du hattest sie auf den noch so kleinsten Motiven entdeckt. Also begann ich, dir diese Bücher zu kaufen, in der Hoffnung, dass nicht mehr jedes Schaufenster unseren Weg durch die Stadt störte.«

»Ich habe diese Bücher verschlungen.« Bella lächelte bei der Erinnerung.

»Ja, ich weiß. Bis sie auseinanderfielen.« Auch Sofia lächelte zu Bellas Überraschung. »Und nun fährst du schon seit Jahren immer wieder auf diese Insel. Und auch wenn ich sie nicht mag, scheinst du sie zu lieben. Das muss ich akzeptieren. Ich kann mir noch so sehr wünschen, dass du die gleiche Verbindung zu Italien aufbauen würdest. Aber ich kann es dir nicht befehlen, oder?«

»Nein, kannst du nicht. Ich bin anders. Und ich bin kein Teenager mehr.« Bella war stolz auf sich, das laut ausgesprochen zu haben.

»Ja. Das habe ich nun auch erkennen müssen. Sofia seufzte unmerklich. Ich kann dich nicht mehr beschützen, dich nicht mehr aufhalten. Wenn du glaubst, deine Fehler machen zu müssen, muss ich dich sie machen lassen. Auch diesen Fehler.«

»Du glaubst, es ist ein Fehler?«

»Ja. Davon bin ich überzeugt. Sechs Monate auf dieser rauen Insel für einen Stapel Papier, den danach keiner haben will – ja ich glaube, das ist ein Fehler. Aber es ist besser, wenn du ihn jetzt tust, als noch mehr Zeit zu verlieren. Danach wirst du dich besinnen. Und vielleicht endlich einen Mann kennenlernen, ein normales Leben führen und mir Enkelkinder schenken.«

»Ich führe ein normales Leben.« Bellas Trotz war sofort wieder hellwach. Diese ewige Nörgelei an ihrem Leben, an ihrem Job, an ihrem Freiheitsdrang konnte sie schon seit Jahren nicht mehr hören. Aber es einfach zu ignorieren, fiel ihr auch schwer. Es brachte sie immer in eine Zwickmühle. Pflichtgefühl gegen eigene Wünsche. Alles was ihr jetzt noch fehlte, war eine Diskussion über die Vergangenheit oder ihr aktuelles Liebesleben. Sie besann sich auf das Wesentliche.

»Du hast eben gesagt, du willst mich unterstützen. Wie?«

»Finanziell natürlich.« Sofia stand auf und ging zur Kommode. Aus der obersten Schublade nahm sie ein Kästchen und stellte es auf den Tisch.

»Was ist das?«

»Deines Vaters Erbe. Er hat jeden Monat einen Schein weggelegt. Für meine Kleine, hat er immer gesagt. Er wollte, dass du dir eines Tages davon hier ein Häuschen kaufen könntest. Dein eigenes Häuschen hier bei uns. Aber dann bist du ja fort. Das hat ihm fast das Herz gebrochen.«

»Ich musste gehen, das hat er verstanden.«

Sofia nahm die Teetasse und trank einen Schluck. Ein Hauch von Missbilligung lag auf ihrem Gesicht, der jedoch so schnell verschwand, wie er gekommen war.

»Wie auch immer. Er hat dennoch weiter für dich Geld gespart. Bis er erkrankte. Er hat mir nie gesagt, was ich mit dem Geld tun soll, wenn er einmal nicht mehr ist. Auch kein Wort in seinem Testament. Aber es war nur für dich bestimmt.«

»Warum gibst du mir es jetzt?«

»Weil ich glaube, dass es in seinem Sinne wäre. Wie gesagt, wenn du diesen Fehler gemacht hast, kommst du vielleicht zur Besinnung. Vielleicht denkst du danach doch über ein Häuschen hier nach.«

Mit Sicherheit nicht, dachte Bella, als sie das Kästchen öffnete und den Briefumschlag herausnahm. Sie überflog kurz die Scheine. Etwas um die fünftausend Dollar, überschlug sie.

»Was ist das?«

Bella griff in das Kästchen und holte eine Kette heraus. An ihr hing ein rundes Amulett. Bella konnte nicht erkennen, was darauf abgebildet war. Linien durchzogen den Kreis. Die Buchstaben »N«, »A« und »B« waren symmetrisch an den Seiten angeordnet.

»Ich weiß nicht. Ich habe keine Ahnung.«

»Es ist wunderschön«, staunte Bella mit leuchtenden Augen.

»Ich kenne diese Kette nicht«, gestand Sofia. »Aber nimm sie ruhig, wenn sie dir gefällt. Dein Vater wird sich schon etwas dabei gedacht haben.«

»Und ob sie mir gefällt.«

Bella hing sich die Kette um. Lag es an ihr, an dem Geld oder an Sofias Einlenken, dass sie sich so stark wie nie fühlte? Es war alles richtig so, dachte sie.

»Ich danke dir.« Bella meinte dies völlig ehrlich. »Ich war schon auf einen Kampf eingestellt. Aber ich danke dir, dass du ihn mir ersparst. Denn du hättest mich nicht aufhalten können.«

»Ich weiß, Kind.« Sofia seufzte erneut.

Sie tranken noch eine Weile Tee und tauschten Belanglosigkeiten aus der Kleinstadt aus. Fast hätte man meinen können, dort saßen Mutter und Tochter wie jede Woche zum Plausch bei Tee und Plätzchen. Dieses komische Gefühl beschlich Bella, als sie schließlich eine halbe Stunde später aufstand.

»So nun, dann geh ich mal meinen Fehler machen«, grinste sie, wie sie es als Sechsjährige schon getan hatte.

»Ruf an, Kind, bitte ruf an.« Bella hatte bereits ihre Jacke an, gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und ging.

»Ja, Mom. Ja.« Dann fiel die Tür laut ins Schloss und Bella stand wieder auf dem Kiesweg. Vor ihr ihre neue Zukunft. Ihr Traum. Irland.

2. Kapitel

Das Telefon klingelte in die stille Dunkelheit hinein. Der Anblick hatte so friedvoll ausgesehen. Dunkle Zweige, die im Mondlicht zu tanzen schienen. Fast zu romantisch für seinen Geschmack. Doch auch er konnte dieser Szenerie etwas abgewinnen und war tief in das Spiel mit dem Licht versunken, bis das Klingeln die Stille zerriss. Er brauchte einen Augenblick, bis er das Geräusch deuten konnte. Erst beim vierten Klingeln nahm er ab.

»Hallo.«

»Ist alles erledigt?« Ohne Umschweife fragte der Anrufer durch den Hörer. Er hörte die Kälte. Er hörte die Dominanz. Er fühlte Furcht. Und dennoch reckte er sich automatisch senkrecht auf, bevor er antwortete.

»Ja. Es ist alles erledigt. Sie wird bald hier sein.«

»Wie sicher ist diese Information?«

»Völlig sicher. Es gibt keinen Zweifel daran.«

»Gut. Sobald sie eingetroffen ist, brauche ich weitere Informationen.«

Stille. Sollte er es wagen? Die Zweige spielten ungestört ihr Spiel mit dem Mondlicht weiter. Seine Augen sahen Frieden, doch seine Ohren hörten die Schlacht. Er musste es wagen.

»Aber kann ich nicht …«

»Kein Aber!« Die Unterbrechung war rüde. »Sie wissen, was Sie zu tun haben.«

Damit war das Gespräch beendet und nur noch das Tuten der Leitung unterbrach die Stille. Es klang im Rhythmus des Krieges. Nur langsam ließ er den Hörer wieder auf die Gabel gleiten und blieb am Fenster stehen. Er starrte erneut hinaus, den Blick von den Zweigen abwendend auf die belebten Straßen der Großstadt. Die Schlacht tobte bereits dort unten. Oder tobte sie nur in ihm?

Weit weg von ihm betrachtete der Anrufer ebenfalls den Telefonhörer, den er soeben kräftig zurück in die Gabel gedrückt hatte.

»Sie wird da sein.« Zufrieden wandte er sich vom Telefon ab. »Wir können uns langsam mit Phase zwei beschäftigen.« Es war kein Vorschlag, es war ein Befehl an sein Gegenüber.

Der Raum war plötzlich warm. War es die Freude in ihm? Der Kamin war längst erloschen. Die Lichter gedämpft. Die Tiefe der Nacht hatte nicht nur Dunkelheit und Kälte gebracht. Doch nun schien sich alles zu wandeln. Darauf hatte er gewartet.

»Und er? Wird er uns Probleme machen?« Das Gesicht ihm gegenüber war von Sorge gezeichnet.

»Ich denke nicht.« War er sich sicher? Auch ihm überkam ein Augenblick der Sorge.

»Sicher bist du auch nicht?«

»Nein. Uns bleibt nichts anderes übrig, als es herauszufinden. Und immer darauf vorbereitet zu sein.«

»Das klingt vernünftig.«

»Was ist mit … ähm … mit …« Gestammel, mit dem sich der Dritte einzumischen versuchte. Er hatte seine Anwesenheit fast vergessen, so unscheinbar war dieser Wicht in die letzte Ecke des dunklen Raumes abgetaucht. Doch nun trat er erneut näher. Und brachte einen kalten Luftzug mit sich.

»Ich weiß es nicht. Darüber muss ich erst nachdenken.«

Wie in stiller Vereinbarung verstummte der Dialog vollständig. Drei Männer, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, traten in völliger Stille nebeneinander an den Fenstersims, ihre Blicke in die dunkle Welt hinaus gerichtet.

So starrten vier Männer in dieser Nacht aus dem Fenster. Einer auf den belebten Verkehr in Dublin, die anderen drei in die finstere Stille des tiefen Waldes. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Doch letztendlich dachten alle an dasselbe. Sie!

Bella legte auf. Schade, dass sie nur Scotts Mailbox erreicht hatte. Sie hätte gern mit ihm gesprochen und ihre Aufregung dadurch gezügelt. Mit Scott zu sprechen, hatte sie immer beruhigt. Aber nun gut, sie würde das schon hinkriegen. Schließlich war sie kein schüchternes Wesen. Sie stopfte sich die letzten Stücke der Pizza in den Mund, bevor sie sich eine neue Zigarette anzündete. Voller Vorfreude auf das Land ihrer Träume schaute sie auf die offenen Koffer, die schon halb gepackt waren. Daneben stand eine Auswahl an Schuhen, zwei Paar Stiefel, Trekkingschuhe und Pumps. Warum sie auch Abendgarderobe eingepackt hatte, wusste sie selbst nicht. Aber für ein halbes Jahr musste sie doch auf alles vorbereitet sein. Scott hatte ihr Flug- und Hoteloptionen geschickt. Bella würde zunächst im Hotel wohnen, doch auf Dauer schwebte ihr ein Cottage zum Schreiben vor. Viel Kleidung würde sie daher nicht brauchen. Und so lächelte sie selbst über den dritten Koffer, der allein für alle möglichen Bücher reserviert war.

»Ich mache es tatsächlich«, murmelte Bella laut vor sich hin. Ein Gefühl von Glück überwältigte sie. Ihr Traum würde wahr werden. Und hier war der Anfang. Um ihre Wohnung würde sich Mrs Adams von nebenan kümmern. Vielleicht konnte Bella aus Irland eine Untermieteranzeige aufgeben, um Geld einzusparen. Den Nachsendeauftrag für ihre Post hatte sie online gestellt. Das Telefon war auf ihr europäisches Handy umgeleitet, das sie seit drei Jahren besaß. Alle Arbeitsaufträge waren erledigt und Auftraggeber über eine Pause informiert. Mehr organisatorische Anstrengungen kostete sie ihre irische Auszeit nicht. Es war fast zu einfach, um wahr zu sein. Bella zog ein letztes Mal an ihrer Zigarette und drückte sie in dem Aschenbecher aus. Dann kniff sie sich in den Arm.

»Autsch«, schrie sie laut.

Nein. Sie träumte keineswegs. Dann war es höchste Zeit, ihre Kofferpackarie zu vollenden. Einiges musste wieder raus, anderes kam wieder rein und so manches packte sie zwei- oder dreimal aus und wieder ein. Wer den Kofferinhalt für sechs Monate beim ersten Versuch zur vollsten Zufriedenheit gestalten konnte, war in Bellas Augen ein Genie. Ihr Flug ging am nächsten Morgen und Freitagmittag würde sie in Dublin landen. Viel zu überstürzt, hörte sie quasi all ihre flüchtigen Freundinnen kopfschüttelnd sagen. Doch für Bella ging immer noch alles viel zu langsam. Mit dem Gefühl tiefer Ungeduld traf sie die letzten Entscheidungen über Schuhe, Pullover und Jeans. Als sie endlich zufrieden mit ihrer Auswahl auf die Koffer schaute, zog sie entschlossen den Reißverschluss zu und schleppte alle Exemplare mühsam zur Wohnungstür.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es Zeit für das Bett war. Müde taumelte Bella ins Bad, um ein letztes Mal die Abendtoilette in ihrer Wohnung zu erledigen. Sie würde gut schlafen, glaubte sie sicher.

Vertraue. Du tust das Richtige!

Die Stimme schien überall zu sein. Um Bella herum, vor ihr, hinter ihr und in ihr. Wieder schwebte sie im weißen Nichts. Diesmal roch es sofort faulig und eine böse Vorahnung schlich tief in ihr Herz. Das Grauen war das Gleiche. Zunächst überflog Bella wieder die drei Reiter, die mit im Wind wehenden Mänteln die Wiese entlangeilten. Doch diesmal konnte Bella mehr erkennen. Der mittlere Reiter hielt etwas in der Hand. Ihr stockte der Atem. Sie erkannte ein Schwert, an dessen Klinge Blut herabrann. Übelkeit überkam Bella. Kurz danach schwebte sie wieder über dem Moor. Diesmal sah sie die senkrecht geteilte Leiche klar und deutlich. Sie roch deren Tod. Sie fühlte das Unglück. Voller Panik wollte Bella erneut schreien, doch kein Laut entglitt ihrer Kehle.

Hab keine Angst, es ist alles gut!

Die Stimme ertönte immer klarer. Der Hall verschwamm und das dunkle Nichts erhellte sich. Bella wandte ihren Blick von dem Grauen unter ihr ab. Vor ihr entstand ein Leuchten. Verschwommen und hell.

Ich bin bei dir.

Das Licht nahm immer mehr Gestalt an. Rundungen formten sich. Haare. Ein Gesicht. Ein weißes Gewand, ein Mantel. Ein Kreuz.

Hab keine Angst. Du wirst beschützt.

Bella schwebte auf die Gestalt zu. Wer bist du, wollte sie fragen. Doch immer noch blieb ihre Kehle stumm.

Ich bin Brigid. Tritt deine Reise an. Lass dich nicht aufhalten. Ich bin bei dir!

So schnell wie die Gestalt erschien, so schnell war alles wieder dunkel. Der faulige Geruch kroch wieder in ihre Nase. Unweigerlich senkte Bella wieder ihren Blick auf das Verbrechen unter ihr. Ihr Herz schnürte sich zu, tiefe Trauer überwältigte sie. Und jetzt, wie fremd geführt, schossen ihr Tränen in die Augen und kullerten ihr Gesicht hinab. Bella wünschte sich, dass ihre Trauer ebenso wie die Tränen einfach so von ihr herabfallen würde.

Verschwitzt und verwirrt schreckte Bella hoch. Schon wieder so ein merkwürdiger Traum. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen, die immer noch herunterliefen. Noch nie hatte sie im Schlaf geweint und auch Albträume hatten sie selten heimgesucht, auch nicht in den schwierigsten und traurigsten Zeiten ihres Lebens. Gleich zwei Albträume, so kurz hintereinander, erschienen ihr merkwürdig. Um ehrlich zu sein, war es fast derselbe Traum. Bella beruhigte sich langsam, ihre Gedanken nahmen immer klarere Formen an. Brigid? Der Name war ihr nicht unbekannt. Versiert in den irischen Mythen, erinnerte sie sich schnell an eine Heilige aus Irland, die diesen Namen trug. War sie gemeint? Es war schon eine Weile her, dass Bella die Legende gelesen hatte. Sie konnte sich nur vage an die Details der Geschichte erinnern. Nach einer kurzen Weile stand Bella auf und wankte noch mit dem Schreck in den Gliedern zum Bücherregal. Mit einem Griff hatte sie das richtige Exemplar schnell gefunden. Bereits auf den ersten Seiten fand Bella, was sie zu lesen suchte: