Devil's Hellions MC Teil 1: Dirty Perfect Storm - Hayley Faiman - E-Book
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Devil's Hellions MC Teil 1: Dirty Perfect Storm E-Book

Hayley Faiman

4,0

Beschreibung

Legacy: Legacy, Vermächtnis, ist nicht nur mein Name - ich lebe und atme für den Motorradclub, in den ich hineingeboren wurde, die Devil's Hellions. Verrat, Gewalt, Sex und Gefahr sind mein Alltag. Nach einem Unfall mit der schönen Henli fällt es mir schwer, mein Verlangen nach ihr und meine Arbeit als Vizepräsidents des Clubs in Einklang zu bringen. Henli ist zu süß und zu unschuldig, um mit dem gefährlichen und schmutzigen Club-Alltag belastet zu werden. Ich werde sie auf keinen Fall in Gefahr bringen und halte sie deshalb unwissend und fern von meinem Club. Aber ich werde heimlich alles in meiner Macht stehende tun, um Henli trotzdem vor den zahlreichen Feinden meines Clubs zu beschützen. Denn in der Welt der Devil's Hellions gibt es keine Gnade. Henli: Man sagt, dass kein Sturm ewig andauert. Dass nach jedem Sturm die Sonne wieder scheint. Aber niemand kennt diesen speziellen Sturm, der über mich hinwegfegt. Der Name meines Sturms ist Legacy. Legacy ist absolut köstlich verdorben. Legacy wird mich ruinieren - und am Ende werde ich ihn sogar anflehen, genau das zu tun. "Dirty Perfect Storm" ist der Auftakt einer packenden und mitreißenden vierteiligen Motorradclub-Reihe. Hayley Faiman entführt euch in eine Welt voller Leidenschaft, Gefahr und rauer Biker. Taucht ein in die Welt der Motorradclubs, in der die Regeln anders sind und die Leidenschaft heißer brennt.

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Hayley Faiman

Devil’s Hellions MC Teil 1: Dirty Perfect Storm

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von J.M. Meyer

© 2023 by Hayley Faiman unter dem Originaltitel „Dirty Perfect Storm: A Grumpy-Sunshine Romance (Devil's Hellions MC Book 1)“

© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

© Coverfoto: Shutterstock.com

ISBN Print: 978-3-86495-648-5

ISBN eBook: 978-3-86495-649-2

Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Epilog

Bonusgeschichte:

Lovely Perfect Storm

Kapitel 1: Der Tag vor Valentinstag

Kapitel 2: Valentinstag

Autorin

Kapitel 1

Henli 

Bevor ich den Gehsteig verlasse, um die Straße zu überqueren, schaue ich erst nach links und dann nach rechts. Meine Absätze klacken auf dem Asphalt, meine Konzentration gilt allein der Überquerung der Straße. Ich hoffe, dass ich nicht über einen der kleinen herumliegenden Steine stolpere. Ich stehe etwa mittig auf der Straße, als ich ein Brummen wie von einem Schwarm Hummeln höre, das immer lauter und lauter wird.

Meine Schritte geraten ins Stocken.

Ich blicke die Straße hinunter in Richtung besagter Hummelgeräusche und sehe ein ganzes Bataillon Motorräder auf mich zukommen.

Mein Herz pocht, als würde es mir jeden Moment die Rippen brechen.

Die Angst kriecht durch mich hindurch.

Oh. Scheiße.

Auf meinen hohen Hacken werde ich es nicht schnell genug zur anderen Straßenseite schaffen. Außerdem stehe ich noch immer regungslos da und bin nicht dazu fähig, weiterzugehen.

Einen weiteren, langen Moment verharre ich in der Mitte des Zebrastreifens und starre die sich mir nähernden Motorräder an. Wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Schließlich geht ein Ruck durch meinen Körper.

Ich versuche, mich zu beeilen.

Ich probiere es, und obwohl ich nicht gerade die Schnellste bin, gelingt es mir glücklicherweise, mich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, bevor ich von den Motorrädern überrollt werde. Allerdings nicht ganz unbeschadet.

Als ich fast am Ziel angekommen bin, ist mir eins der Bikes so nah, dass ich den Fahrer quasi riechen kann. Ich nehme den Geruch von Leder und Schmieröl wahr, woraufhin mir der Atem stockt. Dementsprechend entscheide ich mich dazu, das Erste zu tun, das mir in den Sinn kommt: einen großen Ausfallschritt zu machen.

Das hat zur Folge, dass ich das Gleichgewicht verliere. Ich gerate ins Straucheln und lande auf Händen und Knien – wohlbemerkt, ich trage einen Rock – mitten auf dem Gehsteig in der Innenstadt.

In einer sehr belebten Innenstadt.

Hier herrscht so viel Trubel, dass ich mit Sicherheit sagen kann, dass sich bereits Publikum um mich herum versammelt hat. Ich höre zwar das kollektive Aufatmen der Menge, aber wie es leider nun mal in der Arschlochgesellschaft des einundzwanzigsten Jahrhunderts üblich ist, erkundigt sich niemand, ob es mir gut geht.

Mir ist bewusst, dass meine Wangen sich knallrot gefärbt haben. Allerdings habe ich keinen blassen Schimmer, was mit dem Rest meines Gesichts los ist. Das Ganze ist mir unglaublich peinlich. Am liebsten würde ich im Erdboden versinken.

Ich atme keuchend, während ich aufschaue und versuche, eine erste Einschätzung meiner Verletzungen vorzunehmen. Ich setze mich auf den Hintern und betrachte eingehend all meine Gliedmaßen. Obwohl ich mich leicht verletzt habe, denke ich, dass ich ansonsten in Ordnung bin.

Meine Hände sind aufgeschürft, ebenso wie meine Knie, aber das wird schon wieder. Vielleicht. Wahrscheinlich. Jedenfalls rede ich mir das selbst ein. Würde ich das nicht tun, würde ich vermutlich dasitzen und losheulen.

Dafür habe ich jetzt allerdings keine Zeit.

Ich muss mich mit meinen Kunden treffen.

Ich zwinge mich dazu, aufzustehen, und wische meine aufgeschürften, schmutzigen und blutigen Knie ab. Was für einen tollen ersten Eindruck ich wohl bei meinen Kunden hinterlassen werde? Mir bleibt leider keine Zeit mehr, nach Hause zu gehen und mich umzuziehen. Vielleicht bekomme ich es ja irgendwie hin, die ganze Zeit über hinter meinem Schreibtisch sitzen zu bleiben.

Leicht humpelnd mache ich mich auf den Weg ins Büro, wo ich das Vorgespräch mit einem Brautpaar führen werde. Ich bin nämlich Hochzeitsplanerin … nun ja, eher eine Eventmanagerin, die sich auf Hochzeiten spezialisiert hat. Zumindest ist es das, was ich den Leuten immer erzähle, denn ich lebe für die Liebe.

Ich bin total verrückt nach Hochzeiten und der damit einhergehenden Freude und dem Glück.

Dabei sein zu dürfen, wie die Märchenhochzeit anderer Menschen wahr wird, ist wahrscheinlich das Schönste, was es auf der Welt gibt. Teil dieses Moments zu sein, Träume wahr werden zu lassen und dabei zu helfen, sich selbst zu verwirklichen? Es gibt in diesem Universum nichts Besseres als das.

Ich habe meinen absoluten Traumjob gefunden.

Diesen übe ich nun schon seit sieben Jahren aus und glaube, dass ich mir mit meinen fünfundzwanzig Jahren bereits einen Namen in dieser mittelgroßen Stadt namens Tucson, Arizona, geschaffen habe. Ich reiße mir für meine Kunden ein Bein aus, weil ich will, dass jede Hochzeit perfekt wird.

Als ich meine Hand nach der Bürotür ausstrecke, höre ich hinter mir jemanden rufen. „Hey, Baby.“

Normalerweise würde ich mich jetzt nicht umdrehen, aber diese Stimme hat einen so tiefen, heiseren und sexy Klang, dass ich nicht anders kann, als es doch zu tun. Ich bin ein Riesenfan solcher Stimmen. Auch wenn er vermutlich nicht mich gemeint hat, will ich trotzdem wissen, zu wem die Stimme gehört.

Ich schaue über meine Schulter und erblicke nur ein paar Meter von mir entfernt einen Mann. Es besteht kein Zweifel daran, dass er mich, und zwar nur mich, gemeint hat, denn er sieht mich direkt an.

Aufgrund seiner Erscheinung mache ich große Augen und drehe mich sogar gänzlich zu ihm um. Er ist riesig, wirklich groß. Er trägt eine ausgewaschene Jeans, die wie angegossen sitzt. Als wäre sie eigens für ihn geschneidert worden. Eine Jeans, die er wohl schon seit fünfzehn Jahren Tag für Tag am Leib trägt und die nun eins mit seinem Körper geworden zu sein scheint. Ich wette, dass sie sich extrem weich anfühlt.

Außerdem trägt er ein weißes, enges T-Shirt, das zwar seinen Oberkörper bedeckt, aber dennoch die richtigen Stellen betont. An den Oberarmen und im Brustbereich sitzt es sehr eng. Es steht ihm ausgezeichnet. Er hat breite Schultern, sein Bizeps ist fast so dick wie meine Oberschenkel und seine Mitte wirkt stark und flach.

Und dann wäre da noch dieses Lederjacken-Westen-Ding, das er trägt, was verdammt sexy ist. Das dicke schwarze Leder glänzt beinahe im Sonnenlicht. Überall sind Patches aufgenäht, deren Bedeutung ich nicht verstehe. Als sich jedoch unsere Blicke treffen, spielen die Aufnäher und die Weste plötzlich überhaupt keine Rolle mehr.

Während ich in seine goldenen Augen blicke … bleibt mir regelrecht die Spucke weg.

Mein Gott, dieser Mann sieht aus, als wäre er einem Bad-Boy-Poster entsprungen. Er könnte ein Bad-Boy-Model sein. Ich sehe ihn schon mit einer Zigarette in der einen Hand und einer Flasche Schnaps in der anderen vor mir. Womit auch immer er werben würde, ich würde es kaufen, auch wenn ich es gar nicht bräuchte.

„Ich wollte mich nur vergewissern, ob es dir gut geht. Immerhin bist du vorhin gestürzt“, murmelt er.

Seine sexy Stimme lullt mich ein und lässt die kleinen Härchen auf meinen Armen zu Berge stehen. Ich weiß nicht warum, aber ich habe damit gerechnet, dass er sich über mich lustig machen würde.

Doch er tut es nicht.

Stattdessen blickt er tatsächlich besorgt drein. Dass er sich aufrichtig um mein Wohlergehen zu sorgen scheint, verleiht ihm nur noch mehr Anziehungskraft.

Ich atme tief durch und plötzlich wird seine Sexyness von Mitleid überlagert, dass sich auf seinem Gesicht abzeichnet.

Das ist echt zum Kotzen.

Meine Fantasie, dass wir unseren Enkelkindern eines Tages die wunderbare Geschichte unseres Kennenlernens erzählen werden, verraucht. Er ist nur aus Mitleid stehengeblieben und ich möchte weinen und schreien. Das ist ja sowas von peinlich. Ich sollte mich bei ihm bedanken und einfach verschwinden.

Ich räuspere mich und schenke ihm ein zittriges Lächeln. „Außer meinem Stolz ist alles andere unversehrt“, erwidere ich und versuche, das Lächeln zu bewahren.

Er grinst mich an und ist dabei so verdammt sexy. Es kommt mir vor, als wäre dieser Mann von einem anderen Planeten. „Okay, Babe. Wie gesagt, ich wollte mich bloß vergewissern. Ich habe dich nicht früh genug gesehen, um zu bremsen. Es war nicht meine Absicht, dich fast über den Haufen zu fahren.“

„Mir geht es gut“, murmle ich.

Er schenkt mir ein weiteres Lächeln und zwinkert mir zu. Dann dreht er sich um und geht. Ich weiß, dass ich das nicht tun sollte, richte aber dennoch meinen Blick auf seinen Hintern. Einen Moment lang starre ich ihn an, ehe ich den Blick höher schweifen lasse, um seine Schultern in Augenschein zu nehmen.

Während ich seinen Rücken begutachte, fällt mir auf, dass seine Weste mit goldenen Großbuchstaben bestickt ist: Devil’s Hellions MC. Am unteren Rand der Weste steht auf einem weißen Aufnäher Casa Grande, AZ geschrieben. Mitten auf dem Kleidungsstück befindet sich ein Totenkopf mit roten Hörnern.

Ich finde das ein wenig gruselig, aber auch irgendwie sexy und sehr männlich. Ich habe keine Ahnung, was diese Weste zu bedeuten hat. Ich habe noch nie zuvor etwas Ähnliches gesehen, allerdings habe ich Männern auf ihren Motorrädern oder ihren Klamotten auch noch nie Beachtung geschenkt.

Ich glaube, ich habe etwas verpasst.

Ich hätte nie damit gerechnet, dass er so fürsorglich ist, aber es ist ja auch nicht so, dass ich ihn wiedersehen werde. Casa Grande ist, wenn er wirklich von dort stammt, etwa eine Stunde von hier entfernt. Ich mache mich von allen Gedanken rund um diesen Mann frei und gehe ins Büro. Ich sollte mich ein wenig frisch machen, ehe meine Neukunden hier aufschlagen.

Ich eile ins Badezimmer und schließe die Tür schnell hinter mir ab, bevor mich noch jemand in diesem Zustand sieht. Ich schalte das Licht ein und keuche auf, als ich mein Spiegelbild betrachte. Meine Frisur ist ruiniert und einzelne Strähnen stehen wild von meinem Kopf ab. Meine Hände und Arme sind schmutzig, meine Knie weisen verkrustete Blutspuren auf.

Ich nehme ein paar Tücher aus dem Papierspender, mache sie nass und beginne damit, meine Knie vorsichtig abzutupfen. Es brennt höllisch. Ein Aufschrei entfährt mir, da es sich sehr unangenehm anfühlt.

Sobald meine Beine nicht mehr ganz so schrecklich aussehen, wasche ich mir den Schmutz von meinen Gliedern. Nun bleiben nur noch meine wilden Haare übrig. Meine Finger nutze ich als Kamm und gebe mein Bestes, um sie wieder vorzeigbar zu machen. Ich bin mir nicht sicher, ob mir das gelingt, aber im Moment habe ich keine andere Alternative.

Als ich fertig bin, weiß ich, dass ich besser aussehe als noch vor ein paar Minuten, ich wirke allerdings immer noch genauso durcheinander, wie ich mich fühle. Anstatt mich über mein Aussehen aufzuregen, schließe ich kurz die Augen und atme tief ein und wieder aus.

Ich schultere meine Tasche, drehe mich um und lege meine Finger um die Türklinke. Bevor ich sie öffne, räuspere ich mich und schließe sie auf. Noch einmal tief durchatmend, trete ich aus dem Badezimmer, straffe meine Schultern und gehe zu meinem Büro.

Ich beschließe, das Beste aus diesem Tag zu machen, trotz der aufgeschürften Knie. Und ich werde alles daransetzen, um diesen Mann wieder zu vergessen. Ich setze ein Lächeln auf und bemühe mich, die Schmerzen zu ignorieren, die ich bei jedem Schritt verspüre.

Da ich mich fühle, als wäre ich tatsächlich von einem dieser Motorräder angefahren worden, mache ich mir gedanklich eine Notiz. Ich muss mir so schnell wie möglich ein paar entzündungshemmende Medikamente besorgen, da ich schon jetzt weiß, dass die Schmerzen im Laufe des Tages noch schlimmer werden. Bestimmt wird es mir morgen früh hundeelend gehen.

„Henli, deine Kunden sind in der Lobby“, verkündet Grace, als ich meine Hand auf den Griff meiner Bürotür lege.

Ich drehe mich zu ihr um und setze ein falsches Lächeln auf. Ich kenne Grace, unsere Empfangsdame, nicht sonderlich gut. Sie hängt immer nur mit den Kerlen ab, die sie datet, und versucht nicht einmal, mich kennenzulernen. Obwohl ich ihre einzige Arbeitskollegin bin, abgesehen von der Inhaberin.

Nichtsdestotrotz schenke ich ihr ein Lächeln und bedanke mich höflich, bevor ich ihr in die Lobby folge. Sie verschwindet sofort wieder hinter ihrem Schreibtisch. Mit einem übertriebenen Grinsen nähere ich mich der sehr glücklich wirkenden Braut und ihrem nicht ganz so begeistert dreinblickenden Verlobten.

Dieser Eindruck ist sehr typisch.

Die Männer begleiten ihre Frauen in der Regel nur zu den Verköstigungen und wollen in den Rest der Planung nicht wirklich involviert werden. Selten ist mir ein Bräutigam untergekommen, der am gesamten Prozess teilhaben wollte. Ich frage mich immer wieder, wie solche Ehen in der Zukunft bestehen wollen.

Ich weiß, dass Hochzeitsvorbereitungen entmutigend oder langweilig sein können, eben nicht so ein Männerding. Aber ich bin immer bemüht, den Bräutigam miteinzubeziehen.  Denn so sehr die Braut auch im Mittelpunkt steht, ist es auch sein großer Tag.

„Hallo, ich bin Henli Sinclair“, begrüße ich die beiden und reiche ihnen meine Hand.

Legacy

Die Fahrt von Casa Grande nach Tucson dauert nicht lange, ist aber das Letzte, das ich heute tun will. Ich bin der Vizepräsident der Devil´s Hellions MC.

Als VP habe ich einen Haufen Scheiße zu erledigen, obwohl ich keinen Bock darauf habe. Eigentlich will ich bloß an Autos herumschrauben, Motorradfahren, ficken und saufen. Ich bin ein einfach gestrickter Mann mit einem simplen Geschmack.

Allerdings haben wir ein Problem mit einem Chapter unseres Clubs hier in Tucson, weshalb wir uns zu einem kleinen Zusammentreffen hier einfinden müssen. Mit Zusammentreffen meine ich, dass wir das Chapter entweder gewaltsam übernehmen oder dass sie sich verdammt noch mal fügen werden.

Doch dieses Chapter ist normalerweise keins, das sich fügt. Deshalb glaube ich, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt Kugeln fliegen werden. Ich bin dafür gewappnet. Sogar darauf eingestellt. Es scheint so, dass ihr Präsident nicht einsehen will, die Befehle des nationalen, übergeordneten Präsidenten zu befolgen. Nämlich dem von Casa Grande.

Dieser verfickte Club war mir von Anfang an ein Dorn im Auge. Er war schon immer eines dieser Chapter, das stets versucht hat mit allem möglichen durchzukommen. Das war von Gründung an der Fall. Sogar schon zur Zeit meines Vaters und nun auch während meiner Mitgliedschaft.

Casa Grande ist das Mutterchapter des Devil’s Hellions MC, des Clubs, den mein Dad gegründet hat. Er und seine Männer legten den Grundstein, vergrößerten sich und eröffneten Chapter im ganzen Bundesstaat. Deshalb ist mein Straßenname Legacy – das Vermächtnis.

Ich bin das Vermächtnis der Devil’s Hellions.

Als mein Vater starb, war ich noch zu jung, um Präsident zu sein. Also wählte man Warden zum Oberhaupt und er hat dem Club viel Gutes beschert. Um ganz offen zu sein: Ich wollte damals nicht der Präsident sein und will es heute noch genauso wenig. Ich bin froh darüber, dass der Staffelstab an jemand anderes weitergegeben wurde.

Aber letztlich ist es völlig egal, wer der nationale Präsident ist, denn das Chapter in Tucson hat jahrelang nichts als Ärger gemacht, und damit ist jetzt Schluss. Mit Roadkill, der vorausfährt, sind wir durch die Innenstadt gecruist, als plötzlich etwas Unvorhersehbares geschah.

Ich bin völlig in meine Gedanken versunken, an meinen Dad, an Tucson, an alles, was ich heute noch zu erledigen habe, als ich eine verdammt gutaussehende Gestalt mit kastanienbraunen Haaren vor mir bemerke, die  in höllisch heißen Highheels mitten auf einem Zebrastreifen auftaucht.

Wie aus dem Nichts stand sie plötzlich da, sodass ich nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte. Selbst wenn ich mich mit der Maschine abgelegt hätte, wäre ich dennoch in ihre verflucht sexy Beine gerauscht.

Fuck.

Ich sehe ihr dabei zu, wie sie auf ihren Absätzen die Flucht ergreift. Wie sie versucht, mir aus dem Weg zu springen. Irgendwie gelingt es ihr, den rettenden Bürgersteig zu erreichen, doch sie landet dabei auf ihren Händen und Knien. Aufgrund ihres Anblicks muss ich zischen und bin gleichzeitig dankbar, dass die Jungs anhalten und zu ihr hinüber schauen. Sie lassen ihre Motoren im Leerlauf brummen, woraufhin ich ihnen ein Handzeichen gebe, das ihnen zu verstehen gibt, dass ich nach der sexy Frau sehen werde.

Ich will derjenige sein, der nach ihr schaut. Ich kann nicht zulassen, dass es jemand anderes tut.

Ich schwinge mein Bein über den Sitz, steige von meinem Bike und überquere die Straße. Mittlerweile ist sie schon wieder auf den Beinen und will gerade blitzschnell in einem der Gebäude verschwinden. Ihrer Kleidung nach zu urteilen, arbeitet sie in einem Büro: In Rock und Stöckelschuhen. Sie sieht aus wie eins dieser Mädchen, die einem seriösen Job nachgehen.

„Hey, Babe“, rufe ich ihr hinterher.

Sie hält an der Tür inne, dreht sich allerdings nicht zu mir um. Zumindest nicht sofort. Doch als sie es schließlich tut, geht ein Ruck durch meinen Körper. Sie ist umwerfend. Nicht nur ein bisschen, sondern verdammt atemberaubend.

Ihre großen grünen Augen weiten sich, während sie mich anstarrt. Ihr dunkelbraunes Haar ist völlig durcheinander, und ich komme nicht umhin, mir vorzustellen, dass sie nicht vom Sturz, sondern von meinen Händen in ihren Haaren beim Ficken, so zerzaust aussieht.

Ich versuche, diesen Gedanken zu verdrängen, und räuspere mich, ehe ich sie anspreche. „Ich wollte mich nur vergewissern, ob es dir gut geht. Immerhin bist du vorhin gestürzt.“

Fuck, ihre großen grünen Augen machen mich fertig. Die, in Kombination mit ihrem wilden, braunen Haar - Shit.  Einfach nur höllisch heiß. Das ist nicht einmal ansatzweise die treffende Beschreibung für ihren Körper. Sie hat Kurven an exakt den richtigen Stellen und spielt sowas von weit außerhalb meiner Liga, dass es nicht einmal lustig ist.

„Außer meinem Stolz ist alles andere unversehrt“, erwidert sie schließlich.

Ihre Antwort ist süß, genau wie sie selbst. Sie ist wirklich verdammt niedlich. Sie sieht völlig durcheinander aus, wie nach einem Wirbelsturm, und ich will mehr über sie in Erfahrung bringen.

„Okay, Babe. Wie gesagt, ich wollte mich bloß vergewissern. Ich habe dich nicht früh genug gesehen, um zu bremsen. Es war nicht meine Absicht, dich fast über den Haufen zu fahren.“

 „Mir geht es gut.“

Ich schenke ihr ein Lächeln und zwinkere ihr zu. Dann kehre ich ihr den Rücken zu und verschwinde. Ich muss mich regelrecht dazu zwingen zu gehen. Würde ich es nicht tue, würden die Pferde mit mir durchgehen und ich würde sie ficken. So sehr mich dieser Gedanke reizt, weiß ich dennoch, dass sie etwas Besseres verdient hat, als eine Stunde lang mein Bett zu wärmen und am nächsten Tag bereits von mir vergessen zu werden. Aber ich hätte sie schon ganz gern in meinem Bett. Ich würde jeden Quadratzentimeter ihres Körpers berühren, küssen und lecken.

Für diese eine Stunde würde sie ganz allein mir gehören.

Ich schwinge mich zurück auf mein Bike, recke eine Hand in die Höhe und gebe so das Startsignal. Die Gruppe nimmt die Fahrt wieder auf, direkt zum Tucson Chapter der Devil’s Hellions, um wohlmöglich einen Krieg anzuzetteln.

Mein Motorrad summt unter mir, gleitet geschmeidig über die Straße und gerät ein wenig ins Holpern, als ich auf die unbefestigte Schotterstraße abbiege, die mich zum Clubhaus führt.

Dieser Krieg wird nicht lange andauern. Sie werden nicht gewinnen. Gegen uns hat niemand auch nur den Hauch einer verdammten Chance. Ich ziehe in keine Schlacht, von der ich mir nicht hundertprozentig sicher bin, dass ich sie auch gewinnen werde.

Kapitel 2

Legacy

Das Clubhaus kommt in Sicht. Es überrascht mich nicht zu sehen, dass es bestens gesichert ist. Ich wusste, dass das der Fall sein würde, weil ich einer der Männer war, der vor ein paar Jahren das verdammte Sicherheitsprojekt geleitet hat. Wir haben die Sicherheitssysteme aller Chapter erneuert und aufgerüstet.

Das Tor ist verschlossen, weshalb wir zum Wärterhäuschen fahren. Im Inneren sitzt ein Anwärter, ein sogenannter Prospect, allerdings bin mir sicher, dass die Kameras unsere Ankunft bereits angekündigt haben. Sie wissen, dass wir hier sind, haben aber keine Ahnung, was gleich passieren wird.

Das ist vermutlich der einzige Grund, weshalb wir nicht schon tot sind.

Das Tor öffnet sich ganz langsam, ohne dass wir erklären müssen, wer wir sind oder was wir hier zu suchen haben. Der Prospect hätte uns ein paar Fragen stellen müssen, aber da wir Mitglieder des Mutterchapters sind, hat man ihm wohl geraten, das zu unterlassen. Roadkill fährt voraus, wir folgen ihm die Sand- und Kiesauffahrt hinunter. Sie ist lang und führt uns über eine Kurve zu einer Lichtung, auf der ein Lehmgebäude im mexikanischen Stil erbaut ist. Das Haus ist zwar alt, aber noch gut in Schuss.

 Als ich vor dem Gebäude zum Stehen kommen, bin ich froh zu sehen, dass einige Männer vor Ort sind.

Während ich mich umschaue, stelle ich fest, dass sie eine Metallwerkstatt haben. Die Tore zur Werkstatt stehen sperrangelweit offen. Ich kann dem Schweißer quasi bei der Arbeit zu sehen. Funken sprühen, während er eine Honda aus den Neunzigern in alle Einzelteile zerlegt. Wenigstens sind sie heute am Arbeiten, denn ihre Bücher belegen, dass sie sehr faul sind.

Als wir von unseren Bikes steigen, fliegt die Eingangstür des Clubhauses auf. Ich sehe Pig, den Präsidenten des Tucson Chapters, mit gespreizten Beinen und vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen stehen. Seine Lippen sind zu einer geraden Linie zusammengepresst, sein Blick ruht auf Warden, unserem Präsidenten.

„Was verschafft mir die Ehre eines unangekündigten Besuchs des Präsidenten des Mutterchapters mit all seinem Gefolge?“, will er wissen.

„Wir würden uns gern mal mit euch zusammensetzen“, erwidert Warden.

Pig schnaubt, nun ja, es klingt eher wie ein Schweinegrunzen, und tritt einen Schritt zurück. „Fick dich“, knurrt er.

Warden reagiert nicht sofort auf die Beleidigung. Ich bin mir sicher, dass ihm ein paar Dinge auf der Zunge liegen, aber er bleibt still. Für diese Respektlosigkeit hätte Pig eigentlich den Tod verdient, doch im Moment ist es nur unser Bestreben, ins Gebäude zu gelangen, um uns einen Überblick über die Lage zu verschaffen.

„Nein, danke. Du wirst uns jetzt hereinlassen, damit wir uns ein bisschen unterhalten, klar?“, sagt Warden schließlich.

Es herrscht ein Augenblick der Stille, wir starren einander an. Alle Augenpaare sind auf den jeweils anderen gerichtet. Pig wird nicht gewinnen. Nicht, dass einer von uns erwartet hätte, er würde als Sieger hervorgehen. Heute kann nur eine Seite gewinnen und das sind wir. Pig versucht, uns den Weg zu versperren, aber wir haben den ganzen verdammten Tag lang Zeit.

Wir werden darauf warten, dass er seinen verfluchten Arsch zur Seite bewegt oder ihn, wenn nötig, ohne Gespräch aus dem Weg räumen. Eine Unterhaltung, die es ihm ermöglichen würde, sich zu erklären. Keiner von uns gibt auch nur einen Scheiß darauf, wie seine Verteidigung wohl ausfallen mag. Er – und der ganze Scheißclub – hat uns verarscht. Das ist Fakt. Auch wenn wir keine stichhaltigen Beweise haben, werden wir das Chapter spätestens bis heute Abend dem Erdboden gleich gemacht haben.

Wie es für Pig üblich ist, wird er des Spiels müde und scheint genervt. Letztlich tritt er zur Seite und lässt uns das Clubhaus betreten.

Auf den ersten Blick gleicht es jedem anderen Clubhaus. Hier laufen ein paar heiße Clubmädchen herum und es gibt sogar eine Club-Mama, die dabei ist, die Tische abzuwischen und zu desinfizieren. Sie ist sicher diejenige, die den Laden am Laufen hält. Alle Frauen, egal ob Mamas oder Mädchen, hoffen darauf, unter einem Mann auf dem Rücken zu liegen, ehe die Nacht vorüber ist.

Sie sind Eigentum des Clubs.

„Und ihr seid hier, weil?“, will Pig wissen, als wüsste er die Antwort nicht selbst. Sich dumm zu stellen, bringt in unserer Welt aber nur eine Sache mit sich: Nicht mehr zu atmen.

„Wir können unter vier Augen miteinander sprechen, im Versammlungssaal, oder es verdammt noch mal gleich hier und jetzt tun. Doch bevor wir anfangen, wirst du deine Männer herholen“, verkünde ich.

Wie es seine Art ist, grunzt er lediglich. Vermutlich ist das der Grund für seinen Straßennamen. Ich reagiere nicht darauf, obwohl ich ihm liebsten dafür die Fresse polieren will. Ich halte mich zurück, zumindest vorerst. Ich habe nämlich das Gefühl, dass es eher früher als später sowieso dazu kommen wird.

„Sie sind gleich hier“, entgegnet Pig und wippt auf seinen Fersen auf und ab.

Seinem dämlichen Grinsen nach zu urteilen, hat er sie bereits wissen lassen, dass sie sich bewaffnen sollen. Die gute Nachricht ist, dass wir alle mindestens vier geladene Waffen bei uns tragen.

Diesen verdammten Arschlöchern wird es nicht gelingen uns zu überwältigen. Anstatt weiterhin in der Mitte des Raums zu stehen und Pigs hässliche Visage anzugaffen, begeben wir uns an die Bar und bestellen eine Runde, um uns die Wartezeit zu verkürzen.

Ich streiche über die abgerockte Bartheke und spüre das Holz unter meinen Fingerspitzen. Ich kann nicht verhindern, dass meine Gedanken zu der heißen Brünetten von vorhin abdriften.

Wir sind nicht hergefahren, um uns volllaufen zu lassen, aber ein Bierchen wird sicher nicht schaden. Ich habe das Gefühl, dass mir das bei der Scheiße, die gleich losbrechen wird, guttun wird.

Als ich den Verschluss von meiner Flasche abgedreht habe, führe ich sie an meine Lippen, nehme einen kräftigen Schluck und denke weiter an die langbeinige Frau von zuvor. Sie geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Fuck, sie war echt heiß.

Ihr Wahnsinnskörper in Kombination mit den High Heels macht sie zu einem Mädchen, das man unbedingt für sich beanspruchen will. Allerdings ist sie für eine Old Lady viel zu gut. Diese Frau passt eher in die Kategorie Citizen Wife, die man völlig vom Clubleben fernhalten muss.

Die Art von Frau, die man heiratet und mit der man Babys macht. Es käme nicht in Frage, sie auch nur in die Nähe des verdammten Clubhauses zu lassen. Niemals. Sie dürfte nicht einmal wissen, dass es existiert.

Ich denke darüber nach, wie ein solches Szenario funktionieren könnte.

Ich kenne ein paar Männer, die das in der Vergangenheit genauso gehandhabt haben, und es hat geklappt. Du hast ein Clubmädchen und sogar zusätzlich noch eine Old Lady im Club. Aber deine Citizen Wife, deine Ehefrau auf dem Papier, die Mutter deiner Kinder, weiß nichts von deinem anderen Leben. Sie ist rein, gut und unschuldig, völlig unberührt vom Dreck des Clubs.

„Was zum Teufel lässt dein Hirn so verflucht laut rattern?“, fragt Warden mich, der neben mir steht.

Ich drehe mich zu ihm hin und zucke mit den Schultern. „Du und Lydia? Wie hat das funktioniert?“

Warden ist einer der Männer, die ich kenne, die eine Citizen Wife geheiratet haben. Allerdings ist sie vor ein paar Jahren an Krebs verstorben. Ich habe seine Frau nie kennengelernt. Er hat sie nicht nur vom Clubhaus ferngehalten, sondern auch von allem, das mit seinem Leben dort zu tun hatte. In jeder Hinsicht.

Warden zieht die Augenbrauen zusammen, dann nimmt er einen Schluck von seinem Bier und räuspert sich. Ich weiß nicht, woran er gerade denkt, aber ich sehe ihm an, dass er seine Gedanken sortieren muss, ehe er mir antworten kann.

„Hast du etwas in diese Richtung vor? Gibt es jemanden?“, will er wissen.

Obwohl Warden so etwas wie eine Vaterfigur für mich ist – wenn man bedenkt, dass er der beste Freund meines Dads war -, teilen wir nie unsere intimsten Gefühle und Gedanken miteinander. Privater Scheiß ist eben genau das: Privat.

„Es gibt niemanden. Ich habe nur nachgedacht.“

Er brummt und reagiert nicht sofort auf meine Aussage. Erst führt er eine Hand an sein Kinn und reibt es. „Ich würde es nie wieder so handhaben.“

Seine Antwort verwirrt mich. Kopfschüttelnd starre ich ihn an und warte darauf, dass er es mir erklärt. Zum Glück tut er dies auch, ohne dass ich nachbohren muss.

„Lydia hat einen verdammt großen Teil meines Lebens verpasst. Sie kannte mich nicht, zumindest nicht in Gänze. Ich habe sie jede Minute eines jeden Tages belogen. Es brauchte erst ihren Tod, um zu realisieren, dass ich mehr hätte mit ihr haben können. Mehr Zeit, mehr Momente, mehr Erinnerungen. Sie schenkte mir meine Kinder. Das Leben, das wir teilten, war gut, aber nie vollständig. Und meine Kinder wollen nichts mehr mit mir zu tun haben.“

Fuck.

In diese Richtung habe ich bisher noch überhaupt nicht gedacht, doch er hat Recht. Wie hätte sie ihn je wirklich kennen sollen, ohne über diesen wichtigen Teil seines Lebens Bescheid zu wissen? Das leuchtet mir ein. Es ist eine heikle Situation und ich hätte nie gedacht, einmal selbst an diesen Punkt zu kommen.

„Wenn ich zurückspulen könnte, würde ich dann das Leben, das ich bisher hatte, nicht nochmal führen? Nein. Aber würde ich die Dinge diesmal anders angehen? Das auf jeden Fall.“

Ich will gerade etwas auf seine Worte erwidern, als die Tür zum Clubhaus auffliegt und eine Gruppe von Männern den Raum betritt. Sie marschieren im Gleichschritt, ihre Stiefel schlagen bei jedem Schritt auf dem Boden auf, wie bei Soldaten. Wenn sie eine Armee wären, dann würden sie eine ziemlich beschissene Truppe abgeben.

Die Männer umzingeln den Barbereich des Clubhauses. Als sich die Frauen blitzschnell zurückziehen, kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen.

„Showtime“, murmelt Warden.

Henli

Zum Glück kommentieren meine Neukunden den desaströsen Zustand meines Aussehens nicht. Die Braut ist so sehr auf ihre Hochzeit fokussiert, dass sie nicht einmal mitbekommen hat, dass der Bräutigam bereits nach der Hälfte des Meetings eingeschlafen ist. Als ich ihn danach frage, was er sich für seinen besonderen Tag wünscht, antwortet sie für ihn. Und zwar: Nichts.

Sie wird eine große Herausforderung für mich darstellen, da bin ich mir sicher. Es ist nicht meine Aufgabe, ihr Paartherapeut zu sein. Wenn dem so wäre, würde ich dem Mann wahrscheinlich raten, schnellstens das Weite zu suchen. Doch ich werde schweigen und einfach meinen Job erledigen. Vor langer Zeit habe ich gelernt, den Schnabel zu halten, zu lächeln und alles zu tun, was in meiner Macht steht, um den großen Tag perfekt zu gestalten.

Nachdem das Treffen mit dem Paar beendet war, kam es mir so vor, als hätte die Braut all meine Energie aus meinem Körper gesaugt. Das passiert von Zeit zu Zeit. Es gibt Menschen auf dieser Welt, die Energievampire sind, und sie gehört definitiv dazu.

Anstatt mich auf meinen ergonomischen Stuhl zu setzen, um ein kurzes Päuschen einzulegen, sammle ich die ganzen Ordner ein, die auf meinem Schreibtisch liegen, sowie mein Handy, mein Tablet und meine Handtasche. Ich verlasse mein Büro, schließe die Tür und gehe zu Grace’ Schreibtisch hinüber, der in der Lobby steht. Ich muss für eine Weile hier raus.

„Ich bin für den Rest des Nachmittags außer Haus. Sind irgendwelche Nachrichten angekommen oder etwas, das ich wissen muss, bevor ich gehe?“, frage ich sie und scrolle dabei durch meine Mails.

Da sie mir nicht antwortet, hebe ich den Kopf und sehe sie an. Ihr rinnen Tränen über das Gesicht. Ihre Unterlippe zittert. Sie sieht schockiert und sehr traurig aus.

„Heilige Scheiße, was ist passiert?“, bricht es aus mir heraus. Ich vermute, in ihrer Familie hat es einen Todesfall gegeben oder dass etwas anderes Ernstes vorgefallen ist.

Grace und ich sind nicht die besten Freundinnen oder so, aber wenn man so eng mit jemandem zusammenarbeitet, wie das bei uns der Fall ist, kommt man einander zwangsläufig näher. Ich weiß zwar nicht viel über sie, doch da ich nicht herzlos bin und es nicht ausstehen kann, jemand weinen zu sehen, kann ich das nicht einfach ignorieren.

Ich werde vielleicht nicht zu Thanksgiving zu ihren Eltern eingeladen, aber ich war in der Vergangenheit auf ihren Geburtstagspartys und wir sehen einander an fünf Tagen die Woche.

„Mein Freund hat mit mir Schluss gemacht. Er hat mir einfach eine Nachricht geschickt.“

Oh Mann, das ist echt beschissen. Ich gehe nicht oft genug auf Dates, um abserviert zu werden. Dementsprechend ist es schon eine Weile her, seit ich diese Art des Schmerzes empfunden habe.

„Was für ein Arschloch. Ernsthaft. Was ist das für ein Vollidiot?“

Sie schüttelt den Kopf, wischt sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht und atmet tief durch. Ich sehe ihr an, dass sie versucht sich  zusammenzureißen – notgedrungen.

So gern ich ihr auch anbieten würde, mich zu begleiten, um sie aufzumuntern, geht das nicht. Jemand muss hierbleiben, und ich habe keine andere Wahl, als den heutigen Nachmittag dafür zu nutzen, ein paar Lieferanten für meine Kunden abzuklappern.

„Wann machst du heute Feierabend?“, erkundige ich mich.

Sie starrt auf ihre Schreibtischplatte, dann hebt sie langsam den Kopf und sieht mich an. Ehe sie mir antwortet, räuspert sie sich. „Um sechszehn Uhr.“

Grace klingt so traurig und unglücklich. Ich hasse es, dass sie sich so fühlt. Sie scheint ein netter Mensch zu sein, der es nicht verdient hat, per Nachricht abserviert zu werden. Niemand hat so etwas verdient. So ein verdammter Feigling.

„Wir ziehen heute Abend um die Häuser.“

Ihre Augen werden ganz groß und ihre Lippen teilen sich. Normalerweise gehe ich nicht aus. Nicht wirklich. Ich bin zwar eine Stubenhockerin, aber ich igele mich auch nicht völlig ein. Ich bin aufgrund meines Jobs ständig auf Feierlichkeiten und Events und das Letzte, das ich in meiner Freizeit möchte, ist auf noch mehr davon zu gehen. Aber in Zeiten wie diesen oder an Geburtstagen mache ich durchaus eine Ausnahme.

Außerdem glaube ich nicht, dass ich heute Abend nach Hause gehen und die Wand anstarren kann, ohne an diesen sexy Typen von vorhin zu denken. Das wäre zweifellos der Fall.

Ich brauche Ablenkung.

„Wir gehen erst einen Happen essen und danach ertränken wir deinen Liebeskummer, während wir im Surley Viking Leute beobachten. Das wird lustig.“

„Der Laden ist die reinste Spelunke“, murmelt sie.

Nickend lache ich. „Richtig, und genau deshalb ist er perfekt, um sich in Ruhe zu betrinken und seine Wunden zu lecken, denn es wird niemand da sein, den du kennst und der dir dabei zusieht.“

Sie holt tief Luft. „Darüber habe ich noch nie nachgedacht“, flüstert sie. „Oh, mein Gott, auch nicht darüber, dass ich ihm vielleicht über den Weg laufen könnte.“

„Deshalb gehen wir ja auch ins Surley Viking“, flöte ich.

Grace lächelt, und ich verspreche ihr, dass ich ihr gegen siebzehn Uhr eine Nachricht schreiben werde, um nachzufragen, ob es bei der Verabredung bleibt. Ich werde mir ein Uber rufen, weil ich es nicht mag, mir mit anderen Menschen ein Fahrzeug zu teilen. Nachdem sie meinem Vorschlag zugestimmt hat, lasse ich sie in Ruhe, um wieder meiner Arbeit nachzugehen.

Ich versuche, mich auf meine Aufgaben zu konzentriere, scheitere aber kläglich, weil meine Gedanken permanent um die Beine dieses verdammten Mannes kreisen.

Sie waren göttlich.

Er war göttlich und ich werde ihn wohl nie wieder sehen.

Kapitel 3

Henli

Ich spiele mit dem Gedanken, mich für das heutige Abendessen und die Drinks sexy anzuziehen. So, wie ich es normalerweise handhaben würde, wenn ich die Nacht durchtanzen und meinen Spaß haben will. Letztlich entscheide ich mich aber dagegen. Dies ist kein sexy Abend. Es geht allein um Grace. Das Ziel ist es, ihren Kummer wegen ihres idiotischen Ex-Freundes zu ertränken.

Ich ziehe eine schwarze Jeans mit hohem Taillenbund an, die eng an Hüfte und Schenkeln anliegt, aber zum Glück über ausreichend Stretchanteil verfügt. An den Füßen trage ich ein Paar abgewetzte schwarz-weiß karierte Vans, die für ausreichend Komfort sorgen.

Ich ziehe mein goldenes, übergroßes Crop-Top mit V-Ausschnitt zurecht und lächle mir selbst im Spiegel zu. Ich habe mir die gleiche Frisur gemacht, wie an einem Arbeitstag. Allerdings habe ich meine Haare nach dem Desaster von heute einmal ordentlich durchgebürstet. Mein Make-up ist schlicht gehalten und etwas dunkler als am Tag. Nach meinem Sturz und den daraus resultierenden Hitzewallungen war es von Nöten, mein Make-up aufzufrischen und die Frisur auszubessern.

Mein Handy klingelt und signalisiert mir, dass mein Uber vorgefahren ist. Ich packe das Nötigste – Portemonnaie, Lipgloss und Schlüsselbund – in meine kleine Handtasche und verlasse das Haus.

Ich wohne in keinem dieser angesagten Hipsterviertel. Mein Haus ist ein kleiner Bungalow, den mir meine Chefin vermietet. Sie hat ihn gekauft, als sie noch alleinstehend war, und nachdem sie vor ein paar Jahren geheiratet hatte, suchte sie einen Mieter.

Ich war zu dem Zeitpunkt achtzehn Jahre alt und wollte meine Unabhängigkeit. Deshalb war ich mehr als glücklich, hier einziehen zu dürfen. Außerdem wohnen meine Eltern nur ein paar Kilometer von mir entfernt. Ehrlich gesagt, es hätte nicht besser laufen können. Mein Arbeits- und Privatleben haben sich wie von selbst ergeben.

Obwohl ich nicht gerade behaupten kann, dass mein Privatleben sehr abwechslungsreich wäre. Ich bin Single und zwar schon länger als mir lieb ist und die meisten Wochenende verbringe ich im Pyjama allein daheim bei einem Glas Wein.

Dankbar dafür, heute keine High Heels zu tragen, eile ich den kleinen Fußweg entlang und steige in das wartende Auto ein. Der Fahrer nennt das Ziel, ich bestätige es und bedanke mich bei ihm. Ich mache ein Selfie und poste es unterlegt mit einem kleinen Song und einigen Hashtags auf TikTok.

Ich bin keine Influencerin. Meine Posts erzielen maximal zweihundert Klicks am Tag, mehr nicht. Wahrscheinlich werden es auch nie mehr werden, aber das ist vollkommen in Ordnung. Ich weiß nicht einmal, wieso ich überhaupt etwas poste – für mich selbst, nehme ich an.

Als das Uber auf die Straße biegt, scrolle ich durch Instagram. Mir fallen ein paar Beiträge von Köchen auf, denen ich folge, und ich fange regelrecht an zu sabbern, als ich einen toll hergerichteten Teller mit Pasta sehe. Mir knurrt der Magen bei dem Gedanken an das Abendessen, das ich gleich verputzen werde.

Es dauert nicht lange, bis wir das Ziel erreichen. Ich bedanke mich beim Fahrer, steige aus dem Wagen und schicke Grace eine Nachricht, um ihr mitzuteilen, dass ich bereits da bin und schon mal reingehen werde. Ich habe kein schickes Restaurant ausgesucht, weil ich aus irgendeinem Grund Lust auf Pasta hatte. Deshalb schlug ich einen gemütlichen Italiener vor und hoffte, dass Grace dem Vorschlag zustimmen würde.

Grace:Ich bin in fünf Minuten da.

Ich:Ich werde bis dahin versuchen, nicht das ganze Brot aufzuessen.

Grace: Oohhhh, Kohlenhydrate.

Lachend mache ich mich auf den Weg ins Lokal. „Einen Tisch für?“, möchte die Empfangsdame wissen.

„Zwei, bitte“, erwidere ich, verstaue mein Handy in der Gesäßtasche und lächle ihr zu.

Die Angestellte nickt, schnappt sich zwei Speisekarten und zeigt mir einen der freien Tische. Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir so schnell einen Platz bekommen würden. Ich glaube, es hat nur deshalb ohne Wartezeit geklappt, weil an einem Donnerstagabend nicht ganz so viel los ist wie an den Wochenenden.

Obwohl ich bereits jetzt schon weiß, dass ich Penne mit gegrilltem Hähnchen, Pesto und gedünstetem Brokkoli essen werde, schlage ich die Speisekarte auf, nachdem ich Platz genommen habe. Ich habe keine Ahnung, weshalb ich noch einen Blick hineinwerfe, denn ich bestelle hier immer die Penne. Es ist mein Lieblingsgericht, das hier immer fantastisch schmeckt.

Der Kellner kommt zu mir an den Tisch und stellt einen Korb mit frischem, warmem Brot vor mir ab, ehe er sich erkundigt, was ich gerne trinken würde. Ich werde den Abend mit einem Wasser starten und erst später zum Alkohol wechseln.

Ich kenne mich selbst gut genug, um zu wissen, dass ich müde werde, wenn ich die Pasta mit einem Glas Wein kombiniere. Da ich versuche, Grace eine gute Freundin zu sein, wäre es eine Beleidigung für sie, wenn ich mitten am Abend ein Nickerchen machen müsste.

Ich war noch nie mit Grace aus. Nur in Begleitung anderer zu besonderen Veranstaltungen. Tatsächlich habe ich mich noch nie mit ihr allein getroffen. Dementsprechend wenig weiß ich über sie, und vielleicht ist das auch ganz gut so.

Eigentlich habe ich nicht viele Freunde. Die meisten Leute, mit denen ich während der Highschool befreundet war, haben entweder geheiratet und Kinder bekommen oder sind aufs College gegangen und nie wieder zurückgekehrt.

Als Grace irgendwann auftaucht, wird mir bewusst, wie underdressed ich bin. Sie schaut nämlich aus, als wolle sie in einem Club feiern gehen und Männer bei lebendigem Leib verschlingen. Mir war nicht klar, dass sie bereits diese Phase der Trauer in Hinblick auf ihre Trennung erreicht hat.

Ich dachte, es würde heute darum gehen, Kalorien zu sich zu nehmen und ein paar Drinks zu kippen. Ich weiß nicht einmal, wie lange sie und ihr Freund ein Paar waren. Das hier geht mir irgendwie doch ein wenig zu schnell.

Grace nimmt mir gegenüber Platz, ein Lächeln umspielt ihre Lippen. Sie sieht nicht im Geringsten niedergeschlagen aus. Bevor ich etwas zu ihr sagen oder sie etwas fragen kann, kommt der Keller mit meinem Wasser zu uns an den Tisch und erkundigt sich, ob Grace auch etwas trinken möchte.

„Ich nehme ein Mixgetränk. Rum mit Cola Light“, antwortet sie.

Aufgrund ihrer Getränkebestellung reiße ich die Augen auf und frage mich, ob sie vielleicht diejenige sein wird, die nach der Pasta einschläft. Ich hatte nicht vor, heute Abend etwas so Starkes zu trinken. Wenn ich das tue, bin ich morgen auf der Arbeit zu nichts zu gebrauchen.

„Du siehst toll aus“, sage ich und stelle fest, dass ihre Augen weder gerötet noch aufgedunsen sind.

Sie wirkt … glücklich.

Irgendwie euphorisch. Irgendetwas scheint im Busch zu sein. Ich will sie fragen, ob alles in Ordnung ist, doch bevor ich dazu komme, hat sie sich schon über den Tisch gebeugt und schenkt mir ein strahlendes Lächeln.

„Es hat sich alles geändert. Einfach alles“, flüstert sie.

Der Kellner bringt ihren Drink und wir ordern das Essen. Natürlich bestelle ich mein Lieblingsnudelgericht, während Grace sich einen Salat aussucht. Nur einen Salat. Erneut möchte ich sie fragen, ob alles in Ordnung ist, doch auch diesmal gibt sie mir nicht die Gelegenheit dazu, da sie von ihrem Nachmittag zu erzählen beginnt.

„Nachdem du gegangen warst, ist nicht mehr viel passiert. Während meiner Mittagspause postete ich auf Instagram, dass ich abends mit einer Freundin ausgehen würde. Außerdem kümmerte ich mich um mein Gesicht, damit ich nicht mehr so verheult aussah. Nun ja, fünfzehn Minuten später rief er mich an. Er flehte mich an, ihn zurückzunehmen. Er sagte, er sei dumm gewesen und es täte ihm leid. Also sind wir jetzt wieder zusammen.“

Ich starre sie an, blinzle und weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll. Ich bin wie erstarrt und es kommt mir vor, als würde ich mich in einem Paralleluniversum befinden. Einem, in dem sie sich nicht noch vor ein paar Stunden die Augen aus dem Kopf geheult hat. Einem, in dem ihr Typ nicht per Textnachricht mit ihr Schluss gemacht hat. Nie im Leben hätte ich diesen Kerl zurückgenommen. Zumindest glaube ich nicht daran, dass ich es getan hätte. Allerdings war ich auch noch nie bis über beide Ohren verliebt. Würde ich den per Nachricht Schlussmacher vielleicht doch zurücknehmen? Das ist fragwürdig.

„Ich freue mich für dich“, entgegne ich, ohne es ernst zu meinen. „Und was machen wir jetzt?“

Ihre Wangen röten sich und sie rutscht nervös auf ihrem Stuhl umher.

Ich bin sehr verwirrt wegen dem, was hier vor sich geht. Ich habe das Gefühl, lediglich eine Beobachterin dieser Szene zu sein und frage mich, wieso ich nicht zu Hause bin, in meinem Bett liege und mir etwas auf Netflix anschaue. Das Restaurant kommt mir plötzlich viel zu eng vor, die Luft ein wenig zu dünn. Vielleicht sollte ich den Abend einfach beenden und nach Hause fahren.

„Wir fahren natürlich trotzdem ins Surly Viking. Wir werden dort abhängen und uns ein paar Drinks genehmigen. Später stoßen er und ein paar seiner Kumpels dazu.“

Oh, wie ätzend. Das ist das Allerletzte, was ich will. Aber anstatt meinen Unmut laut auszusprechen, lächle und nicke ich. Ich nehme mir ein Stück Brot und schiebe es mir in den Mund, um zu vermeiden, etwas Unhöfliches zu sagen.

Ehrlich gesagt, habe ich ihr eine ganze Menge mitzuteilen, aber das steht mir nicht zu. Stattdessen nippe ich lieber an meinem Wasser und widme mich dem Brot.

Legacy

„Du hast deinen Scheiß nicht unter Kontrolle. Deine Buchhaltung ist in Wahrheit bloß Bullshit. Das habe ich schon auf den ersten Blick erkannt. Dieser ganze Club bescheißt mich, hintergeht die Devil’s Hellionsund das lasse ich mir nicht bieten. Euer Chapter hat von Anfang an nur Ärger gemacht.“

Warden ist mächtig angepisst und bereit dazu, diesen Leuten ein für alle Mal das Handwerk zu legen. Er hat Recht, sie haben nur Ärger gemacht. Ich würde Tucson abhaken, das Chapter schließen und mich nicht länger darüber aufregen, aber Warden will den Club hier unbedingt aufrechterhalten. Nur ein wenig sauberer.

Es spielt eigentlich keine Rolle, wer hier das Sagen hat. Es lief nämlich von Tag eins an beschissen. Und wir tragen alle einen Teil der Schuld, weil wir viel zu lange weggesehen haben.

„Fick dich“, knurrt Pig. „Ich habe mir jeden Tag den Arsch für euch aufgerissen. Und das, obwohl du die Früchte meiner Bemühungen erntest, das verdammte Geld.“

Warden lacht auf, aber es ist ein humorloses Lachen. Er ist stinksauer. „Ach ja? Bekommst du im Gegenzug keinen Schutz? Bekommst du etwa keine leichten Jobs zugeschustert? Du bist nichts weiter als ein gottverdammter Mittelsmann und du denkst du hast mehr als das verdient?“

Pig reckt das Kinn in die Höhe und versucht, Warden von oben herab anzuschauen. Der Versuch scheitert, denn wir sind alle mindestens zehn Zentimeter größer als der Wichser. Ich würde ja drauflos lachen, aber das ist es nicht wert.

„Hier läuft alles wie am Schnürchen. Wir haben unseren eigenen Scheiß am Laufen und tun, was von uns verlangt wird. Du bekommst deinen Anteil, und das war’s. Wir haben eigene Geschäfte, die nichts mit euch zu tun haben.“

„Es ist mir scheißegal, was ihr am Laufen habt, solange es nicht mit unseren Interessen kollidiert. Also gibst du mir gegenüber zu, dass du uns umgehst und nicht damit aufhören wirst?“

Pig presst die Lippen aufeinander, antwortet ihm aber nicht. Einer seiner Männer tritt einen Schritt vor, woraufhin Pig eine Hand hebt, als wolle er ihn stoppen. Und es funktioniert. Der Kerl kehrt sofort an seinen Platz zurück.

„Der Scheiß wird hier genauso weiterlaufen wie bisher. Du magst das Mutterchapter der Devil’s Hellionsleiten, aber du bist werde ein Imperator noch der oberste verdammte Befehlshaber. Aus diesem Grund wird alles genauso bleiben, wie es verdammt noch mal ist.“

Warden lacht auf. Sein Lachen klingt ein wenig psychotisch. Er stellt das Gelächter bloß ein, um einen Pfiff auszustoßen, was für uns das Signal ist, uns bereit zu machen. Die Kacke ist sowas von am Dampfen.

Ich werde den Eindruck nicht los, dass bei diesem Aufeinandertreffen etwas nicht stimmt. Jedoch schiebe ich das Gefühl vorerst beiseite, weil ich weiß, dass Pig schon seit einer Weile ein Problem darstellt, das immer größer wird. Warden ist vermutlich ziemlich frustriert wegen ihm und aufgrund dieser ganzen Sache.

„Reiß dich zusammen, Pig. Du hast aufs falsche Pferd gesetzt. Du bestimmst nicht, was passiert. Und schon gar nichts, was den Club betrifft. Du lebst im Grunde genommen in einer verfluchten Diktatur. Ich weiß nicht, wie du darauf kommst, es wäre anders.“

„Fick dich, Warden. Scheiß auf dich und deinen Club.“

Nun bin ich derjenige, der pfeift. Das war das zweite Zeichen, dass der Scheiß jeden Moment los geht. „Das sind krasse Worte“, sage ich in warnendem Ton. „Du bist der Präsident. Ihr alle habt einen Eid für diesen Club geschworen, für die Devil’s Hellions.“

„Scheiß. Auf. Den. Eid.“

Und es geht los.

Es geht verdammt noch mal los.

Wir ziehen alle gleichzeitig die Waffen, als wären wir synchronisiert worden. Dann bricht verflucht noch mal die Hölle los. Warden und ich richten unsere Knarren auf Pig, der grinst, als hätte er soeben den Hauptpreis gewonnen.

„Ist es das, was du willst?“, fragt Warden.

Abermals reckt Pig das Kinn in die Höhe, ein Lächeln umspielt noch immer seine Lippen. Er scheint völlig verrückt geworden zu sein. Seine Aufmerksamkeit wandert zwischen Warden und mir hin und her. Dann tritt er einen Schritt vor und presst seine Stirn gegen den Lauf von Wardens Waffe.

„Erschieß mich doch, du Wichser, denn ich werde ganz bestimmt nicht den Schwanz einziehen.“

Warden zögert nicht. Er drückt den Abzug, woraufhin Pigs Kopf explodiert. Es herrscht ein Moment lang völlige Stille.

Der ganze Raum ist wie erstarrt.

Dann bricht die Hölle los.

Einer von Pigs Jungs stößt einen Schrei aus und kommt auf uns zugestürmt. Ich reagiere geistesgegenwärtig und richte meine Knarre auf ihn.

Um uns herum hagelt es Kugeln. Es sind Schreie und Rufe zu hören, dann wird es wieder still. Ich lösche ein paar Leben aus, aber zum Glück verlieren wir selbst keinen Mann.

Als Pigs Männer irgendwann kapitulierend die Hände in die Höhe recken, wird es ganz ruhig im Raum.

Ich habe keine Ahnung, was zum Teufel wir mit den Jungs machen sollen, die noch am Leben sind. Ich bin mir nicht sicher, ob man ihnen trauen kann. Sie gehören Pigs Truppe an und es ist bekannt, dass Pig nicht gerade vertrauenswürdig war. Wenn sie am Leben bleiben wollen, werden sie verdammt schnell singen müssen.

Ich schaue Warden an und ziehe eine Augenbraue in die Höhe. Er räuspert sich und positioniert sich mittig im Raum, während alle anderen ihn umzingeln. Er ist ihr verdammter König und das weiß er.

„Entweder ihr seid auf meiner Seite, die der Devil’s  Hellions, oder ihr seid gegen uns. Dies ist eine Bruderschaft. Egal, welchem Chapter man zugehörig ist, unsere Leben sind miteinander verbunden. Wir bilden keine eigenen Einheiten, weil wir eine Bruderschaft sind. Wenn jemand damit nicht einverstanden ist, nicht Teil der Devil’s  Hellions sein will, dann seht ihr direkt hinter mir die Tür.“

Abermals wird es ganz still. Ich blicke auf die Männer herunter, die am Boden liegen.  Blut fließt aus ihren Körpern auf den Betonboden. Ich kann den Eisengehalt in ihrem Blut reichen, denn der Geruch flutet den Raum. Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass mir der Duft nicht gefällt.

Keiner, der noch steht, rührt sich.

Sie bleiben alle wie erstarrt an Ort und Stelle.

Als ich meinen Blick von Mann zu Mann schweifen lasse, kann ich das Zögern in ihren Gesichtern ablesen. Niemand bewegt sich auf die Tür zu. Dennoch beschleicht mich das Gefühl, dass wir heute Nacht einige Männer verlieren werden.

Für gewöhnlich wird ein Abtrünniger zurückgeholt, um ihm die Tätowierung, die ihn an uns bindet und ihn als Mitglied der Devil‘s Hellions kennzeichnet, mit einer heißen Klinge aus der Haut herauszuschneiden. Oder man würde ihm auf der Stelle eine Kugel in den Kopf jagen.

Doch ich glaube, dass diese Regel für den heutigen Abend außer Kraft gesetzt wird, denn so etwas, was hier vorgefallen ist, gab es noch nie zuvor. Zumindest nicht, solange ich denken kann.

Roadkill reckt räuspernd das Kinn in die Höhe. Er ist bereit, von hier zu verschwinden. Wir sind alle erschöpft, blutverschmiert und müssen noch etwas Dampf ablassen. Fuck. Ich bekomme die Kleine nicht mehr aus meinem Kopf.

Warden räuspert sich ebenfalls. „Wir sehen uns morgen Mittag zu einem Meeting wieder. Wenn ihr versucht, zwischenzeitlich irgendeinen Scheiß abzuziehen, werdet ihr euch dafür vor mir verantworten müssen.“

„Was zum Teufel wird mit uns passieren?“, fragt einer der Männer mit kratziger Stimme. Er sieht aus, als hätte man ihm die Scheiße aus dem Leib geprügelt, denn er ist voller Blut und Schmutz. Er hat sich gut geschlagen – er lebt schließlich noch. Auch wenn er diese Runde technisch gesehen verloren hat, ist er dennoch ein Gewinner.

Warden reagiert nicht sofort auf seine Frage. Erst atmet er tief ein, dann lange wieder aus. Er schaut jeden einzelnen Mann im Raum an, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder dem Kerl widmet, der ihn angesprochen hat.

Kapitel 4

Henli

Das Mädchen, das mir geschrieben hat, dass es sich vollfressen will, scheint wohl nicht zu unserer Verabredung erschienen zu sein. Grace hat einen großen Bogen um ungesundes Zeug gemacht, sie hat einmal daran gerochen.

Nicht, dass ich ihr das übelnehmen würde.

Es gab eine Zeit in meinem Leben, in der ich selbst nichts angerührt habe, was auch nur an Kohlenhydrate erinnerte. Es war eine düstere Zeit, weil ich an nichts anderes als an Kalorien denken konnte und sogar von ihnen geträumt habe. Ich schätze, ich bin einfach bloß ein wenig überrascht, dass sie das Brot verschmäht hat, besonders nach unserem Nachrichtenaustausch. Jetzt gerade reibt sie sich auf der Tanzfläche an jenem Typen, der sie per Textnachricht abserviert hat. Ihr Freund sieht genauso aus, wie ich ihn mir vorgestellt habe: Wie ein riesiges Arschloch.

Und dann wären da noch die Freunde des Trottels. Sie sehen genauso aus wie er und verhalten sich auch so.

Einer der Kerle beugt sich zu mir herunter, um mir etwas ins Ohr zu flüstern. Sein warmer Atem streift über meine Haut, woraufhin ich mir augenblicklich wünsche, er würde das unterlassen. Er dringt in meine persönliche Komfortzone ein. Das würde mir vielleicht gefallen, wenn ich auch nur einen Müh attraktiv fände.  Doch dieser Mann hält sich für eine Sahneschnitte und das turnt mich total ab.

Außerdem ist er überhaupt nicht mein Typ – also so gar nicht. Ich meine, in der Highschool hätte ich ihn vielleicht süß gefunden, aber ich lebe mittlerweile zu lange in der realen Welt. Kerle wie ihn habe ich schon oft kennengelernt und daher weiß ich, dass er bloß ein narzisstischer Arsch ist, der dich mit Haut und Haar verzehrt, wieder ausspuckt und noch ein paar Mal auf dir herumtrampelt, bevor er dich links liegen lässt.

Ich rücke so weit wie möglich von ihm ab, rümpfe die Nase und führe mein Wasserglas an die Lippen. Allerdings scheint er den Wink mit dem Zaunpfahl nicht zu verstehen.

Er kommt wieder näher heran, sein Blick ruht auf meinem Getränk. Die Situation ist mir nicht nur unangenehm, sondern auch geradezu unheimlich. Er lehnt sich zurück, was mir ein oder zwei Zentimeter Luft zum Atmen verschafft, und ich nippe an meinem Wasser.

Er sieht mir dabei zu, wie ich die Flüssigkeit herunterschlucke. Während ich einen Schluck nach dem anderen nehme, beobachtet er mich genaustens.

Irgendwie wird mir warm. Ich bin mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass der Typ mir so dicht auf die Pelle gerückt ist, oder ob jemand die Heizung angestellt hat oder so. Ich brauche dringend Abstand. Deshalb leere ich mein Glas ganz schnell, woraufhin er komischerweise seine Lippen zu einem Lächeln verzieht. Ich ignoriere sein seltsames Grinsen und denke darüber nach, wie ich hier wegkomme.

Kaum, dass ich mein Glas weggestellt habe, ist er auch schon wieder ganz dicht bei mir. Sozusagen direkt vor mir. Ich kann mich nicht auf sein Gelaber konzentrieren, weil es mir scheißegal ist und weil sich die Luft in dieser Bar schlagartig verändert.

Die Stimmung wird eine andere, und als ich der Ursache dafür auf den Grund gehen möchte, ist dieser völlig banal.

Der Biker.

Er ist hier.

Der von heute Vormittag, der sich dafür entschuldigt hat, mich fast über den Haufen gefahren zu haben. Und er ist absolut atemberaubend. Er ist noch genauso riesig wie in meiner Erinnerung. Seine Muskeln sind nicht zu übersehen. Sein kurzes Haar ist durcheinander und perfekt, als wäre er mit dem Motorrad hierher gefahren. Ich bin mir sicher, dass er mit seinem Bike hier ist.

Ich erinnere mich noch sehr detailliert an ihn.

Er checkt die Bar ab, sein Blick schweift durch den Raum. Ich habe den albernen Wunsch, dass er mich entdeckt, hierherüber gerannt kommt, mich in seine Arme zieht und festhält. Dass er mir nah ist, dass er mich gegen sich drückt.

Ich stelle mir vor, wie er seinen Mund auf meinen legt und meine Lippen mit einem rauen und verführerischen Kuss versiegelt. Anschließend trägt er mich aus der Bar zu seinem Motorrad, woraufhin wir in der Dunkelheit davonfahren.

All das passiert in meiner Fantasie.

Die Realität ist vermutlich viel düsterer.

In Wahrheit beobachte ich aus der Ferne, wie er sich auf einen Barhocker setzt. Er lässt das Sitzmöbel total klein erscheinen, die Bar wirkt winzig. Ich sehe, wie ihm ein Bier serviert wird. Seine langen, kräftigen Finger umschließen die Flasche, die er an seine Lippen führt, um einen Schluck zu nehmen. Das Bier rinnt ihm die Kehle hinab. Es ist sinnlich oder vielleicht bin ich auch einfach nur so scharf auf ihn, dass es mir so vorkommt.