Killer: Befreie mich aus der Dunkelheit - Hayley Faiman - E-Book

Killer: Befreie mich aus der Dunkelheit E-Book

Hayley Faiman

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Beschreibung

LOUIS: Mörder. Knockout. Begraben. Das Bild, das die Welt von mir hat, ist nicht der Mann, der ich geworden bin. Bilder von mir, von dem, was ich einem anderen Mann angetan habe, füllen meinen Geist. Albträume erfüllen mein Leben - Tag oder Nacht, es spielt keine Rolle. Alles, was ich sehe, ist der Tod. TULIP: Abschaum. Verborgen. Skandalös. Das Bild, das die Stadt von mir hat, ist nicht das, was ich geworden bin. Was ich spät nachts tue, um über die Runden zu kommen, frisst mich innerlich auf. Ich habe keine Zukunft. Keine Perspektiven. Kein Geld. Schon immer versuche ich zu verbergen, dass ich ein Nichts bin. Erscheinungsbilder sind Lügen, die wir der Außenwelt präsentieren. Wir tragen Masken, die wir selbst gegenüber unseren engsten Freunden nicht ablegen. Niemand weiß, was sich unter der Oberfläche verbirgt. Niemand wird es jemals erfahren. Ein Second Chance-Sport-Liebesroman. Inklusive der Bonus-Kurzgeschichte "Protector - Laurie & Jesse".

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Hayley Faiman

Außergewöhnliche Helden Teil 4: Killer – Befreie mich aus der Dunkelheit

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von J.M. Meyer

© 2020 by Hayley Faiman unter dem Originaltitel „Killer (An Unfit Hero Novel, Book 4)

© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

© Coverfoto: Shutterstock.com

ISBN Print: 978-3-86495-594-5

ISBN eBook: 978-3-86495-595-2

Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig.

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Epilog

Außergewöhnliche Helden: Protector (Laurie & Jesse)

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Epilog

Autorin

Prolog

Louis 

Ich heiße Louis Kingston und ich bin ein Killer.

Ein Schlag. Das war alles, was es brauchte, um ein Leben zu beenden. Ich habe den Mann nicht gehasst. Ich kannte ihn ja nicht einmal richtig. Ich habe nur meinen Job gemacht. Ich tat das, wozu wir beide ausgebildet worden waren. Ich weiß genau, wohin ich schlagen muss und wohin nicht. Ich habe mein ganzes Leben damit zugebracht, zu trainieren, um genau dieses Szenario zu vermeiden.

Trotzdem habe ich einen Mann getötet.

Ich führe die Flasche des extrem teuren Louis-XIII-Cognacs an meine Lippen und nehme einen großen Schluck. Sie war ein Geschenk von meinem Agenten zu einem meiner Siege. Ich habe sogar dreißig insgesamt von ihm geschenkt bekommen. Für jeden Profikampf, den ich gewonnen habe, eine Flasche. Ich bin mir sicher, dass er irgendeinen Deal mit dem Hersteller hat, und ich habe bis heute nie daran gedacht, eine zu öffnen.

Normalerweise bevorzuge ich Bier, und selbst davon trinke ich nur wenig, wenn ich mich zwischen den Kämpfen ausruhe. Wenn ich im Training bin, trinke ich überhaupt keinen Alkohol. Ich halte meinen Geist rein und ernähre mich gesund. Selbst mein Körper bleibt rein, von Frauen halte ich mich generell fern.

Ich schließe die Augen und lasse meinen Kopf gegen die Stuhllehne fallen. Es wird eine Untersuchung geben. Sie haben mir bereits Blut abgenommen, die Polizisten haben mich schon befragt und ich soll morgen zu einem noch gründlicheren Verhör auf das Polizeirevier kommen.

Die Association of Boxing Commissions, eine gemeinnützige Organisation für professionelles Boxen, hat meine Aussage und die Videoaufzeichnungen des Kampfes zur Durchsicht mitgenommen. Der Ringrichter sowie die Punktrichter werden ebenfalls befragt werden.

Ich weiß zweifelsohne, dass mich keine Schuld trifft, aber Regeln sind nun mal Regeln, und diese müssen genaustens eingehalten werden. Doch nichts lindert meine Schuldgefühle. Ich werde diese Schuld für den Rest meines Lebens verspüren. Sie wird nie wieder verschwinden. Sie wird niemals verblassen. Ich habe ein Leben ausgelöscht.

***

Monate sind vergangen. Die Ermittlungen sind abgeschlossen. Die Autopsie wurde vorgenommen und die Ergebnisse wurden nicht nur mir, der Kommission und der Polizei zur Verfügung gestellt, sondern auch der Öffentlichkeit.

Die Welt weiß nun, dass ich diesen Mann nicht absichtlich getötet habe. Die Welt weiß, dass ein Arzt ihm Wochen bevor er mit mir in den Ring stieg gesagt hat, dass er nur ein paar Schläge vom Tod entfernt ist. Er hat diese Informationen jedoch für sich behalten, er war einfach zu stolz.

All das spielt aber keine Rolle mehr, denn am Ende des Tages hat meine Faust sein Leben beendet.

Man sagt, dass die Zeit die Schuldgefühle lindert. Dass man irgendwann die Geräusche des Moments nicht mehr hört, der dein gesamtes Leben verändert hat. Das ist ein Irrtum. Ich glaube nicht, dass ich jemals vergessen werde. Im Gegenteil, ich höre die Geräusche, die Klänge, die mich in jener Nacht umgaben, in einer verdammten Dauerschleife.

Bei Tag, bei Nacht, schlafend oder wach.

Seine Beerdigung ist gekommen und vorrübergegangen. Ich musste dastehen, während seine Ehefrau und seine Tochter schluchzten, während sein kleiner Sohn ausdrucklos auf die Holzkiste starrte, die in das Erdloch herabgelassen wurde.

Die Leute können mir jede Minute des Tages sagen, dass ich keine Schuld an seinem Tod trage. Sie können mir sagen, dass er wusste, was er tat, dass er sich der Risiken bewusst war, die er einging, als er in den Ring stieg. Sie können es mir wieder und wieder vorbeten, und doch wird die Schuld, ihm das Leben genommen zu haben, bleiben.

Ich schnaube, während ich die fünfte Flasche des Louis-XIII-Cognac austrinke. Ich habe im letzten Monat nicht ein einziges Mal trainiert. Fuck, ich habe nicht einmal die Sonne gesehen, seit ich auf der Beerdigung war. Manche würden sagen, dass ich hier in Las Vegas verkümmere, mich vor der Welt verstecke.

Und sie hätten Recht.

Ich sollte trainieren oder zumindest meinen Körper fit halten. Doch ich kann nicht. Alles, was ich tun will, ist trinken und mich in meiner Schuld, meinem Selbstmitleid und Selbsthass suhlen.

Ich lasse die fünfzehnhundert Dollar teure, leere Flasche auf den Boden fallen, schließe die Augen und das Bild, das vor meinem geistigen Auge auftaucht, ist mir alles andere als unwillkommen. Zum ersten Mal seit Wochen sehe ich nicht den Mann, den ich getötet habe vor mir, sondern ich sehe sie.

Kurze blonde Haare, die ihren Kopf umrahmen, große blaue Augen, die direkt in meine verdammte Seele blicken. Sie ist nackt, ihre Titten sind etwas weniger als eine Handvoll. Ihre Taille ist schmal und ihre Hüften sind ausladend. Ihre Oberschenkel sind breit. Ihre Haut ist seidig glatt.

Dann leckt sie sich über ihre vollen Lippen, bevor sie diese zu einem kleinen Lächeln verzieht.

„Louis“, flüstert ihre süße, leise Stimme. Es hört sich an, als wäre sie meilenweit von mir entfernt, doch ich sehe sie direkt vor mir.

Ich stöhne auf, als sie sich auf ihre Ellenbogen stützt, ohne dabei den Blick von mir zu nehmen. „Komm zu mir zurück“, sagt sie ausatmend. „Bitte, Louie.“

Mit einem tiefen Atemzug reiße ich die Augen auf, stoße einen langen Seufzer aus und beuge mich vor, um Luft zu holen. Mein Herz beginnt zu rasen. Es fühlt sich an, als wolle es sich aus meinem Körper befreien, während es wie wild gegen meine Rippen hämmert.

„Fuck“, knurre ich. „Fuck.“

Das ist so viel besser, als die Erinnerungen an den Mann, der durch mich gestorben ist, aber es tut so verdammt weh, sie so vor mir zu sehen, mehr als die Schuldgefühle, die mich innerlich auffressen. Ich habe mich sofort in Tulip Fisher verliebt und mich an ihr verbrannt. Schwer verbrannt.

Ich stehe auf und schwanke aufgrund meiner Fantasie, gepaart mit viel zu viel Schnaps.

Ich muss mich davon befreien, von all dem.

Von allem.

Tulip ist Geschichte. Antoni Byers ist tot und kann nicht wieder zurückgeholt werden, nicht einmal durch meine eigenen, lähmenden Schuldgefühle. Ich muss mir selbst vergeben. Sie vergessen und einen Weg finden, dieses Leben verdammt noch mal durchzustehen.

Ich muss zurück nach Hause.

***

Tulip

Als ich die Wohnung betrete, erschaudere ich bei dem Anblick, der sich mir bietet. Joey liegt auf der Couch, einen Arm hinter dem Kopf verschränkt, den anderen in seiner Hose vergraben, während er sich eine alte Folge der Serie Sex and the City anschaut.

Ich höre, wie er stöhnt, und werfe einen Blick auf den Fernseher, ehe ich wieder ihn ansehe. Sein Arm bewegt sich, woraufhin ich schlussfolgere, dass er sich einen runterholt, während Samantha sich von jemanden in der Serie ficken lässt. Ich schlucke, unsicher, ob ich eintreten oder mich umdrehen und ihm seinen Moment lassen soll.

„Komm rein und lass mich den Spaß auf deinen Titten beenden“, ruft er mir zu.

Seine Worte lassen mich zusammenzucken, doch meine Füße bewegen sich nicht vom Fleck. Joey hört nicht damit auf, sich zu befriedigen, er schaut nicht einmal in meine Richtung. Mein Blick huscht immer wieder zwischen seinem sich schnell bewegenden Arm und dem Fernseher hin und her, bis ich sein überdeutliches Stöhnen vernehme, als er zum Höhepunkt kommt.

Er stößt einen Seufzer aus, nimmt die Fernbedienung und schaltet die Glotze aus, ehe er aufsteht. Ich sehe ihm dabei zu, wie er in die Küche geht und ein Papiertuch wegwirft. Er dreht sich zu mir um und neigt seinen Kopf lachend zur Seite.

„Du bist verdammt prüde, Babe. Wann wirst du endlich mal ein bisschen lockerer? Wir sind zusammen, seit du vierzehn bist und du bist noch immer so verflucht schüchtern.“

Ich sage ihm nicht, dass ich bloß so zurückhaltend bin, weil er mir das Gefühl gibt, nicht gut genug für ihn zu sein. Er kritisiert alles an mir. Von meinen Haaren über meinen Körper bis hin zu meinen Fähigkeiten im Bett. Alles, was ich tue, ist falsch, ist albern und dumm.

„Was kochst du mir zum Abendessen? Ich habe einen Mordshunger“, meint er und wechselt das Thema.

Meine Füße lösen sich vom Fußboden und ich gehe in die Küche, während er an mir vorbeimarschiert und sich wieder auf die Couch setzt. Ich werfe ihm einen strengen Blick zu und frage mich, warum ich ihn nur wieder zurückgenommen habe. Nicht nur in meine Wohnung, sondern auch in mein Bett und mein Leben?

Ich habe den ganzen Tag geschuftet, von sechs Uhr morgens bis um sechs am Abend. Dann musste ich nach ein paar Stunden Pause zu meinem Zweitjob, wo ich bis zwei Uhr morgens gearbeitet habe. Vier Stunden Schlaf pro Nacht ist alles, was ich bekomme. Ich arbeite, um ihn zu unterstützen, um für uns zu sorgen. Und er tut nichts.

Meine Gedanken schweifen zu Louis, zu der Art und Weise wie er seine Arme um mich gelegt hat. Ich hatte ihn damals nicht verdient, und ich verdiene ihn auch heute nicht. Ich war egoistisch und habe mich von ihm verwöhnen lassen. Aber ich wusste, dass ich das nicht länger zulassen konnte. Es wäre nicht richtig gewesen, denn er verdient ein Mädchen aus seiner sozialen Schicht an seiner Seite, jemanden, der besser ist als ich.

Ich bin nämlich nichts weiter als Abschaum. Das war ich schon immer. Meine Unsicherheit hat mein Selbstwertgefühl ruiniert. Ich habe es für einen Mann weggeworfen, der nichts anderes tut, als von mir zu nehmen. Er gibt mir nichts. Nicht das Geringste. Nicht einmal Orgasmen.

Louis Kingston verdient eine Frau, die ihren Wert kennt, die stark ist. Nicht schwach, wie ich. Er könnte mit jeder zusammen sein, nur eben nicht mit mir. Ich bin schwach, erbärmlich und irgendwie traurig, was vermutlich der Grund ist, warum ich bei Joey bleibe, obwohl ich weiß, dass er ein Taugenichts ist.

Joey ist einfach gestrickt. Er erwartet nicht mehr von mir, als dass ich mich um die Rechnungen kümmere. Und ich erwarte absolut nichts von ihm. Es ist ein trauriges Dasein, aber es ist einfach, und obwohl er mich verletzen wird, wird Joey mich nie zerstören.

Wenn ich einen Mann wie Louis verlieren würde, wäre ich irgendwann nur noch ein Schatten meiner selbst. Ich weiß nämlich nicht, ob ich jemals dazu in der Lage wäre, den Verlust eines Mannes wie ihn zu überleben. Ich meine damit nicht sein Geld. Es ist nur so, dass er ein guter Kerl ist. Der Beste, den ich je kennengelernt habe.

Zugegeben, wir haben nicht viel Zeit miteinander verbracht, aber ich habe schon oft gehört, wie Channing, Exeter und Hutton über ihn sprachen. Er ist unglaublich und ich bin seiner einfach nicht würdig.

Ich wende Joey den Rücken zu und beginne damit, für uns beide zu kochen. Tränen steigen mir mit jeder Bewegung in die Augen. Tränen der Frustration, des Schmerzes und des Selbsthasses laufen mir über die Wangen.

***

Einen Monat später

Louis

Tief einatmend sehe ich mich in meiner Wohnung um und erschaudere. Sie ist eine verdammte Vollkatastrophe. Sie könnte locker Beaumonts Haus in Texas, auf dem Zenit seiner Sucht, in den Schatten stellen. Genug ist genug. Ich habe die letzten drei Monate mit Selbstmitleid und Abscheu verbracht. Es ist an der Zeit, meinen Scheiß auf die Reihe zu kriegen und meinen Mann zu stehen.

Ich suche nach meinem Telefon und rufe den Reinigungsservice an, der meine Wohnung gründlich säubern soll. Ich erlaube ihnen jedoch nicht, alles zu putzen. Ich habe dieses Chaos verursacht, als werde ich den Großteil des Mülls eigenhändig entsorgen.

Ich schleppe gerade die vierte Mülltüte nach draußen, als mein Handy in der Tasche bimmelt. Ich vermute, dass mein Agent oder vielleicht mein Pressesprecher oder so mich zu erreichen versucht, doch ich habe nicht damit gerechnet, dass es Wyatt ist.

„Yeah?“ Ich schnaube das Wort regelrecht in den Lautsprecher, während ich den Müll in die Tonne werfe.

„Es überrascht mich, dass du endlich mal rangehst. Ich versuche schon seit vier Monaten, dich an die Strippe zu kriegen“, sagt er.

Lachend fahre ich mir mit der Hand über meinen kahlen Kopf. „Jepp, ich habe eine Menge Scheiße hinter mir“, gebe ich ohne Scham zu.

Er gibt ein Geräusch von sich, dann räuspert er sich. „Ich erinnere mich gut daran, dass Beaumont auch einst ziemlich in der Scheiße steckte und du ihm zur Seite gestanden hast. Du warst sogar, genauso wie Ford, mächtig angepisst, dass er euch nicht früher erzählt hat, was bei ihm abging.“ Wyatt erinnert mich an eine Zeit, die noch nicht lange zurückliegt, und er hat recht. Ich war genervt und frustriert wegen Beau, weil er nicht mit uns gesprochen hat. Mit uns, seinen Freunden, seiner Familie.

„Ja“, murmele ich.

Er brummt. „Jepp, das ist verdammt richtig. Wann kommst du nach Hause?“ Sein Tonfall verlangt eine sofortige Antwort.

„Ich weiß es nicht“, erwidere ich.

„Wäre schön, wenn du eine Idee hättest. Es gibt keinen Grund, sich zu verstecken, wenn du eine Familie hast, die dir dabei helfen kann, wieder auf den Damm zu kommen.“

„Kannst du das denn?“, will ich wissen.

Ich bin mir sicher, dass meine Frage ziemlich klugscheißerisch rüberkommt, aber ich meine das gar nicht so. Ich bin mir nur nicht sicher, dass er mir behilflich sein kann. Ich habe verdammt noch mal jemanden getötet.

„Rylan kann es“, sagt er mit leiser Stimme.

Ich zische und erinnere mich daran, dass Rylan vor einigen Jahren eine schwangere Frau bei einem Autounfall getötet hat. Er fuhr unter Alkoholeinfluss. Er hat sie und ihr ungeborenes Baby umgebracht. Ich schließe die Augen, atme tief ein und lasse den Atem mit einem langen Zischen wieder heraus.

„Wie ich schon sagte, die Familie kann dir helfen, Louis. Komm zurück nach Gallup und lass uns für dich da sein. Die Mädels drehen schon durch, weil sie nicht dazu in der Lage sind, dich zu bemuttern.“

Lachend schüttele ich den Kopf, auch wenn es angestrengt klingt, lässt mich der Klang dennoch zusammenfahren. Ich habe mein eigenes Lachen schon seit Monaten nicht mehr gehört. Ich öffne die Augen und nicke, als ob er mich sehen könnte.

„Ich habe diese Woche noch ein paar Meetings, danach komme ich für ein paar Monate nach Hause.“

„Gut. Schreib mir.“

Wyatt beendet das Telefonat und ich bin nicht überrascht, dass er so schnell wieder aufgelegt hat. Er ist kein Typ, der stundenlang am Handy hockt und dummes Zeug labert. Er hat viel zu tun, hat einen körperlich und geistig anstrengenden Job. Ein Baby ist auf dem Weg, und eine neue Nichte oder ein neuer Neffe wird direkt nach seinem Kind auf die Welt kommen.

Sein Leben hat sich weiterentwickelt, ihm ist viel Gutes widerfahren, während ich hier in meiner Wohnung in Vegas sitze und das Leben an mir vorbeiziehen lasse. Ich habe genug. Ich habe genug davon, im Selbstmitleid zu baden.

Diese Scheiße hat jetzt und hier ein Ende.

Ich kehre in das Gebäude zurück, steige in den Aufzug und beobachte, wie die Zahlen aufleuchten, während ich nach oben zum Penthouse fahre. Als Erstes werde ich die Wohnung verkaufen. Ich bin hier nicht glücklich, ich war es noch nie.

Vegas ist der Ort, den ich früher mein Zuhause nannte. Die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, aber sie fühlt sich nicht mehr wie meine Heimat an. Gallup ist nun mein Zuhause und Vegas nur noch ein Ort, an dem trainiere und manchmal kämpfe.

Ich brauche hier keine eigene Wohnung. Zur Hölle, ich kann mir einfach ein Haus oder ein Apartment mieten, für die paar Monate, die ich im Jahr hier bin. Es ist Zeit für eine Veränderung, und der Einzige, der sie herbeiführen kann, bin ich.

Schmunzelnd entsperre ich mein Handy und suche in den sozialen Medien die Frau, die ich in den hintersten Winkel meiner Gedanken verbannt habe. Ihr Bild starrt mich an, diese traurigen Augen, die mich regelrecht einsaugen, sind direkt vor mir.

Als ich zu ihrem Beziehungsstatus herunterscrolle, verziehen sich meine Lippen zu einem breiten Grinsen: Single. Vielleicht empfindet sie es als einen Fehler, mit jemandem zusammen zu sein, der eine andere Hautfarbe als sie selbst hat. Ich werde ihr zeigen, dass sie falsch liegt, dass ihre voreingenommene Meinung völlig Banane ist. Ich bin ein guter Kerl und der Richtige für sie.

Kapitel 1

Einen Monat später

Tulip

Joey beobachtet mich von der anderen Seite des Zimmers. Ich weiß nicht, warum er wieder hier ist. Obwohl, nein, ich weiß es. Er will mich zurück, oder ich sollte wohl lieber sagen, er will den wieder freigewordenen Platz in meinem Leben einnehmen. Vor zwei Monaten habe ich mit ihm Schluss gemacht. Ich habe ihn rausgeschmissen und mich geweigert, ihn zurückzunehmen, egal wie viel Honig er mir ums Maul geschmiert oder wie oft er sich bei mir entschuldigt hat.

Ich habe seine Faulheit akzeptiert. Ich habe ihm immer alles durchgehen lassen. Alles, außer einer Sache.

Fremdgehen.

Vielleicht bin ich dumm, weil ich diese harte Grenze gezogen habe. Ich sollte ihn vermutlich zurücknehmen, aber etwas in meinem Inneren kann das nicht. So wenig Respekt ich auch vor mir selbst habe, das ist etwas, dass ich nicht hinnehmen kann.

Ich versuche heimlich zu verschwinden, ohne dass er mich sieht, und weiß, dass ich kläglich versagt habe, als ich spüre, wie sich seine Finger um meinen Bizeps legen.

„Tulip“, sagt er leise, beinahe säuselnd.

Ich drehe meinen Kopf, schaue auf und zucke bei seinem Anblick zusammen. Sein Bart ist struppig, seine Haare sind wie immer. Er sieht aus und riecht, als hätte er nicht mehr geduscht, seit ich ihn rausgeworfen habe. Ich räuspere mich. „Joey.“

„Bitte“, bettelt er.

Wenn ich glauben würde, dass er es aufrichtig meint, würde ich ihn wahrscheinlich mit offenen Armen empfangen, wie ich es schon etliche Male getan habe. Aber ich weiß, dass dem nicht so ist. Es tut ihm leid, aber nicht, weil er Sex mit einer anderen hatte, sondern weil er dabei erwischt wurde.

„Du musst mich endlich in Ruhe lassen oder ich rufe die Polizei“, warne ich ihn und versuche, meinen Arm aus seinem Griff zu winden.

Er grinst. „Du liebst mich. Das würdest du nie tun.“

„Würde ich nicht?“, frage ich und ziehe eine Augenbraue in die Höhe.

Stirnrunzelnd tritt er einen Schritt zurück und schüttelt dabei den Kopf. Langsam schaut er mich wieder an. „Nein, das würdest du nicht. Ich kenne dich, seit du dreizehn Jahre alt bist, Tulip. Ich weiß, dass du mir so einen Scheiß niemals antun würdest. Ich gebe dir noch etwas Zeit, ein paar Wochen, aber dann lässt du mich wieder nach Hause kommen und zurück in dein Herz.“

Ohne zu antworten, kehre ich ihm den Rücken zu und schaue über meine Schulter. „Warum gehst du nicht einfach zu Raylee zurück? Ich bin mir sicher, dass sie dich mehr will als ich.“

Er schüttelt den Kopf, seine Augen verengen sich. „Ray ist ja ganz lustig und so, aber du bist mein Mädchen, Tulip.“

„Bin ich nicht.“

Ich wende mich von ihm ab und marschiere in Richtung Pausenraum davon, ohne mich noch einmal zu ihm umzudrehen. Das brauche ich auch nicht. Joey gehört meiner Vergangenheit an, und das hätte ich schon vor Monaten, nein, vor Jahren, kapieren müssen. Er nutzt Menschen aus und missbraucht sie emotional, und aus irgendeinem Grund war ich davon überzeugt, dass ich all das verdiene, was er mit mir macht. Vielleicht habe ich das sogar. Aber ich denke nicht, dass ich das noch länger akzeptieren sollte.

Ich lehne mich gegen den kleinen Tisch, lasse mich nieder und schließe für einen Moment die Augen. Mein Handy vibriert und ich sehe, wie es auf der Tischplatte tanzt, ehe ich lächele. Es ist eine Nachricht von Exeter.

Exeter: Abendessen morgen Abend. Achtzehn Uhr. Bei mir. Bring Hummingbird-Kuchen mit.

Ich könnte darüber beleidigt sein, dass Exeter mich nur zum Dinner einlädt, damit ich ihr einen Hummingbird-Kuchen, ein Bananen-Ananas-Gewürzkuchen, backe, aber da sie fast im achten Monat schwanger und wahrscheinlich meine beste Freundin ist, bin ich es nicht.

Ich: Ich werde da sein.

Exeter: Mit Kuchen?

Ich: LOL. Ja. Mit Kuchen.

Exeter: JAAAAAAAAA

Ich schüttele den Kopf und kann nicht verhindern, dass aufgrund des Nachrichtenverlaufs ein Lächeln meine Lippen umspielt. Ich bin froh, dass ihre Dinner-Einladung auf einen Donnerstagabend fällt und nicht auf einen anderen Tag der Woche, da dies mein einziger freier Tag von meinem Zweitjob ist.

„Er ist immer noch da draußen“, meint Charlie und lässt sich auf den freien Stuhl neben mir fallen. Ich seufze, weil ich nicht über Joey reden oder gar an ihn denken will. Ich will einfach nur, dass er verschwindet. Ich will vergessen, dass ich so viele Jahre damit verschwendet habe, zu hoffen, dass wir eine schöne Zukunft miteinander haben werden. Ich bin nicht dumm genug, um auf ein großartiges Leben zu hoffen. Das war ich noch nie. Allerdings auf ein anständiges. Ein anständiges Leben würde ich nehmen und es mit beiden Händen festhalten.

„Ich habe das Gefühl, dass ich ihn nie wieder loswerde“, seufze ich.

Sie lacht und beugt sich leicht nach vorne. Sie blickt mich mit großen Augen an und ein Lächeln umspielt ihre Lippen. „Schnapp dir einen anderen Kerl. Lass ihn das für dich regeln, zumindest so lange, bis dieser Typ seine Sachen packt. Und zwar für immer.“

Ich schüttele den Kopf und kann nicht anders, als in ihr Lachen einzustimmen. „Ich wünschte, es wäre so einfach, aber ich glaube nicht, dass es das ist. Außerdem bin ich noch nicht bereit für etwas Neues. Ich glaube, ich muss erst eine Weile allein sein.“

Charlie schnaubt. „Mädchen, was du brauchst, ist ein Mann, der deine Welt zwischen den Bettlaken zum Beben bringt. Es muss nichts Ernstes sein, nur richtig gut.“

Ich presse meine Lippen aufeinander und meine Augen weiten sich, da ich an den einzigen Mann denken muss, mit dem ich je zusammen war, abgesehen von Joey. Louis Kingston. Gott, wenn ich nur an ihn denke, durchfährt ein Kribbeln meinen ganzen Körper.

Monate sind seither vergangen und es ist, als könnte ich seine Gegenwart noch immer spüren, allein bei dem Gedanken an ihn. „Wer ist er?“, will Charlie wissen.

Ich erwache aus meiner Louis-Trance und sehe sie an. „Ist nicht wichtig.“

„Du verdienst einen Mann, der dir genau diesen Gesichtsausdruck verpasst, den du gerade hattest, als du an ihn gedacht hast“, meint sie und steht auf.

Ohne etwas darauf zu erwidern, sehe ich ihr nach, als sie geht. Ich atme tief ein und weiß, dass sie recht hat. Ich muss wieder da raus. Einen Moment lang schließe ich noch die Augen und zucke zusammen, als mein Handy abermals über die Tischplatte tanzt.

Channing: Hat Exeter mir gerade wirklich geschrieben, dass du Hummingbird-Kuchen machst und morgen Abend vorbeikommst?

Ein kurzer Lachanfall überfällt mich, als meine andere schwangere Freundin sich nach dem Kuchen erkundigt.

Ich: Ja. Sowohl der Kuchen als auch ich werden anwesend sein.

Channing: Ich kann es kaum erwarten. Dich zu sehen und den Kuchen zu verputzen.

Ich: Geht mir genauso.

Ich schalte mein Handy aus, stehe auf und gehe zu meiner Handtasche. Ich werfe das Gerät in das vordere Taschenabteil und stoße einen Seufzer aus, als ich es Charlie gleichtue und den Aufenthaltsraum verlasse.

Bei dem Gedanken, meine Freundinnen wiederzusehen, muss ich lächeln. Ich habe sie nicht mehr zu Gesicht bekommen seit der Nacht, in der ich Raylee und Joey in meinem Wohnzimmer auf meiner verdammten Couch erwischt habe, auf der er seine Tage und Nächte verbracht hat.

Exeter, Channing, Wyatt und Rylan halfen mir dabei, das Scheißmöbelstück aus meiner Wohnung zu schaffen und ich sah mit großer Freude dabei zu, wie sie es über das Balkongeländer schmissen. Es knackte und zerbrach, als es unten auf dem Asphalt aufschlug.

Das war wirklich befreiend, auch wenn es gleichzeitig bedeutete, dass ich von da an keine Sitzgelegenheit mehr in meinem Wohnzimmer hatte. Doch damit hatte ich ehrlich gesagt gar kein Problem.

Ich reiße die Tür auf und atme tief ein, während die Musik meinen Körper durchdringt. Ich setze mein falschestes Lächeln auf, als ich aus dem kleinen Raum in die Höhle des Löwen trete.

***

Louis

Als ich aus dem Flugzeug steige, kann ich nicht anders, als die ganze Umgebung in mir aufzusaugen. Ich bin nicht überrascht, Beaumont am Ende der Rollbahn auf mich warten zu sehen. Genauso wie ich auf ihn gewartet habe, als er nach seiner Zeit im Entzug nach Hause kam und uns nicht an sich herangelassen hat.

„Schön dich zu sehen, Bruder“, sagt er, als ich nah genug bin, um ihn zu hören.

Schnaubend strecke ich einen Arm aus, lege meine Finger um seine Schulter und ziehe ihn in eine Umarmung. „Wir sind schon ein verdammter Chaoshaufen, oder?“

„Sprich nur für dich selbst“, entgegnet er lachend und tritt einen Schritt zurück.

Als ich in seine Augen schaue, sehe ich es.

Zufriedenheit.

Er ist so verdammt glücklich, dass es praktisch aus ihm herausquillt.

Dieser Ficker.

„Die Mädels machen da morgen Abend dieses Ding. Ich warne dich, weil du das Gleiche für mich getan hast, als ich wieder in die Stadt kam. Außerdem weißt du, dass kein Weg daran vorbeiführt“, meint er.

Lachend gehe ich zum Heck seines Wagens und bugsiere meine Tasche auf die Ladefläche. „Jepp, ich habe vermutet, dass sie irgendetwas planen“, entgegne ich. Ich öffne die Tür seines Trucks und steige ein.

„Willst du darüber reden?“, erkundigt sich Beaumont, als er den Motor startet und den Gang einlegt.

„Nicht wirklich“, gebe ich wahrheitsgemäß zurück. „Aber ich denke, dass ich wohl keine andere Wahl habe.“

Er lacht, doch es klingt angestrengt. „Du musst nicht reden, wenn du nicht willst, aber ich denke, dass es guttun würde, darüber zu sprechen.“

„Ich habe Cognac im Wert von fast zehntausend Dollar gesoffen. Vorher hatte ich das Zeug noch nie probiert, bin immer bei Bier geblieben. Aber dann habe ich die erste Flasche geöffnet, dann noch eine und noch eine.“

„Und alles, was du gefühlt hast, ist für eine Weile verschwunden, richtig?“

„Jepp.“ Ich nicke.

Er räuspert sich, als er auf die Landstraße biegt, die zu dem Ort führt, den wir unser Zuhause nennen. „Das macht es aber nicht besser, Louis. Das macht es nie. Der Alkohol ist nur ein provisorisches Pflaster. Glaub mir.“

Als ich mich wegdrehe und aus dem Fenster blicke, denke ich über seine Worte nach. Er hat natürlich recht, und vor ein paar Monaten hätte ich den gleichen Scheiß auch zu ihm gesagt.

„Ich bin zurückgekommen, weil hier mein Zuhause ist, aber auch, weil ich noch etwas zu erledigen habe. Sollte ich damit nicht abschließen können, kann ich mich immer noch weiter mit diesen verdammten Cognac-Flaschen betäuben. So reich ich auch bin, ich kann nicht einfach herumsitzen und literweise Alkohol in mich hineinkippen.“

Schnaubend biegt Beaumont auf meine lange Auffahrt auf. „Nein, verdammt. Weißt du, meinem Bankkonto geht es um einiges besser, seit ich mir das Leben nicht mehr mit Alkohol versaue, auch wenn ich hin und wieder beim Schreiben noch rauche.“

„Eine Gewohnheit löst eine andere ab, Bruder“, merke ich an.

„Ich sollte mir das Rauchen wahrscheinlich bald wieder abgewöhnen. Hutton wird mich sicher nicht mehr in ihrer Nähe oder der des Hauses quarzen lassen.“

„Beau?“, frage ich, als er den Wagen parkt.

Als er sich mir zuwendet, verziehen sich seine Lippen zu einem trägen Lächeln. „Ich habe es auch erst heute Morgen erfahren. Es ist ganz frisch, wir waren noch nicht mal beim Arzt.“

„Fuck“, grunze ich. „Glückwunsch. Scheiße. Ihr bekommt jetzt wohl alle Babys.“

Er nickt. „Jepp, es scheint an der Zeit zu sein. Vielleicht ist das etwas, an dem du auch arbeiten kannst, während du hier bist und deinen Scheiß regelst.“

„Abschließen, Beau. Ich will mit etwas abschließen, während ich hier bin. Dieser Scheiß beinhaltet ganz sicher keine Kinder.“ Ich schnaube.

Er zuckt mit einer Schulter. „Man weiß ja nie“, ruft er mir zu, als ich die Wagentür öffne.

Ich springe aus dem Truck, angele meine Tasche von der Ladefläche und ziehe sie schweratmend zu mir heran. Ich hebe eine Hand und winke ihm zu.

„Soll ich dich morgen abholen kommen?“, will er wissen.

Ich schüttele den Kopf. „Ich werde um achtzehn Uhr bei Wyatt sein. Ich stelle mir vorsichtshalber den Wecker.“

Während ich die Treppenstufen erklimme, ist es einen Moment lang still. „Ruf mich an, wenn du ein offenes Ohr brauchst“, ruft er mir hinterher.

Verdammte Scheiße. Das ist der Grund, warum ich ihn als meine Familie betrachte, warum ich sie alle als meine Familie ansehe. Egal was du auch tust, sie halten dir den Rücken frei. Sie sind da, um dich aufzufangen, wenn du fällst, auch wenn du dich nicht auffangen lassen willst. Sie klopfen dir den Dreck ab und stellen dich wieder auf die Beine.

All das ist der Grund, warum ich nicht sofort nach Hause gekommen bin, nachdem es passiert war. Erst als ich dazu bereit war. Beaumont sollte es verstehen, auch wenn es sonst niemand tut. Ich konnte nicht zulassen, dass sie mich auffangen. Konnte nicht zulassen, dass sie mich sahen, als ich den Tiefpunkt erreicht hatte. Ich musste herausfinden, wie ich mich selbst wieder aufraffen kann.

Sobald ich das Haus betrete, stelle ich fest, dass die Luft steht, dass ich fast ersticke. Ich gehe umher und öffne so viele Fenster wie möglich, um etwas frische Luft hereinzulassen, wohlwissend, dass das Öffnen der Fenster den Landstaub ins Haus trägt. Aber das ist viel besser, als nicht atmen zu können, weil es so verflucht stickig ist.

Ich mache mich auf den Weg in die Küche, gehe zur Spüle und umklammere fest den Rand des Waschbeckens. Ich schließe die Augen, lasse den Kopf sinken und atme einen Moment lang einfach nur durch. Die Sonne geht unter, aber ich kann ihr dabei nicht zusehen. Zumindest nicht jetzt.

Ich lasse die Schwingungen des Raumes auf mich wirken. Zu Hause. Ich bin daheim. Ich habe mich nie wirklich irgendwo zu Hause gefühlt, bis ich Gallup entdeckte. Vielleicht liegt es an dem Ort, aber ich habe das Gefühl, dass es mehr mit den Menschen zu tun hat, die hier leben.

Meiner Familie.

Beaumont, Wyatt, Rylan und Ford. Und da wären noch ihre Frauen, die zu ihnen gehören. Channing, Exeter und Hutton. Ich hatte gehofft, dass ich in Tulip mein fehlendes Stück Heimat gefunden hätte, aber da lag ich falsch.

Kapitel 2

Tulip

Den Gewürzkuchen in der Hand, drücke ich auf die Klingel. Ich habe dem Kuchen ein paar zusätzliche Schichten verpasst, da sowohl Exeter als auch Channing eine so große Sache daraus gemacht haben. Allerdings glaube ich, dass sie meine Backkünste vollkommen überschätzen.

„Hey Tulip“, begrüßt Wyatt mich mit seiner charmanten Stimme, als er die Tür öffnet. Ich lege meinen Kopf, so weit es mir möglich ist, in den Nacken und lächele ihm zu. Mit einem Grinsen auf den Lippen, nimmt er mir dankend den Kuchen ab. „Sie haben dich dazu überredet, nicht wahr?“

„So viel Überzeugungsarbeit war gar nicht nötig.“ Ich zucke mit den Schultern.

„Ich hätte mit ihnen verhandeln sollen. Nun gut, zumindest habe ich dafür gesorgt, dass das berühmt berüchtigte Kartoffelpüree heute Abend auf dem Tisch steht.“ Er zwinkert mir zu.

Ich stöhne und wünschte mir, er hätte sich nicht so sehr für das Kartoffelpüree eingesetzt. Das ist nämlich das Letzte, was meine ohnehin schon viel zu dicken Oberschenkel gebrauchen können. „Du wirst meinen Jeans ziemlich gefährlich, Wyatt“, sage ich und trete durch die Tür.

Ich spüre, dass etwas in der Luft liegt, als ich das Wohnzimmer betrete. Etwas, das elektrostatischer Energie gleichkommt. Wyatt räuspert sich, dreht sich um und ich sehe ihm dabei zu, wie er sich schleunigst aus dem Staub macht.

Lächelnd blicke ich in die Runde und erstarre, da mich wütende grün schimmernde Augen anblicken. Mir stockt der Atem und ich stolpere sofort nach hinten. Allerdings erlaubt er es mir nicht, vor ihm zurückzuweichen oder auf den Hosenboden zu fallen.

Als hätte er Inspektor Gadget-Arme, streckt er sich vor und schlingt seine Finger um meinen Bizeps, bevor er mich sanft zu sich heranzieht. Ich lehne den Kopf zurück und schaue ihm in die Augen. Weder kann ich mich rühren noch atmen bei seinem Anblick.

Es ist Monate her, seit ich ihn zuletzt im Supermarkt gesehen habe, und noch länger, seit wir diese eine Nacht zusammen verbracht haben. Die absolut beste Nacht meines Lebens. Ihm nun gegenüberzustehen, lässt mich realisieren, dass meine Fantasien dem echten Mann nicht das Wasser reichen können.

„Tulip“, grollt er mit seiner tiefen Stimme.

Ich streiche mir ein paar Strähnen hinter das Ohr, nachdem er einen meiner Arme losgelassen hat. „Hey, Louis. Ich wusste nicht, dass du auch hier sein würdest.“

Er schnaubt. „Ich bin mir sicher, dass du davon nichts wusstest.“ Er schaut über seine Schulter, dann richtet er den Blick wieder auf mich. „Elende Kuppler.“

„O ja“, hauche ich, unfähig meinen Blick von seinem zu lösen.

Er schüttelt den Kopf, seine Augen scannen mein Gesicht. „Ich möchte später mit dir sprechen, wenn wir unter vier Augen sind.“

„Okay.“

Nun gibt er auch meinen anderen Arm frei und tritt einen Schritt zurück. Sofort vermisse ich seine Berührung. Ich möchte ihn anflehen, mich noch einen Moment länger festzuhalten. Einfach seine Nähe zu spüren. Er ist warm und stark, und riecht himmlisch. Hutton räuspert sich und stupst mich mit einer Schulter an.

Ich schaue sie an und ziehe eine Grimasse aufgrund ihres Lächelns. „Ich würde ja gerne sagen, dass ich dagegen war, euch wieder zusammenzubringen, aber das war ich nicht.“

„Vielen Dank auch“, erwidere ich.

Hutton zuckt mit den Schultern. „Vergeude kein Jahr deines Lebens, wenn du weißt, dass etwas genau richtig ist. Ich habe das selbst schon erlebt. Ihr wisst beide, dass da mehr zwischen euch ist. Sei mutig, Tulip.“

Kopfschüttelnd schiebe ich meine Hände in die Gesäßtaschen meiner Jeans, um nicht länger an meinen Haaren herumzufummeln. „Das spielt keine Rolle. Ich kann nicht mit jemandem wie ihm zusammen sein.“

„Mit jemandem wie ihm?“

„Berühmt, gutaussehend, lieb. Ich kann es nicht. Ich bin nicht wie du.“

Lachend wirft Hutton ihren Kopf zurück. Es ist ein Lachen, das direkt ihrem Bauch entspringt. Ich erröte aufgrund ihrer Reaktion. „Mädchen, ich bin eine einfache Friseurin aus Burnet. Glaubst du, dass ich mit einem prominenten, gutaussehenden, guten Mann zusammenpasse?“

„Natürlich. Du bist wunderschön, süß und erfolgreich. Außerdem habt ihr euch schon ineinander verliebt, bevor er berühmt war.“

„Ruhm bedeutet einen Scheißdreck“, mischt sich Beaumont in unsere Unterhaltung ein. Mein Gesicht schmerzt vor Scham, da er uns belauscht hat. „Louis ist bescheiden. Er ist ein guter Kerl, und wenn du das nicht siehst, dann hast du ihn wirklich nicht verdient.“

„Beau“, zischt Hutton.

„Es stimmt doch“, schnauzt er zurück.

Hutton schüttelt den Kopf und öffnet ihren Mund, doch ich halte meine Hand hoch. „Lass gut sein. Beaumont hat recht. Louis hat etwas Besseres verdient als mich.“

Ich beschließe, dass ich auf keinen Fall zum Abendessen bleiben kann. Ich fühle mich einfach zu fehl am Platz. Allerdings kann ich nicht von hier verschwinden, solange Hutton und Beaumont mich beobachten. Daher frage ich Hutton, wo ich die Toilette finde, und biege um die Ecke.

Ich weiß, wenn ich mich einen Moment auf der Toilette verstecke, kann ich, wenn ich zurückkomme, einfach durch die Tür schlüpfen, ohne dass jemand etwas mitbekommt. Morgen werde ich Exeter anrufen und mich bei ihr entschuldigen. Sie wird es sicher verstehen. Das hier sind gute Menschen, viel zu gut für jemanden wie mich. Ich habe mir selbst etwas vorgemacht, als ich dachte, ich könnte ein Teil ihrer Clique werden.

Ich schließe die Badezimmertür hinter mir, atme tief ein und betrachte mich einen Moment länger als nötig im Spiegel. Ich verfluche mich selbst. Ich sollte besser als das hier sein, reifer, aber anscheinend bin ich das nicht.

Ausatmend schaue ich auf mein Handy und stelle fest, dass bereits zehn Minuten verstrichen sind. Ich öffne die Badezimmertür, schaue nach links und nach rechts und verlasse auf leisen Sohlen den Raum, um durch den dunklen Flur zu schleichen.

„Wo willst du denn hin?“, fragt mich eine Stimme in der Dunkelheit.

Mit einem Aufschrei zucke ich zusammen. Ich spüre, wie sich starke Arme um meine Taille legen und mein Rücken gegen die Wand gepresst wird. Ich versuche, mich nicht auf Louis´ starken, muskulösen Körper zu konzentrieren, der sich an meinen drückt.

Ich befeuchte meine Lippen, lehne den Kopf zurück und schaue in seine grünen Augen. „Du trägst ja gar keinen Ring mehr“, stellt er unnötigerweise fest.

Ich zucke mit den Schultern und antworte ihm nicht. Ich bin mir sicher, dass die Mädels ihm erzählt haben, dass ich jetzt Single und Joey für immer los bin.

„Du hast dir die Haare wachsen lassen“, murmelt er und nimmt eine Hand von meiner Taille, um mir eine Strähne hinter das Ohr zu streichen.

Ich nicke und bleibe stumm, wie eine verdammte Idiotin.

„Sie sehen hübsch aus“, sagt er und senkt sein Gesicht zu meinem herab.

Würde ich mit meinen Lippen seine berühren wollen, wäre das jetzt ein Kinderspiel. Ich müsste mich bloß auf die Zehenspitzen stellen und eine Kostprobe von ihnen nehmen.

Er grinst, als ob er genau wüsste, was in mir vorgeht. „Außerdem hast du abgenommen, das gefällt mir hingegen überhaupt nicht.“

Ich zucke mit den Schultern. Ich habe an Gewicht verloren. Ich weiß nicht, wie viel, aber zwei Jobs, bei denen ich die ganze Zeit auf den Beinen sein muss, und dazu keine Zeit oder Energie zum Essen zu haben, hat mir enorm dabei geholfen, abzunehmen.

„Ich liebe diese kräftigen Schenkel und den Arsch, den du mal hattest, Tullie. Ich mag Frauen mit Kurven.“ Die Lippen aufeinander gepresst, drehe ich meinen Kopf zur Seite. „Wir müssen miteinander reden.“

„Tun wir das nicht gerade?“, will ich wissen und schaue ihn wieder an.

„Ich war Alleinunterhalter. Das hier waren die ersten Worte, die du mit mir gesprochen hast.“

„Was willst du von mir?“, bricht es aus mir heraus.

Er schüttelt den Kopf. „Nicht hier, nicht heute Abend. Treffen wir uns morgen, wenn deine Schicht zu Ende ist?“

Nun bin ich diejenige, die den Kopf schüttelt. „Sorry, aber ich muss danach schnell nach Hause und mich für meinen Zweitjob fertig machen. Ich habe also keine Zeit. Heute ist mein einziger freier Abend.“

Etwas huscht über sein Gesicht, doch er schüttelt es schnell ab. „Du hast zwei Jobs?“

„Sie bezahlen meine Rechnungen.“ Ich zucke mit den Schultern.

Grunzend stößt er sich von der Wand ab. „Versprich mir, dass du mir schreibst. Ich treffe dich überall und zu jeder Zeit, Tullie. Gib mir einfach Bescheid.“

Ich sehe ihm dabei zu, wie er geht. Er biegt jedoch nicht um die Ecke. Stattdessen schaut er über eine Schulter zu mir zurück. „Wenn du dich heute Abend herausschleichst, verletzt du die Gefühle der Mädels. Bleib hier. Ich werde dir auch keinen Ärger machen.“

Ohne noch etwas hinzuzufügen, geht er und lässt mich mit dem Rücken an der Wand lehnend im dunklen Flur zurück.

„Scheiße“, zische ich.

Ich straffe meine Schultern und tue etwas, das ich mich noch vor ein paar Monaten nicht getraut hätte. Ich laufe nicht weg, sondern kehre ins Wohnzimmer zurück und geselle mich zu meinen Freunden.

Louis tut genau das, was er mir versprochen hat. Den Rest des Abends spricht er kein Wort mit mir. Doch ich möchte, dass er es tut. Ich möchte, dass er eine Million Dinge zu mir sagt, doch er sieht nicht einmal in meine Richtung. Ich weiß das so genau, weil ich ihn den ganzen Abend über so lange und oft wie möglich beobachte.

***

Louis

Seufzend starre ich die dunkle Decke an. Ich schiebe meine Hand unter meinen Hinterkopf. Unfähig, mich selbst zu kontrollieren, verziehen sich meine Lippen zu einem kleinen Lächeln. Tulip war heute Abend verdammt hinreißend, und ebenso hinreißend frustrierend.

Ich dachte, bei dieser Reise ginge es mir um einen Abschluss. Ich dachte, es ginge darum, Tulip zu beweisen, dass ich gut genug für sie bin, um sie dann stehenzulassen – doch dem ist nicht so. Hier geht es alleine um Tulip und darum, sie dazu zu bringen, sich mir zu öffnen. Ich bin nämlich noch nicht über sie hinweg, nicht im Geringsten. Und wenn ich so an heute Abend denke, dann ist sie auch noch nicht mit mir fertig.

Die Art und Weise, wie sie mich beobachtet hat, hat meinen verdammten Schwanz steinhart werden lassen. Genauso wie die Art, wie sie lächelte, als sie glaubte, dass ich es nicht sehe, wie ihr Gesicht errötete und wie dieses kleine Grinsen ihre Lippen umspielte.

Diese Geschichte ist noch nicht beendet, sie wurde nur noch nicht für Tullie und mich geschrieben. Sie muss nur wissen, dass ich ihr sicherer Hafen sein kann. Ich werde alles aus dem Weg räumen, was sie von mir fernhält. Ich bin stark genug, um das zu tun.

Mein Handy vibriert auf meinem Nachttisch. Als ich danach greife, runzele ich die Stirn. Der Name, der auf dem Display aufleuchtet, lässt das Stirnrunzeln nur noch tiefer werden.

„Was?“, antworte ich.

„Das heißt ja bitte. Hab etwas Respekt“, schnauzt mich die Person am anderen Ende der Leitung an.

Ich sollte ihm sagen, dass er sich zum Teufel scheren soll, aber ich tue es nicht. Respekt muss man sich verdienen, und dieser Mann hat absolut nichts dafür getan, um sich meinen zu verdienen. Im Gegenteil, er hat alles gegeben, um mir zu beweisen, dass er meinen Respekt nicht verdient.

„Was willst du?“, verlange ich zu wissen.

Er wartet einen Moment mit dem Antworten, um mir zu zeigen, dass er glaubt, die Oberhand zu haben. Doch die hat er seit Jahren nicht mehr, was mich betrifft. Eigentlich schon nicht mehr, seit ich ein Kind war.

„Warum kümmerst du dich nicht um deine Großeltern?“, fragt er.

Ich schnaube. Großeltern. Was für ein beschissener Witz. Diese Leute sind widerwärtig. Sie haben sich einen Dreck um mich geschert, bis sie mich im Fernsehen sahen, bis ich ein unaufhaltsamer Sieger im Ring wurde. Erst dann fingen sie damit an, sich für mich zu interessieren, und das auch nur, weil sie etwas von mir wollten – nämlich mein Geld.

„Du hast also schon alles ausgegeben, was ich dir diesen Monat geschickt habe?“

„Weißt du, meine Pillen sind teuer.“

Kopfschüttelnd kneife ich die Augen zusammen, dann öffne ich sie wieder. „Du meinst wohl, dass dein Schnaps und dein Dope teuer sind.“

„Genau, meine Pillen.“

Fuck. Ich hätte ihm nie einen gottverdammten Cent geben sollen. Ich hätte ihm sagen sollen, dass er sich verpissen soll, als er das erste Mal vorbeischneite und bei mir herumschnüffelte. Aber ich hatte Mitleid mit ihnen. Meine Großeltern sollten nicht von Sozialhilfe leben müssen. Nicht, wenn ich sie unterstützen kann. Ich wusste nur nicht, dass sie süchtig waren und dass ich, wenn ich ihnen aushelfe, nur ihre Gewohnheiten fördere.

Als ich aufwuchs, hat mein Vater sie nie zu uns geholt, aber er sagte mir nie, wieso. Jetzt verstehe ich es. Wenn er noch am Leben wäre, würde ich ihm sagen, was für ein gottverdammtes Chaos ich angerichtet habe.

„Ich kann das nicht mehr tun. Ich habe es satt, dir dabei zu helfen, die wenigen Jahre, die dir noch bleiben, zu verschwenden.“

Es herrscht eine lange Pause, ein Moment der Stille, ehe ich ihn knurren höre. „Dein Daddy hat dich vergiftet. Du bist ein undankbares Stück Scheiße, genau wie er.“

„Ja, er war der beste Mann, den ich je kannte. Also danke für das verdammte Kompliment“, schnauze ich und beende das Telefonat.

Ohne groß darüber nachzudenken, scrolle ich durch meine Kontakte und blockiere die Rufnummer meines Großvaters. Dieser Scheiß wird mir nicht dabei helfen, mich wieder in den Griff zu bekommen. Wenn er ein unglücklicher alter Mann sein will, dann ist das allein seine Sache. Aber über meinen Vater herzuziehen, der diese Welt verlassen hat, als ich gerade mal zehn Jahre alt war, ist verdammt noch mal inakzeptabel.

Ich beschließe, meine Mutter vorzuwarnen. Nur für den Fall, dass meine Großeltern etwas überstürzen und sie mitten in der Nacht anrufen.

„Hallo“, bellt eine tiefe Stimme.

„Ist Mom da?“, murmele ich.

Es herrscht einen Moment lang Stille, dann höre ich Stoff rascheln, ehe die verschlafene Stimme meiner Mutter ertönt.

„Nutzt er dich noch immer aus, Mom?“, frage ich sie.

Ich höre ihr frustriertes Ausatmen. „Du weißt doch, dass er hier wohnt, Louis. Warum rufst du mich so spät noch an?“

Ächzend setze ich mich im Bett auf und erzähle ihr von dem vorausgegangenen Telefonat. „Ich wollte dich nur vorwarnen. Ich habe seine Nummer blockiert, er bekommt nichts mehr von mir.“

„Gut. Du hättest ihm nie einen Cent geben sollen, mein Lieber. Dein Vater musste vor vielen Jahren das Gleiche tun. Es ist schwer zu sehen, wie die Menschen, die man liebt, sich selbst verletzen. Doch zu wissen, dass man ihnen dabei geholfen hat, ist noch viel härter.“

Mit zusammengepressten Lippen denke ich an meinen eigenen kurzen Abweg in die Selbstzerstörung. Wäre irgendjemand zu mir gekommen und hätte mir Alkohol oder Schlimmeres gegeben, hätte ich es ohne zu zögern angenommen. Ich war in einem Meer aus Depressionen und Selbsthass verloren.

Zum Teufel, das bin ich noch immer. Ich kämpfe jede Minute eines jeden Tages darum, mich aufrecht zu halten und nicht auf meine verdammte Fresse zu fallen.

„Brauchst du etwas?“, frage ich sie, wohl wissend, dass sie verneinen wird, selbst wenn dem so wäre.

„Nein, mir geht es gut, Louis. Ich möchte, dass du auf dich aufpasst, hörst du?“

Ich räuspere mich, erkläre mich einverstanden und beende das Gespräch. Bevor ich versuche, in den Schlaf zu finden, überweise ich zehntausend Dollar auf ein Konto, dass sie und ich uns teilen. Ein Konto, vom dem ihr Mann nichts weiß. Er ist ein Stück Scheiße, ein Schmarotzer, und verdammt faul. Ich hoffe, dass meine Mom eines Tages stark genug sein wird, dieses Arschloch zu verlassen.

Ich sinke in die Kissen zurück, schließe meine Augen und probiere zu schlafen, aber es klappt nicht. Stattdessen habe ich die Bilder von Antoni Byers im Kopf. Von seinem leblosen Körper und wie sein kleiner Junge ausdrucklos den Sarg anstarrte.

Kapitel 3

Tulip

Die Stunden im Supermarkt vergehen wie im Flug. Ich lächele jedem Kunden zu, der an mir vorbeikommt, und betreibe Smalltalk, aber eigentlich denke ich nur an Louis. Er ist wieder da. Und die Art und Weise, wie er mich im Flur angesehen hat, wie er mir das Haar hinter das Ohr gestrichen hat.

Gott, ich will, dass er mich noch öfter berührt. Ich will seine starken Hände auf meinem nackten Körper spüren. Einmal war nicht genug. Ihn gestern Abend wiederzusehen, hat mich nur noch durstiger werden lassen. Ich sehne mich verzweifelt nach ihm, nach irgendeinem Teil von ihm, und verstehe einfach nicht, warum.

Ja, mit ihm fühle ich mich besser, als ich mich je mit Joey gefühlt habe. Ja, seine Lippen sind perfektes Kussmaterial. Ja, er ist groß, stark, gutaussehend und vermutlich der netteste Kerl, dem ich je begegnet bin. Ja, er ist reich und berühmt. Und ja, er spielt völlig außerhalb meiner Liga.

Ich will wieder von ihm kosten, nur noch einmal. Ich möchte jeden einzelnen Moment genießen, während ich mein Bett und meinen Körper mit Louis Kingston teile, in der Hoffnung ihn nie wieder zu vergessen.

„Tulip?“, ruft eine Stimme.

Ich zucke zusammen, da ich Joeys Mutter gegenüberstehe. „Hallo, Mrs. Perry.“ Ich lächele sie an.

Es ist nicht ihre Schuld, dass ihr Son ein Arschloch ist. Obwohl, vielleicht ist es das doch. Sie war eine richtige Helikoptermutter und ist es noch immer. Ich bin überrascht, dass er nicht wieder bei ihr eingezogen ist, nachdem ich ihn rausgeworfen habe. Es scheint mir das Logischste zu sein und sie wäre sicherlich mehr als glücklich darüber gewesen, ihn wieder bei sich zu haben. Andererseits hat sein Dad vielleicht ein Veto eingelegt, denn sie hatten schon immer ein recht angespanntes Verhältnis.

„Joey hat mir erzählt, dass ihr gerade eine schwierige Phase durchmacht“, sagt sie und beginnt damit, ihre Einkäufe aus dem Wagen zu räumen und aufs Förderband zu legen.

Ich räuspere mich, weil ich nicht darüber sprechen will. Weder mit ihr noch mit sonst jemanden. Ich möchte einfach so tun, als hätte es Joey nie gegeben. Einfach in einer Zeit leben, in der ich mich nicht habe erniedrigen, ausnutzen und von ihm missbrauchen lassen. Aber das ist nicht möglich. Weder hier in Gallup noch sonst irgendwo hier in der Region Texas Hill Country.

Ich werde für immer das Mädchen von Joey Perry sein – sein dummes, naives Mädchen. Und ich werde Mr. und Mrs. Perry ewig etwas schulden, das ich nie zurückbezahlen kann.

„Ich glaube, dass mit uns ist vorbei, Mrs. Perry“, sage ich, während ich damit beginne, ihre Einkäufe einzuscannen.

Sie summt. Ich kenne dieses Summen. Sie glaubt mir nicht, und warum sollte sie auch? Joey und ich haben uns schon so oft getrennt und sind jedes Mal wieder zusammengekommen, dass ich den Überblick verloren habe. Ich mache ihr da keinen Vorwurf.

„Du bist immer an meinem Esstisch willkommen, Tulip.“ Sie lächelt.

Nickend fahre ich damit fort, ihre Einkäufe so schnell zu scannen, wie meine Kasse es hergibt. Mrs. Perry schweigt nicht lange und erzählt mir von Joeys Vater und allem, was er in letzter Zeit so getrieben hat. Als ob mich das interessieren würde. Mrs. Perry kümmert sich um Mr. Perry, denn dieser Mann ist ihr ganzes Leben.

„Weißt du, ich bin ganz überrascht, dass du Joey noch nicht am Ohr gepackt und vor den Altar geschleift hast. Er muss endlich sesshaft werden und du brauchst ein Baby. Ich sage es dir nur ungern, Süße, aber du kommst langsam in ein Alter, in dem man nicht mehr allzu lange warten sollte“, sagt sie in ihrem leichten Singsang.

Ich nehme an, dass ich mich mit meinen fünfundzwanzig Jahren allmählich dem Ende meiner fruchtbaren Jahre nähere, aber ich bin doch noch nicht tot. Sie tut ja fast so, als stünde ich kurz vor dem Abnippeln. Ich reagiere nicht auf ihre Worte. Das Letzte, was ich tun will, ist, ihr zu sagen, dass ihr Sohn ein Arschloch ist. Stattdessen schenke ich ihr einfach ein falsches, breites Lächeln.

„Sie haben heute einundzwanzig-sechsundfünfzig gespart, Mrs. Perry. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend“, verkünde ich fröhlich.

Sie kneift die Augen zusammen, bevor sie mir den Kassenbon entreißt und ihr Kinn in Richtung des Einpackservices ruckt, damit dieser ihr zum Auto folgt.

Ich stoße den Atem aus und schließe für einen Moment die Augen. Als ich sie wieder öffne, sehe ich meinen neuen Marktleiter, Mark, mit einem Grinsen am Ende meiner Kasse stehen. Er ist erst seit ein paar Monaten hier und jagt mir eine Heidenangst ein.

„Geh und mach Feierabend. Ich finde, du hast es dir verdient, ein paar Minuten eher zu gehen, nachdem du dich mit diesem Blödsinn herumschlagen musstest.“ Er lacht, seine Augen gleiten zu meinen Brüsten. Dann wandern sie wieder höher, und er blickt mich an.

Mit einem Schnauben nehme ich die Einnahmen aus der Kassenschublade. „Danke. Die Mutter meines Ex-Freundes“, erkläre ich.

Er lacht. „Das habe ich auch schon erlebt.“

Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, wendet er sich von mir ab, sodass ich Feierabend machen kann. Ich bin froh, dass unser Gespräch beendet ist, zumindest für den Moment. Ich wünschte, ich müsste heute nicht mehr arbeiten, aber ich muss. Ich muss jetzt nach Hause fahren, mich duschen und für meinen Zweitjob umziehen. Mit gesenktem Kopf eile ich zu meinem Auto und pralle gegen einen harten Körper, als ich die Fahrerseite erreiche.

„Tullie“, dröhnt seine tiefe Stimme, als ich den Kopf hebe und in seine Augen blicke.

Jadegrüne Augen schauen in meine und mir stockt der Atem. „Was machst du hier?“

Er lächelt. „Ich wollte nur ganz kurz mit dir quatschen, denn du sagtest ja, du hättest noch einen weiteren Job. Ich will also gar nicht zu viel deiner Zeit in Anspruch nehmen.“

„Das stimmt, und ich bin quasi auch schon auf dem Weg nach Hause, um mich dafür umzuziehen“, schnauze ich.

„Tullie“, schnurrt er. „Hast du morgen eine Mittagspause?“

„Ja, fünfundvierzig Minuten.“

„Ich bringe dir Mittagessen vorbei, wenn du magst.“

„Wieso? Was willst du mir sagen?“

Er schüttelt den Kopf, dann neigt er das Kinn. Ich spüre seinen Atem an meinen Lippen, doch er berührt meinen Mund nicht mit seinem. Er rührt sich nicht, und ich werde wie eine Süchtige high von seinen Atemzügen.

„So viele Dinge, aber zuerst will ich dir ein paar Fragen stellen und dafür haben wir jetzt keine Zeit“, entgegnet er.

„Okay. Morgen zwölf Uhr dreißig.“

„Ich werde da sein. Stehst du immer noch auf den Truthahnsalat mit den frittierten Gurken von Bill´s Burger?“, will er wissen und tritt einen Schritt zurück.

Ich bedaure sofort, dass er sich von mir entfernt. Ich wünschte, ich wäre mutig genug, ihn zu bitten, mir wieder näherzukommen. Aber ich bin es nicht. Statt zu betteln, trete ich zur Seite, um ihm zu gestatten zurückzutreten, damit ich einsteigen und nach Hause fahren kann, bevor ich wieder zur Arbeit muss.

„Tulip?“, ruft er, als ich meine Hand um den Türgriff lege. Ich drehe mich um und sehe ihn über meine Schulter hinweg an. „Es ist schön, wieder zu Hause zu sein.“

Ich komme nicht mehr dazu, ihn zu fragen, was er damit meint. Er wendet sich von mir ab und joggt zu seinem großen, teuren Truck. Anstatt ihm dabei zuzusehen, wie er einsteigt und davonfährt, setze ich mich auf den Fahrersitz meines Wagens und starte den Motor, bevor ich noch eine verzweifelte Dummheit begehe.

***

Louis

Schon die zweite Nacht in Folge schlafe ich nicht. Das ist verdammt lächerlich, und jedes Mal, wenn ich versuche, meine Augen zu schließen, sehe ich nur Antoni und seine Familie vor mir. Ich angele nach den Schlaftabletten, die mein Arzt mir verschrieben hat, entscheide mich dann jedoch dazu, sie nicht einzunehmen und werfe sie wieder in die Schublade meines Nachttisches.

Ich strampele mir die Bettdecke vom Körper, ziehe mich an und beschließe, heute Abend etwas anders zu machen. Anstatt ins Fitnessstudio zu gehen, werde ich draußen laufen. Ich habe schon verdammt lange keinen Langstreckenlauf mehr absolviert, und ich muss an meiner Ausdauer arbeiten.

Ich mache mich auf den Weg in die Stadt, anstatt nur, wie sonst, um mein Grundstück herum zu joggen. Ich wohne etwa zehn Meilen außerhalb der Innenstadt. Ein Zwanzig-Meilen-Lauf wird mich bestimmt genug ermüden, um vielleicht eine oder zwei Stunden zu schlafen, ohne von einem Albtraum geweckt zu werden.

Ich stecke mir meine AirPods in die Ohren, öffne meine Jogging-Playliste und starte sie. Dann mache ich mich auf den Weg.

Es ist dunkel draußen, weit nach zehn Uhr am Abend, und ich sollte wahrscheinlich nicht auf diesen Schotterpisten laufen, wo sich viele wilde Tiere herumtreiben, aber im Moment bin ich auch nicht bei klarem Verstand.

Alles, woran ich denken kann, ist Antoni, und ich muss ihn endlich aus meinem Kopf bekommen.

Also renne ich.

Die Augen nach vorne gerichtet, die Beine pumpen, der Schweiß rinnt mir über den Körper. Fast zwei Stunden später halte ich an, da meine Uhr mich auf die Distanz von zehn Meilen aufmerksam macht, die ich mir vorgenommen habe.

Ich stütze meine Hände in die Hüften, beuge mich leicht vor und versuche, wieder zu Atem zu kommen. Mir wird klar, dass ich mich auf einem Parkplatz befinde. Ich hebe den Kopf und begutachte das Gebäude. Ich habe nämlich nicht darauf geachtet, wohin ich renne, sondern nur darauf, dass ich in Richtung Stadt unterwegs bin.

Headlights - Scheinwerfer.

Der Name des Ladens blinkt über dem kleinen Metallgebäude auf. Offensichtlich handelt es sich um eine Wohnanlage, ähnlich wie der von Wyatt, doch ich habe das Gefühl, dass diese hier von innen ganz anders aussieht. Ich war noch nie hier, wusste nicht einmal, dass das hier existiert, obwohl ich nicht sicher bin, wie das möglich ist.

Schmunzelnd blicke ich auf die Uhr auf meinem Handy und weiß, dass es nur eine Person gibt, die wach genug ist, um mir zurückzuschreiben.

Ich: Gallup hat einen Stripclub?

Ford: Headlights?

Ich: Das klingt verdammt kitschig.

Ford: Wir sind hier in Gallup. Wir haben verdammt viele Rehe. Ich habe nie behauptet, wir wären klug.

Ich: Warst du schon mal drin?

Ford: Ich bin Single. Alle meine Freunde sind verheiratet. Ich habe nichts anderes zu tun. Es ist allerdings schon eine Weile her. Aber keine Muschis. Sie behalten alle ihre Slips an.

Ich schmunzele aufgrund unseres Austauschs und der Tatsache, dass Ford genau weiß, was in diesem Gebäude abgeht. Ich schaue wieder das Haus an, meine Augen scannen den Parkplatz und bleiben plötzlich an etwas kleben. Mein ganzer Körper verkrampft sich.

Ich: Morgen Abend. Um Mitternacht.

Ford: Wir sehen uns dort.

Ich stecke mein Handy wieder in Tasche und gehe auf das Auto zu, das mir vor ein paar Augenblicke aufgefallen ist. Als ich auf der Fahrerseite stehen bleibe, werfe ich einen Blick in das Wageninnere und stoße ein Grunzen aus. Ich weiß, wem dieses Auto gehört, und die blaugrüne Wasserflasche im Getränkehalter bestätigt meinen Verdacht.

Es scheint, als hütet jemand ein Geheimnis.

Ich denke darüber nach, mich hineinzuschleichen, um der Sache auf den Grund zu gehen, entscheide mich aber dazu, morgen mit Ford zusammen reinzugehen. Zugegeben, ich bin mir nicht sicher, ob ich will, dass er sieht, was ich hinter den Türen des Headlights vermute.

Verdammte Scheiße.

Kopfschüttelnd schalte ich meine AirPods wieder ein, um die zehn Meilen nach Hause zurückzujoggen. Ich werde sie festnageln. Ich werde sie übers Knie legen und ihr verdammt noch mal den Hintern versohlen. Sie hat es verdient. Jedes verdammte bisschen davon.

Als ich wieder zu Hause bin, bin ich keineswegs ruhiger als bei meiner Entdeckung vorhin. Ich weiß nicht, ob ich sie morgen treffen, ob ich ihr in die Augen schauen kann, ohne eine Erklärung oder Antwort von ihr zu verlangen.

 Als ich die Haustür hinter mir zuschlage, bin ich zu aufgewühlt, um ins Bett zu gehen. Deshalb gehe ich in mein Fitnessstudio, um Gewichte zu heben. Hoffentlich wird das meine Wut ein wenig mildern.

Das einzig Gute ist, dass ich nicht mehr an Antoni und seine Familie denken muss.

Kapitel 4

Tulip

Ich weiß noch nicht genau, ob ich erleichtert oder enttäuscht bin, als mir mein Lieblingsessen von einer Kellnerin anstelle von Louis serviert wird. Es liegt ein Zettel bei, auf dem steht, dass es ihm leid tut, dass er es nicht geschafft hat. Ich gebe der Kellnerin ein paar Dollar mehr Trinkgeld, obwohl ich weiß, dass Louis ihr vermutlich schon eine ganze Menge bezahlt hat, denn normalerweise liefert Bill´s Burgers nicht aus.