Devil's Hellions MC Teil 4: Wicked Perfect Storm - Hayley Faiman - E-Book
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Devil's Hellions MC Teil 4: Wicked Perfect Storm E-Book

Hayley Faiman

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Beschreibung

Ich beschütze sie in der Hoffnung, dass sie sich in mich verliebt. Ich weigere mich, aufzugeben. Ich werde Reese für mich gewinnen. Dem Sieger gehört die Beute. Agony, Qual, ist nicht nur Agonys Name, sondern ein Gefühl, das ihn sein Leben lang verfolgt. Reese sollte die Eine sein. Stattdessen hinterließ sie nur eine weitere schmerzende Wunde in seinem vernarbten Herzen. Weglaufen ist alles, was Reese kennt. Flucht und eine dicke Mauer um ihr Herz - immer. Ihre Geheimnisse verfolgen sie, bis die Mauer dank Agony bröckelte und sie endlich glaubte, sicher und angekommen zu sein. Doch ihre Hoffnungen werden zerstört, denn erneut holt ihre Vergangenheit sie ein. Wieder lässt sie alles hinter sich und verschwindet spurlos aus Agonys Leben. Bis ihr bewusst wird, dass sie nicht länger flüchten kann. Sie muss sich für eine bessere Zukunft entscheiden - für ihre Zukunft. Für Agonys Zukunft. Und für die Zukunft ihres gemeinsamen ungeborenen Kindes. Abschlussband der vierteiligen Reihe rund um den Devil's Hellions MC. Inklusive der Bonusgeschichte "Twisted Perfect Storm - Thunder & Hellcat". 

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Hayley Faiman

Devil’s Hellions MC Teil 4: Wicked Perfect Storm

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Franziska Dinkelacker

© 2023 by Hayley Faiman unter dem Originaltitel „ Wicked Perfect Storm: A Secret Baby Romance (Devil's Hellions MC Book 4)“

© 2024 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Print: 978-3-86495-678-2

ISBN eBook: 978-3-86495-679-9

Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Epilog

Bonusgeschichte: Twisted Perfect Storm(Thunder & Hellcat)

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Epilog

Autorin

Kapitel 1

Agony

Ich führe mir die Flasche an die Lippen, nehme einen großen Schluck und spüre, wie die Flüssigkeit in meinem Hals brennt. Sie ist weg. Einfach abgehauen. Verschwunden. Ich hätte wissen müssen, dass mir nie etwas Gutes zustößt. Das war noch nie so und dem Stand der Dinge zufolge wird das auch in Zukunft nicht passieren.

Ich hätte wissen müssen, dass es viel zu schön war, um von Dauer zu sein. Es war so köstlich, so fantastisch, verdammt noch mal zu gut, um wahr zu sein.

Reese war in vielerlei Hinsicht großartig.

Ich bin ein verdammter Idiot, weil ich mich in eine Frau verliebt habe, die meine Gefühle nicht erwidern konnte. Sie hat nie einen Hehl daraus gemacht, wer sie ist und was sie will. Nie hat sie mir etwas versprochen, was sie nicht halten konnte.

Mir war klar, dass sie nur ein bisschen Spaß haben wollte.

Dessen war ich mir bewusst. Ich konnte erkennen, dass sich hinter ihrer fröhlichen Fassade eine rastlose, verwundete Seele verbarg, doch das kümmerte mich einen Dreck.

Trotzdem bin ich aufs Ganze gegangen.

Ich habe alles gegeben, um sie zu bekommen.

Wie der verdammte Idiot, der ich nun mal bin, habe ich mich in eine Frau verliebt, die meine Gefühle nicht erwidern konnte. Sie hatte mich vorgewarnt, hatte mir immer wieder gesagt, dass sie mich nie lieben kann und wird. Sie ist nicht der Typ, der sich bindet. Sie wollte sich nur ein wenig amüsieren, sonst nichts.

Ich dachte, ich könnte damit umgehen. Immerhin habe ich nie etwas anderes gekannt als einen geilen Fick, gutes Essen und guten Stoff zum Rauchen. Ich dachte, das sei alles, was ich im Leben brauche.

Bis ich sie traf.

Jetzt sitze ich hier, wie ein liebeskranker Vollpfosten, und saufe mich aus dem Leben. Ich bin erbärmlich. Ja, das ist es, was ich bin. Ich ertränke mit Alkohol meine Trauer um eine Frau, die sich einen Dreck um mich schert.

Nicht einmal ihre Sachen hat sie gepackt. Sie hat sich nur ihre Handtasche geschnappt und ist mit ihrem Wagen abgehauen. Wie bescheuert bin ich eigentlich, dass ich, für den Fall, dass sie wiederzurückkommt, all ihr Hab und Gut in einem Lager aufbewahre? Jeden Monat zahle ich dafür, dabei weiß ich nur zu gut, dass ihr das völlig egal ist.

Tagelang bin ich ihrem Bruder auf den Sack gegangen, aber es war nichts aus ihm herauszuholen. Logan behauptete, nichts zu wissen. Eigentlich überrascht es mich nicht, dass er den Aufenthaltsort seiner Schwester nicht kennt, denn Reese hat mir erzählt, dass sie keine sehr enge Beziehung haben.

Er verdient sein Geld damit, mit Drogen zu dealen, um seine Familie schert er sich nicht wirklich. Selbst, wenn die sich gerade in Luft aufgelöst hat. In Gedanken verloren sitze ich auf der Couch und starre vor mich hin, ohne etwas wahrzunehmen.

Als Thunder sich seufzend neben mir auf die Couch sinken lässt, reißt sie mich aus meinen Gedanken über Reese. Sie schlingt ihre Finger um die Flasche, die ich in meiner Hand halte, und nimmt mir diese weg. Ich drehe den Kopf in ihre Richtung und starre sie an. Obwohl, ich brauche einen Moment, um nicht länger doppelt zu sehen, um mich auf sie zu konzentrieren.

„Was soll das, verfickt noch mal?“, zische ich.

Schulterzuckend führt sie die Flasche an ihre Lippen. „Ficken ist genau das, was mich in dieses Schlamassel gebracht hat“, schnaubt sie.

„Was ist los?“, will ich wissen und stelle fest, dass ich lalle.

Ich schaffe es gerade einfach nicht, meinen Mund so zu formen, dass er die richtigen Laute herausbringt. Eigentlich bin ich niemand, der sich regelmäßig die Kante gibt. Mir ist klar, dass es verheerende Folgen haben kann, wenn man sich ins Koma säuft. Das ist mir schon öfter passiert und ich habe beschlossen, dass ich das nie wieder zulassen werde. Doch gerade bin ich auf dem besten Weg, die Kontrolle zu verlieren, und das macht mir nicht einmal etwas aus. Das sagt einiges über meinen psychischen Zustand aus.

Ehrlich gesagt könnte ich gerade niemandem eine große Hilfe sein. Selbst, wenn ich das wollte. Einer unserer Feinde könnte hereinspazieren und alle über den Haufen schießen, vermutlich würde ich einfach wie festgefroren sitzen bleiben und ihm dabei zusehen. Ich wäre höchstens in der Lage, mir in die Hose zu pissen oder mich zu übergeben. Ich denke, ich würde keinen Fuß vor den anderen bekommen. Doch es lässt mich absolut kalt, dass ich völlig neben mir stehe.

„Hellcat“, seufzt sie und reißt mich erneut aus meinen Gedanken. „Ich liebe ihn. Ich bin eine Idiotin, denn ich habe mich in einen von euch Arschlöchern verliebt.“ Sie dreht sich zu mir hin und beugt sich vor. „Und jetzt kann ich nicht mehr kommen. Nicht einmal, wenn ich alleine bin.“

„Zu viel Information“, murmle ich verlegen.

Sofort tauchen vor meinem inneren Auge Bilder von Thunder auf, wie sie versucht, sich zum Orgasmus zu bringen. Ich kann an nichts anderes mehr denken. Eigentlich will ich das nicht, aber ich habe die Kontrolle darüber verloren, wohin meine Gedanken schweifen.

Lachend nimmt sie noch einen Schluck aus der Flasche. „Aber so ist es nun mal. Er ist der Einzige, der mich zum Höhepunkt bringt, und seit er bemerkt hat, dass ich ein Auge auf ihn geworfen habe, will er nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich platze bald vor lauter Frust.“

„Willkommen im Club der Frustrierten“, spotte ich, knöpfe ihr die Flasche ab und führe sie an meine Lippen, um einen Schluck zu nehmen.

Schweigend sitzen Thunder und ich nebeneinander auf dem Sofa und leeren erst eine, dann eine zweite Flasche Schnaps, jeder in sein Leid versunken. Sie lehnt den Kopf an meine Schulter und stößt einen tiefen, langen Seufzer aus.

„Es wäre einfacher, wenn ich mich in dich verliebt hätte, Agony. Es tut mir so leid, dass es nicht so ist“, wimmert sie.

Wenige Sekunden später kommt ihr ein leises Schnarchen über die Lippen und kurz darauf bin auch ich weg. Thunder ist in jemanden verliebt, der sie nicht will. Und ich bin in jemanden verliebt, der von einem Tag auf den anderen sein ganzes Leben hinter sich gelassen hat, um nicht bei mir sein zu müssen.

Wir befinden uns in ähnlichen Situationen und wenn diese Welt Sinn ergeben würde, würden wir uns gegenseitig Trost spenden. Doch ich bezweifle, dass ich das tun könnte, denn letzten Endes ist sie nicht Reese und ich bin nicht Hellcat.

Reese.

Wie mir diese freche, kleine Besserwisserin fehlt. Ich vermisse es, ihr zu sagen, dass sie ihre Lippen lieber um meinen Schwanz legen soll, anstatt herumzumeckern. Doch in Wahrheit bin ich ein Waschlappen und sehne mich viel mehr nach ihrem Lächeln und danach, wie sich ihr warmer Körper an meinem anfühlt.

Ich vermisse sie.

Sie war anders als alle anderen, die ich je kennengelernt habe, und dennoch war sie irgendwie wie alle Frauen in meinem Leben. Sie war sexy und stark, ein bisschen hart, aber tief in ihrem Inneren weich.

Reese war wie eines dieser Schokoküchlein mit flüssigem Kern: saftig, köstlich und warm. Sie hat ihr Bestes gegeben, hart zu wirken. Ein Teil von ihr mag das auch gewesen sein, doch sie hatte ein gutmütiges Wesen. Sie hat sich mir geöffnet und gezeigt, wie sie wirklich ist, und deshalb verliebte ich mich in sie.

Dann hat sie plötzlich Fersengeld gegeben und sich davongemacht, als ob ich ihr überhaupt nichts bedeuten würde.

Gegen meinen Willen bin ich noch immer in sie verliebt.

Schwer verliebt.

Reese

Ich habe Mist gebaut.

Na toll.

Anstatt davonzurennen, hätte ich mit Agony, Roadkill oder Itch sprechen sollen. Egal, mit wem. Doch ich bin ausgeflippt und bin abgehauen. Wie immer. Vielleicht hätte ich sogar meinen Bruder um Hilfe bitten können, aber das werde ich keinesfalls tun. Erst, wenn ich keinen anderen Ausweg mehr sehe. Er ist ein unverbesserlicher Lügner.

Nun werfe ich alle zwei Sekunden einen Blick über die Schulter, halte den Atem an und hoffe, dass er mich nicht findet.

Doch das ist nicht mein einziges Problem. Ich habe es auch aus einem anderen Grund völlig verbockt. Es geht um etwas viel Größeres, etwas, das ich in meinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten hätte.

Ich war immer überzeugt davon, dass er das größte Problem in meinem Leben ist, doch nun wird mir klar, dass ich mich getäuscht habe. Nie hätte ich damit gerechnet, dass etwas viel Gewaltigeres über mich hereinstürzen könnte, etwas, das meinen Körper erstarren lässt und mein ganzes Leben über den Haufen wirft.

Auf dem kleinen Plastiktest, den ich in den Händen halte, steht ein einziges Wort, das mich in die Knie gezwungen hat: schwanger.

Scheiße.

Vor ein paar Jahren wäre die Vaterschaft unklar gewesen. Ach quatsch, noch vor sechs Monaten hätte ich nicht gewusst, ob mich der Bulle geschwängert hat, mit dem ich eine Weile ausgegangen bin, oder Agony. Doch jetzt weiß ich genau, von wem dieses Baby ist.

Agony.

Es kann nur sein Baby sein.

Scheiße.

Ich starre wie gebannt auf den Test. Dieses kleine Stückchen Plastik hat soeben mein Leben verändert. Mein gesamtes Leben. Nun bin ich hin und hergerissen: Soll ich weiter weglaufen oder zu ihm zurückkehren? Nach Hause. Ich fische mein Handy aus der Tasche und starre auf den schwarzen Bildschirm.

Vermutlich war es ein Fehler, abzuhauen, aber ich wusste, dass er sie alle ins Visier genommen hätte, wenn ich nicht verschwunden wäre. Ich wollte einfach nur die Menschen schützen, die ich liebe. Dummerweise habe ich Freunde gefunden, die ich ins Herz geschlossen habe, und ich zweifele keine Sekunde daran, dass er versuchen würde, ihnen Schaden zuzufügen. Damit könnte ich nicht leben.

Ich wische mit dem Daumen über den Bildschirm meines Handys und finde schnell den Namen, den ich suche.

Agony ist der zweite Kontakt in der Liste.

Doch ich tippe nicht darauf. Stattdessen starre ich auf das Display und überlege, ob ich ihn anrufen soll oder es lasse. Ich erwäge, das Telefon wegzulegen, versuche, mir den Gedanken auszureden und mich selbst zu Verstand zu bringen. Doch wenn es jemanden gibt, der mich vor ihm beschützen könnte, dann Agony, so viel steht für mich fest.

Er würde für mich bis ans Ende der Welt gehen. Er würde jedes notwendige Verbrechen begehen, damit ich in Sicherheit bin. Und das, obwohl wir kein Paar sind. Die Tatsache, dass sein Kind in meinem Bauch heranwächst, ist alles, was es braucht, damit er sich in jeglicher Hinsicht um mich kümmern würde.

Ich wollte nur nicht, dass meinetwegen jemand zu Schaden kommt. Das will ich immer noch nicht, doch mit dieser neuen Information, mit einem Kind im Bauch, weiß ich, dass ich keine andere Wahl habe. Nicht einmal mein Bruder Logan kann mir dieses Mal aus der Patsche helfen. Ich bin nicht zu stolz, das zuzugeben. Es wäre naiv von mir, ein unschuldiges Leben in Gefahr zu bringen.

Was wäre, wenn er mich erwischt? Nicht auszumalen, was er mit uns machen würde. Was er dem Baby antun würde.

Nickend treffe ich eine Entscheidung. Ich drücke auf das Anrufsymbol, stelle das Telefon auf Lautsprecher und warte, dass er drangeht. Es klingelt nur ein paar Mal, dann vernehme ich seine Stimme. Wie habe ich diesen Klang während der letzten Wochen vermisst!

Im Hintergrund läuft Musik und ich höre Stimmen. Er ist auf einer Party im Clubhaus. Das sollte mich nicht überraschen. Selbst wenn ich mir wünschte, es wäre nicht so, selbst wenn ich lieber an seiner Seite wäre. Neid kocht in mir hoch. Ich kneife die Augen zusammen und räuspere mich.

„Agony?“, frage ich laut.

„Ja?“ Er klingt verwirrt, was mir wehtut. Ich bin noch nicht so lange weg, dass er den Klang meiner Stimme bereits vergessen haben könnte.

„Ich bin es, Reese. Ich muss mit dir reden.“

Einen Moment lang herrscht Stille, dann ertönt ein Kichern und zwar sehr nah an Agonys Handy. Zu nah. Ich weiß genau, wessen Stimme das ist. Sie ist unverwechselbar. Ich habe die letzten Monate genug Zeit in ihrer Nähe verbracht, um mit Sicherheit sagen zu können, dass sie es ist, die neben Agony steht.

Thunder.

Mir rutscht das Herz in die Hose.

Ich weiß, was ihre Stellung im Club ist, und ich bin darüber nicht einmal wütend. Ehrlich gesagt, wenn ich vor ein paar Jahren gewusst hätte, dass es so etwas wie Clubmädchen gibt, dann würde ich heute damit vermutlich auch meinen Unterhalt bestreiten. Ich hätte mich wortwörtlich allen in diesem Club an den Hals geschmissen, um eine von ihnen zu sein.

Ich bin schon lange von Sex besessen, dieser Job wäre also genau das Richtige für mich gewesen.

Manche würden mich als sexsüchtig betiteln, andere würden mich als Nutte abstempeln. Vielleicht bin ich wirklich eine Schlampe, aber ich liebe Sex nun mal und wenn ein Mann mir einen Schauer über den Rücken jagt, dann ist es, als würde sich in mir ein Schalter umlegen.

Leider gibt es viele Männer, die dieses Gefühl in mir auslösen und das in der Vergangenheit auch getan haben. Doch es war nicht immer so und auch jetzt ist es nicht so.

Psychologisch betrachtet gibt es dafür eine Erklärung und tief in mir weiß ich auch, wie sie lautet, doch ich habe beschlossen, keinen Gedanken daran zu verschwenden, weil mir davon schlecht wird. Lieber tue ich so, als hätte ich keine Ahnung und mache einfach immer weiter. Ich will nicht darüber nachdenken, denn das würde bedeuten, über ihn nachzudenken.

Hier bin ich also und lausche Thunders Stimme, die Agony so nah ist, dass ich sie glasklar hören kann. Mein Körper ist steif wie ein Brett, nicht nur, weil ich wegen des Babys nervös bin, sondern auch, weil ich verdammt neidisch bin.

Bis ich diesen Mann kennengelernt habe, war ich nie eifersüchtig. Doch während ich nun auf mein Handy starre, zeigt das grünäugige Monster der Missgunst nun seine hässliche Fratze.

„Auf einmal willst du mit mir sprechen? Ich habe dich ein dutzend Mal angerufen und dir unzählige Nachrichten geschrieben, seit du dich einfach aus dem Staub gemacht hast“, brüllt er plötzlich und lässt seiner Wut freien Lauf. „Und jetzt rufst du mich plötzlich aus heiterem Himmel an?“

Im Hintergrund ertönen gedämpfte Geräusche. Ich öffne den Mund, um ihm alles zu erklären, natürlich ohne ins Detail zu gehen, denn ich weigere mich, ihm oder sonst irgendjemandem die Wahrheit zu verraten. Ich habe keinen Schimmer, was ich ihm sagen soll, also atme ich tief ein und warte ab, ob er dem noch etwas hinzufügt.

Ich hoffe inständig, dass dem so ist.

Doch er schweigt.

Stattdessen vernehme ich erneut dieselbe Frauenstimme. Thunder ist nicht gegangen. Sie steht immer noch neben ihm. Genauer genommen vermute ich, dass sie auf ihm sitzt. Mein Herz verkrampft sich, bekommt unzählige Risse und droht, zu zerspringen.

„Agony ist gerade beschäftigt, Schätzchen.“

„Gib ihm das Handy zurück, Thunder“, knurre ich.

Ich weiß, dass ich wie ein wildes Tier klinge, doch ich kann nicht anders. Ich verspüre gerade einen unglaublichen Schmerz, ganz zu schweigen von der stechenden Angst, die mich durchfährt, wenn ich daran denke, dass ich die Einzige bin, die versucht, dieses Baby zu beschützen.

Sie schnaubt, dann fährt sie fort. „Ich glaube, Agony hat genug durchgemacht. Weißt du, er ist einer der besten Typen hier, er hat diesen Mist, den du ihm angetan hast, nicht verdient. Nur, weil er Agony heißt, bedeutet das noch lange nicht, dass er ständig leiden muss. Und erst recht nicht, wenn ihm dieses Leid von der Person zugefügt wird, die er mehr als alles in der Welt wollte. Halte dich bloß von ihm fern, Schlampe.“

Agony – Schmerz und Leid. Sie hat Recht, er sollte nicht unnötig gequält werden.

Sie legt auf und ich bleibe sprachlos zurück.

Ich habe ihn verletzt.

Etwas an der Art, wie sie mich gerade zurechtgewiesen hat, stört mich. Es würde mir nicht so schlecht gehen, wenn diese Worte aus seinem Mund gekommen wären. Doch ich muss zugeben, dass sie recht hat, und das geht mir absolut gegen den Strich.

Ich presse die Lippen aufeinander und erwäge, seine Nummer zu blockieren, lasse es jedoch bleiben. Er hat keine Schuld daran, dass ich mich bei Nacht und Nebel davongemacht habe. Er ist wütend auf mich und das kann ich ihm wenig verübeln. Er hat nichts Falsches getan … Ich schon.

Wenn ich ihm alles erklärt hätte, würde er vermutlich keinen Groll gegen mich hegen. Er hätte es bestimmt verstanden, denn das ist nun mal seine Art. Doch eine Erklärung hätte mich angreifbar gemacht und dazu bin ich noch nicht bereit. Ich kann weder ihm noch sonst jemandem zeigen, dass ich einen wunden Punkt habe.

Ich lehne mich zurück, lasse den Kopf auf das Kissen sinken und starre einen Moment lang an die Decke. Ich habe alles vermasselt. Ausgerechnet jetzt, wo ich mir dieses großartige Leben aufgebaut hatte. Ich hatte Freunde, einen hervorragenden Liebhaber und ein erfolgreiches Geschäft, das ich mit Herzblut aus dem Nichts gestampft hatte.

Obwohl ich meinen Bruder Logan in der Nähe wusste, der sich mit seinem Drogenhandel den Lebensunterhalt verdient, hatte ich alles, wovon ich immer geträumt hatte. Bis ich all dem einfach den Rücken zugekehrt habe, ohne jemanden um Hilfe zu bitten.

Ich bin das Letzte.

Meine Ausrede, dass ich niemanden in Gefahr bringen will, ist nichts anderes als das: eine Ausrede. Die Männer im Club sind stark genug, um mich zu beschützen, komme, was wolle. Ich habe einfach kalte Füße gekriegt und die Flucht ergriffen, und jetzt muss ich den Preis dafür bezahlen.

Kapitel 2

Agony

Ich drehe mich auf den Rücken, starre an die Decke und hoffe, dass diese pochenden Kopfschmerzen endlich nachlassen. Ich muss heute arbeiten. Seit unsere Geschäfte nun größtenteils legal sind, können wir die Arbeit nicht mehr einfach liegenlassen. Doch ich habe mich gestern wirklich abgeschossen und das Letzte, was ich gerade will, ist, an einem scheiß Auto herumzuschrauben.

 Doch die Arbeit ruft und ich will meinem Club keine Probleme bereiten. Sie mussten sich meinetwegen bestimmt schon oft genug den Kopf zerbrechen. Also zwinge ich mich, aufzustehen und mit zitternden Beinen zum Badezimmer zu gehen.

Als ich mich umdrehe, muss ich daran denken, wie viel besser die zerwühlten Bettlaken aussehen würden, wenn Reese sich nackt darin räkeln würde. Was für ein schöner Anblick es wäre, wenn ihre dunklen Haare ausgebreitet darauf liegen oder ihre rotgeschminkten Lippen Spuren auf dem Kopfkissen hinterlassen hätten.

Verdammt.

Ich muss dieses Bild aus meinem Kopf verbannen. Sie wird nicht wiederkommen.

Wochen sind ins Land gezogen, seit sie mich verlassen hat. Seitdem hat sie nicht eine meiner Nachrichten beantwortet und erst recht nicht angerufen. Auch aus ihrem Bruder ist nichts herauszubekommen.

Sie ist wie vom Erdboden verschluckt und ich frage mich, ob sie das schon einmal getan hat, weil sie verdammt gut darin ist, sich in Luft aufzulösen.

Ich springe kurz unter die Dusche, verlasse dann das Clubhaus, schwinge mich auf mein Motorrad und fahre in Richtung Werkstatt. Auf dem Weg dorthin halte ich vor einem kleinen Café in der Innenstadt. Ich parke genau vor dem Eingang, steige ab und drehe mich zu dem Gebäude auf der anderen Straßenseite um.

Der Laden ist geschlossen.

Das ist er schon eine ganze Weile, denn Kiplyn ist in Mutterschutz und Reese war die einzige Friseurin in dem kleinen Salon. Sie hat allem den Rücken zugedreht: ihrem Zuhause, ihrem Geschäft, sogar ihrer Familie.

Ich kann den Blick einfach nicht von dem Gebäude losreißen, während ich mich frage, was wohl als Nächstes passieren wird. Als ich genug davon habe, mich schlecht zu fühlen, beschließe ich, endlich ins Café zu gehen.

Ich drehe mich um, betrete den Laden und gebe meine Bestellung auf. Ich brauche keinen Schnickschnack, ein einfacher schwarzer Kaffee macht mich schon glücklich. Ich würde mich auch mit dem Filterkaffee zufriedengeben, den es morgens im Clubhaus gibt, aber die braune Brühe, die Thunder zubereitet, würde ich nicht als Kaffee bezeichnen.

„Na, wie läuft’s?“, empfängt mich die Barista mit breitem Lächeln.

Grinsend fische ich ein paar Münzen aus der Tasche und lege sie auf den Tresen, dann stecke ich noch einen Dollar in die Dose für das Trinkgeld. Als ich angefangen habe, mit Reese zu schlafen, wurde ich Stammgast in diesem Café. Das war für uns beide praktisch. Ich komme weiterhin her, weil ich mich daran gewöhnt habe.

„Es geht so. Was macht dein Unterricht?“

Sie zuckt mit den Schultern und rümpft die Nase. „Ich hasse es“, gibt sie seufzend zu. „Ich habe beschlossen, dass ich einen reichen Mann heiraten werde. Das ist die einzige Lösung“, verkündet sie, während sie mir den Pappbecher zuschiebt.

Kopfschüttelnd nehme ich den warmen Kaffee entgegnen und trete einen Schritt zurück. „Mach das nicht, Baby. Klar, das Leben ist leichter, wenn du reich heiratest, aber du brauchst etwas Eigenes zur Sicherheit. Immer.“

Sie seufzt, dann verdreht sie die Augen. „Wenn du meinst“, entgegnet sie. „Hat deine Freundin die Stadt verlassen?“, fragt sie, bevor ich mich umdrehen und hinausgehen kann.

„Ja, das hat sie“, bestätige ich.

„Der Vermieter war gestern da. Er hat gesagt, dass er das Gebäude verkaufen wird, wenn sie die Miete nicht bezahlt.“

„Verkaufen?“, hake ich nach.

Sie nickt und lächelt zaghaft. „Ja, genau. Er will nach und nach alle Gebäude loswerden, die er in der Innenstadt besitzt.“

Ich danke ihr für die Auskunft, hebe die Hand zum Gruß, verlasse das Café und gehe zu meinem Motorrad. Das Gebäude, in dem sich Reeses Salon befindet, geht mir einfach nicht auf dem Kopf. Schließlich beiße ich mir auf die Unterlippe, mache auf dem Absatz kehrt und gehe zurück ins Café.

Die Barista sieht mit einem breiten Grinsen in meine Richtung. „Du schon wieder? Hast du mich etwa schon vermisst?“

Ich schnaube und gehe auf den Verkaufstresen zu. „Ja, das habe ich, aber vor allem muss ich dich etwas fragen.“ Mit hochgezogener Augenbraue sieht sie mich an und wartet, dass ich weiterspreche. „Hast du zufällig die Telefonnummer des Vermieters?“

Sie zögert einen Moment lang. „Ich habe seine Visitenkarte“, erwidert sie schließlich. „Wirst du das Lokal für deine Freundin kaufen?“

Diese kleine Barista ist verdammt neugierig, weshalb sie vermutlich auch immer weiß, was in der Nachbarschaft so vor sich geht. Außerdem ist sie ziemlich süß für ihr junges Alter. Ich sehe zu, wie sie in einer Schublade herumwühlt und mir dann mit einem Lächeln ein Kärtchen reicht. Ich habe das Gefühl, dass sie die Antwort auf ihre Frage bereits kennt.

„Und?“, hakt sie nach. „Wirst du es kaufen?“

„Wir werden sehen.“

Ich nehme ihr die Karte aus der Hand, zwinkere ihr zu und trete erneut auf die Straße hinaus. Sobald ich auf meinem Motorrad sitze, fische ich das Handy aus der Hosentasche und rufe den Vermieter-Typ an. Ich will auf keinen Fall, dass er Reeses Traum verkauft.

Normalerweise würde ich jetzt auf dem Bordstein sitzen und an meinem Kaffee nippen bis Reese kommt, um dann etwas Zeit mit ihr zu verbringen. Doch stattdessen hocke ich nun auf meinem Bike und telefoniere mit ihrem Vermieter. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, doch ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass ihr Salon verkauft und zu einem anderen Laden wird.

Das Gespräch ist kurz. Ich will keinen Mist bauen. Ich habe nur eine einzige Frage: Wie viel. Glücklicherweise versteht er, was ich meine, und nennt mir einen Betrag. Ich nippe an meinem Kaffee, dann räuspere ich mich.

„Und was kostet mich der Spaß, wenn ich bar bezahle?“

„Bar?“, hakt er nach.

„Ja“, bestätige ich.

Einen Moment lang herrscht Stille und ich nehme noch einen Schluck, während ich das Wort auf ihn wirken lasse. Bar. Ich bemühe mich, gleichgültig zu klingen, doch innerlich bin ich unglaublich nervös.

Wahrscheinlich begehe ich gerade einen Fehler, doch sollte sie je zurückkommen, will ich, dass ihr Salon noch auf sie wartet. Keine Ahnung, warum mir das so wichtig ist. Es ist ja nicht so, dass sie sonderlich viel Rücksicht auf mich genommen hat, doch ich kann einfach nicht untätig zusehen.

„Treffen wir uns in meinem Büro?“

„Sind Sie gerade dort?“

„Ja, das bin ich.“ Er nennt mir eine Adresse in unmittelbarer Nähe, also steige ich wieder ab, nehme einen letzten Schluck und gehe zum Büro des Eigentümers. Sieht so aus, als würde ich heute einen Friseursalon kaufen.

Reese

Ein seltsames Gefühl lässt mich innehalten. Mir ist unwohl. Ich werfe einen Blick über meine Schulter und kontrolliere, ob jemand hinter mir ist. Dann sehe ich mich um und nehme meine Umgebung in mich auf. Schließlich schaue ich wieder nach vorne.

Nichts.

Niemand.

Ich weiß genau, wie es ist, beobachtet zu werden.

Und das werde ich gerade. Ich bin mir nur nicht sicher, ob er es ist oder jemand anderes.

Eine Woche ist es her, seit ich Agony angerufen habe und Thunder mit mir gesprochen hat. Eine Woche frage ich mich nun schon, wie ich das alles schaffen soll: Ich bin auf der Flucht und mutterseelenallein. Ich glaube nicht, dass ich unter diesen Umständen ein Kind auf die Welt bringen kann, denn ich habe alle Hände voll damit zu tun, keine Spuren zu hinterlassen. Mich in ein Krankenhaus einliefern zu lassen oder auch nur mit einem Arzt zu sprechen, würde bedeuten, dass ich einen digitalen Fußabdruck hinterlassen und Aufschluss auf meinen Aufenthaltsort geben würde, und das darf nicht geschehen.

Meinen Lebensunterhalt bezahle ich ausschließlich in Bar, ich habe keine Freunde, nehme keine Dienstleistungen in Anspruch. Außerdem könnte ich nach der Geburt auch nicht wieder arbeiten gehen, denn dafür bräuchte ich einen Babysitter.

Ergo kein Geld in Sicht.

Scheiße.

Mir bleiben noch etwa sieben Monate, um mir etwas einfallen zu lassen.

Schnellen Schrittes gehe ich zu meiner billigen Klapperkiste, stecke den Schlüssel ins Schloss der Fahrertür, reiße sie auf und lasse mich auf den Sitz fallen. Dann schlage ich die Tür zu und lasse den Wagen an.

Noch einmal sehe ich mich um, um zu überprüfen, ob es etwas Ungewöhnliches zu sehen gibt. Doch ich kann nichts oder, besser gesagt, niemanden entdecken. Mit einem schweren Seufzer lege ich den Rückwärtsgang ein und fahre zu dem Motel, in dem ich diese Woche lebe und in dem ich bleiben werde, bis ich das Gefühl habe, dass er nicht mehr weit weg ist.

So, wie mir die Nackenhaare zu Berge stehen, wird das sehr bald sein. Er ist in der Nähe, wenn er nicht sogar schon da ist. Das spüre ich.

Als ich das Motel erreicht habe, untersuche ich die Umgebung eindringlich. Der Parkplatz ist leer, nur ein kleines Auto steht in einer dunklen Ecke. Ich halte nicht an. Nicht mit diesem Auto dort. Natürlich könnte es dem Rezeptionisten gehören, aber auch er könnte drin sitzen.

Also fahre ich weiter. Ich hatte sowieso nur Toilettenartikel in meinem Zimmer. Ich habe vor Langem gelernt, mein Auto nie auszuladen, wenn ich auf der Flucht bin.

Langsam wird es dunkel draußen und im Radio läuft mittlerweile mehr Werbung als Musik. Während ich die endlos erscheinende Straße entlangfahre, ertappe ich mich dabei, wie ich an Agony denke.

Als ich ihn das letzte Mal angerufen habe, war er betrunken. Vielleicht sollte ich es noch mal probieren und ihm die Wahrheit sagen. Ich könnte ihm von dem Baby erzählen und ihm gestehen, dass ich ihn liebe.

Ich angle nach dem Handy, das auf dem Beifahrersitz liegt, und beiße mir auf die Lippe. Dann beschließe ich, ihn nicht anzurufen. Ich glaube nicht, dass ich das, was beim letzten Telefonat passiert ist, noch einmal ertragen könnte. Was, wenn Thunder wieder bei ihm ist? Was, wenn es jemand anderes ist?

Was, wenn er bereits über mich hinweg ist?

Das könnte ich nicht aushalten, weder mein Kopf noch mein Herz. Stattdessen rufe ich Kiplyn an. Sie wird unglaublich wütend und verletzt sein, weil ich einfach so verschwunden bin, ohne ihr ein Lebenszeichen zu senden. Es ist an der Zeit, sie zumindest in einen Teil meiner Bewegründe einzuweihen, die zu meinem Untertauchen geführt haben.

Ich werde ihr nie alles erzählen können.

Weder ihr noch sonst jemandem.

Ich tippe ihre Telefonnummer ein, denn ich habe sie auswendig gelernt, und drücke dann auf das Anrufsymbol. Während ich mir das Handy ans Ohr lege, fahre ich weiter. Ich bin die Einzige auf dieser einsamen Straße und glücklicherweise sind keine Scheinwerfer hinter mir in Sicht, auch wenn das nichts zu bedeuten hat. Ich habe schon einmal gesehen, wie er nachts blind gefahren ist, um nicht entdeckt zu werden.

Nur, um mich zu quälen.

„Ja?“

Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt nicht nur neugierig, sondern auch besorgt. Sie weiß, dass ich es bin, oder vielleicht hat sie zumindest diese Hoffnung. Das kann ich ihr nicht übelnehmen. Mir würde es vermutlich genauso gehen, wenn meine beste Freundin beinahe zwei Monate lang untertauchen würde, ohne sich bei mir zu melden. Ehrlich gesagt wäre ich an ihrer Stelle nicht nur besorgt, sondern stinksauer.

„Ich bin es“, erwidere ich und kämpfe gegen die Tränen an.

Stille.

Dann ertönt ein Schluckauf.

„Reese?“, fragt sie kaum hörbar.

„Kiplyn, es tut mir so leid“, flüstere ich. Tränen laufen mir über die Wangen, doch ich wische sie weg, damit meine Sicht auf die Straße nicht verschwimmt.

Abermals ist es einen langen Moment über ruhig, dann höre ich sie zitternd ausatmen. „Bist du in Sicherheit?“

In Sicherheit?

Das ist eine komplizierte Frage. Da ich nicht weiß, was ich ihr antworten soll, nehme ich einen tiefen Atemzug und stoße die Luft dann langsam wieder aus. Ich will unter keinen Umständen, dass sie ihren Ehemann Roadkill losschickt, um mich zu suchen und zurückzubringen. Deshalb gebe ich ihr die einzig mögliche Antwort.

„Mein Abhauen hatte nur etwas mit mir zu tun, mit nichts anderem. Ich würde so gern zurückkommen und wünschte, ich könnte es auf der Stelle.“

„Dann mach das doch einfach”, entfährt es ihr.

Sie hat keine Ahnung, wie sehr ich mich danach sehne, sie und all die anderen wiederzusehen. Ich will einfach zurück in das Leben, das ich vor wenigen Monaten hatte. Ich habe unglaubliche Sehnsucht danach, aber er hat mich gefunden. Er hat es mich wissen lassen, deshalb konnte ich nicht bleiben.

Für den Bruchteil einer Sekunde lege ich die Hand auf meinen Bauch und muss an das ungeborene Baby denken, das ich in mir trage. Ich sollte ihr davon erzählen. Doch ich weiß, dass sie mich dann nicht mehr nur bitten würde heimzukommen: Sie würde es verlangen.

Also sage ich nichts.

Ich denke an ihn. Ihn wieder dorthin zu führen, wäre eine absolute Katastrophe. Das werde ich den Menschen, die ich in dieser Welt am meisten liebe, nicht antun. Nie und nimmer werde ich das zulassen. Er ist zu gefährlich, zu grausam, und ich weiß, dass die Devil’s Hellions für mich kämpfen würden.

Sie dürfen unter keinen Umständen meinetwegen verletzt werden.

Meine Gedanken schweifen zu den Mädels. Ich könnte nicht damit leben, wenn ihnen etwas zustößt. Sie sind herzensgute Menschen und der Gedanke, dass er ihnen Schaden zufügen könnte, macht mich fertig.

„Das kann ich dir nicht antun“, widerspreche ich. „Ausgeschlossen.“

„Das spielt keine Rolle, Reese. Egal, was das Problem ist, wir finden schon eine Lösung. Uns wird etwas einfallen. Gemeinsam. Komm einfach wieder nach Hause. Ich vermisse dich sehr. Genauso wie Piper und Henli. Und Agony erst.“

Kapitel 3

Agony

„Ich kann nicht glauben, dass du das wirklich getan hast!“, ruft Kiplyn mit aufgerissenen Augen und vor Überraschung geöffnetem Mund.

Lachend zucke ich mit den Schultern und sehe sie an. „Ich wollte einfach sichergehen, dass niemand seinen Arbeitsplatz verliert. Sie ist zwar gerade nicht da, aber sie kommt garantiert zurück.“

Kiplyn senkt den Blick auf das Baby in ihren Armen, dann hebt sie den Kopf und begegnet meinem Blick. „Weißt du, sie hat mich angerufen“, flüstert sie. „Sie hat gesagt, dass ihr Verschwinden überhaupt nichts mit uns zu tun hat. Dass sie liebend gerne zurückkommen würde. Sie klang ziemlich kryptisch, aber ich habe die Nummer, von der sie mich angerufen hat, falls du sie willst.“

„Auf jeden Fall“, knurre ich.

„Ich schicke sie dir“, erwidert Kiplyn. „Und … Agony?“, fügt sie zögernd hinzu. Ich räuspere mich und warte, dass sie fortfährt. Einen Moment lang betrachtet sie mich schweigend. „Ich muss es wissen. Liebst du sie?“

Das zuzugeben würde mich wie ein Weichei dastehen lassen. Aber mittlerweile bin ich nicht mehr zu stolz, dieser Frau zu gestehen, was ich für Reese empfinde. Sie würde mich nie für die Gefühle verurteilen, die ich für ihre beste Freundin hege. Ich bin vielleicht nicht unbedingt die Art von Mann, die sie sich für Reese wünschen würde, aber ich hoffe, dass sie sich trotzdem freut.

„Ja, das tue ich“, gebe ich zu.

„Dann hol sie nach Hause.“ Sie klingt fest entschlossen und sieht mir dabei tief in die Augen. Sie meint es todernst und ich kann nicht leugnen, dass mir das gefällt.

Ich verziehe die Lippen zu einem Grinsen, recke das Kinn und stehe auf. „Wenn du dazu bereit bist, wieder arbeiten zu gehen, gehört der Salon dir.“

„Agony, das kann ich unmöglich annehmen“, ruft sie.

Ich schüttle entschieden den Kopf und streiche ihr im Vorbeigehen sanft über die Haare. „Doch, das kannst du und das wirst du. Verdammt, stell für die Übergangszeit eine Friseurin ein, wenn du willst. Wenn Reese zurückkommt, ist der Salon noch da, aber er sollte keinesfalls so lange leer stehen. Du hast ein Geschäft zu führen und Kunden zu betreuen. Du hast hart gearbeitet, um das zu erreichen.“

 Ohne dem noch etwas hinzuzufügen, gehe ich hinaus in den Garten, wo Roadkill ein paar Steaks auf den Grill geschmissen hat. Er hat ein Bier in der einen und eine Grillzange in der anderen Hand. Der Anblick bringt mich zum Grinsen: Er sieht wie ein waschechter Vater aus.

„Du erinnerst mich an einen dieser typischen Vorstadt-Dads. Dir fehlen nur noch die weißen Schuhe, die sie immer so anhaben“, ziehe ich ihn auf.

Er verdreht die Augen und wendet das Fleisch. Dann schließt er den Grilldeckel und wendet sich mir zu. „Du hast also den Salon gekauft“, kommt er direkt zum Punkt. Er redet nie lange um den heißen Brei herum.

„Das Gebäude“, korrigiere ich ihn. „Nicht den Salon.“

„Was ist, wenn sie nie zurückkommt?“, will er wissen.

Am liebsten würde ich ihm sagen, dass das unmöglich ist, doch ich weiß, wie die Realität aussieht. Sie könnte wirklich alle Zelte abgebrochen haben und nie wieder auftauchen. Das kann sie offenbar ziemlich gut.

„Dann hat Kiplyn eben einen Salon, mit dem sie machen kann, was sie will. Sie könnte Piper einstellen. Das Gebäude gehört mir, ich habe es schon bezahlt. Wenn Kiplyn es nicht mehr braucht und auch der Club keine Verwendung dafür hat, verkaufe ich es einfach wieder.“

Roadkill nickt knapp. „Na dann“, meint er grinsend. „Ergibt für mich Sinn. Hast du denn schon mit ihrem Bruder gesprochen? Vielleicht weiß er ja, was los ist?“

Ich seufze. „Logan behauptet, keine Ahnung zu haben. Er meinte, dass sie generell wenig miteinander zu tun hatten und Reese sich seitdem kein einziges Mal bei ihm gemeldet hat. Ich kaufe ihm das ab. Nicht, weil er sonderlich vertrauenswürdig ist, sondern weil Reese mir erzählt hat, dass sie keinen Kontakt mit ihm haben will. Sie ist nur in seine Nähe gezogen, weil sie die Sicherheit haben wollte, dass er schnell zur Stelle ist, wenn sie mal in der Patsche sitzen würde. Das wiederrum erscheint mir alles andere als logisch, weil Logan alles andere als sicher ist.“

„Scheiße“, brummt er.

Glücklicherweise lässt er das Thema nun auch fallen. Dafür bin ich ihm dankbar, denn ich hatte nicht vor, meine Pläne zu ändern, nur weil Roadkill anderer Meinung ist. Es geht mir am Arsch vorbei, was er von all dem hält. Ich habe das Gebäude gekauft, Reese wird zu mir zurückkommen und irgendwann wird alles so sein, wie es sein soll. Das mag vielleicht sehr optimistisch klingen, aber ich weiß, was ich will.

Ich nutze den Moment, um etwas anderes anzusprechen.

„Wie läuft es mit dem neuen Wagen?“, erkundige ich mich.

Wir arbeiten gerade daran, unser zweites Auto zu restaurieren. Echt krass. Ein völlig heruntergekommenes Eldorado-Cabrio von 1977. Der Motor ist im Arsch, was bei dieser Baureihe völlig normal ist, und die Karosserie ist unglaublich ausladend und unförmig.

Wir haben vor, den Motor durch einen neuen mit bedeutend mehr PS zu ersetzen, und auch die Innenausstattung muss komplett erneuert werden, was bei solchen Projekten gang und gäbe ist. Außerdem haben wir ein paar Entwürfe gemacht und planen, den Wagen ein bisschen windschnittiger zu gestalten.

Wenn wir damit fertig sind, wird er überhaupt nicht mehr wie ein Eldorado aus dem Jahr 1977 sondern wie ein absolut geiles Teil aussehen.

Ich kann es kaum erwarten.

Der Cutlass, den wir davor auseinandergenommen und wieder zusammengebaut haben, ist echt bombig geworden, und wir haben einen Haufen Geld gemacht. Leider hat es uns nicht lange über die Runden gebracht. Mit so vielen Mitgliedern, die jeden Monat bezahlt werden müssen, reicht ein einzelnes Projekt leider nicht.

Wir müssen uns einen Namen machen, um mehr Kohle zu verdienen. Bei den Geschäften mit den Hell’s Souls ist über die letzten Jahre genug herausgesprungen, um uns eine ganze Weile über Wasser zu halten, aber das heißt noch lange nicht, dass wir in Geld schwimmen.

„Ich hoffe, dass wir ein paar Hunderttausend für die Karre bekommen“, murmelt er.

Das wäre nicht übel. Drei Aufträge dieses Kalibers pro Monat wären genug, um unseren Männern einen Lebensstandard zu bieten, mit dem sie zufrieden wären. Fünf oder mehr würden das Leben viel einfacher machen und die Jungs davon abhalten, auf dumme Gedanken zu kommen.

Aber wir werden nicht alle Autos zu solch einem hohen Preis verkaufen können, vermutlich sind acht Restaurationen pro Monat realistischer. Zehn wären noch besser. Beim Gedanken daran, wie wir das bloß schaffen sollen, wird mir ganz schummrig. Verdammt, das wird alles andere als einfach. Ich weiß nicht, ob wir dazu in der Lage sind. Das ist ein Haufen Arbeit.

Aber vielleicht gibt es ja noch andere Möglichkeiten.

Ich beuge mich vor, schnappe mir ein Bier und öffne es. Dann führe ich es mir an die Lippen und nehme einen großen Schluck –die halbe Flasche–, während mein Gehirn weiterhin auf Hochtouren läuft.

„Was, wenn wir es nicht schaffen, so große Projekte zu stemmen?“, erkundige ich mich.

Roadkill grinst. „Keine Ahnung. Für mich ist das genauso neu wie für dich.“

Nachdenklich räuspere ich mich. „Wir brauchen einen besseren Plan. Die Jungs werden nicht mitspielen, zumindest nicht lange.“

Roadkill öffnet schweigend den Grill und wendet das Fleisch erneut, doch ich sehe ihm an, dass ihm meine Worte nicht gefallen haben. Er denkt darüber nach und ich weiß, dass er mir im Grunde genommen zustimmt. Mag sein, dass er das nicht offen zugibt, denn schließlich war er genau wie Legacy ein Befürworter, von jetzt an nur noch legale Geschäfte zu machen. Das nehme ich ihnen nicht übel, aber auf mein Gehalt kann ich nun mal nicht verzichten und die anderen ebenso wenig.

„Das sehe ich auch so“, gibt er zu. „Aber jetzt gerade ist das die Lösung, für die wir uns entschieden haben. Fällt dir etwas Besseres ein?“

„Nein, das tut es nicht.“

„Siehst du?“, knurrt er. „Mir auch nicht.“

Reese

Sobald ich im Motelzimmer bin und die Tür hinter mir geschlossen habe, lasse ich mich auf den Boden sinken und ziehe die Knie an die Brust. Dann lege ich die Wange auf die Knie, schließe die Augen und nehme einen tiefen Atemzug. Ich zwinge mich dazu, bewusst ein- und auszuatmen und mich zu beruhigen.

Ich habe ihn gesehen.

Zumindest glaube ich, dass er es war. Ich bin mir nicht zu hundert Prozent sicher, aber wenn er es nicht war, dann sah er ihm zumindest so ähnlich, dass ich nun zu Tode erschrocken bin. Als mein Herzschlag langsam wieder normal wird, öffne ich die Augen und sehe mich um.

Alles ist noch genau dort, wo ich es zurückgelassen habe. Jetzt ist es höchste Zeit, meine sieben Sachen zu packen und von hier zu verschwinden. Ich stehe auf, durchquere den Raum und sammle meine Habseligkeiten ein. Es ist nicht viel, aber in der kleinen Bar, in der ich ein paar Stunden gegen Bares gekellnert habe, habe ich nicht genug verdient, um alles Nötige zu kaufen, deshalb musste ich zurückkommen.

Sobald ich alles in eine Tasche geworfen habe, gehe ich zur Tür und öffne sie. Es verschlägt mir den Atem bei dem Anblick, der sich mir bietet. Damit habe ich nicht gerechnet. Wie dumm von mir. Ich wusste doch, dass er mir auf den Fersen war.

Und nun steht er genau vor mir.

Ich bin am Arsch. So richtig.

„Du bist gar nicht so leicht zu finden, junge Dame“, zischt er. „Nicht einmal dein Bruder, dieser Versager, wusste, wo du bist. Aber es macht Spaß, dir hinterherzujagen, Reese.“

Das Herz rutscht mir in die Hose.

Ich versuche, nicht zu schreien. Diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun.

„Was willst du?“, fauche ich mit zusammengebissenen Zähnen. Ich stehe noch immer im Türrahmen und sehe ihm direkt in die Augen.

Ich werde ihn nicht hereinlassen, denn ich weiß, dass es dann für mich kein Entkommen mehr gibt. Sobald er einmal im Zimmer ist und die Tür hinter sich geschlossen hat, ist das Spiel für mich aus. Dann würde ich nie wieder das Licht der Welt erblicken.

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, warum er hinter mir her ist.

Es sind viele Jahre vergangen, über ein halbes Jahrzehnt, und ich verstehe nicht, warum er immer noch nicht darüber hinweg ist.

„Ich will auch gar nicht gefunden werden“, lasse ich ihn wissen.

Er verzieht die Lippen zu einem Lächeln. Früher hat mir diese Geste eine Heidenangst eingejagt. Es hat mich auf eine Art in Schrecken versetzt, für die ich keine Worte habe. Nun macht es mir keine Angst mehr, doch ich bin wachsam. Bei diesem Grinsen schrillen bei mir alle Alarmglocken, denn ich weiß, wozu er fähig ist.

„Und genau deshalb jage ich dir hinterher. Bist du bereit, endlich nach Hause zu kommen?“, will er wissen.

Nach Hause.

Das soll wohl ein Witz sein.

Da, wo er ist, kann nie und nimmer mein Zuhause sein. Das war es noch nie.

„Ich habe bereits ein Zuhause“, entgegne ich. „Das ist nicht bei dir und das wird es auch nie sein.“

Er schnaubt und lächelt, als würden meine Worte ihm am Arsch vorbei gehen. Ich stehe breitbeinig im Türrahmen, doch ich weiß, dass er mich problemlos ins Zimmer stoßen könnte, wenn er das wollte. Dass er das nicht tut, liegt einzig daran, dass er Psychospielchen liebt, und genau die treibt er gerade.

So ist es mir über ein Jahrzehnt ergangen.

„Jetzt sei doch nicht so, mein Vögelchen.“

Mein Gott.

Wie ich diesen Namen hasse.

Ein Schauer des Ekels läuft mir über den Rücken und meine Lider flattern. Doch ich weigere mich, die Augen zu schließen, und straffe stattdessen die Schultern. Genug ist genug.

Diese Situation dauert nun schon viel länger, als ich je gedacht hätte. Ich habe dem Leben, dass ich so geliebt habe, den Rücken zugekehrt, und warum?

Wegen dieses Arschlochs.

„Was auch immer du denkst, was passieren wird: Du täuschst dich. Ich werde dich nirgendwohin begleiten. Zwischen dir und mir ist absolut nichts mehr. Ich werde zurück zu meinem Zuhause gehen und du kannst meinetwegen gerne zur Hölle fahren. Mit dir werde ich jedenfalls nicht mitkommen. Nie wieder.“

Jetzt ist es raus. Mein Wagemut könnte nicht vorgetäuschter sein, doch das ist mir egal. Ich denke nur an meine Freunde und daran, wie sehr ich sie vermisse. Natürlich ist da auch der Gedanke an das Baby und an Agony.

„Es geht aber nicht darum, was du gerne hättest, sonst darum, was gleich passieren wird.“

„Fick dich“, knurre ich.

Ich greife nach der Klinke und ziehe an ihr, in der Hoffnung, die Tür schließen zu können, bevor er überhaupt checkt, was ich vorhabe, doch es gelingt mir nicht. Schnell macht er einen Schritt nach vorn, packt die Tür und stößt sie auf. Ich stolpere nach hinten.

Glücklicherweise kann ich mich gerade noch rechtzeitig abfangen.

Dann herrscht ein Moment Stille.

Wir starren uns an.

Vermutlich hat er nicht damit gerechnet, mich so schnell zu überwinden, doch ich habe aufgrund seines Stoßes das Gleichgewicht verloren. Jedoch bin ich noch auf den Beinen, was wiederum mich überrascht.

Zum Glück bin ich etwas gedankenschneller als er. Ich wende mich von ihm ab, stürze auf die Tür zu und lege meine Finger um die Klinke. Kurz werde ich von Hoffnung erfüllt. Allerdings nur bis zu dem Moment, in dem ich spüre, wie er mir von hinten den Arm um die Kehle legt.

Alles, an das ich denken kann, ist der Tod.

Daran, dass mein Baby sterben wird.

Und an Agony.

Immerzu an Agony.

Also tue ich es für sie: für mein Kind und für Agony.

Kapitel 4

Agony

Ich zerlege alles in seine Einzelteile. Ernsthaft, diese Kiste wird unglaublich aussehen, sobald wir mit ihr fertig sind. Es waren bereits drei potenzielle Käufer aus Phoenix da, die den Wagen vor und während der Restauration sehen wollten. Zwei davon haben echtes Interesse. Der Dritte ist gerade hier und sieht mir bei der Arbeit zu, aber eigentlich sucht er etwas Sportlicheres. Das kann ich ihm nicht übelnehmen, denn ich würde auch einen Sportwagen vorziehen.

„Meldet euch, wenn ihr einen Camaro oder eine Chevelle habt“, ruft er mir zu, während er auf den Ausgang zusteuert.

„Ich werde die Augen offen halten. Wie lautet das Budget?“, erwidere ich. Mir ist bewusst, dass solche Modelle ganz schön ins Geld gehen, egal, in welchem Zustand sie sich befinden.

Der Mann hält inne und dreht sich mit einem breiten Grinsen zu mir um. „Kein Budget. Macht einfach was Geiles draus.“ Mit diesen Worten dreht er sich endgültig um und geht hinaus.

Ich sehe ihm nach. Sobald er außer Sichtweite ist, begebe ich mich wieder an die Arbeit. Einen geilen Camaro oder Chevelle ohne finanzielle Einschränkung ist eine meiner leichtesten Übungen. Wenn ich an einem Wagen arbeite, denke ich an nichts anderes als an das Projekt. Die Welt um mich herum könnte in Flammen aufgehen, ich würde es nicht einmal bemerken.

Als ich höre, wie jemand meinen Namen ruft, schalte ich die Gerätschaften aus und drehe mich um. Es ist Roadkill. Grinsend hebt er eine Hand, in der er zwei weiße Papiertüten hält: Mittagessen. Keine Ahnung, wie lange er da schon steht und versucht, meine Aufmerksamkeit zu bekommen, aber seinem leicht genervten Gesichtsausdruck zufolge muss das schon eine ganze Weile sein.

„Wie viel Uhr ist es?“, will ich wissen.

„Eins. Du brauchst eine Pause“, erwidert er.

Stimmt, die habe ich wirklich nötig.

Noch eine Woche ohne Reese ist verstrichen. Sieben lange Tage, während der ich mich ständig gefragt habe, wo sie wohl stecken mag. Ein ums andere Mal habe ich auf ihre neue Telefonnummer gestarrt und erwägt, sie anzurufen. Das habe zwar noch nicht gemacht, aber ich schaue sie täglich mehrere Stunden lang an, als wäre ich ein liebeskranker Vollidiot.

Sobald ich meinen Arbeitsplatz aufgeräumt habe, gehe ich zu Roadkill, der das Mittagessen mittlerweile auf dem kleinen Tisch in der Ecke abgestellt hat. Ich schnappe mir einen Stuhl, drehe ihn um und lasse mich rücklings darauf fallen, während ich nach einer der Tüten lange.

„Hast du sie schon angerufen?“, fragt er mich.

„Nein“, entgegne ich knurrend und packe dabei das Essen aus.

Ich liebe Burger über alles. Ernsthaft, ich könnte diese Dinger jeden Tag essen und hätte nie genug davon. Mit Pommes ist es genauso. Ich öffne die Verpackung, nehme den doppelten Cheeseburger heraus und beiße genüsslich hinein.

„Das solltest du. Es ist schon eine Woche her. Kiplyn hat es noch mal probiert, aber sie ist nicht drangegangen.“

„Machst du dir Sorgen?“, will ich wissen.

„Ja“, gibt er zu. „Vor allem aber Kiplyn.“

Eine Weile lang schweigen wir, doch ich spüre seinen Blick auf mir und weiß, dass er etwas loswerden will. Irgendwann wird mir die Stille zu blöd. Ich verdrehe die Augen und sehe ihn an.

„Gut, ich rufe sie an. Aber nur Kiplyn zuliebe.“

„Sicher, dass du das nicht deinetwegen machst?“, spottet Roadkill augenzwinkernd.

Ich zucke mit den Schultern. Ich könnte ihm etwas vormachen und behaupten, dass sie mir egal ist, aber ich bin kein Lügner. Zumindest normalerweise nicht.

„Hauptsächlich Kiplyn zuliebe“, murmle ich.

Er lacht, wechselt dann aber glücklicherweise das Thema und beginnt, über Autos zu reden. Ich erzähle ihm von dem Typen von vorhin, der einen etwas klassischeren Sportwagen will und dafür keine Kosten scheut. Dann stecken wir die Köpfe zusammen und beginnen, etwas in der Art hier in der Nähe zu suchen. Es würde mir auch nichts ausmachen, ein paar hundert Kilometer zu fahren, um den Wagen abzuholen.

Nach dem Essen mache ich mich wieder am Auto zu schaffen, doch dann klingelt mein Handy. Ich habe den Ton auf laut gestellt. Es wundert mich, dass ich das Bimmeln überhaupt gehört habe, denn normalerweise bin ich so in meine Arbeit vertieft, dass ich nichts mitbekomme.

Ich werfe einen Blick auf das Handy und halte inne. Mein Herz macht einen Sprung, als ich den Namen auf dem Bildschirm lese. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich habe Roadkill zwar versprochen, dass ich sie anrufen würde, doch ich bin mir nicht sicher, ob ich das auch wirklich getan hätte.

Ich nehme den Anruf an und lege mir das Handy ans Ohr.

„Agony“, melde ich mich knapp.

Stille.

Plötzlich höre ich ein leises Wimmern, dass alle Alarmglocken in mir schrillen lässt, doch ich bin nicht dazu fähig, zu reagieren. Sie hat sich verdammt noch mal einfach aus dem Staub gemacht und seitdem keine meiner Nachrichten oder Anrufe beantwortet. Sie ist einfach abgehauen.

„Ich glaube, ich brauche Hilfe“, flüstert sie.

Ihre Stimme klingt so zerbrechlich. Ich frage mich, ob das echt ist oder ob sie mir nur etwas vorspielt. Ich bin mir nicht sicher, obwohl ich nicht glaube, dass sie irgendwem etwas vormachen würde. Andererseits hätte ich auch nie gedacht, dass sie einfach so verschwinden würde, vor allem, wenn man bedenkt, wie sie Kiplyn und die anderen Old Ladies zurückgelassen hat.

„Sag mir, warum zum Teufel du abgehauen bist“, fordere ich.

Sie schweigt und ich vermute, dass sie aufgelegt hat. Doch dann vernehme ich ihr Schluchzen.

„Das tut nichts zur Sache. Ich kann es dir nicht sagen. Würdest du bitte einfach kommen und mich abholen?“

Ihre sanfte Stimme wird etwas lauter und ich merke, dass sie verärgert und vielleicht sogar sauer ist. Schön. Ich bin ebenfalls angepisst.

Scheiß drauf.

Und scheiß auf sie, weil sie mir und ihrer Familie so abrupt den Rücken zugekehrt hat. Denn ob ihr das passt oder nicht, wir sind ihre Familie. Die Devil’s Hellions haben sie mit offenen Armen empfangen, und ihr war das egal.

„Nein, das werde ich nicht. Nicht, bis du mir erklärst, was zum Teufel hier vor sich geht.“

Als sie knurrt, verziehe ich die Lippen zu einem Grinsen. Ich liebe es, wenn sie frech wird. So habe ich sie am liebsten. Deshalb habe ich sie immer geärgert, denn ich finde es verdammt sexy. Das ist jedoch nicht der Grund, weswegen ich mich jetzt so verhalte. Es geht mir einzig und allein darum, die Wahrheit aus ihr herauszubekommen. Diesmal werde ich sie nicht ohne verdammt guten Grund von der Angel lassen.

„Das spielt keine Rolle. Ich brauche einfach nur deine Hilfe.“

Scheiße.

Ich will ihr unbedingt helfen. Ich will ihr Ritter sein und sie retten. Doch das kann ich nicht, nicht so. Sie muss anfangen, uns in ihr Leben und ihre Probleme einzuweihen. Sobald sie das tut, werde ich auf der Stelle bei ihr sein.

„Ich werde nicht kommen, bevor du nicht mit der Sprache herausrückst. Wenigstens ein bisschen.“

„Wie du willst“, zischt sie.