Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein - Till Angersbrecht - E-Book

Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein E-Book

Till Angersbrecht

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Erotik
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Wie bekannt, hatte Borges die gesamte Vergangenheit des Menschengeschlechts vollständig in seinem Kopf gespeichert, kein Geheimnis dieser Welt war ihm fremd - was ihm fehlte, war die Kenntnis der Zukunft. Aus diesem Grund entschloss er sich, von der Maschine Gebrauch zu machen, die Wells vor mehr als einem Jahrhundert erfunden hatte. So gelang es ihm, die rätselhafte Zivilisation auf dem Mars zu erkunden. Unter dem Titel 'Die Besiedelung des Mars' wird dieses außerordentliche Zeitdokument seitdem einem archäologisch und kulturhistorisch interessierten Publikum zur Einsicht geboten. Doch Vorsicht! Der Leser sollte volljährig und in seinen staatsbürgerlichen Ansichten gefestigt sein, bevor er sich an die Lektüre der vorliegenden Chronik wagt. Wenn er dem neuerdings doch recht empfindsamen männlichen Geschlecht angehört, mag ihn manches befremden, im schlimmsten Fall sogar ernstlich erschüttern. Zweifellos hat Borges als profunder Kenner der menschlichen Geschichte erkannt, worin die eigentliche Großtat dieser untergegangenen Zivilisation bestand: in der Überwindung des Mannes.

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Till Angersbrecht

Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Was Borges in Marsopolis fand

Wie konnte das nur passieren?

Du kannst ja nichts dafür!

Der Quotenmann an und für sich

Die Selbstkastration des Major Trippschitz

Gemeinschaftsgut Liebe

Ein betäubendes Getränk, die Genies und das Reich der Frauen

Auf dem Weg zu den Niagaras

Am Quell des Himmlischen Lichts

Die Rede der Ersten Holden

Die Stimme aus dem Nichts

Moozaars Requiem

Mariona

Die Hingestreckte

Eine Einladung besonderer Art

Der orangefarbene Brief

Sie lauert mir auf!

Madame Curry und die Dogge

Nur Engel sind vollkommen

Du geiles Fischweib!

Keiner werfe den ersten Stein

So ein Knirps!

Eine Vision von erhabener Schönheit

Ich bin plenipotentiell!

Bei den Köchen

Ego dreht durch und verschluckt die Pik Königin!

Er ist doch als Botschafter gekommen!

Die pättabilierte Harmonie

Aber wo sind hier die Mörder?

Ein Kapitel, wo von nacktem Fleisch die Rede ist

Das Bildnis der Holden

Der alte Mann und der Irre

Du treuloses Nichts!

Wie schade, dass du trotz allem ein Mann bist!

Die Expertise

Der Penisneid und die männliche Logik

Ein Schwanz wie der andere – die glorreiche Revolution

Die unglaubliche Verheißung!

Die Botin

Im Orangenhain

Ego ordnet seine Gedanken

Der Pavillon

Der Geheimstuhl zur Unterwelt

Ein weiterer Fall

So war Ella

Bei den Genies

Georgi

Graul

GK

Mit den Femen musste man rechnen

Der Watson-Effekt

Das salomonische Urteil: Juristisch sind sie Sachen

Lappel

Das große Marsprojekt: die Sprachreinigung!

Der Griff zur Sternenplasmaschere

Wie wenig der Mann doch zur Liebe taugt!

Frau Einstein und die göttliche Newton

Endlich! Der Tag der Orgie-Porgie-Mysterien

Identitätskrisen: Wie es zur Entstehung der Stadtviertel in Marsopolis kam

Mein Rat an die Nachwelt

Warum werfen sie die Hülle nicht ab?

Da ist sie wieder: die Stimme aus Nirgendwo

Ein schwarzes Kapitel in der Geschichte unserer Stadt

Ich bin eine Ehrenfrau!

Der Staatsstreich

Schatten über dem Paradies

Heldenhaft fürs Mutterland gestorben!

Die Holden verhungern

Und wieder die Stimme – dieselbe Stimme wie damals

Ich habe Angst um dich!

Verdi, Verdi, Verdi!

Der endlose Tunnel

Die Silberstadt unter dem Wüstensand

So ist das Patriarchat

Röhrenförmige, schimmernde Gebilde

Im Scheinwerferstrahl!

In der Zelle gefangen

Gunkels Wille geschehe!

Das rote Buch

Die Vorteile lauten Lesens

Ungeklärte Intelligenz

Wie ich der Zelle entkomme

Der Herbst des leichten Sinnes

Alice bekommt eine Frisur

Die Liebessteuer wird aufgehoben

Du hast doch alles erreicht!

Nichts als Gedichte

Tod eines sehr alten Mannes

Eine Zeit der Sorglosigkeit

Die Pyramide und die Musik der himmlischen Sphären

Enttarnung eines Genies

Der Prozess

Ego packt aus

Hochverrat

Ab in die Hölle!

Nichts wächst in dieser Wüste

Männer aus Stahl und Bergkristall

Meine Aufzeichnungen!

Wo ist Ella?

Impressum neobooks

Was Borges in Marsopolis fand

Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein

Till Angersbrecht

Es war als hätt die Himmelin

die Erde still geküsst,

dass sie in Blütenschimmerin

von ihr nun träumen müsst.

Die Luft ging durch die Feldinnen

Die Ähren wogten sacht.

Es rauschten leis die Wäldinnen,

so sternklar war die Nacht.

Ego: aus dem Nachlass einer großen Zivilisation

Als er sich im Jahr 27 nach MM (2072 n. Chr.) von der Zeitmaschine auf den Mars katapultieren ließ, konnte Borges nicht ahnen, was ihn dort erwartete: ein Trümmerfeld. Aber in halbverkohlten Aufzeichnungen stieß er auf die obigen Verse, anderen Rand er die folgende Bemerkung mit Ausrufezeichen schrieb: „Welch wundersame Überwindung des männlichen Prinzips!

Wie bekannt, hatte Borges, dieser große Dichter und emsige Kundschafter aus der Nationalbibliothek in Buenos Aires, die gesamte Vergangenheit des Menschengeschlechts vollständig in seinem Kopf gespeichert, kein Geheimnis dieser Welt war ihm fremd - was ihm fehlte, war die Kenntnis der Zukunft. Aus diesem Grund entschloss er sich, von der Maschine Gebrauch zu machen, die, von Wells vor mehr als einem Jahrhundert empfunden, erst in unserer technisch fortgeschrittenen Zeit, und zwar in einer unscheinbaren Garage des Silicon Valley, ihre letzte Vollendung erhielt. Dem Verfasser unsterblicher Werke gelang es tatsächlich, die rätselhaft untergegangene, äußerlich völlig zerstörte Zivilisation auf dem Mars zu erkunden. Die Chronik der geheimnisumwitterten Stadt Marsopolis mitsamt den oben zitierten Versen, die Borges durch ihre eigenwillige Form so sehr überraschten, verstaute er nebst anderen Objekten in seinem Koffer und hinterlegte auf seinem Rückweg, bei dem er zugleich die Barrieren von Raum und Zeit überwand, alles Gefundene im Londoner Britischen Museum. Unter dem Titel „Die Besiedelung des Mars” wird dieses außerordentliche Zeitdokument seitdem einem archäologisch und kulturhistorisch interessierten Publikum zur Einsicht geboten, wenn auch weitgehend unentziffert und auch nur als Faksimile. Ob Borges die außerordentliche Bedeutung dieser Chronik erkannte, weiß ich nicht – die Verse allerdings hat, wie der obige Eintrag bezeugt, ausdrücklich in ihrer historischen Bedeutung gelobt. Als profunder Kenner der menschlichen Geschichte war ihm bewusst, dass die untergegangene Zivilisation auf dem Mars eine Großtat vollbrachte, die bis dahin niemals gelungen war: die Überwindung des Mannes.

Allerdings ist die uns glücklicherweise erhaltene Chronik selbst das Werk eines Mannes, eines Außenseiters allerdings, der auf dem Mars einem verachteten Beruf oblag, nämlich dem eines Quotenmannes. Vielleicht aber haben wir ja gerade dem niederen Rang und dem Außenseitertum dieses Mannes das Glück zu verdanken, von der fortschrittlichsten Zivilisation des 21. Jahrhunderts eine so detailreiche und anschauliche Schilderung zu erhalten. Hier spricht einer, der unsäglich an sich selber litt und uns deswegen umso eindringlicher zeigt, wie eine vollkommene Welt und Gesellschaft eigentlich aussehen müsste. Ich glaube, dass niemand, der sich mit den Aufzeichnungen Egos über Marsopolis, die Stadt auf dem Mars, befasst, unberührt von dem Schicksal der dort lebenden Menschen bleibt und sich der Faszination ihres so vom unseren so radikal abweichenden Lebens zu entziehen vermag. Der Untergang dieser kurzlebigen Zivilisation gibt allerdings umso mehr Grund zur Nachdenklichkeit. Warum musste gerade eine Zivilisation untergehen, die der unsrigen in vieler Hinsicht so sehr überlegen war?

Waren es vielleicht die lockeren Sitten, war es die leider auch auf dem Mars nie wirklich überwundene Verlockung zur Sünde, die diesen Untergang herbeigeführt haben? Was Borges betrifft, so stand dieser jenseits aller Moral, er hätte sich von solchen Erwägungen in seinem Urteil nie beirren lassen, aber ich als der Herausgeber dieser Schrift, sehe es doch als meine Pflicht an, den Leser zu warnen. Er sollte auf jeden Fall volljährig und in seinen staatsbürgerlichen Ansichten ausreichend gefestigt sein, bevor er sich an die Lektüre der vorliegenden Chronik wagt. Vor allem, wenn er dem neuerdings doch recht empfindsamen männlichen Geschlecht angehört, mag ihn manches befremden, im schlimmsten Fall sogar ernstlich erschüttern.

Ansonsten habe ich nur noch hinzuzufügen, dass meine Aufgabe eigentlich nur die eines bescheidenen Handwerkers war, der sich auf sein graphologisches Geschick und seine Augen verlassen musste, denn der Zahn der Zeit und ein während der Zerstörung von Marsopolis ausgebrochenes Feuer haben den handschriftlichen Seiten arg zugesetzt. Es ging darum, die teilweise schwer lesbare und noch dazu rauchgeschwärzte Schrift des Quotenmannes fehlerfrei zu entziffern, damit dieses großartige Zeugnis einer Zivilisation, die für einige Jahre das leuchtende Zentrum des Universums war, jedem zugänglich sei.

Till Angersbrecht

Wie konnte das nur passieren?

Sein Name war Ego – schlicht und einfach Ego ohne jede Vor- oder Nachbezeichnung. Aber er war weder ein Egoist noch konnte er sich eines besonderen Ichgefühls rühmen, wie der Name ja eigentlich nahelegt. Im Gegenteil, sein Ich war kümmerlich unterentwickelt, denn in aller Selbstlosigkeit ging er voll und ganz im Dienst der Gemeinschaft auf. Glück brachte ihm dieser Dienst freilich nicht. Wenn man seit beinahe zwei Jahrzehnten in Marsopolis, der Stadt der Frauen, mit diesem Ding herumlaufen muss, dann liegt das Glück eher fern!

Dabei fehlte es Ego keinesfalls an professioneller Korrektheit. Immerhin war er dafür verantwortlich, den hochverehrten Bewohnerinnen der oberen Stadt ein wenig von jener Lust zu verschaffen, die ihnen offiziell ganz verboten ist und auf die dennoch so viele von ihnen – sagen wir ruhig, beinahe alle - nicht verzichten können und wollen, denn das Ideal völliger Entsagung von aller Sünde hat der Mensch eben nirgendwo verwirklicht - auch nicht in Marsopolis, dem bis heute fortschrittlichsten aller von Menschen bewohnten Ansiedlungen.

An diesem Tag, wo wir Ego zum ersten Mal begegnen, hatte ihn eine besonders unscheinbare Bewohnerin auf dem Gang zum ersten Obergeschoss angesprochen. Jede Frau weiß ja, welchen Diensten Ego in dieser Stadt obliegt. Nicht an seiner Kleidung erkennen sie es und schon gar nicht an einem äußerlich ungehörigen Betragen, nein, in dieser Hinsicht ist Ego ohne Fehl und Tadel. Sie erkennen es an dem etwas röteren, zweifellos der Schminke zu verdankenden Rot seiner Lippen.

Ja, und dann ist da noch die Frisur. Die Frauen in Marsopolis tragen sie zu kunstvollen Gebilden geschichtet, die sie mit Kämmen am Kopf fixieren, aber Ego und seinesgleichen, von denen es in der Oberstadt noch an die zweihundert gibt, lassen ihr Haar glatt auf die Schultern fallen – ihre geringe Stellung und Außenseitertum erkennt frau deshalb schon aus der Entfernung. Außerdem ist ihm ein Anflug von Dunkelheit zwischen Nase und Oberlippe geblieben, wofür er sich ganz besonders schämt. Trotz größter Bemühungen hat sich dieser Restbestand seiner ursprünglichen Natur nicht völlig beseitigen lassen. Jeden Morgen, wenn Ego sich im Spiegel erblickt und für den Tag herausputzt, blickt er mit tiefer Bekümmernis auf dieses unaustilgbare Brandmal einer geburtsbedingten Zweitrangigkeit.

Doch da er am heutigen Tag guter Dinge ist, wollen wir diesen Bericht nicht mit Jammerei beginnen, zumal wir uns auf dem Mars befinden, wo der Mensch seine erste, ganz und gar mangelhafte Natur überwand, um sich eine zweite und dritte Natur zu kreieren, mit anderen Worten sich selbst völlig neu zu erschaffen. Das ist freilich eine Geschichte, die ich erst nach und nach erzählen werde. Vorerst haben wir es nur mit Ego selbst zu tun, diesem missglückten Exemplar des neuen Menschen. Der Grund, warum wir uns aber gerade seiner Person zuwenden, ist nicht schwer zu verstehen: In Marsopolis wird etwas Unvorhergesehenes geschehen, etwas, das gar nicht geschehen dürfte – Ego aber wird als Held im Mittelpunkt dieses Geschehens stehen, obwohl er doch von Natur aus alles andere als ein Held ist und auch niemals danach strebte, einer zu sein.

Ein Mensch wie Ego – die Bezeichnung „ein Mann wie Ego“ sollten wir ihm ersparen, denn er wollte diesem Geschlecht ja niemals angehören – ein solcher Mensch geht ganz im Dienste am Nächsten auf: im wortwörtlichen Sinne ist er ja öffentlicher Besitz. Alle Frauen der Oberwelt haben ein Recht auf ihn. Auf einen Wink – einen ganz unauffälligen Wink, versteht sich, denn sündhaftes Treiben muss sich hier wie sonst auf der Welt sorgfältig verbergen – auf einen solchen Wink muss Ego jeder sofort zu Willen und Diensten sein, das gehört zu seinem Berufsethos, das ist es, was die Frauen von Marsopolis von ihm erwarten.

An diesem Tage begegnete Ego einer unscheinbaren Person namens Ella. Wie schon gesagt, liegt in einer solchen Begegnung nichts Außergewöhnliches, im Gegenteil, sie gehört zum Alltäglichsten in seinem Leben. Aus irgendeiner Wabe – so werden hier die eng aneinandergedrängten Wohnungen genannt – schaut ein weiblicher Kopf hervor, ein Arm reckt sich vor, tippt ihm auf die Schulter, und schon beginnt eine neue Arbeitsstunde. Das ist an und für sich völlig normal. Die Lust überkommt den Menschen ja meist ohne Vorbereitung, sie fällt sozusagen aus heiterem Himmel – für die fortschrittliche Frau auf dem Mars gilt das genauso wie für die Bewohner anderer Himmelskörper. Ella hatte sich ihm von hinten genähert, sie bemerkte sein glatt auf die Schultern herabfallendes Haar und vorsichtshalber warf sie auch noch einen Blick auf seine geschminkten Lippen. Eigentlich war sie ein schüchternes, zurückhaltendes Wesen, doch selbst diese Schüchternheit kam nicht gegen jene Urgewalt an, welche der Fachmann mit dem Wort „Libido” oder “Begehren bezeichnet. Schüchterne Naturen sind dieser Gewalt ebenso ausgeliefert wie schamlose Draufgänger(innen).

Ella tupfte Ego also nach der hier üblichen Art mit vorgestrecktem Zeigefinger auf die Schulter, woraufhin dieser ihr, ohne zu zögern, zu ihrer Wabe folgte.

Ein Schwarzhaarige aus dem Südbezirk, dachte sich Ego, deswegen tupft sie mir so behutsam auf die Schulter. Ganz anders als die Silberhaarigen aus dem Norden, das sind Draufgängerinnen, die keine Hemmungen kennen.

Die Wabe der Schüchternen unterschied sich allerdings in keiner Hinsicht von den vielen anderen, die Ego bis dahin besuchte. Da gibt es die große Truhe für die Toilette, in der sich die zwei Tageskleider befinden und – abgesondert in einem etwas größeren Wandschrank - das Festkleid für den Tag der Göttin Eana. Daneben befinden sich dann noch die Regale für die vielen bunten Pantoffeln, mit denen frau auf Marsopolis einen wirklichen Kult betreibt, und dann ist da natürlich noch das breite Lager, das in aller Regel groß genug ist, um wenigstens Platz für drei Personen zu bieten, denn ihre erotischen Bedürfnisse stillen die Frauen auf Marsopolis nicht selten mit zwei Freundinnen zugleich, wozu sie die besten Gründe haben, denn die ungerade Zahl, und vor allem die Drei, genießt auf dem Mars eine herausragende Bedeutung.

In der tiefen Ehrfurcht vor der heiligen Drei liegt ein zusätzlicher Grund, warum jede Frau, die sich nur zu zweit vergnügt, besondere Gewissensbisse verspürt. Diese werden zu purer Qual, wenn die zweite Person kein Vertreter des edlen Geschlechts ist, sondern wie Ego aus dem Restbestand früherer Zeiten stammt, also, wie man es hier abschätzig nennt, ein bloßes Männchen ist.

Ego weiß um den inneren Zwiespalt, in den sein Erscheinen und sein Beruf die Frauen auf dem Mars regelmäßig versetzt. Es betrübt ihn, wenn er erleben muss, wie diese zarten Wesen ganz entsetzlich mit sich kämpfen, während sie ihm auf die Schulter tupfen und sich von ihm zu ihrer Wabe folgen lassen. Einerseits quält es sie, dass sie gerade den Weg zur Sünde beschreiten, andererseits hält sie die innere Qual dennoch nicht von ihrem Vorhaben ab, denn der Mensch, und, ja, auch die Frau auf Marsopolis hat sich leider bis heute von der Sünde nicht losreißen können. Mögen Zwiespalt und innerer Kampf sie noch so sehr in Aufruhr versetzen: Kaum sind die Damen mit Ego allein, stürzen sie sich regelrecht auf und über ihn, denn alle vergehen vor Neugierde nach dem „Ding”.

Doch Ella war anders, auch wenn ihr anfängliches Verhalten auf die übliche Art verlief. Sie ging Ego durch die Tür ihres Zimmers voran und bat diesen, einen Augenblick an der Schwelle stehenzubleiben. Direkt über der Tür ist nämlich in jeder Wabe das sogenannte „Gewissen” montiert, eine kleine Kamera, die den ganzen Raum überblickt und den Holden im Fünften Reif gestochen scharfe Bilder über alles liefert, was in einer Wabe geschieht. Auf Marsopolis wird das Gewissen auch das „Auge Eanas” genannt. Es versteht sich, dass die Göttin nichts von dem sündhaften Treiben erblicken darf, das sich hier in Kürze abspielen wird. Deswegen griff Ella nach einem Tuch, womit sie das Gewissen verdeckt. Erst danach erteilt sie Ego mit einem Wink die Erlaubnis zum Betreten des Raums.

Doch dann setzte sich Ella zu Egos Erstaunen auf einen Stuhl und schlug die Augen nieder, ganz so als wäre sie auf einmal von ihrer eigenen Kühnheit gelähmt. Sie stürzte sich durchaus nicht auf das Männchen, riss ihm auch nicht die Kleider vom Leib, wie Ego es von den anderen Frauen gewohnt ist, sondern saß unbeweglich, beinahe starr auf ihrem Stuhl. Das war natürlich sehr verwirrend für Ego, doch sah er darin eine großartige Chance, der schüchternen Frau sein hohes professionelles Ethos zu demonstrieren. Um den höchsten Anforderungen seines Berufes zu genügen, hatte er nämlich in seinen Mußestunden alles an eleganten Bewegungen und choreographischem Zierrat erlernt, was den Kunstsinn der Frauen anzustacheln und zu verfeinern vermag.

Sie sind ein besonders kunstliebendes Geschlecht, sagte sich Ego. Deswegen bin ich es ihnen schuldig, nicht nur ihre physiologischen Bedürfnisse anzusprechen, sondern ihren Drang zu Kultur und Bildung.

Dazu war ihm der niedrige Tisch gerade recht, der den Mittelpunkt jeder Wabe bildet. Für seine Kunst der Entblätterung stellte er sozusagen ein natürliches Forum, eine Estrade und Bühne dar. Früher einmal sah sich Ego als großen Künstler gefeiert, der den animalischen Trieb auf dem Mars vergeistigen und am Ende ganz sublimieren würde. Leider musste er die Enttäuschung erleben, dass so manche, die ihm auf die Schulter klopfte, nicht den geringsten Bedarf nach Sublimierung verspürte. Fanden die Frauen es zu Anfang noch sehr erregend, das Männchen auf dem Tisch spielen und tänzeln zu sehen, so war ihnen schon beim zweiten und dritten Mal das Bedürfnis nach den höheren Reizen der Kunst vollständig vergangen. Sie wollten dann nur noch, wie frau es in Marsopolis auszudrücken beliebt, ganz einfach „zur Sache kommen”.

Man kann sich denken, wie sehr dieses Vorgehen Ego kränken, ja mit der Zeit erbittern musste: Er erblickte darin eine äußerste Geringschätzung seiner Person.

„Sie wollen doch immer nur dasselbe“, sagte er sich und war manchmal drauf und dran, von den Frauen enttäuscht zu sein, die er doch für höhere Wesen hielt. Doch letztlich bestärkte ihn auch diese Enttäuschung nur zusätzlich in seiner Selbstverachtung, denn in solchen Momenten fühlte er sich ganz und gar auf das unselige „Ding” reduziert, herabgewürdigt zu einem Instrument und Gebrauchsgegenstand. Aber er lehnte sich nicht gegen sein Schicksal auf. Wenn man wie die Frauen zu den höheren Wesen zählt, dann hatte frau auch eben ein Recht, mit einem erbärmlichen Männchen wie ihm auf diese Art zu verfahren.

An diesem Tag war jedoch alles anders. Obwohl keineswegs schön zu nennen oder in irgendeiner Hinsicht die Aufmerksamkeit auf sich lenkend, erwies sich Ella von Anfang an als ein außergewöhnliches Geschöpf. Sie hielt ihn durchaus nicht zurück, als er den Tisch bestieg, um ihr die geistige Dimension seiner Kunst zu beweisen. Vielmehr erfreute sie sich an jeder Bewegung, die er mit Armen und Beinen tänzelnd vor ihr vollführte. Dabei blickte sie ihn so versonnen und träumerisch an! Selbst als der vorläufige Höhepunkt seines Auftritts schließlich erreicht war und Ego – nur mit dem haarlosen Fell bekleidet, das dem Menschen von Natur aus zugedacht ist – in aller Blöße vor ihr stand, schien sie noch immer unter dem Eindruck seiner Kunst zu stehen.

Ein geistiges Geschöpf!, dachte Ego.

Natürlich galt auch Ellas sinnender und verwunderter Blick in erster Linie dem Ding, das die Frauen in Marsopolis ja nicht kennen und dessen Anblick sie deshalb mit Staunen erfüllt. Die traurige Deformation, die ihn selbst bei seinem allmorgendlichen Blick in den Spiegel stets von neuem deprimierte, weil sie den eigentlichen Makel seiner Existenz ausmachte, war für die Frauen, wenn sie zum ersten Mal einen Blick darauf warfen, etwas erschütternd Neues. Mehrfach hatte Ego erlebt, dass sie sich mit einem Schrei des Abscheus zur Seite wandten, oder dass andere hysterisch zu lachen begannen - manchmal so laut, dass er sie zur Vorsicht mahnen musste, denn Begegnungen mit seiner Person mussten ja nach außen sorgsam verheimlicht werden.

Andere Frauen hingegen, die Ego im Gespräch mit sich selbst als „wissenschaftlichen Typus” bezeichnete, griffen ungeniert zu, um die Konsistenz und das weitere Verhalten des Dings zu prüfen. Fassungslos aber waren im ersten Moment beinahe alle.

Kein Wunder, sagte sich Ego, mir würde es doch ganz genauso ergehen. Der Körper der Frauen lässt keine Steigerung im Grad der Vollkommenheit zu, eine schöne gleichmäßige Rundung schließt die Stelle ab, wo die Beine dem Rumpf entwachsen und verleiht diesem ein erhabenes Relief. Bei mir aber, dem unseligen Männchen, hängt dieser missgestaltete Schlauch hervor, ein Schwanz, ein verkümmertes drittes Bein oder ein Stachel, wie immer man die Sache bezeichnen will.

Ego hatte sich die Sicht der Frauen auf seine Person also völlig zu eigen gemacht. Umso mehr überraschte, ja verwirrte es ihn, dass dieses schüchterne Wesen an seiner Seite ihm gegenüber ein neues, ganz und gar ungewohntes Verhalten bewies. Träumerisch blickte sie an ihm hinauf und hinab, während er auf dem Tisch vor ihr stand. Sie wagte ihn zuerst überhaupt nicht zu berühren. Dann aber sprach sie einen Satz, der ihn im ersten Moment so sehr verstörte, dass sogar seine professionelle Erregung darunter litt.

Du bist schön!, flüsterte sie.

Das war unerhört und versetzte Ego anfangs in größte Verwirrung. Inzwischen ist ihm natürlich bewusst, was dieser Satz zu bedeuten hatte. Es war etwas geschehen, was eigentlich niemals geschehen durfte, weil seine Profession und die hohe Stellung der Frau auf dem Mars ein solches Vorkommnis grundsätzlich verboten. Ego und die wenigen anderen „Männchen”, die sich die Frauen in der Oberwelt hielten, waren Gemeinbesitz, auf die jede Frau das gleiche Recht und den gleichen Anspruch besaß. Und deswegen kam eben überhaupt nicht Frage, was sich nun trotz allem ereignet hatte.

Ella hatte sich in ihn verliebt – und, noch viel schlimmer: Ihm selbst erging es ihr gegenüber ganz genauso.

Dabei war dieser träumerisch gesprochene Satz doch völlig unsinnig und geradezu krank! Jeder Mensch, d.h. jede Frau auf Marsopolis, hat doch schon in der Schule gelernt, dass ein Mann niemals schön ist, gar nicht schön sein kann, denn der Mann ist eine Fehlplanung, ein Irrtum, ein Missgriff der Natur.

Du kannst ja nichts dafür!

sagte Ella, und das war die reine Wahrheit. Ego konnte wirklich absolut nichts dafür.

Sie sagte das wieder auf ihre verträumte Art, und diesmal berührte sie Ego auch, aber an seiner Hand und zog ihn zu sich auf das Sofa. Er sollte neben ihr sitzen.

Du hast recht, sagte er. Hat mich denn jemand gefragt, ob ich ein Mann werden will? Oben im Vierten Reif haben mich die Genies nach letzten wissenschaftlichen Erkenntnissen entworfen. Du weißt ja, die Produktion neuer Geschöpfe liegt völlig in ihrer Hand. Wissenschaftlich gesehen, bin ich ok - das setzte er mit einem Anflug von Selbstbewusstsein hinzu. Hier bei uns auf Marsopolis kriecht keiner mehr blutverschmiert aus dem Leib einer Frau wie die Gebürtigen unten auf Gaia. In einer Petrischale angesetzt haben sie mich, die Genies, und den Zellhaufen anschließend sorgfältig gezogen, nicht ein einziger Blutstropfen wurde dabei vergossen. Dann haben sie mich – ich meine diesen winzigen, anfänglich kaum sichtbaren Zellklumpen - in den Brutgenerator gelegt, und daraus ist dann erst einmal der Embryo entstanden, bevor ich am Ende das wurde, was Du jetzt vor Dir siehst, nämlich ein Mann namens Ego.

Ja, ja, sagte Ella, das weiß ich, und ich freue mich, dass es so ist.

Er nickte. Insoweit hatte alles durchaus seine Richtigkeit. Aber gerade, weil Ella so verständnisvoll sprach, weil sie immer noch neben ihm saß, und sein Gehirn auf Hochtouren lief, statt dass er seine Pflicht erfüllte, wurde ihm auf einmal sein ganzes Unglück bewusst. Er war eine Sonderanfertigung und als solche wurde er Tag für Tag erneut mit der Grundfrage konfrontiert: Warum gerade ich? Warum musste ich, Ego, diese Welt als ein Mann betreten?

Im Grunde war Ella schuld an diesem Schwächeanfall. Normalerweise wäre er doch längst in Aktion getreten, während er jetzt immer noch unbeschäftigt neben ihr saß. Aber sie war scheu wie ein Reh, eine Anfängerin, deswegen überkam ihn gerade jetzt wieder die Erinnerung an sein Unglück. Er bedeckte mit der Hand seine Augen, damit die Frau neben ihm seinen Schmerz nicht bemerkte, denn natürlich benahm er sich in diesem Moment auf geradezu beschämende Art unprofessionell.

Damit der Leser dieses Berichts keine voreiligen Schlüsse über die Zustände auf dem Mars daraus zieht, möchte ich zu Egos Gunsten betonen, dass er sich nie zuvor derart gehen ließ.

Warum, rief er mit gepresster Stimme, denn natürlich durfte niemand auf den Gängen oder in den Nachbarräumen seine rebellischen Worte hören, warum gibt es hier all diese hübschen, zierlichen, rundlichen, gefälligen Wesen, Frauen mit makellosen Leibern und hellen Gesichtern, während ich und die wenigen Männer, die sonst noch in der Oberwelt von Marsopolis leben, dazu verurteilt sind, mit diesem verunstalteten Leib zu leben?

Und er erzählte der immer noch still neben ihm sitzenden Frau, wie er fast jede Nacht davon träumte, eine der ihren zu sein. Wie er sich manchmal mit strahlendem Lächeln von seinem Bett erhob, zum Spiegel stürzte, weil ein glücklicher Traum ihm den Wahn eingeflößt hatte, die Nacht hätte ein Wunder an ihm vollbracht. Doch kaum enthüllte das verräterische Glas ihm seine wahre Gestalt, bricht die Welt gleich wieder für ihn zusammen.

Dann stehe ich vor dem Spiegel – Ego flüsterte jetzt mit gepresster Stimme -, und er ist immer noch da: dieser hässliche Schlauch, dieser Regenwurm, diese Liane, die mir wie ein Knüppel zwischen den Beinen hängt, ein durch und durch ungestaltes Gebilde, das mich auf jedem meiner Schritte schlenkernd begleitet. Gar nicht mehr anzusehen ist es, das Unding, wenn es sich in die Höhe richtet und dabei wie eine auf rot geschaltete Ampel Schreck oder Erstaunen um sich verbreitet. Jedenfalls fehlt dem Ding jeder praktische Wert, seit die rohe Natur auf Marsopolis von den Genies gezähmt und zur höchsten Vollkommenheit weiter entwickelt wurde. Wir alle wissen, das Ding ist so nutzlos wie der Blinddarm, die Weisheitszähne oder das Steißbein. Ja, die Gebürtigen auf Gaia waren noch darauf angewiesen, schon richtig; das archaische Instrument diente ihnen zur Befruchtung weiblicher Keimzellen. Aber wir, wir haben dieses Stadium doch längst überwunden!

Während Ego sich ganz in dieses Gejammer verlor, geschah auf einmal das Wunder, Ella küsste ihn ganz zart auf die Wange und, um ihn zu trösten, streichelte sie auch das Ding.

Es ist gar nicht wahr, sagte sie, dass wir Frauen schöner sind als die Männer. Ich jedenfalls finde den kleinen Wurm durchaus interessant. Er steht Dir doch, Du solltest mit Deinem Schicksal zufrieden sein!

Und mit leichtem Erröten fügte sie hinzu:

Auf jeden Fall hat er einmal eine ganz wichtige Funktion besessen. Manche Frauen auf Marsopolis behaupten, dass das Ding ihnen immer noch wichtig sei.

Ego nickte beflissen, glücklich darüber, dass er auf diese verständnisvollen Bemerkungen als halbwegs gebildeter Mensch sehr wohl zu antworten wusste. In seiner Freizeit hatte er nämlich ausgiebig gelesen. Marsopolis besitzt eine große Stadtbibliothek mit vielen Bänden, die noch vom blauen Planeten stammen. Zwar sind Abenteuer- und Liebesgeschichten schwer zu bekommen, da sie von einer Frauenhand in die andere wandern, doch daran war Ego kaum interessiert: In seiner Eigenschaft als öffentlicher Besitz durfte er ja von Liebe nichts wissen. Vorrangig hatte er sich daher mit der sogenannten ernsten Literatur befasst, also mit der Geschichte des Alls, des Menschengeschlechts und überhaupt mit den Wissenschaften. So hatte er sich mit der Zeit eine hübsche kleine Bildung in Sachen Gaia angelesen und war daher sehr froh, dass Ella ihm nun die Gelegenheit gab, etwas von diesem Wissen preiszugeben. Ein solcher Anlass wurde ihm bei seinen üblichen Frauenbesuchen leider so gut wie nie geboten.

Sogleich kam ihm ein kürzlich studiertes Buch aus der Hand eines Genies in den Sinn, auf dessen Umschlag der wunderbare Titel „Eanas Plan oder das Geheimnis der Schöpfung” prangte.

Sanft lehnte er sich gegen Ella, die ihre Brust schon entkleidet hatte, und flüsterte ihr ins Ohr.

Das Ding wurde zu Anfang noch gar nicht gebraucht - das haben die neuesten Forschungen ergeben. Denn in der frühesten Zeit hat sich der Mensch noch ohne alle Anstrengung fortgepflanzt. Das kannst Du an seinem anatomischen Aufbau erkennen, wenn Du mich oder auch Deinen eigenen Körper genau betrachtest. Nicht ohne Grund besteht jeder von uns aus zwei symmetrischen Teilen, nämlich einer rechten und einer linken Hälfte. Er hat ein Bein rechts und ein Bein links, er hat ein rechtes sowie ein linkes Auge, und so ist es auch bei Ohr, Arm und vielem anderen mehr. Die ursprüngliche Fortpflanzung fand also, wie wir heute wissen, einfach in der Weise statt, dass sich die beiden Hälften vertikal in der Mitte trennten, wobei dann der jeweils fehlende Teil aus jeder der beiden Hälften allmählich nachwucherte. Das war die sogenannte Fortpflanzung durch Hemitomie, die im Reich der primitivsten Wesen, der Bakterien, bis heute die Methode der Wahl darstellt.

Diese Sätze gingen Ego ganz flüssig über die Lippen. Er erstaunte selbst über seine umfängliche Bildung und geriet geradezu in Verlegenheit, weil Ellas Blicke mit wachsender Ergriffenheit auf ihm ruhten. Um aber vor ihr nicht als trockener Wissenschaftler zu erscheinen, denn er wusste wohl, dass so ein Eindruck der Leidenschaft wenig bekömmlich ist, drückte er ihr schnell einen Kuss auf die Wange und fügte, gleichsam als Entschuldigung, hinzu.

Dieses Fremdwort musst Du Dir aber nicht merken.

Er konnte es aber doch nicht lassen, sie weiter über das Geheimnis der Fortpflanzung aufzuklären:

Natürlich wies das Verfahren der Hemitomie, so schlicht und elegant es auch war, einige nicht zu vernachlässigende Nachteile auf. So konnten sich die ursprünglichen, über längere Zeit unvollständigen Hälften nicht normal fortbewegen, sondern nur auf hüpfende Art wie die Kängurus.

Ella lachte: Oh, das hat doch sicher sehr komisch ausgesehen!

Gewiss, pflichtete Ego ich bei, das war gewiss überaus komisch, aber die nachwachsenden Hälften haben außerdem noch an Phantomschmerz gelitten. Sie spürten bereits ein Reißen und Ziehen in den nachwachsenden Gliedern, als diese praktisch noch gar nicht vorhanden waren. Aufgrund der vielen Vorwürfe, denen sich unsere Urmutter Eana wegen dieses Missstands von ihren eigenen Geschöpfen ausgesetzt sah, fühlte sie sich schließlich genötigt, ein anderes Verfahren zu erproben.

Ego machte ein betrübtes Gesicht und zeigte auf sein Geschlecht. Ja, siehst Du, so hat es sich zugetragen. Eana führte ein neues Verfahren ein, und eines der Ergebnisse dieser Umwälzung sitzt nun neben Dir. Eana schuf den ersten Mann namens Adam aus dem Schenkel des damals noch eingeschlechtlichen Menschen und heftete ihm das „Ding“ zwischen die Beine, damit sein Same auf diesem Wege in den Leib einer Frau gelangt.

Jetzt war es Ella, die ihrem Besucher ganz schnell einen Kuss auf die Wange drückte.

Es ist doch gar nicht so schlimm, meinte sie tröstend. Immerhin wärest Du in Marsopolis arbeitslos ohne das Ding.

So gut es gemeint war, es fiel Ego schwer, sich über dieses Trostwort zu freuen.

Wie Du weißt, sagte er, war diesem Experiment unserer Urmutter keine Dauer beschieden. Ihre ureigenen Geschöpfe, die Frauen, hatte die Göttin mit einer so gewaltigen neuronalen Potenz ausgestattet, dass sie ihre Entwicklung nun selbst in die Hände nahmen. Das Ergebnis kennst du so gut wie ich. Der neue Mensch wird auf Mars wissenschaftlich gezüchtet. Das „Ding” wurde überflüssig und ist heillos veraltet. Für die Erhaltung der Art werden Leute wie ich nicht länger gebraucht. Nun begreifst Du, warum...

Ego brauchte den Satz nicht zu Ende sprechen, er hatte nicht nur sich selbst, sondern auch seine Gefährtin zu Tränen gerührt. Es glänzte in ihren Augen und sie schmiegte sich jetzt in schöner Nacktheit immer enger an seinen Leib.

Aber es stimmt doch nicht, flüsterte sie, dass ihr Männer ganz und gar wertlos seid. Im Gegenteil, ohne euch würde die Stadt nicht überleben. In der Unterwelt erfüllt der Mann bis zum heutigen Tag eine unverzichtbare Funktion. Deine Brüder dort unten – sie wies mit der Hand zum Boden - werden als Muskelwesen geplant und systematisch für ihre Aufgaben vorbereitet. Und Du, mein Lieber, hast zwar wenig Muskeln, sie kniff ihm liebevoll in den Arm, aber dafür hast Du das Ding. An deiner Stelle würde ich stolz darauf sein.

Nach Art aller glücklichen Frauen auf dem roten Planeten, hatte Ella diese Worte ohne viel Nachdenkens hingesprochen, aber Ego fühlte sich tief getroffen. Die Erinnerung an die Männer der Unterwelt und die darin ausgesprochene Gleichsetzung mit ihm selbst versetzten ihm einen schmerzhaften Stich.

Nein, das waren nicht seine Brüder, das waren Arbeitstiere, stumpfe, dressierte, geistlose Wesen, die in Marsopolis für all jene Frondienste eingespannt wurden, mit denen die Frauen aufgrund ihrer verfeinerten geistigen wie körperlichen Konstitution nichts zu tun haben wollten, für die sie gar nicht geschaffen waren.

In der Oberstadt wurden diese Arbeitstiere „Köche” genannt, aber niemand wusste warum. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte sich die Bezeichnung auf dem Mars eingebürgert. Die Köche lebten unter der Erde, vom schönen Sternenhimmel wusste sie nichts, die heitere Sonne bekamen sie nie zu Gesicht. Aber das beunruhigte niemand in der Oberwelt, niemand wurde dadurch zu Mitleid bewegt. Wie jeder hier oben weiß, ist die Verbannung der Köche unter die Erde eine ganz natürliche und durchaus gerechte Strafe für alles, was sie auf Gaia den Frauen Jahrtausende lang zugefügt haben.

Ellas leichtsinnige Bemerkung über die unseligen Geschöpfe unter der Erde, hatte Ego die größte Pein bereitet, denn er wusste, dass er haushoch über diesen unterirdischen Wesen stand. Er war etwas unvergleichlich viel Besseres, er gehörte der Gemeinschaft der Frauen an. Er war ein Quotenmann!

Der Quotenmann an und für sich

Was in diesem Augenblick in ihm vorging, dürfen wir dem Leser nicht vorenthalten, andernfalls würde er die besondere Stellung Egos in der Welt der Frauen überhaupt nicht verstehen.

Durch die unbedachte Bemerkung seiner Gefährtin fühlte Ego sich nämlich in seiner Menschenwürde beschädigt. Die Köche, zischte es in ihm. Wie kann sie mich nur mit diesen armseligen, unglücklichen und erbärmlichen Geschöpfen vergleichen! Mich, Ego, hat frau von vornherein für die Oberwelt gewollt und geplant, zu der ich deshalb auch seit meiner Geburt gehöre. Ich darf unter den Frauen weilen, den Duft ihrer Körper atmen, mich an ihrem Lächeln erwärmen, meinen Geist an ihrer Weisheit schulen. Die Genies vom Vierten Reif haben meine Gensequenz auf männlich gepolt, weil es die Quote gibt. So einfach ist das. Etwa ein Prozent Männer dulden die Frauen in ihrer Mitte und ich darf einer von ihnen sein.

Ego konnte nicht länger an sich halten. Es platzte einfach aus ihm heraus:

Ihr braucht uns doch, wir Quotenmänner sind bei euch ständig im Dienst. Ihr achtet uns gering - natürlich, ihr seid uns ja in jeder Hinsicht weit überlegen, geistig und mit eurer unendlichen Gefühls- und Empfindungsfülle. Ihr seid die Kinder der Göttin, die euch nach ihrem Bilde erschaffen hat. Das bezweifelt ja niemand, und man sieht es euch ja an, wenn ihr uns mit mitleidigem Lächeln von oben herab betrachtet.

Seht doch nur diese traurigen und missratenen Exemplare der menschlichen Gattung, steht euch ins Gesicht geschrieben. Könnt ihr euch vorstellen, dass diese missgestalteten Wesen unsere Töchter, Mütter und Großmütter auf Gaia Jahrtausende lang auf grausame Art beherrschten, drangsalierten und zu ohnmächtiger Sklaverei verdammten?

So brach es aus Ego hervor, das einzige und wohl letzte Mal in seinem Leben. Aller aufgestaute Kummer über seine traurige Lage machte sich Luft bei dieser schüchternen Frau, die ihn versonnen, liebevoll und schüchtern anblickte und ihm sein Reden nicht einmal übel zu nehmen schien.

Er war so von seinem Leid aufgewühlt, dass es noch weiter aus ihm hervorsprudelte.

Wenn Du es wissen willst, ich selbst kann mir das auch nicht vorstellen, aber das großartige Buch „Eanas Plan oder das Geheimnis der Schöpfung” hat mich aufgeklärt. Schwarz auf weiß steht dort zu lesen, dass einst die Männer das Zepter führten und die Frauen aufs Grausamste unterjochten. Mich hat das Gelesene derart erschüttert, dass ich mein heutiges Los in aller Ergebenheit akzeptiere. Mit meiner Person muss ich das Unrecht sühnen, dass meine Vorgänger an euch verübten.

Liebe Ella, rief Ego in einer Anwandlung von opferwilliger Unterwerfung. Der Sinn meiner Existenz liegt ganz darin, euch Frauen die Gewissheit der eigenen Überlegenheit zu verschaffen.

Das wollte Ella nicht gelten lassen, sie schlang ihre Arme um seinen Hals. Aber wir brauchen Euch doch, flüsterte sie. Ohne Quotenmänner wie Du einer bist, würden wir uns sehr unglücklich fühlen.

Mit diesem Eingeständnis gelang es Ella, das Männchen an ihrer Seite einigermaßen zu beschwichtigen, weil sie damit an den tieferen Sinn seiner Existenz appellierte. Aber er konnte es immer noch nicht lassen, seine Antwort in einen kritischen Einwand zu kleiden.

Ich weiß schon, sagte er, die Quotenmänner dienen euch als Lustobjekte, aber das geschieht nur unter der Hand und im Verborgenen. Offiziell ist jeder Umgang aufgeklärter Frauen mit uns Männern von Gesetz wegen gar nicht erlaubt. Die moderne Frauen, so kannst Du es auch in „Eanas Plan oder das Geheimnis der Schöpfung” lesen, kommt ganz ohne Männer aus, natürlich auch bei ihren sexuellen Spielen. Alle Lehrbücher preisen die gleichgeschlechtliche Liebe als letzte und höchste Bestimmung.

Dagegen wusste Ella nun freilich auch nichts mehr einzuwenden. Sie blickte ihn nur traurig und träumerisch an.

Seien wir doch ehrlich, fuhr Ego fort und sagte etwas, was er noch niemals zuvor einer Frau ins Gesicht gesagt hatte, denn es war eigentlich ungehörig und ist überhaupt nur damit zu erklären, dass er zu der unscheinbaren Person an seiner Seite bereits eine Neigung verspürte, die sich mit seinem Berufsethos nicht vertrug.

Seien wir doch ehrlich, eanaholde, traumliebe Ella (wie schön und mühelos ihm diese Worte über die Lippen kamen!)

Es ist der Reiz des Unerlaubten, der Reiz des überlisteten Gewissens da oben, der Reiz der Sünde also, der euch zu uns treibt. Wir Quotenmänner sind interessante Spielzeuge für euch, ein aufregender Zeitvertreib.

Das ist wahr, rief Ella mit einer Anwandlung plötzlicher Entschlossenheit, und bei diesen Worten drängte sie sich so an den geladenen Gefährten, dass dieser den Moment gekommen sah. Aber da er nun wusste, in Ella endlich ein kunstsinniges Geschöpft gefunden zu haben, wie er es sich immer erträumte, so handelte er auch jetzt nicht spontan, wie der Berichterstatter und seine Leser es vermutlich erwarten. Nach zehn Jahren Berufserfahrung als Gemeineigentum der Frauen handelt vielleicht niemand mehr völlig spontan. Vielmehr sah Ego den Moment gekommen, das kleine illustrierte Heftchen aus der Tasche zu ziehen, das Lehrbuch der Liebeskunst oder „Komma-Zuttam” wie man in Marsopolis sagte, ein Name, des es auf Gaia erhalten hatte, und zwar von einem Kontinent, den sie dort „Inden” oder „Indien” nannten, ein Land, das überwiegend von Elefanten bewohnt wird.

Da Ego sich aufgrund seiner langen Berufserfahrung gleich zu Anfang bewusst war, dass diese schüchterne Frau in ihrem Leben sicher zum ersten Mal ein Männchen erkennen sollte, blätterte er gleich zur Seite zehn, wo „K1a“ als schöne Gravur zu sehen war, der sogenannte „Amazonenritt”. Diese Stellung war eine der wenigen, die sich mit der hohen Stellung und Würde der Frau auf dem Mars vertrug. Die farbige Darstellung war in der Tat von besonderer Schönheit. Frau thronte da mit stolz vorspringenden Brüsten über dem hingestreckten Leib eines Mannes, so als hätte sie sich auf ein Ross geschwungen. Den Körper wie eine Fahnenstange lotrecht nach oben gerichtet, den Kopf leicht schräg zum Himmel weisend, die Beine rechts und links des auf dem Rücken liegenden Männchens angewinkelt, hielt sie mit ihren Händen jeweils ein Ende des Zügels, den ihr der offensichtlich von dieser Stellung begeisterte Künstler als zusätzlichen Zierrat in die Hand gelegt hatte. Er hatte ihr außerdem noch einen Helmbusch mit lustig wehenden roten und grünen Federn, den Farben Eanas, aufs flatternde Haar gesetzt und die Zügel an den beiden Ohren der liegenden Kreatur befestigt. Auf dem Helmbusch war in Kapitalschrift die Aufschrift zu lesen „Nike de Saint Phalle” (die Siegerin über den heiligen Phallus).

Die Siegesstellung, flüsterte Ego, ich bin bereit. Er wusste, dass die durchschnittliche Frau in Marsopolis beim Anblick dieser verlockenden Darstellung sogleich in höchste Erregung gerät. So begann die Sünde fast immer mit einem Sieg.

Aber wieder verhielt sich Ella ganz anders als die durchschnittliche Frau. Obwohl offensichtlich eine Anfängerin in der Kunst der Liebe, ließ sie sich mit reger Neugierde – wollte sie sich damit als wissbegierige Schülerin zeigen? – von Ego einige der wichtigsten Stellungen erklären, natürlich nur die wichtigsten, denn das sündige Lehrbuch aus Gaia kennt insgesamt an die Tausend. Einige davon werden auf weichen Laken zelebriert, andere auf grobem Kies, einige im Kopfstand, nicht wenige in einem Teich, mehrere unter Wasser und einige sogar zwei Meter über einem glühenden Kohlebecken, weil die Körper in großer Wärme zu spastischen Bewegungen neigen, welche die irdische Lust angeblich ins Übersinnliche steigern. Der Höhepunkt aber war eine Stellung, bei der sich die beiden Liebenden auf einem Scheiterhaufen in vollkommener Verschmelzung befanden, während sie von den Flammen verzehrt und so im Akt der heißesten Liebe vergeistigt werden. Diese Stellung trug die schlichte Bezeichnung „Sati”.

Als sie all diese bunten Bilder von nackten Menschen sah, überflog ein leichtes Rot die Wangen Ellas. Schamvoll schien sie sich plötzlich bewusst zu werden, dass Ego aus ihrem Interesse für die gesammelte Lust ungehörige Gedanken ableiten könnte. Am Ende würde er noch glauben, sie hätte bereits mit allen Quotenmännern im Bett gelegen, obwohl sie in Wahrheit doch heute um ersten Mal die Schwachheit besaß, sich zu dieser Sünde hinreißen zu lassen. Mit leicht verschämter Stimme murmelte sie deshalb:

Ego, ist das nicht Ponnograppie?

Dieser Einspruch bereitete Ego eine heimliche Freude; war er doch ein weiterer Beweis, dass sich die schüchterne Frau nicht einfach von den niederen Trieben überwältigen ließ und sich in die erstbeste Stellung fügte.

Er freute sich auch, weil er darin eine weitere Chance erblickte, dieser Frau außer den Diensten seiner Männlichkeit obendrein noch ein wenig von seiner Bildung mitzugeben. Deshalb korrigierte er sie sogleich:

Es heißt aber Ponnograapie mit langem a, meine traumliebe Schöne – dabei ließ er seine Hand sanft über ihren Rücken gleiten.

Diese Auskunft schien sie zu beruhigen. Mit emsigen Augen das Heftchen durchfliegend, wies sie plötzlich mit langem Zeigefinger auf die Stellung „K37b“.

Das will ich, sagte sie. Ego war im ersten Moment derart verblüfft, dass er nach Worten rang.

Aber das ist doch, das ist doch!, murmelte er, ja, bist Du denn wirklich sicher? Das ist doch die grässlichste Stellung überhaupt. Das haben doch die Patriarchen erfunden, die Unterdrücker der Frau. Du weißt doch, man spricht auch von „Missionarsstellung”, weil der Mann auf Gaia – der, der lag dann ja oben – weil er eben der Frau auf diese Weise das Patriarchat aufzwang.

Ego wurde abwechselnd rot und blass im Gesicht. Die Worte purzelten ihm nur noch stammelnd und regellos aus dem Mund.

Du weißt doch, Dir ist doch sicher, das musst Du doch wissen. Es ist strafbar! Meine Karriere...

Es hat wenig Sinn, dass wir diesem Gestammel folgen, denn die Tatsachen sind ja ohnehin jedem bekannt, der mit den Errungenschaften der jungfräulichen Zivilisation auf dem Mars einigermaßen vertraut ist. Die Holden haben die Missionarsstellung ausdrücklich verboten, und zwar in einem Artikel des Grundgesetzes. Selbst das Wort ist verpönt. Keine der Frauen hätte es in den Mund genommen, ohne dabei vor Ärger und Scham zu erröten. Schon in den Lehrbüchern, aus denen die jungen Mädchen sich auf ihr künftiges Leben vorbereiten, wird das Thema abgehandelt und geschichtlich “bewältigt”. Es heißt dort, dass die Männer die Frauen auf diese Art zur Unterwürfigkeit „missionieren“. Diese abscheuliche Stellung, bei der die Frau sozusagen nach Art eines Pferd geritten und vom Manne dressiert wird, gilt in Marsopolis als Beweis und sichtbares Zeichen für Tausende Jahre der Unterdrückung durch eine verabscheuenswürdige Phallokratie.

Daher die auf Marsopolis selbstverständliche Sitte, dass der Mann sich bei einem erotischen Treffen sofort auf den Rücken legt, um der weiblichen Über-Legenheit so von vornherein seinen Tribut zu zollen. Und dementsprechend gilt es als die schlimmste aller Beleidigungen, wenn der Mann eine Frau in die Stellung der Unter-Würfigkeit zwingt. Im selben Moment hätte sie aufgeschrien und auf das Gewissen gezeigt. Die Regierung hätte dann umgehend die sogenannte Zucht-und-Tugendbrigade losgeschickt – lauter kräftige Frauen mit roter Armbinde und lauten Schellen, die durch die Gänge eilen, die Tür zur Wabe aufreißen und den Sünder auf der Stelle verhaften. Anschließend wird dieser dann den Gerichten in der Verwaltung des Glücks ausgeliefert.

Derartige Fälle kommen aber auf Marsopolis praktisch kaum vor, die Sitten haben sich mit der Zeit veredelt und geläutert. Ganz auszurotten scheint das Laster dennoch niemals zu sein. Zwei oder drei Fälle dieser betrüblichen Art sind in den Annalen der Stadt verzeichnet. Natürlich wurden die sündigen Quotenmänner umgehend verhaftet und dem hohen Gericht vorgeführt.

Auf diese historischen Hinweise kann der Berichterstatter nicht verzichten, da der Leser andernfalls nicht verstehen würde, wie sehr Ego erschüttert wurde, als Ella mit langem Zeigefinger gerade auf diese Stellung wies: auf K37b.

Du weißt doch, jammerte er, dass wir Menschen uns von den Tieren vor allem durch unsere gehobenen Sitten unterscheiden.

Es nutzte nichts. Alle Schüchternheit ihres Wesens schien auf einmal wie fortgeblasen. Sie gebärdete sich wie ein kleines Kind. Sie hatte ihm mit schneller Hand bereits den Mund verschlossen und nun legte sie sich schon auf das Bett und zog ihn zu sich herab.

Ihr verängstigten Phallokraten, lachte sie, ihr seid doch ein kraft- und mutloses Geschlecht. Aber siehst du, ich will euch gerade so wie ihr seid, mein kleiner Ego. Du bist ein Tier, gewiss, als Männchen bist Du den Tieren natürlich viel näher verwandt als wir Frauen. Das sieht man schon an dem Pelz auf Deiner Brust und sogar hier auf den Armen und Beinen. Du siehst aus wie die Verwandten auf Gaia – die Affen, nicht wahr, so heißen sie doch?

Sie lachte, schäkerte, zog ihn jetzt mit beiden Händen ganz eng an ihren Körper.

Aber gerade ein solches Tier, wie du es bist, will ich nun einmal - und dabei schaute sie ihn mit blitzenden Augen an, und er wusste, dass er dieser Frau nicht widerstehen würde, koste es, was es wolle. Das Wort “Phallokrat” donnerte und pochte allerdings in seinem Kopfe. Obwohl er in diesem Augenblick kurz davor stand, in seine Dienstpflichten einzutreten, war sein Denken doch immer noch nicht vollständig abgeschaltet. Insgeheim seufzte es in ihm:

Wie grausam die Frauen doch manchmal sind, wie mitleidslos und pervers! Wenn die Holden mich in dieser Stellung sehen, dann schicken sie mich in die Unterwelt. Er warf einen verstohlenen Blick auf das Gewissen. Immerhin, glücklicherweise war es vollständig mit einem schwarzen Tuch verhängt.

Das Eigenartigste an Egos Begegnung mit der traumlieben Ella war jedoch, dass ihre offenkundige Perversität ihm selbst Schauer der Wollust über den Rücken jagte. Das erste Mal in seinem ganzen Mannesleben ließ eine Frau ihn über sich thronen, so als wäre er ein höheres oder auch nur ein gleichwertiges Wesen. Er fühlte sich hin und her gerissen zwischen Gefühlen der höchsten Lust, die ihn – ganz unprofessionell – überfielen und einer ihn anspringenden Schuld, denn er kam sich gleichzeitig vor wie ein schmutziger Macho, einer von denen, die in früherer Zeit den Frauen das Leben auf Gaia zur Hölle machten.

Du Phallokrat, höhnte ihn die Stimme, du heilloser Macho, du Vergewaltiger! Selbst auf dem Höhepunkt und nachdem er sich schließlich ganz auf Ella hinabgleiten ließ und dann regungslos auf ihr verharrte, ließ ihn die Stimme nicht los, und das schreckliche Bild drängte sich herrisch in sein Bewusstsein, das Bild, das sich der Zeichner für die Patriarchenstellung „K37b“ ausgedacht hatte. Ein Mann mit stieren Augen ist dort zu sehen, eine affige Gestalt mit wulstigen Armen, einem hässlichen Bart und einem dichten Pelz auf der Brust – kurz eine Gestalt wie ein Gorilla, der einen zarten, weißhäutigen Engel nahezu ganz unter seinem bulligen Leib begräbt.

So in jeder Hinsicht erregt und in Aufruhr, befand sich Ego in einem gewaltigen Konflikt mit sich selbst. Er begriff nicht - denn die Männer sind ja überall auf der Welt recht schwer vor Begriff -, er begriff nicht, dass Ella keineswegs bloßem Mutwillen gehorchte, sondern einem viel tieferen Gefühl: Sie hatte Mitleid mit diesem Männchen, diesem traurigen, armen Wesen, das auf Marsopolis eine so geringe, von vielen verachtete Stellung einnahm. Dass aus ihrem Mitleid schon Liebe geworden war, hätte sie selbst sich in diesem Moment freilich noch gar nicht eingestanden, die Sache war ja von vornherein viel zu unwahrscheinlich. Echte Liebe zwischen Mann und Frau gilt auf dem Mars als undenkbar und scheint deswegen auch unmöglich zu sein.

Nun, der Verfasser des vorliegenden Berichts kennt natürlich den weiteren Verlauf der Geschichte. Er weiß daher mehr als die beiden Protagonisten. Er dar sich dieses Worts daher schon jetzt ohne Vorbehalte bedienen.