Endspurt - Rolf W. Meyer - E-Book

Endspurt E-Book

Rolf W. Meyer

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Beschreibung

Wer sich schon jemals mit der Frage beschäftigt hat, ab wann Menschen in unserer bundesdeutschen Gesellschaft eigentlich als alt gelten, bekam 2022 darauf eine Antwort. Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ermittelte in einer repräsentativen Umfrage einen Durchschnittswert, der bei "ab 61 Jahren" lag. In Deutschland werden Menschen viel zu früh als alt angesehen. Hinzu kommt, dass mit dem Ausdruck "Alter weißer Mann" auch noch das geeignete und weit verbreitete Feindbild vorhanden ist. Hervorzuheben ist, dass ältere Menschen unter bestimmten Bedingungen einen evolutionären Vorteil bieten. Dies ist dann der Fall, wenn diese ihre Erfahrungen einbringen können und sich auch um die Nachkommen der nächsten Generationen kümmern. In diesem Buch wird der bisherige Lebensweg eines 81jährigen Mitmenschen nachgezeichnet, der seinerzeit in einer analog gelenkten Umgebung zur Welt kam, in der wirtschaftlichen Aufschwung-Phase der BRD aufgewachsen ist und nun im höheren Alter nicht nur ein digital beherrschtes Umfeld zu bewältigen hat, sondern auf Grund von sozial-politischen Unzulänglichkeiten nunmehr auch die Stagnationsphase seines Landes miterleben muss.

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Rolf W. Meyer

Endspurt
oderDie Bewältigung der Restlaufzeit

Rolf W. Meyer

Endspurt

Copyright: © 2023 Rolf W. Meyer

Umschlag & Satz: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Titelbild: Kuzmafoto (depositphotos.com)

published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de

Dieses Buch widme ich dem gesamten Team des Supermarktes EDEKA Kels in Ratingen-Lintorf, Rehhecke 75 sowie dem Backwaren-Verkaufsteam der Bäckerei Horsthemke in Ratingen-Lintorf, Rehhecke 75. Diese Mitmenschen vermitteln den Abnehmern ihrer Verkaufsprodukte, altersunabhängig, immer wieder das Gefühl, Bestandteil eines familiären Umfeldes zu sein, dem man vertrauen kann. In diesen Sozialbereichen wird das Einkaufen zu einem ganz besonderen Erlebnis.

„Die Jugend ist ein Geschenk der Natur. Aber das Alter ist ein Kunstwerk.“

Stanislaw Jerzy Lec (Polnischer Lyriker, 1909–1966)

„In der Jugend lernen wir, im Alter verstehen wir.“

Marie von Ebner-Eschenbach (Österreichische Schriftstellerin, 1830–1916)

„Mit zunehmendem Alter achte ich weniger darauf, was die Leute sagen. Ich sehe mir einfach an, was sie tun.“

Andrew Carnegie (US-amerikanischer Tycoon in der Stahlbranche, 1835–1919)

„Menschen, die nicht auf ihre Vorfahren zurückblicken, werden auch nicht an ihre Nachwelt denken.“

Edmund Burke (Irischer Schriftsteller, 1729–1797)

„Was uns im Leben am meisten Not tut ist ein Mensch, der uns zu dem zwingt, was wir können.“

Ralph Waldo Emerson (Amerikanischer Philosoph, 1803–1882)

Prolog

Wer sich schon jemals mit der Frage beschäftigt hat, „Ab wann gelten Menschen in unserer bundesdeutschen Gesellschaft eigentlich als alt?“, bekam am Donnerstag, dem 15. Dezember 2022, darauf eine Antwort. Und zwar in Form einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. [1] Der Durchschnittswert, der in einer repräsentativen Umfrage für die besagte Institution ermittelt wurde, lag bei „ab 61 Jahren“.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass man für die 16- bis 24-Jährigen der befragten Personen schon mit 57 Jahren als alt gilt. Mit steigendem Lebensalter der Befragten verschiebt sich auch die empfundene Altersgrenze nach oben. So gab beispielsweise die befragte Altersgruppe der 75- bis 84-Jährigen an, dass man für sie als alt mit 66 Jahren gelte. [2]

Das aber ändert nichts daran, dass in Deutschland Menschen viel zu früh als alt angesehen werden. Hinzu kommt, dass mit dem Ausdruck „Alter weißer Mann“ [3] auch noch das geeignete und weit verbreitete Feindbild vorhanden ist. Für viele Mitmenschen wird er durch einen „privilegierten, verbohrten, geistig festgefahrenen alten Kerl“ verkörpert. [4]

Negative Stereotype und fragwürdige Rollenklischees gegenüber älteren Menschen sind in unserer Gesellschaft weitverbreitet. [5] So wird beispielsweise von drei Viertel der Befragten in der Studie „Ageismus – Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland“ [6] der Anteil von Menschen über 70 Jahren an der Gesamtbevölkerung deutlich überschätzt. Für die Altersforscherin Eva-Marie Kessler [7] entsteht dadurch der Eindruck „einer demografischen Übermacht.“ Tatsächlich liegt der Anteil bei gegenwärtig 18,7 Prozent (Stand 2023).

Andererseits lässt sich immer wieder beobachten, dass vor allem in den westlichen, modernen Gesellschaften in der Regel eine hohe Affirmation für das Jugendliche besteht. Schon seit einem längeren Zeitraum erlebt man soziale Entwicklungstendenzen, die das Älterwerden, was ja ein natürlicher Vorgang ist, völlig ausblenden. Jugendlichkeit (Juvenilität) hingegen verbindet man mit Dynamik, hoher Flexibilität, Zielstrebigkeit, Ausdauer, Belastbarkeit, Lebensfreude und positivem Denken („Ich kann in meinem Leben alles erreichen!“). Das spiegelt sich in zahlreichen Ratgebern („Wie überwinde ich die Alltagshürden?“), in der Werbung und in den Anforderungsprofilen für zahlreiche Berufsbereiche wider.

Die Werbung manipuliert in unterschiedlichem Stil, etwa in Form eines Flyers oder in Form von Plakaten, mit Hilfe von Werbefilmen, die zu den besten Sendezeiten im Fernsehen gesendet werden, oder mit Hilfe der akustischen Werbung, die geschickt zwischen die Hörsendungen platziert wird, gnadenlos die Psyche potentieller Kundinnen und Kunden.

Welche Techniken wendet man in der Werbung an?

AIWHB (Aufmerksamkeit, Interesse, Wunsch, Handlung, Befriedigung)

AVBS (Abbildung, Versprechen, Beweisen, Stoß versetzen)

EV (Einzigartigkeit, Verkaufsargument)

Übrigens: Die hohe Wertschätzung gegenüber der Jugendlichkeit kann leicht in einen regelrechten Jugendlichkeitswahn transformiert werden. Die auf Konsumenten ausgerichtete Wirtschaft freut das. Denn es verspricht hohe finanzielle Gewinne. Somit wird alles darangesetzt, um das Bedürfnis der Menschen nach ewiger Jugendlichkeit aufrechtzuhalten. Die Verhaltensmuster, die so manche auf natürlichem Weg älter gewordenen Artgenossinen und Artgenossen demonstrieren, um damit ihre „Jugendlichkeit“ auszustrahlen, sind einfach nur peinlich. Warum wird nicht akzeptiert, dass ein alter Körper nicht mehr das leisten kann, was für einen jungen Körper möglich ist?

Das sollte zu denken geben:

Die Vorstellung, dass sich der Alterungsprozess im menschlichen Körper durch gezieltes Sporttraining verhindern beziehungsweise verlangsamen lässt, ist trügerisch. Die vermehrte Einrichtung von „Fitness Centers“ und die Bereitstellung von „Coachs“ kommt diesem Wunschdenken von Menschen entgegen, die in der zivilisatorischen Zwangsjacke stecken. Die Möglichkeit, dass durch das Computer entwickelte und gesteuerte Trainingsprogramm der älter gewordene Körper in eine physiologische Falle gerät und dadurch seine alterseingeschränkte Leistungsfähigkeit weit überfordert wird, verdrängen die in die Jahre gekommenen sportaktiven Mitmenschen von vornherein.

Das sollte man wissen:

Unter biologischen Gesichtspunkten ist „Fitness“ (Eignung) im Wesentlichen gleichbedeutend mit Fortpflanzungserfolg. „Fitness Centers“ wären demnach „Fortpflanzungs-Zentren“. Und „Survival of the fittest“ („Überleben der Tauglichsten“) ist nach dem Evolutionsbiologen Charles Darwin (1809 – 1882) eine Folge der Selektion, die Individuen mit der relativ besten Eignung (Fitness) bevorzugt. Es sind die Organismen, die ihre eigenen Gene optimal vervielfachen können.

Wenden wir uns einer interessanten Frage zu: „Warum altern wir eigentlich?“. Bevor wir uns aber damit gedanklich auseinandersetzen, wollen wir zunächst über eine andere Frage nachdenken: „Warum müssen wir Menschen sterben?“. Diese Frage ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst und gleichbedeutend mit der verständlich-menschlichen Frage: „Warum altern wir eigentlich?“. Die Vergänglichkeit der Natur, die Menschen immer wieder beobachten und selbst erleben können, sowie die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod haben die Menschheit in Form der Artenvertretung Homo sapiens, deren Entwicklungsgeschichte nach gegenwärtiger Erkenntnis vor 2,5 Millionen Jahren in Afrika begann, schon immer emotional tief bewegt und zum Nachdenken angeregt. Für viele Menschen sind daher die unterschiedlichsten Religionen für sie „Zufluchtsmöglichkeiten“, um Antworten auf ihre Fragen zu finden.

Aber nun zurück zu der Ausgangsfrage „Warum altern wir eigentlich?“. Sie hat durchaus ihre Berechtigung, was sich durch ein kleines Gedankenspiel belegen lässt. Viele Körperzellen (Somazellen) können sich teilen und machen es dadurch möglich, dass sich die Organe und Gewebe des Körpers ständig erneuern. Wir können es beispielsweise beim Verheilen einer Wunde in der Haut beobachten. Jedoch ist diese Fähigkeit zur Regeneration für den menschlichen Körper nicht unbegrenzt möglich. Aus dieser Tatsache kann sich auch die Frage ergeben: „Warum bleiben wir nicht ewig jung?“. [8]

Um diese Frage wiederum beantworten zu können, müssen wir uns mit verschiedenen wissenschaftlichen Auffassungen beschäftigen. In einer gedanklichen Betrachtungsweise versuchen Wissenschaftler zu erklären, was Menschen altern lässt und es damit zu den bekannten Alterserscheinungen kommt. Ihrer Meinung nach spielen beim Alterungsprozess mehrere Faktoren eine Rolle.

Die Grundgedanken ihrer Hypothese sind: Im Laufe der Zeit häufen sich in den Zellen immer mehr Schäden in deren Erbgut an. Auslöser kann zum Beispiel die Bildung so genannter freier Radikale sein, die beim normalen Stoffwechsel entstehen. Diese freien Radikale sind in der Lage, Zellbestandteile zu zerstören und tragen somit dazu bei, dass die Zellen nicht mehr optimal arbeiten können. Andererseits wird das Erbgut, das in jeder einzelnen Zelle in Form der DNA (Deoxyribonucleic acid; Deoxyribonucleinsäure, DNS) vorliegt, bei jeder Zellteilung verkürzt. Um einer solchen Verkürzung entgegenzuwirken, besitzt das Erbgut spezielle Schutzkappen, die Telomere genannt werden. Ein Enzym (Biokatalysator), die Telomerase, dessen Entdeckung im Jahr 2009 mit dem Nobelpreis gewürdigt wurde, ermöglicht die ständige Erneuerung dieser Schutzkappen, allerdings nur in bestimmten Zellen. Dadurch geht in den anderen Körperzellen mit der Zeit immer mehr Erbinformation verloren, so dass die betroffenen Zellen sich nicht mehr erneuern können und absterben.

Der Alterungsprozess verläuft auf drei Ebenen

Die meisten Wissenschaftler unterscheiden bei der Analyse und Beschreibung von Alterungsprozessen eine biologische, eine soziale und eine psychologische Ebene. [9]

Die biologische Ebene eines Alterungsprozesses ist „durch eine zunehmende Verringerung der Anpassungs- und Wiederherstellungsfähigkeit gekennzeichnet“. In Verbindung damit nimmt auch die Leistungsfähigkeit immer weiter ab. Das ist eine Tatsache, die viele Mitmenschen ignorieren und nicht wahrhaben wollen. Die Anfälligkeit für Erkrankungen nimmt für alternde Menschen in der Regel zu. Der Grund dafür ist, dass vermehrt eine Vielzahl von molekularen und zellulären Schäden in deren Körpern auftritt, die sich mit der vorhandenen genetischen Ausstattung nicht mehr reparieren lassen.

Veränderungen auf der sozialen Ebene sind vielfältig, was sich in den Veränderungen der gesellschaftlichen Stellung und in Veränderungen durch den Verlust enger Beziehungen sowie sozialer Rollen widerspiegelt. Allerdings: Das altersbedingte Ausscheiden aus dem Beruf kann auch positiv gesehen werden. Eine gute Gesundheit und ausreichende materielle Ressourcen ermöglichen es so manchem Mitmenschen, den Rollenwechsel vom Berufstätigen zum Rentner als eine „späte Freiheit“ aufzufassen. Die Erfahrung zeigt, dass ältere Mitmenschen in der Regel ihre Lebensziele und ihre Alltagsaktivitäten diesen Veränderungen anpassen. Die Verrentung macht es möglich, dass sich die Betroffenen auf das konzentrieren, was ihnen als besonders wichtig erscheint.

Für den Psychologen Andreas Kruse (*1955, ein deutscher Psychologe, Gerontologe und Demograph) treten auf der psychologischen Ebene Verluste vor allem in den Bereichen auf, „die an die Umstellungsfähigkeit von Nervenzellverbänden gebunden sind, wie zum Beispiel das Kurzzeitgedächtnis oder die hohe Geschwindigkeit im Denken“. Jedoch wird das Altern von älteren und alten Mitmenschen häufig nicht als ein Abbauprozess erlebt, sondern als „Phase der Anpassung oder sogar des Wachstums und der Reifung“.

Für die Altersforscherin Carien Niessen [10] ist Alterung „der Rückgang der physiologischen Funktionen erwachsener Organismen im Laufe der Zeit“. [11] Für die Wissenschaftlerin scheint der Alterungsprozess auf den ersten Blick paradox. Ihre Begründung: „Die natürliche Auslese fördert das optimale Überleben und den Fortpflanzungserfolg [Fitnessmaximierung], warum verhindert sie nicht auch das Altern?“. [12] Sie weist aber sofort darauf hin, dass das Altern kein Fehler der Evolution sei, sondern eher als ein Nebenprodukt der Evolution betrachtet wird.

Hervorzuheben ist aber, dass ältere Menschen unter bestimmten Bedingungen einen evolutionären Vorteil bieten. Dies ist dann der Fall, wenn ältere Menschen ihre Erfahrungen einbringen können und sich auch um die Nachkommen der nächsten Generation kümmern, sozusagen als „Helfer am Nest“ wirken. Denn dadurch erhöht sich die Überlebensrate des gesamten Familienverbandes, was auch der Weitergabe der eigenen Gene dient.

Woran erkennt man eigentlich, dass man älter geworden ist? Dazu sollen folgende Kennzeichen beispielhaft aufgeführt werden:

Die Erinnerungen an die Kindheit nehmen zu.

Es entwickelt sich verstärkt ein Traditionsbewusstsein.

Geburtstage nehmen einen noch höheren Stellenwert ein.

Es zeigen sich auffällige Veränderungen in der Lebenseinstellung.

Körperliche Beschwerden schränken die Leistungsfähigkeit ein.

Beim Übergang vom Berufsleben in den Ruhestand kommt es zu einer inneren Zerrissenheit.

Man weckt die Begehrlichkeiten von Wirtschaftsunternehmen, denn das Alter ist nur eine Frage der Perspektive.

Es wird die Ansicht vertreten, „Früher war alles besser.“

Die altersbedingten Verhaltensweisen nehmen zu.

Man entwickelt (zwangsläufig) immer mehr die Einstellung: „Jedes Alter hat seine Vorzüge.“

Über eins muss man sich allerdings als alternder Mensch, der Eingang in die höheren Altersabschnitte gefunden hat, immer wieder klar machen: Es gibt nicht nur den „Super-Ager“ [13], sondern unsere alternde Gesellschaft bringt neben körperlichen, seelischen und sozialen Einschränkungen auch verstärkt demenzielle Erkrankungen mit sich. [14] Nach Ansicht von Dr. Dag Schütz [15] kann bedingt Einfluss auf eine Demenz genommen werden. Seine Begründung ist, dass wie bei allen Gefäßerkrankungen der individuelle Lebensstil einen großen Einfluss hat. Seine Empfehlungen für eine unterstützende Vorbeugung sind eine ausreichende Bewegung, gesunde Ernährung, Verzicht auf das Rauchen und Verzicht auf zu viel Alkohol. Weiterhin sollten Blutdruckwerte und Blutfettwerte optimiert werden. Außerdem hebt er hervor, dass das Gehirn Nahrung braucht in Form von Lesen, Rätselraten und Lernen. Als einen weiteren wichtigen Faktor betrachtet er soziale Beziehungen.

Auf ein weiteres Problem soll noch kurz eingegangen werden, welches sich in einer modern ausgerichteten Gesellschaft, wie etwa in Deutschland, vor allem für Menschen in der Altersklasse über 70 Jahren ergibt: Die Bewältigung der Auswirkungen der Digitalen Revolution. [16] Dies betrifft auch den Autor dieses Buches. Mit seinen 81 Lebensjahren (Stand 2023) zählt er auf Grund seines agilen Lebensstiles, in Verbindung von überwiegend konservativ angewandten Verhaltensweisen, zu den Spätjugendlichen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde er in einer analog gelenkten Umwelt geboren und muss nun viele Jahrzehnte später im 21. Jahrhundert in seinem hohen Alter ein in vielen Bereichen des Alltagslebens vielfältig digital beherrschtes Umfeld bewältigen, um überleben zu können.

Wie dem auch sei: Irgendwann im individuellen Leben machen sich die Gene der Vorfahren im eigenen Körper bemerkbar. In meinem persönlichen Fall sah ich mich im Herbst 2020 einem lebensbedrohlichen Kreislaufkollaps ausgesetzt. Damals wiesen mich die behandelnden Ärzte darauf hin: „Bedenken Sie Ihr Alter und Ihre genetische Disposition bezüglich des Bluthochdrucks. Unter anderem sind in Ihrem Alter die Gefäßwandungen nicht mehr so flexibel. Sie müssen nun lernen, umzudenken. Sie können als älterer Mensch nicht mehr das leisten, was Sie in jungen Jahren geschafft haben. Wichtig ist, dass Sie nun regelmäßig selbst den Blutdruck messen und die verschriebenen Medikamente auch regelmäßig einnehmen. Bewegen Sie sich weiterhin, aber übertreiben Sie es nicht mit sportlichen Übungen. Wichtig ist auch, dass Sie Ihren Tagesablauf strukturieren und vor allem weiterhin geistig aktiv bleiben.“

Dem betroffenen Patienten war seitdem bewusst, dass für ihn im Hinblick auf seine Restlaufzeit auf dem Planeten Erde Medikamente unverzichtbar sein werden. Weiterhin soll noch auf folgende Tatsache hingewiesen werden, nämlich, dass unser tägliches Leben, egal wie alt wir sind, einer ständigen Regulierung unterliegt und immer wieder bestimmt wird von Ordnungsprinzipien.

1. Aus dem Leben eines Erdenbürgers

Kindheitsphase

Mein Name ist Rolf Werner Christian Meyer. Vom genetischen Ursprung her bin ich ein Afrikaner. Meine afrikanischen Vorfahren stammen aus einem Gebiet südlich der Sahelzone. Aber von der Herkunft her bin ich ein Sachse. Denn ich kam am 28. Februar 1942 morgens um 3 Uhr, übrigens als Frühgeburt, in Dresden auf die Welt. Ich war damals der 2.337.062.674ste Erdenbürger. Als Kleinkind wollte ich nicht sprechen, sondern immer nur spielen. Der Dresdener Kinderarzt sagte damals beruhigend zu meinen Eltern: „Ihr Kind ist ein Spätentwickler. Aber an diesem Kind werden Sie noch viel Freude haben!“ Das hat sich dann auch später bewahrheitet.

Aufgewachsen bin ich in Dresden in einem behüteten Umfeld, das meine Eltern gewährleisteten. Meine Mutter kümmerte sich liebevoll um mich und meinen 2 Jahre älteren Bruder, unterstützt durch die Verwandtschaft und außerdem unterstützt durch eine junge Kroatin aus Zagreb, Ilja Dikaucic. Da wir Kinder ihren Vornamen nicht richtig aussprechen konnten, nannten wir sie „Illa“. Wir haben sie sehr geliebt.

Mein Vater wurde in den 1940er Jahren militärisch eingesetzt, zunächst in Nordfrankreich, später dann in Norditalien. Von beiden Einsatzbereichen aus schrieb er regelmäßig Briefe, ergänzt durch Zeichnungen, an meine Mutter und uns Kindern nach Dresden. Am 8. Mai 1945 geriet er durch eine britische Besatzungsgruppe in Meran in Italien in Kriegsgefangenschaft. Am 2. April 1947 ist er aus der britischen Kriegsgefangenschaft nach Düsseldorf im Rheinland entlassen worden. Er fand Aufnahme bei Verwandten in Düsseldorf-Oberbilk. Das Wiedersehen mit seiner Frau und seinen beiden Kindern erfolgte erst im November 1948.

Als Dreijähriger erlebte ich mit meiner Mutter und meinem Bruder die Luftangriffe auf Dresden, die vom 13. bis 15. Februar 1945 stattgefunden hatten. Den Angriffsbefehl für die damaligen Luftangriffe gab Arthur Harris, der Oberbefehlshaber des britischen „Bomber Command“ war. Man vereinbarte damals, dass Nachtangriffe von der RAF und Tagesangriffe von der USAAF durchgeführt wurden. Beim zweiten Luftangriff am 14. Februar 1945 gelang es meiner Mutter, sich und ihre beiden Kinder aus dem brennenden Haus auf der Nürnberger Straße zu retten und aus dem brennenden Dresden zu fliehen. Dann begaben wir uns auf eine mehrtägige Flucht Richtung Plauen im Vogtland. Dort, in Plauen-Haselbrunn, wohnte die Großmutter väterlicherseits, Emma Elise Meyer geb. Baumann. In ihrem Haus fanden wir Zuflucht.

Von 1945 bis 1948 wuchs ich in Plauen in den wichtigen Entwicklungsjahren in meiner frühen Kindheit auf, betreut und umsorgt von sechs Frauen, nämlich von meiner Großmutter, meiner Mutter und den vier Schwestern meines Vaters. Zusätzlich unterstützt wurde ich von dem Bruder meines Vaters. Diese fünf Geschwister und meine Großmutter haben als „Helfer am Nest“ gewirkt. Da musste ja aus mir etwas werden!

Zur Erinnerung:[…] In 7 Tagen hat unser kleiner Rolf seinen Geburtstag. Nun ist er schon 6 Jahre alt. So kommt er mir noch gar nicht vor. Er ist noch so kindlich, ein anschmiegsamer kleiner Kerl, aber sehr verschlossen. Von dem erfährt man nichts. Was er nicht sagen will, das sagt er nicht. Was er aber haben will, das erreicht er mit einer zähen Hartnäckigkeit. […][17]

Nachdem die Behörden in Plauen im Oktober 1948 eine legale Ausreise aus der sowjetisch besetzten Zone nach Düsseldorf in die britisch besetzte Zone abgelehnt hatten, blieb meiner Mutter für sich und ihre Kinder nur eine Flucht „schwarz über die Grenze“ im November 1948. Am 11. und 12. November 1948 flüchteten wir aus dem sowjetisch besetzten Vogtland nach Bayern in die amerikanisch besetzte Zone bei Moschendorf. Im Westen angelangt hatte ich in einem Speisesaal eines Hotels in der Nähe des Bahnhofs von Hof eine Begegnung mit einem amerikanischen Soldaten. Er war zu dieser Zeit Angehöriger der 6. Amerikanischen Polizeistaffel („Constabulary Army“), die als Posten 10 nordöstlich von Hof in Bayern stationiert war. Dieser Soldat winkte mich zu sich heran und schenkte mir zwei Tafeln Schokolade. Für mich hat das Verhalten dieses amerikanischen Soldaten zeitlebens eine große symbolische Bedeutung gehabt.

Von Ostern 1949 bis Ostern 1953 besuchte ich die evangelische Volksschule an der Heerstraße in Düsseldorf-Oberbilk. Im ersten Schuljahr hatten wir Grundschüler dieser Bildungsanstalt Fräulein H. als Klassenlehrerin, die uns pädagogisch aufgeschlossen gegenüberstand. Dann aber wechselte das pädagogische Personal für unsere Grundschulklasse und mit dem „Wohlgefühl“ in der Schule war es vorbei. Lehrer T., kleinwüchsig, aber extrem streng, wandte für uns „Zöglinge“ die Rohrstock-Pädagogik an. Für jeden Fehler oder für jedes „Fehlverhalten“ versetzte Lehrer T. dem Betroffenen Schläge auf das Gesäß. Meine Wenigkeit und mein Schulbank-Nachbar Jürgen hatten Glück. Denn wir Beide wiesen nur eine geringe Fehlerzahl auf. Andere Mitschülerinnen und Mitschüler hatten oft eine hohe Fehlerzahl auf ihren „Unterrichts-Konten“, auf die Lehrer T. mit entsprechenden Stockschlägen reagierte. Als eines Tages der „Rohrstock-Pädagoge“ T. mich und Jürgen aufforderte, als „gute Schüler“ die „schlechten Schüler“ durch Stockschläge zu bestrafen, weigerten wir uns. Zu Hause davon erzählt, machten Jürgens Mutter und mein Vater dem kleinwüchsigen Rohrstock-Pädagogen eindringlich klar, ihn auf Grund seiner „Erziehungsmethoden“ zu verklagen. Diese deutliche Aussage zeigte ihre Wirkung. Die Grundschulzeit konnte von uns ohne körperliche Züchtigungen beendet werden.

Nebenbei bemerkt: Als ich einmal, mittendrin im Schülerpulk, der vom Schulhof zurück in die Klassen strömte, aus Versehen dem Rektor der besagten Volksschule auf den linken Schuh getreten bin, reagierte der Rektor verärgert mit strengem Blick: „Pass doch auf, du Flabes“. [18]

Nach einer Aufnahmeprüfung für ein Gymnasium wurde ich Ostern 1953 in Düsseldorf-Oberbilk von einem neusprachlichen Gymnasium aufgenommen. Es herrschte schon damals Lehrermangel und die schulische Ausbildung erfolgte im „Schichtunterricht“. Da viele Gebäude in Düsseldorf, kriegsbedingt, noch zerstört waren, teilten sich oftmals zwei Bildungsinstitutionen ein Schulgebäude. So wurde man in einer Woche am Vormittag unterrichtet, in der darauffolgenden Woche am Nachmittag. Das Lehrpersonal an meinem Gymnasium setzte sich zusammen aus alten Naziideologen, sowie aus kriegsversehrten und kriegstraumatisierten „Pädagogen“. Es umfasste aber auch engagierte Junglehrer, die sich sehr bemühten, uns Schülern Bildung zu vermitteln. 1960 verließ ich das Gymnasium mit dem Abschluss der Mittleren Reife.

In der Pubertät – Eine Zwischenphase in der Adoleszenz

In den 1950er Jahren begeisterte ich mich nicht nur für Vorträge von Hans Hass über seine meeresbiologischen Forschungsreisen, sondern auch für die Konzerte von Serge Jaroff und seinem Don Kosaken Chor, die in Düsseldorf auftraten. In der Phase eigener Pubertät fand man auf dem Weg zur Selbstfindung immer wieder Halt, Verständnis für ein Lebensgefühl und Bestätigung der Lebensempfindungen durch die Rock and Roll – Musik. Einige der Vertreter dieser Musikrichtung sollen an dieser Stelle hervorgehoben werden: Elvis Presley, Ray Charles, Paul Anka, Buddy Holly, Jerry Lee Lewis, Johnny Cash, Bill Haley, Little Richard, Fats Domino und Bobby Darin. Wenn man ihre Musik in den Ohren hatte, konnte man aus der oft als Enge empfundenen kommunalen Lebenswelt gedanklich entfliehen und von der „großen, weiten Welt“ träumen.

In der Phase des Erwachsenenseins

Im April 1960 begann ich eine Chemielaborantenlehre bei einem Metall verarbeitenden Betrieb in Düsseldorf-Flingern. Neben der Bezeichnung „Lehrling“ benutzte man werksintern oft auch den Ausdruck „Stift“. Ich musste morgens um 7:00 Uhr die Arbeit pünktlich beginnen, wobei auch samstags gearbeitet wurde. Eine Stechkarte, die in die „Stechuhr“ eingeschoben wurde, diente dazu, die genaue Arbeitszeit ermitteln zu können. Ich wurde von den Mitarbeitern im Werklabor und in den Werkshallen geduzt. Von mir erwartete man Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Fleiß und Ordnung sowie ein angemessenes Auftreten innerhalb und außerhalb der Firma.

Als Lehrling hatte ich ein Berichtsheft zu führen und neben der firmeninternen Ausbildung musste ich zweimal in der Woche auch die Berufsschule besuchen. Am Ende eines jeden Monats bekam ich neben einem Lohnstreifen meinen Ausbildungszuschuss durch die Firma in einer Lohntüte. Im September 1963 legte ich die Lehrabschlussprüfung als Chemielaborant vor der Industrie und Handelskammer Düsseldorf erfolgreich ab. Es war zu der damaligen Zeit in der Regel kein Problem, eine Arbeitsstelle zu finden. Mit dem Gehilfenbrief, der von der Industrie- und Handelskammer ausgestellt wurde, konnte man sich mit Aussicht auf Erfolg bei wissenschaftlichen Instituten oder bei Wirtschaftsunternehmen bewerben, um dann in ein Angestelltenverhältnis übernommen zu werden.

Es war die Zeit, in der man gut in Schreiben, Rechnen und Lesen ausgebildet war. Man wendete neben dem Kopfrechnen und dem Dreisatz auch den Rechenschieber an. Politisch war es eine Zeit, in der sich die unterschiedlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in den beiden deutschen Staaten BRD und DDR immer stärker zeigten und der Kalte Krieg die Weltpolitik beherrschte. Westdeutschland stand unter dem Schutzschild der USA, aber das Land USA jenseits des „großen Teiches“ erschien zu dieser Zeit für mich unerreichbar.

Neben meiner anschließenden Berufstätigkeit in anorganisch-chemischen und biochemisch-medizinischen Bereichen nahm ich zusätzlich an Ausbildungslehrgängen zum Staatlich geprüften Chemotechniker teil, die ich im Juli 1966 erfolgreich abschloss.

Von September 1966 bis September 1967 arbeitete ich als Laborassistent im Fachbereich Geochemie an der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI) auf der Halbinsel Cape Cod, MA, USA bei Professor Dr. E. T. Degens. In dieser Zeit nahm ich an zwei jeweils mehrwöchigen meeresbiologischen Forschungsfahrten im Atlantik teil. Die eine Forschungsfahrt mit dem Forschungsschiff „Atlantis II“ führte von Dakar, Senegal, Westafrika nach Recife, Brasilien. Auf dieser Forschungsfahrt, die unter der Leitung von Professor Dr. Howard L. Sanders stand, wurden Untersuchungen im Bereich des Mittelatlantischen Rückens und die Erfassung physikalischer und chemischer Daten im Nord- und Südatlantik durchgeführt. Die zweite Forschungsfahrt mit dem Forschungsschiff „Crawford“ führte von Cape Cod aus in Richtung Cape Hatteras und in Richtung der Bermuda Inseln. Man erfasste bei dieser Forschungsfahrt, die unter der Leitung von Professor Dr. Frederick C. Fuglister stand, physikalische und chemische Daten im Bereich des Golfstroms. [19]