Früher, heute, zukünftig - Rolf W. Meyer - E-Book

Früher, heute, zukünftig E-Book

Rolf W. Meyer

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Beschreibung

Gegenwärtig scheint Zeit keine Rolle mehr zu spielen. Auffallend ist nur, dass die Sehnsucht nach Vergangenem immer mehr zunimmt. Nicht nur jüngere Menschen in Deutschland sehnen sich nach der Vergangenheit, sondern auch Vertreterinnen und Vertreter der älteren Generationen zeigen nostalgische Tendenzen. Aber war denn früher alles besser? Wer sich mit den geschichtlichen Ereignissen aus der Zeit früherer Generationen beschäftigt, wird eines Besseren belehrt. Die Generationen der Nachkriegszeit sehen sich heute genauso mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Die gegenwärtige sozial-politische Situation für Deutschland hat dessen Bevölkerung aus ihrer "Wohlstandsillusion" gerissen. Wohlstandsverluste können zu einer politischen Instabilität führen. Für die Zukunft der Menschen sieht man im Metaversum einen idealen Aufenthaltsort. Aber hat denn die Menschheit auf der Erde überhaupt eine Überlebenschance?

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Rolf W. Meyer

Früher, heute, zukünftig
oderBemerkenswertes und Nachdenklicheszu einer Zeitreise

Rolf W. Meyer

Früher, heute, zukünftig

Copyright: © 2022 Rolf W. Meyer

Umschlag & Satz: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Alle Personen und Geschichten sind real, sie werden aber teilweise verfremdet dargestellt. Eventuelle Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen mit den Namen von lebenden Personen sind nicht beabsichtigt und daher rein zufällig.

published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de

Dieses Buch widme ich meinen Familienmitgliedern Ingrid, Imke und Jan sowie meinen Großcousinen Heinke Brendler geborene Traulsen, Suffield, CT, USA und Monika Rudolph geborene Barthel, Plauen im Vogtland. Ihnen allen habe ich viel zu verdanken.

„Früher war nicht alles besser. Wir waren nur jünger und uns war vieles ganz egal. Jedoch: Nicht alles, was wir damals für richtig hielten, ist auch heute noch richtig. Die Welt hat sich verändert. Und wir uns auch.“

Rolf W. Meyer

„Wir können aus Fehlern und Erfolgen vergangener und gegenwärtiger Gesellschaften lernen. Wir haben auch die Gelegenheit, schnell aus Entwicklungen zu lernen, die sich irgendwo auf der Welt in anderen Gesellschaften abspielen, aber auch aus dem, was sich dort irgendwann abgespielt hat.“

Jared Diamond, US-amerikanischer Evolutionsbiologe

„Was Menschen überfordert, wird oft verdrängt. Die Schnelligkeit der Veränderungen führt dazu, dass unser Geist absolut überfordert wird. Als Folge wird die Zahl der Armen zunehmen, die Mittelschicht wird schrumpfen.“

Thomas Druyen, Soziologe

Prolog

Wir erleben gegenwärtig eine kultur-historische Entwicklung für eine große Anzahl von Menschen auf dem Planeten Erde, in der Zeit keine Rolle mehr zu spielen scheint. Auffallend ist nur, dass in unserer Gegenwart immer mehr verstärkt Vergangenes eingebracht wird.

Liegt es vielleicht daran, dass Vergangenes in vielen Fällen auch Bewährtes war, nach dem wir uns wieder sehnen? Hängt es vielleicht auch damit zusammen, dass wir mit mancher technologischen Entwicklung nicht immer Schritt halten können und dass uns die moderne Leistungsgesellschaft oftmals vereinsamen lässt? Tempus rerum imperator – Die Zeit ist die Beherrscherin der Dinge.

In diesem Zusammenhang ist das Ergebnis einer Umfrage von 2022 unter 18- bis 34-Jährigen bemerkenswert, die unter der Frage, wonach sie sich sehnen, geführt wurde. Das Ergebnis: Jüngere Menschen in Deutschland träumen nicht mehr von der Zukunft, sondern sie sehnen sich nach der Vergangenheit. [1] Mit dem Begriff Vergangenheit verbinden interessanterweise die Befragten nahezu ihre eigene Kindheit und Jugend. Auch bei Vertreterinnen und Vertretern der älteren Generationen zeigen sich nostalgische Tendenzen. Es gibt über alle Altersgruppen hinweg mehrere Gründe dafür, warum man lieber in der Vergangenheit leben möchte. Das können Aussagen widerspiegeln, wie zum Beispiel: „Früher ist der Zusammenhalt größer gewesen.“, „Früher war es besser.“, „Man war glücklicher.“ und „Es gab mehr Sicherheit und Beständigkeit.“, „Es gab weniger Kriege und Krisen.“, „Die Umweltbedingungen waren besser.“

Für das „Zurückgewandt“-Verhalten der Generation der unter 34-Jährigen hat der Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt eine Erklärung: „Es ist […] eine Generation, die komplett gepampert wurde von ihren Eltern.“ [2]

Aber war denn früher wirklich alles besser? Wer sich einmal mit den geschichtlichen Ereignissen aus der Zeit „früherer Generationen“ beschäftigt, wird eines Bessern belehrt. Dies belegen historische Rückblicke von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in Verbindung mit dem Kapitel „Erzählt doch mal von früher“, die in diesem Buch dokumentiert sind.

Aber auch die Generationen der Nachkriegszeit, das betrifft die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, sahen sich bzw. sehen sich gerade heutzutage mit einer Vielzahl von globalen Problemen konfrontiert – wenn auch in jeweils andersartigen Ausdrucksformen, die die jeweilige Zeitepoche geprägt haben bzw. prägen.

Was die Nachkriegsgenerationen betrifft, so definieren der Soziologe Klaus Hurrelmann und der Journalist Erik Albrecht als signifikant folgende sechs Generationen: [3]

Die skeptische Generation

(heutiges Lebensalter: 75–90 Jahre) und

die 68er-Generation

(heutiges Lebensalter: 60–75 Jahre). Die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges hat die Vertreter dieser beiden Nachkriegsgenerationen geprägt. Ihre Lebensleistung äußert sich darin, dass sie einerseits am wirtschaftlichen Aufbau der jungen, 1949 gegründeten BRD (Bundesrepublik Deutschland) beteiligt waren. Andererseits kamen ein kultureller und ein politischer Aufbruch mit teilweise revolutionären Charakteristika in den nachfolgenden Jahren zum Ausdruck.

Die Generation der Babyboomer

(heutiges Lebensalter: 45–60 Jahre) und

die Generation X

(heutiges Lebensalter: 30–45 Jahre). Als Erwachsene haben sie gegenwärtig Einfluss, Verantwortung und Macht in der Gesellschaft.

Die Generation Y

(heutiges Lebensalter: 15–30 Jahre) und

die Generation Z

(heutiges Lebensalter: bis zu 15 Jahre). Es sind die Generationen der heutigen Jugendlichen und Kinder, deren ältesten Vertreter von ihnen gegenwärtig mit ihren 30 Jahren schon in verantwortlichen beruflichen und gesellschaftlichen Positionen stehen. Die meisten dieser Generationen-Vertreter aber befinden sich noch in der Ausbildungsphase (Schule, Ausbildung und Studium).

Hinsichtlich der gegenwärtigen sozial-politischen Situation für Deutschland (Stand 2022) zeigt sich eindringlich, dass eine hohe Inflation, eine Infrastruktur, die in vielen Bereichen zerbricht, sowie eine ungewisse Energieversorgung (in Verbindung mit hohen Kosten für die Gesellschaftsmitglieder) die Bevölkerung in diesem Land „aus ihrer Wohlstandsillusion“ gerissen haben. [4] Dies alles sind Tatbestände, durch die Wohlstandsverluste zu einer politischen Instabilität führen können.

Wie stellt man sich im digitalen Zeitalter, also in jenem Zeitabschnitt im Verlauf der kulturellen Evolution des Menschen, der durch digitale Informations- und Kommunikationstechnologien geprägt ist, die Zukunft für die Menschheit vor? Das Schlüsselwort lautet Metaversum. [5] Es ist ein „konsistenter und persistenter digitaler Raum, der durch die Konvergenz von virtueller, erweiterter und physischer Realität entsteht – einschließlich der Summe aller virtuellen Welten, der erweiterten Realität und des Internets.“ [6] In dieser digitalen Zukunftswelt können die Benutzerinnen und Benutzer des „Ersatz-Biotops“ die Welten mitgestalten und „dort leben, lernen, arbeiten und feiern.“ [7] Für Mark Zuckerberg, dem Gründer von Metaversum, ist diese Technologie ein weiterer „Evolutionsschritt sozialer Verbindungen“.

Ist das die finale Lösung für alle Probleme der Milliarden von Menschen auf der Erde? Ich bezweifle das. Meine Begründung aus evolutionsbiologischer Sicht lautet: Von seiner langen Stammesgeschichte her, die in Afrika begann, hat sich für den Menschen (auch anatomisch moderner Mensch genannt und taxonomisch als Homo sapiens sapiens gekennzeichnet) das Zusammenleben in kleinen, gut überschaubaren Sozialverbänden als eine verlässliche Überlebensstrategie erwiesen. Eine Gesicht-zu Gesicht-Kommunikation, Arbeitsteilung, Kooperation, zusätzliche olfaktorische und haptische Reize, die von den Mitgliedern des Sozialverbandes ausgehen, erwiesen sich immer schon als stabilisierende Faktoren für ein effektives Zusammenleben. Es ist verständlich, dass sich in dieser zeitgeschichtlich frühen Zeit des Paläolithikums bei den Menschen eine „Steinzeitpsyche“ entwickelte, die auch heutzutage noch bei allen Menschen auf dem Planeten Erde wirksam ist.

Allerdings: Das heutige Leben der gegenwärtig 8 Milliarden Menschen (Stand 2022) auf der Erde in Mega-Sozialverbänden, die Schnelllebigkeit und Reizüberflutung im täglichen Leben, der Zerfall von sozialen Strukturen und die moderne Technik im digitalen Zeitalter weisen die Menschen mit ihrer „Steinzeitpsyche“ immer stärker in ihre Schranken. Die Fluchtmöglichkeit für Menschen in die digitale Zukunftswelt eines Metaversums wäre ein weiterer Beweis dafür, wie das Sozialwesen Mensch manipuliert werden kann.

Die Entfaltung der Einflussnahme des Metaversums auf den Menschen kann sich beispielsweise in folgenden Bereichen bemerkbar machen: Wirtschaftliche, politische, ökologische, psychologische und gesellschaftliche Auswirkungen wären die Folgen. [7.1]

Hat denn die Menschheit auf der Erde überhaupt eine Überlebenschance? Das letzte Kapitel dieses Buches gibt darauf eine Antwort.

„Erzählt doch mal von früher“ – Historische Rückblicke

Ein Leben in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts

Geschichtliche Ereignisse:

1904–1905:

Russisch – Japanischer Krieg

1905:

Russische Revolution

1905:

Albert Einstein begründet die Allgemeine Relativitätstheorie

1907:

In der bildenden Kunst entsteht der Kubismus

1912:

Jungfernfahrt und Untergang der Titanic

1914:

Beginn des Ersten Weltkrieges (bis 1918)

1917:

Oktoberrevolution in Russland und Beginn des Bürgerkrieges in Russland bis 1922

1918:

Novemberrevolution in Deutschland

1919:

Gründung der Weimarer Republik

1919:

Ausrufung und Niederschlagung der Bremer und der Münchener Räterepubliken

1919, 14.–15. Juni:

Erster Non-Stop-Flug über den Atlantik durch John Alcock

Christian Friedrich Otto Meyer, der 1901 in Plauen im Vogtland zur Welt kam und 1977 in Düsseldorf verstarb, beschreibt den „kleinräumigen“ Lebensbereich, den er als Kind zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfahren hat.

Unser Leben war in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf den engsten Umkreis beschränkt. Die meisten Menschen um uns und aus dem Lebensbereich meiner Eltern dachten kleinräumig. Obgleich ich, der 1901 in Plauen im Vogtland zur Welt kam, nahe einer wichtigen Verkehrsstrecke, der Eisenbahn (Berlin) – Leipzig – Hof (München), aufwuchs und täglich den regen Fernverkehr vor Augen hatte, spielte das Reisen und der Drang in die Ferne in unserem damaligen Bewusstsein keine Rolle. Wenn mein Vetter Fritz Anlauft bei uns zu Besuch war, stand er auf dem Balkon unseres Hauses und sah jedem Zug wie einer seltenen Erscheinung nach. So weit lag sein Wohnort Elsterberg vom Verkehr ab.

Zwar hatte mein Vater nach seiner Lehr- und Bauschulzeit als Bautechniker in Braunschweig und Elberfeld gearbeitet. Ob er je das Meer gesehen hat, weiß ich nicht. Meine Mutter hat es sicher nie gesehen. Sie war einige Zeit zur hauswirtschaftlichen Ausbildung im Marthaheim Leipzig, einer Einrichtung der Diakonissen, gewesen, dann in Düsseldorf bei Verwandten einer Elsterberger Familie. Daran schloß sich ein längerer Aufenthalt bei der Familie Otto Kießig, dem Bruder ihres Schwagers, an, der für einige Jahre mit der gesamten Familie aus Port Elizabeth/Kapland [8] zu einem Europaaufenthalt nach Dresden gezogen war. Das waren ihre Ausflüge in die Welt, von denen sie zu erzählen pflegte, wie heutzutage die Jungen von den Ferien am Mittelmeer.

Also blieb auch für uns Kinder damals Elsterberg das Ziel jeder Reise. Wohl verreisten einige meiner Kameraden aus der Bürgerschule während der Sommerferien in eine Sommerfrische oder „an die See“. Doch das waren die Familien höherer Beamten und Fabrikanten. Es waren nach heutigen Begriffen bescheidene Reisen. Meine Eltern jedenfalls dachten überhaupt nicht an Urlaub und Verreisen. Allein schon die Kinderzahl (ich hatte 5 Geschwister) und das Alter meiner Eltern schloß das aus.

Ich selbst kam in einzelnen Ausflügen nach Bad Elster [9] und an die böhmische Grenze. [10] 1913 lud mich die Schwester meines Vaters, meine Patentante Elisabeth Marie Freund, zu einer Fahrt nach Leipzig ein, wo eine internationale Bauausstellung stattfand und die Einweihung des Völkerschlachtdenkmals [11] zur Erinnerung an den 18./19. 10. 1813 bevorstand. Das war meine erste große Eisenbahnreise. Mein Vater kam nach 2 Tagen nach und mit ihm erlebte ich die große Ausstellung und die Neubauten, die später die „technische Messe“ aufnahmen. Für mich war das ein großes Erlebnis: die Hallen, die Musterhäuser, die modernen Möbel, der Vergnügungspark und die Gaststätten. Wir wohnten im „Christlichen Hospiz“ in der Roßstraße. Schon das Frühstück, das Kännchen Kakao, Honig und Marmelade, der Brotkorb, die Brötchen, Zwieback und Hörnchen, versetzten mich in eine andere Welt. Das war also mein erster Schritt heraus aus der Enge unseres bescheidenen Lebens. Die Erinnerung daran blieb lange wach.

Ich begann zu lesen und damit kam die Sehnsucht nach der „weiten Welt“. Der Bücherbestand meines Vaters war bescheiden. Doch er schenkte mir zu Weihnachten wohl schon seit dem 9. Lebensjahr gute Jugendbücher, die die Fantasie in Entdeckungsfahrten, Schiffsreisen und ferne Länder beflügelten. Nach 1912, im Realgymnasium von Plauen, kam die Schülerbücherei ins Blickfeld. Man fand Gleichgesinnte, ließ sich Reisebücher empfehlen und vermitteln. So entwickelte sich der für dieses Alter wohl übliche Drang in die Ferne. Sprach man davon oder von den bescheidenen Reisen von Schulfreunden, dann hörten wir die elterliche Lehre: „Lernt nur schön, gebt Euch Mühe in der Schule – dann könnt Ihr Euch das später alles selbst leisten!“ Ich habe als Schüler bis in den ersten Weltkrieg hinein alles gelesen, was ich über Entdeckungs- und Forschungsfahrten erlangen konnte: Cooks Weltumsegelungen, [12] die großen Fahrten der Portugiesen und Venezianer. Hier blieb die Ferne das Ziel meiner Wünsche.

Kindheitserinnerungen von 1908

Geschichtliche Ereignisse:

1908, 13. März:

Die Marke Steiff Original für Spielzeug aus Filz und ähnlichem Material wird eingetragen.

1908, 30. Mai:

In Deutschland wird ein Versicherungsvertragsgesetz verabschiedet.

1908, 21. September:

Der Mathematiker Hermann Minkowski hält in Köln einen Aufsehen erregenden Vortrag über Raum und Zeit. Die Raumzeit gewinnt Konturen.

1908, 28. Oktober:

Erster Motorflug in Deutschland durch Hans Grade in Magdeburg

Die 1903 in Plauen im Vogtland geborene Magdalene Emma Meyer beschreibt ihre Kindheitserinnerungen aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Sie starb 1989.

Ich möchte von meinen Erinnerungen an Elsterberg, das sich nicht allzu weit von meiner Heimatstadt Plauen befindet, berichten. Meist verbrachten ich und meine fünf Geschwister unsere Ferien bei Tante Anna Heyer, der verheirateten Schwester meiner Mutter, und ihrem Mann, Onkel Robert Heyer. Erst bewohnten sie in Elsterberg ein großes Haus auf der Greizer Straße, weil Onkel Robert dort eine eigene kleine Weberei hatte. Später bezogen sie in Elsterberg das Haus Gartenstraße 4. Sowohl der Onkel als auch die Tante haben mich in jeder Hinsicht immer sehr verwöhnt. Beim Frühstück fing es schon an. Was ich auch liebte kam auf das Brötchen, Butter mit Honig oder roher Schinken. Wir kannten das ja von daheim nicht. Onkel Robert war ein Feinschmecker. Im Bad lag ständig auf einem Holzbrett ein großer westfälischer Schinken für ihn. Übrigens wohnte damals auch Onkel Roberts Mutter, eine Landwirtstochter aus Schlesien, mit in der großen, 12 Zimmer umfassenden Wohnung. Für uns Kinder war sie die „Heyers Großmutter“. Die Putzfrau Webern hat alles sauber gehalten. Die Weberei von Onkel Robert hatte übrigens den Firmennamen „Kießig und Heyer“. Aus welchem Grund sie aufgelöst wurde, weiß ich nicht. Auch das Haus auf der Greizer Straße wurde verkauft. Eines ist mir noch in guter Erinnerung. Wir fanden fast jeden Morgen unter dem Kopfkissen Naschereien oder kleine Blecheier mit einem Bonbon gefüllt, die Onkel Robert von seinen Stammtischabenden in dem Gasthof „Grüner Baum“ stets für uns mitbrachte. Es gab da wohl Automaten. Sehr wichtig für uns Mädchen war es auch, dass wir mit Tante Anna zur Schneiderin Frau Hanisch gingen. Sie wohnte gleich am Markt und wir wurden mit herrlichen Kleidern ausstaffiert. Dann ging es zu Frau Frey ins Putzmachergeschäft und wir bekamen herrliche Hüte mit Blumenbukett. Niemand ging zu dieser Zeit ohne einen Hut. Tante Anna hatte eine ganze Anzahl von Hüten: Einen zum Einkaufen, einen für den Gottesdienst in der Laurentius Kirche und einen zum Spazierengehen. Es war eine andere Welt. Wann Heyers in die Gartenstraße 4 zogen, weiß ich nicht mehr. Das Haus hatte mein Großvater Christian Friedrich Baumann für seine jung verheirateten Töchter bauen lassen. Es stand in der Nähe der Elsterbrücke. Da fällt mir der schöne und große Birnbaum ein, der an der Hauswand rankte. Jahraus, jahrein trug er wunderbare große Birnen. Heute wird er wohl nicht mehr blühen.

Ein frohes Erlebnis für uns Kinder war auch eine Fahrt nach Greiz. Dort besuchten wir erst einmal das schöne Café Engelmann und spazierten dann durch den Schlosspark mit seinem eindrucksvollen Schwanenteich. Mir fällt ein, dass Onkel Robert damals in Greiz eine gute Position im Webereiverband hatte. Ich meine mich daran zu erinnern, dass es zu dieser Zeit zwei Fürstentümer Reuß gab, und zwar eine jüngere und eine ältere Linie. Jedenfalls kam der Fürst auch ab und zu mal nach Elsterberg und ging ganz bescheiden aber immer gut gekleidet als Privatmann durch den Ort. Wir grüßten ihn dann und der Herr Fürst zog elegant seinen Hut. Ich erinnere mich auch, dass im Haus Markt 10, dem Haus unseres Großvaters, die „Lenks Mama“ [Christiane Friederike Lenk geb. Sarfert] und seine Mutter, die Schönheider Mama“ [Christiane Marie Baumann geb. Friedrich] wohnte. An meine Großmutter Mathilde Therese Baumann geb. Lenk kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass wir Meyers in Plauen-Haselbrunn stets zur Kirchweih ein großes und feines Kuchenpaket von den Großeltern aus Elsterberg bekamen. Im Großen und Ganzen war es damals in meiner Kindheit ein beschauliches Leben ohne Radio, Fernsehen und der Technik, wie wir es heute erleben. Nach getaner Arbeit wurden am Feierabend in Elsterberg Bänke vor die Haustüren gestellt und jeder war bereit zu einem Schwatz. Manchmal strickten die Frauen dabei und die Männer tranken Bier. Auch fanden Markttage statt, mit viel Illuminationen und Musik. Wir Kinder mussten aber meist zeitig schlafen gehen. Mit meiner Base, der Anlaufts Hannel, schlief ich meist in einem Bett im oberen Stock des Heyerschen Hauses. Wir konnten oft lange nicht einschlafen, weil wir ja das Getümmel auf dem Marktplatz mit hörten. Auch die Ruinenfeste in Elsterberg feierten wir mit, wobei wir Mädchen Dirndelkleider trugen. Eine echte vogtländische Tracht besaßen nur die Erwachsenen. Sehr oft besuchten wir von Plauen aus auch den Großvater Christian Friedrich Baumann in Elsterberg. Im Sommer fuhren wir mit der Kutsche, dem so genannten Landauer, dorthin. Im Winter benutzten wir den Rennschlitten. Dann forderte man meinen älteren Bruder auf: „Otto, lauf nunter ins Gut und sag, der Kutscher Nikol soll einspannen. Wir fahren am Nachmittag nach Elsterberg zum Großvater.“ Ja, das waren damals noch andere Zeiten. Wir Kinder hatten da viel Freude. Zur Sommerzeit fuhren wir durch eine lange Kirschenallee. Natürlich hielten wir an und zupften tüchtig die reifen Früchte von den Bäumen. Der Großvater war damals bereits schon Witwer, Großmutter war 1907 gestorben, und er hatte als Haushälterin die Frau Becher. Sie betreute ihn gut. Wenn wir in Elsterberg ankamen, wurden vor dem Gasthof „Grüner Baum“ die Pferde ausgespannt. Man brachte sie dann in die nach hinten liegenden Pferdeställe. In einem seitlich gelegenen Teil des Gasthofgebäudes war eine große Stube für die Kutscher. Der Großvater hat sich stets gefreut, wenn seine Enkelkinder kamen. Ich musste ihm stets etwas vorsingen. Mein Vater hat mir das schöne Lied beigebracht: „Ein getreues Herz zu wissen, ist des höchsten Schatzes Preis.“ Ich stellte mich dann weit hinter den eisernen Ofen, weil ich nicht mochte, dass mich jemand anguckte. Mein Liedervortrag hat aber immer allen gefallen, und ich bekam vom Großvater 2 Zehnerle. Damals war das viel Geld. Gegen Abend ging es dann wieder die Plauensche Straße hinauf und nach Haselbrunn zurück. Vorher hatte uns natürlich Frau Becher mit Kaffee und Kuchen bewirtet. Die Jugendjahre waren schön. Aber oftmals denke ich, wenn die Großeltern Meyer und Baumann wüssten, wie das Erbe zerronnen ist und was deren Kinder und Enkel in zwei Weltkriegen durchleben mussten. Vielleicht ist es gut, dass ich nun schon so alt bin. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt.

Als der Erste Weltkrieg begann

Geschichtliche Ereignisse:

1914, 28. Juli:

Beginn des Ersten Weltkrieges, der bis 1918 in Europa, dem Nahen Osten, Afrika und Ostasien geführt wird

1914, 30. Juli:

Generalmobilmachung in Russland

1914, 1. August:

Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Russland

1914, 31. August:

Sieg der deutschen über die russischen Truppen in der Schlacht bei Tannenberg

1917:

Oktoberrevolution in Russland und Beginn des Bürgerkrieges in Russland bis 1922

1918:

Novemberrevolution in Deutschland