Five Nights at Freddy's - Fazbear Frights 5 - Wenn das Kaninchen zweimal klopft - Scott Cawthon - E-Book

Five Nights at Freddy's - Fazbear Frights 5 - Wenn das Kaninchen zweimal klopft E-Book

Scott Cawthon

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Beschreibung

Die schaurig-schöne Kurzgeschichtensammlung rund um das Universum der populären Videogame-Saga Five Nights at Freddy's geht in die fünfte Runde. In drei spannungsgeladenene Shortstorys wird FNAF-Fans erneut das Gruseln gelehrt.

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Seitenzahl: 272

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FIVE NIGHTS AT FREDDY’S von Scott Cawthon

Romane

Band 1: Die silbernen Augen

ISBN 978-3-8332-3519-1

Band 2: Durchgeknallt

ISBN 978-3-8332-3616-7

Band 3: Der vierte Schrank

ISBN 978-3-8332-3781-2

Band 4: Fazbear Frights 1 – In die Grube

ISBN 978-3-8332-3948-9

Band 5: Fazbear Frights 2 – Fass!

ISBN 978-3-8332-4020-1

Band 6: Fazbear Frights 3 – 1 Uhr 35

ISBN 978-3-8332-4021-8

Band 7: Fazbear Frights 4 – Noch ein Schritt

ISBN 978-3-8332-4087-4

Comics

Graphic Novel 1: Die silbernen Augen

ISBN 978-3-7416-2001-0

Nähere Infos und weitere spannende Romane unter www.paninibooks.de

Von Scott Cawthon, Andrea Waggener und Elley Cooper

Ins Deutsche übertragen vonAnke Bondy

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Amerikanische Originalausgabe: „Five Nights at Freddy’s: Fazbear Frights #5 – Bunny Call“ by Scott Cawthon, Elley Cooper, and Andrea Waggener published in the US by Scholastic Inc., New York, September 2020.

Copyright © 2022 Scott Cawthon. All rights reserved.

Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Schlossstr. 76, 70176 Stuttgart.

Geschäftsführer: Hermann Paul

Head of Editorial: Jo Löffler

Head of Marketing: Holger Wiest (email: [email protected])

Presse & PR: Steffen Volkmer

Übersetzung: Anke Bondy

Lektorat: Tom Grimm

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

YDFIVE008E

ISBN 978-3-7367-9833-5

Gedruckte Ausgabe:

ISBN 978-3-8332-4191-8

1. Auflage, Juli 2022

Findet uns im Netz:

www.paninicomics.de

PaniniComicsDE

INHALT

Der Besuch des Kaninchens

In Fleisch und Blut

Der Mann in Zimmer 1280

Über die Autoren

DER BESUCH DES KANINCHENS

Die Sonne brach durch die tief hängenden grauen Wolken und stach Bob in die Augen. Er blinzelte und bog die Sonnenblende herunter, während er vom Gas ging, um seinen klapprigen Minivan sicher um die millionste scharfe Kurve auf dieser scheinbar endlosen, gewundenen Straße zu steuern, die durch dicht bewaldete Berge führte.

Das! Ist! Einfach! Großartig!, dachte Bob.

Das Einzige, worauf er sich bei dieser Reise gefreut hatte, war das vorhergesagte regnerische Wetter. Seine Familie deprimierte diese Aussicht sehr, doch er freute sich insgeheim. Regen bedeutete nämlich, dass die unzähligen geplanten Aktivitäten ausfallen würden und er in Ruhe ein wenig angeln, ein Nickerchen machen und ein Buch lesen konnte.

„Sieh dir das an, Schatz!“, rief Bobs Frau Wanda. „Die Sonne!“

„Meinst du wirklich, dass sie das ist?“

Tadelnd schlug Wanda ihm auf die Schulter.

„Gibst du mir meine Sonnenbrille?“, bat Bob.

Ein paar Sekunden lang wandte er seinen Blick von der Straße ab und beobachtete Wanda, die sich vorbeugte, um die Sonnenbrille aus dem Handschuhfach zu holen. Immer wieder bewunderte er ihre glänzenden kastanienbraunen Locken und die weichen Züge ihres Profils. Wanda war zierlich, hatte einen hellen Teint und Sommersprossen. Selbst nach zwölf Jahren Ehe und drei Kindern war sie immer noch die hübsche, kecke Cheerleaderin, in die er sich in der Highschool verliebt hatte. Der einzige auffällige Unterschied zu damals war ihre Kleidung. Ihre Pompons und Faltenröcke hatte sie gegen die neueste Mode getauscht. Heute trug sie kurze, hoch geschnittene schwarze Shorts und ein lavendelfarbenes Netztop über einem schwarzen Tanktop. Das Oberteil war ihr über eine Schulter herabgerutscht. Sie sah toll aus.

Während Bob den Blick wieder auf die Straße richtete, setzte er seine Sonnenbrille auf. Dann aber nahm er sich einen Augenblick lang Zeit, um sich selbst im Rückspiegel zu betrachten. Diese paar Sekunden genügten, um festzustellen, dass er nicht mehr wie der Sportler aussah, der er in der Highschool gewesen war. Das lange, dichte schwarze Haar, die scharf gezeichnete Kieferlinie, die schelmischen dunkelbraunen Augen und das breite, unbekümmerte Grinsen waren verschwunden. An ihre Stelle waren ergrautes schütteres, kurzes Haar getreten, teigige Wangen, müde Augen und herabgesunkene Mundwinkel. Die meisten seiner Muskeln waren, wie seine Haare, verschwunden. Er hatte einfach nicht genügend Zeit, um zu trainieren … und das war deutlich zu sehen.

Schnell konzentrierte er sich wieder aufs Autofahren. Er zog den Minivan auf die rechte Spur, als die Straße anzusteigen begann und aus den zwei Fahrspuren drei wurden, sodass eine Überholspur entstand. Hinter Bob scherten zwei Sportwagen aus und schossen an ihm vorbei.

Bob seufzte. „Ich vermisse meinen MG.“

Wanda warf ihm einen Blick zu, reagierte aber nicht auf den Köder. Das tat sie nie. Als sie ihr zweites Kind bekamen, hatte Wanda ihn überredet, seinen geliebten MG zu verkaufen, und er bereute es jeden Tag. Er vermisste einfach alles an diesem Auto, sogar den Geruch – den intensiven Duft nach Motoröl und Ledersitzen, der ihm immer das Gefühl gegeben hatte, ein Mann zu sein … und jung.

Bob schüttelte den Kopf und versuchte, die Gerüche des Minivans nicht einzuatmen. Er roch nach Erdnussbutter, schmutzigen Socken und Traubensaft.

„Wisst ihr was?“, rief Wanda.

„Was?“, antworteten die Kinder im Chor.

„Die Wettervorhersage hat sich verändert!“ Wanda führte im Sitzen einen kleinen Freudentanz auf, während sie auf das Display ihres Telefons blickte.

Bob war überrascht, dass sie überhaupt noch Netz hatten. Es fühlte sich nämlich an, als befänden sie sich Tausende von Meilen von der Zivilisation entfernt.

„Anstatt einer achtzigprozentigen Wahrscheinlichkeit für Dauerregen“, verkündete Wanda, „sind es jetzt nur noch zwanzig Prozent. Es soll sonnig werden!“

„Liebe, liebe Sonne, komm ein bisschen raus …“, sang Bobs dreijährige Tochter Cindy laut und falsch.

„Lass den Regen oben, dann wollen wir dich loben …“, stimmte Wanda mit ein.

Cindy kicherte und begann wieder von vorn. Ihre kastanienbraunen Zöpfe wippten im Rhythmus. Was Cindy an Gesangstalent fehlte, machte sie durch ihren Enthusiasmus und ihren Charme wett. Mit ihren Sommersprossen und ihrem fröhlichen Lachen eroberte sie jeden im Sturm.

„Na los, singen wir zusammen!“, rief Wanda.

Der siebenjährige Aaron saß neben Cindy in seinem Kindersitz, aus dem er zu seiner großen Freude bald herauswachsen würde. Wie seine Schwester hatte er Sommersprossen und kastanienbraunes Haar, und auch er versprühte diese Energie. Natürlich sang er mit. Tyler, zehn Jahre alt, schlaksig und dunkelhaarig, mit ziemlich breiten Schultern, die bereits darauf hindeuteten, wie athletisch er bald sein würde, hatte es sich in der dritten Sitzreihe gemütlich gemacht. Da er der Älteste war, sonderte er sich gern ein bisschen von den anderen ab, doch er war immer noch jung genug, um an allen Familienunternehmungen teilhaben zu wollen. Er liebte die gemeinsamen Spieleabende, die Filmabende, die Sonntagspicknicks und auch das gemeinsame Singen. Jetzt trug er seinen Teil dazu bei, indem er eine Beatbox-Begleitung lieferte.

„Liebe, liebe Sonne, komm ein bisschen raus …“, sang Bobs Familie.

„Nun mach schon, Bob“, drängte ihn Wanda. „Sing mit!“

Bob grunzte und knirschte mit den Zähnen, während seine Familie die beiden Zeilen mindestens ein halbes Dutzend Mal wiederholte. Schenkt mir ein bisschen klassischen Rock, und ich singe alles mit, dachte Bob. Aber über die blöde Sonne wollte er nicht singen.

Bob presste die Lippen aufeinander und richtete seinen Blick fest auf die Straße, wo der noch feuchte Asphalt in der Sonne glitzerte. Die doppelte gelbe Linie in der Mitte wirkte wie eine Leine, die den Minivan unaufhaltsam in Richtung seines Ziels zog. Bob saß zwar am Steuer, aber die Kontrolle besaß er nicht. Nicht wirklich.

Wann hatte er überhaupt das letzte Mal die Kontrolle gehabt? Bevor Tyler geboren wurde? Als er und Wanda geheiratet hatten? Bevor sie sich kennengelernt hatten? Wann überhaupt mal seit seiner Geburt? War Kontrolle nur eine Illusion?

Schließlich verstummte der Gesang, und Aaron stellte die uralte Frage: „Sind wir bald da?“

„Sind wir bald da? Sind wir bald da?“, plapperte Cindy ihm nach.

„Wie weit ist es noch? Sind wir bald da?“, wandte sich Wanda an Bob.

„Du jetzt nicht auch noch“, seufzte Bob.

Wanda lachte. Sie warf einen Blick auf die Karte, die aufgeklappt auf ihrem Schoß lag, und beantwortete die Frage selbst. „Noch siebenundzwanzig Meilen“, verkündete sie.

Bob fand es liebenswert, dass Wanda darauf bestand, eine Karte zu benutzen anstatt eines Navis, weil das, wie sie fand, viel mehr Spaß machte. Es war eine der vielen Eigenheiten, die Bob an ihr liebte. Lieder zu erfinden – wie das dämliche Sonnenlied –, gehörte dagegen zu ihren vielen Marotten, die er nicht so toll fand. Ständig ein Gefühl der Zusammengehörigkeit in der Familie zu erzeugen, ging ihm ziemlich auf die Nerven.

Als Tyler klein gewesen war, hatte er noch gut damit leben können. Mit seinem Sohn zum Angeln und zum Baseball zu fahren, war überhaupt kein Problem. Selbst die Wanderungen, die Wanda plante, machten Spaß. Als dann Aaron geboren wurde, waren die Familienaktivitäten zwar komplizierter geworden, aber noch machbar geblieben. Aber als schließlich Cindy dazu kam, hatte sich der Chaosfaktor verzehnfacht. Cindy war keine Nervensäge, sondern eigentlich ein sehr liebes Kind. Doch ihr Energielevel sprengte jeden Rahmen, und aus irgendeinem Grund hatte das die Jungs nur noch mehr angeheizt. In letzter Zeit hatte Bob das Gefühl, überhaupt nicht mehr zur Ruhe zu kommen, nicht einmal nachts. Er konnte sicher sein, dass eines oder mehrere seiner Kinder irgendwann zu Wanda und ihm ins Bett krabbeln würden, jede Nacht, ohne Ausnahme.

Während Bob früher auch Zeit für sich selbst gehabt hatte, gehörte jetzt seine gesamte Zeit allen, außer ihm selbst. Einen Teil davon nahm seine Arbeit ein. Seine Kinder einen weiteren, und Wanda beanspruchte den Rest. Früher hatte er Wanda die Zeit, in der sie ihn für sich haben wollte, nie missgönnt, aber das hatte daran gelegen, dass sie gemeinsam Schönes unternahmen. Jetzt wollte sie, dass er in dieser Zeit einer seiner vielen Verpflichtungen als Familienvater nachkam: Er sollte dann Trainer sein, Lehrer, Spielkamerad, Koch, Handwerker, Chauffeur, Einkäufer, Hausmeister, Geldverdiener.

Ein paar Monate zuvor hatte Wandas beste Freundin ihr vom „Camp Etenia“ erzählt. „Etenia ist ein indianischer Name und bedeutet reich“, las Wanda aus der dicken Broschüre vor, in der der Ort beschrieben wurde. „Wir haben unser Familien-Camp Etenia genannt, weil ein Mann, der eine Familie hat, wirklich reich ist“, las sie weiter. „Ist das nicht schön, Bob?“

„Hm“, meinte er abwesend.

Am Anfang hatte Bob gedacht, Wanda würde sich nur einfach mal über dieses Camp informieren, so wie sie gern über Grönland, Norwegen und Albanien nachlas. Wanda reiste gern, und sie liebte es, Ziele zu recherchieren. Doch bald hatte sich herausgestellt, dass es ihr mit Camp Etenia ernst war.

„Warum schicken wir die Kinder nicht einfach in dieses Camp, bleiben zu Hause und machen es uns in der Hängematte gemütlich?“, schlug Bob vor, als Wanda nicht aufhörte, davon zu reden. Er nahm sie in den Arm und schmiegte sich an sie. „Nur wir beide.“

Doch darauf sprang Wanda nicht an. Auch seine Idee, in ein schönes Hotel zu fahren und die Kinder an den Pool zu schicken, damit sie Zeit für sich hatten, gefiel ihr nicht. Schließlich zog Bob alle Register und schlug ein teures Resort vor, in dem die Kinder von Animateuren beschäftigt würden, während die Eltern unter großen Sonnenschirmen an weißen Stränden faulenzen konnten. Bob wollte sich einfach entspannen. Wanda wollte etwas anderes.

Und hier war er nun, auf dem Weg ins Camp Etenia.

Bob warf einen Blick in den Rückspiegel, um herauszufinden, warum in ihrem Minivan plötzlich so ein Lärm herrschte. Alle drei Kinder waren offenbar in ein kompliziertes Klatschspiel vertieft.

Wanda beugte sich zu ihm herüber. „Zoie und ich haben solche Camps geliebt, als wir kleine Mädchen waren“, erzählte sie ihm zum zehnten Mal. „Der einzige Nachteil war, dass wir von meinen Eltern getrennt sein mussten. Ist es nicht toll, dass wir das den Kindern nicht zumuten müssen? Wir werden eine ganze Woche lang alle zusammen sein!“

„Fantastisch.“

Falls Wanda seinen Sarkasmus bemerkt hatte, ignorierte sie ihn meisterhaft.

Vor dem Minivan lief ein Reh über die Straße, und Bob trat auf die Bremse. Zum Glück waren sie nicht sehr schnell unterwegs gewesen. Obwohl er das Reh knapp verfehlt hatte, spürte Bob, wie sein Blutdruck in die Höhe schoss.

„Könnt ihr mal leiser sein?!“, brüllte er die Kinder an. „Ich versuche hier, Auto zu fahren.“

Sofort wurde es still.

„Glaubst du, dass es da Feen gibt, Daddy?“, fragte Cindy. Sie starrte aus dem Seitenfenster in den dichten Wald, der die Straße auf beiden Seiten säumte.

„Warum nicht?“, meinte Bob.

Wanda hatte ihm immer wieder gesagt, dass Cindy ganz besonders sensibel war. Er dürfe ihre Seifenblase, in der sie lebte, niemals platzen lassen. Wenn sie also gern glauben wollte, dass es Feen gab, war es seine Aufgabe, sie darin zu bestärken.

Wanda wechselte das Thema. „Und was machen wir, wenn wir angekommen sind?“, fragte sie die Kinder.

Bob stöhnte auf. Nicht das schon wieder.

Alle drei begannen gleichzeitig zu schreien: „Mega-Seifenblasen machen, Karaoke singen, Schnitzeljagd, Puppentheater spielen, Steine bemalen, tanzen“, rief Cindy.

„Trampolin springen, Bogenschießen, reiten, Kanu fahren, Mountainbike fahren, wandern!“, trug Aaron bei.

„Kajak fahren, tauchen, segeln, schwimmen, Tauziehen spielen, laufen, Tischtennis, Volleyball, Bungee-Jumping, mit der Seilrutsche fahren!“, meldete sich Tyler von der dritten Reihe.

Wanda lachte vergnügt. Sie tat das absichtlich, um die Kinder weiter anzustacheln.

Am liebsten hätte Bob sich mit beiden Händen die Ohren zugehalten. Aber natürlich konnte er das nicht tun und gleichzeitig fahren.

Und was ist mit Angeln?, dachte er. Bob liebte es, zu angeln.

Wanda dagegen hasste es. Aber Wanda konnte einen, wenn es nötig war, manipulieren wie kaum ein anderer. So hatte sie Bobs Liebe zum Angeln kurzerhand gegen ihn verwendet, als sie ihn zu dieser Reise überredet hatte.

Als deutlich wurde, dass Bob mit der Familie ins Camp Etenia fahren würde, ob er nun wollte oder nicht, hatte er sich mit dem Gedanken getröstet, dass er dann zumindest allein losziehen und angeln könnte. Doch schon bald kam die Wahrheit ans Licht. „Du wirst aber wohl nicht viel allein machen können“, hatte ihm Wanda gestanden. „Es gibt da Angelwettbewerbe, und vielleicht kannst du die Jungs dazu überreden, mit dir zusammen an einem teilzunehmen.“

Warum musste immer alles so organisiert sein?

Die Kinder riefen weiterhin irgendwelche Aktivitäten durcheinander. Bob schätzte, dass sie etwa fünf Jahre bleiben mussten, um all das wenigstens einmal zu machen, was die Kinder sich vorstellten, tatsächlich aber hatten sie nur eine Woche Zeit.

Nur? Ja, genau.

Sieben Tage waren eine Ewigkeit.

„Sieben Tage voller Spaß und Abenteuer“, hatte Wanda immer wieder zu ihm gesagt, während sie alles für die Reise vorbereiteten. Aus ihrem Mund klang das alles wirklich ganz toll.

Nur, wie sollte Bob diese Zeit überleben?

* * *

Camp Etenia, das musste Bob zugeben, war schon ein toller Ort, und er wäre es ganz besonders dann, wenn er nicht von lärmenden Familien bevölkert gewesen wäre.

Eingebettet in ein schmales Tal zwischen zwei hohen, bewaldeten Bergketten mit zerklüfteten Felsen, schmiegte sich Camp Etenia ans Ufer des lang gestreckten, riesigen und tiefblauen Amadaby-Sees. Laut der Camp-Broschüre war Amadaby das Cherokee-Wort für „Waldwasser“. Es wäre ein passender Name für einen See in den Wäldern gewesen, allerdings lag das Camp nicht mal in der Nähe des Cherokee-Reservats. Doch als Bob Wanda darauf hinwies, schien es sie nicht weiter zu interessieren.

Camp Etenia war über eine zehn Meilen lange Schotterstraße zu erreichen, die am Ende einer starken Steigung vom Highway abzweigte. Man sah es erst, wenn man schon fast da war. Ein dezentes, rustikales Schild, das sich halb hinter einem Ahornbaum verbarg, bestätigte die müden Reisenden, dass sie sich auf dem richtigen Weg befanden: CAMP ETENIA GERADEAUS.

Das Lager selbst wirkte ebenso malerisch wie seine Umgebung. Das Hauptgebäude war eine gewaltige Blockhütte mit zwei steinernen Schornsteinen und einer großen Veranda, die sich an der Vorderseite und den beiden Seiten des Gebäudes entlangzog. Darüber thronte ein glänzend grünes Metalldach. Die fünfunddreißig Hütten des Camps sahen aus wie die Kinder des Haupthauses. Kleine Hütten aus Holz und Stein, die wie Entenbabys ganz in der Nähe ihrer Mutter herumschwammen. Bob und seine Familie waren in Nummer 17 untergebracht, der Hütte Nuttah. Nuttah war offenbar ein algonquinisches Wort für „stark“.

Bobs Jungs fanden, dass „Nuttah“ ein witziger Name war, weil es irgendwie nach Nuss klang.

„Geh mir nicht auf die Nüsse“, meinte Aaron immer wieder.

„Gibt es da viele Erdnüsse, Daddy?“, hatte Cindy sich mehrmals erkundigt.

Bob hielt den Namen für idiotisch, denn der Stamm der Algonquin lebte ebenfalls nicht dort in der Nähe. Die Besitzer von Camp Etenia schienen in einen Sack mit indianischen Namen gegriffen und wahllos ein paar herausgezogen zu haben.

Der Parkplatz von Camp Etenia war ein schattiger, von Bäumen umstandener Schotterplatz hinter dem Hauptgebäude. Als Bob mit dem Minivan knirschend darüberrollte, wurde er sogleich daran erinnert, dass man nicht mit dem Auto zur Hütte fahren durfte.

„Das würde die ganze Atmosphäre verderben“, sagte Wanda, als Bob sich darüber beschwerte.

„Gehören unerträgliche Rückenschmerzen, nachdem wir unseren ganzen Kram zur Hütte geschleppt haben, auch zum Ambiente?“, entgegnete Bob.

Wanda lächelte ihn an und trug frischen Lipgloss auf.

Das beantwortet dann wohl meine Frage, dachte Bob.

Als er neben dem mit Gepäck und Spielzeug vollgestopften Minivan stand, pochte es bereits in Bobs Rücken, wenn er nur daran dachte, all das zur Hütte tragen zu müssen. Und natürlich befand sich die Hütte Nuttah am weitesten vom Parkplatz entfernt.

„Sie liegt direkt am Waldrand, Bob“, hatte Wanda geschwärmt, als ihnen die Hütte zugewiesen wurde.

„Oh Freude und Glückseligkeit“, hatte Bob wenig begeistert jubiliert.

Was für eine Frau den Himmel auf Erden bedeutete, konnte sich für einen Mann als Hölle erweisen.

Bob blickte hinauf zu diesem heimtückischen Himmel, der seine Wolken inzwischen gegen ausgedehntes Blau eingetauscht hatte. Die Sonne stand fast direkt über ihren Köpfen, und sie brannte erbarmungslos auf sie herab. Bob schätzte, dass es mindestens dreißig Grad waren. Die Luft fühlte sich schwer und feucht an.

Der Schotter knirschte unter ihren Füßen, und Wanda und die Kinder sprangen buchstäblich um das Auto herum. Cindy drehte sich im Kreis, Aaron führte eine Art Tanz auf, und Tyler trommelte auf der Motorhaube des Minivans. Wanda begrüßte jeden, der sich in ihrer Nähe befand.

„Guck mal, Metterling!“, quiekte Cindy.

Bob folgte Cindys pummeligem Zeigefinger und sah, wie ein Monarchfalter in einem Büschel Lachsbeeren verschwand. Er erinnerte sich an seine Kindheit, als sein Vater ihn zum Zelten mitgenommen und sie Lachsbeeren gepflückt hatten, die sie zu ihren frischen, gebratenen Forellen essen wollten.

„Komm schon, Dad“, sagte Aaron, „wir müssen uns anmelden, sonst verpassen wir noch alles.“

„Bob, kümmerst du dich darum?“ Wanda reichte ihm vier Blätter Papier. Es waren Listen.

Er wusste, dass es sich dabei um die Aktivitäten handelte, die sich jedes Kind ausgesucht hatte, und um die, für die Wanda beschlossen hatte, dass sie als Familie daran teilnehmen würden. Er seufzte. Ihm war klar, dass er den ganzen Nachmittag damit zubringen würde.

„Die Kinder und ich sehen uns mal um und lernen Leute kennen“, sagte Wanda. „Wenn du mit der Anmeldung fertig bist, kannst du ja die Sachen zur Hütte bringen.“

„Ach, kann ich das? Na prima“, murmelte Bob.

„Was meinst du, Schatz?“

„Nichts.“

Bob sah zu, wie seine Familie davonhastete, aber er rührte sich nicht von der Stelle. Er wünschte, er könnte einfach ins Auto steigen und wegfahren. Er schaute auf den Fahrersitz. Was würde passieren, wenn er es einfach tat?

Der süße Duft von Wildblumen kämpfte mit dem stechenden Geruch von Abgasen, doch übermächtig waren die kräftigen Aromen von Wacholder und Kiefer. Sie ließen Bob an einen Gin Tonic denken, sein Lieblingsgetränk. „Er schmeckt wie ein immergrüner Baum“, hatte Wanda gesagt, als er ihr das erste Mal einen gemixt hatte. Danach fing sie an, Gin Tonic „das Baumgetränk“ zu nennen, und schließlich verkürzte sie es auf „Baum“. „Mach mir einen Baum“, sagte Wanda gelegentlich, wenn die Kinder freitagabends schon schliefen.

Er könnte jetzt einen „Baum“ gebrauchen.

Plötzlich wurde er von hinten kräftig angestoßen. Ein Kind rief „Entschuldigung“, als Bob gegen den Minivan taumelte. Als er sich an einer der noch offenen Türen festhielt, bemerkte er einen übergewichtigen, schwitzenden Mann mittleren Alters, der mit mehreren Seesäcken und Koffern kämpfte. Der Mann begegnete Bobs Blick, und Bob schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln. Dann schloss Bob die Türen des Minivans und sah sich erst einmal um.

Doch das bereute er sofort.

Es war schon schlimm genug, das Lager vom Fahrersitz aus zu sehen und zu beobachten, wie seine Familie mit ungebremster Begeisterung aus dem Minivan sprang. Doch dieses Fegefeuer nun in seinem ganzen Ausmaß vor sich zu sehen, war für ihn praktisch unerträglich.

Überall liefen Kinder herum, als hätte man ihnen eine Droge verabreicht, die sie besinnungslos machte, dabei aber in ständiger Bewegung hielt. Männer verwandelten sich in Packesel. Schwitzende Väter taumelten unter dem Gewicht ihrer Last in Richtung der Hütten. Mütter knüpften Kontakte und organisierten sich. Inmitten des Chaos bliesen die Betreuer auf Trillerpfeifen und schrien unverständliche Anweisungen.

Bob versuchte zu verstehen, was sie sagten, aber es gelang ihm nicht. Er fasste sich ein Herz und ging auf eine blonde Betreuerin mit Pferdeschwanz und blauen Augen zu. Sie pfiff durchdringend, als er nur noch einen Meter von ihr entfernt war. Das schrille Trillern drang in seine Ohren und wirbelte mehrere Sekunden lang in seinem Hirn umher, bevor es ihm gelang, etwas zu sagen.

„Entschuldigen Sie“, sprach er die Betreuerin an, „wie kann man sich für die Aktivitäten anmelden?“

Lächerlicherweise blies sie erneut in ihre Trillerpfeife, aber diesmal wenigstens nur kurz. Dann zeigte sie auf eine flache Treppe an einer Seite des Haupthauses. „Gehen Sie da rauf und folgen Sie dem Gang zur vorderen Veranda. Stellen Sie sich einfach in die Schlange.“ Sie trillerte erneut.

Es juckte Bob in den Fingern, ihr kurzerhand die Pfeife abzunehmen, aber er hielt sich zurück.

„Danke“, sagte er mit einem mordlüsternen Lächeln.

Wie beschrieben ging Bob die Treppe hinauf und fand die Schlange. Von dort konnte er sehen, dass sich seine Familie bereits eingelebt hatte. Cindy und ein Mädchen mit schwarzen Zöpfen hielten sich an den Händen. Die beiden drehten sich auf einem großen Steg, der in den See hinausragte, im Kreis herum. Warum taten kleine Kinder das nur so gern?

Neben Cindy unterhielt sich Wanda mit einer Frau, während Bobs Söhne und ein anderer Junge abwechselnd versuchten, Steine über die Oberfläche des Sees springen zu lassen.

Und er? Er stand in der Schlange, um den Papierkram zu erledigen. Wie gut er diese Situation kannte.

Irgendwann wusste Bob nicht mehr, wie lange er schon wartete. Fliegen umsurrten seinen Kopf, und er spürte, dass sein Nasenrücken zu brennen begann. Das würde ihn lehren, Wandas Rat zu ignorieren, rechtzeitig Sonnencreme aufzutragen.

„Es wird regnen“, hatte er zuversichtlich gesagt.

„Man weiß nie“, hatte sie erwidert. Es war erstaunlich, wie oft sie etwas wusste, was er nicht einmal ahnte.

Irgendwo spielte jemand Gitarre. Ganz in der Nähe wurde wohl gerade Dörrfleisch verspeist. Bob zog die Nase kraus. Der Duft allein ließ seinen Magen knurren.

Auch andere Eltern standen in der Schlange und unterhielten sich, aber Bob interessierte sich nicht für sie. Zum ersten Mal, seit sie von zu Hause losgefahren waren, konnte er über den Antrag nachdenken, an dem er so gerne zu Hause gearbeitet hätte. Eigentlich hatte er im Moment überhaupt keine Zeit, eine Woche Urlaub zu machen, und wenn er es doch tat, dann wollte er sich nicht bei irgendwelchen Aktivitäten mit einem Haufen Fremder abrackern. Ehrlich gesagt brauchte er einfach mal Zeit für sich.

Bob blickte sich wieder nach seiner Familie um. Cindy spielte jetzt mit einem neuen Freund ein improvisiertes Hüpfspiel, während die Jungs versuchten, auf den Pfählen zu balancieren, die den Steg säumten. Er war überzeugt, bald ein lautes Klatschen zu hören.

Um die Zeit zu überbrücken, ließ er seinen Blick durch das Hauptgebäude schweifen. Es sah genauso aus, wie in der Broschüre beschrieben: freiliegende Holzwände, viele große und schwere Holzmöbel, verziert mit indianischen Mustern. Über dem Kamin thronte ein mächtiger Hirschkopf, und die Kronleuchter, die von der Decke des Blockhauses hingen, waren aus Geweihen gefertigt. Dies war wohl nicht die beste Gegend, um als Hirsch geboren zu werden.

Bob warf noch einen letzten Blick auf seine Familie, als die Schlange weiter vorrückte. Wie erwartet fielen die Jungen in den See. Cindy spielte weiter ihr Hüpfspiel. Wanda lachte über ihre Söhne … aber nur, weil auch sie lachten.

Hätte jemand Bob gefragt, ob er seine Familie liebte, hätte er mit einem vehementen „Ja!“ geantwortet – denn das tat er. Aber das bedeutete nicht, dass er jeden Einzelnen immer mochte, und in letzter Zeit mochte er sie zunehmend weniger. Irgendetwas wollten sie immer von ihm.

Daddy, sieh dir das Bild an, das ich gemalt habe, verlangte Cindy.

Dad, kannst du mir den Ball zuwerfen?, bat Aaron.

Dad, bitte hilf mir bei meinem Schulprojekt, flehte Tyler.

Schatz, das Garagentor klappert. Bitte reparier es, befahl Wanda ihm. Ja, befahl. Sie sagte zwar immer „bitte“, aber es fühlte sich trotzdem stets wie ein Befehl an, als würde sein Chef sagen: „Erledigen Sie das bitte noch heute.“

Bob hatte genug von all den Ansprüchen und Verpflichtungen. Er musste einfach mal wieder durchatmen.

„Sie sind dran.“ Jemand klopfte Bob auf die Schulter. Er sah sich um.

Hinter Bob stand ein junger Vater, dem seine damit einhergehenden Aufgaben anscheinend noch gefielen.

Der Mann grinste und deutete über Bobs Schulter. „Sie sind dran“, wiederholte er.

Am Tisch vor Bob saß eine kräftige, braun gebrannte Frau mit superkurzem, dunkelblondem Haar und Lachfalten um die Augen. Sie blickte zu ihm auf. „Hi. Ich bin Marjorie.“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, und er bewunderte ihre sehr weißen, ebenmäßigen Zähne, während sie auf das weiße Plastik-Namensschild zeigte, das an ihrem grünen Hemd befestigt war. „Willkommen im Camp Etenia.“

„Ach, da bin ich also gelandet?“ Er wollte trockenen Humor beweisen, aber offenbar verfehlte er sein Ziel.

Marjories Lächeln erlahmte. Sie runzelte kurz die Stirn und sagte dann: „Name?“

„Mackenzie.“

Die Frau tippte auf die Tasten eines kabellosen Laptops ein. „Bob, Wanda, Cindy, Aaron und Tyler.“

„So ist es.“

„Okay, dann wollen wir Sie mal einchecken. Haben Sie Ihre Liste mit den Aktivitäten vorbereitet?“

Bob reichte der Frau Wandas ordentlich erstellte Listen. Das Camp bot hundertundzwölf verschiedene Aktivitäten an und verlangte, dass die Gäste bei Anreise Listen mit mindestens zwanzig Aktivitäten einreichten, geordnet nach den jeweiligen Vorlieben. Wanda hatte insgesamt zweiundsiebzig Aktivitäten zusammengetragen. Bob fragte sich, wie Marjorie darauf reagieren würde.

Aber sie schien überhaupt nicht überrascht zu sein. „Perfekt“, sagte sie nur und begann auch schon zu tippen.

Bob beobachtete sie mit zusammengebissenen Zähnen. Einer der Einwände, die er gegen Camp Etenia hatte – eigentlich gegen jedes Sommercamp –, war die ganze Bürokratie. Er hatte keine Probleme damit, in der Natur zu sein oder irgendwelche witzigen Dinge zu unternehmen, aber dass alles nach einem genauen Zeitplan lief, nach einer Liste – das hatte ihn schon immer verrückt gemacht. Ha! Vielleicht war er in der verrückten Hütte ja ganz richtig.

Aber mal im Ernst: Hatte er nicht schon genug Zeitpläne und Listen, an die er sich bei der Arbeit halten musste? Wenigstens wurde er dort dafür bezahlt. Wieso sollte er sich diesen Mist auch noch in seiner Freizeit antun?

Marjorie hörte auf zu tippen. „Ich konnte Sie nicht bei jeder der gewünschten Aktivitäten unterbringen, aber ich habe es geschafft, die zwanzig besten für jedes Ihrer Kinder und für Sie als Familie zu buchen.“

„Voll krass.“ Bob genoss es, einen von Tylers Lieblingssprüchen rauszuhauen.

Marjorie reichte Bob die Listen zurück, schaute dann in beide Richtungen und hinter sich, bevor sie sich nach vorn beugte. Als sie sprach, war ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Bob hörte „Wollen Sie …?“, aber der Rest war unverständlich.

Er beugte sich vor. „Wie bitte?“

Marjorie beugte sich weiter vor. Ihr Atem roch nach Schokolade. „Wollen Sie auch einen Kaninchenbesuch buchen?“, fragte sie.

Er musste sie falsch verstanden haben und fragte: „Was ist das?“

Marjorie drehte sich um und zeigte auf ein überlebensgroßes Kaninchen, das in der hinteren Ecke des weitläufigen Raums unter einem alten, von der kuppelartigen Decke hängenden Kanu stand. Das Kaninchen mit dem leuchtend orangefarbenen Fell trug eine schwarz-weiß karierte Weste, eine gelb-weiß gepunktete Fliege und einen schwarzen Zylinder, durch den die langen Ohren steil in die Luft ragten. Das Kaninchen hielt eine Zimbel in den Händen, so wie die altmodischen Aufzieh-Affen es früher immer getan hatten. Bob blinzelte. Wie hatte er das Kaninchen übersehen können, als er sich zum ersten Mal umgesehen hatte? Es war, als würde man eine Anakonda in einem Gehege voller Welpen übersehen. Das Kaninchen passte überhaupt nicht in die Umgebung. Es gehörte einfach nicht dorthin.

Ein paar Sekunden lang war Bob völlig fasziniert von dem Kaninchen. Er konnte nicht sagen, ob das Kaninchen ein Mensch war, der ein Kostüm trug, oder eine dieser gruseligen animatronischen Figuren, die er in ein paar der Restaurants gesehen hatte, in denen er als kleiner Junge mit seiner Familie gewesen war. Auf jeden Fall war es nicht die Art von Kaninchen, das man zum Freund haben wollte. Seine Augen waren ein bisschen zu groß, um freundlich zu wirken. Irgendwie schienen sie dem Wahnsinn nahe.

„Mr Mackenzie? Bob?“

Bob blinzelte. „Ja?“

Marjorie grinste ihn an und zwinkerte ihm zu. „Wenn Sie einen Kaninchenbesuch buchen, wird das Kaninchen dort drüben – es heißt Ralpho – zu Ihrer Hütte kommen.“

Bob blickte wieder zurück zu Ralpho, dem Kaninchen.

„Er wird schreiend in Ihre Hütte stürmen, die Becken aneinanderschlagen, während der Kopf auf seinem Rumpf rotiert.“ Marjorie gluckste. „Es ist ein wirklich gruseliger Anblick!“

Das konnte Bob sich gut vorstellen.

„Und der perfekte Weckruf“, fügte Marjorie hinzu.

Bob verstand nicht. „Weckruf?“

„Ach, richtig, das habe ich noch nicht gesagt. Ralpho macht seine Runde zwischen fünf und sechs Uhr morgens. In dieser Stunde besucht er jede Hütte, die einen Kaninchenbesuch gebucht hat. Das ist eine Art kleiner Streich, den wir den Kindern an ihrem ersten Tag hier spielen. Die meisten von ihnen lieben es, sich gleich am ersten Morgen richtig zu erschrecken.“ Marjorie gluckste wieder. Mit ihrer tiefen Stimme klang es wie das teuflische Lachen eines Schurken. „Hätten Sie Interesse?“

Bob schaute von Marjorie zu Ralpho und wieder zurück. Er dachte an seine nervtötend glückliche Familie, die darauf beharrte, dass er seine einzige freie Woche in diesem Sommer in diesem schlecht getarnten Nachsorgezentrum für überarbeitete Väter verbringen sollte. Er dachte daran, wie lange er in dieser blöden Schlange gestanden hatte, um sich für all die albernen Aktivitäten anzumelden. Er dachte an all das Gepäck, das er noch zur Hütte Nuttah schleppen musste.

Dann dachte er daran, wie seine Familie auf laute Geräusche am Morgen reagierte, und er bekam sofort bessere Laune.

„Klar!“ Er grinste. Das würde ein Geschrei geben!

„Wunderbar“, sagte Marjorie. Sie tippte wieder auf ihre Tastatur ein. „So. Alles eingetragen.“ Sie lächelte ihn an, und er lächelte zurück.

Es war Bobs erstes echtes Lächeln an diesem Tag. Es war der erste Moment, seit diese Reise geplant worden war, in dem er etwas anderes fühlte als Unmut und Ärger. Er fühlte sich sogar ein wenig beschwingt.

Marjorie beugte sich vor und griff nach einem Stapel Papiere, den sie gerade ausgedruckt hatte. Sie schob sie Bob vor die Nase. „Wenn Sie das durchlesen könnten, um sicherzugehen, dass Sie mit allem einverstanden sind, und dann jede Seite abzeichnen? Sie reichte ihm einen Stift. Er seufzte und ging die unerträglichen Listen noch einmal durch. Er war überhaupt nicht einverstanden, aber er unterschrieb trotzdem.

Marjorie strahlte. „Sehr schön!“ Sie ordnete die Papiere und heftete einige davon zusammen. „Hier sind Ihre Zeitpläne“, meinte sie. „Ralpho wird Sie am Morgen besuchen, und die Aktivitäten sind im Kalender vermerkt.“ Sie reichte Bob einen Schlüssel und ein kleines Büchlein. „Der Schlüssel zur Hütte Nuttah und ein Buch mit den Regeln im Camp“, erklärte sie.

Oh, wie schön! Ein Buch mit Regeln. Bob brauchte genauso dringend mehr Regeln, wie er noch ein paar Jobs oder ein paar Kinder mehr brauchte.

Allerdings sagte er das nicht laut. Er nahm nur das Regelbuch und den Schlüssel entgegen.

„Viel Spaß, und zögern Sie nicht, Bescheid zu sagen, wenn Sie irgendwas brauchen“, sagte Marjorie.

Bob nickte ihr zu, bedachte Ralpho mit einem letzten Blick und ging dann nach draußen. Er bemerkte, dass er sich jetzt irgendwie leichteren Schrittes bewegte. Er war versucht, eine kleine Pirouette zu drehen, als er die Tür erreichte. Stattdessen wandte er sich ein letztes Mal zu Ralpho um und zog einen imaginären Hut vor seinem neuen „Freund“.

„Danke, Kumpel“, sagte Bob leise. Ralpho war es gelungen, Bob ein tiefes Gefühl der Befriedigung zu schenken, wie er es seit Wochen nicht mehr erlebt hatte.

* * *

Bob schleppte die letzte Ladung Gepäck in die Hütte Nuttah und verließ sie sogleich wieder, um etwas zu verschnaufen. Bei der Hütte handelte es sich um ein einfaches Blockhaus mit zwei kleinen Seitenfenstern, einem Panoramafenster an der Vorderseite und einem winzigen Fenster auf dem Dachboden. Sie wirkte wie ein A mit einer kleinen Terrasse davor. Bob schüttelte den Kopf. Sie hatte nichts von dem Fünf-Sterne-Hotel, in dem er jetzt eigentlich gern Urlaub gemacht hätte.

„Bob?“, rief Wanda.

Er ging in die Hütte, und Wanda warf ihm diesen Blick zu, den er immer als den „gewissen“ Blick bezeichnete. Sie zog dabei den Mund schief und hob die Augenbrauen, was so viel bedeutete wie: Du tust gerade nicht, was ich von dir will.

„Was?“, fragte Bob.