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Ken Bruen

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  • Herausgeber: Polar Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Der Südosten Londons wird vom "Manners Killer" heimgesucht, der seinen Opfern eine Lektion in Anstand beibringen will. Sein Pech, dass die Ermittlungen ausgerechnet Inspector Brant übernimmt, der gerade einen Kriminalroman schreibt und in bester "The Killer Inside Me"-Manier von Jim Thompson der Meinung ist, dass, wenn schon jemand in seinem Revier ungestraft mit einem Mord davonkommt, er das doch bitteschön selbst ist. "Now here is a serial killer for modern times." Und ein Inspector der alten Schule. Mit einem Vorwort von Robert Brack

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Ken Bruen

Kaliber

Kriminalroman

Aus dem Englischenvon Karen Witthuhn

Copyright © 2006 Ken Bruen

Translated from the English language: Calibre

First published by: St Martin’s Minotaur, New York

Der Verlag bedankt sich für die finanzielle Förderung der Übersetzung durch den Ireland Literature Exchange (Übersetzungsfond), Dublin, Irland.

www.irelandliterature.com

[email protected]

Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2015

Aus dem Englischen von Karen Witthuhn

© 2015 Polar Verlag GmbH Hamburg

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) oder unter Verwendung elektronischer Systeme ohne schriftliche Genehmigung des Verlags verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Der Abdruck des Vorworts erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Robert Brack.

Lektorat: Robert Schekulin

Umschlaggestaltung: Detlef Kellermann, Robert Neth

Autorenfoto: Ken Bruen

Satz: Andre Mannchen

Gesetzt aus Adobe Garamond PostScript, InDesign

Print ISBN: 978-3-945133-12-5 E-Book ISBN: 978-3-945133-13-2

www.polar-verlag.de

FÜR MAGGIE GRIFFINAL GUTHRIEDAVID CORBETT

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

EPILOG

Vorwort

MIT WORTEN ZUSCHLAGEN

vonRobert Brack

Verdammt! Du kannst meinetwegen lamentieren. Dich missverstanden fühlen, entfremdet und misshandelt. Heulen und wehklagen. Dir die Haare raufen. Die Leute nerven mit endlosen Monologen, soziologischen Betrachtungen, philosophischen Exkursen.

Kannst du alles machen.

Den Zustand der Zivilisation beweinen. Die Aufhebung des Gesellschaftsvertrages betrauern. Oder laut schreien: »Im Herzen der Bestie herrscht Krieg!« Du kannst mit Waffengewalt gegen die Herrschenden vorgehen, irgendeine Zentralbank in die Luft sprengen.

Klar, kannst du alles machen.

Angesichts der mörderischen Verhältnisse, die um uns herum herrschen, kannst du auch problemlos irrewerden.

Bestimmt.

Oder zum Selbstmörder, zum Massenmörder.

Kannst du alles machen, wenn‘s sein muss. Aber bleib bitte nicht sprachlos! Denn das wäre die bedingungslose Kapitulation!

Es ist wirklich weitaus gesünder, folgerichtiger und unterhaltsamer, sich einem der großartigsten negativen Helden anzuschießen, den die Kriminalliteratur je hervorgebracht hat: Lou Ford, dem Protagonisten in Jim Thompsons Noir-Klassiker ›Der Mörder in mir‹, der meinte, mit Worten zuzuschlagen sei fast so gut wie richtig zuzuschlagen

In einer Gesellschaft, die die eigenen Werte so weit umgewertet hat, dass ihre Verhältnisse das genaue Gegenteil von dem sind, was sie sein sollten, wird der psychopathische Mörder zum Helden und der moralisch handelnde Mensch zum Verbrecher. So könnte man Jim Thompson verstehen.

So könnte man auch die Welt verstehen, in der wir leben.

Ken Bruen, der stilistisch hochversierte Berserker der irischen Kriminalliteratur, sagte einmal, die Welt sei zu chaotisch, er könne keine Ordnung finden, und das Einzige, das ihn davor bewahre, zum gewalttätigen Soziopathen zu werden, sei das Schreiben. In seinem kurzen, hoch konzentrierten Roman ›Kaliber‹ taucht nun ein ›Manieren-Mörder‹ auf, der das Pseudonym Lou Ford gewählt hat. Alles klar?

Der Roman gehört zu einer Serie, in der neben dem latent psychopathischen Detective Sergeant Tom Brant und seinem nicht gerade korrekt agierenden Vorgesetzten Chief Inspector James Roberts noch eine ganze Reihe anderer mehr oder weniger schadhafter Charaktere aus der Londoner Polizei auftreten.

Die Frage, wer hier eigentlich Verbrecher ist und wer nicht, stellt sich von Anfang an. Brant ist ein übles Schwein, er tritt Kollegen gegenüber rücksichtslos und egomanisch auf, legt alle hereinlegt und manipuliert zwanghaft. In der Öffentlichkeit benimmt er sich wahlweise wie ein führendes Mitglied einer mafiösen Verbrecherbande (die hier zufälligerweise Metropolitan Police heißt) oder geistesgestörter Einzelkämpfer. Kurz: Er hat keine Manieren.

Die anderen Beamten sind nicht ganz so extrem, aber ähnlich veranlagt. Politisch korrekt ist niemand. Sozial korrekt agiert auch keiner oder keine. Ob hetero, schwul, lesbisch, homophob, misogyn, xenophob oder sonst wie veranlagt – die Frauen und Männer dieser Polizeitruppe repräsentieren im Grund nichts weiter als die Bandbreite von typischen Charakteren unserer aktuellen Gesellschaft. Sie sind Stereotype, Klischees, Abziehbilder der realen Menschen um uns herum. Nur dass die wirklichen Charaktere nicht unbedingt von Berufs wegen dazu verpflichtet sind, für das zu sorgen, was man beschönigend ›Recht und Ordnung‹ nennt.

Recht und Ordnung, ein funktionierender Staatsapparat, eine kompetente Polizeibehörde, eine halbwegs vernünftige Gesetzgebung oder auch nur der Hauch einer Idee, was Zivilisation sein sollte, sind in Ken Bruens Kosmos längst Schnee von gestern. Das alles haben die Regierenden in trauter Zusammenarbeit mit den Regierten, die Gesetzesbrecher im Verein mit den Gesetzeshütern, die Irren in trauter Einigkeit mit den Psychiatern in die Tonne getreten. Übrig bleiben Individuen, die, egal welche soziale Position sie einnehmen, orientierungslos agieren, weil sie in dem von Hypernarzissmus und zwischenmenschlicher Abzocke geprägten Müll um sie herum keine Moral mehr finden.

Aber nicht nur die notdürftig verschweißten Versatzstücke einer demolierten Realität und der Rekurs auf den schmutzigen Noir-Klassiker von Jim Thompson spielten offenbar eine grundlegende Rolle bei der Komposition dieses mit schwarzem Humor gespickten Krimis. Pate stand auch Ed McBain, der Großmeister des amerikanischen Polizeiromans. Dessen voluminöse Romanserie über das 87. Revier hat die Grundlage für alles gelegt, was an tauglichen Polizeiromanen, Polizeifilmen und Polizei-Fernsehserien seit den 1960er Jahren produziert wurde. McBains Konzept des Polizeiromans als ›Menschliche Tragödie‹ hat Ken Bruen mit seiner Brant-Roberts-Serie umgepolt.

Aus der Tragödie wurde eine Groteske, aus dem Menschlichen das Absurde. In ›Kaliber‹ entpuppt sich das Soziale als ebenso destruktiv wie das krankhaft Egomanische. Wer hier noch einen moralischen Halt findet, soll sich bitte melden! Außer einer guten Portion Humor, einem sicheren Gespür für Situationskomik, Action und die verschlungenen Pfade des Schicksals hilft gar nichts beim Überleben – außer dem Erzählen.

In einer heillos wirren und stetig erodierenden Gesellschaft lebend, erkennen wir uns in diesen so unverschämt wie verzweifelt agierenden Polizisten wieder, die eine Weisheit ganz offensichtlich mit Löffeln gefressen haben: Ob ›Gesetzeshüter‹ oder ›Gesetzesbrecher‹ – alle arbeiten mit an diesem großen Verbrechen, dem jemand den scheinheilig klingenden Namen ›Zivilisation‹ gegeben hat.

»Huh-uh«, he said. »You got it wrong.«- Jim Thompson, The Killer Inside Me

1

SHIT FROM SHINOLA. Heißt, der Trottel kann Scheiße nicht von Schuhwichse unterscheiden. Muss man den verdammten Amis lassen, die haben geile Sprüche drauf. Die Flüche sind super.

Den Ersten hab ich letzten Dienstag umgebracht, nicht zu fassen, wie leicht das ging. Reue? Kein Stück. Tut mir nur leid, dass ich nicht früher losgelegt hab.

Ich bin vierundvierzig und wohl so was wie ein Spätzünder. Oder Spätblüher, wie die Amis sagen würden. Seit dreißig Jahren könnte ich die Scheißer schon umlegen, und was hab ich gemacht?

Gearbeitet.

Mich krummgelegt.

Ich glaube, Bob Geldof hat mal gesagt, Arbeit ist der größte Schwindel überhaupt. Ich höre die Rats mit »I don’t like Mondays«, mein Lied. Auf den Punkt gebracht. The silicon chip inside my head just switched to overload.

Steht schon lange an.

Mein alter Herr, Anthony Crew, hat sein ganzes Leben lang in einer Asbestfabrik geschuftet. Die letzten zehn Jahre hat er Blut und Schleim hochgerotzt, bis ihm die Augen aus dem Kopf kamen. Hat sein Arbeitgeber die Krankenhausrechnungen bezahlt? Einen Scheiß hat er.

Die Krankenkasse hat ihr Bestes getan, aber er war eine Leiche auf zwei Beinen, tot, ohne es zu wissen, wollte einfach nicht liegen bleiben. Der Ire in ihm, zäh wie Leder, diese Paddys. Jeden Sonntag bin ich zu seiner Bude gefahren, eine Sozialwohnung an der Railton Road, und hab ihm beim Husten zugehört. James Joyce liegt in der Schweiz in der Nähe eines Zoos begraben, und seine Frau Nora Barnacle hat mal gesagt:

»Er hörte die Löwen so gerne brüllen.« Brixton ist auch wie ein Zoo. Mein Dad, das Gesicht zur grotesken Schmerzfresse verzerrt, und ich wollte nur noch irgendein Arschloch killen.

Jetzt hab ich:

WillefordWoolrichThompson.

Meine Helden. Seit über zwanzig Jahren les ich Krimis, krieg nie genug davon, schwarz wie die Hölle. Der klassische hard-boiled Noir, die Typen bringen’s einfach.

Noir und Ende.

Arschtreter erster Güte. Mein Bücherregal ist eine einzige Hommage an den Pulp:

James M. CainHammettChandler.

Eine Sache: Chandlers Romane kann ich nicht mehr sehen, aber seine Briefe, uuaah, das geht ab. Liegen auf meinem Nachttisch, auf der Bibel meines alten Herrn. Die wurde von Malochergeneration zu Malochergeneration weitergereicht, bis sie hier in Clapham gelandet ist. Könnte schlimmer sein, könnte Kilburn sein.

Kann noch passieren.

Wenn man früher in einem Hotel war und Bock auf ’ne Nutte hatte, musste man nur die letzte Seite der Bibel aufschlagen, Bingo. Heute nicht mehr. Ich geb dem Internet die Schuld, der ganze Cybersex und die Chatrooms haben uns den Spaß verdorben.

Mich kriegen sie nicht. Freitag steht der Nächste auf der Abschussliste, diesmal eine Frau, gleiches Recht für alle. Sie kriegen mich nicht; nicht bloß, weil ich schlau bin, sondern weil ich weiß, wie’s läuft.

Ich gucke CSI.

STUDIERE den Scheiß.

Und weiß Bescheid … DNS-Spuren, persönliche Handschrift, Trophäen, der ganze Mist. Zweierlei spricht für mich, ich folge dem Zufall, und ich passe auf.

Kaum zu knacken.

Schaffen die nicht.

Ich hab die »True Crime«-Bücher gelesen, von Ann Rule über Joe McGinnis bis Jack Olsen. Ich kenn mich aus. Bin ich ein Psychopath? Soziopath? Paranoid-schizophren? Narzisstisch gestört? Ein Fehler im System?

Scheiß drum. Was ich wirklich bin: gut und wütend, wie Peter Finch in Network. Denkt ihr echt, ihr könntet mich abstempeln, mich zähmen?

Träumt weiter, Trottel.

Ich bin der apokalyptische Reiter von Clapham.

Aber, hey, ruhig Blut. Ich steh nicht auf so abgefahrenen Scheiß. Auf Körperfresser oder Leichenwichsen. Gott, so ’n Zeug hasse ich. Kann ich ehrlich gesagt nicht mal lesen. Und Kinderficker? Hört mir auf.

Kinder? Würde ich ein Kind killen? No way, José. Höchstens einen aus ’ner Boygroup.

Das ist mein Reality-TV. Mord zur besten Sendezeit.

Und noch was, hoffentlich schreibt ihr mit, weil, ich werde nachfragen. Kennt ihr den Profiler-Kram, den sie einem andrehen? Mich würde man typischerweise festnageln als:

Weiß (stimmt)Ende zwanzig, Anfang dreißig (daneben)Einsamer Wolf (mm … mmmm)Isoliert (nee, nee)Impotent (hey!)Narzisstisch (gut, das lass ich durchgehen)Geringes Einkommen (nee)Single (wieder daneben)Ruhig (ich bin ein Party-Löwe).

Wollt ihr wissen, wie sie Serienmörder kriegen?

Glück, nichts als verdammtes Glück. Bundy wurde wegen einem kaputten Rücklicht geschnappt. Mein Auto ist nicht kaputt, nein, nein. Ich habe Geld, und sollte es je dumm laufen, dann besorg ich mir einen Pick-up, einen Hund und einen Haufen Hank Williams.

Musik.

Habt ihr je von ’nem Killer gehört, der auf Tunes steht? Außer Looney Tunes? Ich hör die ganze Zeit Musik.

Aber Schluss jetzt.

Nicht für euch, für mich. Ich bin völlig fertig. Diese Schreiberei ist nicht so einfach, wie die Pulplinge einen glauben machen. Chandler lehrt mich durch seine Briefe das Handwerk, alles, was man wissen muss - er sagt einem nicht nur, wie, sondern auch, warum.

Oh, und noch ein Grund, warum die Idioten so oft erwischt werden? Jemand lässt es klingeln. Die irische Pest, neben dem Saufen, ist das Petzen. Die haben Guinness erfunden und den Verrat.

Also halt den Mund. Halt den Mund, dann kann keiner singen. »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.«

Und jetzt hau ich mich hin.

And I’m not lazy, whatever else I am. I’ll tell you everything.- Jim Thompson, The Killer Inside Me

2

Sergeant Brant saß in der Kantine. Eine Driza-Bone-Jacke hing über seiner Stuhllehne. Er leckte gerade die Schokolade von einem KitKat und gab dabei absichtlich laute und übertriebene Geräusche von sich, die den gewünschten Effekt hatten. Die Bullen an den umliegenden Tischen mussten es mitkriegen, konnten aber nur hilflos stöhnen:

»Mann, ey!«

Brant war Schwein aus Leidenschaft. Kräftig gebaut, mit dunklem irischen Gesicht, das eher nach verleben als erleben aussah. Sein extrem teurer Anzug flüsterte der Welt ins Ohr:

»Kohle Kohle Kohle.«

Er hatte verschiedene Dinger am Laufen, allesamt illegal, die ihm einen Lebensstil ermöglichten, der nicht zu einem Sergeant der Met in Südost-London passte. Die hohen Tiere wussten, dass er Dreck am Stecken hatte, er wusste, dass sie es wussten, aber nichts ließ sich beweisen.

Superintendent Brown war seit Jahren darauf aus, ihn am Arsch zu kriegen.

Ohne Erfolg.

Brant war tief gebräunt. Auch das für einen Bullen ungewöhnlich. Er hatte sich einen Platz in einem Polizeiaustauschprogramm in Australien ergaunert und zwei Wochen in Sydney verbracht. Um seinen direkten Vorgesetzten, Chief Inspector Roberts, auf die Palme zu bringen, streute er jetzt ständig irgendwelchen Aussie-Slang in seine Sätze ein. Roberts, von Brants Schokoschleckerei schwer genervt, schob seine Teetasse beiseite und sagte:

»Wir machen uns besser auf den Weg.«

Brant wünschte, er hätte den Rest des KitKat in seinen Tee getunkt, ein irrer Zuckerschub. Er griff in seine Jackentasche, zog ein Päckchen Peter Jackson hervor, eine 25er-Packung, typisch für Aussieland. Und ein zerbeultes Zippo. Überall in der Kantine brüllten Schilder:

SMOKING VERBOTEN.

Zwar nicht in Krautsprache, aber in dem Ton. Roberts seufzte, als Brant das Feuerzeug aufklappte, auf dessen Seite eine alte Gravur kaum noch lesbar war:

1968.

Brant lächelte, nicht das übliche zähnefletschende Lächeln, sondern fast ein bedauerndes, wischte sich’s wieder aus dem Gesicht und sagte:

»Wissen Sie was, Sir, die Hippen in Aussieland hatten heftig Holz vor der Hütte.«

Die Alliteration war kein Zufall, er hatte daran gefeilt, um größtmögliche Verärgerung zu erzielen.

Alles nur Timing. Im Timing war Brant Meister. Roberts seufzte, sagte:

»Wann lassen Sie Australien endlich hinter sich?«

Brant gab vor zu schmollen, dann:

»Bei allem Respekt, Sir, Aussieland lässt man nie hinter sich. Fragen Sie Bill Bryson.«

Roberts gab einen Scheiß drauf, wer Bryson war, aber es war immerhin eine Veränderung, wenn nicht gar Verbesserung, dass Brant zur Abwechslung mal nicht Ed McBain zitierte. Die alten Penguin-Ausgaben, die Krimireihe über das 87. Polizeirevier, Brant hatte sie alle besessen, jeden einzelnen Band. Bis der Umpire die Sammlung zerstört hatte. Ein alter Fall, nie zu Ende gebracht. In letzter Zeit fuhr Brant total aufs Schreiben ab, hielt sich für einen englischen Joseph Wambaugh, sagte so Sachen wie:

»Verbrechen lohnt sich …«

Pause.

Nachsatz:

»Für den Autor.«

Dann hatte der letzte McBain, Fat Ollie’s Book, Brants Vision vom schreibenden Bullen noch geschürt. Er hatte sich sogar das Jahrbuch der Künstler und Autoren gekauft, durchkämmte die Webseiten von Agenten und möglichen Verlagen.

Roberts fragte:

»Falls wieder da?«

Eine schwarze Polizistin. Der feuchte Traum des Reviers, doch ihr Stern war oskarreif abgestürzt. Unter Verdacht, einen Polizistenmörder beseitigt zu haben, kurzer Reha-Aufenthalt, ein fast tödlich endendes Kokainfaible und ein lesbisches Abenteuer mit einer Bombenbraut. Sie klammerte sich gerade noch so an ihren Job. Wäre sie weiß, wäre sie draußen. Brant ließ die Zigarette in die Tasse plumpsen, hörte sie zischen, sagte:

»Sie macht die Schulrunde.«

Tiefer konnte man bei der Met nicht sinken. Die tiefste Scheiße. Bestimmte Dienste:

VerkehrNachtstreife auf der Railton RoadPressearbeit

wurden als Drecksarbeit angesehen, aber in Klassenzimmer zu gehen und Nachwuchsgangstern die Rolle der Polizei zu erklären (als ob die nicht Bescheid wüssten … nehmen dich die Bullen aufs Korn, renn wie der Teufel auf Speed) - dieser Gig war die letzte Stufe vor dem Rausschmiss. Eigentlich war es schon der Rausschmiss, nur ohne das Geschrei. Ebenfalls auf die dunkle Seite des Mondes verbannt war PC McDonald, einst das Wunderkind des Super und potenzieller Mann fürs Grobe. Er hatte richtig Scheiße gebaut und war gleich mit abserviert worden.

McDonald und Falls hatten eine gemeinsame und durch und durch üble Vorgeschichte. Sie hassten einander nicht völlig, aber es ging in die Richtung. Falls hatte einen Haufen Geld in die Finger bekommen und einen Teil davon McDonald geschickt, anonym, aber das hatte bei ihm nichts merklich verbessert. Die anderen Bullen hatten eine Wette laufen, wer zuerst abkacken würde. Die sexy Summe von fünfhundert Pfund lag im Pott und vermehrte sich ständig. Sollten beide hinwerfen, gab es eine extra Gewinnklausel.

Brant fragte:

»Haben Sie gewettet?«

»Falls Falls fällt?«

Auch Roberts gönnte sich eine kleine Alliteration, es war ansteckend. Er klopfte seinen alten Anzug ab, ein Überbleibsel aus seinen Ehetagen und nicht gut in Form, sagte:

»Ich bin der Chef; wie wäre das denn, wenn ich drauf wette, dass meine Truppe Scheiße baut?«

Brant lächelte, sagte:

»Das wäre schlau.«

Sie waren gerade an einer Autoschieberbande dran, unter Druck, seit der Lexus des Superintendent geklaut worden war. Eine Reihe falscher Spuren hatten den Zorn des Mannes noch angefacht. Einer von Brants Informanten behauptete jetzt, was Solides zu haben. Brants »Informanten« … Spitzel mit gerne mal tödlich endender Drogenkarriere. Der aktuelle hielt bisher noch durch. Alcazar, genannt Caz, mit einer Vergangenheit als Schecktrickser, er vertickte falsche Reiseschecks. Er kam wahlweise aus:

Puerto RicoHondurasSüdamerika.

Von der Meute unterschied ihn, dass er nie gesessen hatte.

Er war klein, hatte schwarze Haare, den Körper eines Tänzers und einen verschlagenen Blick.

Er kam aus Croydon.

Und, holla, er konnte tanzen:

FlamencoSalsaJivela Macarena.

Seine bevorzugte Waffe war das Stilett, natürlich mit Perlmuttgriff. Er schmierte sich Unmengen von Brylcreem ins Haar und rauchte Ducados, als gäb’s kein Morgen.

Was man eben als reife Persönlichkeit bezeichnen würde. Er trug ein riesiges Goldmedaillon mit »Unserer Lieben Frau von Guadalupe«.

Roberts fragte:

»Wer ist diese Quelle, die wir treffen?«

Brant strahlte ihn mit höchster Wattzahl an, sagte:

»Der wird Ihnen gefallen, er ist Tänzer.«

And she’d got it. Nothing.- Jim Thompson, The Killer Inside Me

3

Porter Nash hatte einen neuen Freund.

Gewissermaßen.

Ein hochrangiger Polizeibeamter, der schwul ist, nicht gerade die Norm. Außerdem war bei ihm kürzlich Diabetes diagnostiziert worden, und zwar Typ 1. Das ist kein Orden, sondern was Ernstes, man muss sich zweimal am Tag spritzen. Porter hatte nie ein Geheimnis aus seinem Schwulsein gemacht. Im Gegenteil, er stellte es durch Äußerlichkeiten eher zur Schau, durch kleine Gesten, die nach Meinung der Bullen in der Carter Street bewiesen, dass man schwul war: Mentholzigaretten, Barbara-Streisand-Musik, ein goldenes Armband und, todsicheres Indiz, ätzende Ironie.

Aber Porter machte seine Arbeit, und zwar gut. Sogar Brant, homophob bis ins Mark, zollte ihm widerwillig Respekt. Porter war früher mal Kensingtons Nummer Eins gewesen, der Goldjunge im Olymp, im höchsten Himmel der Met. Ein verprügelter Pädophiler hatte zu Fragen und schließlich zu Porters Versetzung geführt.

Zunächst hatte er sich mit Falls zusammengetan, ein Akt der Solidarität unter Minderheiten, aber ihr spektakulärer Absturz hatte sie wieder getrennt. Er vermisste sie.

Sie verabscheute ihn.

Hatte gefaucht:

»Du bist nicht schwul, du bist ehrgeizig.«

Nicht mal eine Schwuchtel konnte dieser Logik folgen. Er hatte gefragt:

»Was soll das denn heißen?«

Sie hatte ihn wütend angestarrt, Funken hatten aus dem Weiß ihrer großen Augen gesprüht und vor der schwarzen Haut geleuchtet, hatte gesagt:

»Das heißt, du bist ’n Arschloch; soll keine Anspielung sein.«

Schluck’s runter.

Er konnte nicht.

Der neue Freund hieß Trevor Blake. Porter hatte ihn in einem Pub in der Nähe des Oval kennengelernt. Trevor war der Barmann, Ende zwanzig und zog die Knüppel.

Will sagen, zapfte Bier.

Porter hatte einen harten Tag hinter sich gehabt. Der Super hatte ihn abgefangen mit den Worten:

»Hören Sie sich das an.«

Er hielt einen Brief in der Hand, die vor Aufregung zitterte.

Las vor:

An Supt. Brown

Ich grüße Sie, Sir, ich habe gute Manieren. Von Elvis und aus den Romanen von Daniel Buckman habe ich gelernt, dass gute Manieren die eleganteste Art der Manipulation sind.

Brown hielt inne, schob seinen Kneifer zurecht, blickte über den Rand, fragte:

»Stimmt das?«

»Entschuldigung, Sir, stimmt was?«

Brown war nicht amüsiert, schnauzte:

»Das mit den Scheißmanieren. Lernt ihr Typen denn nicht Manieren auf der Schwuchtelschule?«

Porter spürte den Peitschenschlag der fast beiläufigen Borniertheit, der Macho-Haltung, die Höflichkeit mit Homosexualität gleichsetzt, riss sich am Riemen, sagte:

»Wenn Sie damit meinen, Sir, ob ‚wir Typen’ auf die Gefühle anderer Rücksicht nehmen, dann ja, dann haben wir Manieren. Was Manipulation angeht, kann ich wenig dazu sagen.«

Immer reindrücken.

Er hielt den Super für Abschaum, versuchte, das nicht allzu offen zu zeigen. Den Sarkasmus hätte er sich sparen können. Er prallte spurlos an Brown ab, der weiterlas: