Korean Love - Sabrina Georgia - E-Book

Korean Love E-Book

Sabrina Georgia

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Beschreibung

»Ich verspreche dir ein tolles Abenteuer! Du wirst sehen: Seoul ist atemberaubend.« Das waren die Worte ihres Ziehvaters, Rechtsanwalt Mirko Lutz, gewesen und Mira hatte ihm geglaubt. Die Realität stellte sich zwar als atemberaubend heraus, war aber eine Panikattacke, die den schüchternen blonden Bücherwurm ereilte. Mutterseelenallein sitzt Mira zwölf Stunden nach der Attacke am Incheon Airport in Südkorea. Eine regelrechte Monsteraufgabe beginnt für die introvertierte junge Frau, bei dem Versuch, zur Unterkunft zu kommen. Zum Glück trifft sie Lee Caesar und dessen Freund Park Tae-Hoon, zwei gut aussehende hilfsbereite Männer. Letzterer stellt sich überraschenderweise sogar als Miras neuer Nachbar heraus. Der ist davon allerdings wenig begeistert. Widerwillig hilft er ihr zwar, scheint ihr aber sonst auszuweichen. Caesar nennt es hingegen Destiny. Ob es wirklich Schicksal ist? Am Ziel angekommen, muss Mira erst einmal herausfinden, wieso ihr Ziehvater sie versetzt hat. Geht es ihm gut? Und wieso rät man Mira so eindringlich, sich von Park Tae-Hoon fernzuhalten?

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Seitenzahl: 384

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Epilog

Korean Love

Miras Abenteuer
Ein Roman von Sabrina Georgia
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Korean Love – Miras Abenteuer
Sabrina Georgia
1. Auflage
Juli 2020
© 2020 DerFuchs-Verlag D-69231 Rauenberg (Kraichgau)[email protected] DerFuchs-Verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk, einschließlich aller Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, Verbreitung, Übersetzung und Verfilmung liegen beim Verlag. Eine Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ohne Genehmigung des Verlags ist strafbar.
ISBN 978-3-96713-000-3 (Taschenbuch)
ISBN 978-3-96713-001-0 (ePub)

Ich hoffe, diese Liebesgeschichte ist ganz nach eurem Geschmack. Mir geisterte sie zumindest lang genug im Kopf herum. Sie musste raus! ;)

Viel Spaß!

1

Es war ein ganz normaler Tag, sogar einer der extrem langweiligen Sorte. Ich saß am Schreibtisch im Büro der Anwaltskanzlei und sortierte Akten. Die benötigte mein Chef für den nächsten Termin vor Ort.

»Sekretärin Mira Hofer! Hast du die Akte Heilmeier gesehen?«, kam er nun herein und schien meinen Schreibtisch mit Blicken zu durchstöbern.

»Die liegt auf deinem Tisch, Boss. Und deine Brille solltest du auf der Nase haben und nicht auf dem Kopf.« Ich grinste ihn an und Rechtsanwalt Mirko Lutz, den ich bereits von kleinauf kannte, seufzte.

»Danke. Ach! Und um zwölf kommt leider noch Herr Lee. Es tut ihm zwar leid, aber er kann seine anderen Termine nicht verschieben.«

»Okay, ich lass die Mittagspause ausfallen«, gab ich gutmütig zurück und erntete dafür ein strahlendes Lächeln.

Rechtsanwalt Lutz war ein enger Freund und Geschäftspartner meines Vaters gewesen und hatte sich um alles gekümmert, als mein Dad vor fünf Jahren an Krebs gestorben war. Die Zeit war hart, doch Mirko Lutz – der ewige Junggeselle, der mit seiner Arbeit im Grunde schon ausgelastet genug gewesen war – hatte sich als Fels in der Brandung herausgestellt. Neben dem ganzen Schreibkram und der Bürokratie, fand er noch die Muse, sich um meine jüngeren Brüder zu kümmern, die er zum Fußball fuhr. Er war ein Teil der Familie und ich liebte ihn wie meinen zweiten Vater. Kein Wunder, denn die beiden hatten so viel Zeit miteinander verbracht, dass ich sie als Kind oft nur im Doppelpack zu Gesicht bekommen hatte.

»Weißt du eigentlich, dass du deinem Vater immer ähnlicher wirst? Du sollst doch noch Jura studieren und hier in der Kanzlei einsteigen. Ich denke, das hätte ihm gefallen«, schnitt der Herr Rechtsanwalt mal wieder das Thema an, aber ich winkte ab.

»Deine Sekretärin zu sein reicht mir vollkommen. Studieren war noch nie eine Option, also lass es gut sein.« Ich wandte mich dem Aktenschrank zu und wollte die Schublade öffnen, die jedoch klemmte. »Und wenn du mir was Gutes tun willst: Eine neue Einrichtung wäre toll.«

Mirko nickte geistesabwesend. Vermutlich dachte er an Dad und die schönen Jahre, die sie zusammen durchlebt hatten. Seit der Schulzeit ... da hatte man bestimmt sehr viele Erinnerungen.

»Du musst los«, fiel es mir plötzlich ein und lief rasch in die Rumpelkammer, die Rechtsanwalt Lutz sein Büro nannte, um die fehlende Akte aus den Untiefen des Chaos zu fischen.

Was für ein Glück, dass dieses Mal kein Kaffee drüber geschüttet worden war. Die letzte Akte hatte man nicht mehr retten können.

»Wann kommt Sassa mal wieder vorbei?«, erkundigte ich mich mit Unschuldsmiene.

Sassa hieß in Wirklichkeit Sabine und war die dreiundzwanzig Jahre junge Reinigungskraft der Kanzlei. Leider führte sie das Leben einer Abenteurerin und verschwand ab und an spurlos. Ich beneidete sie oft dafür. Bislang hatte ich selbst noch nie eine Reise auf eigene Faust unternommen.

»Freitag, hoffe ich. Naja, solange sie nicht bis dahin einen neuen Mann kennengelernt hat. Woher kam der Letzte?«

»Aus dem Sudan. Halt, nein, das war der davor. Der letzte Verehrer kam aus Nigeria.« Feixend wartete ich, denn ich wusste, was gleich kommen würde:

Mirko schüttelte den Kopf und brummte »Damit wären wir bei Sprache Nummer vierzehn.«. Sassa liebte nicht nur die Männer, sondern auch, die Kulturen derjenigen zu ergründen – dazu zählte auch die Sprache. Sie konnte sich in etlichen fließend verständigen und half der Kanzlei damit gern aus der Patsche. Mirko Lutz war bekannt dafür, sich hauptsächlich mit Klienten abzugeben, die dem Deutschen nicht mächtig waren. Oft reichte Englisch aus, aber in letzter Zeit stieg die Anzahl der Menschen, bei denen wir Sassas Hilfe benötigten. Die Fälle waren kunterbunt gemischt und reichten von Grundstückskäufen, bei denen die Verträge geprüft werden mussten, bis hin zur Strafsachen. Herr Lee, der Termin später, wollte Firmenanteile kaufen. Wie Mirko an ihn geraten war, wusste ich nicht, doch der ältere Herr aus dem asiatischen Raum hatte gute Manieren, sprach verständliches Englisch und die Zusammenarbeit wirkte harmonisch. Ich mochte den immerzu lächelnden alten Mann.

»Sollte ich nicht pünktlich kommen, melde ich mich. Du weißt ja noch, welchen Tee du servieren kannst«, meinte der Boss und ich nickte brav.

Das schien ihm zu reichen, denn er rauschte kurz darauf aus der Kanzlei. Jetzt hatte ich endlich die Ruhe, mich der Unordnung in seinem Raum zu widmen. Obwohl ich erst zwanzig war, bemutterte ich meinen Chef und sorgte dafür, dass er nicht komplett im Chaos versank. Dagegen zahlte er mir ein extrem gutes Gehalt dafür, obwohl ich den Job nicht gelernt hatte. Nach dem Abitur war ich in das Thema eher reingewachsen, denn aus dem Ferienjob, bei dem ich der alten Sekretärin zugearbeitet hatte, war eine Volltagsstelle geworden. Mit der Zeit mochte ich es sehr gern.

Wobei ich manchmal doch Zweifel daran hatte, ob es tatsächlich ein ganzes Leben anhalten würde. Aber was sollte ich stattdessen tun? Doch noch eine Ausbildung anfangen? Oder vielleicht etwas anderes als Jura studieren? Von den Noten her konnte ich mir die Fächer frei aussuchen. Mutter hatte es einmal so beschrieben:

»Unsere Mira ist sehr intelligent, geht allerdings immer den Weg des geringsten Widerstands.«

Damit hatte sie leider den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich hasste schlaflose Nächte, schätzte Routinen und machte einen Bogen um alles, was negativen Stress mit sich brachte. Meist empfand ich mich selbst deshalb als langweilig. Sassa lebte ein Leben voller Abenteuer! Daran wäre ich vermutlich zu Grunde gegangen – allein schon wegen des Schlafmangels, weil ich alles mindestens fünfmal im Kopf durchgespielt hätte. Nein, besser war es, dass Sassa, der Spring-ins-Feld, das in Angriff nahm.

Nach etwa einer Stunde konnte man endlich Land, beziehungsweise neunzig Prozent der Schreibtischplatte sehen und ich nutzte die seltene Gelegenheit, um sie gleich zu säubern. Eine Stelle hatte leider mittlerweile einen runden Abdruck, da Mirko seine Kaffeetasse darauf abgestellt hatte. Möglich war allerdings auch, dass das die Gebrauchsspuren der letzten zehn bis fünfzehn Jahre waren. So genau konnte ich es nicht sagen, denn oft kam das Holz nicht zum Vorschein.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass demnächst eine Nachricht kommen würde. Etwas in der Art von: ›Der Termin dauert leider ein bisschen länger. Bitte entschuldige mich bei unserem Klienten.‹. Das war einer der Gründe gewesen, wieso ich als seine Sekretärin mehr Puffer zwischen die Termine gebaut hatte, jedoch mit dem Ergebnis, dass er diesen ebenfalls bis zum bitteren Ende ausreizte. Manche Angewohnheiten waren wohl nicht abzulegen. Dennoch mochte ich den Rechtsanwalt, denn er schenkte mir oftmals die Ruhe, die sonst fehlte, dafür sorgte ich für Ordnung.

»Wir sind ein Dreamteam«, hatte Mirko einmal erklärt und ich konnte nur zustimmen.

Mein verrückter Onkel hatte natürlich geschrieben, dass es später wurde. Also bereitete ich schon einmal einen Teller mit Keksen vor, denn das Mittagessen würde für uns beide ausfallen. Was für ein Glück, dass dieser Mann essen konnte, was er wollte und nie zuzunehmen schien. Ganz im Gegenteil wurde er von Sassa sogar oft als Hungerhaken bezeichnet. Ich fand, dass er eine sportliche Figur hatte und noch sehr adrett aussah für sein Alter von Anfang fünfzig. Sassa hatte keine Ahnung!

Es klingelte. Das musste Herr Lee sein.

Hastig stand ich vom Platz auf, schluckte hektisch den Keks hinunter, der mir gleichfalls als Mittagessen dienen musste und zupfte den Rock zurecht. Dieses Mistding hatte leider die Angewohnheit, stetig nach oben zu rutschen, wenn ich mich bewegte. Dass man das hinter dem Schreibtisch nicht sehen konnte, war ein Vorteil. Mit schnellen Schritten lief ich zur Tür, schaute kurz durchs Guckloch und drückte dann die Klinke nach unten.

»Hello Mr. Lee«, begrüßte ich ihn und der ältere Asiate deutete lächelnd eine leichte Verbeugung an.

»Miss Hofer, Sie sehen heute wieder ausgesprochen hübsch aus«, meinte er kurz darauf auf Englisch und ich bedankte mich für das Kompliment.

Dass sich Herr Rechtsanwalt Lutz verspäten würde, nutzte der immerzu lächelnde Klient dazu, mir noch weitere Komplimente zum Tee, den Keksen und der netten Gesellschaft zu machen.

»Wenn mein Sohn nicht schon verheiratet wäre, hätte ich Sie ihm sehr gern vorgestellt. Er ist derzeit geschäftlich in Amerika. Seine Frau ist von dort«, erklärte er und für einen Bruchteil einer Sekunde meinte ich, ein Aufflackern einer missbilligenden Miene zu erkennen.

›Oje, da hat jemand wohl nicht um Erlaubnis gebeten‹, ging es mir durch den Kopf.

Ich war ein großer Fan von asiatischen Serien und das Thema die Eltern bestimmen den Partner oder sie müssen zumindest ihren Segen geben war darin meist sehr detailliert beschrieben.

»Ich würde mich sehr geschmeichelt fühlen«, gab ich zurück und Herr Lee lächelte ein bisschen breiter.

»Sie müssen uns in Seoul unbedingt einmal besuchen kommen, wenn das Haus fertig gebaut wurde. Die Stadt wird Ihnen gefallen. Unsere Kultur ...«

Seoul? Also war Mr. Lee aus Südkorea. Dorthin zu reisen wäre ein Traum! In den KDramas waren auch die Männer dort nicht zu verachten. Natürlich wusste ich, dass Serien kaum der Wahrheit entsprachen, doch die restlichen Recherchen waren ebenfalls interessant gewesen. Ich wollte unbedingt einmal in eins der Ramenrestaurants und in einem Hotel übernachten, in denen man die ganze Nacht Mangas lesen konnte. Vielleicht auch eins dieser Konzerte der KPop-Bands besuchen. Aber das war mein Geheimnis.

»Es wäre mir eine Freude. Allerdings weiß ich nicht, wann mich Rechtsanwalt Lutz einmal entbehren kann.« Ich deutete einmal um mich.

Glücklicherweise hakte Herr Lee nicht nach und Mirko kam endlich zum Termin, sodass ich mich zurückziehen konnte. Nach einer überraschend herzlichen Verabschiedung mit Händedruck durch Herr Lee wurde ich von meinem Onkel geradezu nach draußen komplimentiert.

»Mach für heute Feierabend. So, wie ich dich kenne, hast du schon alles erledigt und würdest eh nur deine Zeit absitzen. Zieh los und treff dich mit Daniel«, meinte er und schob mich Richtung Ausgang.

Daniel? Wieso ausgerechnet ihn?

Ich kannte Daniel Arnold schon ewig und, obwohl ich bereits extrem lang in diesen Kerl verschossen war, würde ich wohl nie den Platz als Freundin einnehmen. Ich steckte so dermaßen tief bei ihm in der Friendzone, dass ich eher als kleine Schwester durchgehen würde. Dieser Vollidiot schnallte es einfach nicht.

2

Na, Prinzessin?« Die Stimme hinter mir erschreckte mich fast zu Tode.

Da stand er – groß, blondes kurzes Haar, braun gebrannt und mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Daniel lehnte an der Hauswand direkt neben dem Eingang zur Kanzlei und blickte mich an, als wäre ich der einzige Mensch auf der Welt, den er in diesem Moment sehen wollte.

›Klasse!‹

»Was machst du denn hier?«, wollte ich wissen und mein Freund stieß sich von der Wand ab.

»Brauche ich einen Grund, um dich zum Mittagessen abzuholen?«

Okay, hier war definitiv etwas faul. Ich legte den Kopf schief und schaute ihn kritisch an, was Daniel aber nur dazu brachte, mich weiter zu umgarnen. Was zur Hölle ...?

»Lass uns erst nach drüben gehen und uns ein paar Pommes holen. Dein Magen knurrt.« Ehe ich es verhindern konnte, schnappte er sich mein Handgelenk und zog mich hinter sich her.

Das war typisch! Er kam an, machte sein Ding und ich wurde irgendwie mitgerissen. Resigniert folgte ich ihm. Wenn es gut lief, würde er mir während des Essens verraten, was für ein Attentat er dieses Mal auf mich vorhatte.

»Du siehst heute übrigens sehr hübsch aus«, sagte er leise und ich spürte, wie ich rot anlief.

›Verdammt! Mira, jetzt reiß dich zusammen! Es ist Daniel. Lass es einfach bleiben‹, ermahnte ich mich selbst und nickte ruckartig, um zu zeigen, dass ich ihn verstanden hatte.

»Ist nicht später wieder einer deiner Serien-Termine? Couch, Decke und dann ne Runde schauen?«

Erstaunt hob ich den Blick und sah ihm direkt in die Augen. Seit wann merkte er sich solche Dinge? Sein Strahlen war einlullend und ich nickte zustimmend.

»Cool! Lädst du mich ein?«

Das musste ein Traum sein! Auf gar keinen Fall fragte mich Herr Ich-bin-der-Obermacker, ob er mit mir KDramas schauen durfte. Das passte überhaupt nicht in meine Welt.

»Bist du krank?«, fragte ich und bemerkte, wie heiser es klang. »Ich meine: Hast du eine tödliche Krankheit und willst mir schonend beibringen, dass du demnächst stirbst?«

Daniel lachte laut auf. Er klopfte mir dabei auf den Oberschenkel und ich machte mich automatisch etwas kleiner.

»Dafür liebe ich dich, Prinzessin! Dein Humor ist einzigartig.«

Das bezweifelte ich.

Da sich mein Freund aber nicht abschütteln ließ, nahm ich ihn am Ende doch mit nach Hause. Mutter war nicht da und meine Brüder – Leon und Dominik – waren vermutlich in der Schule oder auf dem Sportplatz. Die Zwillinge machten gern nach dem Unterricht die Gegend unsicher und kickten eine Runde mit dem Ball. Wenigstens in dieser Richtung waren es vernünftige und normale Jungs. Vaters Tod hatte ihnen lang zu schaffen gemacht, doch dank Mirko und dem Fußballverein bekamen sie ein Ventil, um Frust abzubauen. Das fehlte mir hingegen just in dem Moment.

Kaum in meinem Zimmer machte es sich Daniel auf der Couch bequem und wirkte erwartungsvoll.

»Verrätst du mir jetzt, was los ist?«, ließ ich nicht locker, während ich den Fernseher einschaltete und die App auswählte.

Ich schaute hauptsächlich koreanische Serien mit englischem Untertitel. Erstens waren es die, die man am ehesten verstehen konnte und zweitens übte ich so auch noch etwas diese Fremdsprache. Wobei ich mittlerweile einige Sätze verstand, da sie sich in beruhigender Regelmäßigkeit wiederholten. Floskeln wie: »Geht es dir gut?« (gwaenchanh-a), »Es tut mir leid.« (mianhae), oder »Dankeschön.« (gamsahabnida) wurden mindestens zwanzig bis hundert Male in den Dramen verwendet. Mit der Schrift konnte ich leider noch nichts anfangen, nahm mir jedoch fest vor, mich demnächst intensiver damit zu beschäftigen.

»Ich finde, ich sollte mich mehr für dein Hobby interessieren.« Daniel zog mich zu sich auf die Couch.

Ich träumte definitiv! Die darauffolgenden Minuten löcherte er mich mit Fragen zu KDramas, Schauspielern, Handlungen und, welche Serien mir am besten gefielen und wieso. Wir hatten uns gemeinsam unter die Wolldecke gekuschelt und irgendwann lag Daniels Kopf auf meinem Schoß. Geistesabwesend strich ich ihm mit den Fingerspitzen durch das kurze blonde Haar. Er brummte leise.

»Das liebe ich.«

Mein Herz schlug mir spontan wieder bis zum Hals.

Daniel war kurz davor, einzuschlafen, und ich wusste, dass er dann jedes Mal anhänglich wurde. Früher hatte ich mir in solchen Situationen Hoffnungen gemacht, doch jetzt war mir klar: Er war nur ein Freund.

»Mira«, murmelte er und ich senkte den Kopf, um ihn verstehen zu können.

Seine Hand kam unter der Decke hervor und ehe ich die Möglichkeit hatte zu reagieren, ergriff er mich im Nacken, zog mich noch näher zu sich heran. Unsere Lippen berührten sich.

Mein Herz drohte zu explodieren, während alle Gedanken im Kopf förmlich verpufften. Daniels Lippen waren warm, weich und schmeckten nach mehr. Ich wollte verdammt nochmal mehr davon!

Rasch löste er sich, doch nur, um sich danach fast auf mich zu stürzen. Mit einem Ruck lag ich auf dem Sofa und mein Freund über mir. Die Küsse wurden intensiver. Die Schmetterlinge in meinem Bauch flogen auf und ab – in diesem Augenblick hätte ich Daniel wirklich alles gegeben. Ich ließ es zu, als seine Hand unter mein Oberteil glitt und die Haut darunter streichelte. Ein leises Seufzen drang mir über die Lippen, was ihn wohl in die Realität zurückholte.

»Scheiße!«

Das war es nicht gewesen, was ich hatte hören wollen. Irritiert öffnete ich die Augen und sah Daniel an.

»Was?«, keuchte ich.

Hektisch rutschte er von mir weg, bis er ganz am Ende des Sofas saß. Seine Miene war unergründlich.

»Ich muss gehen!« Daniel rieb sich kurz über den Kopf und schnappte sich daraufhin seine Klamotten. Verdattert schaute ich ihm dabei zu. Ich konnte mich nicht bewegen.

»Daniel, was ist los?«, fasste ich all meinen Mut zusammen und hielt ihn am Saum seines dunkelblauen Shirts fest.

»Ich kann das nicht. Ab und an vergesse ich es oder wünschte, es wäre anders, aber dann bist du wie meine kleine Schwester!«, brummte er und stürmte einfach raus.

Zurück blieben mein in die Pfanne gehauenes Ego und ich. Ich japste nach Luft.

›Seine kleine Schwester?!‹, dachte ich aufgebracht und fasste mir ans Herz. ›Das zwischen uns war definitiv nichts, was man mit Geschwisterliebe gleichsetzen kann!‹

Okay, das war es nun endgültig! Daniel Arnold war für mich gestorben! Schniefend kämpfte ich auf einmal mit den Tränen. In meinem Inneren war ein solcher Tumult ausgebrochen, dass ich dem Ganzen nicht mehr Herr werden konnte.

›Dieser Vollidiot! Dieser elende Mistkerl!‹

3

Den restlichen Tag hatte ich in meinem Zimmer verbracht und mich vor der Welt versteckt. Selbst meine Familie ließ mich in Ruhe, da sie die Stimmung mitbekommen hatten. Mutter fragte zwar kurz, ob sie helfen könnte, aber nach einem Kopfschütteln meinerseits hatte sie aufgegeben. In meinem Gehirn war das Erlebnis mit Daniel wie festgefahren. Der Kerl hatte es geschafft, mich durch diesen Kuss und seinen dramatischen Abgang dermaßen aus der Fassung zu bringen, dass ich sämtliche meiner Optionen durchdachte. Daniel würde sich auf keinen Fall entschuldigen oder sich mir nochmal auf diese Weise nähern, davon war ich überzeugt. Seine Miene war Aussage genug gewesen.

›Wieso hat er mit diesem Mist überhaupt angefangen, wenn es ihm im Nachhinein leidtut?‹ Ich schnaubte bei diesem Gedanken. ›Vermutlich, weil er nie über sein Handeln nachdenkt.‹

Da es langsam Zeit wurde, in die Gänge zu kommen und mich auf den Weg in die Kanzlei zu machen, wuschelte ich mir ein letztes Mal durchs dunkelblonde, etwas zu lange Haar. Ich sollte wieder zum Friseur gehen, denn die Mähne reichte mir mittlerweile bis zum Hintern und war alles andere als praktisch. Der einzige Vorteil war, dass ich mich hinter diesem Vorhang verstecken konnte. Das tat ich auch auf dem Spießrutenlauf zu Arbeit, denn die üblichen Stationen hatten mit Menschen zu tun, die mich kannten.

»Guten Morgen, Mira! Hier die Brötchen. Sag Mirko einen schönen Gruß«, meinte Frau Wenen, die Verkäuferin in der Bäckerei.

Unsere Kanzlei hatte ihr bei einem Fall von Diebstahl und Vandalismus geholfen. Allein der Papierkram hätte sie womöglich zur Verzweiflung gebracht. Mirko half in solchen Fällen gern so nebenbei und ich war mir nicht sicher, ob Frau Wenen dafür überhaupt jemals eine Rechnung zu Gesicht bekommen hatte. Dafür war sie aufmerksam und schenkte uns oft Brötchen dazu. Das war auch nicht schlecht.

»Werde ich ihm ausrichten. Einen schönen Tag, Frau Wenen«, entgegnete ich höflich und zwang mich zudem zu einem Lächeln.

Ich wunderte mich, als ich in die Kanzlei kam und Stimmen aus Mirkos Zimmer hörte. Mein Boss arbeitete oft bis spät in die Nacht, weshalb er normalerweise erst ab zehn Uhr Termine machte. Wer da wohl bei ihm war?

»Du bist und bleibst ein Vollidiot«, verkündete Rechtsanwalt Lutz auf einmal und öffnete schwungvoll die Tür, sodass ich erschrocken zusammenzuckte.

Ich befand mich gerade einmal fünf Schritte davon entfernt. Mirkos Miene schien zu versteinern. Was war hier los?

»Mira«, brachte mein Chef heraus und mich beschlich ein extrem ungutes Gefühl.

»Ich bin heute ein bisschen früher gekommen, um die Rechnungen vorzubereiten.« Mehr konnte ich nicht sagen, denn eine weitere Person kam aus dem Büro. Mein Herz setzte einen Takt aus. Es war Daniel.

Ungläubig blickte ich von Mirko zu diesem Mistkerl und wieder zurück.

»Ich gehe wohl besser«, nuschelte diese pure Enttäuschung.

Instinktiv setzte ich einen Schritt zurück, um ihn vorbei zu lassen. Er wirkte so, als würde er meinem Blick ausweichen, was übrigens auch mein Onkel tat.

»Kannst du mir mal erklären, was Daniel hier gemacht hat«, fuhr ich ihn sogleich an, kaum war mein ehemals bester Freund verschwunden.

Es war das erste Mal, dass ich Rechtsanwalt Lutz ratlos aus der Wäsche schauen sah. Er suchte nach Worten und ich nutzte die Gelegenheit, an ihm vorbei zu marschieren und mich auf die Couch in der Ecke des Büros zu schmeißen. Ein Kissen und eine Decke verrieten mir, dass er in der Kanzlei übernachtet haben musste.

»Nun, Mira.« Er räusperte sich. »Ich sehe, dass du sauer bist. Daniel hat mir von dem Missverständnis gestern zwischen euch erzählt.«

Ein Missverständnis?! Ich starrte Mirko entgeistert an, während ich spürte, wie mir ein gewaltiger Kloß die Kehle zuschnürte.

»Hat er es wirklich so genannt?«, wollte ich heiser wissen, obwohl ich Angst vor der Antwort hatte.

»Er sagte, dass er dich vermissen würde, wenn ...« Abermals räusperte sich der Anwalt. »Nun, ich muss etwas mit dir besprechen.«

***

Ich fühlte mich wie betäubt. Mirkos Worte waren zwar in meinem Gehirn angekommen, aber sie machten keinerlei Sinn für mich. Sätze, wie »Es wäre eine Art Urlaub« und »Du könntest es auch als Abenteuer sehen«.

»Mira? Was sagst du dazu?«, hakte mein Chef nach. »Ich fand es eine schöne Idee. So kann ich Herrn Lee helfen und du lernst ein bisschen die Welt kennen.«

Langsam wurde mir das Ausmaß seiner Worte gewusst. Mirko Lutz hatte tatsächlich eingewilligt, sich um die Formalitäten der groß angelegten Baumaßnahmen von Herrn Lee zu kümmern, und wollte mich mitnehmen? Wir beide auf einer Art Dienstreise?

»Aber was hat das alles mit Daniel zu tun?« Das war mir noch absolut unklar.

Mein Ziehvater seufzte.

»Der war von der Idee, dass wir ein paar Monate weg sein könnten, nicht allzu angetan. Keine Ahnung, was er genau gemacht hat, aber anscheinend hatte es den Sinn, dich hierzubehalten.« Der Rechtsanwalt schüttelte den Kopf.

Also wusste Mirko es nicht? Sein Gesichtsausdruck zeigte mir jedoch, dass ich jederzeit darüber reden könnte, falls ich dies wollte. Automatisch schüttelte ich meinen dunkelblonden Haarschopf.

»Er war einfach nur ein Idiot, das bin ich ja schon jahrelang gewohnt.« Hastig stand ich auf und lief in Richtung meines Schreibtischs.

Mirkos Finger schlossen sich um mein Handgelenk.

»Was ist passiert?« Er klang alarmiert, so wie es immer war, wenn er meinte, dass man jemandem etwas Ungerechtes zuteilwerden ließ.

Mein Ziehvater zog mich an sich heran und ich konnte nicht anders, als ihn anzusehen. Der Blick Mirkos war prüfend.

»Für einen flüchtigen Augenblick hatte ich die Hoffnung, dass«, begann ich, doch Tränen erstickten meine Stimme.

»Ich hatte also Recht, dass er ein Idiot ist!«, brummte er und nahm mich in den Arm.

Diese Nähe war stets tröstlich für mich gewesen. Ich schluchzte, hatte endlich das Gefühl, diesen bescheuerten Kuss abhaken zu können. Mirko strich mir sanft über den Rücken. Seit ich mich erinnern konnte, war es zwischen uns immer so gewesen. Der Freund meines Vaters, mein Taufpate, dann mein Retter vor dem Ertrinken, als alles auf mich einzubrechen drohte.

»Ich hab dich lieb«, brachte ich heraus und spürte ein leichtes Beben seines Brustkorbs.

Lachte Mirko etwa?

»Ich dich auch, mein Mäuschen.« Zu meiner Überraschung schob er mich etwas von sich weg und schaute mich grinsend an. »Und ich verspreche dir ein tolles Abenteuer! Du wirst sehen: Seoul ist atemberaubend.«

»Warst du schon einmal dort?«, fragte ich irritiert und vergaß für diesen Moment das Chaos meiner Gefühle.

Mirko nickte.

»Nicht nur ich. Dein Vater und ich waren dort. Die Kultur hat uns umgehauen. Es war kurz nach dem Studium. Nur mit Rucksäcken bewaffnet, sind wir auf Weltreise gegangen. Diese Zeit war wohl die schönste meines Lebens.«

Ich konnte es nicht fassen. Davon hörte ich zum allerersten Mal.

»Ob du es glaubst oder nicht: Wir waren auch einmal jung. Und es war eine Zeit, die nicht ganz ungefährlich war. Zwei junge Kerle, die ohne Plan einfach mit Rucksäcken loszogen, schliefen, wo man es zuließ und das ein ganzes Jahr. Damals war Sven allerdings schon mit deiner Mutter zusammen, deshalb durfte ich nicht viel erzählen. Carola hätte wahrscheinlich nicht geglaubt, dass wir uns benommen haben und ihr Mann treu geblieben ist. Die offizielle Variante ist also, dass wir nach dem Studium einen Urlaub gemacht haben – in Jugendherbergen. Doppelzimmer. Ich glaube jedoch nicht, dass sie ihm die Geschichte abgenommen hat.« Mirko grinste und schüttelte den Kopf.

Ja, vermutlich hatte sie es nicht. Meine Mutter war alles mögliche, aber nicht dumm. Sie hatte meinen Vater geliebt ohne wenn und aber.

4

Einen Monat später.

»Ich kann es nicht fassen, dass ich das hier wirklich mache«, lief ich in meinem Zimmer auf und ab und packte tatsächlich den Koffer für die Reise.

Mit der Zeit hatte ich mir gut zugeredet, dass alles nicht so schlimm werden dürfte, schließlich hatte ich Mirko an meiner Seite. Er hatte mir sogar eröffnet, dass er die Sprache verstand, zumindest so weit, dass man nicht verloren ging. Das war sehr beruhigend.

Mein Herz flatterte jedes Mal, wenn ich daran dachte: Ein echtes Abenteuer und dann ausgerechnet noch an meinen absoluten Lieblingsort. Je mehr ich mich im Internet darüber schlaugemacht hatte, desto größer war die Vorfreude geworden.

Daniel hatte ich seit diesem einen Morgen nicht mehr gesehen. Er hielt sich wohl absichtlich von mir fern. Ob er auf ein Zeichen von mir wartete? Aber was sollte ich tun? Er hatte sich daneben benommen, also sollte er sich auch entschuldigen, oder?

»Ich komme mir vor, wie in einem dieser KDramas«, seufzte ich und blickte zum gefühlt tausendsten Mal aufs Handy.

Mirko hatte eine Liste mit Dingen zusammengestellt, die ich nicht vergessen sollte, im Gegenzug hatte er sich um die Reise gekümmert. Es würde von Frankfurt aus losgehen und, da mein Chef noch einen Termin hatte, wollte mich meine Mutter zum Flughafen bringen.

»Wir sehen uns allerspätestens im Flugzeug. Deine Papiere sind im braunen Umschlag. Am besten packst du den Reisepass mit hinein«, waren seine Worte dazu gewesen und ich hatte mal wieder mit einer Panikattacke gekämpft.

Was, wenn ich den Flug verpasste, weil ich mich im Terminal irrte? Und diese Kontrollen machten mir Angst. Es war mein erster Flug!

»Alles wird gut, Schatz!« Meine Mutter beäugte mich lächelnd, während ich im Raum wie ein aufgescheuchtes Huhn auf und ab lief. »Was du nicht dabei hast, kannst du kaufen. Und fliegen ist toll, du wirst es sehen.«

Ich nickte, obwohl mir das Herz in die Hose rutschte. Grinsend kam meine Mutter auf mich zu und drückte mir ein Päckchen in die Hand.

»Was ist das?«

»Nur Baldrian. Wenn du zu nervös wirst, nimmst du zwei«, meinte sie. »Die sollen dich und deine Nerven beruhigen.«

Das klang nach einem Plan, also steckte ich sie ins Handgepäck.

›Alles wird gut‹, wiederholte ich die Worte meiner Mutter im Kopf und zwang mich zu einem Lächeln.

Meine Brüder waren unterwegs, was mir erneut zeigte, dass ich diejenige in der Familie war, die Ausflügen aus dem Weg ging. Ich brauchte meine üblichen Routinen! Hoffentlich hatte ich in Seoul die Zeit dafür. Mirko würde bestimmt dafür sorgen. Er nannte es einen Urlaub für mich.

»Du siehst aus, als wolltest du dich gleich ins Bett legen und dir die Decke über den Kopf ziehen«, stellte Mutter fest. »Du hast oft große Ähnlichkeit mit deinem Vater, doch in diesem Fall kommst du definitiv nach mir. Ohne ihn wäre ich niemals in ein Flugzeug gestiegen und dabei war es eines meiner schönsten Erlebnisse. Wäre dein Vater noch da, hätten wir als Nächstes eine Schiffsreise gebucht.«

Mutter wirkte auf einmal traurig. Manchmal konnte man es nicht verhindern, an verpasste Gelegenheiten zu denken. Es war einer der Gründe, wieso ich zugestimmt hatte: Ich wollte es im Nachhinein nicht bereuen.

***

Der Flughafen war riesig! Drei Stunden vor Beginn des Check-ins hatte mich meine Mutter abgeliefert. Nervös suchte ich nach dem passenden Gate, überstand die Kontrolle nur mit kleinen Schwierigkeiten – statt im Kontrollpunkt stehen zu bleiben, lief ich durch, was gleich zwei Sicherheitsleute alarmierte.

»Entschuldigung, es ist mein erster Flug«, erklärte ich, was dazu führte, dass mich die beiden Männer irritiert musterten. »Ja, ich weiß, es ist ungewöhnlich.«

»Wo soll’s denn hingehen?« Eine ältere Dame lächelte mich an.

»Seoul«, gab ich zurück und sie klatschte begeistert in die Hände.

»Ein tolles Reiseziel. Ich fliege dieses Mal nach Moskau.«

Die energiegeladene Rentnerin stellte sich als ehemalige Flugbegleiterin heraus, die mich sogleich unter ihre Fittiche nahm. Manchmal brauchte man einfach ein bisschen Glück im Unglück.

Sie lotste mich zur richtigen Stelle und leistete mir sogar noch Gesellschaft, bis es ans Einchecken ging. Dafür war ich Frau Kuhn sehr dankbar.

›Wo steckst du?‹, schrieb ich Mirko, der antwortete, er wäre gleich da, müsste nur noch einen Parkplatz suchen. Da ich wusste, dass mein Boss oft auf dem letzten Drücker auftauchte, checkte ich schon einmal ein und wurde den riesigen Koffer los. Die Dame am Schalter erklärte, dass ich mich schon einmal in den Bus setzen könnte.

»In den Bus?«, fragte ich verdutzt.

Meine Mutter hatte etwas von einer Art Tunnel erzählt, durch den man zum Flugzeug marschieren musste. Anscheinend lief es hier anders. Hastig schnappte ich mir meinen Rucksack und die Papiere und eilte zu einer Glastür, die ins Freie führte. Davor stand tatsächlich ein Bus.

›Okay, dann werde ich schon einmal ins Flugzeug steigen und dort auf Mirko warten‹, überlegte ich und saß etwa eine halbe Stunde später auf meinem Platz.

Mein Magen rebellierte. Allmählich bekam ich Angst, denn mein erster Flug stand kurz bevor. Wo, verdammt nochmal, steckte Mirko?!

»Ladys and Gentleman, welcome to our flight to Incheon airport«, begann plötzlich der Pilot und mein Herz rutschte mir in die Hose.

Hektisch blickte ich mich um, aber es sah nicht so aus, als würden noch weitere Personen ankommen. Die Stewardessen waren die Einzigen, die im Gang unterwegs waren und prüften, ob man auch alles ordnungsgemäß verstaut hatte. Wo blieb Mirko?

Panik machte sich in mir breit. Ich klammerte mich an den Sitz und betete, dass mein Boss gleich, wie von ihm üblich, mit einem breiten Grinsen und einer Entschuldigung, auftauchen würde.

Das Flugzeug setzte sich in Bewegung.

»Entschuldigen Sie«, hielt ich eine der Stewardessen auf, die mich irritiert anschaute. »Mein Chef fehlt noch. Ist es möglich, dass er noch zusteigen kann?«

»Wir rollen jetzt in Richtung Startbahn«, gab sie zurück, was mir allerdings gar nichts sagte.

Hatte Mirko jetzt noch eine Chance oder nicht? Ehe ich sie jedoch darauf ansprechen konnte, war sie bereits verschwunden. Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Der Sitz neben mir, auf dem sich eigentlich mein Ziehvater fläzen sollte, blieb leer.

Ich saß in der Nähe der Bordküche, in der sich in diesem Moment drei Damen aufhielten. Sie schienen jetzt schon genervt zu sein, was meiner Laune ebenfalls nicht guttat. Da es ein Langstreckenflug war, hatte mein Chef auf Plätze in der Business Class bestanden.

»Du wirst mir am Ende noch dankbar dafür sein«, waren seine Worte gewesen.

Und was war bislang der Effekt? Ich saß allein hier! In der zweiten Reihe des Mittelgangs und krallte mich in den Sitz. Wieso hatte ich mich auf diesen Schwachsinn eingelassen? Auf gar keinen Fall würde ich es schaffen, die geplanten zwölf Stunden Flug zu überstehen!

»Na prima! Da kommt tatsächlich noch ein Nachzügler«, meinte eine der Damen und ich horchte auf.

›Na, Gott sei Dank!‹, dachte ich und wartete gespannt darauf, dass wir hielten.

***

Ein junger Asiate, etwa in meinem Alter, stolperte herein. Mit einem Rucksack auf der Schulter marschierte er den Gang entlang, rempelte eine der Stewardessen an, die ihn für den Bruchteil einer Sekunde böse anfunkelte.

»Sorry«, hörte ich ihn sagen.

Mit diesem einen Wort platzte meine Hoffnung wie eine Seifenblase. Er war also der Nachzügler?

›Mirko! Wo bist du?!‹, tippte ich eine weitere Nachricht.

Es musste mittlerweile die dreißigste gewesen sein. Ich konnte erkennen, dass die Texte gesendet wurden, auch empfangen, aber definitiv nicht gelesen worden waren. Von meinem Boss fehlte jede Spur.

»Alles in Ordnung?«, wollte auf einmal jemand neben mir wissen und ich blickte auf.

Dunkelbraune Augen betrachteten mich. Der Nachzügler hatte schräg neben mir Platz genommen und lächelte leicht.

»Mein erster Flug«, brachte ich keuchend heraus.

»Oh.« Das Lächeln wich einer unsicheren Grimasse. »Aber dir wird gerade nicht schlecht oder so?«

Er redete ziemlich gut deutsch. Wobei mir diese Aufmerksamkeit spontan zu viel wurde. Ich wollte, dass Mirko stattdessen neben mir saß und sich um mich sorgte, mir brav zuredete oder zumindest meinte, dass ich mich nicht so anstellen sollte!

Ich begann zu zittern und vor Aufregung wurde mir wirklich mulmig. Automatisch atmete ich tief ein und beugte mich leicht nach vorn.

»Hello, Stewardess«, hörte ich noch, ehe mir jemand auf einmal den Nacken massierte.

5

Erschöpft war ich im Sitz zusammengesunken, nachdem das Flugzeug abgehoben und auf der korrekten Höhe angekommen war. Den ersten Schock hatte das Mädchen anscheinend gut überstanden und war eingedöst.

»Ihr erster Flug. Na, das kann ja noch lustig werden«, seufzte eine der fliegenden Saftschubsen, die mich bereits bei der Ankunft gestört hatte.

Diese Kleine konnte ja nichts dafür, dass sie noch nie zuvor geflogen war. Wieso gab es Menschen, die meinten, man müsste unbedingt alles Mögliche einmal erlebt haben? Ein leises Seufzen lenkte meine Aufmerksamkeit erneut zu der jungen Frau. Was sie wohl in Südkorea machen wollte? Hoffentlich war sie nicht so ein verrückter Fan der mittlerweile so beliebten KPop-Bands. Die Mädels hatten meist etwas recht Eigenwilliges an sich.

Mit einem Ruck war sie plötzlich wieder wach und schaute sich um. Schweiß stand ihr auf der Stirn. Würde sie gleich nach der Stewardess verlangen? Aber nein, sie nestelte stattdessen in ihrer Tasche und zog ein Handy hervor. Nach einem prüfenden Blick runzelte sie die Stirn und streckte es weg. Für einen kurzen Moment sah sie mich an und ich fühlte mich ertappt. Um mir nichts anmerken zu lassen, nickte ich lächelnd und suchte etwas in meinem Rucksack. Im Endeffekt war es das Tablet, das ich daraus hervorzerrte.

›Gib Bescheid, wenn du angekommen bist. Ich habe einiges für dich zu tun‹, hatte sich mein Boss gemeldet und ich atmete einmal tief durch.

Ob ich dafür schon bereit war? Am liebsten hätte ich mich die nächsten Tage noch im Haus verkrochen. Nach drei Wochen der Trauer und all dem Papierkram, der danach auf mich zugekommen war, fühlte ich mich ausgelaugt. Das Erbe meiner Familie hatte die Erwartungen meiner Bekannten übertroffen, doch mir war es gleich. Ich brauchte nicht viel, um meinen Job zu machen und das Ziel, das ich mir vor Jahren gesteckt hatte, zu erreichen. Allerdings warf mich der Tod meiner Eltern emotional doch sehr zurück. Wer hätte gedacht, schließlich hatten wir ewig nicht mehr miteinander gesprochen.

»Kann ich Ihnen noch etwas Gutes tun?«, fragte die meiner Meinung nach einzig annehmbare Stewardess und zwinkerte mir zu.

Flirts war ich gewohnt. Im Job gehörte es dazu und auch sonst war ich kein Kind von Traurigkeit. Heute war mir allerdings nicht danach.

»Nein, danke. Aber erkundigen Sie sich einmal bei ihr.« Ich deutete in Richtung des Flugpremierenmädchens. »Vielleicht erleichtert ihr das den Flug.«

Begeisterung sah anders aus, doch die Stewardess wandte sich ihr zu. So hatte ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Stewardess ließ mich dadurch in Ruhe und die Kleine bekam hoffentlich etwas für ihre Nerven. Sie wirkte gerade erneut, als wollte sie einen Sprung aus dem Flugzeug machen.

Wieso interessierte mich das eigentlich?!

›Sie sieht aus wie ein blondes Bambi‹, ging es mir durch den Kopf. ›In Seoul wäre sie leichte Beute.‹

Ein Landei auf Reisen, das mich neugierig werden ließ. Ob ich ein Gespräch mit ihr anfangen sollte? Wobei ... Derart nervös, wie sie wirkte, käme dabei eh keine richtige Unterhaltung heraus.

Noch vier Stunden.

Ich schloss die Augen, um mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Das war jedoch eine dumme Idee, denn ich hatte sogleich die Bilder meiner Eltern im Kopf. Ewig hatte ich sie angestarrt, diese Bilder in den schwarzen Rahmen, von einer schwarzen Schleife verziert.

»Mein Beileid zu dem tragischen Verlust«, hatte der Anwalt gesagt, aber ich war außer Stande gewesen zu antworten. Ein Flugzeugabsturz – eigentlich Ironie, dass ich nun in einem Flugzeug daran dachte. Meine Eltern hatten es geliebt, mit der Privatmaschine unterwegs zu sein. Hätte ich nur geahnt, dass es die letzte Chance sein würde, sie zu treffen, ich wäre ihrer Einladung gefolgt.

»Dein Vater und du, ihr solltet eure Differenzen endlich aus der Welt schaffen«, hatte Mutter mich ermahnt, aber ich war nicht darauf eingegangen.

»Vater hat deutlich gemacht, dass ich nicht mehr zur Familie gehöre. Ich habe jetzt zu tun. Schönen Urlaub und iss genug.«

Das war das letzte Gespräch mit meiner Mutter gewesen. Die weiteren Anrufe gingen tagelang auf die Mailbox. Über fünfzehn Nachrichten, die ich jedoch nicht abgehört hatte.

Im Nachhinein bereute ich es.

***

Endlich ging die Maschine zum Landeanflug über und die Piloten übermittelten ein paar der üblichen Infos. Ich hörte schon nicht mehr zu, denn meist war es Zeitverschwendung.

»Du schaffst das, Mira, du schaffst das«, murmelte die Kleine neben mir und ich verkniff mir ein Grinsen.

Also hieß sie Mira. Ein hübscher Name.

Langsam wippte sie vor und zurück, während wir in den Sinkflug gingen. Verstohlen beobachtete ich sie aus dem Augenwinkel. Sie war erneut blass und schien vollkommen verloren zu sein. Verzweifelt umklammerte sie das Handy in der rechten Hand, ihre Lippen bewegten sich, als würde sie das Mantra weiterhin aufsagen. Das Landei war lustig. Wieso flog man in die weite Welt hinaus, wenn man sofort überfordert war? Die Geschichte dahinter würde mich brennend interessieren. Allerdings hatte ich gelernt, dass man nicht mit der Tür ins Haus fiel und erst recht nicht, wenn man die Person nicht kannte. Zumindest hier hatte man mich gut genug erzogen.

Die Fingernägel Miras gruben sich in die Armlehne des Sitzes, als der Flieger aufsetzte. Kurz darauf schnappte sie nach Luft und wirkte erleichtert, dass sie es heil auf die Erde zurückgeschafft hatte. Ich schüttelte darüber unmerklich den Kopf.

Kaum hatte ich die Chance, ergriff ich meinen Rucksack und marschierte auf den Ausgang zu. Ich wollte dem ganzen Koffer- und Taschenzusammensuchen entkommen, ehe die Gänge damit verstopft wurden. Mira sah sich suchend um, wohl unsicher, was nun zu tun war. Ob ich ihr helfen sollte?

Nein! Das würde ihr sicherlich ähnlich aufdringlich vorkommen, als meine freundliche Frage nach ihrem Befinden. Das hatte sie offensichtlich für einen Flirt gehalten und mich daraufhin ignoriert. Als sie sich jedoch nach vorn legte, hatte ich befürchtet, sie würde sich gleich nach den Tüten strecken, um ihren Mageninhalt loszuwerden, weshalb ich beherzt zugegriffen hatte. Den Druckpunkt kannte ich von früher noch genau und spürte sofort, wie sich Mira entspannte. Wenigstens das klappte. Damit sollte es das aber mit meiner Hilfe gewesen sein.

So schnell wie möglich brachte ich die übliche Anmeldung und Kontrolle hinter mich. Bis nach Seoul musste ich noch weitere 52 Kilometer fahren, um endlich nach Hause zu kommen. Ich war müde, konnte es kaum erwarten, mich auf meinem Bett auszustrecken. Die letzten Tage waren nichts für Gesundheit oder mein Nervenkostüm gewesen.

»Yeon!«, rief auf einmal jemand hinter mir und ich stoppte. »Yeon!«

Es gab nur einen Vollidioten, der mich in aller Öffentlichkeit mit Decknamen ansprach – mein Kumpel Caesar. Was seine Eltern dazu bewegt hatte, ihren kleinen durch und durch asiatisch aussehenden Jungen Caesar zu nennen, war mir ein Rätsel. Fakt war jedoch: Der Name stand wirklich in seinen Papieren. Lee Caesar stand vor der Klapperkiste, die er liebevoll Judy nannte und winkte wie ein Besessener.

»Es reicht«, zischte ich und versuchte, ihn zu stoppen, aber der Kerl gab einfach keine Ruhe.

»Hyeong!« Jetzt vollführte er eine Art Tanz. Ich war drauf und dran, mich umzudrehen und doch mit der Bahn zu fahren. Er hatte sie echt nicht mehr alle!

6

Wieso schaffte ich es nicht, aus diesem fürchterlichen Albtraum aufzuwachen? Ich könnte jetzt aus dem Bett steigen, zu meiner Mutter in die Küche marschieren und dort in aller Ruhe frühstücken. Stattdessen hatte man mich aus dem Flugzeug gescheucht und mich daraufhin mit Fragen gelöchert und geradezu gefilzt. Dieser eine Beamte schien gern auf Tuchfühlung zu gehen und ich hatte mich nicht getraut, ihm auf die Finger zu schlagen. Womöglich wäre ich dann direkt in den Knast gewandert, wovon in diesen KDramas nicht sonderlich viel berichtet wurde – und falls doch, nichts Gutes.

Danach schaffte ich es gerade noch so, meinen Koffer von einem Band zu fischen und stand nun planlos da. Wie sollte es nun weitergehen?

»Entschuldigen Sie«, wandte ich mich nun an eine Dame an einem der Schalter und betete, dass sie englisch sprach.

»Ja, bitte?« Sie lächelte mich freundlich an und mein Herz machte einen kleinen erleichterten Hüpfer.

»Ich muss nach Seoul. Wo finde ich ein Taxi?«, wollte ich wissen, aber die junge Frau runzelte sogleich die Stirn.

»Ein Taxi? Um diese Uhrzeit? Warte.« Zu meiner Überraschung zog sie eine Art Karte unter der Theke hervor, hinter der sie stand und schnappte sich einen Stift. »Wohin genau musst du?«

Ich war selig, dass sie mich zwar höflich behandelte, aber es nicht allzu förmlich war. Vermutlich, weil wir nicht viel Altersunterschied aufwiesen. Prüfend lehnte ich mich zu ihr und starrte auf die Karte. Ich blinzelte, da ich kein Wort lesen konnte.

›Mist!‹

»Oh ... Moment.« Sie grinste und suchte abermals unter der Theke, während ich in meinen Unterlagen nach der Adresse suchte.

»Also ich muss nach Gangnam-gu«, erklärte ich und sie nickte.

»Ein sehr schöner Bezirk in Seoul, südlich des Han.« Sie kreiste etwas auf der Karte ein.

Da ich die Namen nicht aussprechen konnte, reichte ich ihr die Papiere und sie überflog alles, ehe sie nickte.

»Am besten kein Taxi. Von hier aus nimmst du den Airport Railroad Express. Das dauert zwischen vierzig und fünfzig Minuten zum Bahnhof Seoul. Der ist in Yongsan-gu. Von dort aus ist es nicht mehr weit nach Gangnam. Da kannst du auch ein Taxi nehmen. Es ist eine Fahrt von etwa fünfzehn Minuten.«

Sie schien verwirrte Touristen gewohnt zu sein und half mir sogar noch, etwas Geld zu wechseln, da ich keine Won dabei hatte. Das wollte alles Mirko organisieren. Allein auf eine Kreditkarte hatte er bestanden, die ich mit mir führte.

Mit etlichen Scheinen im Geldbeutel marschierte ich anschließend in Richtung Airport Railroad Express.

›Im Grunde muss ich nur den Leuten hinterher. Das werde ich schon schaffen‹, dachte ich und betete, nichts falsch zu machen.

***

Ich hatte es tatsächlich bewältigt und stand stolz am Bahnhof von Seoul. Anscheinend war es jedoch mein Schicksal, mich von einem riesigen öffentlichen Platz zum nächsten zu kämpfen. Kaum gefreut, gab es neue Herausforderungen, denn nun musste ich ein Taxi finden.

»Entschuldigen Sie«, versuchte ich es auf gut Glück bei einer Passantin, die allerdings abwinkte und hastig davonlief.

›Okay, das war leider nichts.‹ Suchend blickte ich mich um, aber die meisten Leute sahen für mich nicht so aus, als würden sie Englisch sprechen. Natürlich konnte ich mich irren, denn in Sachen Menschenkenntnis war ich ja erwiesenermaßen eine Niete.

Automatisch zog ich mein Handy heraus und schaute aufs Display. Eine weitere Zeitverschwendung, denn ich hatte keinen Vertrag, der Südkorea mit einschloss. Das Gerät war im Grunde tot. Frustriert steckte ich es zurück in meine Tasche und murmelte vor mich hin:

»Alles wird gut, Mira. In spätestens einem Jahr wirst du darüber lachen und es als riesiges Abenteuer empfinden.«

Da ich allerdings schlecht hier darauf warten konnte, marschierte ich mit dem großen Koffer und der Tasche, die mir mitten im Gedränge ebenfalls riesig erschien, weiter. Vielleicht fand ich ja ein Taxi, wenn ich einer Richtung folgte. Ich hatte keine Ahnung, wie die Uhrzeit war, und schien auch komplett das Gefühl dafür verloren zu haben. Müde und hungrig schlurfte ich bis zu einer Bank und ließ mich darauf nieder. Nur ein paar Minuten wollte ich mich ausruhen. Ich brauchte diese Pause, um meine Emotionen zusammen zu raffen.

Ich beobachtete die Menschen um mich herum. Alle wirkten sehr beschäftigt und dieses Mal sprach ich niemanden an, da ich kein Störenfried sein wollte. Langsam holte ich die Karte der netten Dame vom Flughafen hervor und betrachtete den Bahnhof. Sogleich suchte ich nach einem Anhaltspunkt, wo ich mich befand und, in welche Richtung ich zur Not laufen musste.

›Hätten ich das mal in der Schule gelernt‹, ging es mir durch den Kopf und ich seufzte.

Nachdem ich endlich den Namen der Straße ermittelt hatte, in der ich mich aufhielt, fand ich diese auch auf der Karte. Es sah so aus, als wär ich auf dem richtigen Weg, aber noch immer recht weit entfernt. Etwa elf Kilometer, wenn ich das korrekt einschätzte. Ob ich die Strecke zu Fuß schaffte?

›Auf gar keinen Fall! Dazu bin ich zu müde‹, entschied ich und überlegte, doch zum Bahnhof zurückzugehen und dort nochmals nach einem Taxi Ausschau zu halten.

Mittlerweile hatte ich eine halbe Stunde hier vertrödelt und meine Energie war aufgebraucht. Mit wackeligen Beinen erhob ich mich.

»Alles wird gut«, flüsterte ich und ergriff den Koffer.

Beim Hochwuchten der Tasche kam ich ins Wanken und machte einen Ausfallschritt.

»Oh Scheiße!«, keuchte ich, denn er ging ins Leere.

Mitsamt der Tasche legte es mich sehr unelegant aufs Pflaster. Mein Knie brannte vor Schmerz, der Hintern tat weh und ich begann urplötzlich zu schluchzen. Die Tränen liefen mir in Sturzbächen über die Wangen und waren nicht mehr zu stoppen. Eine solche emotionale Entgleisung wäre mir in Deutschland niemals in der Öffentlichkeit passiert, aber nun saß ich irgendwo im nirgendwo in Seoul und heulte wie ein Schlosshund.

»Da gwaenchanh-a?«, wollte jemand wissen und ich starrte mit tränenverhangenem Blick nach oben.

Ich blinzelte. Dann nochmals, denn ich konnte es kaum glauben. Vor mir stand der Typ aus dem Flieger.

»Du«, meinte er leise und hob die Augenbrauen.