Nachbars Werner - Isolde Kurz - E-Book

Nachbars Werner E-Book

Isolde Kurz

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Beschreibung

Nachbars Werner ist eine interessante Erzählung von Isolde Kurz. Auszug: Meine erste Liebe, so erzählte mir meine Freundin Ada, war unser Nachbarssohn Werner Horst. Ich verehrte in ihm, ohne mir davon Rechenschaft zu geben, mein männliches Ideal, denn ich stand damals zwischen dem fünften und sechsten Jahre, befand mich also in einem Lebensalter, wo man die Liebe bisweilen schon nach der Empfindung, aber nicht dem Namen nach kennt. Ich hatte schon von Werner reden hören, bevor wir einander begegneten, denn meine Familie wohnte erst seit Kurzem in der Stadt, und die besondere Art, wie die Erwachsenen von ihm sprachen, beschäftigte meine Einbildung.

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Nachbars Werner

Nachbars WernerAnmerkungenImpressum

Nachbars Werner

Meine erste Liebe, so erzählte mir meine Freundin Ada, war unser Nachbarssohn Werner Horst. Ich verehrte in ihm, ohne mir davon Rechenschaft zu geben, mein männliches Ideal, denn ich stand damals zwischen dem fünften und sechsten Jahre, befand mich also in einem Lebensalter, wo man die Liebe bisweilen schon nach der Empfindung, aber nicht dem Namen nach kennt.

Ich hatte schon von Werner reden hören, bevor wir einander begegneten, denn meine Familie wohnte erst seit Kurzem in der Stadt, und die besondere Art, wie die Erwachsenen von ihm sprachen, beschäftigte meine Einbildung.

Mein Vater pflegte nämlich zu sagen: »Der Werner ist ein Junge, aus dem einmal etwas werden kann, aber ich will nicht, daß meine Kinder mit ihm umgehen.«

Und meinem Bruder Erich, der die gleiche Lateinklasse besuchte wie Werner, war es verboten, den Heimweg aus der Schule in seiner Gesellschaft zu machen.

Ganz deutlich erinnere ich mich, wie Werner das erste Mal zu uns kam. Sein Vater hatte ihn mit einem Auftrag an den meinigen geschickt. Seine freie Miene, die glänzenden Augen, mit denen er den Großen so fest ins Gesicht sah, und daß er zwei Jahre älter war als ich, das Alles flößte mir eine mit Scheu gemischte Bewunderung ein. Und als er wieder gegangen war und meine Mutter gegen den Vater bemerkte: »Es ist doch jammerschade um den Werner –« da weiß ich noch ganz genau, daß mir das Herz unruhig zu klopfen begann.

Nachdem der Vater das Zimmer verlassen hatte, nahm ich all' meinen Muth zusammen und fragte:

»Was hat denn der Werner gethan, daß Du sagst: ›Schade?‹«

»O, etwas sehr Häßliches,« war die Antwort, »das kleine Mädchen besser gar nicht wissen sollten: der Werner ist ein Lügner.«

Und sie erzählte mir, daß Werner's Vater Alles aufgeboten habe, um den Jungen von diesem widrigen Laster zu heilen, aber kein Mittel wollte fruchten. Unzählige Prügel habe er an ihm abgeschlagen, ihn Tage lang im Keller eingesperrt, es sei Alles umsonst gewesen. Das Lügen sei so mit Werner's Natur verwachsen, daß er es nicht lassen könne. Ueberhaupt sei er ein Thunichtgut und ein Heimtücker, was man ihm bei seiner offenen Miene gar nicht ansehen würde. Er halte sich immer nur einen Freund unter seinen Kameraden, aus dem mache er dann, was er wolle, setze ihm die größten Albernheiten in den Kopf und verleite ihn zu schlechten, ungezogenen Streichen, bis er ihn eines Tages stehen lasse und sich wieder einen anderen suche. Werner Horst's Freundschaften dauerten nie länger als ein paar Wochen, aber in diesen paar Wochen mache er auch die bravsten zu ganz ungehorsamen und verdrehten Jungen. Deshalb hätten andere Eltern darauf zu achten, daß er von ihren Kindern fern bleibe.

Ich ging an diesem Tage ganz tiefsinnig umher. – Wie kann man nur lügen, dachte ich bei mir selbst. – Pfui, das muß etwas sehr Schmutziges sein! – Denn ich war ein kleiner Tugendbold und sehr stolz auf meine von den Eltern oft gerühmte Wahrheitsliebe, an der gar nichts Verdienstliches war, da ich als zärtlich gehegtes Hauskind niemals in die Versuchung gerieth, mir mit einer Lüge zu helfen.

Daher nahm ich mir vor, den Werner gründlich zu verachten, ihn auch nicht anzusehen, wenn er mir auf der Straße begegnen würde. Aber heimlich mußte ich immer an den Missethäter denken. Meine Phantasie irrte beständig um seine mir doch nicht recht klar gewordenen Vergehungen und die Strafen, die er dafür zu verbüßen hatte, herum. Seine Beharrlichkeit im Bösen imponirte mir eben so sehr, wie ich sie verdammte, und so oft ich mir sein schönes, freies Gesicht vorstellte, wurde ich traurig.

Wenn mein Bruder gelegentlich in meiner Gegenwart sagte: »Der Werner Horst ist der Beste in der ganzen Klasse« – so wurde ich roth, ohne zu wissen, warum. Und als ich ihn eines Tages sagen hörte: »Heut' hat der Werner Prügel bekommen, weil er wieder gelogen hat« – weinte ich im Stillen. Fortan flocht ich allabendlich in mein Nachtgebet die Bitte ein:

»Und, lieber Gott, mache vor Allem, daß der Werner nicht mehr lügt.«

Werner's Vater war der Rector und Kirchenälteste Horst, dessen Haus dicht an das unsrige stieß. Da drüben fielen zuweilen Scenen vor, über die man bei uns nur flüsternd sprach, denn meine sanfte, immer gütige Mutter, die ich viel zu kurz besessen habe, wollte nicht, daß wir Kinder von häßlichen und traurigen Dingen erführen; sie verheimlichte uns sogar ihren eigenen leidenden Zustand, um uns den Sonnenschein der Kindheit so lange wie möglich ungetrübt zu erhalten. Aber durch des Rectors Dienstmagd Rike, die sich bei unserer Christine das Herz zu erleichtern pflegte, war man von Allem unterrichtet. Der Alte gehörte zu den Stillen im Lande und war der Schrecken der Schulkinder, denen er das Christenthum mit dem Stock einbläute. Nur über seinen Werner hatte er keine Gewalt. Dieser drückte sich, so oft er Gelegenheit fand, um die häuslichen Andachtsübungen und lief am Sonntag in den Wäldern umher. Wenn er dann zum Mittagessen nach Hause kam, erwartete ihn regelmäßig eine Prügelsuppe, worauf er für den Rest des Tages abermals zu verschwinden pflegte, um am Abend mit einer neuen Tracht Prügel begrüßt zu werden. Doch war ihm das Umherstreifen ebenso wenig auszutreiben wie das Lügen. Einmal – aber dies erzählte mir Christine nur mit gedämpfter Stimme und indem sie sich ängstlich umsah, ob Niemand zuhöre – war er sogar mit einer Zigeuner- oder Kunstreiterbande fortgezogen, man wußte nicht wohin, und erst nach mehreren Tagen war der Vater seiner wieder habhaft geworden.

Ich weiß nicht, ob Werner ahnte, wie sehr seine Nachbarin mit ihm beschäftigt war. Jedenfalls nahm er seinerseits von meinem Dasein in schmeichelhafter Weise Notiz, während es sonst bräuchlich war, daß die Mädchen von den Jungen über die Achsel angesehen wurden.

Bei einer festlichen Gelegenheit entspann sich zur Schande meiner Grundsätze unsere Freundschaft.

Die große Frühjahrsmesse führte alljährlich wandernde Curiositäten, wie Schießbuden, Menagerien und dergleichen nach unserer Stadt. Diesmal war auf der großen Festwiese vor den Thoren neben anderen Herrlichkeiten ein Carroussel aufgeschlagen, das den ganzen Tag nicht leer wurde und die Herzen der Jugend mit Begeisterung erfüllte. Ich hatte nie zuvor ein Carroussel gesehen, und das quieksende, kreisende Ding mit seinen Pferdchen und Wägelchen und dem flatternden Wimpel auf dem Zeltdach erregte mein glühendstes Verlangen. Die Mutter schenkte mir ein paar Kreuzer, zog mir ein weißes Kleid mit rosa Bändern an und schickte mich am Sonntag mit Christine auf die Festwiese.