Preußische Jugend zur Zeit Napoleons - Karl Immermann - E-Book

Preußische Jugend zur Zeit Napoleons E-Book

Karl Immermann

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Beschreibung

Die Jugenderinnerungen Karl Leberecht Immermanns sind ursprünglich in den drei Bänden "Memorabilien" eingeschlossen, die so vielerlei enthalten, daß sie im Ganzen nur wenigen Lesern mundgerecht sein können. Sodann hat Immermann durch seine Bescheidenheit und seine Betrachtungslust sich verleiten lassen, die Erzählung der eigenen und der vaterländischen Erlebnisse immer wieder durch lange geschichtsphilosophische, politische, literarische und andere Erörterungen zu unterbrechen und Vergleiche zwischen 1840 und 1810 zu ziehen.

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Preußische Jugend zur Zeit Napoleons

Karl Immermann

Inhalt:

Karl Immermann – Biografie und Bibliografie

Preußische Jugend zur Zeit Napoleons

1. Kapitel. Gustav Adolf.

2. Kapitel. Friedrich der Große.

3. Kapitel. Friedrichs Nachfolger.

4. Kapitel. Napoléon.

5. Kapitel. Preußens Fall.

6. Kapitel. Die Übergabe Magdeburgs.

7. Kapitel. Familienleben in der Franzosenzeit.

8. Kapitel. Erstes Semester in Halle.

9. Kapitel. Der Oheim.

10. Kapitel. Studentenstreiche.

11. Kapitel. Nochmals Napoleon

12. Kapitel. Preußens Erhebung.

13. Kapitel. Als Kriegsfreiwilliger.

Nachwort

Aus Tagebüchern

Preußische Jugend zur Zeit Napoleons, K. Immermann

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849628567

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Karl Immermann – Biografie und Bibliografie

Dichter und Dramaturg, geb. 24. April 1796 in Magdeburg, gest. 25. Aug. 1840 in Düsseldorf, besuchte bis 1813 das Gymnasium seiner Vaterstadt und bezog, um Rechtswissenschaft zu studieren, im Frühling des großen deutschen Erhebungsjahrs die Universität Halle. Durch Napoleons Wiederkunft von Elba 1815 zu den Waffen gerufen, nahm er an den Schlachten von Ligny und Waterloo teil, zog mit Blüchers Heer in Paris ein und wurde als Offizier entlassen. Die Selbständigkeit seines Charakters betätigte er 1817, als die Burschenschafter zu Halle einen armen Studenten, der nicht zu ihnen halten wollte, brutal mißhandelten. I. wandte sich in einer Immediateingabe an den König und schrieb die (beim Wartburgfest mit verbrannte) Schrift »Über die Streitigkeiten der Studierenden zu Halle« (Leipz. 1817). Im I. 1817 trat er in den preußischen Staatsdienst, arbeitete bis 1819 als Referendar in Aschersleben und wurde darauf als Auditeur nach Münster versetzt. Hier lernte er die Gräfin Elisa v. Ahlefeldt, die Gattin des Freischarenführers v. Lützow, kennen und blieb in langjährigen Beziehungen zu ihr, nachdem sie sich von ihrem Gatten hatte scheiden lassen. I. trat während der Münsterschen Zeit zuerst mit dem Lustspiel »Die Prinzen von Syrakus« (Hamm 1821) hervor, dem eine Sammlung »Gedichte« (das. 1822) und die Trauerspiele: »Petrarca« (1822), »König Periander und sein Haus« (Elberf. 1823) u. a. folgten, Werke, in denen er durchaus die Wege der Romantiker wandelte. 1824 als Kriminalrichter an das Oberlandesgericht seiner Vaterstadt berufen, wohin ihm die Gräfin folgte, übersetzte er daselbst Walter Scotts »Ivanhoe« (1826), schrieb die ästhetische Abhandlung »Über den rasenden Ajax des Sophokles« (Magdeb. 1826) und veröffentlichte neue Dramen, wie das Lustspiel »Das Auge der Liebe« (Hamm 1824), die seltsame Tragödie »Cardenio und Celinde« (Berl. 1826), die das Interesse literarischer Kreise auf ihn lenkten. Als er 1827 als Landgerichtsrat nach Düsseldorf versetzt ward, folgte ihm die Gräfin auch dahin nach. Düsseldorf hatte eben damals den künstlerischen Aufschwung genommen; I. und andre brachten das literarische Element in die Kunstkreise. Allseitig angeregt, schuf er die ersten selbständigen Werke. Bald nacheinander entstanden die Tragödien: »Das Trauerspiel in Tirol« (Hamb. 1827) und »Kaiser Friedrich II« (das. 1828; vgl. Deetjen, Immermanns ›Kaiser Friedrich II.‹ Berl. 1901), das komische Heldengedicht »Tulifäntchen« (Hamb. 1827; neue Ausg., Berl. 1862), die Lustspiele: »Die Verkleidungen« (Hamb. 1828) und »Die Schule der Frommen« (Stuttg. 1829), das phantastische und tiefsinnige Mysterium »Merlin« (Düsseld. 1831; vgl. Kurt Jahn, Immermanns ›Merlin‹, Berl. 1899; Zielinski, Die Tragödie des Glaubens. Betrachtungen zu Immermanns ›Merlin›, Leipz. 1901) und die Trilogie ›Alexis‹ (Düsseld. 1832; vgl. Leffson, Immermanns ›Alexis‹, Gotha 1904). Auch »Der im Irrgarten der Metrik umhertaumelnde Kavalier«, eine gegen Graf Platen gerichtete »literarische Tragödie« (Hamb. 1829), die »Miszellen« (Stuttg. 1830), eine neue Folge von »Gedichten« (das. 1830) u. a. fallen in jene Zeit. Mit dem Roman »Die Epigonen« (Düsseld. 1836; 2. Aufl., Berl. 1856), den er 1835 vollendete, betrat I. das Gebiet der erzählenden Prosadichtung, wofür sich seine Begabung am meisten eignete. Bedeutenden Gehalt und Schwung erhielt sein Leben durch die Leitung des Düsseldorfer Theaters zwischen 1835 und 1838. Aus zufälligen Anfängen war der Gedanke, eine Musterbühne zu errichten, emporgewachsen; I. nahm Urlaub von seinem Amt, um sich der Leitung des Theaters ausschließlich zu widmen, und erreichte mit verhältnismäßig geringen Kräften Ungewöhnliches in Repertoire und Ensemble. Nicht an den Prinzipien, sondern am Mangel einer ausgiebigen materiellen Unterstützung scheiterte diese Reformbühne, und es war ein Fehler, daß keins der größern Theater Immermanns dramaturgisches Talent in Dienst nahm. Der Untergang seiner Lieblingsschöpfung verstimmte ihn tief, beugte aber seinen freudigen Schaffensmut nicht. Er begann den humoristisch-idyllischen Roman »Münchhausen, eine Geschichte in Arabesken« (Düsseld. 1839, 4 Tle.; 3. Aufl., Berl. 1854), der im Grund aus zwei locker verknüpften Romanen bestand und sich durch Gestaltenreichtum, Fülle realen und poetischen Lebens im idyllischen Teil (»Der Oberhof«, wovon zahlreiche Sonderausgaben erschienen), durch eine Reihe satirischer Meisterzüge in der humoristisch-satirischen Zeitdarstellung auszeichnete (vgl. die Programme von F. Bauer, Sternescher Humor in Immermanns;Münchhausen', Wien 1897, und W. Volkmann, Beiträge zur Erläuterung von Immermanns. Münchhausen', Bresl. 1897). Im Herbst 1839 vermählte sich I. mit Marianne, einer Enkelin des Kanzlers Niemeyer in Halle (gest. 17. Febr. 1886 in Hamburg). Im Glück seiner jungen Ehe, im Vollgefühl der mit seinem letzten Werk endlich errungenen allgemeinen Anerkennung schritt I. zur Neugestaltung des Liebesepos »Tristan und Isolde« (Hamb. 1842; 2. Aufl., Berl. 1854) und schrieb gleichzeitig an seinen »Memorabilien« (Hamb. 1840–43, 3 Tle.); aber die Vollendung beider Werke war ihm nicht vergönnt, ein tückisches Nervenfieber raffte den Dichter mitten aus seinem Schaffen hinweg. I. gehörte zu jenen spröden Talenten, die erst mit den Jahren voll erglühen und in Fluß kommen. Mit seinen »Epigonen« und dem »Münchhausen« hat er der poetischen Darstellung modernen Lebens Bahn gebrochen und seine Stellung in der Geschichte der deutschen Dichtung gesichert. Eine Gesamtausgabe seiner Schriften, in sorgfältiger Auswahl, erschien in 14 Bänden (Düsseld. u. Hamb. 1835–43), eine neuere, herausgegeben von Boxberger, in 20 Bänden (Berl. 1883), eine Auswahl besorgte Muncker für Cottas »Bibliothek der Weltliteratur« (Stuttg. 1898, 6 Bde). Aus seinem Nachlaß veröffentlichte G. zu Putlitz seine »Theaterbriefe« (Berl. 1851). Vgl. Freiligrath, Karl I. Blätter der Erinnerung an ihn (Stuttg. 1842); D. F. Strauß, Kleine Schriften (Leipz. 1866); »Karl I., sein Leben und seine Werke« (von der Witwe Immermanns; hrsg. von G. zu Putlitz, Berl. 1870, 2 Bde.); Müller (von Königswinter), Erzählungen eines rheinischen Chronisten, Bd. 1: »Karl I. und sein Kreis« (Leipz. 1860); Fellner, Geschichte einer deutschen Musterbühne. K. Immermanns Leitung des Stadttheaters zu Düssel dorf (Stuttg. 1888); »Karl I. Eine Gedächtnisschrift zum 100. Geburtstag des Dichters« (Hamb. 1896; mit Beiträgen von R. Fellner, I. Geffcken, O. H. Geffcken, R. M. Meyer und F. Schulteß); Deetjen, Immermanns Jugenddramen (Leipz. 1904).

Preußische Jugend zur Zeit Napoleons

Einleitung

»Mein Leben erscheint mir nicht wichtig genug, um es mit allen seinen Einzelheiten auf den Markt zu bringen. Auch habe ich noch nicht lange genug gelebt, um mir den rechten Überblick zutrauen zu dürfen. Ich werde vielmehr nur erzählen, wo die Geschichte ihren Durchzug durch mich hielt.«

So erklärte sich im Frühjahr 1839, als er seine Erinnerungen niederzuschreiben begann, der dreiundvierzigjährige Landgerichtsrat Karl Immermann zu Düsseldorf, den man in ganz Deutschland als einen hochstrebenden Dramatiker, kundigen Bühnenleiter und namentlich als einen großen Meister im humoristisch-phantastischen Roman und Vers-Epos schätzte. Und diese Sätze waren keine Verneigung heuchelnder Bescheidenheit. Er wollte wirklich nur ein Stück deutscher Volksgeschichte schreiben; selbst da, wo er von seinen Knabenerlebnissen sprach, wollte er zeigen, wie »die Geschichte ihren Durchzug durch ihn hielt«. »Denn die großen Ereignisse entspringen zwar nicht selten in einem großen Haupte, ihren Leib aber bekommen sie immer nur aus den Elementen und deren Infinitesimal-Teilchen.«

Ohne sich zu überheben, hielt er sich für berufen, ähnlich wie Goethe seine Jugendgeschichte zu erzählen, denn er habe, meinte er, eine Jugendzeit mit erlebt, wie sie kein früheres Geschlecht erfuhr und kein späteres erwarten konnte. Vorher ging die Jugend ihren mäßigen Lebens- und Bildungsschritt; die Weltereignisse traten nicht an sie hinan, die Stille des Hauses umgab ihre ersten Entfaltungen, zugeschnitten war der Unterricht, und dieser überlieferte sie nach gelindem Schäumen und Brausen in den akademischen Jahren einem geordneten Berufe, indem sie nun das wurden, was sie vorher verachtet hatten, nämlich Philister. Zwischen der Gewalt des öffentlichen Lebens und ihr war bis dahin eine unübersteigliche Kluft befestigt gewesen. – Gegenwärtig lebt zwar die Jugend seit dem Erwachen ihrer Aufmerksamkeit mehr in den Weltbegebenheiten, weil diese alle Vorstellungen und Verhältnisse zu durchdringen angefangen haben, allein sie empfängt dieselben doch nur in einer Rückspiegelung und gestaltet sie in einer oft sehr vorschnellen Reflexion, so daß zwischen ihr und dem Öffentlich-Wirklichen abermals ein breiter Strom fließt, nämlich der Strom ruhiger Friedenstage. – Ganz im Gegenteil sah die Jugend, welche beschrieben werden soll, ihrer ersten Blüte die furchtbarsten Erschütterungen in materiellster Aufdringlichkeit annahen und wenige Jahre später fühlte sie sich berufen zu dem Eingreifen in das öffentliche Leben, über welches hinaus es kein tieferes gibt, nämlich: die Waffen zu nehmen, um Thron und Vaterland retten zu helfen. Die Jugend vor der Eroberung war daher politisch null, die gegenwärtige Jugend ist im glücklichsten Falle politisch-kontemplativ, die Jugend (zur Zeit Napoleons) war politisch leidend und handelnd. Und ... die Jugend litt damals als Jugend, handelte als Jugend, Jugendstimmungen wurden angerührt und jugendliche Motive in Bewegung gesetzt.«

Aber warum durfte gerade er unter so vielen Zeitgenossen das Erlebte schildern? Weil er sich als einen beobachtenden Geist kannte. »Ich war von frühester Kindheit an sehr neugierig und horchte überall zu, wo ich Erwachsene redend zusammenstehen sah,« erzählt er von sich: diese Neugier werden wir bei andern Wißbegier nennen, denn solche Neugier ist der Anfang vieler Wissenschaft. »Früh entwickelte sich bei mir ein aufmerkender Sinn und eine Neugier, welcher das unscheinbarste Detail der Dinge nie zu geringfügig war. Diese Kraft der Beobachtung, welche man Kälte genannt hat, ergriff einige sonderbare und gewaltige Ereignisse, welche meinem jugendlichen Auge nahe traten, durchdrang sie und folgerte aus ihnen sich Nahes und Verwandtes zusammen, bis mir ein Bild entstand, was meinem Triebe nach Wahrheit genügte.« – –

So war Immermann in der Tat aufs beste berufen, seine Erlebnisse zu erzählen, aber trotzdem sind seine Jugenderinnerungen nie sehr bekannt geworden und werden jetzt kaum noch gelesen. Das hat zwei Gründe. Zunächst kamen sie den Deutschen in der allerungünstigsten Zeit vor die Augen. Die lebhaften Geister um 1840 schauten lieber vorwärts, nach 1848 hin, als rückwärts auf jene große Zeit, deren begeisterte Hoffnungen nur so schlecht in Erfüllung gegangen waren. Es gab aber auch Viele, die an den Emporkömmling »Buonaparte«, der eine Zeitlang die alte Ordnung Europas so arg gestört hatte, an den schmählichen Zusammenbruch der deutschen Staaten und an die nur durch starke Mitwirkung des »Volkes« gelingende Vertreibung des Eindringlings nicht gern erinnert werden mochten. Die Menge hat immer nur geringe Teilnahme für Dinge, die 10, 20, 30 Jahre zurückliegen, aber uns Heutigen erscheint es fast unglaublich, wie kalt sich im Jahre 1838 Behörden und Volk verhielten, als Einige die »silberne Hochzeit« der preußischen Erhebung von 1813 zu feiern anregten. Nur in ein paar Städten, z. B. in Hamburg und Dortmund, kam es zu Volks- oder Bürgerfesten, anderwärts blieben die ehemaligen Kriegs-Freiwilligen unter sich. Immermann nahm an dem Kölnischen Feste teil, das für die Krieger der ganzen Rheinlande bestimmt war! Diese Gleichgültigkeit der Menge, von der man historischen Sinn nicht erwarten darf, trug unser Patriot immerhin noch leichter als die bewußte Ablehnung der alten Erinnerungen durch diejenigen, die in der Niederlage bei Jena und in den Siegen »Buonapartes« fatale Ereignisse sahen, die man am besten vergißt und verschleiert. Immermann meint trotzig: »Daß der vierzehnte Oktober (1806, Jena) und der dritte Februar (1813, Aufruf der Freiwilligen gegen Napoleon) zusammengehören, wird der Geschichte wohl unverboten bleiben zu sagen, wenn auch Einige die Erinnerung an den ersten Tag unbequem finden. Diese verraten dadurch, daß sie von dem letzten ebenfalls nichts wissen oder nichts mehr wissen wollen. Denn eine glorreiche Erhebung fand nur statt, weil eine schmähliche Niederlage vorangegangen war. Die also von der Niederlage zu hören tauben Ohres sind, legen Zeugnis ab, daß an ihnen die Erhebung vorübergegangen ist wie etwa ein Sturm, vor dem sich der für seine Gesundheit besorgte Mann unter einem Wetterdache birgt. Am konsequentesten unter diesen verfahren denn auch diejenigen, welche die Jahre 1813, 1814, 1815 geradezu für schädliche Wetterereignisse ansehen.«

Wir Heutigen betrachten jene großen Ereignisse längst unbefangener und auch bereitwilliger; wenn Immermanns Erinnerungen noch immer unbekannt blieben, so muß der Fehler an ihnen liegen. In der Tat: sie sind unglücklich redigiert, mangelhaft herausgegeben. Diese Jugenderinnerungen sind in den drei Bänden »Memorabilien« eingeschlossen, die so vielerlei enthalten, daß sie im ganzen nur wenigen Lesern mundgerecht sein können. Sodann hat Immermann durch seine Bescheidenheit und seine Betrachtungslust sich verleiten lassen, die Erzählung der eigenen und der vaterländischen Erlebnisse immer wieder durch lange geschichtsphilosophische, politische, literarische und andere Erörterungen zu unterbrechen und Vergleiche zwischen 1840 und 1810 zu ziehen, die uns Nachkömmlinge nicht mehr fesseln können. Es sind Leitartikel vorzüglichster Art, aber wer mag jetzt noch Leitartikel von Anno 1840 lesen? Auch vermeidet Immermann manche Anspielung nicht, die heute auch dem Gelehrten schwerverständlich geworden ist, gebraucht auch manches Fremdwort, das jetzt bereits veraltet ist. Am raschesten mußte der Titel veralten, denn Immermann nannte diesen Teil seiner Memorabilien: »Die Jugend vor fünfundzwanzig Jahren«.

Da nun aber der Kern des Werkes recht wertvoll ist, so haben wir den Versuch gemacht, durch ein unbarmherziges Streichen alles die Erzählung Hemmenden, durch andere Einteilung, durch Umsetzung einiger Seiten, durch Erklärung der Anspielungen und gelehrten Worte aus dem Alten ein Neues zu machen, das wir nun für recht lesbar und anschaulich halten. Ein Kapitel gar, unser zwölftes, haben wir einer andern Schrift des Dichters entnommen, nämlich seinem Bericht »Das Fest der Freiwilligen zu Köln am Rheine den 3. Februar 1830«. Wir halten aus einem besonderen Grunde diese Bearbeitung und Ausnutzung für erlaubt. Immermann war schon tot, als seine »Memorabilien« erschienen; hätte er statt des halben ein volles Menschenleben ausgedauert, so hätte er gewiß selber eine Umarbeitung in ähnlicher Weise vorgenommen. Da er aber in voller Manneskraft hinweggenommen wurde, so wagt ein Landsmann und Gesinnungsverwandter statt seiner diese neue Redaktion.

Immermann entstammt einer Familie, die in den Dörfern und kleinen Städten um Magdeburg herum zu Hause war; er selber wurde in Magdeburg am 24. April 1796 geboren. Sein Vater hatte den Titel »Kriegs– und Domänenrat«: heute würde er »Geheimer Regierungsrat« oder »Oberpräsidialrat« heißen. In seinem fünfundvierzigsten Lebensjahre hatte er die achtzehnjährige Tochter des Dompropstes Wilda geheiratet; Karl war das erste seiner sechs Kinder.

In einem großen alten Hause in der Klosterstraße wohnte die Familie, gegenüber dem »Kloster Unserer lieben Frauen«, das jedoch längst in ein Pädagogium oder Gymnasium umgewandelt war. Karl empfing seinen ersten Unterricht durch seinen eigenen Vater; Ostern 1807 ward er Quintaner im Klostergymnasium. Ostern 1813, also mit vollendetem siebzehnten Jahre bezog er die nahe Universität Halle, um die Rechte zu studieren.

Doch nun möge er selber erzählen!

Weimar Dr. Wilhelm Bode.

1. Kapitel. Gustav Adolf.

Ich bin in einer Familie erwachsen, welcher von väterlicher Seite her zwei große Gestalten der Vergangenheit in höchstem Glanze vorgeführt wurden. Wie andere Kinder mit Märchen gespeiset werden, so wurde mein frühestes Denken und Fühlen durch das Gedächtnis an sie ernährt – vielleicht war es eine zu strenge Nahrung für das unreife Alter.

Die erste jener beiden Gestalten war Gustav Adolf, König von Schweden. Eine glaubwürdige Familientradition, die mein Vater in seinem Hausbuche aufgezeichnet hatte, besagte, daß Peter Immermann, Sergeant in der Armee des großen Schwedenkönigs, der Erste des Namens in Deutschland gewesen sei. Er hatte bei Lützen mitgefochten »für teutsche Gewissensfreiheit«, wie im Hausbuche steht, was da vor mir liegt, war in Deutschland geblieben, hatte eine durch den Dreißigjährigen Krieg wüst gewordene Bauerstelle im Dorfe Etgersleben unweit Magdeburg in Besitz genommen, eine Bäuerin namens Ilse geheiratet und war so der Stammvater der Familie geworden, welche sich dann durch Landleute, Handwerker, Schullehrer und Prediger verbreitete, bis sie in meinem Vater zu einem nach dem Maßstäbe früherer, bescheidenerer Zeiten hochgeschätzten Ansehen gelangte. Er war Königlicher Rat und stand bei der magdeburgischen Krieges- und Domänenkammer.

Es ist nicht wahr, daß nur der Adel sich etwas auf seine Ahnen einbilde. Bürgerfamilien sind eben so stolz, wenn sie unter ihren Vorfahren jemand wissen, der den Stammbaum verherrlicht, sei es auch nur dadurch, daß sein Name mit irgendeiner großen oder gerühmten Begebenheit in Zusammenhang steht. Eine sehr natürliche und lobenswerte Neigung im Menschen, der Keim des Staats und alles politischen Lebens. Jener alte Schwede, von dem sonst nichts weiter bekannt war, erhielt sich in der Familienerinnerung als eine respektable Figur; mein Vater erzählte mit Behagen, daß er einstmals jüngere Vettern mit nach Etgersleben hinausgenommen, ihnen das Stammgut der Familie gezeigt und sie veranlaßt habe, den Hut vor dieser Stätte abzunehmen. Das Gütchen war übrigens längst in andere Hände übergegangen, und ich habe es nie zu Gesicht bekommen.

Indessen bedurfte denn doch der schwedische Sergeant eines Heros, von dessen Strahlen er erst sein rechtes Licht zu empfangen hatte. Und dieser konnte kein anderer sein als Gustav Adolf. Mein Vater nannte ihn nie anders als den Erretter Deutschlands. Viel wurde von ihm erzählt, der Dreißigjährige Krieg ging für uns eigentlich nur bis zur Schlacht von Lützen. Über allen Zweifel erhaben war es, daß den König eine meuchelmörderische Kugel getroffen hatte, was denn unseren Haß gegen die Ligisten, der ohnehin schon nicht gering war, nur schärfen konnte. Wie die Leiche des Helden nach Weißenfels geschafft worden, wie die Königin sie dort mit Tränen benetzt habe – das und mehr dergleichen stand so vor mir, als wäre ich dabei gewesen. Die Oxenstiernas hörte ich erst weit spater nennen, und sie konnten mir nach einem solchen Vorgänger wenig Interesse abgewinnen.

Die andächtige Verehrung des großen Schwedenkönigs fand in meiner Vaterstadt außerdem einen fruchtbaren Boden, in dem sie nachhaltig treiben konnte. Eine Stadt verschmerzt ihre Zerstörung in anderthalbhundert Jahren nicht. Tilly und der Teufel galten in Magdeburg ungefähr gleich viel; Katholische und Kaiserliche kamen dicht hinterher. Rathmanns »Geschichte von Magdeburg« ist das erste Buch gewesen, welches ich gelesen habe. Kam ich nun da an die Stelle, wo es heißt, daß die Belagerer am 9. Mai 1631 zum Schein ihre Stücke aus den Schanzen, ihre Truppen von Krakau und Rotensee abziehen, daß die Belagerten sicher werden, glauben, die Schweden rückten zum Entsatz herbei, und die vom Wachen und Postenstehen ermüdeten Glieder dem Schlummer hingeben, so ergriff mich die heftigste Beklemmung, ich hätte ihnen aus Leibeskräften zurufen mögen: Wacht auf! den Bösewichten ist nicht zu trauen! Es half aber nichts. Wenige Seiten weiter waren die Kroaten, die Wallonen und Lombarden zur Hohenpforte und zum Schrotdorfer Tore eingedrungen, mordeten und brannten. Dietrich von Falkenberg, der schwedische Kommandant, eilt fruchtlos dahin und dorthin, bis ihn eine Falkonettkugel niederstreckt. Nun beginnt der Greuel der Verwüstung, durch den sich die jugendliche Einbildungskraft hindurchwürgen mußte!