Reduktion - Der Mensch muss kleiner werden! - Christian Manhart - E-Book

Reduktion - Der Mensch muss kleiner werden! E-Book

Christian Manhart

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Beschreibung

Der geniale Biologe Johann Baptist Schellberg nimmt an einem Kongress teil, der eine Lösung erarbeiten soll, um die Menschheit zu retten. Schellberg schlägt vor, die Körpergröße zukünftiger Menschen genetisch zu verkleinern. Er löst damit große Heiterkeit unter den Wissenschaftlern aus. Doch schnell wird klar: Kleinere Menschen verbrauchen wesentlich weniger Flächen, Nahrungsmittel und Rohstoffe. Doch Genversuche mit Menschen sind heikel. Die staatlichen Universitäten wollen nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Eine private Gesellschaft richtet eine geheime Forschungsstation ein. Die Versuche verlaufen vielversprechend. Doch als eine genetisch verkleinerte Katze entwischt, gerät das Projekt in Gefahr...

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Der Autor:

Jahrgang 1958, lebt seit Jahren mit seiner Familie in München. In seinem Hauptberuf Elektronik hat er jahrelang Handbücher und detaillierte illustrierte Reparaturanleitungen verfasst. Zuletzt arbeitete er als gefragter Ideengeber für komplizierte elektronische Anlagen und Prozesse. Einige beachtliche Comicbücher und Kurzgeschichten zählen zu seinem Portfolio.

Die rasante technische Entwicklung der Neuzeit faszinierte den Autor seit langem. Die unglaublichen Fähigkeiten der Menschen auf sich und ihrer Umwelt Einfluss zu nehmen gleichermaßen.

Noch verbieten es Hemmschwellen den Menschen grundlegend zu verändern. Aber Wissenschaftler sind dem Altern und der Lebenszeit auf der Spur. Einige Bücher die sich mit diesen Themen beschäftigen, sind bereits von diesem Autor erschienen und als Paperback und Ebook erhältlich.

München, 2011

Reduktion

Der Mensch muss kleiner werden!

Ein Roman

von

Christian Manhart

Impressum:

Reduktion - Der Mensch muss kleiner werden!

Christian Manhart

Copyright : © 2011 Christian Manhart

published by epubli GmbH, Berlin,

www.epubli.de

ISBN: 978-3-8442-2296-8

Kapitel 1

Der Mensch muss kleiner werden !

24. April 2009, es war ein schöner, warmer und sonniger Frühlingstag. In Wurzbach, einem kleinen Ort, ganz in der Nähe von Tübingen, radelten die beiden Schwestern Amelie und Sophie, 11 und 9 Jahre alt, von ihrem Elternhaus zu einer ungemähten Wiese am Ortsrand. Sie wollten ihrer Mutter einen Strauß Frühlingsblumen pflücken, da die Familie geplant hatte, nachmittags einen Ausflug zu den Großeltern zu unternehmen. Sie stellten ihre Fahrräder ab und kichernd, wie kleine Mädchen eben so sind, begannen sie verschiedene Blumen zu pflücken. Es sollte schließlich ein schöner Strauß werden, den sie ihrer Mutter bringen wollten. Auch wenn Sophie die ganze Zeit über quengelte, sie sollten doch zwei Sträuße pflücken um Oma auch einen mitzubringen. Amelie versuchte ihr immer wieder zu erklären, dass Oma schon ein bisschen krank war und keine Blumen in ihr Zimmer stellen durfte.

Als sie mit vollen Händen zu den Rädern zurückkehrten, wurden sie durch ein piepsendes Miauen aufmerksam. Sie brauchten nicht lange zu suchen, denn eine winzige Katze war für das Geräusch verantwortlich.

Das kleine Tier mit schwarzen glänzenden Fell und weissen Pfötchen, war nicht größer als 10 cm. Eifrig und heftig miauend schmiegte sie sich an die Füße von Sophie. Amelie und Sophie waren hin und her gerissen vor Entzückung. Amelie erklärte ihrer kleinen Schwester sogleich, dass sie dieses putzige Kätzchen niemals alleine hier lassen könnten. Das sei viel zu gefährlich für so ein kleines Tier. Sophie hätte sie auch nicht überzeugen brauchen. Schon lange wünschten sich die beiden Schwestern eine Katze. Vielleicht war jetzt die passende Gelegenheit gekommen. Das Kätzchen ließ sich willig aufnehmen und Amelie hielt sie fest im Arm, entschlossen sie nicht mehr herzugeben. Amelie trug das liebliche kleine Tier im Arm und schob mit der anderen Hand ihr Fahrrad. Sophie hatte den Blumenstrauß in ihren Fahrradkorb abgelegt und schob aber ebenfalls ihr Rad neben Amelie her.

„Lass sie mich auch mal halten, Ami. Du bist gemein. Wir haben sie zusammen gefunden.“

Sophie begann auf dem kurzen Weg ungeduldig zu werden.

„Wir sind doch gleich zu Hause. Da darfst du sie dann haben.“

„Aber, aber...“

„Sophie gib jetzt Ruhe!“

Amelie, die Ältere, hatte bei den Beiden unangefochten das Sagen. Sophie fügte sich notgedrungen und trottete ärgerlich weiter.

Zu Hause angekommen war die Aufregung groß. Das Kätzchen war beim näheren Betrachten kein junges Tier. Die Katze benahm sich nämlich wie eine große erwachsene Katze. Die Eltern von Amelie und Sophie stellten schließlich fest, das Tier war definitiv kein Katzenbaby. Nachdem sich alle eine Weile mit der Katze beschäftigt hatten, kamen die ersten Zweifel auf.

Eine lebende Miniaturausführung einer ausgewachsenen Katze haben die Mädchen mitgebracht, stellte der Vater Peter Grodberg fest. Wo kam sie so plötzlich her? Hatte sie jemand ausgesetzt?, wollte ihre Mama Karin wissen. Während die Familie noch über dieser Frage grübelte, klingelte es an der Tür.

Zwei Herren mittleren Alters und in dunkle Anzüge gekleidet, standen vor der Haustür ihres Einfamilienhauses. Ohne ein Wort zu sagen, oder einer Einladung einzutreten, drängten sie Karin zurück in das Haus.

Dann ging alles ganz schnell. Keine Viertelstunde später, saß die Familie Grodberg mit den zwei unscheinbaren, grimmig dreinschauenden Herren in einem abgedunkelten VW-Bus. Zwei weitere Herren saßen vorne, einer fuhr, der andere hatte das Kätzchen auf dem Schoß.

Keiner der Männer sagte ein Wort. Der Familienvater Peter Grodberg kochte innerlich. Karin, seine Frau saß zwischen den beiden Mädchen. Die Kinder hatten Angst bekommen. Sie klammerten sich eng an ihre Mutter. Der Bus raste mit hohem Tempo dahin. Keiner der Familienmitglieder war in der Lage, die Wege oder die Richtung, die das Fahrzeug nahm, zu bestimmen. Die Fahrt dauerte keine gefühlte zwanzig Minuten. In einer Tiefgarage parkte das Fahrzeug und sie mussten aussteigen, fuhren gemeinsam mit den vier Männern, die offensichtlich bewaffnet waren, mit einem geräumigen Aufzug einige Stockwerke nach oben. Als sich die Aufzugstür öffnete, wurden sie durch einen Korridor, der wie in einem Bürogebäude gestaltet war, zu einem großen Konferenzraum geführt.

Dort warteten sie verteilt sitzend auf einer bequemen Sitzgruppe. Auf dem Tisch befanden sich Getränke, Kaffee, Wasser, Säfte und Schalen mit Plätzchen und Knabberzeugs. Keiner hatte Lust und traute sich etwas zu nehmen.

Ein drahtiger, seriös gekleideter Mann, vielleicht um die vierzig Jahre alt, betrat den Raum. Er lächelte freundlich. Dann begrüßte er sie alle mit festem Handschlag und stellte sich als Dr. Klaus Timmen vor. Er lud sie ausdrücklich ein, sich doch zu bedienen, sich wie zu Hause zu fühlen. Er sei der Leiter einer noch sehr geheimen Forschungsgruppe.

Die kleine Katze, erst jetzt fiel es ihnen auf, dass er sie in einem kleinen Katzenkorb mitgebracht hatte, sei ein ganz wichtiger Teil davon. Deshalb seien sie nun hier. Das Tierchen war ihnen dummerweise ausgebüxt. Kein Wunder, so klein wie sie ist. Haha.

Während seiner Ausführungen blieb er die ganze Zeit über in einem unverbindlichen Plauderton.

Dr. Timmen lächelte und drückte dann auf eine kleine Fernbedienung, die er aus seinem Sakko hervorzauberte. Ein an der Decke befestigter Beamer, warf ein großes Bild an eine weiße Wand des Raumes. Es zeigte die Erde aus dem Weltraum. Dr. Timmen stellte sich neben das große Bild und begann ohne weitere Ankündigung mit einem Vortrag. Ungläubig lauschten sie den Ausführungen eines Wissenschaftlers der ihnen von einem Regierungsauftrag erzählte, der sie alle vier, an Pläne von Wahnsinnigen erinnerte.

„Vor ein paar Jahren gab es die ihnen bestimmt bekannte Kyhoto-Konferenz in Japan. Emissionen, Umweltschutz und solche Sachen. In einer weiteren geheimen Sitzung beauftragten die wichtigsten Teilnehmer die UNO nach Zukunftslösungen zu suchen. Ein Projekt wurde ins Leben gerufen. Das Projekt ,Terra‘. Zwölf unterschiedliche internationale Forschungsgruppen wurden darauf hin beauftragt, zu untersuchen wie die anstehenden Probleme der Zukunft gemeistert werden könnten. Das Ergebnis war mehr als überraschend: Alle, ich betone alle, die daran arbeiteten, waren sich einig und vertraten die Erkenntnis :

Der Mensch muss kleiner werden

Die gesamte deutsche Bundesregierung, sowie die europäische Gemeinschaft und alle ihre Mitgliedsländer, auch die USA, Russland, sogar China und Indien, die gemeinsam ungefähr 80 Prozent der Weltbevölkerung stellen, haben darauf hin die Umsetzung eines Planes beschlossen, der tollkühner nicht sein könnte. Warum? Warum werden sie fragen?

Wir, die Menschen haben den Planeten Erde erobert, wir haben ihn nahezu komplett ausgebeutet. Unser Verbrauch an Ressourcen ist gelinde gesagt: enorm. Wir wollen doch alle weiterhin in Wohlstand leben. Oder nicht?

Und damit das so bleibt, sich sogar noch steigern kann, müssen wir eine kleine, man beachte das Wort ‚kleine’ Änderung einleiten. Zukünftige Generationen werden ein Leben in paradiesischer Form verbringen. Wie soll das gehen?

Ganz einfach. Der Mensch ist zu groß geworden. Viel zu groß. Daher ist es nötig geworden gegenzusteuern. Nachdem die Aufschlüsselung des menschlichen Erbgutes nun größtenteils gelungen ist, eröffnen sich den Molekularbiologen unzählige Möglichkeiten Einfluss zu nehmen.

Vor allem die Wachstumsgene haben es uns Forschern angetan. Und was sage ich: Es ist gelungen.

Einige Tierversuche gehörten natürlich dazu. Das niedliche Kätzchen hier ist eins davon. Putzig gell?

Nach zugegebenen zu großen Erwartungen und damit verbunden Rückschlägen, haben wir die Probleme inzwischen umfassend gelöst. Die wichtigsten Politiker auf der Erde waren daher schnell überzeugt. Einer langfristigen angelegten Verkleinerung der Menschheit steht somit nichts mehr im Wege.“

Dr. Timmen legt eine Pause ein und lächelte der Familie zu. Die saß gespannt da und betrachtete mit offenen Mündern die Grafik auf der Leinwand. Dort waren zwei unterschiedlich große Menschen nebeneinander abgebildet.

„Der Homo Sapiens Minimus, so wird er wahrscheinlich genannt werden, besitzt nahezu alle Fähigkeiten eines normal gewachsenen Menschen. Er wird ungefähr 50 cm groß und im Regelfall maximal 25 KG schwer. Seine körperliche Leistungsfähigkeit übertrifft bei weitem das von einem viermal so großen Menschen. Die geringere Schwerkraft hilft ihm dabei. Sein Nahrungsbedarf wird logischerweise auch nur ein Viertel betragen. Stellen sie sich das nur einmal vor, wie groß die Natur für die Menschen wird. Ich sage nur phan-tas-tisch. Wir haben plötzlich Platz. Keine kleinen, zu engen Mietwohnungen mehr. Nein, da wo heute dicht gedrängt die Menschen zusammengepfercht hocken, wird Platz sein. Platz in Hülle und Fülle. Dazu kommt der wirtschaftliche Boom, den wir auslösen werden, dieser wird wie ein gigantisches Erdbeben um die Welt zittern. Aus einem Auto werden vier oder sogar sechs. Die Kräfte, die bei Unfällen auftreten, werden ja um einige Faktoren kleiner. Alles wird kleiner und besser, sicherer. Glauben sie mir. Alleine der Umbau zur kleineren Generation wird Milliarden an Arbeitskräften beschäftigen.“

Dr. Timmen nickte ihnen zu.

„Es wird im Übrigen von der WHO und der UNO ein Stichtag festgelegt, an dem sich die nationalen Regierungen verpflichten werden, ihre jeweilige Bevölkerung zu impfen, so dass nur noch kleine Erdenbürger auf die Welt kommen. Notfalls wird das eben mit Gewalt durchgesetzt. Militärische Einsätze, auch im Inneren, verabschiedete die UNO in einer Geheimsitzung. Der Plan ist kühn, ich weiß, aber notwendig um das Überleben der Menschheit zu sichern.

Alle beteiligten Regierungen, haben sich dazu durchgerungen diesen Schritt zu wagen. Die Ressourcen des Planeten Erde sind eben leider endlich. Die freiwillige Verkleinerung der Menschen ist ein Schritt in die richtige Richtung für eine grandiose Zukunft. Alle Menschen werden von den gigantischen Vorteilen profitieren.

Nach nur zwei Generationen, so der Plan, wird es nur noch vereinzelt ‚große’ Menschen geben. Für die neuen ‚kleinen’ Bewohner der Erde werden phantastische Zeiten anbrechen.

Daher steht das Projekt unter dem Motto:

‚Der Mensch muss kleiner werden’

merken sie sich dieses Motto gut, es wird sie noch viele Jahre begleiten.“

Der Spruch leuchtete grell von der weißen Wand. Es war total still. Nur das winzige Kätzchen miaute piepsend und ängstlich in seinem Körbchen. Auf einmal begannen die Mädchen zu kichern und loszuprusten. Die Eltern Grodberg sahen sich an und ihre lachenden Kinder. Sie wurde angesteckt und stimmten mit ein. Anfangs lachten nur die Grodbergs. Dann brachen alle in ein großes Gelächter aus.

Dr. Timmen und die Security-Männer die er mitgebracht hatte, alle lachten und lachten. Endlos lange. Plötzlich schob Dr. Timmen seine Designerbrille etwas nach vorne und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln.

Sein Blick wurde ernst, das Gelächter verstummte, er drückte auf die Fernbedienung um den Beamer auszuschalten. Mit Schwung drehte er sich um, nahm das Katzenkörbchen und ging zur Tür. Seine Wachmänner hatten sie ihm schon aufgehalten. Bevor er mit ihnen verschwand, drehte er sich noch mal um und verkündete mit fester Stimme:

„Ihr dürft hier bleiben bis zum Tag X.“

Peter sprang auf und rannte zur Tür. Sie war bereits versperrt. Er klopfte mit beiden Fäusten dagegen.

„Ja spinnt ihr denn?“

Die Mädchen kicherten schon wieder. Nur Karin saß regungslos da. Peter ging zu ihr und legte den Arm um sie.

Nun saßen sie aber ordentlich in der Bredouille.

Kapitel 2

Der Kongress

Etwa fünf Jahre vor diesem Nachmittag

Dr. Johann Baptist Schellberg, ein junger ehrgeiziger Biologe, arbeitete in einem Forschungsinstitut der Würzburger Universität.

Dr. Schellberg, groß gewachsen, sehr schlank, mit einer kräftigen markanten Nase und braunen wenig ausdrucksstarken Augen, war insgesamt nicht sonderlich beliebt. Er hatte unter den Doktoranden, den Studenten und seinen Assistenten, den Ruf eines arroganten, besserwisserischen Ekels. Schon seit seiner Kindheit war er ein Außenseiter, der sich nicht viel aus anderen Menschen machte. Die Bücher, die Wissenschaft war seine Welt. Sie faszinierte ihn wie nichts anderes auf dieser Welt.

Dr. Schellberg war jedoch auf seine Art ein Genie. Er war extrem wissbegierig und ausdauernd, was seine Forschungsarbeiten betraf. Einer der niemals aufgeben würde, bevor er nicht Erfolge vorweisen kann.

Seine Habilitation, seine Professur, stand unmittelbar bevor. Er genoss das Wohlwollen der Universität und dessen Dekan, Professor Robert Welger. Unter seiner Leitung erhoffte sich die Universität, durch die Förderung eines Talents wie das von Dr. Schellberg ein größeres internationales Renommee.

Welchen Umgang Schellberg wiederum mit seinen Mitarbeitern pflegte, war in diesem Fall von geringer Bedeutung.

Würde man ihn mit den Biologen des 19. Jahrhunderts vergleichen, würde er ohne Zweifel einen Spitzenplatz in der Wissenschaft einnehmen. Denn Schellberg hatte völlig neue Entschlüsselungstechniken entwickelt und angewandt, um hinter die Geheimnisse der Gene zu kommen. Er wollte es ganz genau wissen, welche Bedeutung die Bausteine der Zellen im Einzelnen besitzen.

Sein Spezialgebiet lag im Bereich der Molekularbiologie. Hier sah Schellberg die allergrößten Möglichkeiten. Moralische oder ethische Bedenken interessierten ihn nicht. Für ihn zählte nur die Machbarkeit. Das Wissen um die Konstruktion der Lebewesen hatte ihn schon früh fasziniert. Die in den letzten Jahren immer weiter fortschreitende Entschlüsselung von Gensequenzen der höher entwickelten Säugetiere und auch des Menschen lockte ihn. Sie trieb ihn voran. Er forschte um etwas zu entdecken. Aber nicht nur die reine Entdeckerfreude drängte ihn, nein auch das Gefühl Geheimnissen auf der Spur zu sein.

Die Geheimnisse des Lebens. Gepackt in DNA Stränge. Er konnte es gar nicht abwarten, in diese Strukturen wissentlich einzugreifen.

Den ihm unendlich erscheinenden Möglichkeiten etwas zu verändern, war er in seiner Forschungsarbeit schon sehr nahe gekommen. Insgeheim erhoffte er sich für seine Arbeiten, um seine wissenschaftliche Laufbahn einmal zu krönen, den Nobelpreis.

Denn niemand zuvor, außer ihm, hatte weite Teile des menschlichen Genoms so katalogisiert, so detailliert zugeordnet, wie das kleine erlesene Team um Dr. Schellberg.

Da er als besonderes Talent galt, wurde er von der Universität zusätzlich mit der Vertretung bei besonderen Kongressen betraut. Sein Dekan Professor Welger beauftragte ihn deshalb, auf einem ausgewählten speziellen Kongress die Universität zu vertreten.

Als Schellberg aus dem Flughafengebäude in die brütende Hitze Kaliforniens trat, wäre er am liebsten wieder umgedreht. Die Sonne stand bereits tief und trotzdem war es immer noch heiss und stickig. Johann war schon oft in Amerika, aber noch nie in Kalifornien.

San Francisco hatte er sich anders vorgestellt. Er hatte eine frische Brise vom Meer erwartet und nicht diese abgestandene Großstadtluft.

Er schleppte seinen riesigen Trolli zu einem der Abfahrtspunkte der Airportshuttles. Die blauen Kleinbusse wurden in der Regel mit Menschen und Gepäck vollgestopft. Ein ständig mit mehreren Handys telefonierender Fahrer, kutschierte die Passagiere unermüdlich zu ihren Hotels. Das war praktisch, bezahlbar, aber nicht besonders komfortabel. Der Sitz in seinem Shuttlebus war so durchgesessen, das Johann bei jeder Bodenwelle schmerzhaft mit den Stahlstreben Bekanntschaft schloss. Aber die Shuttles waren pünktlich und sehr zuverlässig.

Der Fahrer, ein Südamerikaner, der kaum verständliches Englisch sprach, setzte ihn vor seinem Hotel in der Down Town ab.

Das Delaware Hilton Palace. Johann Schellberg war überrascht. Für einen Wissenschaftskongress hatte man einen noblen Ort gewählt.

Die Universitäten in USA wurden traditionell von der privaten Industrie und Wirtschaft unterstützt. Sie konnten es sich leisten, etwas Besonderes zu bieten. Eine von diesen amerikanischen, renommierten Universitäten hatte zu diesem besonderen Kongress eingeladen.

Noch am selben Abend gab es einen kleinen Stehempfang, um den Teilnehmern Gelegenheit zu geben, sich kennen zu lernen. Die Organisatoren hatten weltweit die Eliten der jeweiligen Universitäten gesucht und eingeladen. Insgesamt tummelten sich aber nur weniger als Hundert Wissenschaftler in dem Kongresssaal. Es war eine bunte Gemeinde, die sich eingefunden hatte. Es waren Teilnehmer aus allen Fakultäten gekommen. Die Organisatoren wollten nicht nur einseitige Fachmeinungen diskutieren, sondern heikle Themen mit Juristen, Religionswissenschaftlern, Sozialwissenschaftlern, Ingenieuren, Philosophen, Kunstprofessoren, kurz mit der ganzen Bandbreite der Wissenschaft erörtern.

Das Thema über das konferiert werden sollte, wurde als äußerst heikel und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, bezeichnet. Um strenge Diskretion hatte man bereits bei der Einladung gebeten. Es ging, soviel hatte sich bereits herumgesprochen, um die Zukunft und um dementsprechend viel Geld.

Die Gerüchte kursierten, dass es sich um hohe Summen von Forschungsgeldern handelte, die bei dem Kongress ausgelobt werden sollten. Vor allem deshalb hatten viele Universitäten ihre besten Leute geschickt.

Professor Dr. Nicolas Messco, war der Leiter dieses doch recht ungewöhnlichen Kongresses. Messco stammte aus den USA, er war ein Stipendiat der Universität Harvard. Dr. Messco, 59 Jahre alt, eine gedrungene kräftige Gestalt, mit blauen, hellen, wachen Augen und einer Vollglatze. Er lehrte an der renommierten Universität von Harvard.

Das Stimmengewirr der Anwesenden wurde von den dicken Teppichböden in dem Raum stark gedämpft. Niemand bemerkte wie Messco das Rednerpult betrat. Als er unvermittelt in das Mikrofon sprach, war seine Stimme so laut und von überall her zu hören, dass die Gespräche augenblicklich verstummten. Die Gesprächsgruppen lösten sich rasch auf und diszipliniert nahmen alle ihre Plätze ein. Einige griffen zu den Kopfhörern, obwohl die internationale Sprache der Wissenschaft Englisch war und jeder der Teilnehmer diese Sprache fließend beherrschte. Messco wartete noch einige Momente bis nur noch vereinzeltes Hüsteln zu hören war, bevor er mit seiner Ansprache begann.

„Hallo, zusammen, es freut mich sie alle hier zu sehen. Ich hoffe sie hatten einen guten Flug und geniessen das schöne Wetter hier in Kalifornien. Mein Name ist Nicholas Messco von der Universität Harvard. Ich darf sie durch den Kongress begleiten und wünsche uns im Namen der Organisatoren viel Erfolg dabei.

Das Thema unserer Zusammenkunft wird vielen von ihnen nicht viel zu sagen haben. Es wurde ein sehr simpler Begriff gewählt:

,Terra‘

Das ist unser Motto. Es ist eine Kurzbezeichnung unseres Auftrages. Diesen Forschungsauftrag haben die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, viele westliche Länder, aber auch eine hohe Zahl an Staaten die nicht näher genannt werden wollen, ins Leben gerufen und mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet. Ein Teil der Mittel wurde auch aus der privaten Wirtschaft generiert. Unser Schirmherr und weiterer Geldgeber ist die UNO und die WHO.

Um was geht es konkret?

Die Welt, die Weltbevölkerung, wir alle, stecken in einem Dilemma. Dies haben nicht nur einige Regierungen schon lange erkannt, auch in unseren Kreisen ist diese Problematik hinreichend bekannt. Wie sollen wir unsere Probleme in Zukunft lösen? Wie werden wir der wachsenden Weltbevölkerung her? Welche Maßnahmen müssen wir ergreifen um unsere Ressourcen vor der gnadenlosen und restlosen Ausbeutung zu schützen? Wie schaffen wir es, dass in 20 bis 30 Jahren 15 oder gar 20 Milliarden Menschen in Wohlstand leben können und ausreichend ernährt werden können?

Diese und viele andere Fragen gilt es nun zu klären. Die UNO und unsere Auftraggeber, eine sehr große Anzahl von Staaten, erwartet von uns Antworten. Die Leute von der WHO machen sich große Sorgen, wie die Nahrungsmittelversorgung in einigen Jahrzehnten bewerkstelligt werden soll. Sie alle erwarten ein zukunftsfähiges Konzept. Einen gangbaren Weg, den die Welt beschreiten muss.

Wir werden, nachdem wir mit den Wortmeldungen durch sind, Arbeitsgruppen bilden. Ich möchte sie bitten, sich hierzu schon mal Gedanken zu machen. Es ist ferner angedacht, die Arbeitsgruppen im dreimonatigen Rhythmus zusammenkommen zu lassen, um die Ergebnisse zu analysieren und auszuwerten.

Ich darf sie noch darauf hinweisen, dass unser Projekt der allerstrengsten Geheimhaltung unterliegt. Das liegt daran, dass keine halbfertigen und unausgegorenen Konzepte oder Ideen an die Öffentlichkeit, namentlich unsere Freunde von der Presse gelangen. Eine strikte Geheimhaltung sichert uns allen ein weitgehend ungestörtes Arbeiten ohne Einflussnahme von Außen.

Ich möchte ihnen viel Spass bei unserem Kongress wünschen und bitte um zahlreiche Wortmeldungen.

Vielen Dank.“

Unter Applaus verliess er die Bühne, winkte ins Publikum und setzte sich in die erste Reihe auf einen freien Platz.

Es bedarf noch ein paar Aufforderungen von Dr. Messco, bis sich zögerlich die Ersten aufs Podium wagten. Es folgte ein Reigen an Rednern aus der ganzen Welt. Die Kommentare und kurzen Ansprachen waren größtenteils positiver Natur. Einige sahen sich aufgefordert die Federführung der USA zu kritisieren. Andere sahen wenige Möglichkeiten in den globalen Kreislauf einzugreifen, weil Weltwirtschaft und Weltbevölkerung einer nicht steuerbaren Dynamik unterlagen.

Dr. Schellberg hatte sich nicht zu Wort gemeldet. Er fühlte sich ein wenig fehl am Platz. Er hatte keine Lust, sich um das Wohl und Weh des Planeten Erde und seiner Bewohner zu kümmern. So recht wusste er nicht, warum ihn seine Universität, namentlich Robert Welger, hierher geschickt hatte.

Am späten Abend formierten sich trotz des verhaltenen Beginns, erste Arbeitsgruppen. Dr. Messco und seine Leute waren unablässig unterwegs, um die anwesenden Wissenschaftler einzustimmen und ihnen Details zu erläutern. Dr. Schellberg kannte einige Teilnehmer flüchtig von anderen Kongressen. Aber die meisten sah er zum ersten Mal in seinem Leben.

Messco trat zu ihnen, begrüßte jeden einzelnen mit Handschlag und bat sie zu einer kurzen Unterredung.

„Nun, liebe Kollegen, es geht uns hier nicht um den Stein der Weisen zu finden. Man betrachtet uns als Elite. Als die Besten der Besten. Wir sind hier eine illustre Gesellschaft, aber eine die für sehr viel Potenzial steht. Die Politiker sind der Meinung, dass nur durch die Konzentration von soviel Wissen, Intelligenz und Kreativität, wie wir sie hier im Saal versammelt sehen, gangbare Lösungsvorschläge erzielen lassen.

Die Zukunftsprobleme der nächsten Generationen alleine der Macht der Wirtschaft zu überlassen, halten inzwischen viele für gescheitert. Zu einseitig die Ausrichtung.

Sie sehen hier nicht nur Kapazitäten aus ihren einzelnen Fachgebieten. Nein, wir haben auch sehr viele kreative Köpfe eingeladen, sich zu beteiligen. Darf ich fragen, in welchen Bereichen ihre Tätigkeiten liegen?“

Schellberg antwortete als Erster:

„Schellberg, Molekularbiologie und Bioinformatik, Genforschung. Universität Würzburg, Germany.“

Zu seinem Erstaunen kannte ihn Messco. Das hatte er so nicht erwartet.

„Johann Baptist Schellberg. Sie sind also der geniale deutsche Biologe. Das ist sehr schön sie hier zu sehen. Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Ich habe sie schon gesucht. Sie sollten ein Team leiten. Freut mich sehr sie hier zu haben.“

„Vielen Dank. Ganz meinerseits, Dr. Messco.“

Schellberg lächelte etwas unsicher. Woher kannte Messco ihn?

Es wurde spät in der Nacht, als die Arbeitsgruppen endlich gebildet waren.

Schellberg wurde zum Leiter einer Gruppe von sieben Biologen bestimmt. Sie waren allesamt ein gutes Stück älter als er selbst. Trotzdem war die Anerkennung, der Respekt voreinander groß. Sie akzeptierten ihn einstimmig als ihren Teamchef. Insgeheim hatte Schellberg das Gefühl, seine Gruppenmitglieder waren ganz froh, dass sich jemand gefunden hatte, der diesen Job ausführte.

Am nächsten Tag wurde das weitere Prozedere besprochen. Messco wollte die Leiter der insgesamt zwölf Teams aus den verschiedenen Fachrichtungen nach Möglichkeit alle drei Monate zusammenkommen lassen, um die Fortschritte zu diskutieren. Bei diesen Meetings sollten dann die Erkenntnisse und Entwürfe aufeinander abgestimmt und die weitere Vorgehensweise der Forschungsarbeit besprochen werden.

Das Projekt, Terra‘ war auf eine Zeitdauer von vierundzwanzig Monaten ausgelegt. Messco schwor alle Teilnehmer nochmals darauf ein, in alle Richtungen zu denken. Die Forscher sollten sich auch nicht durch eventuelle Tabus oder moralische Bedenken ablenken lassen. Es ginge vordergründig um Studien. Tatsächliche Verwirklichungen ihrer Forschungsarbeiten seien natürlich von den einzelnen Staaten und ihren Regierungen abhängig. Dieses Ziel sei noch sehr weit weg.

Schellberg, der hagere junge Deutsche mit dem beginnenden schütteren hellbraunen Haaren, der so gar nicht aussah, wie ein renommierter Wissenschaftler, hatte nach wie vor keine Lust an diesem, seiner Meinung nach bescheuerten Projekt mit zu arbeiten. Andererseits war die Arbeit mit erheblichen finanziellen Mitteln ausgestattet. Mit soviel Geld konnte man wirklich intensive Forschungsarbeit betreiben. Die ewige Suche nach Sponsoren, und Drittmitteln, die Bettelei bei der Universität hätte für die nächsten zwei Jahre ein Ende. Man musste ganz pragmatisch abwägen. So flog er mit üppigen Mitteln ausgestattet wieder nach Deutschland zurück.

Eine Idee, was das ganze für Ergebnisse bringen soll, kam ihm nicht in den Sinn. Seine sieben Gruppenmitglieder hatten ebenfalls keine Ahnung welche Vorschläge sie machen sollten. Schellberg wunderte sich, denn auch die Biologen waren ein bunt zusammen gewürfelter Haufen. Es waren ausschließlich Spezialisten aus den verschiedensten Fachbereichen. Er war der Einzige der sich mit Molekularbiologie und Informatik beschäftigte. Es war natürlich nicht so, dass die anderen keine Ahnung von dieser Materie hatten. Aber Gensequenzen zu entschlüsseln war nicht jedermanns Sache. Manche der Biologen waren sogar der Meinung, die reine Erforschung der Gene hätte mit Biologie wenig zu tun. Da irrten sie sich aber gewaltig. So die Einstellung von Schellberg.

Zuhause erstattete Johann seinem Dekan Professor Welger Bericht über den merkwürdigen Kongress. Er informierte in umfassend über die Ergebnisse des Kongresses und die Höhe der zu erwartenden Finanzmittel. Der Dekan Professor Robert Welger war begeistert. Er lobte seinen Schützling und sagte ihm jede Unterstützung zu. Johann Baptist Schellberg war zufrieden. Welger zeigte sich ansonsten unbeeindruckt. Er riet Schellberg keine Nachdenklichkeit zu zeigen und sich um seine Forschung zu kümmern. Johann hatte den Eindruck, dem Dekan ginge es nur um die finanziellen Mittel. Er ermutigte ihn, etwaige Fortschritte seiner Entschlüsselungen bei dem Projekt einzubringen. Schellberg irritierten die eindeutigen wirtschaftlichen Interessen von Professor Welger. Er hatte ihn als Mann der Universität eingestuft. Aber Johann kümmerte sich nach ein paar Tagen nicht weiter um die Aussagen von Welger.

Er beauftragte einen der Universitätsmitarbeiter mit der Organisation und Verwaltung der Forschungsgelder. Johann stellte noch zwei Leute ein und beschaffte sich Analysegeräte mit dem Geld aus dem Topf von ,Terra‘.

Er informierte sein Würzburger Team vorerst nicht über seine leitende Tätigkeit bei dem Projekt Terra. Um die Führung seiner internationalen Gruppenmitglieder wollte Schellberg sich alleine kümmern. Er vertrat die Meinung, das Thema ginge seine Mitarbeiter bei der Universität nichts an.

Johann wollte seine Ruhe haben und sich intensiv mit seiner Forschung beschäftigen. Dass er mit dieser Meinung nicht alleine war, hatten die anderen Mitglieder der Biologengruppe bereits in Amerika erkennen lassen.

Drei Monate sind eine sehr kurze Zeitspanne. Die Einladung und das Ticket für das erste der dreimonatigen Treffen lagen schon auf dem Schreibtisch von Schellberg. Er hatte seine Gruppe total vergessen in den letzten Wochen. Rasch bat er alle um die Mails mit ihren Ergebnissen. Wie nicht anders zu erwarten, hatten die anderen auch nichts Brauchbares zu bieten. Man stand zwar im losen Email-Kontakt aber keiner der Biologen seines Teams, beschäftigte sich ernsthaft mit einem Plan zur Rettung der Menschheit. Dazu waren die anderen ungeklärten Probleme viel zu real um sich mit absurden Theorien zu beschäftigen. Natürlich verwendeten alle die angebotenen Gelder. Geld stinkt bekanntlich nicht, und wo es herkam hinterfragte keiner der Beteiligten.

So vergingen die folgenden Treffen ohne greifbare Erfolge. Die Lösungsvorschläge, die während der Meetings präsentiert wurden, beinhalteten allesamt nichts sonderlich Neues. Mal wollte einer die restlichen großen Waldgebiete und Regenwälder für den Menschen sperren. Andere hatten die Idee, jeder Haushalt sollte seinen eigenen Strom erzeugen, mittels Solarmodulen, kleinen Blockkraftwerken und Windrädern. Damit würde die Infrastruktur entlastet und zum großen Teil überflüssig werden. Der Nahrungsmittelanbau und die Nahrungsmittelverwertung sollten weltweit koordiniert werden und jedem Erdenbürger eine stabile Grundernährung garantieren, beinhaltete das Konzept einer Gruppe von Lebensmitteltechnikern und Agrarspezialisten. Im Grunde genommen alles Ideen und Konzepte die schon lange bekannt waren und nur neu eingepackt wurden. Den anderen Forschern ging es vermutlich wie Schellberg. Sie kassierten die üppigen Gelder und kümmerten sich um ihre eigenen Arbeitsgebiete.

Messco und seine Leute von der UNO und der US-Regierung waren einigermaßen enttäuscht, nichts wirklich Brauchbares vorweisen zu können.

Auch die folgenden Monate vergingen wie im Flug. Drei Treffen standen nur noch bevor. Dann endete der Auftrag und auch der Fluss der Gelder würde damit versiegen. Irgendwie musste man sich doch etwas einfallen lassen um Anschlussfinanzierungen zu ergattern.

Professor Welger bat ihn vor dem anstehenden Meeting noch ein Mal zu sich.

„Einen schönen guten Tag Dr. Schellberg. Wie fühlen Sie sich? Gibt es etwas Neues für das Projekt ,Terra‘? Kürzlich sprach ich mit meinem alten Freund Nick Messco. Wir haben auch über Sie gesprochen. Er ist schwer beeindruckt von Ihnen und Ihren Leistungen. Er erhofft sich viel von Ihnen. Möchten Sie einen Kaffee oder einen Cognac mit mir trinken?“

Johann spürte, dass Welger etwas von ihm wollte. Aber Johann war gut erzogen und wusste mit der offensichtlichen Anheimelei sehr gut umzugehen. Artig lehnte er den Cognac ab und entschied sich für den Kaffee. So sassen sie gemütlich bei einer Tasse guten Kaffees zusammen und Welger redete und redete.

„Wissen Sie, ich halte sehr große Stücke auf Sie. Ich möchte sagen, Sie sind mir und den anderen Professoren schon lange ebenbürtig. Ich erwarte in Bälde Ihre Arbeiten zur Habilitation. Ja, und ich möchte Ihnen auch sagen, ich würde mich freuen wenn wir uns Duzen könnten. Ich heisse Robert.“

Welger hielt ihm die Hand hin. Johann stand auf und nickte mit dem Kopf.

„Das nehme ich gerne an, ähh Robert. Johann. Johann Baptist.“

„Johann Baptist. Bestehst Du auf den vollen Namen? Muss ich aber nicht immer im Ganzen aussprechen, oder?“

Robert lachte und liess seine Hand gar nicht mehr los.

„Nein, nein, Johann genügt schon.“

Ein schöner Nachmittag. Johann wusste immer noch nicht so recht, was Robert mit dem angebotenen ,Du‘ und dem Gespräch eigentlich von ihm wollte. So ein wenig redete Robert um den heissen Brei herum. Natürlich wollte Johann die Professur machen. Er war bereits voll dabei. Insgeheim hoffte er natürlich als ordentlicher Professor bei der Uni angestellt zu werden. Er wollte keinesfalls als Privatdozent arbeiten.

Am nächsten Morgen fuhr Johann mit dem Zug nach Frankfurt. Er war schon oft in Frankfurt. Doch Johann war kein Freund von lärmenden Großstädten. Er fand die Hochhäuser würden nicht zu dieser altehrwürdigen Stadt passen. Deshalb zog er es vor direkt zum Flughafen zu fahren um dort die Zeit bis zum Abflug zu verbringen. Mit dem Laptop auf dem Schoss versuchte er zu arbeiten. Fast hätte er dann noch den Flug verpasst, so versunken war er in seine Arbeit.

Im Flugzeug räkelte sich Schellberg, müde, ausgelaugt in seinem Sitz und versuchte zu schlafen. Er flog in der Touristenklasse. Sicher er hätte auch Business nehmen können. Doch sein Hang zur Sparsamkeit hemmte ihn, diese teure Variante zu wählen.

„Das muss nun wirklich nicht sein“, sagte er zu sich selber.

Im Flugzeug war es wieder mal sehr eng und laut. Die Fluggesellschaften quetschten soviel Leute wie nur irgend möglich in ihre Flugzeuge. Ob man sich dabei die Glieder verrenkte war denen kein besonderes Anliegen. An Schlaf war jedenfalls in dieser Stellung nicht zu denken. Vor und hinter ihm, hatten groß gewachsene Passagiere ihre Sitze so verstellt, dass Schellberg sich richtig eingequetscht vorkam. Es war wirklich so unbequem, wie lange nicht. Trotzdem übermannte ihn nach ein paar Stunden der Schlaf.

Dabei begann er zu träumen. Johann Schellberg träumte insgesamt sehr wenig. Wenn überhaupt dann meist von Aminosäuren, DNA-Strängen und Algorithmen. Lauter abstrakte Dinge eben. Aber in diesem Traum stellte er sich kurzerhand vor, sehr viel kleiner zu sein und somit bedeutend mehr Platz zu haben. So klein wie ein Kind.

Ahh, sich so richtig ausstrecken zu können. Es war ein angenehmer, ein schöner Traum.

Aber jeder noch so schöne Traum ist einmal zu Ende und Schellbergs Traum endete mit einem kräftigen Stoss seines Hintermannes gegen die Rückenlehne.

So unsanft geweckt, wachte auf und verspürte Kreuzschmerzen. Er wollte sich umdrehen und sich beschweren, doch er war so eingezwängt, dass er sich nicht einmal umdrehen konnte. Zudem waren ihm die Füße eingeschlafen. Er überlegte kurz, erinnerte sich an seinen Traum und da hatte er diese Idee. Plötzlich war sie da. Wie ein Geistesblitz war sie über ihn gekommen. Er musste lachen. So komisch war seine Idee. Wäre sie machbar? Ja nicht sofort, aber theoretisch...Das Wissen über das Leben, über die Natur und ihre Konstruktion wurde immer mehr. Doch es gab bestimmt einen Weg. Ungewöhnlich, vielleicht. Aber warum nicht ungewöhnliche Wege gehen?

Immerhin, Johann wusste unglaublich viel über den Bereich Größenwachstum und wie es gesteuert wurde.

Diese verrückte Idee, aus einem Traum und der Enge geboren, ließ ihn nicht mehr los. So lächerlich und blöd sie ihm in den ersten Momenten auch vorkam.

Er nahm sich vor, zu Hause ein paar Versuche zu unternehmen. Vor seinem geistigen Auge hatte er bereits ein Gebilde von DNA Strängen vor sich. Er stellte sich vor wie er verschiedene mRNA codieren sollte. Kurz, sein wissenschaftlicher Verstand begann trotz der Unruhe im Flugzeug auf Hochtouren zu arbeiten.

Das Treffen in Kalifornien verlief wie zu erwarten genauso Ergebnis- und ereignislos wie alle anderen zuvor. Johann hatte nichts von seiner Idee erzählt. Zuerst musste er die schiere Möglichkeit austesten und sich dann an eine Präsentation machen.

Endlich wieder Zuhause und gestresst von Flug und Zugfahrt fuhr er mit dem Taxi sofort in sein Labor. Er ignorierte die Müdigkeit. Plötzlich war er besessen von der Idee. Von seiner Idee. Der Idee den Menschen zu verkleinern. Das war es. Das war die Lösung. Und er war immer mehr davon überzeugt, dass sie machbar wäre. Wie viele Wachstumsgene würde es wohl beim Menschen geben? Soweit ihm bekannt, hatten sie bisher ungefähr Hundert Gensequenzen entziffert, die für das Größenwachstum des Menschen verantwortlich sind. Zumindest waren nur diese Abfolgen bisher entschlüsselt. Es musste noch mehr geben. Unter Umständen sehr viel mehr.

Schellberg musste einen umfassend neuen Menschen konstruieren. Das war es. Das war seine Aufgabe. Das fesselte ihn. Er machte sich mit Hochdruck daran seine Rahmenbedingungen festzulegen, wie er sich die Forschungsarbeit vorstellte.

Einige Tage später, Schellberg hatte nicht viel geschlafen seit seiner Rückkehr, war sein Arbeitskonzept bereits fertig. Nun ging es daran die Aufgaben an seine Leute zu verteilen. Sie sollten ihm zuarbeiten ohne genau zu wissen was er vorhatte. Er kontaktierte seine Gruppenmitglieder in den verschieden Ländern und bat sie um die Ausarbeitung von Daten und Informationen, die sich auf die biologischen Auswirkungen von gentechnisch veränderten Lebewesen bezogen.

Könnte man noch die selben Nahrungsmittel zu sich nehmen, wenn sich das Größenwachstum veränderte? Würde der kleinere Mensch tatsächlich die Nahrung vertragen? Wie verhielt er sich zu Pflanzen und anderen Tieren? Würden manche Krankheiten etwa ungefährlich werden? Bakterien, Pilze und Viren, blieben ihre Angriffsstrategien dieselben, oder musste man sich auf eine Verschlechterung einstellen?

Gab es dadurch neue Gefahren? Etwa durch Umweltgifte oder ähnlichem?

Wie würde es mit der Leistungsfähigkeit stehen?

Die Experten die ihm zugeteilt waren, erwiesen sich als genau die Richtigen. Denn es gab viel zu tun. Keinesfalls wollte Dr. Schellberg aber seine Kollegen mit seiner Idee konfrontieren, bevor er nicht ausreichend Basisinformationen gesammelt hatte.

Aber war es ungerecht seiner Gruppe gegenüber, sie nicht umfassend zu unterrichten, was er im Sinn hatte?

Nein, das war es nicht, beantwortete er sich die Frage gleich selber. Beim nächsten Treffen, wenn sich die Idee besser untermauern lässt, würde noch genug Zeit sein, sich mit der Gruppe zu besprechen.

Wieder trafen sie sich in dem selben Hotel. Wie die letzten Male auch, nicht in dem riesigen Kongresssaal, sondern in einem kleineren gemütlichen Raum, der von einem großen glänzenden Tisch dominiert wurde. Die Stimmung war bedrückt. Es war schon bei den Vorgesprächen auf den Gängen zu spüren, dass niemand weitergekommen war.

Schellberg hielt sich zurück und sagte gar nichts. Aber hatte seine Biologen gebeten sich mit ihm vorab zu besprechen. Er erörterte mit ihnen die zusammengetragenen Daten. Er bat sie um Zurückhaltung als er ihnen den wahren Grund für ihre Expertenmeinungen erklärte.

Genetisch veränderte Menschen, da verzogen fast alle das Gesicht. Allen war leidlich bewusst, welche Widerstände es in Teilen der Bevölkerung und bei Umwelt- und Naturschützern gab. Die Menschen hatten schlichtweg Angst. Doch Johann liess sich nicht verunsichern. Mit trockener Stimme erklärte er ihnen was er später den anderen Teilnehmern präsentieren wollte. Ungläubiges Staunen und Heiterkeit war die Folge.

Schellberg hatte nichts anderes erwartet. Er bat um Ruhe und beschwor die Gruppe bis zum Auftritt von Johann, Stillschweigen zu bewahren.

Professor Messco begrüßte alle und forderte die Teilnehmer umgehend auf, ihre Ergebnisse zu präsentieren. Ein Beamer warf ein scharfes Bild auf ein Leinwand in der Ecke.

Nachdem sieben Vorgänger ihre dürftigen verworrenen oder langweiligen Konzepte vorgestellt hatten, war die Stimmung bei den Teilnehmern so weit gesunken, dass fast jeder bereits an die Abreise dachte. Nur Schellberg nicht. Einzig seine Biologengruppe war in einer nahezu ausgelassenen Stimmung. Sie waren alle gespannt auf die Reaktion im Saal, wenn Johann seine Idee allen Ernstes vorstellte.

Vier Leiter der Teams hatten übrigens nichts vorzuweisen. Man merkte es Dr. Messco an. Er verlor zunehmend seine Lockerheit. Aus seiner Stimme klang Verärgerung und Enttäuschung.

Endlich stand Dr. Schellberg auf.

„Hallo zusammen, Dr. Messco.“

Er nickte Messco freundlich zu und drehte sich zu allen einmal herum.

„Mein Name ist Johann Baptist Schellberg, aus Germany, von der Universität Würzburg. Ich beschäftige mich fast ausschließlich mit der Erforschung von Erbgut. Vorzugsweise des Menschen. Mein Team besteht aus Biologen, Molekularbiologen und Bioinformatikern.“

Er wartete und sah in die Runde. Johann klappte seinen Laptop auf und bat jemanden das Kabel an den Beamer an zu stöpseln. Das Bild auf der Leinwand zeigte die Erde aus dem Weltall.

„Die Zukunft der Menschheit sollen wir sichern. So lautete der Forschungsauftrag. Der Begriff ,Terra‘, unser Motiv, unser Symbol. Unser aller Fortbestand muss auf der Erde gewährleistet werden. Auf einem immer kleiner und enger werdenden Planeten. Wie sie auf dem Bild sehen und logischer Weise auch wissen, besteht der Großteil der Erde aus Wasser. Die Landflächen sind vergleichsweise klein. Das Bild wechselte und zeigte die Kontinente. Von diesen Landflächen ist aber nur ein kleiner Teil bewohnbar und nutzbar. Die anderen Flächen sind zu heiss oder zu kalt. Oder für unsere Ansprüche zu unwirtlich. In der Natur und mit der steigenden Weltbevölkerung, sowie ihres wachsenden Wohlstandes, wird es auf den zu besiedelnden Flächen immer enger. Was also tun? Tatenlos zusehen, wie wir in immer enger werdenden Siedlungen fast aufeinander sitzen und uns gegenseitig das Leben schwer machen?“