Wellenwasser - Reinhard Kessler - E-Book

Wellenwasser E-Book

Reinhard Keßler

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Beschreibung

Der schweizer Kommissar Jelato will mit seiner Frau eigentlich nur Urlaub auf der Insel Poel machen und befindet sich urplötzlich mitten in den Ermittlungen zu einem Mord im Milieu von Raubkunst und Kunstraub. »Wellenwasser ist nicht einfach ein Krimi, es ist auch ein politisches Buch und wegen der thematisierten Cap-Arcona–Katastrophe sogar ein Stück Vergangenheitsbewältigung. Das Wort Schiffskatastrophe ist zwar üblich, aber irgendwie in furchtbarer Weise unzutreffend.« Es ist kein Widerspruch zur Ernsthaftigkeit des Themas, dass der Humor nicht zu kurz kommt.

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Zum Autor

Reinhard Kessler, 1953 geboren in Gera in der DDR, kam als Kind 1960 von den heute sogenannten neuen Bundesländern in die heute sogenannten gebrauchten Bundesländer ins Saarland, erfüllte dort die gesetzliche Impfpflicht und Schulpflicht, arbeitete in einem Kinderheim der Arbeiterwohlfahrt in Bexbach, studierte in Saarbrücken Chemie und setzte sich 1984 mit seiner Familie in die Schweiz ab. Nach 26 Jahren in chemischer Gefangenschaft wagte man das Experiment und hat ihn ausgewildert.

Er wohnt heute in einem kleinen Dorf auf der Hochebene des schweizer Tafeljura und geniesst die neu gewonnene Freiheit. Wer ihn treffen will, muss Bergschuhe anziehen und diverse Berghütten abklappern, die Wälder durchstreifen oder einige Wochen im Jahr auf einer kleinen und zum Glück noch nicht so bekannten Ostsee-Insel verbringen.

Reinhard Kessler

Wellenwasser

Deutsch-Schweizer Krimi

Engelsdorfer Verlag

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor

ISBN 9783957444837

Umschlagfoto: Wellenwasser vor der Insel Poel, Foto Erka 2009 (das Floss ist wahrscheinlich ein zurückgelassenes Bauwerk einer Jugend-Feriengruppe) Foto Rückseite: Cap Arcona Denkmal auf Poel, Foto Erka 2013

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Reif für die Insel

Aufbruch und Ankunft

Dunkle Gestalten und Gerome

Kogge

Tatort und erste Ermittlungen

Fewo und Mr. Hmm

Tag 1 nach dem Mord

Raubkunst und Cap Arcona

Neustadt, Bürgermeister und Fischebrötchen

Dr. Sjöberg

Fewo, Provenienzforschung und Spassbären

Tag 2 nach dem Mord

Nichts und Wasserkunst

Ermittlungen und Anglerglück

Fahndung und Falle

Tag 3 nach dem Mord

Kommissariat

Vorwort

Man kann nicht gleich mit der Leiche beginnen. Wir sind doch hier nicht beim Fernsehen. Da wird immer gleich die Leiche gefunden und die ermittelnden Teams mit klarer hierarchischer Struktur, also Chef/in plus Hilfskraft, sind mit ihrem teuren Premium-Auto – nur Colombo hatte ein Knitterauto, aber fatalerweise auch ein Knittergesicht und einen Knittermantel – schon am Tatort oder wenigstens nicht weit weg.

Wenn man gleich mit der Leiche anfängt, dann führt das nur zu solchen schein-schlauen Fragen wie etwa: wie kam denn die Leiche die Böschung rauf? Wie kam die Leiche hierher? Mit dem Bus? Lauter solche Sachen halt. In Schüleraufsätzen steht dann entsprechendes Gedankengut: die Leiche kletterte die Böschung rauf und verstarb dort. Das muss doch echt nicht sein.

Konsumenten von Fernsehkrimis sind da mittlerweile aber geprägt oder gar verwöhnt. Man erwartet im Krimi sofort was Spektakuläres – also mindestens eine Leiche – oder aber es bricht gähnende Langeweile aus. Der Vater geht dann Bier holen und die Mutter blättert in der Programmzeitung oder zappt durch – irgendwo muss es doch was Spannendes geben – Greueltaten, Monster, Massaker – irgendwo läuft bestimmt was. „Hauptsach, du hast a Action und a guete Woffn”, sagt der ehemalige Senator dazu.

So läuft das hier aber nicht. Hier ist noch keiner auch nur in der Nähe des Tatortes. Das braucht alles seine Zeit. Das ist jetzt Pech. Aber so ist das nun mal im richtigen Leben. Die Beteiligten müssen erst mal gelebt haben und anreisen. Dumm, aber notwendig. Danach kann überhaupt erst jemand dort umgebracht werden und dann beginnen die Ermittlungen. So geht das.

Wenn aber das Opfer noch nicht in der Nähe des Tatortes ist und auch einer der beiden Hauptermittler sich noch rund 1’000 km entfernt in der Schweiz aufhält, dort zuhause sitzt und seine Urlaubs-Reiseroute plant – „auf dieser Route fallen Mautgebühren an” – dann braucht es einfach Geduld.

Erst müssen sich die Beteiligten auf den Weg zur Insel Poel machen und dann noch was: wer kennt überhaupt den schweizer Kommissar Jelato und seinen schwarzen Freund, den Kommissar Gerome aus Wismar? Die beiden Freunde müssen sich zuerst mal nach langer Zeit wieder treffen und das ist doch nicht so einfach. Dafür braucht es einen Riesen-Zufall. Verabredet sind sie jedenfalls nicht.

Für Eilige und solche, denen die Kommissare schon bekannt sind: die Leiche gibt es im Unter-Kapitel „Tatort und erste Ermittlungen”. Sie können also die Anreise und das Wiedersehen überspringen und sind ohne schuldhafte Verzögerung praktisch noch vor den Ermittlern am Tatort.

Es bleibt Ihnen dann aber vieles verborgen, zum Beispiel die Lösung der Frage nach der optimalen Lochgrösse in Salzstreuern und warum der Meeres-Spiegel trotz Klimaerwärmung eigentlich fallen müsste.

Alle anderen Leser lernen unser Akteure einfach besser kennen – und verstehen. Denn manchmal ist das schon grenzwertig, wie sich die beiden Freunde zueinander verhalten. Ihr Umgang miteinander ist robust. Die unterschiedliche Hautfarbe spielt dabei eine tragende Rolle, aber eben, nur für Aussenstehende, eben für diejenigen, die mit der Leiche anfangen und nicht mit dem Leben. Denn die beiden verbindet vor allem eines – ein tiefes Verständnis und echte Freundschaft.

Nebenbei noch bemerkt: Interpunktion und Orthographie dieses Buches sind frei erfunden. Eine Übereinstimmung mit aktuellen oder ehemaligen Regeln der Rechtschreibung wäre rein zufällig und ist nicht beabsichtigt.

Sollten Sie Kommafehler entdecken, so dürfen Sie diese behalten. Falls ein Komma fehlt, dürfen Sie gerne hier eines entnehmen und einsetzen: ,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,, (Schere und Klebstoff verwenden).

Die konsequente Vermeidung des sogenannten scharfen S lehnt sich an die progressive schweizerische Schreibweise an, in der das scharfe S schon lange unerwünscht ist. Ab 1974 wurde das scharfe S systematisch verfolgt und galt dann endlich als ausgerottet. 2006 wurde es amtlich für tot erklärt. Zu Ehren der Schweiz wurde dies hier berücksichtigt.

Reif für die Insel

Aufbruch und Ankunft

Wir sehen sie beim Packen. Was wird denn gepackt? Ja sicher nicht die berühmten Siebensachen. Nicht bei seiner Frau. Das kannst du vergessen. Von wegen sieben! Da muss viel mehr mit und noch mehr, und dann noch dies und beinahe hätte sie doch tatsächlich das vergessen …  Was da alles mit muss – Wahnsinn! Dabei wollen sie doch gar nicht so lange bleiben, denn schliesslich geht es nur in die Ferien und nicht auf eine 6-monatige Expedition in unbewohntes Gebiet.

Darauf haben sie sich schon lange gefreut. Diese Freude lassen sie sich auch durch das mühsame Kofferpacken nicht vermiesen. Im Gegenteil, diese Vorferienmühe steigert noch die Vorfreude auf die Ferien. So eine Art Appetizer. Ferien ohne diese mühsame Prozedur wären nicht komplett, es würde was fehlen, der Übergang zur Freizeit würde viel zu rasch erfolgen. Das wäre ja so, als käme beim 5-Gänge-Menü direkt der Hauptgang.

Sie, das sind unser Kommissar Jelato, der Secondo mit schweizer Pass, also ausweismässig Stufe CH, aber deutscher Doppelbürger, und seine Frau. Beide nicht weiter verhaltensauffällig, günstige Sozialprognose, gesichertes Einkommen. Sie stammen nicht aus bildungsfernen Schichten und sind einigermassen integriert. Sie produzieren auch nicht zuviel CO2. Der Sauerstoffverbrauch ist im tolerierbaren Rahmen, sie sind also keine Luftwegschnapper, und ihren Alkoholkonsum kann man als gerade noch sozialverträglich bezeichnen. Ausserdem sortieren sie fleissig ihren Müll und entsorgen so korrekt wie möglich. Ganz wichtig: sie zahlen pünktlich ihre Steuern. In der Schweiz muss man die tatsächlich selber bezahlen. Die werden nicht automatisch vom Lohn einbehalten. Das heisst aber auch, dass man das Geld real in der Hand hat und dann wieder hergeben muss – das tut natürlich richtig weh.

Sie sind beide Nichtraucher und Freunde des Grillens im Freien. Wenn man sie nicht reden hört, könnte man meinen, es wären ‘native’ Schweizer. Ach so, der Rasen wird auch oft genug gemäht, das hätte ich beinahe vergessen. Würde er jetzt noch im Turnverein mitmachen und bei den Feldschützen und im Kirchenchor mitsingen, dann könnte man es perfekt nennen. Daran muss er noch arbeiten.

Urlaub gehört auch zu den weit verbreiteten Verhaltensweisen dieser Spezies und der kleine Deutsche in ihnen ist natürlich nicht tot, sondern für Urlaub mit dem Auto, wir wollen kein Klischee auslassen. Der Deutsche fährt Auto. Punkt. Und zwar gerne. Und zwar gerne schnell. Heiligs Blechle. Das ist einfach so.

Damit keine Mahnung ins Haus flattert, werden vor dem Urlaub noch ganz ordentlich alle Rechnungen bezahlt, die Steuern hätten aber noch Zeit bis September – soweit alles ganz normal, auch das ritualhafte Blumengiessen vor der Abfahrt – „die Yuccas brauchen noch was” – und natürlich das Wasser an der Waschmaschine abdrehen.

Vorfreude pur. Strassenkarten studieren. Den Weg auf Einstellung Maps nochmal googeln. Koffer packen. Eben, da war doch was: Koffer packen.

„Frau, hast du ein Problem?”

„Ja. Ich weiss nicht, was ich alles mitnehmen soll. Man müsste wissen, wie das Wetter wird.”

„Pack doch einfach ganz normal – und dann nimmst du die Hälfte wieder raus.”

„Witzig. Das hilft mir jetzt auch nicht weiter!”

„Dann weiss ich nur noch einen Rat. Wir machen in Zukunft nur noch Ferien am Polarkreis. Da ist ganz klar, was du einpacken musst, nämlich nur warme Sachen. Das ist dann viel einfacher.”

„Lass mich doch. Wir fahren doch mit dem Auto und müssen es nicht tragen. Da nehm ich gerne etwas zuviel mit. Nachher ärgere ich mich nur, dass ich was zuhause gelassen habe, was ich dort gut gebrauchen könnte.”

„Schon recht. Aber ein Tipp: nimm nichts mit, was gelb ist. Da kommen nur wieder haufenweise diese kleinen schwarzen Fliegen oder Käferchen.”

„Habe ich schon berücksichtigt.”

Das Auto beladen.

Euronen in die Geldbörse, Franken raus.

Grenzübertrittsdokumente parat legen. Die heissen so, obwohl man die Grenze heutzutage kaum noch übertritt, sondern viel öfter überfährt. Da wäre mal eine Anpassung der Regeln und Schilder fällig.

Schlussendlich gehen sie nochmals die Checkliste für ihr organisatorisches Kleinprojekt durch:

„Visum, Einreise- und Aufenthaltsbewilligungen?”

„Brauchen wir nicht. Schengen sei Dank. Vielleicht in ein paar Jahren wieder. Man weiss ja nie, was noch für Abstimmungen kommen.”

„Identitätskarte noch gültig?”

„Ohje, jetzt wird es spannend!”

„Nee, hab ich vor 2 Monaten schon gecheckt. Jetzt wäre es sowieso zu spät.”

„So ein Glück.”

Es folgen der Reihe nach alle möglichen und unmöglichen Sachen, alles wird der Reihe nach abgehakt. Es geht zu wie im Cockpit einer grossen Maschine: der pnf -pilot not flying-liest vor, der pf -pilot flying- arbeitet ab:

„Auslandskrankenversicherung” – „Okay”

„Zeitung” – „Abbestellt”

„Post” – „Umgeleitet”

„Steckdosenadapter” – „Erledigt”

„Stopp! Hast du wirklich den Steckdosenadapter eingepackt?”

„Nein. Aber absichtlich nicht. Die Elektrogeräte, die wir mitnehmen, sind alle zweipolig und passen auf deutsche Steckdosen. Ladegeräte für Handy und Fotoapparat, Rasierapparat und Wecker, alles zweipolig. Weisst du, Frau, deswegen heissen die Eurostecker.”

„Stimmt, ich habe auch nichts anderes dabei. Also weiter.”

„Bügeleisen” – „Aus”

„Wirklich aus?” – „Ja, definitiv aus.”

„Backofen” – „Aus”

„Wasser” – „Abgestellt”

„Also weiter …”

„Nerv jetzt nicht länger, sag lieber, ob du die Haustür abgeschlossen hast.”

„Ja, die ist zu.”

„Soll ich nochmal schauen?”

„Nein, wir fahren jetzt.” „Gut.”

„Wer kümmert sich um die Katze?”

„Wir haben doch gar keine!”

„Spässle macht, Frau, Spässle macht.”

„Gelacht, Mann, gelacht!”

„Alle Ladegeräte dabei, die ganze Wahnsinns-Sammlung?”

„Ja, verflucht. Das müsste auch mal vernünftiger werden. Ladegeräte für Handy, Fotoaparat, Rasieraparat – alle dabei. Da wäre mal eine Normierung gut, dass man endlich nur noch ein einziges braucht.”

„Tanken muss ich noch.”

„Insektenstift und Sonnencreme haben wir vergessen!”

„Kaufen wir dort.”

„Ready for take off.”

„Das heisst: meine Herren, starten sie ihre Motoren!”

„Du machst jetzt aber keinen Blödsinn und spielst Indianapolis auf der deutschen Autobahn?”

„Nee, wir cruisen gemütlich mit lockeren 240, was, Mutter? Das wird cool, haha.”

„Bin ich froh, dass unsere Kiste uns zur gemütlichen Fahrt zwingt. Diese Raserei wäre mir zu blöd. Kann unser Auto eigentlich 150 fahren?”

„Nur bergrunter und mit Rückenwind. Ab 140 wird die Karre aber zu laut und schluckt wie blöd. Da muss ich dann alle halbe Stunde an die Box.”

Ein Blick zurück, verbunden mit der Hoffnung, alles bei der Rückkehr so wieder vorzufinden, und los gehts.

Der Fahrt in den Norden stand nun prinzipiell wirklich nichts mehr im Wege, ausser dem deutschen Zoll, aber der machte gerade Frühstückspause. Z’nüni sagt man hier dazu. Na dann Mahlzeit oder wie man hier sagt „en guete”.

Endlich Urlaub!

Und jetzt waren sie tatsächlich mit dem Auto unterwegs. Endlich auch mal mehr als 120 km/h fahren oder wie die Schweizer sagen, mal den Auspuff durchpusten, der muss ja auch mal sauber werden. Die Schweizer müssen dazu ins Deutsche. In der Schweiz geht es Rasern ganz schnell an den Kragen, denn die Schweiz ist das Land der organisierten Langsamkeit, dafür opfern sie auch weniger Menschen dem Tempowahn. Via sicura.

Gut gemeint, aber trotzdem haarscharf an den wirklich wichtigen Themen vorbei.

Besser wäre wohl ein Projekt namens vita sicura, denn hierzulande hat es dreimal mehr Tote durch Suizid als durch den Strassenverkehr. Ausserdem führen Ansteckungen in den Spitälern der Schweiz jedes Jahr schätzungsweise zu 2000 Todesfällen. Es sterben also jeden Tag 6 Personen durch Spitalkeime. So steht es jedenfalls im Abstimmungsbüchlein zum Epidemiengesetz. Doch die Strasse gilt als gefährlicher, wieso eigentlich? Man ist dort sicherer als im Krankenhaus. Aber lassen wir das jetzt, wir fahren schliesslich und da muss man sich auf den Verkehr konzentrieren.

Ihre Strecke: A5 und A7 nach Norden, immer geradeaus, bei Hamburg rechts Richtung Osten und dann irgendwann wieder links Richtung Norden über den kleinen Damm, der die Insel mit dem Festland verbindet. Nix GPS. Auf Schilder aufpassen, keines verschlafen. Sonst …  ach, das weiss doch jeder selber. Sonst wird’s einfach mühsam und stressig und nervig, und ich weiss nicht, wieviele Ehen schon so kaputt gegangen sind.

Also lieber gut aufpassen.

Ziel Ostsee oder wie der Franzose sagt: „the baltic sea”. Das ist jetzt ironisch. Ich sage das nur, weil wir noch ziemlich nahe an der Schweiz sind, dem Land, wo die Bewohner für ihren sagenhaften Humor bekannt sind. Ups, das war jetzt sogar zynisch. Trotzdem, man sagt ja auch, die Schweizer gehen zum Lachen in den Keller. Das ist aber ein ganz gemeines Vorurteil. Sie gehen nirgend wohin zum Lachen.

Bei dem Wort ‘ups’ muss man übrigens sehr aufpassen. Das ist mit p in der Mitte ein Ausdruck der Überraschung, mit einem b in der Mitte schreibt man das üblicherweise gross, nämlich UBS, und das ist derzeit ein Schimpfwort. Zur Herkunft gibt es verschiedene Erklärungsmodelle. Ursprünglich hiess das eventuell mal auf französisch Union de Banques Suisses. Heute steht UBS offiziell als Eigenname ohne weitere Bedeutung, so kann man das jedenfalls nachlesen. Dieser lose Zusammenschluss von Vermögensverwaltern hat also einen Namen ohne weitere Bedeutung. Na ja.

Nicht abschweifen. Zurück zur Fahrt. Ziel Insel. Meer. Ausschlafen.

Endlich Urlaub!

Dafür nimmt man einiges in Kauf.

Der übliche Ärger auf der Autobahn.

Schnellfahrprobleme.

In der Schweiz warnt die Polizei auf grossen Schildern: „Pressiert’s – passiert’s”. Auf Deutschland übersetzt: „Eile mit Weile” oder „Reisen statt rasen”. Der Alltag entscheidet über den Erfolg der Kampagnen. Ernüchternd.

„Die fahren heute wieder wie die Idioten.”

„Was will der denn? Ist der verrückt?”

„Schon wieder eine Baustelle, es ist zum Mäusemelken.”

„Diese blöden LKW’s.”

„Achtung, Radar!”

Raststätte. Biologische Pause. Kaffee. Mit Toilettengutscheinen die Hälfte des Preises bezahlen.

Weiter geht die wilde Jagd.

„Ist das ein Betrieb heute.”

„Nächstes Jahr fahren wir sonntags, wegen der LKW’s.”

„Wieso blinkt denn der Affe nicht?”

„Wieso gibt es eigentlich noch Insekten? Es sind soviele bei uns an der Scheibe und es sind soviele Autos unterwegs, da müssten die doch bald mal alle sein.”

„Hat das jetzt wegen uns geblitzt?”

„Pass auf, da steht die Rennleitung.”

Verkehrsnachrichten.

Stauwarnungen, die nicht stimmen.

Keine Stauwarnungen, wo sie stimmen würden.

„Gott sei dank! Endlich mal ein Stau!”

„Was ist denn mit dir los? Wieso endlich mal ein Stau? Du freust dich über einen Stau? Geht’s noch?”

„Ja, klar. Das heisst doch, dass viele Leute dorthin wollen, wo wir hinwollen. Also muss es dort schön sein. Stell dir vor, wir fahren in die Ferien an einen Ort, wo keiner hin will. Da hätten wir zwar keinen Stau, aber das heisst doch, dass keiner dort hin will. Und dann müssten wir uns fragen, warum wir dorthin fahren, wo keiner hin will. Also ist ein Stau ein gutes Zeichen. Wo wir hin wollen, muss es schön sein.”

„Pass lieber auf die Strasse auf als so einen Unsinn zu erzählen.”

„Was macht der denn?”

„Achtung, ausscherendes WoMo auf ein Uhr!”

„Wegen dem muss ich voll in die Eisen steigen, der macht mir meinen ganzen Speed kaputt! Das dauert Tage bis ich mein Tempo wieder habe.”

„Oh, fährt der einen heissen Reifen!”

„Guck mal, der telefoniert bei 200 Sachen.”

„Irre!”

„Da müssen wir raus!”

Wismar umfahren. Ab auf die Insel!

Endlich Urlaub!

„Riechst du das Wasser?”

„Nee, ich bin doch kein Pferd! Aber weisst du noch, wie wir mit den Kindern an die See gefahren sind?”

„Was meinst du?”

„Wie lange dauert es noch? Ich hab Durst! Krieg ich ein Bonbon? Ich muss auf’s Klo! Ich kann nicht mehr sitzen. Wann sind wir da? Ich will ans Wasser! Ist meine Schaufel dabei? Haben wir mein Eimerchen mit? Stimmt das, dass man mit dem Auto auf ein Schiff fahren kann? Kaufen wir einen Drachen?”

„Ja, Frau, da erinnere ich mich noch gut dran. Das ist doch jetzt eine ganz neue Form der Freiheit, so ohne Kinder Ferien zu machen. Nicht, dass das vorher mit den Kindern nicht schön war, aber das hier ist doch nochmal was ganz anderes, oder?”

„Klar. Ausschlafen war mit den Kindern nicht möglich. Mein Gott, um sechs Uhr stand der Kleinste schon auf der Matte! Diese biologischen Wecker sind ziemlich brutal.”

„Genau. Und als sie noch ganz klein waren, da haben wir uns die Hälfte der Ferienzeit mit der Brutpflege beschäftigt.”

„So ein schreiendes Verdauungsystem kann ganz schön anstrengend sein! Und mehr sind sie ja in dem Alter nicht.”

„Zum Glück schlafen sie in dem Alter noch viel.”

„Nur nicht morgens früh.”

„Wir haben es ja nicht anders gewollt.”

„Ich bereue nichts!” „Ich auch nicht.”

„Aber trotzdem. Morgens ausschlafen, Brötchen holen, in Ruhe Kaffee trinken, wenn man will, oder auch nicht, wenn man nicht will. Mensch, das isses, das isses! Wir sind raus aus dem Dreck! Das ist jetzt real existierender Urlaub! Wir haben unser Leben zurück bekommen.”

„Wie sagt man: ich bin ein freier Schweizer und kann tun und lassen, was ich will, und selbst das muss ich nicht!”

„Kennst du den Weg zur Ferienwohnung?”

„Ich bin ein Mann. Ich fahre intuitiv. Ich richte mich wie eine Biene nach dem Sonnenstand. Ich muss den Weg nicht kennen und auch nicht nach dem Weg fragen!”

„Sei doch mal ernst!”

„Ferien, Frau, Ferien! Der Ernst ist zuhause geblieben und geht weiter arbeiten.”

„Nein, wirklich, ich hasse diese Sucherei.”

„Ich auch. Ich denke, wir sind jetzt da!”

„Glaubst du?”

„Glauben heisst nicht wissen. Ich weiss, dass wir da sind. Ort gut, Strasse gut, Hausnummer gut. Wir sind da!”

„Endlich Urlaub!”

Auto korrekt parken. Ferienwohnung beziehen. Gepäck reintragen. Die eigene Unordnung installieren und somit heimische Gefühle herstellen. Kleiderschränke füllen. Balkontür auf. Meer riechen. Meer hören. Meer erleben. Ein guter Slogan. Passt in jede Werbebroschüre. Da könnte man mit einem h spielen und schreiben: „mehr erleben – Meer erleben” oder auch „mehr Meer bei uns” oder „noch mehr Meer”.

Jetzt eine halbe Stunde ruhen, so eine lange Fahrt ist trotz ausreichender Pausen ziemlich anstrengend. Dann ein Käffchen, leider nur von der löslichen Sorte. Eine Espressomaschine hat es in der Ferienwohnung nicht. Noch rasch einkaufen. Die Grundausstattung muss her. Toilettenpapier, Spülmittel, Seife, was Ethanolisches zu trinken für den Abend, Milch für den Kaffee morgen früh, ein paar Brötchen und Marmelade, …  das übliche eben.

Und dann aber gleich ans Meer. Mal schauen, ob es noch da ist.

Deswegen fahren sie nämlich viel lieber an die Ostsee als an die Nordsee. An der Nordsee sind sie mal angekommen und voller Vorfreude auf’s Meer sind sie hoch auf den Deich, und was sehen sie?

Viel sehen sie, aber kein Meer. Das Wasser war weg! Da hatte wohl jemand den Stöpsel von der grossen Badewanne gezogen. Das Wasser war weg, definitiv. Das Meer war gerade woanders, da war nur Schlamm und Sand, was auch dadurch nicht schöner wird, dass man das Schlick und Watt nennt. Sauerei. In einer Wohnung würde man das wegputzen. Vorher natürlich alles fotografieren und die Hausratversicherung anrufen und den Schaden melden.

Dort finden die Touristen das aber toll und laufen mit gelbem Friesennerz barfuss durch den Wattwurmdreck.

Die Eingeborenen nennen dort die Abwesenheit des Wassers Ebbe und versprechen einem hoch und heilig, dass das Wasser demnächst wieder kommt, und deswegen müsse man aufpassen beim Rumrennen auf dem Schlick und auf dem Sand. Sonst schneidet einem das Wasser heimtückisch mit Hilfe eines Priels den Rückweg ab und dann guckt man doof aus der Wäsche. Und damit das für die Abenteuertouristen spannender wird, veranstalten sie das jeden Tag zu einer anderen Uhrzeit. Blödes Spiel.

Sie lehnen dort jede Verantwortung dafür ab und sagen, der Mond wäre schuld.

Ja, ja, wer’s glaubt. Die machen sich das einfach.

Nein, da fallen sie nicht mehr drauf rein, dann doch lieber Ostsee. Da kommt man an und ziemlich sicher ist das Wasser da, und nicht erst in ein paar Stunden wieder. Das ist einfach seriös.

Man kauft Urlaub am Wasser und man kriegt Urlaub am Wasser. Es gibt zwar auch Ebbe und Flut, aber der Tidenhub in der westlichen Ostsee beträgt gerade mal 30 cm, das ist aber von Kanton zu Kanton verschieden, äh …  nein, von Ort zu Ort verschieden, wir sind ja jetzt im Norden in den Ferien und nicht mehr in der Schweiz.

Keine Überraschung also. Alles wie es sein soll. Das Wasser ist da. Der Wind aber auch. Den hatten sie eigentlich nicht gebucht. Den gibt es dort gratis und nochmal 10 % extra oben drauf, verflucht.

„Schade sind die Kinder nicht mit. Jetzt könnte man eine Schwiegermutter steigen lassen.”

„Was?”

„Na Drachen fliegen lassen.”

Logische Folge des Spruches: Ellenbogen in die Rippen – mit Kommentar.

„Hör auf, Frechling.”

Jelato lacht nur.

Sie beschliessen, gleich morgen einen Strandkorb zu mieten und gehen erstmal wie alle anderen auch an der Grenzfläche Erde-Wasser entlang. Eine Fokussierung an Grenzflächen, das kannten sie. In der Schweiz findet das Phänomen auch statt, allerdings überwiegend an der Grenzfläche Erde-Luft in den Bergen. Da sind dann auch erstaunlich viele Menschen auf einem kleinen Ort oben fokussiert und es wird eng in der Hütte.

Die See ist also wie ein Strich durch eine Ameisenstrasse. Da sammeln sich dann auch links und rechts vor dem Strich die Tiere und laufen ratlos am scheinbar nicht überquerbaren Strich entlang.

Die Ostsee beeinflusst die Psyche der Menschen auf eine sonderbare Art. Ganz offensichtlich macht die Ostsee die Menschen alle melancholisch und schwermütig und nachdenklich. Diagnose: manisch depressiv. Eine bipolare Störung durch die vielen H2O-Dipole, müsste also besser dipolare Störung heissen, weil – kommt vom Wasser. Auf jeden Fall laufen sie dort alle mit gesenktem Kopf rum und schauen nur ab und zu auf, um mit keinem anderen Schwermütigen zusammenzustossen. Gelegentlich hat eine solche traurige Gestalt aber ein Glückserlebnis und alle anderen Schwermütigen drumherum werden mit einem Schrei darauf aufmerksam gemacht.

Wenn das einem Kind passiert, läuft es anschliessend zu Mama und Papa, zeigt stolz die Muschel oder den Stein oder sonst was, und dieses Objekt verschwindet dann in der mitgebrachten Plastiktüte. Dann geht es mit gesenktem Kopf weiter.

Der absolute Höhepunkt einer solchen freiwilligen Strandreinigung ist das Auffinden eines sogenannten Hühnergottes. Das ist ein Stein mit Loch, also eigentlich kaputt, und wer sowas findet, den hat der Glücksgott gerne.

Ihn erinnerte dieses Verhalten der Schwermütigen an den einen alten Spruch und er fragte seine Frau: „Weisst du, wodurch sich ein extrovertierter Physiker von einem introvertierten Physiker im Gespräch unterscheidet?”

„Nein.”

„Der Extrovertierte schaut auf die Schuhe seines Gesprächspartners.”

„Jööh.”

Jelato war ein umweltbewusster Mitbürger und machte sich ernste Gedanken um dieses sensible Ökosystem.

Er fragte seine Frau unvermittelt: ”Wenn alle Touristen seit Jahrzehnten jedes Jahr jede Menge Steine von hier mitnehmen, wieso hat es dann eigentlich überhaupt noch welche? Steine sind doch kein nachwachsender Rohstoff! Die treiben doch nicht im Meer und stranden hier – Bernstein mal ausgenommen.”

„Nein, sicher nicht, aber es kommen trotzdem immer neue. Vom abbröckelnden Ufer, oder angespült über Jahrhunderte von den Bergen. Und eine grosse neue Lieferung aus dem Norden ist schon angekündigt mit der nächsten Eiszeit.”

„Das mit der nächsten Eiszeit kann noch dauern, im Moment soll es ja erst mal wärmer werden. Nach Meinung der Klimaforscher soll der Meeresspiegel deshalb langsam ansteigen, wegen dem Abschmelzen der Polkappen. Wenn aber jeder Urlauber ein paar Steine vom Meer mit heim nimmt, dann wird der Meeresspiegel fallen müssen und zwar um genau die Höhe, die etwa dem Volumen der abgeschleppten Steine entspricht.”

„Vielleicht gleichen sich die beiden Effekte auch aus und alles bleibt wie es ist am Strand, mit der Ausnahme, dass die Steine weniger werden.”

Sagte ich schon, dass Kriminalisten pedantisch sind und eine Deformation professionelle haben? Wenn ja, dann sei es hiermit wiederholt.

„Es ist schön hier.”

„Deswegen kommen wir ja auch oft her.”

„Weisst du noch, wie wir früher mal in einer Kurzeitung irgendwo gelesen haben, der und der ist schon zum 25. mal da und erhält als Anerkennung eine Ehrennadel oder eine Urkunde?”

„Ja. Damals haben wir gesagt, hoffentlich werden wir nicht mal so! Und jetzt? Jetzt sind wir doch bestimmt schon zum 7-ten mal hier und finden das gut. Ich fürchte, wir werden alt.”

„Natürlich werden wir alt, und zwar genau deswegen. Warum sollen wir denn wie vergiftete Affen in der Welt herumrasen, wenn es hier so schön ist. Andere haben ein Ferienhaus und sind jeden Sommer und an vielen Wochenenden da, also immer am selben Ort. Das ist ja noch weniger Abwechslung, aber die Leute fühlen sich wohl, weil es das ist, was sie wollen.”

„Ja, die Menschen sind komisch. Da rasen sie tatsächlich aus ihrem hektischen Alltag heraus wie verrückt in die Ferien, am liebsten zu einem einsamen Inselvolk, bewundern, wie die in Ruhe leben, und dann rasen sie wieder zurück in ihren hektischen Alltag.”

„Was meinst du, wie oft fahren wir noch auf unsere Insel?”

„Bis sie mal rauskriegen, womit man noch alles Geld verdienen kann und grosse Bettenburgen bauen und dann immer ein Riesenbetrieb ist.”

„Ja, das wäre es dann mit der Ruhe. Da wäre sogar nachts noch Party am Strand. Irgendwann taucht dann noch die übliche Schickeria auf und alles ist kaputt: die Ruhe, die Preise, das Wohlfühlen. Hier wären nur noch die Angeber und ihre Gefolgschaft.”

„…  und dann rasen sie mit Jet-Skis über das Wasser und irgendwelche Klatschreporter würden dauernd irgendwelchen Promis hinterhersteigen. Sie würden hier grosse Bootsstege bauen für die Angeber-Yachten, Zufahrten und teure Schickimicki-Restaurants – alles würde anders werden.”

„Und sie müssten schöne Parkplätze bauen. Für die tiefer gelegten Sportwagen sind die zur Zeit gar nichts und die teure Nobelkarosse wird womöglich schmutzig. Stell dir nur mal vor, die gnädige Frau müsste aussteigen und würde genau in eine Pfütze treten, das würde sicher zu irrsinnigen Schadensersatzansprüchen führen.”

Langsam wurde es frisch und sie beschlossen, zurück in die Ferienwohnung zu gehen, sich umzuziehen und anschliessend ab zum Essen. Morgen wären sie bestimmt den ganzen Tag am Strand. Schönes Wetter war angekündigt, und genau deswegen waren sie ja hier, zum Herumlungern am Strand, ohne Stress, ohne Handy, ohne Termine, ohne früh aufstehen und ohne Hektik auf dem Weg zur Arbeit, ohne Sachzwänge …

Es kam anders.

Denn seine Frau fragte beim Essen unvermittelt: „Hey Struppi, wie wäre es mit Frisör morgen? Du könntest das Winterfell jetzt ablegen. Es geht in den Sommer.” „Ja, und du könntest dich wieder mal enteseln lassen. Das Graue kommt wieder durch.”

„Was?”

„Du könntest dich wieder ent-eseln lassen.”