111 Gründe, den FC Carl Zeiss Jena zu lieben - Matthias Koch - E-Book

111 Gründe, den FC Carl Zeiss Jena zu lieben E-Book

Matthias Koch

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Beschreibung

Es ist kein Zufall, dass 111 Gründe, den FC Carl Zeiss Jena zu lieben 111 Jahre nach der Gründung des Vereins erscheint. Echte Experten wissen, dass unter den Kernbergen ein schlafender Riese haust. Es spielt keine Rolle, dass der FCC zum zweiten Mal nach der Wende am harten Brot der Viertklassigkeit kaut. Thüringens wirkliche Nummer eins lässt seine europapokalverwöhnten Fans in der Provinz in Wahrheit nur Groundhopper-Punkte sammeln. Irgendwann wird es wieder so schnell wie zwischen 2004 und 2006 gehen, als das Team von der 4. in die 2. Liga durchmarschierte. Bis dahin wird dieses Werk an die großen nationalen und internationalen Jahrzehnte Jenas erinnern, aber auch manche Posse der Gegenwart beleuchten. Drei Landesmeistertitel, vier Pokalsiege und 87 Europapokalschlachten machten den FC Carl Zeiss Jena unsterblich. Der Club führt die ewige Tabelle der DDR-Oberliga an. Das Buch ist nicht nur eine Liebeserklärung an den Verein, sondern auch an die Menschen, die ihm ein Gesicht gaben und geben. EINIGE GRÜNDEWeil der Club schon zu Lebzeiten im Paradies spielt. Weil man sich bei langweiligen Heimspielen an den Kernbergen erfreuen kann. Weil Georg Buschner der beste Trainer der DDR war. Weil die Duckes zu den bekanntesten Fußball-brüdern im Osten aufstiegen. Weil Johan Cruyff in Jena alt aussah. Weil aus der verbotenen Stadt so viele Spieler nach Jena wechselten. Weil ein FCC-Wimpel durchs Weltall flog. Weil Peter Ducke zu Ostzeiten im Westwagen vorfuhr. Weil der AS Rom 4:0 geschlagen wurde. Weil der Club 1981 im Europapokalfinale stand. Weil Real Madrid so viel Dusel hatte. Weil Rüdiger Schnuphase Sparta Rotterdam überlebte. Weil 'Sprotte' Grapenthin mit 41 noch im Tor stand. Weil Jörg Burow als einziger Ossi das Tor des Monats schoss. Weil der FCC für immer der FC Bayern der DDR ist. Weil man im Ernst-Abbe-Sportfeld Boot fahren kann. Weil Walter Jahn rehabilitiert wurde. Weil 'Schnix' beim FCC groß wurde. Weil in Neuruppin der Zaun wackelte. Weil Matchwinner Mario Gómez gegen Jena verlor. Weil Robert Enke einer von uns war. Weil Jena auch mal 0:6 oder 0:7 zu Hause verliert. Weil der FCC mit dem Bus zehn Stunden nach Kroatien fuhr. Weil Jena der einzige Viertligist ist, für den 111 Liebesgründe gesucht wurden. Weil die Fans um ihre Flutlichtmasten weinten.

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Matthias Koch

111 GRÜNDE, DEN FC CARL ZEISS JENA ZU LIEBEN

Eine Liebeserklärung an den großartigsten Fußballverein der Welt

INHALT

•Weil es den Verein schon 111 Jahre gibt 14

•Weil sich der Klub 1904 für Nicht-Zeissianer öffnete 16

•Weil Willy Krauß schon 1911 für Deutschland spielte 17

•Weil sich der Klub 1917 für andere Sportarten umbenannte 20

•Weil der 1. SV Jena bis 1945 die nationale Elite schonte 22

•Weil es nach dem Zweiten Weltkrieg eine Namenslotterie gab 26

•Weil Karl Schnieke das erste Länderspiel-Tor der DDR schoss 28

•Weil Helmut Müller sieben auf einen Streich gelangen 32

•Weil der Verein die Stadtfarben hochhält 36

•Weil der Klub schon zu Lebzeiten im Paradies zu Hause ist 38

•Weil der Verein Carl Zeiß und Ernst Abbe alle Ehre macht 42

•Weil man sich bei langweiligen Heimspielen an den Kernbergen erfreuen kann 46

•Weil Jenenser und Jenaer zusammen kicken 49

•Weil der Verein ab 1966 wieder so wie zu seiner Gründung hieß 50

•Weil in den 1970er-Jahren vieles bunter und heller wurde 54

•Weil man im Ernst-Abbe-Sportfeld Schlauchboot fahren kann 57

•Weil die Fans um ihre Flutlichtmasten weinten 59

•Weil Johan Cruyff in Jena alt aussah 62

•Weil man 75 Heimspiele in Serie ohne Niederlage blieb 66

•Weil Dresden in Leipzig zweimal keine Sonne sah 69

•Weil Jena als erste DDR-Elf auf englischem Boden gewann 73

•Weil der AS Rom mit 4:0 geschlagen wurde 75

•Weil der FCC 1981 im Europapokalfinale stand 80

•Weil Real Madrid so viel Dusel hatte 86

•Weil Jena in Dortmund die Sensation gelang und der Präsident meckerte 89

•Weil Carl Zeiss in Augsburg den Last-minute-Klassenerhalt schaffte 91

•Weil Jena gegen Matchwinner Mario Gómez gewann 95

•Weil der erste Fanclub fliegen konnte 99

•Weil die Kernberge ein Echo aus Papier bekamen 101

•Weil der Adler-Fanclub Teltow lautlose Helden hatte 104

•Weil der Verein das älteste Fanprojekt im Osten hat 107

•Weil ihr Arbeit hattet – und wir nicht 109

•Weil die Fans vier Jahre NOFV-Oberliga Süd ausgehalten haben 112

•Weil Rollstuhl-Sven den VFC Plauen stoppen wollte 116

•Weil die Horda Azzuro seit 2001 den Ultra-Gedanken lebt 118

•Weil es in Halle einen positiv besetzten Platzsturm gab 124

•Weil in Neuruppin der Zaun wackelte 127

•Weil 15.000 Jena-Fans die Allianz-Arena stürmten 131

•Weil RB Leipzig beklaut und beschenkt wurde 133

•Weil die Duckes die bekanntesten Fußballbrüder im Osten waren 136

•Weil Konrad Weise Nationalspieler ohne Meisterschaftseinsatz wurde 140

•Weil Bernd Bransch in Jena fremdging 144

•Weil der Zeiss-Libero Torschützenkönig wurde 147

•Weil Eberhard Vogel die meisten DDR-Oberligaspiele bestritt 151

•Weil »Sprotte« Grapenthin der Dino Zoff von Jena war 153

•Weil Jörg Burow als einziger Ossi das Tor des Monats schoss 157

•Weil Perry Bräutigam fast für Deutschland gespielt hätte 159

•Weil Jürgen Raab eine treue Seele war 163

•Weil »Schnix« es bis ins WM-Finale schaffte 167

•Weil Olaf Holetschek nicht einfach so aufhörte 170

•Weil sich Bundesligastar Jan Šimák in Jena wohlfühlte 174

•Weil Lothar Kurbjuweit Mädchen für alles war 176

•Weil Jena dem 1. FC Union den einzigen nationalen Titel gewährte 182

•Weil Peter Ducke mit dem Westwagen vorfuhr 187

•Weil auch in Jena vieles mit Sicherheit ablief 191

•Weil Rüdiger Schnuphase Sparta Rotterdam überlebte 194

•Weil Jena 4:6 gegen Stahl Riesa verlor 197

•Weil sich Jena mit Anstand vom Europacup verabschiedete 203

•Weil Jena ein Bernstein-Zimmer hatte 206

•Weil keiner schöner auf der Reeperbahn scheitert 209

•Weil Jena gegnerische Torleute treffen lässt 212

•Weil Jena auch mal 0:6 oder 0:7 zu Hause verlieren kann 214

•Weil gegen Atlético Madrid 27.500 Zuschauer kamen 218

•Weil Peter Rock eine olympische Bronzemedaille verschenkte 221

•Weil Michael Polywka fast Deutscher Meister geworden wäre 223

•Weil Harald Irmscher »Kaiser« Franz das Trikot abluchste 230

•Weil ein FCC-Wimpel durchs Weltall flog 232

•Weil es eine Blaue Mauritius unter den Vereinsbüchern gibt 234

•Weil Schiedsrichter Bernd Stumpf ein Brief an Erich Honecker nichts nützte 238

•Weil das Sandmännchen den Pokalfinaleinzug nicht verhindern konnte 243

•Weil Jena der Hölle von Leutzsch entkam 247

•Weil Frank Rohde in Jena das Eigentor des Monats schoss 250

•Weil aus der Verbotenen Stadt so viele Spieler nach Jena wechselten 252

•Weil Jena im größten Thüringen-Derby aller Zeiten triumphierte 259

•Weil Jena viermal den »Europacup für Arme« gewann 262

•Weil drei Zeiss-Koryphäen Erfurt das Fußballspielen beibrachten 264

•Weil der FCC für immer der FC Bayern der DDR ist 268

•Weil der FCC 1989/90 auf einmal auswärts konnte 271

•Weil die Rückrunde 1999/00 gerockt wurde 276

•Weil Jena ein Eldorado für Nationaltrainer ist 278

•Weil Jena noch nie im Berliner Olympiastadion verloren hat 280

•Weil Jena am bestbesuchten DFB-Pokalspiel beteiligt ist 282

•Weil der Thüringen-Pokalsieg 2014 zwei furchtbare Jahre fast vergessen machte 285

•Weil Fotogott Peter »PePo« Poser alles mit der Kamera festhält 289

•Weil Paul Dern der James Bond von Jena war 293

•Weil Walter Jahn rehabilitiert wurde 298

•Weil Rolf Weidner über 41 Jahre lang Stadionsprecher war 303

•Weil Mannschafsleiter Uwe Dern immer gute Laune hat 307

•Weil Eva Osterland 60 Jahre an der Kasse saß 311

•Weil Vater Petersen Jena sechs Punkte bescherte 314

•Weil der FCC mit dem Bus über zwölf Stunden nach Kroatien fuhr 316

•Weil Georg Buschner der beste Trainer der DDR war 320

•Weil Hans Meyer mit 28 Jahren Chef-Coach wurde 326

•Weil Zeiss-Generaldirektor Biermann Despot und Förderer zugleich war 332

•Weil zwei Heikos Jena in die Zweite Bundesliga schossen 336

•Weil der erste Trainer aus dem Westen Klaus Schlappner hieß 342

•Weil Eberhard Vogel mehr Glück als Hans Meyer hatte 345

•Weil Jena mit Thomas Gerstner einen Spielertrainer hatte 349

•Weil Heiko Weber den Durchmarsch schaffte 353

•Weil René van Eck Jena mit dem Arschschießen berühmt machte 358

•Weil Jürgen Raab Urlauber und Trainer zugleich war 360

•Weil Robert Enke einer von uns ist 364

•Weil Bäckermeister Scherer irgendwann Präsident wird 367

•Weil der Verein heute umsonst Werbung für Zeiss macht 371

•Weil FCC auch für FC Chaos steht 374

•Weil Jena der einzige Viertligist ist, für den 111 Liebes-Gründe gesucht werden 378

•Weil die Ultras den belgischen Investor kritisch betrachten 380

•Weil der FCC in Newport verehrt wird 384

•Weil Rekordpräsident Rainer Zipfel verbissen kämpft(e) 387

•Weil Europacup-Held Lutz Lindemann wieder da ist 391

•Weil Torsten Ziegner eines Tages Trainer in Jena wird 393

•ANMERKUNGEN 399

•Archive und Sammlungen von Matthias Koch 432

•Links 436

•Zeitungen und Zeitschriften 437

WIR SIND DER ZWÖLFTE MANN,

FUSSBALL IST UNSERE LIEBE!

VORWORT

SCHWACH GEWORDEN

Anfang Februar 2014 bekam ich eine E-Mail. Martin Brinkmann von der gleichnamigen Literaturagentur fragte mich, ob ich nicht Lust auf das Schreiben eines Buches über den FC Carl Zeiss Jena hätte. Er hätte irgendwo aufgeschnappt, dass ich mit Jena sympathisieren würde. Im ersten Moment wollte ich das Angebot ablehnen, schließlich war erst im November 2013 mein größeres Buch über den 1. FC Union Berlin erschienen. Vier Jahre hatte ich dafür parallel zur meiner tagesaktuellen journalistischen Tätigkeit gebraucht. Eigentlich fehlte mir die Lust auf Papierberge, das Studieren von alten Büchern und Zeitungen, ausufernde Telefonate und Treffen sowie das Abschreiben langer Interviews.

Aber ein Buch über den FC Carl Zeiss war schon immer mein Traum. Obwohl der Verein derzeit nur in der Vierten Liga spielt und in der Regel für nicht immer ganz so positive Schlagzeilen sorgt, ergab sich nun aus dem Nichts die Möglichkeit dazu. Ich wurde schwach. Und als auch noch meine Frau ihr Einverständnis gab, war der Weg frei.

Es machte großen Spaß, die alten Europapokalhelden nach ihren Erinnerungen zu befragen und die großen Siege und Niederlagen noch mal Revue passieren zu lassen. Auch für mich war es eine Reise in die Vergangenheit, in der mir so manche vergessene Episode wieder einfiel. Vor 35 Jahren bin ich als Berliner Zeiss-Fan geworden. Im Sommer 1994, direkt nach dem Abstieg aus der Zweiten Bundesliga, wurde ich Mitglied – und bin es aus symbolischen Gründen bis heute geblieben.

Im Fanblock stehe ich seit fast 15 Jahren aber nicht mehr. Das Auf und Ab der jüngeren Geschichte des Vereins verfolg(t)e ich als Sportjournalist und Fotograf. Das hat mir beim Schreiben des Buches sehr geholfen, weil ich viele Dinge einfach selbst erlebt habe.

Wenn Jena heute in Berlin und Brandenburg spielt, verteilen Thüringer Zeitungsredaktionen gern Aufträge an mich. Vielleicht sind ja irgendwann wie zwischen 2005 und 2012 auch wieder Zweit- und Drittligaspielberichte dabei. Bis dahin geht es halt durch die Regionalliga. Die sollte und muss man auch akzeptieren.

111 Gründe, den FC Carl Zeiss Jena zu lieben ist nicht nur reine Lobhudelei. Auch die kleinen und großen Skandale sollen durchaus Erwähnung finden. Sie gehören einfach zur Geschichte eines Traditionsvereins dazu. Aber natürlich kommen vor allem Menschen zu Wort, die mit ihrem Schaffen dem Verein ein Denkmal setzten und ihn schon 111 Jahre alt werden ließen.

Matthias Koch

1. KAPITEL

AUS DER WIEGE DES FC RUHMREICH

1. GRUND

Weil es den Verein schon 111 Jahre gibt

Keine Frage, der FC Carl Zeiss Jena ist ein Traditionsverein. Schon 1903, vor 111 Jahren, wurde die wahre Nummer 1 Fußball-Thüringens unter dem heutigen Namen gegründet. Die Geschichte des Fußballsports in Jena währte allerdings schon etwas länger. 1890 gab es den ersten Fußballverein in Jena. Am 28. Juli 1893 fand das erste »Wettspiel« gegen eine Mannschaft des Allgemeinen Turnvereins zu Leipzig (0:1) statt – vor 500 Zuschauern im kleinen Jenaer Paradies. Das berichtete die Jenaische Zeitung am 8. August 1893 in ihrem Spielbericht. Der Fußballverein Jena löste sich aber wohl noch vor 1900 wieder auf.1

1903 sollte es einen neuen Fußballverein in Jena geben, den Fußball-Klub Carl Zeiß. In der Stadt, die bereits 1558 das kaiserliche Universitätsprivileg erhielt, war auch die industrielle Entwicklung längst auf dem Vormarsch.

Die Geschäftsleitung der Firma Carl Zeiss hatte den Aufbau einer Spielabteilung für Turn- und Rasenspiele veranlasst, führte Roland Weißbarth im Buch Blau Gelb Weiss von 1995 an.2 Lehrlinge und Werksangehörige trafen sich für Rasen- und Bewegungsspiele unter Anleitung von Hermann Peter. Dem Turnlehrer wird auch die Begründung des Fußballvereins Jena von 1890 nachgesagt.

Der Großteil der 22 Gründungsmitglieder des FK Carl Zeiß rekrutierte sich aus diesem Kreis der »Sportgruppe« Peters. Als Gründungsdatum für den reinen Fußballverein, der den Namen des Mechanikers und Unternehmensgründers Carl Zeiß (1816–1888) hochhielt, gibt Weißbarth den 13. Mai 1903 an. Ab diesem Tag existiert zumindest ein Schriftstück, dass »mit Herrn Turnlehrer Peter die regelmäßigen Spielabende in Zukunft stets Mittwochs und Sonnabends von 6 ½ Uhr an stattfinden.« Der 13. Mai sollte im Verlauf der Geschichte des FC Carl Zeiss Jena noch einmal große Bedeutung haben. 1981 wurde an diesem Tag das Finale des Europacups der Pokalsieger in Düsseldorf gegen Dynamo Tbilissi (1:2) ausgetragen.

Zurück ins Gründungsjahr 1903: Wer unentschuldigt fehlte, musste 20 Pfennig Strafe zahlen, wobei die Entschuldigung in schriftlicher Form bis zwölf Uhr mittags bei Karl Parreidt, dem Vorsitzenden des Klubs, angezeigt werden musste. Der Verein empfahl zudem für 75 Pfennige den Kauf von Spielmützen, damit sich die Mannschaften im Training besser unterscheiden konnten.

Am 12. Juli 1903 fand das erste Wettspiel des FK Carl Zeiß Jena gegen die 2. Mannschaft des Fußballclubs Weimar statt. Das Ergebnis ist leider nicht überliefert, dafür aber die Rechnung für die »dritte Halbzeit«, die beide Mannschaften im Hotel Zum Stern in der Jenaer Neugasse verbrachten. 54 Liter Lagerbier und drei Bratwürste kosteten 19,50 Mark.3

2. GRUND

Weil sich der Klub 1904 für Nicht-Zeissianer öffnete

Im Juli 1903, zwei Monate nach der Gründung, zählte der zu dieser Zeit noch mit K geschriebene Fußball-Klub Carl Zeiß 33 Mitglieder. Allerdings schmorte der Verein im eigenen Saft, weil zunächst nur Angehörige der Firma Carl Zeiss eintreten durften. Deshalb seien keine nennenswerten Ergebnisse im ersten Jahr des Bestehens zu verzeichnen gewesen, vermutet Roland Weißbarth, der die Gründungshistorie des Vereins in den 1980er-Jahren als erster Autor umfassend beleuchtete.4

Die Problematik, sich öffnen zu müssen, erkannte man auch in der Chefetage des Zeiss-Werkes. Seit dem 1. Juli 1904 durften auch Nicht-Zeissianer dem Fußballverein beitreten. Die offene Mitgliedschaft wurde an diesem Tag auf der »Wilhelmshöhe« besiegelt. Weißbarth zufolge galt dieses Datum deshalb lange fälschlicherweise als Gründungsstunde des FCC.

Der Verein müsste dennoch großes Interesse daran gehabt haben, weiter echte Zeissianer als Mitglieder zu werben. Für diese zahlte die Firma einen jährlichen Zuschuss von einer Mark, nachdem dem Verein anfänglich insgesamt 50 Mark jährlich zur Verfügung gestellt wurden.

Im Februar 1906 trat der Verein dem DFB und dem Verband Mitteldeutscher Ballspielvereine bei. Der Mitgliederbestand habe tendenziell zugenommen, schrieb Weißbarth. Zulauf habe es vor allem von Lehrlingen, jungen Arbeitern und Angestellten des Zeiss-Werkes gegeben. Zu Beginn der 1910er-Jahre hatte der Verein 180 Mitglieder.5

3. GRUND

Weil Willy Krauß schon 1911 für Deutschland spielte

Die offizielle Homepage des Deutschen Fußball-Bundes führt einen gewissen W. Krauß als Nationalspieler. Der linke Außenläufer kam am 26. März 1911 in Stuttgart gegen die Schweiz zu seinem Länderspieldebüt für Deutschland. Die Eidgenossen wurden vor 8.000 Zuschauern mit 6:2 bezwungen. Ein zweites und letztes Mal spielte Willy Kraus am 14. April 1912 vor 25.000 Zuschauern in Budapest für die Nationalelf bei einem spektakulären 4:4 nach 4:1-Führung gegen Ungarn. Dass Willy Kraus der erste Spieler des FC Carl Zeiss Jena war, der zu Länderspielehren kam, können ohne Vereinsangabe aber nur Insider aus dem Thüringer Raum wissen.

Die Informationen über den angeblich am 10. Februar 1886 geborenen Fußballer sind allerdings ohnehin sehr spärlich. Ein Todesdatum gibt es offensichtlich nicht. Er soll den Beruf eines Mechanikers ausgeübt haben. Im 1995 von Günter Schmidt herausgegebenen Buch ist zur Epoche zwischen 1909 und 1912 immerhin Folgendes nachzulesen: »Die unbestritten bedeutendste Spielerpersönlichkeit dieser Jahre war der Ex-Leipziger Willy Krauß, der 1909 zum FC Carl Zeiss kam.«6 Unbeugsame Willenskraft und ein nie erlahmender Eifer hätten sein Spiel charakterisiert. Nicht nur durch seine beiden Länderspiele für die DFB-Auswahl habe er Jenaer Fußballgeschichte geschrieben. Er soll im Verein auch verschiedene Leitungsaufgaben wie die Funktion des ersten Vorsitzenden in der Saison 1917/18 übernommen haben.

Das genannte Buch zeigt übrigens ein Foto von Krauß und Arthur Schuster7, der neben Krauß der zweite überdurchschnittliche Jenaer Spieler dieser Zeit gewesen sein soll. Schuster habe in thüringischer Mundart nicht nur gegnerischen Akteuren die Meinung gegeigt. Die Zeitschrift Mitteldeutscher Sport beschrieb eine verbale Auseinandersetzung zwischen Krauß und Schuster beim Spiel zwischen dem VfB Jena und dem FC Carl Zeiss Jena im Jahr 1913 so: »Die beiden Repräsentativen von Z., Schuster und Krauß, lieferten sich mitten im Spiel ein Wortduell in Wortes verwegenster Bedeutung und verdarben viel durch unnötiges Geschwätz.«8 Leider wurde nicht überliefert, welche Ausdrücke da durch die Gegend flogen.

In die internationalen Fußstapfen von Willy Krauß sollte mit Heinz Werner (1910 bis 1989) erst wieder 23 Jahre später ein Spieler des inzwischen in 1. SV Jena umbenannten Vereins treten. Der echte Jenenser Werner spielte am 25. August 1935 ausgerechnet in Erfurt vor 35.000 Zuschauern beim deutschen 4:2-Erfolg gegen Rumänien als Mittelfeldakteur mit.

Werner, der nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von 1946 bis 1949 noch sehr erfolgreich für den Hamburger SV kickte, soll zudem für das Länderspiel am 20. Oktober 1935 in Leipzig gegen Bulgarien berufen worden sein. Trainer Otto Nerz soll aber auf seinen Einsatz verzichtet haben.9

Buchautor Udo Gräfe führt mit Ludwig Gärtner (drei Länderspiele/ein Tor) noch einen dritten Jenaer Nationalspieler in der Zeit vor 1945 auf.10 Ob der langjährige Fußballer von Olympia Lorsch jedoch auch als Fußballer des 1. SV Jena zu diesen Ehren kam, scheint strittig zu sein. Er spielte wohl in der Saison 1939/40 für Jena, die am 26. November 1939 nach lokalen Überbrückungsrunden begann. Bei einem ersten Länderspieleinsatz am 27. August 1939 beim 0:2 in Bratislava gegen die Slowakei führt ihn der kicker11 aber als Akteur von Olympia Lorsch.

4. GRUND

Weil sich der Klub 1917 für andere Sportarten umbenannte

Im Verlauf des Ersten Weltkrieges ging nach 13 Jahren die Ära des Fußball-Klubs Carl Zeiß Jena, der sich zu dieser Zeit offiziell immer noch mit K und ß schrieb, erst einmal zu Ende. Am 15. März 1917 wurde er in 1. Sport-Verein Jena umbenannt. Damit sei den Veränderungen Rechnung getragen worden, dass sich inzwischen innerhalb des Vereins auch andere Abteilungen entwickelt hätten.12

Im üppigen Doppelband von Udo Gräfe13 wird zudem eine etwas umständliche formulierte Passage zu diesem Thema aus der Jenaischen Zeitung vom 22. März 1917 zitiert. »Der Erste Sportverein Jena, vormals Fußballklub Carl Zeiß e.V. Jena, teilt mit, daß die Namensänderung im vollsten Einvernehmen mit der Geschäftsleitung der Firma Carl Zeiß erfolgte. Wenn durch das Zusammenstehen seiner Mitglieder diese Aenderung herbeigeführt wurde, so war für diese ausschlaggebend, daß der Name Fußballklub Carl Zeiß nicht sagte, daß der Verein auch (für) sämtliche andere Sporte wie Schwimmen, Turnen, Leichtathletik, Wintersport usw. seine Pflegestätte hatte(n)«, heißt es in dem Text. »Weiter begrenzte der Name die Ausbreitung des Vereins nach außen, da allgemein angenommen wurde, daß nur Geschäftsangehörige der Firma Carl Zeiß die Mitgliedschaft erwerben könnten, während doch schon eine größere Anzahl Außenstehende Mitglieder geworden sind. Der Verein hatte längst erkannt, daß der Sport der Allgemeinheit zugute kommen müßte und er als ältester Verein dazu berufen sei, allen Jenaern die Gelegenheit zu geben, in seinen Reihen den Sport zu pflegen.« Dies seien genug Gründe, um den Verein umzubenennen, zumal die Firma Carl Zeiss weiterhin ihre Unterstützung zugesagt habe.

Während des Ersten Weltkrieges verloren viele Vereine Mitglieder, die an die Front gerufen wurden. Das Vereinsleben sei dadurch zum Erliegen gekommen, schreiben Ronald Beyer und Gottfried Christmann.14 Beim FC Carl Zeiss sei das nicht in ganz so starkem Maße der Fall gewesen, weil die Rüstungsproduktion im Zeiss-Werk direkt vor Ort lief und so vermutlich viele in der Firma beruflich beschäftigte Mitglieder die Stadt und deren Umgebung nicht verlassen mussten.

5. GRUND

Weil der 1. SV Jena bis 1945 die nationale Elite schonte

Ein reiner Fußballverein war der 1. SV Jena nicht mehr, aber das runde Leder spielte weiter eine entscheidende Rolle, wenn auch nicht wirklich erfolgreich. Fast drei Jahrzehnte lang schonte der 1. SVJ quasi durch seine Schwäche die nationale Elite. In der Regel versagte man schon auf der Ebene Thüringens oder Mitteldeutschlands. 1917/18 reichte es aber immerhin zum Gewinn der Thüringer Meisterschaft. Sowohl in der Vorrunde als auch im Viertelfinale der Mitteldeutschen Meisterschaft zogen die Jenaer ein Freilos, ehe im Halbfinale der Hallesche FC 1896 (1:2 nach Verlängerung) das Stoppzeichen setzte.15

Nach Jahren der Tristesse, oft erreichte man nicht einmal die Spiele der regionalen Endrunde um die Mitteldeutsche Meisterschaft, wurde Jena 1925 nach einer 0:2-Niederlage gegen den VfB Leipzig mitteldeutscher Vizemeister, doch im Achtelfinale um die Deutsche Meisterschaft setzte es vor 10.000 Zuschauern beim Titelverteidiger und späteren Meister 1. FC Nürnberg eine 0:2-Niederlage.

Zehn Jahre sollte es dauern, bis Jena im inzwischen nationalsozialistischen Deutschland wieder bei Endrundenspielen um die nationale Meisterschaft mitmischte. 1935 gewann Jena die Gauliga Mitte. Das Erst-Hauptrundenspiel beim BSC Elsterberg endete 4:4 nach Verlängerung. Zum Wiederholungsspiel trat der Konkurrent offensichtlich nicht mehr an. In der 2. Hauptrunde flog Jena bei Eintracht Brauschweig (0:7) aber achtkantig raus.

1936 verteidigte der von Josef Pöttinger trainierte 1. SV Jena seinen Titel in der Gauliga Mitte. In einer der vier Endrundengruppen, von denen sich nur der Tabellenerste für das Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft qualifizierte, wurde Jena hinter dem späteren Titelträger 1. FC Nürnberg (11:1 Zähler) und Wormatia Worms (5:7) punktgleich mit den Stuttgarter Kickers (beide 4:8) nur Dritter. Bei der 1:5-Niederlage gegen Nürnberg kamen 8.000 Zuschauer in das Jenaer Stadion. Den 3:1-Erfolg gegen Worms wollten 4.000 Fans sehen. Die Heimpartie gegen die Kickers (2:0) fand vor 6.000 Besuchern in Weimar statt.

Im Verlauf der ersten »Kriegs-Meisterschaft« 1939/40 gab Jena im Sportbereich Mitte in 14 Spielen nur einen Zähler ab. Die Mannschaft von Steinnach 08 konnte wegen eines größeren Abgangs von Spielern nicht teilnehmen. Jena habe dagegen kaum personelle Verluste beklagen müssen, schreibt Hardy Grüne16 in Vom Kronprinzen bis zur Bundesliga im Rahmen des ersten Bandes seiner Enzyklopädie des Deutschen Ligafußballs. In den Endrundengruppenspielen nützt das Jena nichts. Hinter dem Dresdner SC (10:2 Punkte), dem Eimsbütteler TV (7:5) und dem VfL Osnabrück (4:8) wird Jena (3:9) Letzter der Gruppe 2. Hier zeigte sich erneut, dass der frühere Gau Mitte einfach zu schwach war. Gegen den späteren Finalisten DSC (0:2) soll Jena in Halle 4.000 Zuschauer gehabt haben. Beim 2:3 gegen Eimsbüttel seien 5.000 Fans ins heimische Stadion gekommen.

1940/41 dominiert der SV Jena ein letztes Mal den Sportbereich Mitte. Mit 26:2 Punkten wird Rang 1 aus der Vorsaison vor Dessau 05 (19:9) verteidigt. Das Halbfinale zur Deutschen Meisterschaft wird aber erneut klar verpasst. In den Partien der Endrundengruppenspiele wird Jena mit 3:5 Zählern Zweiter hinter dem Hamburger SV (7:1) und dem VfB Königsberg (2:6). Jeweils 7.000 SV-Fans wollen die Heimpartien gegen Königsberg (2:4) und Hamburg (2:2) im Ernst-Abbe-Sportfeld sehen.

Weitaus größer war die Rekordkulisse am 3. Oktober 1937, als der FC Schalke im Jenaer Stadion gastierte. 20.000 Zuschauer wollten das Freundschaftsspiel gegen den amtierenden Meister und Pokalsieger sehen. Mit dem 4:3-Erfolg des ersten deutschen Doublegewinners konnten sicher am Ende auch die Einheimischen leben. Das Jenaer Volksblatt vom 4. Oktober 1937 schreibt dazu: »Das Fußballspiel hatte … Tausende von auswärtigen Besuchern nach Jena gezogen, die zum Teil bereits in den Morgenstunden gekommen waren und sich nun in den Straßen unseres Städtchens umschauten. Bald nach Mittag begann schon der Anmarsch der Besucher ins Stadion. Über die Paradiesbrücke und die Wöllnitzer Wiesen ging er glatt von statten, vor der Schützenstraße aber stauten sich bald die Menschenmassen. Es half aber alles nichts: einer mußte hübsch nach dem anderen durch das Drehkreuz, damit die Brücke nicht überlastet wurde.«17

In der Ewigen Endrundentabelle des DFB von 1903 bis 1945 heißen die großen Fünf Schalke 04 (135:43 Punkte), 1. FC Nürnberg (110:32), Hamburger SV (79:41), Dresdner SC (75:29) und Hertha BSC (65:31). Der 1. SV Jena nimmt mit 14:32 Punkten den 33. Platz ein. Einen Rang davor ist übrigens der FC Bayern München (14:8) platziert. Der SC Erfurt, ein Vorläufer des FC Rot-Weiß Erfurt, ging mit Position 87 (2:2) in die Historie ein.

Der braune Spuk zwischen 1933 und 1945 machte auch vor dem 1. SV Jena nicht halt. Mitglieder und Dauerkartenbesitzer wie Wilhelm Thiel wurden als sogenannte »Halbjuden« aus dem Verein ausgeschlossen. Seit 1943 mussten die Einwohner Bombardierungen ertragen. Ende 1944 war angesichts der Kriegswirren überhaupt nicht mehr an Fußball zu denken. Im Abbe-Sportfeld betrieb die Wehrmacht Fliegerabwehrkanonen. Die Alliierten nahmen deshalb auch den Hauptplatz unter Beschuss, der zwei Bombentreffer abbekam. In erster Linie war aber jeder froh, der sein Leben in die Zeit nach der Stunde Null retten konnte.

6. GRUND

Weil es nach dem Zweiten Weltkrieg eine Namenslotterie gab

Man stelle sich vor, dicker Fan einer Fußballmannschaft zu sein – und diese wird überspitzt formuliert alle drei Wochen umbenannt. Das war nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR aber durchaus üblich. Und die Nachfahren des 1. SV Jena waren bei Weitem kein Einzelfall. Von Juni 1946 bis November 1954 gab es sechs verschiedene Bezeichnungen für den bis heute bedeutendsten Verein der Stadt Jena.

Die Alliierten hatten die im Dritten Reich gleichgeschalteten Vereine verboten, weil sie in ihnen Vertreter des nationalsozialistischen Systems sahen. Die alten Vereine wurden aufgelöst und die in der sowjetischen Besatzungszone enteignet. An ihrer Stelle entstanden nach und nach kommunale Sportgemeinschaften (SG).

Die Traditionslinie des 1. SV Jena setzte sich mit der im Juni 1946 gegründeten SG Ernst Abbe Jena fort, in der ehemalige Akteure des 1. SV Jena wieder zusammenspielten. Aus der SG Ernst Abbe Jena wurde im Oktober 1948 die SG Stadion Jena. Diese wiederum benannte sich im März 1949 – gerade einmal fünf Monate später – in die Betriebs-Sport-Gemeinschaft (BSG) Carl Zeiss Jena um.

Anlass war die Übernahme der Trägerschaft durch den VEB Carl Zeiss Jena, der durch die Verstaatlichung des Jenaer Zeiss-Werkes am 1. Juni 1948 entstanden war. »Der Werkleiter Dr. Schrade sicherte der BSG jegliche Hilfe zu und sagte die Finanzierung zahlreicher Vorhaben zur Verbesserung der Situation der Anlagen des Ernst-Abbe-Sportfelds zu«, heißt es in der Dissertation von Michael Kummer.18 Die SG Stadion habe darauf geschlossen ihren Beitritt zur neuen BSG Carl Zeiss Jena erklärt.

Im Januar 1951 hieß das Ding plötzlich BSG Mechanik Jena, weil nach einem Beschluss des Deutschen Sportausschusses örtliche Betriebs-Sport-Gemeinschaften einheitliche Namen der nach Gewerkschaftsbereichen gegliederten neugegründeten Sportvereinigungen tragen sollten. Gegen den Widerstand des VEB Carl Zeiss sei die BSG Carl Zeiss Jena deshalb in BSG Mechanik umgewandelt worden, schreibt Kummer.19

Die Sache hatte einen Haken. Durch die Zusammenlegung einiger Sportvereinigungen existierte die SV Mechanik schon bald nicht mehr, weil sie in die neu gegründete SV Motor Eingang fand. Das hatte auch Konsequenzen für die BSG Mechanik Jena, die bereits im Mai 1951 zur BSG Motor Jena »mutierte«. Heutzutage würden Traditionalisten oder Ultras so eine Namenslotterie sicher aufs Schärfste kritisieren und vermutlich verhindern. Damals gab es wohl keine andere Wahl und nur wenige Sympathisanten.

Unter der Bezeichnung BSG Motor Jena spielten Jenas Fußballer 1952/53 auch erstmals in der DDR-Oberliga, allerdings ging es für den Aufsteiger gleich wieder runter, weil nur der vorletzte Tabellenplatz belegt werden konnte. Aus der BSG Motor Jena wurde am 19. Mai 1954 der Sport-Club (SC) Motor Jena, der Sektionen unterschiedlicher Sportarten in sich vereinte. Auch die Fußballer fanden bis dort 1966 ihr Zuhause. Die größten Erfolge waren der FDGB-Pokalsieg 1960 nach einem Finaltriumph gegen den SC Empor Rostock (3:2 nach Verlängerung), der Einzug ins Europacup-Halbfinale 1961/62 sowie der erste DDR-Meistertitel 1963.

7. GRUND

Weil Karl Schnieke das erste Länderspiel-Tor der DDR schoss

Im Januar 2014 fand in Jena das 27. Internationale Karl-Schnieke-Turnier für U14-Mannschaften statt. Den Sieg im Elfmeterschießen holte sich die erste Formation des Gastgebers FC Carl Zeiss Jena im Finale gegen den Chemnitzer FC. Dass der Name Schniekes auch noch 40 Jahre nach dessen Tod hochgehalten wird, kommt nicht von ungefähr. Schnieke steht für die Generation von Akteuren, die in den 1950er-Jahren den Weg des Jenaer Fußballs in die DDR-Spitze ebneten.

Schnieke, Jahrgang 1919, sorgt für historische Treffer. Zum einen erzielt er am 28. September 1952 bei der 1:3-Niederlage der damaligen BSG Motor Jena bei Aktivist-Brieske-Ost das erste DDR-Oberligator des Jenaer Traditionsvereins. Er netzt zum 1:3-Ehrentreffer in der 70. Minute ein.

Noch bedeutender ist jedoch sein Debüt für die DDR-Nationalelf am 26. Oktober 1952 gegen Rumänien in Bukarest. Bei der 1:3-Niederlage bringt sein zwischenzeitlicher 1:1-Ausgleich in der 26. Minute der DDR bei ihrem zweiten internationalen Auftritt vor 50.000 Zuschauern das erste Länderspiel-Tor überhaupt. Am 21. September 1952 in Warschau war sie beim 0:3 noch ohne Treffer geblieben.

Zum Schnieke-Tor in Rumänien schreibt die Neue Fußball-Woche 1952 unter der Überschrift »DDR-Auswahl legte in Bukarest Ehre ein« dies: »Ein überraschender Langschuss des Jenaers schlug nicht haltbar für Voinescu im rechten Dreiangel ein. Viel Beifall und Freude auf der deutschen Seite. Beste Zeit der DDR-Auswahl brach nach diesem schönen Torerfolg an.«20 1954 folgen für Schnieke als Jenaer Zweitliga-Spieler noch zwei weitere Länderspieleinsätze gegen Polen (0:1) in Rostock und gegen Bulgarien (1:3) in Sofia. Da ist er bereits 35 Jahre alt.

»Er war ein typischer Spielertyp, kein Kämpfer. Er hielt die Fäden in der Hand«, sagt sein früherer Jenaer Teamkollege Helmut Müller.21 »In Ballbesitz war er sehr überlegt. Er gab seinen Mitspielern Hinweise. Er war ein ruhiger und sehr sympathischer Mensch.«22

1957 stieg Schnieke, der sich von 1952 bis 1956 das Kapitänsamt mit Karl Oehler teilte, mit Jena ein zweites Mal auf. In den im Kalenderjahr absolvierten Serien 1957 und 1958 half Schnieke mit, dass Jena in der DDR-Oberliga auf Rang 4 beziehungsweise 2 einkam. 1958 ging seine Laufbahn zu Ende. »Sobald wir die volle Besetzung haben, wird zum Beispiel Karl Schnieke in beiderseitigem Einvernehmen dem aktiven Sport ade sagen«, wird Jenas Trainer Georg Buschner in der Neuen Fußball-Woche23 am 14. Oktober 1958.

In Jena brachte es Schnieke in reifem Alter auf 68 DDR-Oberligaspiele und 22 Tore. Es folgen Trainerjahre beim SC Motor Jena, BSG Carl Zeiss und der zweiten Vertretung des FC Carl Zeiss.

In der Saison 1966/67 gehört auch kurzzeitig Nationalspieler Peter Ducke zu den Schützlingen von Schnieke. »Ich hatte von Georg Buschner die Order bekommen, mich in den Aufstiegsspielen der zweiten Mannschaft zu beweisen«, erinnert er sich.24 Ducke war nach langer Verletzungspause infolge seines Schien- und Wadenbeinbruchs bei der Nationalmannschaftsreise im Januar 1966 in Südamerika noch nicht wieder in Form gekommen. Am letzten Spieltag im Juni 1967 kämpfen im kleinen Thüringen-Derby Jena II und Rot-Weiß Erfurt II um den Aufstieg zur zweithöchsten Spielklasse. Beiden reicht ein Remis, um nach oben zu klettern. »Karl Schnieke hatte auch ein Herz für den Gegner und kein Problem, den Erfurtern ein bisschen zu helfen«, erzählt Ducke. »Wir sollten ordentlich spielen, aber uns hier und da zurückhalten. Ohne, dass man es merkt.«25

In der 88. Minute gelang Erfurt II vor 3.500 Zuschauern das rettende 1:1. Jena II mit 6:2 Punkten und Erfurt II mit 5:3 Zählern stiegen auf. Die mit Erfurt punktgleiche Mannschaft von Chemie Riesa guckte in die Röhre. »Heute würde es zwischen Erfurt und Jena sicher kein Pardon geben«, sagt Ducke.26

Bemerkenswert ist auch das Leben von Schnieke vor seiner Zeit in Jena. Der in Apolda geborene Fußballer spielte bis 1951 für die SG Apolda, Olympia Apolda und Empor Apolda. Es folgte ein kurzer Ausflug in den Westen zum Bremer SV. Das soll auch der Grund sein, warum er nicht für das erste DDR-Länderspiel gegen Polen nominiert war. Durch seine Rückkehr nach Thüringen und den Eintritt in die BSG Motor Jena hatte sich die Woge, die Schniekes kurzzeitiger Wechsel in den bundesdeutschen Profifußball mit sich brachte, aber wohl geglättet. Leider starb er am 13. Juni 1974 im Alter von nur 55 Jahren.

8. GRUND

Weil Helmut Müller sieben auf einen Streich gelangen

Heute sind es die Fans, die sich in erster Linie für den Fußball interessieren. In den 1950er-Jahren liefen sie noch unter den Bezeichnungen »sportbegeisterte Bevölkerung« oder »Schlachtenbummler«. So tituliert jedenfalls der damals noch junge Jenaer Lokalreporter Peter Palitzsch in der Neuen Fußball-Woche 27 die Besucher des »Ausspracheabends« des SC Motor Jena im bis auf den letzten Platz besetzten Jenaer »Inselhof«.

Trainer Hans Warg hält einen Rechenschaftsbericht, der positiver beinahe nicht ausfallen konnte. In der Ersten DDR-Liga hatte sich Jena mit 42:10 Punkten den 1. Platz und somit den Aufstieg in die DDR-Oberliga von 1957 gesichert. »Mit Beifall wurden von den Zuhörern noch einige statistische Angaben aufgenommen«, vermerkt Palitzsch.28 Jena sei von allen 56 Mannschaften der DDR-Oberliga, Ersten und Zweiten DDR-Liga die einzige Vertretung gewesen, die zu Hause keinen Meisterschaftspunkt abgegeben habe. 13 Siege in 13 Spielen stehen zu Buche.

Mit 89:23 Toren stellt Jena in der Ersten DDR-Liga zugleich den besten Angriff und die sicherste Abwehr. Helmut Müller wird zudem mit 26 Treffern Torschützenkönig. Den Vogel schießt Müller am 13. Mai 1956 ab, als ihm beim 11:0-Heim-Erfolg gegen die BSG Aufbau Großräschen gleich sieben Treffer auf einen Streich gelingen. Angesichts der 11.500 Zuschauer im Ernst-Abbe-Sportfeld gegen die als Vorletzter angereisten Niederlausitzer fragt man sich, ob die Leute damals wirklich nichts anderes zu tun hatten. Aber die gegen die Dorfkicker aus Großräschen kommen, bereuen es nicht. Sie sehen den höchsten Punktspielsieg des Jenaer Traditionsvereins seit Ende des Zweiten Weltkrieges, der auch noch im Jahr 2014 Bestand hat. »Völliges Debakel nach der Halbzeit«, lautet die Schlagzeile in der Neuen Fußball-Woche angesichts des 2:0-Pausenstandes. Gegen die von Verletzungen und einer zweifachen Autopanne gehandicapten Gäste »bedurfte es einer kleinen Standpauke, ehe nach dem Wechsel der Kampfgeist des Tabellenführers voll entflammte«.

Ein Hat-Trick gelingt Müller nicht, aber seine sieben Treffer zum 1:0 (17. Minute), 2:0 (36.), 4:0 (47.), 5:0 (48.), 8:0 (73.), 9:0 (79.) und 11:0-Entstand (88.) stellen auch etwas Besonderes in seiner Karriere dar. »Es war für uns kein allzu großer Gegner, aber im Männerbereich war es das einzige Mal für mich, dass mir so etwas gelungen ist. Es war das Maximum«, erinnerte sich Helmut Müller.29 Gegen Großräschen gingen die restlichen Buden auf das Konto von Gerhard Pfeiffer (3) und Walter Eglmeyer.

1956 feiert Jena einen weiteren Kantersieg. Die BSG Motor Nordhausen West wird mit 10:0 nach Hause geschickt. Das war damals standesgemäß. Fast 60 Jahre danach stehen sich Nordhausen und die erste Jenaer Mannschaft 2013/14 in der viertklassigen Regionalliga Nord wieder zu Punktspielen gegenüber. In Nordhausen endet die Begegnung nach einer 2:0-Führung des FCC 2:2. Zu Hause blamiert sich Jena mit einer 1:2-Pleite.

Helmut Müller tut sich die Heimspiele seines FC Carl Zeiss auch im Alter von 77 Jahren immer noch regelmäßig an. Man wünscht sich solche Typen wie ihn auf den Platz zurück. Müller hat seine Tore immer gemacht. In 13 Länderspielen trifft er fünfmal. 1958 wird er mit 17 Treffern Jenas erster Torschützenkönig in der DDR-Oberliga. Nach dem Pokal dafür braucht man ihn nicht zu fragen. Müller: »Es gab gar nichts, nicht mal eine Urkunde. Es wurde lediglich festgestellt, dass ich der beste Torschütze bin. Es herrschten andere Zeiten. Da ist vieles untergegangen.«30

Das trifft seinerzeit auch auf Müller zu, den Trainer Georg Buschner ab der zweiten Halbserie 1966/67 wohl viel zu früh im Alter von 29 Jahren in die zweite Mannschaft abschiebt, wo er noch fünf Jahre aktiv ist.

Müllers Erfolge sprechen insgesamt für sich: Pokalsieger 1960, Europacup-Halbfinalist 1962 und DDR-Meister 1963. In 231 DDR-Oberligaspielen trifft er 82-mal. »Helmut Müller war eine gestandene Person. So wie mein Bruder Roland. Helmut war ein Stürmerkollege, er war im WM-System Halb- und ich Mittelstürmer«, erinnert sich Peter Ducke.31 »Er besaß eine glänzende Technik und einen gewaltigen Schuss, auch aus der Distanz.«

2. KAPITEL

EINE STADT – EIN VEREIN

9. GRUND

Weil der Verein die Stadtfarben hochhält

Liebe Leser, Sie müssen sich jetzt vorstellen, dass ich singe: »Ja, wir sind blau. / Und haben kein Geld. / Und reisen trotzdem durch die Welt. / Mit unserem FC Carl Zeiss Jena. / Mit unserem super FCC …« Beispielsweise derart schönes Liedgut wurde in den 1980er-Jahren bei Spielen des FC Carl Zeiss Jena auch von mir sehr gern zum Besten gegeben. Im Fangesang spiegelten sich natürlich auch die Farben der Stadt Jena und des FC Carl Zeiss wider. »Die Farben Blau-Gelb-Weiß haben ihren Ursprung im Wappen von Jena. Dieses zeigt einen in Silber-Blau gekleideten Engel mit langen goldenen Haaren sowie goldenen Harnisch, Helm und Flügel«, sagt Jenas Stadtchronist Jürgen Jache.32

Der FC Carl Zeiss Jena nahm diese Farbkombination schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf. »Zu den Verbandsspielen ab dem 1. September 1906 trat der FC Carl Zeiss in neuer Spielkleidung an: marineblau mit einem Wappen auf der linken Brustseite in den Farben Blau-Gold-Weiß«, heißt es im 1995 erschienenen Buch Blau Gelb Weiss, Die Geschichte des FC Carl Zeiss Jena. »Farbige Spielermützen oder Schärpen in der Kinderzeit des Fußballs gehörten endgültig der Vergangenheit an.«33

Mit der Umbenennung in 1. SV Jena 1917 ging die Farbkombination erst einmal im Vereinsemblem verloren, allerdings ist sie wohl nicht nur in den Köpfen einiger Sympathisanten hängen geblieben. Davon zeugt das Farbenlied, das aus dem Jahr 1922 stammt und vom damaligen Vereinsmitglied und Studenten Alfred Wuttke nach der Melodie von Burschen heraus verfasst wurde. In ihm heißt es beispielsweise: »Blau, Gold und Weiß! / Diese Farben ich immer preis, / ob der hellste Sonnenschein / lacht dem ersten Sportverein, / ob ein Wetter ihn umdräu’, / diesen Farben bleib ich treu! / Blau, Gold und Weiß!«34

1966 bei der Neugründung als FC Carl Zeiss Jena kamen die Stadtfarben Blau-Gelb-Weiß wieder offiziell ins Spiel. »In Würdigung der engen Verbundenheit zwischen der sportfreudigen Bevölkerung der Zeiss- und Universitätsstadt Jena und dem Fußball-Club Carl Zeiss Jena werden als Club-Farben die der Stadt Jena, blau-gelb-weiß, gewählt«, hieß es in der Rede des Geraer DTSB-Bezirksvorstandsvorsitzenden Berger in der Gründungsversammlung des FC Carl Zeiss Jena am 20. Januar 1966 im großen Saal des Jenaer Volkshauses.35

Laut Jenas Pressesprecher Andreas Trautmann ist die Farbkombination in Deutschland einmalig. Auf jeden Fall vermittelt sie wie ein Beachvolleyball Urlaubsfeeling: blau wie der Himmel, gelb wie Sonne und weiß wie der Strand. Eigentlich fehlt hier nur noch ein Schuss Kernberge …

10. GRUND

Weil der Klub schon zu Lebzeiten im Paradies zu Hause ist

»Im Paradies zu Hause« – Mit diesen Slogan kann nicht jeder Verein werben, der FC Carl Zeiss Jena schon. Als Paradies wird ein landschaftlich sehr grünes Gebiet bezeichnet, das zusammen mit der Rasenmühleninsel und der Oberaue den Volkspark Oberaue bildet. Der trägt als einziger Thüringer Park die Bezeichnung »Volkspark«. »Bis in die 1970er-Jahre gab es dort auch einen kleinen Tierpark«, erinnert sich Jenas Mannschaftsleiter Uwe Dern.36

Das Ernst-Abbe-Sportfeld, die Spielstätte des FC Carl Zeiss, ist in das Paradies eingebettet. »Von der Adresse her hieß es zwar Oberaue 3, ehe der Stadionumlauf am 13. Mai 2014 in Roland-Ducke-Weg umbenannt wurde, aber das gesamte Gebiet und der Park ist in der Sprache des Jenensers das Paradies. Da sagt keiner Oberaue oder Rasenmühleninsel«, meint Jenas Pressesprecher Andreas Trautmann.37

Auf Nachfrage beim Stadtchronisten Jürgen Jache gab es diese Antwort: »Die vor den Toren der Stadt Jena gelegene grüne Aue wurde schon frühzeitig ›Paradies‹ genannt. Da bis Mitte des vorigen Jahrhunderts die Berge um Jena kahl gewesen sind, muss diese Oase schon immer wie ein Paradies auf die Einwohner der Stadt gewirkt haben«, berichtet Jache.38 »Genaueres ist leider nicht bekannt. Mit Beginn der Industrialisierung ab circa 1860 wurde es dann von der rasch wachsenden Stadt aufgesogen.«

Zur Entstehung des Begriffes und der Landschaft »Paradies«, die schon seit dem Mittelalter bestehen soll, gibt es verschiedene Legenden.

Eine übertrug Trautmann so: »Das von der Saale durchzogene Gebiet lag lange Zeit außerhalb der Stadtgrenzen. Weil das so paradiesisch war, hieß es im Volksmund, dass man ins Paradies gehen würde. Ich wurde damit groß, schon allein wegen des Paradies-Bahnhofes. Den kennt jeder Jenenser«, erklärt Trautmann.39 Seit 1880 war Jenas Paradies Haltepunkt für Züge. Seit 1999 stoppen hier ICE-Züge zwischen Berlin und München. im Vorbeifahren kann man heute die Rückseite der Haupttribüne des Abbe-Sportfeldes bestaunen und vom Bahnhof gemütlich zum Epizentrum des FCC spazieren. Der Weg ist wesentlich kürzer als dies früher vom Saalbahnhof der Fall war.

Mit der Begrifflichkeit »Im Paradies zu Hause« hantiert der FC Carl Zeiss seit Mitte der 2000er-Jahre. »Mit dem Aufstieg in die Zweite Bundesliga im Sommer 2006 haben wir uns darüber Gedanken gemacht, weil der Verein wieder eine überregionale Plattform bekam. Das Fernsehen wollte ja auch Informationen haben«, erinnert sich Trautmann.40 »Da gab es im Prinzip drei Dinge: die höchsten Flutlichtmasten Europas – das haben wir damals behauptet, und am Ende waren sie es sogar tatsächlich –, die einmalige Farbkombination Blau-Gelb-Weiß, die ihresgleichen sucht, und dass wir im Paradies zu Hause sind. Das haben wir dann in der Kommunikation sehr stringent verwendet.«

Das »paradiesische« Alleinstellungsmerkmal findet sich seitdem beispielsweise auf der Homepage des Vereins, auf Pressemeldungen, Eintrittskarten, Akkreditierungen, Interviewrückwänden und im Presseraum auf der Sponsorenwand wieder. Auf Parkscheinen für das EAS steht seit Jahren »So kommen sie ganz sicher ins Paradies« beziehungsweise »Ihr Parkplatz im Paradies!«.

2008 trug die Mannschaft auf Einlauf-Trikots den Schriftzug »Wir sind im Paradies zu Hause«. Im selben Jahr hatte der Verein mal wieder große finanzielle Schwierigkeiten. »Wir haben mit der Kampagne ›Im Paradies ist noch Platz‹ Sponsoren geworben«, berichtet Trautmann. »Das taten wir auch auf dem Trikot – als Platzhalter für die Kampagne.«

Als der oft als die »Roten Teufel« titulierte 1. FC Kaiserslautern vor einigen Jahren in Jena spielte, kündigte der Verein die Partie mit dem Spruch »Für die Teufel muss das Paradies die Hölle sein« an. Immerhin: Sowohl das Zweitligamatch im Mai 2008 (2:2) als auch das DFB-Pokalspiel im August 2008 (2:1) verlor Jena daheim nicht.

Jenas Kultmannschaftsleiter Uwe Dern mag den Begriff »Im Paradies zu Hause« übrigens gar nicht. »Das hört sich an, als ob wir wie die Made im Speck oder im Schlaraffenland leben«, meinte Dern. Recht hat er, der Uwe, obwohl zu bestimmten Zeiten auch das Gegenteil der Wahrheit entsprach.

Aufhalten lässt sich das mit dem Paradies aber wohl nicht mehr. »Wir versuchen, das immer wiederzuverwenden. Mittlerweile machen das auch sehr viele in der Stadt«, berichtet Trautmann. »Es gibt ein Schnitzel-Paradies. Jena gilt als Studenten-Paradies. Man findet unheimlich viele Paradiese in Jena.« Es wird Zeit, dass auch hinsichtlich der sportlichen Entwicklung des FC Carl Zeiss wieder mal von paradiesischen Zuständen die Rede sein kann …

11. GRUND

Weil der Verein Carl Zeiß und Ernst Abbe alle Ehre macht

Sie trugen nie ein blau-gelb-weißes Trikot. Auf ihr Konto ging kein einziges Tor. Man sah sie nie im Stadion, und doch gehören Carl Zeiß und Ernst Abbe seit Jahrzehnten praktisch schon immer zu den »Stars« der Stadt Jena und deren Traditionsclub. Nach Carl Zeiß (1816–1888) wurde der Verein benannt. So hieß er von 1903 bis 1917 und wieder seit 1966. Seit dem 26. August 1939 trägt das 15 Jahre zuvor am 24. August 1924 eingeweihte Stadion des 1. SV Jena als Sportfeld den Namen von Ernst Abbe (1840–1905).

Damit sind Zeiß und Abbe quasi wie zu Lebzeiten miteinander verzahnt. Ihre gemeinsame Firmengeschichte41 liest sich zunächst wie ein Märchen mit Happy End. Zeiß gründete im November 1846 eine optische Werkstatt in Jena. 1866 begann die Zusammenarbeit mit dem in Jena als Privatdozent wirkenden Physiker Abbe. Ab 1872 sollen die von Zeiß und Abbe auf rechnerischer Grundlage entwickelten Produkte, beispielsweise Mikroskopobjektive, konkurrenzlos gewesen sein. Auch deswegen stieg Abbe Mitte der 1870er-Jahre zum Teilhaber der Zeiss-Werkstätten auf. Zeiß bestimmte zudem schon zu seinen Lebzeiten Abbe zu seinem Nachfolger in der Unternehmensleitung.

1876 feierte ihre Firma die Fertigstellung des 3.000. Mikroskops. Aus der Ein-Mann-Werkstatt von 1846 war inzwischen eine 60 Mitarbeiter starke Belegschaft geworden. Abbe trieb die Modernisierung und Vergrößerung des Betriebes weiter voran.

Auch die Produktion von geeignetem optischem Glas löste Abbe praktisch so, dass man nicht mehr von qualitativ unzureichenden Zulieferern abhängig war. 1879 entwickelte sich aus dem Kontakt mit dem Chemiker und Glasfachmann Otto Schott (1851–1935) eine Geschäftsbeziehung. Schott zog 1882 nach Jena, wo er ein glastechnisches Labor aufbaute. Daraus sollte später das Jenaer Glaswerk Schott & Genossen entstehen, an dem Abbe sowie Zeiß und dessen Sohn Roderich beteiligt waren.

1888 nach dem Tod von Carl Zeiß und dem Ankauf von Anteilen seiner Nachfahren wurde Abbe einziger Chef des Unternehmens. Am 19. Mai 1889 gründete Abbe die Carl-Zeiss-Stiftung, um den Erhalt der Unternehmen Carl Zeiss und Schott losgelöst von Eigentümerinteressen zu bewahren. 1891 machte Abbe die Stiftung zur Alleineigentümerin der Zeiss-Werke und zur Miteigentümerin von Schott, der seine Anteile 1919 ebenfalls der Stiftung übertrug. Beim Ableben Abbes 1905 hatte die Firma Carl Zeiss rund 1.400 Mitarbeiter.

Insofern bewahrt der FCC mit seinem Namen und seiner Spielstätte das Andenken an zwei der berühmtesten Väter der Stadt. Er macht Abbe und Zeiß alle Ehre, die zu Lebzeiten auch in sozialpolitischer Hinsicht zu Vorreitern der modernen Sozialgesetzgebung gehörten.

1939 ging das Stadion anlässlich des 50. Gründungstages der Carl-Zeiss-Stiftung in Stiftungseigentum über. Am 26. August 1939 erfolgte bei einem Betriebsappell der Stiftungsbetriebe Zeiss und Schott die Umbenennung des Areals in Ernst-Abbe-Sportfeld. Anwesend waren auch zwei Töchter Ernst Abbes.42

Der Zweite Weltkrieg brachte gravierende Einschnitte für die Firma Carl Zeiss Jena und die gleichnamige Stiftung mit sich. Die Rüstungsproduktion rückte zunehmend in den Vordergrund. »Flugzeuge, U-Boote, Panzer und Geschütze der deutschen Wehrmacht waren mit Zeiss-Geräten ausgerüstet«43, heißt es in der Unternehmensgeschichte auf der Homepage von Zeiss Oberkochen.

Die Siegermächte hielten sich schadlos an der Firma, der sie Kriegsverbrechen vorwarfen. Zwischen April und Juni 1945 nahmen die Amerikaner Patente, Konstruktionsunterlagen und Produktionseinrichtungen an sich und nutzen diese fortan in Heidenheim an der Brenz. Dorthin entführten sie auch 84 Manager und Wissenschaftler. In den Jahren 1946 und 1947 spielten die Sowjets ein ähnliches Spiel. Sie demontierten Produktionsstrecken und verschleppten ebenfalls viele Fachkräfte.

Die Heidenheimer Zeiss-Gruppe gründete am 4. Oktober 1946 die Opton Optische Werke Oberkochen GmbH, aus der im Januar 1947 die Zeiss-Opton Optische Werke Oberkochen GmbH wurde.44 In Jena begann der Wiederaufbau der Fertigungsstätten im Sommer 1947. Der VEB Carl Zeiss Jena im Osten und die Firma Carl Zeiss Oberkochen im Westen wurden ab 1954 zunehmend zu Konkurrenten. Erst 1971 konnten sich die beiden Nachfolgefirmen in London auf eine Aufteilung des Weltmarkts verständigen.45

Auch um die Carl-Zeiss-Stiftung wurde gestritten. Die Oberkochener behaupteten Ende der 1940er-Jahre, dass die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena nicht mehr existiere. Sie setzten sich dafür ein, in Württemberg die Carl-Zeiss-Stiftung alter Prägung aufleben zu lassen. Die Regierung Württembergs folgte der Argumentation und verfügte am 23. Februar 1949, dass der Rechtssitz der Stiftung Heidenheim sei.46

Das Ernst-Abbe-Sportfeld war bis 1991 in Besitz der Zeiss-Stiftung im Osten, ehe das Stadionareal für einen symbolischen Preis an die Stadt Jena überging. Nach der Wende wurde der VEB Carl Zeiss Jena, der den FC Carl Zeiss jahrzehntelang als Trägerbetrieb unterstützt hatte, in die Firmen Jenoptik GmbH und Carl Zeiss GmbH gespalten. Beides sind heute Aktiengesellschaften. 1992 wurde in Jena aus Teilen der Carl-Zeiss-Stiftung die Ernst-Abbe-Stiftung, die vor allem der Wissenschaft verpflichtet ist.

Die deutsche Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg und das Verschmelzen Deutschlands nach 1989 spiegeln sich auch in der verzwickten Firmengeschichte des Unternehmens Carl Zeiss wider. Der gleichnamige Fußball-Club hat die Wirren überlebt, auch wenn die Zeit der großen finanziellen Unterstützung durch die Nachfolgefirmen des VEB lange vorbei ist.

12. GRUND

Weil man sich bei langweiligen Heimspielen an den Kernbergen erfreuen kann

Ich kannte die Kernberge schon, bevor ich Jenas beeindruckende Erhebung Ostern 1986 beim Spiel zwischen dem FC Carl Zeiss und dem 1. FC Union Berlin (0:0) erstmals mit den eigenen Augen sah. In meinem Taschenradio der Marke Cora kamen die Kernberge während der DDR-Oberligakonferenzschaltung immer wieder vor. Reporter wie Klaus-Jürgen Alde, Werner Eberhardt, Wolfgang Hempel, Herbert Küttner, Heinz Florian Oertel, Heinz-Günter Otto, Helmut Schulze, Thomas Schwarz oder Waldefried Vorkefeld hatten sich bei ihren Livereportagen im Rahmen der DDR-Oberligakonferenzschaltung scheinbar abgesprochen. Ihre Einblendungen begannen häufig ungefähr mit diesen Worten: »Hier im Ernst-Abbe-Sportfeld am Fuße der malerisch gelegenen Kernberge …«

Doch bevor sie das Zwischenergebnis nannten oder entscheidende Spielszenen schildern konnten, mussten sie wegen eines Treffers bei anderen Begegnungen an Kollegen in Aue, Magdeburg oder Dresden abgeben. In Zeiten ohne Internet oder Videotext durfte ich dann bis zur nächsten Schalte nach Jena warten, um etwas Neues über den FCC zu erfahren. Ich habe die Kernberge dann schon mal verflucht, weil ihre Schönheit die Reporter vom reinen Sport abzulenken schien.

Als über 250 Kilometer entfernt lebender Jena-Sympathisant lernte ich dann jedoch im Laufe der Jahrzehnte, den Blick auf die Kernberge zu schätzen. Wenn es auf dem Rasen nicht so läuft, kann man sich an ihnen erfreuen, egal, ob sie im Sonnenschein glänzen oder im Nebel verschwinden. Den Tipp erhielt ich von Peter Poser, dem langjährigen Haus- und Hoffotografen des FC Carl Zeiss.

Die ganze große Zeit der Ost-Thüringer in den 1960er- und 1970er-Jahren konnte ich wegen der Ungnade meiner späten Geburt im November 1970 leider nicht miterleben. Ich habe Peter Ducke nie ein Tor schießen sehen. Vom letzten nationalen Titel 1980 erfuhr ich als neunjähriger Knirps zeitversetzt aus der Neuen Fußball-Woche.

Die Kernberge sind dagegen eine der wenigen Konstanten in Jenas Fußball. Sie waren schon da, als der Fußball in Jena noch in den Kinderschuhen steckte, als die Sportanlage zu ihren Füßen 1939 den Namen Ernst-Abbe-Sportfeld erhielt, als unter Georg Buschner drei Meisterschaften gewonnen wurden, als der FCC und sein namentlicher Vorläufer SC Motor Jena halb Europa das Fürchten lehrten. Ich kann nur hoffen, dass die Berge bei mancher Pleite und den dramatischen sportlichen Tiefen des Vereins zu Beginn der 2000er und 2010er-Jahre ein Auge zugedrückt haben.