14 Monate Sommer - Antje Paulus - E-Book

14 Monate Sommer E-Book

Antje Paulus

4,8

Beschreibung

Von vielen Menschen wird er geträumt, der Traum vom Ausstieg auf Zeit. Einmal im Leben etwas Außergewöhnliches, Waghalsiges unternehmen - eine Auszeit nehmen, den Konventionen und Zwängen des Alltags für eine geraume Zeit Lebewohl sagen. Antje und Ingo Paulus wollen es nicht beim Träumen belassen. Es soll fort gehen, fort von Bremen, hinaus in die Welt. Mit ihrer Segelyacht "AMAZONE" überqueren sie zweimal den Atlantik und legen 12.000 Seemeilen selbstbestimmt und eigenverantwortlich zurück. Im Einklang mit Wind und Wellen nehmen sie die Herausforderungen an. Dabei entgehen sie bei der Kollision mit einem Pottwal nur knapp einer Katastrophe. Offen und humorvoll beschreiben die Autoren Antje und Ingo Paulus das Leben unter Segeln und an fernen Küsten. Dabei nehmen sie die Leserinnen und Leser mit auf die Reise durch einen einzigartigen, 14 Monate langen Sommer. Mehr unter: www.unsereauszeit.de Presse-Rezension vom Weser-Kurier: "Das Buch "14 Monate Sommer" ist ein sehr persönlicher, unterhaltsamer Bericht über das große Abenteuer, das wir viel zu lange vor uns herschieben. Auf jeder Seite ist die Begeisterung zu spüren, mit der Antje und Ingo Paulus ihren Traum verwirklicht haben. Um das Buch zu lesen, muss man nicht unbedingt Segelsportler sein. Viele Tipps und Anregungen der beiden sind in keinem Reiseführer zu finden. Passionierte Segelsportler und Neugierige erfahren im Anhang viele technische Details - und vielleicht auch den letzten Anstoß, um aufzubrechen."

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Das Schiff

Das eilende Schiff, es kommt durch die Wogen Wie Sturmwind geflogen;

Voll Jubel ertönt’s vom Mast und vom Kiele;

„Wir nahen dem Ziele!“

Der Fährmann am Steuer spricht traurig und leise:

„Wir segeln im Kreise.“

Marie von Ebner-Eschenbach

www.unsereauszeit.de

INHALT

Vorwort

1 Vorbereitungen treffen - dann heißt es endlich „Leinen los!“

2 Helgoland und die erste Gastlandflagge wird gesetzt

I Erster Zwischenruf unserer „Amazone“

3 Belgien und Frankreich

4 Abstecher nach Guernsey und zurück nach Frankreich

5 Biskayaüberquerung, spanische und portugiesische Küste

II Zweiter Zwischenruf unserer „Amazone“

6 Überfahrt nach Porto Santo und Aufenthalt auf Madeira

III Dritter Zwischenruf unserer „Amazone“

7 Überfahrt nach La Graciosa

8 100-Tage-Bilanz

9 Schöne Zeit auf den Kanaren

10 Überfahrt von Teneriffa zu den Kapverden

IV Vierter Zwischenruf unserer „Amazone“

11 Zwischenstopp auf den Kapverden

12 Atlantiküberquerung Ost –West

V Fünfter Zwischenruf unserer „Amazone“

13 Die Kleinen Antillen

A Zwischenruf unserer „ Kleinen Gummiwurst”

14 In den wunderschönen British Virgin Islands

VI Sechster Zwischenruf unserer „Amazone“

15 Abschied von der Karibik und Zwischenstopp auf Bermuda

16 Atlantiküberquerung über die Azoren

17 Isles of Scilly bis Dünkirchen

VII Siebter Zwischenruf unserer „Amazone“

18 Dünkirchen bis Bremerhaven

VIII Letzter Zwischenruf unserer „Amazone“

19 Was danach geschah - 100 Tage zurück an Land

20 Unser Boot und die Ausrüstung

21 Die Autoren

Für Henning und Malte.

Auch für euch war unsere Reise ein Abenteuer.

Ihr habt es mit Bravour gemeistert.

Danke für eure Unterstützung!

VORWORT

„Segeln ist für uns nicht nur ein Sport, sondern eine Lebenseinstellung.“ Diesen Satz habe ich in einem Radio-Interview gesagt, das am Tag unseres Aufbruchs in das große Abenteuer gesendet wurde. Auch von einem Traum habe ich dort erzählt, von einem Lebenstraum, den wohl jeder hat und der für so viele Menschen immer ein Traum bleibt und nie verwirklicht wird. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die Menschen und ihre Lebenswege. Sich bewusst zu machen, dass das Leben nur einmal stattfindet, es am Ende nicht heißen wird „Geh zurück auf Los, versuche es noch einmal, mach es besser als beim ersten Mal“, sich darüber im Klaren zu sein, dass das Schicksal von einer Sekunde zur nächsten alles auf den Kopf stellen oder gar beenden kann - das war für uns der erste Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung unseres Traumes.

Es gehört eine ganze Menge Mut und Energie dazu, sich aufzuraffen, die Komfortzone, in der wir leben, zu verlassen und sich auf das Unbekannte einzulassen. Loszulassen, Familie, Freunde, den angestammten Arbeitsplatz hinter uns zu lassen und nicht genau zu wissen, was auf uns zukommt und wie wir damit fertig werden, das war die Hürde, die zuerst genommen werden musste. Wir wussten nicht, wie es sich anfühlt, auf 5.000 Meter tiefem Wasser zu segeln, 14 Monate lang auf 10 Quadratmetern zusammenzuleben, Wind und Wetter ausgesetzt, von Schlafmangel geplagt. Aber wir wussten, dass wir es nie erfahren würden, wenn wir nicht lossegeln. Die Neugier auf dieses andere Leben, auf fremde Menschen und Kulturen, die Sehnsucht nach der scheinbar unendlichen Weite der See war um so vieles größer als unsere Vorbehalte. So stand für uns fest, dass wir diese Reise unbedingt machen wollen, und zwar nicht eines fernen Tages, sondern so bald wie möglich. Im August 2013 haben wir uns entschieden, im Juni 2014 aufzubrechen. Für die vielfältigen Vorbereitungen hatten wir also nur zehn Monate Zeit, da mussten wir uns sputen.

Sich den Hausforderungen stellen, optimistisch in die Zukunft blicken und auf die eigenen Fähigkeiten vertrauen – wirf die Leinen los, lass uns segeln gehen!

Antje Paulus

1.

VORBEREITUNGEN TREFFEN – DANN HEIßT ES ENDLICH „LEINEN LOS!“

Mit Anfang 20 lernten Ingo und ich uns auf einer Party in einem Segelverein an der Weser kennen. Schon bald stellten wir fest, dass es für uns nichts Schöneres gibt, als gemeinsam mit einem Segelboot unterwegs zu sein. In jedem Jahr war nach dem mehrwöchigen Urlaubstörn für uns klar, dass wir eigentlich gerne noch länger unterwegs gewesen wären. Wir träumten von dem ganz großen Törn, zu dem wir eines Tages aufbrechen würden. Zunächst musste dieser Traum aber noch hinten anstehen, es gab noch Wichtigeres in unserem Leben. Wir wollten eine Familie gründen, ein Haus bauen, beruflich vorankommen. Wir haben dabei aber den Traum nie aus den Augen verloren, ganz im Gegenteil. So hatten wir die Idee, unsere Familienplanung mit 30 abzuschließen, damit unsere Kinder etwa 20 Jahre alt sein würden, wenn wir dann mit 50 Jahren die Leinen für eine lange Reise loswerfen würden. Und tatsächlich wurden wir mit Ende 20 Eltern von zwei Söhnen. Ein Haus wurde gebaut, beruflich ging es voran, die Kinder wuchsen heran. Wenn unser Jüngster seine Ausbildung abgeschlossen haben würde, wollten wir 2015 lossegeln. Ein Atlantik-Rundkurs sollte es sein, 14 Monate dauern, von Bremerhaven über die Kanaren und Kapverden in die Karibik und über die Bermudas und die Azoren zurück nach Bremerhaven führen.

Verschiedene Erlebnisse und Überlegungen ließen uns im August 2013 den Entschluss fassen, bereits im Juni 2014 ins Abenteuer zu starten. Nur etwa zehn Monate blieben uns bis zur Abreise, eine ganze Menge musste bis dahin erledigt werden. Eines stand aber schon lange fest: Wir würden die Reise mit unserer „Amazone“ unternehmen. Seit 2004 gehört sie zur Familie, eine Hanseat 70, Baujahr 1971 und eine äußerst solide, seegängige 35-Fuß-Yacht. 10,50 m lang, 3,20 m breit, 1,65 m Tiefgang und 6 Tonnen schwer. Kein leichtes Mädchen, sondern eine tapfere und treue Begleiterin.

Zunächst erstellten wir eine To-Do-Liste und arbeiteten diese Schritt für Schritt ab:

ToDo

Status

„Machbarkeitsstudie“

Entschluss fassen, wir machen es

Familie informieren

Arbeitgeber informieren

Freunde und Bekannte informieren

läuft

Blog einrichten

Neue Reisepässe

Online banking/Kontovollmachten erteilen

läuft

Krankenkasse klären

Auslandskrankenkasse

läuft

Arbeitnehmerkammer

Arbeitsamt

Kündigungszeit für Ingo klären

Bootshaftpflichtversicherung

läuft

Bootskaskoversicherung

läuft

Detail-Kostenplan mit Budgetierung für Kinder, Haus, Boot und Reise

Ausrüstungscheck

Segelmachertermin

Hausarzttermin (Impfungen)

Zahnarzttermin

Edelstahl-Fachmann beauftragen

läuft

Sperrmüllanmeldung

Abos kündigen

läuft

Flohmarktanmeldung bei der

BoatFit

in Bremen

Erste Hilfe Kurs für Langfahrtsegler

Grobe Routenplanung

Seekarten und Revierführer

läuft

Abschieds-/Geburtstagsfeier ( 2 x 50 )

läuft

Ein heikler Punkt war „Arbeitgeber informieren“. Für mich als Beschäftigte im öffentlichen Dienst war es ein vergleichsweise leichtes Unterfangen, einen Antrag auf Beurlaubung aus privaten Gründen unter Wegfall der Bezüge zu stellen. Dies ist im Tarifvertrag geregelt und die Genehmigung ließ nicht lange auf sich warten. Bei Ingo sah es da als Angestellter in der privaten Wirtschaft ganz anders aus. Eine Beurlaubung kam für die Firma nicht in Frage, er musste nach 22-jähriger Betriebszugehörigkeit kündigen. Rückkehr nicht ausgeschlossen, aber ungewiss. Das war eine schwere, mutige Entscheidung. Dass Ingo sie getroffen hat, verdient meinen allergrößten Respekt.

War es einfach, für Ingo und mich eine Auslandskrankenversicherung abzuschließen und die deutsche Krankenversicherung ruhen zu lassen, war es dagegen nicht so einfach, den Kaskoversicherungsschutz für die „Amazone“ für das geplante erweiterte Fahrtgebiet zu bekommen. Mit einem 43 Jahre alten Boot in die Karibik segeln? Da hielt es die Versicherungsgesellschaft für ratsam, die „Amazone“ vor Vertragserweiterung durch einen Sachverständigen auf Herz und Nieren prüfen zu lassen. Viele Stunden hat er unseren Schatz unter die Lupe genommen, ist in die hintersten Winkel gekrochen und hat mit seiner Taschenlampe die Erleuchtung gesucht. Auch den Mast hat er in Augenschein genommen. Es ist noch der erste Mast, genauso alt und solide wie das Boot. Die Wanten und Stage hatten wir allerdings vor einem Jahr erneuert und konnten dies auch durch entsprechende Belege nachweisen. Letztlich hat die „Amazone“ durch ihre solide Bauweise und ihren sehr guten Allgemeinzustand überzeugt, so dass wir den erweiterten Versicherungsschutz ohne Probleme bekamen.

Bis zur Abreise wurden alle Punkte der To-Do-Liste abgearbeitet. Nur ein paar Kleinigkeiten waren noch am Boot zu montieren, das konnte auch unterwegs erledigt werden und stand einer pünktlichen Abreise nicht im Wege.

Wind und Wetter führen bei unserer Reise die Regie. Damit wir möglichst immer zur rechten Zeit am rechten Ort sind, also mit günstigen Wetterbedingungen rechnen können, gibt es einige zeitliche Eckpunkte zu beachten.

Nach dem Studieren einschlägiger Literatur haben wir mögliche Zeitfenster ermittelt, wann wir wo sein sollten:

Monat

Plan A

Plan B

Jun. 2014

Nordsee – Schottland – Kaledonischer Kanal

Nordsee – Ems – Holländische Kanäle (Staande Mastroute)

Jul. 2014

Irische See

Englischer Kanal

Aug. 2014

Spanien - Portugal

Spanien - Portugal

Sep. 2014

Madeira

Mauretanien

Okt. 2014

Kanarische Inseln

Kanarische Inseln

Nov. 2014

Kanarische Inseln

Kapverdische Inseln

Dez. 2014

Atlantiküberquerung

Kapverdische Inseln

Jan. 2015

Barbados

Atlantiküberquerung

Feb. 2015

Weitere karibische Inseln

Tobago

März 2015

Weitere karibische Inseln

Weitere karibische Inseln

Apr. 2015

Weitere karibische Inseln

Weitere karibische Inseln

Mai 2015

Bermudas

Azoren

Jun. 2015

Azoren

Azoren

Jul. 2015

Südwest-England

Frankreich

Aug. 2015

Nordsee

Nordsee

Beim letzten Impftermin fragt mich unser Hausarzt, ob wir uns auf die Reise freuen oder uns schon fragen „Mein Gott, was haben wir getan?“ Da kann ich ihn beruhigen. Unsere Vorfreude ist riesig, wir haben überhaupt keinen Zweifel, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Trotzdem ist meine Gefühlslage diffus. Nach jahrzehntelangem Träumen und Monaten voller anstrengender Vorbereitungen und harter Entscheidungen steht der Abschied kurz bevor. Abschied vom bekannten, gewohnten und schönen Leben, Abschied von unseren Kindern, der Familie. Aufbruchstimmung und Abschiedsschmerz ergeben eine nie gekannte emotionale Mischung. Wir segeln vor nichts davon, sondern in etwas hinein - in Freiheit und Abenteuer. 14 Monate ohne Chefs und Termine, selbstbestimmt, nur dem Wetter unterworfen, ein Leben im Einklang mit der Natur, unter freiem Himmel mit Sonne, Wind und Wellen - kann es etwas Herrlicheres geben?

Ein letztes Mal sitze ich am Abend vor der Abreise auf unserer Terrasse und lausche dem Rufen der Eule, die sich seit einiger Zeit im nahegelegenen Park niedergelassen hat. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Ein letztes Mal schlafen wir in einem bequemen, großen Doppelbett und duschen am Morgen im eigenen Badezimmer, ohne Duschmarken und Zuschauer. Anschließend fährt Ingo zum letzten Mal zu unserem Lieblings-Supermarkt zum Einkaufen und sein Schutzengel muss verdammt gut auf ihn aufpassen: Es kommt mit einem Geisterfahrer zu einer Beinahe-Kollision. Ein älterer Herr hat mit seinem Auto die Orientierung verloren und ist in den Gegenverkehr geraten. Ein aufregender Start in den Tag!

Gegen Mittag des 6. Juni 2014 laden wir alles, was noch mit muss, ins Auto. Wir schließen die Haustür hinter uns ab und machen uns mit klopfenden Herzen auf den Weg zur „Amazone“ nach Bremerhaven. Am späten Nachmittag wollen wir ablegen. Die letzten Taschen und Lebensmittel kommen bei strahlendem Sonnenschein an Bord, alles wird verstaut. Auch unser emotionales Rettungspaket - unser „Heimwehkarton“ - ist dabei. Er enthält u. a. Marmeladen- und Honiggläser. Die Marmeladen sind selbstgemacht und ein Geschenk eines befreundeten Kollegen, Marmelade von einer Bremer Parzelle. Eine Ansichtskarte mit Bremer Sehenswürdigkeiten und eine Dose Beck's Bier, die wir auf unserer Geburtstags- und Abschiedsparty bekommen haben, liegen auch in dem Karton.

Nach und nach finden sich Segelfreunde, Kolleginnen und Kollegen, Freunde und Verwandte ein, um uns beim Ablegen zuzuwinken. Auf der „Amazone“ und dem Steg wird es ziemlich eng. Dann ist es soweit - der Besuch geht von Bord. Ingo startet die Maschine, ich löse die Vorleinen. Unter dem Jubel der vielen Gäste, die uns fröhlich zuwinken und eine gute Reise wünschen, gleiten wir aus der Box, in die wir erst in 14 Monaten wieder hineinfahren werden. Als wir später aus der Schleuse herausfahren, sehen wir, dass sich auch auf der Mole viele Freunde eingefunden haben. Wir setzen die Segel, vom Land weht lautes Hupen herüber, auf einem Schifferklavier wird „Muss i denn“ gespielt. Ich habe eine Gänsehaut und einen dicken Kloß im Hals. Wir setzen die Segel, winken ein letztes Mal und fahren auf die Weser hinaus, in einen wundervollen Sonnenuntergang und das große Abenteuer hinein.

Abschied mit der aufgerüsteten Amazone

Start zur Barfußroute – ab in den Sommer für die nächsten 14 Monate

2.

HELGOLAND UND DIE ERSTE GASTLANDFLAGGE WIRD GESETZT

Wir genießen die Tage auf Helgoland und erholen uns vom Vorbereitungsstress und dem emotional sehr aufwühlenden Abschiedsgeschehen. Das Wetter ist immer noch prima und die Atmosphäre besonders. Wie jedes Jahr findet hier zu Pfingsten die Nordseewoche statt, verschiedene Regatten um Helgoland werden gesegelt. Die Segler haben die Insel fest im Griff und Partys gibt es natürlich auch.

Die Wind- und Wettervorhersage ist günstig, um nach Norderney weiterzusegeln. Wir legen die 43 Seemeilen bei leichtem Nordostwind und strahlendem Sonnenschein mit unserem bunten Leichtwindvorsegel, dem Gennaker, zurück. Den nächsten Tag verbringen wir auf Norderney. Das Wetter meint es weiterhin gut mit uns.

Dann heißt es Abschied nehmen von unseren Freunden Kirsten und Burkhard, die mit ihrem Schiff mit uns von Helgoland hierher gesegelt sind. Sie müssen zurück gen Heimat, weil ihr Urlaub zur Neige geht. Für uns soll es weiter nach Borkum gehen. Wir nehmen uns in den Arm, wünschen uns eine gute Reise und Burkhard schießt noch ein letztes Foto von uns. Nun sind wir endgültig allein auf unserem Weg ins Abenteuer. Irgendwie fühlen wir uns verlassen. Es ist der erste Abschied seit unserem Ablegen in Bremerhaven, sehr viele werden folgen. Daran gewöhnen werden wir uns nie. Die Abschiede gehören unvermeidlich dazu, kurz und schmerzlos sollen sie sein, gelingen wird es uns nicht immer. Die Menschen, die wir auf unserer Reise treffen, werden zu Wegbegleitern, manche zu Freunden. Zu einigen haben wir auch noch lange nach der Reise Kontakt. Unterwegs haben sie uns Familie und die daheimgebliebenen Freunde ersetzt. Wir waren eine Schicksalsgemeinschaft und teilten Freud und Leid miteinander. Im Laufe der Zeit werden wir lernen, dass es gerade die vielen Begegnungen sind, die diese Reise so einzigartig machen.

Am späten Nachmittag laufen wir in den Hafen von Borkum ein. Schon am nächsten Morgen legen wir wieder ab und erreichen nachmittags das niederländische Groningen. Die erste Gastlandflagge wird gesetzt. Es ist seemännischer Brauch, beim Einlaufen in die Hoheitsgewässer eines Landes auf der Steuerbordseite unter der Saling eine kleine Nationalflagge des Landes zu setzen, in dem sich das Schiff gerade befindet. Es ist eine höfliche Geste dem besuchten Land gegenüber. Außerdem wird mit dem Hissen der Gastlandflagge angezeigt, dass die Gesetze des Gastlandes anerkannt werden. Außerhalb Europas wird zusätzlich die gelbe Quarantäne-Flagge unter der Gastlandflagge gesetzt. Dies signalisiert den Behörden, dass eine Einklarierung - also die Anmeldung von Schiff und Besatzung beim Zoll, der Einwanderungsbehörde und der Hafenbehörde, manchmal auch der Gesundheitsbehörde - noch nicht erfolgt ist.

Es gibt leider technische Probleme - der Internetzugang funktioniert von Bord aus nicht. W-LAN ist für den PC zu weit entfernt und unsere eigens angeschaffte WeBBoat-Antenne von Glomex lässt sich auf das privat gesicherte Hafennetzwerk nicht einstellen. Ingo versucht stundenlang alles Mögliche und ist schließlich der Verzweiflung nahe. Wir packen unseren Laptop ein und versuchen an Land, eine Internetverbindung zu bekommen. So sitzen wir später bei Bier und Cappuccino in einer gemütlichen Brasserie und gehen den elektronischen Geschäften nach. Um wieder von Bord aus ins Internet gehen zu können, bestellen wir eine andere W-LAN Verbindungsmöglichkeit in Deutschland. Sobald sie ankommt, soll die Reise weitergehen. Das geht ja gut los - gerade erst eine Woche unterwegs und schon auf eine Lieferung aus Deutschland warten.

2014 ist das Jahr der Fußballweltmeisterschaft. Die Niederlande haben gestern in der Vorrunde 5 : 1 gegen Spanien gewonnen und hier war der Teufel los! Wildes Getröte und Jubelrufe überall. Der Renner sind kleine orangefarbene Megaphone. Auf Knopfdruck ertönt „Olé, olé, olé, we are the champions“. Na ja, vielleicht etwas verfrüht. Aber dieser Auftakt war gelungen, das muss man ihnen lassen. Ich habe mir überlegt, mir auch so einen kleinen Radaumacher zuzulegen und es dann doch gelassen. Zu dem Zeitpunkt ahnte ich allerdings noch nicht, dass Deutschland Fußballweltmeister werden würde und ich mit dem kleinen Megaphon ganz groß rausgekommen wäre.

Es ist aber nicht nur das Jahr, in dem Deutschland Fußballweltmeister wird, sondern für Ingo und mich in anderer Hinsicht ein ganz besonderes Jahr: Vor 25 Jahren haben wir geheiratet. Ist es wirklich schon 25 Jahre her, dass wir aufgeregt wie nie zuvor, mit dem kleinen, weißen Ford Fiesta zum Standesamt gefahren sind? Ein Satz aus der Trauungszeremonie, den die Standesbeamtin zu uns sagte, ist mir noch in Erinnerung: „So, wie ich Sie hier heute erlebe, werden Sie auch noch die Silberhochzeit feiern.“ Vielleicht gehörte dieser Satz zu ihrem Standardrepertoire, aber auf uns trifft er zu. Unseren besonderen Hochzeitstag feiern wir aber nicht allein, unsere Söhne besuchen uns. Wir verbringen einen wunderbaren Tag zusammen und später fällt uns allen der Abschied sehr schwer. Wieder ist da dieser dicke Kloß im Hals, ich kämpfe mit den Tränen, am liebsten möchte ich die beiden gar nicht ziehen lassen. Dabei sind doch Ingo und ich diejenigen, die losgezogen sind. Wir müssen da jetzt durch, den Abschiedsschmerz überwinden, tapfer sein, es mit Fassung tragen und den Jungs den Abschied nicht noch schwerer machen. Denn auch auf sie kommen einige Herausforderungen zu - Abenteuer Alltag. Plötzlich sind sie für Haus und Hof allein verantwortlich, der Kühlschrank füllt sich nicht mehr wie von selbst, die Wäsche findet ihren Weg nicht mehr gewaschen und gebügelt in die Schränke. Mama und Papa waren einfach immer da, ganz selbstverständlich, wenn Rat und Tat gefragt waren oder Not am Mann war. Das alles gibt es in den kommenden 14 Monaten nicht mehr.

Auf unserer geplanten Route durch Holland, der Staande Mastroute, also der Strecke, die wir mit stehendem Mast befahren können, ist eine Brücke defekt und lässt sich nicht öffnen. Es gibt zwar eine Umleitung, aber diese kann nur von Booten mit einem Tiefgang bis 1,50 m befahren werden. Unsere „Amazone“ hat mit der besonderen Zuladung für diese Reise ca. 1,70 m. Von der defekten Brücke habe ich zufällig beim Plaudern mit unserem dänischen Bootsnachbarn erfahren. Die Hafenmeisterin hat sich in der betreffenden Provinz telefonisch erkundigt und die Information bestätigt. Wir werden deshalb die Staande Mastroute verlassen und bei Harlingen auf die Nordsee fahren.

Unser dänischer Bootsnachbar erzählt mir nicht ohne Stolz, dass er mit etwa zwanzig anderen dänischen Yachten an einer Gemeinschaftsfahrt zu der englischen Kanalinsel Guernsey teilnimmt. Aha, deshalb ist der Anteil der dänischen Yachten hier im Hafen so ungewöhnlich hoch. Als der Skipper mich fragt, wo unsere Reise denn hingehen soll, sage ich „Karibik.“ Er guckt mich mit großen Augen an und fragt vorsichtshalber noch einmal nach. Ungerührt wiederhole ich „Karibik.“ Ich hole dann doch etwas weiter aus und erzähle ihm von unserer Auszeit und der geplanten Route. Zum Abschied wünschen wir uns eine gute Reise, aber ich habe das Gefühl, dass er mir unser Vorhaben nicht so richtig abnimmt.

Zwei Tage später trifft das ersehnte Päckchen mit dem Hotspot Extender für W-LAN ein. Es kann endlich weitergehen und der Start läuft dann in etwa so ab:

12.48 Uhr - Die Hafenmeisterin wedelt laut „Amazone“ rufend mit unserem Päckchen und sagt uns, dass um 13.00 Uhr die erste Brücke geöffnet wird, damit die Boote im Konvoi durch Groningen fahren können. Sekunden später gibt der Skipper das Kommando, das Boot zum Ablegen vorzubereiten. Sofort wird von der Crew (also von mir) die angefangene Zubereitung des Mittagessens abgebrochen, das Kühlwasserventil des Motors geöffnet, der Stromschalter für den Motor umgelegt, am Schaltpaneel die Navigation und das Funkgerät eingeschaltet. Dann hechte ich an Deck, um an den Vorleinen bereitzustehen.

12.49 Uhr - Der Skipper startet den Motor, gibt Kommando zum Leinenlösen, legt den Rückwärtsgang ein

12.51 Uhr - Die „Amazone“ verlässt nach diesem Blitzstart den Oosterhaven in Groningen

12.54 Uhr - Die „Amazone“ erreicht die erste von 18 Brücken.

Die Brücke wird kurz nach 13 Uhr geöffnet. Die Zuckelei durch das schöne Groningen mit seinen vielen Brücken beginnt. Bei den allermeisten warten wir nur kurz, bei einer Eisenbahnbrücke etwa eine halbe Stunde. Na ja, Züge sind eben schwerer aufzuhalten als Autos, Fußgänger und Radfahrer. Für die Strecke von etwa vier Seemeilen haben wir sage und schreibe vier Stunden benötigt. Am Abend machen wir im Yachthaven Hunzegat/Zoutkamp fest.

Am nächsten Morgen legen wir um 7.00 Uhr schon wieder ab, um bei Dienstbeginn um 9.00 Uhr bei der ersten Schleuse zu sein. Auf der Strecke von Zoutkamp nach Harlingen bezahlen wir zum ersten Mal Brückengeld. Um den Obolus zu entrichten, müssen wir aber nicht erst umständlich anlegen. Der Brückenwärter lässt einfach einen an einer Angel befestigten kleinen Holzschuh herunter. Man legt den Betrag bei der Brückendurchfahrt in den Schuh, mal sind es 5 Euro, mal 7 oder auch nur 3,50 Euro. Ob der Brückenchef wohl Wechselgeld auf diese Weise herausgibt? Keine Ahnung, wir haben es passend. Am späten Nachmittag machen wir in Harlingen fest. Am nächsten Morgen ist der Blick aus dem Cockpit nicht sehr vielversprechend. 16 Grad Lufttemperatur, gelegentliche Regenschauer, Wind aus Nord mit sechs Windstärken, in Böen sieben.

Drei Tage später bessert sich das Wetter und wir legen am frühen Nachmittag mit dem Ziel Texel ab. Bei Sonnenschein und vier Windstärken aus Nordwest können wir durchgehend bis nach Texel segeln. Das waren 26 ganz entspannte Seemeilen. Allerdings immer noch nicht barfuß, sondern in Seestiefeln und mit dicken Socken. Wir haben also die Staande Mastroute verlassen, wobei wir hoffen, dass der Mast trotzdem stehen bleibt.

Hafentag in Oudeschild auf Texel, Zeit die Umgebung zu erkunden. Im ersten Hafenbecken liegen die großen Fischkutter, daran schließen sich zwei weitere Becken an. Das erste ist den einheimischen Seglern vorbehalten, die Gäste machen an den Stegen im zweiten Becken fest. Jetzt in der Vorurlaubszeit ist nur knapp die Hälfte der Plätze belegt.

Wir verlassen Texel ein paar Tage später in aller Frühe um 5.30 Uhr. Ganz ehrlich, wenn morgens um 4.45 Uhr der Wecker klingelt und ich in Erwartung eines herrlichen Segeltages freiwillig aus der Koje krabble, fühlt sich das doch viel besser an, als um 6.00 Uhr aufzustehen, um ins Büro zu fahren.

Wir segeln bei schwachem Nordwestwind und Sonnenschein an Den Helder vorbei an der niederländischen Küste entlang. Später nimmt der Wind dann immer mehr ab und schläft schließlich ein, der Motor muss mithelfen. Nach 62 Seemeilen fahren wir um 17.00 Uhr in Scheveningen in den Hafen. Aber nicht, ohne uns vorher ordnungsgemäß anzumelden. Und das klingt dann auf UKW Kanal 21 so: „Trafficcenter Scheveningen, this is sailing vessel „Amazone“, requesting the permission to enter the harbour, the second harbour, to the marina.“ Die Antwort kommt prompt, alles okay, kein Gegenverkehr. Wir dürfen einlaufen und in die Marina im zweiten Hafen fahren. Beim Näherkommen sehen wir eine Rauchwolke, im Hafen brennt ein Frachter. Keine Übung, sondern ein Ernstfall. Wie wir später erfahren, brennt bei dem Schiff die Isolierung, die Löscharbeiten dauern schon den ganzen Tag.

Die Boxenplätze in der Marina sind alle belegt. Wir müssen im Päckchen, also neben einem anderen Boot, liegen. Unser Nachbar, erstes Boot am Steg, teilt uns zunächst mit, dass er am nächsten Morgen um fünf Uhr ablegen möchte. Später entscheidet er sich um, jetzt will er erst um sieben Uhr ablegen. Das ist doch prima, dann brauchen auch wir nicht so früh hoch. Doch dann kommt bei uns noch ein Boot längsseits und dessen Skipper möchte wiederum morgen früh um fünf Uhr ablegen. Also gut, dann wird die Nacht doch gegen fünf Uhr zu Ende sein. Das „Im-Päckchen-liegen“ ist eben nicht sonderlich komfortabel, lässt sich aber leider manchmal nicht vermeiden.

Mir fällt auf, dass die Nachbarschaft allmählich bunter wird: Am Heck der anderen Segelboote flattern die Nationalflaggen von Frankreich, Belgien, England, Portugal und Finnland.

Erwischt von Bernd Kneiser während der Kanalfahrt durch Leeuwarden

Das brennende Schiff in Scheveningen

I

ERSTER ZWISCHENRUF UNSERER AMAZONE:

„Antje und Ingo schreiben ja ziemlich regelmäßig im (B)logbuch - aber jetzt bin ich auch mal dran. Schließlich wären die beiden jetzt nicht hier, wenn es mich nicht gäbe!

Alles fing eigentlich ganz harmlos an. Im Herbst ging es mit den anderen Booten aus dem kalten Wasser in die trockene, gemütliche Halle. Von einem Winterschlaf träume ich aber schon lange nicht mehr, bin ich doch jedes Jahr an manchen Winterwochenenden die einzige in unserer Halle, an der gewerkelt wird. Na ja, ich werde nicht jünger, da müssen Schönheitsreparaturen eben sein und auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben, hat ja auch etwas für sich.

Aber im letzten Herbst kam Antje dann mit diesem fremden Mann an Bord. Er hatte Papiere bei sich und eine Taschenlampe. Er hat viele Fragen gestellt, sich viele Notizen gemacht und sich durchaus positiv über meine solide Bauweise geäußert. Das hat mir geschmeichelt und ich dachte gleich, der Mann kennt sich aus. Es war mir dann aber doch etwas peinlich, dass er in meine intimsten Winkel gekrochen ist und alles beleuchtet hat. Ich habe nichts zu verbergen, das möchte ich hier ganz klar sagen. Aber trotzdem, so mir nichts dir nichts in meine Privatsphäre einzudringen, das passte mir nicht.

Jedenfalls machte Antje einen ganz gelassenen Eindruck und nach ein paar Stunden, war das Ganze überstanden. Ich hätte es vielleicht auch vergessen, aber im Nachhinein habe ich den Eindruck, dass das irgendwie der Beginn einer ganz besonderen Sache war.

Die Wintermonate gingen ins Land, das Frühjahr kam und Ingo hat munter an mir herumgeschraubt, gebohrt und leider - das muss ich hier mal loswerden - haben Antje und Ingo eine unendlich hässliche, große Gerätschaft an meinem eleganten, kleinen Heck angebaut. Mag ja nützlich sein, aber begeistert bin ich nicht! Umso größer war die Begeisterung bei den beiden, als sie ihre Schandtat am Ende des Tages betrachteten.

Aber diese Gerätschaft war nur der Auftakt zu weiteren Gemeinheiten: Die beiden haben doch tatsächlich die Frechheit besessen, an meinem kleinen Heck jeweils an Backbord und Steuerbord ein oberhässliches Metallrohr anzudengeln. Tut mir leid, dass ich das hier so offen sage, aber so sehe ich es nun mal. Inzwischen weiß ich auch, wozu diese Rohre eigentlich gut sein sollen: An dem einen Rohr haben sie eine kleine Windmühle angebracht, sieht ganz lustig aus. Aber an dem anderen Rohr haben sie eine Art Kugel befestigt. Soll wohl so etwas wie eine Antenne sein, na ja. Neumodischer Kram, wenn ihr mich fragt.

Als ich dann im April wieder im Wasser war, ging es mit den Ungereimtheiten weiter. Normalerweise putzt Antje mich fein heraus und dann bringen sie die Polster, Betten, Lebensmittel und die eine oder andere Flasche Schnaps an Bord und los geht die Saison. Aber in diesem Frühjahr? Weit gefehlt! Endlos lange war bei mir im Salon alles heillos durcheinander. Nichts mit Polstern, nichts mit Betten, von Gardinen ganz zu schweigen. Ihr ahnt es vielleicht schon: Auch im Wasser hat Ingo fleißig weiter an mir gewerkelt, kilometerweise Kabel verlegt und weitere moderne Geräte eingebaut.

Aber dann kam endlich mal etwas an Bord, das ich richtig klasse finde - ein neues Großsegel. Unter uns gesagt, das wurde auch Zeit. Das vorherige Segel war zwar auch noch nicht alt, aber was für ein Lappen.

Dann kamen noch sehr, sehr viele Dinge an Bord, zum Beispiel ein neuer Anker. Sieht gut aus, wie er da so am Bug hervorguckt. Zwar nicht so blank, wie sein Vorgänger, dieser Angeber aus Edelstahl, aber er soll mich noch besser am Grund halten. Mal sehen, ob er hält, was er verspricht.

Wie dem auch sei, an einem sonnigen Freitag im Juni kamen Antje und Ingo dann mit vielen Taschen an Bord, nachdem sie tags zuvor den halben Supermarkt leer gekauft haben mussten, so viele Lebensmittel, wie sie bei mir verstaut haben. Aha, dachte ich so bei mir, jetzt geht's ab in den Urlaub. Vier Wochen unterwegs, das wird schön!

Aber nein - etwas war wieder anders als sonst. Plötzlich kamen viele bekannte und auch wildfremde Menschen zu uns an Bord, guckten hier, staunten dort, stellten Fragen über Fragen, es wurde viel gescherzt und gelacht. Was soll's, dachte ich, Besuch bekommen ist ja auch ganz nett. Beim Ablegen aus der Box haben sie dann alle gewunken. War das ein Gedränge auf dem Steg! Doch dann kam der Hammer: Beim Auslaufen aus Bremerhaven standen ganz viele Leute auf der Mole, winkten uns zu, tuteten und es wurde sogar ein Lied für uns gespielt. Ingo hat mich extra eine Ehrenrunde drehen lassen. Das war eine Stimmung, sage ich euch. Wenn ich es gekonnt hätte, hätte ich eine Gänsehaut bekommen.

Und dann vor ein paar Tagen bin ich sogar in Leeuwarden in Holland bei der Fahrt durch eine der vielen Brücken fotografiert worden. Das kommt auch nicht oft vor, dass am Ufer ein bekanntes Gesicht in einer wartenden Gruppe auftaucht, der Mensch uns fröhlich winkt, eine gute Reise wünscht und Fotos von uns macht.“

3.

BELGIEN UND FRANKREICH

Um 4.30 Uhr legt unser Nachbar, der außen am Päckchen liegt, ab. Angekündigt hatte er sein Ablegen ja für 5.00 Uhr. So ist das immer wieder, Segler sind eben Individualisten. Da wir nun schon mal wach sind, machen wir uns und die „Amazone“ fertig zum Auslaufen, um 5.30 Uhr geht's los. Es liegen verschiedene Häfen auf unserer Route, die wir anlaufen könnten: Vlissingen (Niederlande) oder einen der belgischen Häfen Zeebrügge, Oostende oder Nieuwport. Vielleicht geht es auch gleich durch bis zum französischen Dünkirchen.

Die Bedingungen sind gut, weiterhin zeigt sich die Nordsee von ihrer sehr freundlichen Seite. Der Wind kommt mit drei bis vier Windstärken aus Nord, es ist sonnig. Da wir Kurs Südwest segeln, ist die Windrichtung optimal, nur flaut der Wind zwischendurch immer mal wieder ab. Wir können den Gennaker setzen und kommen damit gut voran. Seine Segelfläche ist mit 80 Quadratmetern genauso groß wie die Wohnfläche unserer ersten Wohnung. So ziehen wir an der Küste entlang, mal unter Motor, mal mit Großsegel und Gennaker, mal nur mit Gennaker, mal mit Großsegel und Unterstützung durch den Motor.

Ingo hat auf dieser Reise heute zum ersten Mal die Angel ausprobiert. Abgesehen von unserem Flaggenstock hat er aber leider nichts gefangen. Und noch etwas passiert heute zum ersten Mal - wir streiten uns! Ich bin genervt, weil der zahlreiche Besuch des Nachbarbootes gestern Abend unser Deck total verdreckt hat und die Typen auch immer wieder über den Aufbau gestiefelt sind, statt - wie es sich gehört - auf dem Deck zu laufen. Jetzt muss ich alles wieder saubermachen und gerate in Rage und lasse meinen Zorn an Ingo aus. Es kracht heftig, die Brötchen fliegen tief, der Bordsegen hängt schief. Das mentale Unwetter zieht aber so schnell wie es aufgezogen ist, wieder ab. Nachdem wir uns ausgesprochen haben, ist alles wieder gut. Es wird der einzige Streit in den 14 Monaten bleiben.

Ingo setzt heute die zweite Gastlandflagge, wir sind jetzt in Belgien. Später bekommen wir noch eine schöne Abendbrise, so dass wir beschließen, nicht in Oostende festzumachen, sondern noch ein bisschen weiterzusegeln. Genau diese Freiheit, solche Plan- oder Kursänderungen, die wir aufgrund des Wetters oder aus Lust und Laune unterwegs treffen, schätzen wir beide sehr. Verabredet man sich, gemeinsam mit anderen Booten zu einem bestimmten Ziel zu segeln, gibt man diese Freiheit zu einem großen Teil auf. Eine Abstimmung ist dann unterwegs bei einer Planänderung erforderlich, vielleicht auch eine Rechtfertigung und darauf haben wir keine große Lust.

Der Gennaker zieht die „Amazone“ mit sechs Knoten Fahrt durchs Wasser, das macht Spaß. Tolles Finale eines wunderbaren Tages auf See, auch wenn er mit dem blöden Streit etwas holprig begann. Gegen 20 Uhr nehmen wir Kurs auf den Hafen von Nieuwport. Wir waren heute 15 Stunden unterwegs und haben 80 Seemeilen zurückgelegt. In diesem großen Hafen sind viele Boxen frei, also können wir morgen selbst bestimmen, wann wir aufstehen. Nieuwport hat mit seinen ca. 2.000 Liegeplätzen den größten Sportboothafen Nordeuropas. Klingt imposant, länger als nötig wollen wir uns hier aber nicht aufhalten.

Wir rauschen bei Nordost vier, zeitweise auch mal fünf Windstärken, bei Sonnenschein mit Großsegel und Genua unserem heutigen Ziel Dünkirchen in Frankreich entgegen. Parbleu! Die dritte Gastlandflagge kann heute gesetzt werden, die Tricolore. Wir haben 21 Seemeilen in vier Stunden zurückgelegt und machen mittags im Hafen Grand Large in Dünkirchen fest.

Unser Radio spricht seit heute perfekt Französisch, oh là là! Ich hatte zwar in der Schule als zweite Fremdsprache Französisch gewählt, aber das ist sehr lange her. Einen Satz weiß ich noch: „La famille Leroc est dans la salle de séjour.“ Hm, dass die Familie Leroc im Wohnzimmer ist, hilft mir hier aber auch nicht weiter.

Wir fahren mit der „Amazone“ kurz zur Tankstelle, die sich hier in der Marina auf einem Schwimmponton befindet. Diesel heißt auf Französisch Gazole. Ja, ich erweitere meinen Wortschatz zusehends. Das kleine Langenscheidt Wörterbuch aus meiner Schulzeit haben wir dabei. Auf unserer Liste der meistgelesenen Bücher rangiert es hinter dem Reeds Nautical Almanac, dem Revierführer von Norwegen bis Gibraltar, derzeit auf Platz 2.

Wir bummeln durch Dünkirchen. Da es im Zweiten Weltkrieg in der Schlacht von Dünkirchen fast vollständig zerstört wurde, gibt es kaum historische Gebäude. Wir besuchen den Friedhof und sehen die Gräber französischer, belgischer und britischer Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg. Die großen Felder mit den unzähligen Kreuzen sind bedrückend, jedes Kreuz steht für ein Schicksal. Außerdem entdecken wir ein Denkmal zur Erinnerung an die 4.700 britischen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg in den Jahren 1939 bis 1940 hier am Festland vermisst wurden. Damals hatten die deutschen Truppen über 300.000 alliierte Soldaten eingekesselt, die in einer unglaublichen Rettungsaktion durch die britische und französische Armee befreit wurden.

Wir sind jetzt etwa drei Wochen unterwegs und wir müssen mal wieder einkaufen. Zu Hause hätte ich schnell das Auto aus der Garage geholt, Klappkisten und einige Kisten Leergut eingeladen und wäre mal eben zum nahegelegenen Lieblings-Supermarkt gefahren. In etwa einer Stunde wäre die ganze Angelegenheit erledigt. Doch diese Zeiten sind erst einmal vorbei. Also zunächst den Hafenmeister fragen, wo sich der nächstgelegene Supermarkt befindet. Er malt einen großen Kringel in einen kleinen Stadtplan. Aha, da irgendwo wird es sein. Es ist wohl ein Fußmarsch von drei Kilometern. Gleich hier am Hafen gibt es eine Station, an der wir Fahrräder mieten könnten. Die Betonung liegt auf „könnten“. Wir haben es gestern schon versucht und sind gescheitert, aber das ist wieder eine andere Geschichte. Glücklicherweise stehen hier in der Marina kleine Handwagen zur Verfügung. Davon schnappen wir uns einen und brechen zum kleinen Abenteuer Großeinkauf auf. Es geht immer an der Strandpromenade entlang. Dann heißt es, an der richtigen Stelle abzubiegen und sich Richtung Stadt zu orientieren. Wir haben den äußeren Rand des Hafenmeisterkringels erreicht, wir nähern uns dem Ziel! Zweifel kommen aber doch auf, sind wir hier noch richtig?

Es kommt uns ein Herr mit Einkaufstüten entgegen - ein Indiz. Wir sprechen ihn einfach an, es sollen nur noch 300 Meter bis zum Einkaufsparadies sein. Stimmte auch! Dann den Einkaufszettel hervorkramen und sich im Markt orientieren. Der kleine Handwagen füllt sich; die Preise sind ähnlich wie in Deutschland. Alles aufs Band legen, bezahlen, Wägelchen wieder beladen und Abmarsch Richtung Marina. Handwagen ausladen, zurückbringen und die Einkäufe an Bord verstauen. Das ganze Manöver hat gut drei Stunden gedauert. Es wird deutlich, dass etwas, das zu Hause ganz selbstverständlich ist und nebenbei erledigt wird, unterwegs eine gewisse Herausforderung darstellt und warum der Tag irgendwie immer so schnell herum ist.

Am Nachmittag lernen wir Ursula und Eckhardt kennen. Sie sind Mitte 60, segeln seit 16 Jahren über die Weltmeere und sind jetzt auf dem Weg zurück nach Deutschland. Sie sitzen braungebrannt und mit sich und der Welt zufrieden, so ist zumindest unser Eindruck, in unserem Cockpit. Wir stellen den beiden Fragen über Fragen. Zum Beispiel wie das so funktioniert mit der Passatbesegelung auf dem Atlantik. Eckhardts abgeklärte Antwort: „Wind von achtern ist immer Scheiße.“

Der nächste Törn wird geplant. Dabei ist das zurzeit meistgelesene Buch an Bord der „Amazone“ sehr hilfreich: der Reeds Nautical Almanac, 1.000 Seiten dick, zwei Kilo schwer. Darin enthalten sind alle wichtigen Informationen über Häfen, Küsten, Tiden etc. für die Seegebiete von Norwegen bis Gibraltar. Es soll nach derzeitigem Stand und der derzeitigen Wettervorhersage nach Dover an der englischen Südküste gehen. Also Seekarten, Kursdreiecke, Zirkel, Bleistift, Reeds Nautical Almanac, Strömungskarten und Tidenkalender gezückt und los geht die Rechnerei. Wir wollen den Englischen Kanal an seiner schmalsten Stelle bei Calais im rechten Winkel kreuzen und dabei möglichst den vielen Fähren nicht zu nahe kommen. Dabei wollen wir bei der Abfahrt mit der Strömung segeln und bei der Kanalquerung nicht so viel Querströmung haben.

Doch dann gibt es eine Planänderung. Aufgrund der gestrigen Windvorhersagen segeln wir schon heute nach Boulogne-Sur-Mer, statt erst morgen nach Dover. Wir bleiben also an der französischen Küste, die englische Gastlandflagge bleibt im Schapp. Nachdem wir am Morgen um 8.00 Uhr die aktuelle Wind- und Wettervorhersage abgewartet haben, legen wir um 8.30 Uhr in Dünkirchen ab. Wegen der Gezeitenströme wird es dann auch Zeit, loszukommen. Ein ordentlicher „Tidenknecht“ fährt ja möglichst mit der Strömung, macht sie sich zunutze. Mit zehn Knoten Fahrt über Grund - sieben Knoten durchs Wasser, der Gezeitenstrom schiebt mit drei Knoten mit - schmiergeln wir an Calais vorbei. Es herrscht reger Fährverkehr, wir kommen uns aber nicht in die Quere. Der Wind lässt dann leider immer mehr nach. Also Genua einrollen, Großsegel bergen und Gennaker setzen. Der Wind schläft schließlich ein. Kurz vor Cap Gris Nez wendet sich das Blatt auch von der Strömung her für uns. Quälend langsam geht es mit drei Knoten Gegenstrom um Cap Gris Nez herum. Der Gegenstrom nimmt dann auf unter einen Knoten ab. Nach 46 Seemeilen machen wir um 17.30 Uhr in Boulogne-Sur-Mer fest. Hier beträgt der Tidenhub annähernd sieben Meter, das ist doppelt so viel wie in Bremerhaven.

Boulogne-Sur-Mer hat südländisches Flair und neben wuchtigen Hochhäusern eine rustikale Innenstadt und ein historisches Altstadtviertel. Uns gefällt das hübsche Städtchen mit seiner Burg und dem dazugehörigen Wassergraben sehr gut, wir wollen aber gleich am nächsten Tag weitersegeln. Am Abend machen wir die Navigation, berechnen Tidenströme, stecken den Kurs ab und geben die Daten in den Plotter ein. Nachdem wir am nächsten Morgen „frisches Wetter“, also die aktuelle Wind- und Wettervorhersage, bekommen haben, entscheiden wir uns, nach Cherbourg aufzubrechen.

Es liegen 140 Seemeilen vor uns, wir werden etwa 27 Stunden unterwegs sein. Unter Maschine geht es los, eine Stunde später können wir den Gennaker setzen. Das ist allerdings nur ein kurzes Vergnügen, denn leider lässt der Wind immer mehr nach. Also Maschine starten und Gennaker wieder einrollen. Gegen 18.00 Uhr setzt dann auch der Strom ein und wir kommen gut voran. Kurz nach 20.00 Uhr empfangen wir über das Satellitentelefon die Email mit der aktuellen Wind- und Wettervorhersage. Es werden weiterhin Winde der Stärke drei bis vier, später vier, aus Nord, Nordost und später Ost vorhergesagt.

Allmählich wird es dann Zeit, die „Amazone“ für die Nachtfahrt vorzubereiten. Dazu gehört zum Beispiel, die Lampen im Boot auf Rotlicht umzustellen. Damit hat es folgende Bewandtnis: Um trotz Dunkelheit gut sehen zu können, sollten die Augen zwischendurch möglichst keinem hellen, weißen Licht ausgesetzt sein. Es bräuchte sonst etwa eine halbe Stunde, bis sich die Augen wieder ganz an die Dunkelheit gewöhnt haben. Rotes Licht verhindert diesen Effekt. Der Salon und das Bad mutieren bei Nachtfahrten zum Rotlichtviertel.

Zur weiteren Vorbereitung gehört für uns auch, eine wasserdichte Tasche zu packen, bzw. weitere Gegenstände hineinzulegen. Diese Tasche würden wir im Seenotfall mit in die Rettungsinsel nehmen. Sie ist immer parat, wird aber vor Nachtfahrten weiter bestückt und enthält: Proviant, Wasser, Taschenlampe, Ersatzbatterien, GPS-Handplotter, Wolldecke, Handfunkgerät, Seenotsignale und das Satellitentelefon kommt auch mit hinein.

Ungeschriebenes Gesetz ist es bei uns an Bord, auf See niemals ungesichert das Cockpit zu verlassen. Wir sichern uns mit Lifelines. An verschiedenen Punkten am Boot können wir uns mit Karabinerhaken einklinken und sind so immer mit dem Boot verbunden. Für den Fall, dass es so unglücklich kommt, dass wir diese Verbindung kappen müssen, hat jeder ein spezielles Gurt-Messer in seiner Rettungsweste dabei. Die Rettungswesten tragen wir auf See ständig (außer in der Koje...). Sie sind mit einem Lämpchen, einer Signalpfeife und einem AIS-Sender ausgestattet.

Das AIS (Automatisches Identifikationssystem) ist ein Funksystem, das seit dem Jahr 2000 in der Berufsschifffahrt Pflicht ist. Durch den Austausch der Navigations- und anderen Schiffsdaten verbessert es die Sicherheit der Schifffahrt ganz entscheidend. Schiffe, die sich auf Kollisionskurs befinden, können schon in großer Entfernung ausgemacht werden. Die Kontaktaufnahme wird erleichtert, da die Schiffsdaten auf dem Navigationscomputer, dem Plotter, angezeigt werden. Auf Sportbooten ist ein AIS-Sender/Empfänger zwar nicht vorgeschrieben, aber er bringt ungeheuer große Vorteile und wir möchten es an Bord nicht mehr missen. Zusammen mit dem Radargerät leistet das AIS unschätzbare Dienste.

Zur Vorbereitung für die Nacht gehört auch, dass wir die Segelfläche aus Sicherheitsgründen verkleinern. Im Falle eines aufziehenden Gewitters oder falls der Wind unerwartet zunehmen würde, müsste ich trotzdem in der Lage sein, das Ganze alleine zu beherrschen. Außerdem koche ich mehrere Kannen Kaffee und Tee, Brote werden geschmiert und Knabbersachen bereitgelegt.

Wir gehen konnsequent Wache, es ist rund um die Uhr immer einer von uns beiden im Cockpit und hat den Kurs, die Segel und Wind und Wetter im Blick. Mit einem Vier-Stunden-Rhythmus kommen wir am besten zurecht und wechseln uns alle vier Stunden ab. Die sogenannte Hundewache von 0.00 bis 4.00 Uhr übernehme ich, anschließend ist Ingo bis 8.00 Uhr dran. Meist frühstücken wir dann gleich, anschließend legt Ingo sich hin und ich habe die Wache bis 12.00 Uhr. Bis 16.00 Uhr habe ich Freiwache, in der Zeit koche ich, räume auf, lese, backe, putze, schreibe den Blogbeitrag, helfe Ingo bei den Segelmanövern oder schlafe ein bisschen. In der Zeit zwischen 16.00 und 20.00 Uhr sind wir oft gemeinsam im Cockpit oder einer von uns beiden versucht, etwas Schlaf nachzuholen. Bis 0.00 Uhr hat Ingo Wache, dann bin ich wieder an der Reihe.

Die sternenklare Nacht verläuft zunächst sehr ruhig. Einen kurzen Aufreger erlebt Ingo allerdings, als er kurz nach vier Uhr die Wache übernimmt. Auf unserem Plotter war schon längere Zeit das AIS-Signal eines Fischkutters, der etwa vier Seemeilen an Steuerbord voraus unterwegs ist, auszumachen. Er fuhr in dieselbe Richtung wie wir, bis er seinen Kurs ändert und unseren Kurs kreuzt. Macht ja nichts, er ist ja weit voraus. Wie Ingo aber alsbald feststellt, hatte die Kursänderung des Kutters allerdings einen Haken: Der Fischer hatte bei 55 Meter Wassertiefe Netze oder etwas Ähnliches ausgebracht und mit Bojen markiert. Und durch dieses Bojen-Minenfeld brausten wir nun ahnungslos mit sieben Knoten über Grund Geschwindigkeit. Hoppla! Plötzlich taucht in der Dunkelheit knapp neben uns eine große orangefarbene Boje auf. In so tiefem Wasser haben wir bisher noch nie Fischerbojen gesehen. Noch einmal gutgegangen. Hätte böse ausgehen können, wenn wir die Boje überfahren und sich die Leine der Boje am Kiel oder am Ruderblatt verfangen hätte.

Die Nordsee verabschiedet sich sehr freundlich von uns, der Englische Kanal empfängt uns ebenso freundlich. Was haben wir bisher für ein Glück mit dem Wetter! Das wird unser Motor allerdings etwas anders sehen - muss er doch in letzter Zeit oft aushelfen. Leider ist es dann auch nichts mit den vorhergesagten vier Windstärken und der Motor läuft und läuft. Nach 18 Stunden kommen die vier Windstärken doch noch, wir können den Diesel endlich abstellen, mit der Genua segeln und die Windfahnensteueranlage arbeiten lassen. Diese Ruhe im Boot - herrlich! Kurz nach 17.00 Uhr erreichen wir nach 26 Stunden und knapp 150 Seemeilen den Hafen von Cherbourg.

Es ist wider Erwarten gar nicht so leicht, in diesem großen Hafen, der immerhin 1.500 Liegeplätze hat, eine Box für die „Amazone“ zu bekommen. Die Stege, die für die Gäste vorgesehen sind, sind für die Teilnehmer einer Veranstaltung reserviert, die hier in den nächsten Tagen stattfindet. Es werden Regatten gesegelt und es gibt ein großes Fest auf dem weitläufigen Hafengelände.

Am nächsten Vormittag statten wir dem Segelmacher einen Besuch ab. Unser Bimini, der Sonnenschutz über dem Cockpit, hat zwei Scheuerstellen bekommen und muss repariert werden. Wenn wir es nicht benötigen und aufgerollt zurückklappen, scheuert es am Achterstag. Wir brauchen also eine Schutzhülle. Das „Scheuer-Thema“ dürfen wir nicht vernachlässigen. Auf unseren bisherigen, eher kurzen Törns, war das überhaupt kein Problem. Wenn wir aber viele Tage unterwegs sind und auf demselben Bug segeln, müssen wir unbedingt darauf achten, dass sich nirgends die Segel oder Schoten an der Reling oder den Wanten aufscheuern können.

Den Rest des Tages verbringen wir mit allerlei Organisatorischem - Wäsche waschen, Diesel tanken, Mails beantworten, die Wind- und Wettervorhersage für die nächsten Tage auswerten und die Navigation für den nächsten Törn erledigen.

Leben auf 10 Quadratmetern – kochen und essen

und die Navigation erledigen

4.

ABSTECHER NACH GUERNSEY UND ZURÜCK NACH FRANKREICH

Es soll weitergehen, und zwar nach Guernsey. Die Wind- und Wettervorhersage ist weiterhin günstig, das wollen wir nutzen. Bei Sonnenschein, 24 Grad Lufttemperatur und leichtem Westwind legen wir um 13.50 Uhr ab. Diesen Zeitpunkt haben wir errechnet unter Berücksichtigung der geplanten Ankunftszeit und der Strömungsverhältnisse. Auf unserer Route können Gezeitenströme von bis zu sieben Knoten auftreten. Die wollen wir nutzen und nicht gegen uns laufen haben. Unter Großsegel und Genua geht's los, aber eine Dreiviertelstunde später müssen wir das Vorsegel wieder einrollen und die Maschine mitlaufen lassen. Der Wind hat gedreht und abgeflaut.

Um 20.30 Uhr erreichen wir die Hauptstadt Guernseys, Saint Peter Port. Hier herrscht heute ein Tidenhub von 7,80 Meter, er kann bei Springtide (besonders hohes Hochwasser) sagenhafte 9,50 m betragen. Nur an wenigen Orten auf der Welt ist er höher. Bei Nipptide (besonders niedriges Niedrigwasser) erreicht er hingegen „nur“ 6,20 m. Unser Ziel ist die Victoria Marina. Sie kann aber nur zu bestimmten Zeiten angelaufen werden. Eine Schwelle von 4,20 m Höhe befindet sich in der Einfahrt zur Marina. Diese muss für uns etwa 2 m unter der Wasseroberfläche sein, sonst wäre die Gefahr einer Grundberührung zu groß. Das heißt, das Hochwasser muss 6,20 m aufgelaufen sein. Das Zeitfenster zum Einlaufen in die Marina ist für uns heute zwei Stunden vor und zwei Stunden nach Hochwasser. Bei Nipptide können wir nur genau bei Hochwasser einlaufen. Das Hochwasser sollte gestern hier um 23 Uhr sein. Von daher war klar, dass wir frühestens um 21 Uhr über die Schwelle in die Marina fahren können. Woran wir allerdings nicht gedacht haben und uns erst kurz vor dem Ziel einfiel: Auf Guernsey ticken die Uhren anders! Hier gilt die britische Sommerzeit, nicht die mitteleuropäische Sommerzeit. Wir hätten also noch eine Stunde dazurechnen müssen. Vor der Marina gibt es einen Warteponton, an dem die Yachten festmachen, die auf das Einlaufen in die Marina warten. Als wir uns dem Ponton nähern, kommt ein Hafenmeister in einem kleinen Boot angebraust und fragt uns, ob wir in die Marina fahren wollen. Das bejahe ich. Dann fragt er, ob wir keine Haustiere oder andere Tiere an Bord haben. Das bejahe ich auch. Er fragt erstaunt: „You have pets and animals on board?“ Das verneine ich wahrheitsgemäß. Dann übergibt er mir eine Broschüre über Guernsey und die Papiere für die Einklarierung. Jawohl, wir klarieren heute zum ersten Mal ein! Es ist allerdings eine „Einklarierung light“. Guernsey ist die zweitgrößte der englischen Kanalinseln. Diese sind weder Teil des Vereinigten Königreichs noch Kronkolonie, sondern als Kronbesitz direkt der britischen Krone unterstellt. Sie sind auch nicht Teil der Europäischen Union. Den Fragebogen füllen wir aus und der Skipper - und nur der Skipper - muss den Umschlag in einen extra hierfür vorgesehenen Briefkasten in der Marina werfen. Erst wenn dies geschehen ist, darf auch die Crew von Bord.

Der Hafenmeister weist uns einen Platz im Pulk der wartenden Yachten zu. Etwa 30 Boote warten schließlich darauf, dass genug Wasser über der Schwelle steht. Endlich ist es soweit, der Pegel an der Kaimauer zeigt zwei Meter an. Immer schön der Reihe nach lotst der Hafenmeister eine nach der anderen Yacht in den Hafen und weist die Liegeplätze zu.

Kurz nachdem wir die „Amazone“ in einer Box festgemacht und alles aufgeklart haben, werden wir von Dietmar begrüßt. Er und seine Frau Katja sind mit ihrer Segelyacht „Summer“ seit Anfang Mai unterwegs. Die beiden laden uns ein, bei ihnen am nächsten Abend das Fußballspiel Deutschland - Frankreich anzusehen.

Ingos erster Gang führt ihn am nächsten Morgen in das Hafenmeisterbüro. Das Liegegeld muss noch bezahlt werden. Wir hatten schon in Bremen Englische Pfund besorgt, so dass Ingo bar bezahlen kann. Strom kostet extra. Darauf können wir aber verzichten, weil die zwei Solarzellen und der Windgenerator uns gut mit Strom versorgen. Eine Solarzelle ist stationär zwischen den beiden neuen Masten am Heck installiert. Eine weitere können wir bei Bedarf an der Reling befestigen. Diese zweite Solarzelle hat Ingo heute erstmals hervorgeholt und sie arbeitet fleißig.

Wir wollen uns die Insel ansehen und unternehmen eine Rundfahrt mit dem öffentlichen Bus. Die Fahrt einmal um die ganze Insel dauert 90 Minuten, pro Person bezahlen wir 1 Englisches Pfund. Der Linksverkehr ist für uns ganz ungewohnt, die Straßen sind sehr eng. Für die geübte und couragierte Busfahrerin ist das alles natürlich kein Problem. In flotter Fahrt geht es über die Insel entlang an endlosen Fuchsien- und Hortensienhecken, vorbei an von Wildblumen gesäumten Klippenpfaden, über verschlafene Dörfer mit wetterbewährten Cottages.

Der Fußball-Fernsehabend bei leckerem Essen und einem Glas Rotwein an Bord der „Summer“ war unterhaltsam und spannend. Zu der guten Stimmung hat natürlich auch der Erfolg der deutschen Nationalmannschaft über das französische Team beigetragen. Vielleicht ist es gut, dass wir zurzeit nicht mehr in Frankreich sind. Dort hatte in Dünkirchen ein junger Bursche schon vor diesem Fußballergebnis mit Blick auf unsere Nationalflagge am Heck ganz offen zu seinem Freund gesagt: „C'est une boche!“ „Boche“ ist eine herablassende Bezeichnung für Deutsche. Das hätte ich von einem jungen Mann in dieser offenen Art und Weise nicht unbedingt erwartet.

In der Marina feiert eine Segler-Vereinigung ein Fest. Es ist ein großes Zelt aufgebaut. Wir liegen mit der „Amazone“ in direkter Nachbarschaft. Am Abend findet offenbar die Preisverteilung einer Regatta statt, Reden werden gehalten, verhaltener Applaus gespendet. Und dann geht es los mit der Musik. Hört sich gut an, wir machen es uns mit einem Drink im Cockpit bequem und lauschen Diana Ross - „I will survive“ - das nehmen wir als gutes Omen.

Nachdem wir die aktuelle Wind- und Wettervorhersage eingeholt haben, entscheiden wir uns, weiterzusegeln und die Nacht vor Anker in einer Bucht der Nachbarinsel Sark zu verbringen. Also noch einmal frische Lebensmittel einkaufen, den Trinkwassertank auffüllen und abwarten, dass genügend Wasser über der Schwelle in der Hafeneinfahrt steht, um auslaufen zu können.

An diesem Morgen können es zwei Skipper nicht abwarten und fahren bei zu niedrigem Wasserstand stumpf gegen die Schwelle. Einer langsam, ein anderer relativ schnell. Aua! Der Schnellere von beiden versucht es kurze Zeit später erneut und scheitert wieder. Beim dritten Versuch klappt es dann. Bevor wir Guernsey endgültig verlassen, fahren wir noch zur Tankstelle. Die Kanalinseln sind zollfreies Gebiet, da bietet es sich an, hier zu tanken.

Nach einem kurzen Törn von neun Seemeilen erreichen wir die Nachbarinsel Sark. Hier sind in einer Bucht Ankerbojen (Moorings) ausgelegt, an denen die Boote vertäut werden können. Der eigene Anker kann in der Halterung am Bug bleiben. Die Bucht ist gut besucht, wir erwischen die vorletzte freie Mooring. Die Bojen liegen ziemlich eng beieinander, das behagt uns eigentlich nicht. Bei sehr wenig Wind und Strömung, so wie jetzt, liegen die Boote nicht ruhig und vor allem nicht in derselben Richtung an der Boje - sie kreiseln, schwojen genannt. Zwei Boote sind bereits aneinandergeraten. Gerade hat an der letzten freien Boje nicht weit von uns ein Boot festgemacht. Na, wenn das man gutgeht. Wohl ist uns nicht dabei.

An einer der anderen Bojen liegt ein einheimisches Boot. Dessen Eigner sitzt in seinem Cockpit und sieht lange und irgendwie interessiert zu uns herüber. Später kommt er mit seinem Schlauchboot bei uns vorbei und wir kommen ins Gespräch. Ihm gefällt die „Amazone“. Seine Begeisterung gipfelt in der Frage: „You don't want to sell it?“ Meine Antwort kommt prompt: „Yes, we don't want!“ Allgemeines Gelächter.

Die Nacht verläuft ohne besondere Vorkommnisse. Die „Amazone“ und das Nachbarboot haben sich nicht in die Haare gekriegt. Um 7.30 Uhr verlassen wir die Bucht mit Ziel Camaret-Sur-Mer an der französischen Küste, setzen kurze Zeit später das Großsegel und rollen auch die Genua ganz aus. Die Sonne scheint, es weht ein laues Lüftchen aus West. Kurz nach acht Uhr holen wir die aktuelle Wind- und Wettervorhersage nochmals ein. Es soll dabei bleiben, Wind aus West bis Nordwest mit vier Beaufort, norddrehend, in Böen fünf bis sechs. Also sollte der Wind im Laufe des Tages für uns günstiger kommen. Der Wind nimmt dann auch zu und dreht - aber leider südlicher. Gegen Mittag rollen wir die Genua ein, schlagen das Kutterstag an und setzen ein kleiners Vorsegel . Im Laufe des Tages nimmt der Wind weiter zu, drehen will er allerdings nicht. „Gegen den Wind kann keiner“ - wir müssen kreuzen, können also nicht den direkten Weg segeln. Im Zickzack-Kurs segeln wir etwa die doppelte Strecke und benötigen die dreifache Zeit.

Es wird uns klar, dass es heute mit Camaret nichts mehr wird. Also mal wieder eine Planänderung. Ziel soll jetzt das nähergelegene Roscoff sein. Laut Plotter werden wir um 23 Uhr dort ankommen. Inzwischen hören wir über Funk die ersten Windwarnungen der verschiedenen Coast Guards. Der Wind hat weiter auf gute sechs Beaufort zugelegt, dunkle Wolken lassen nichts Gutes ahnen - also auch das Großsegel verkleinern. Mit einem Reff und dem kleinen Vorsegel machen wir immer noch sieben Knoten Fahrt durchs Wasser. Die dunklen Wolken bringen zwar keinen Regen, aber heftige Böen. Was für ein Finale kurz vor dem Hafen. Hei, wie das Wasser in Lee über das Deck rauscht, um die Relingsstützen schießt und gurgelnd in den Speigatten verschwindet! Die „Amazone“ scheint ganz in ihrem Element zu sein. Welle für Welle nimmt sie brav, ohne Murren und Knurren. Heute haben alle ihren Spaß: Ingo und ich, weil wir segeln können und nicht nur den Mast spazieren fahren, die „Amazone“, weil sie zeigen kann, was in ihr steckt und der Motor, weil er - fast - nichts tun muss.

Abends um halb elf erreichen wir nach 87 Seemeilen den Vorhafen der Marina Roscoff, nehmen die Segel herunter und machen die „Amazone“ zum Anlegen klar. Es sind viele Boxen frei. Durch den Hafen läuft eine kräftige Tidenströmung, weshalb das Anlegemanöver besondere Aufmerksamkeit erfordert, zumal es schon fast dunkel ist. Es geht aber alles gut. Wir klaren das Boot auf und trinken noch einen Absacker im Cockpit. Weit nach Mitternacht fallen wir todmüde, aber glücklich und zufrieden mit uns und der „Amazone“, in die Kojen.

Ausschlafen, uns im Marinabüro anmelden, duschen und in aller Ruhe frühstücken, das ist doch ein ganz netter Tagesbeginn. Für uns gilt seit gestern wieder die mitteleuropäische Sommerzeit. Wir haben die eine Stunde, die wir auf Guernsey geschenkt bekommen haben, zurückgegeben. Die Bloscon Marina in Roscoff ist erst 2013 fertiggestellt worden. Die Doppelboxen sind sehr breit, die Stege und Ausleger großzügig bemessen. Über 600 Liegeplätze gibt es hier. Gehbehinderte Personen können von der Pier mit einem Fahrstuhl auf den Steg fahren - hoffentlich hält er auch bei Hochwasser immer rechtzeitig an. Direkt am Hauptsteg gibt es sogar eine behindertengerechte Toilette. Sehr vorbildlich, aber noch nie vorher irgendwo gesehen.

Am nächsten Morgen klingelt schon um viertel vor sechs der Wecker, weil wir uns überlegt haben, von Roscoff zu dem Hafen mit dem komisch klingenden Namen L'Aber Wrac'h (sprich Laberwrack) zu segeln. Die Wind- und Wettervorhersage ist einigermaßen günstig. Das heißt, sonnig, wenig Wind und diesen nicht direkt auf die Nase. In Natura bedeutet es: sonnig, sehr wenig Wind und viel Arbeit für den Motor. Trotzdem ändern wir unterwegs unseren Plan und segeln bzw. fahren durch bis Camaret-Sur-Mer. Klingt auch viel besser als Laberwrack.

Wir haben jetzt den Englischen Kanal hinter uns gelassen und den Nordatlantik erreicht. In der Marina in Camaret kommt uns der Hafenmeister im Schlauchboot entgegen. Leider kann er uns keine Hoffnung auf einen Boxenplatz machen, es ist alles belegt. Nur im Päckchen geht noch was. Da kann man nichts machen, also erst mal längsseits gehen.

Die großen, modernen Marinas sind oft seelenlose Bootsparkplätze mit allem Komfort, aber leider ohne Atmosphäre. Hier ist es anders. Jede Menge Flair, aber leider nur zehn Boxenplätze für Gäste. Duschen kostet pro Durchgang zwei Euro. Für diese zwei Euro kann ich hier nicht nur duschen, sondern den Männern beim Rasieren zusehen, da Männlein und Weiblein hier gemeinsam einen Duschraum nutzen. Manchmal kommt sogar ein Flitzer vorbei, um eine weitere Duschmarke aus dem Automaten zu ziehen.

Es wird eine Box frei und schnell wie die Wiesel verholen wir, ehe uns jemand zuvorkommen kann. Danach steht ein Großeinkauf an. Anschließend kümmert sich Ingo wieder mal um den Motor, Filter und Öl müssen gewechselt werden. Dies ist unser letzter Hafen vor der Überquerung der Biskaya, da muss alles in Ordnung sein. Wir warten hier auf ein günstiges Wetterfenster, um dieses berüchtigte Seegebiet bei möglichst guten Bedingungen zu überqueren.

Jawohl, dieser Hafen hat Flair. Auf einem der Nachbarboote wird Akkordeon gespielt und singen kann der Musiker auch noch. Ein etwas melancholisches Lied hat er angestimmt.

Heute haben wir Günter kennengelernt. Er segelte drei Jahre allein mit seiner Yacht „Großer Bär“ durchs Mittelmeer. Jetzt ist er auf dem Rückweg nach Norddeutschland und freut sich darauf, nach langer Zeit mal wieder Amrum und Helgoland anzulaufen. Er war bei uns an Bord und konnte uns viel über spanische und portugiesische Häfen erzählen. Natürlich statten wir auch Günter einen Besuch ab. Bei einem richtig guten Becher Kaffee gibt er uns viele weitere nützliche Tipps aus seinem großen Erfahrungsschatz.

Wenn zukünftig die Rede vom Finale der Fußballweltmeisterschaft 2014 sein wird, werden wir das immer mit einem wunderschönen Abend in Frankreich verbinden. Ausgerechnet Frankreich, haben die Deutschen die Franzosen doch aus dem Turnier gekickt. Aber nein, sie sind gute Verlierer. Heute Morgen hat unser französischer Bootsnachbar uns ganz herzlich gratuliert. Wir haben das Spiel in einer Kneipe direkt an der Hafenpromenade gesehen. Es war rappelvoll, außer uns waren nur wenige Deutsche dabei. Die Stimmung war ausgelassen, die Franzosen haben sich sehr sportlich verhalten. Als dann endlich das erlösende Tor für die Deutschen gegen Argentinien fiel, haben sie sich mit uns gefreut. Ingo hat mit unserem mitgebrachten Nebelhorn ordentlich Radau gemacht.

Zeitgleich mit der Verlängerung des Spiels, gab es um Mitternacht ein fünfzehnminütiges, großes Feuerwerk. Soweit ging die Sympathie der Franzosen mit uns Deutschen nun aber doch nicht, das Feuerwerk hatte natürlich nichts mit dem Endspiel zu tun. Heute ist der französische Nationalfeiertag. Es wird an diesem Tag an den Sturm auf die Bastille am 14.07.1789 erinnert. Er ist aber auch ein beliebtes Volksfest mit allem was dazu gehört und wird traditionell von der Feuerwehr ausgerichtet. In manchen Städten findet dieses Fest in der Nacht zum 14.07. statt und Camaret gehört zu diesen Städten. So gab es auch einen großen Laternenumzug, angeführt von mindestens zehn Dudelsackspielern.

Heute müssen wir Günter verabschieden. Die Leinen loswerfen, noch einmal eine gute Reise wünschen, winken. Er fährt aus dem Hafen und wir werden ihn wohl nie mehr wiedersehen. Wir haben ihn hier nur kurz kennengelernt, trotzdem ist unsere Stimmung gedrückt.

Die Sonne lacht vom strahlend blauen Himmel. Und was machen wir heute, gehen wir zum Strand? Nein! Der heutige Tag ist der „Amazone“ und der Sicherheit an Bord gewidmet. Vor unserer Abreise sind wir leider nicht mehr dazu gekommen, an der Spritzkappe eine Verstärkung und zwei extra Bügel anzuschrauben. Alles Notwendige für den Anbau haben wir dabei - Bügel, Schrauben, Edelstahlrohr, Buchsen und das erforderliche Werkzeug. Die Montage ist sehr aufwendig, weil der Bügel und die Verstärkung an das Gestänge der Spritzkappe angepasst werden müssen. Ingo hat sich Gedanken gemacht, wie es am besten gehen könnte. Nach einigen Stunden Anpassen, Bohren, Sägen, Abdichten und Anschrauben sitzt alles, wie und wo es sein soll. Wenn wir das Cockpit verlassen müssen, finden wir jetzt an diesem zusätzlichen Griff Halt beim Gang auf das Vorschiff.

Wenn das Werkzeug schon mal ausgepackt ist, kann Ingo auch gleich die zusätzlichen Augbolzen im Cockpit montieren, an denen wir uns auf See mit den Lifelines einklinken können. Helfen kann ich bei all dem nur wenig, es hilft schon sehr, wenn ich nicht im Weg sitze oder stehe.