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1907 brilliert Berlin mit der Eröffnung eines Konsumtempels, dem KaDeWe, und eines Luxushotels, dem Adlon. 1907 gibt es in Rom einen Lichtblick für die Kinder Ärmsten, das Casa dei Bambini von Maria Montessori. 1907 staunt man in Dresden über kleine Bäume und in Wien über Goethes mangelnde Kenntnisse. 1907 blühen in der Donaumonarchie der Handel und die Kaffeehäuser.
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Seitenzahl: 89
Veröffentlichungsjahr: 2025
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1907 brilliert Berlin mit der Eröffnung eines Konsumtempels und eines Luxushotels.
1907 gibt es in Rom einen Lichtblick für die Kinder der Ärmsten.
1907 staunt man in Dresden über kleine Bäume und in Wien über Goethes mangelnde Kenntnisse.
1907 blühen in der Donaumonarchie der Handel und die Kaffeehäuser.
Historische Fakten aus Kultur und Kunst – in kleinen Geschichten erzählt, spannend, traurig, überraschend, lustig.
Was können wir von diesen Kulturschätzen heute im 21. Jh. noch finden und besuchen? Darüber informiert der zweite Teil, incl. Quellenangaben zum selbstständigen Weiterforschen.
Sibylla Vee ist das Pseudonym einer Autorin, die sich zunächst in Praxis und Theorie ganz der Bildenden Kunst widmete.
2016 wechselt sie vom Pinsel zur Feder und beginnt zwei Serien:
KLEINE KULTURGESCHICHTEN erzählen Kurzbiographien von Entdeckern, Kulturschaffenden und Künstlern, Männern wie Frauen, die es wert sind, aus dem Schatten der »sehr Berühmten« herauszutreten.
KLEINE BILDERGESCHICHTEN erzählen von Lieblingsmotiven in Grafik und Malerei, von sehr berühmten wie auch kaum bekannten Künstlern und Künstlerinnen und ihren Werken.
Maria und Adele
Waren- und Walzerträume
Kühne Entscheidungen
Aufbruch
Da will ich hin
Kleine Bäume und kühne Männer
An kleinen und großen Gewässern
Königs und Kaisers Sommervergnügen
In aller Munde
Adele und Fritza
Luxus auf der Lusitania
Zu Silvester im Cabaret
Was blieb im 21. Jahrhundert?
Quellen, auch zum Weiterforschen
Personenverzeichnis
Ortsverzeichnis
ROM – Januar 1907
Der kleine Lorenzo war stolz, dass er den Namen des Heiligen trug, nach dem das ganze Viertel benannt war, San Lorenzo. »Mama, vado da Maria!«
Lorenzos Mutter nickte ihrem Sohn zu und rief ihm noch nach, er solle sich gründlich satt essen. Sie konnte nicht verstehen, was diese Signora Maria dazu bewogen hatte, sich hier, in einem der ärmsten Viertel Roms niederzulassen, eine Frau, die studiert hatte! Sehr schnell aber hatte Anna Rossi erfasst, dass ihr Sohn bei Maria gut aufgehoben war. Das vor wenigen Tagen neu eröffnete Casa dei Bambini war gleich um die Ecke, und ihr Lorenzo kam satt und glücklich von dort zurück. Anna Rossi musste schauen, wie sie ihre Kinder alleine satt bekam. Ihre Chiara war ein ruhiges Kind, das brav in der Ecke saß und spielte. Ihr fünfjähriger Lorenzo aber war wie ein Moskito ständig in Bewegung, bettelte jeden Fremden an, der sich in diese Gegend verirrte. Da war er bei Maria doch besser aufgehoben.
In dem Kinderhaus fehlte es noch an vielem, aber Maria Montessori hatte nicht länger warten wollen, Hauptsache, sie hatte das Haus und die Kinder waren von der Straße und all dem Elend weg. Alles andere würde sie Schritt für Schritt umsetzen.
»Maria! Maria! Maria!«, tönte es von allen Seiten. Maria Montessori schaute in die strahlenden Gesichter all der verdreckten Kinder mit ihrer zerfetzten Kleidung und ihren kaputten Schuhen, manche waren barfuß. Sie musste unbedingt noch mehr Geld sammeln, nicht nur für Essen, sondern auch für Schuhe. Lorenzo strahlte noch mehr, Maria wollte neue Schuhe beschaffen, der Himmel auf Erden. Maria war ein Engel und dieses Haus ein Paradies. Es war trocken, es war warm, er bekam zu essen, niemand verprügelte ihn, wie es sein Vater tat, wenn er ab und zu zuhause auftauchte, um dann wieder für unbestimmte Zeit zu verschwinden. Und dann gab es da so viel zu entdecken, so viele Spielsachen. Die bunten Bauklötze liebte Lorenzo besonders, er durfte mit ihnen spielen, so lange er wollte. Dieses Haus war ein Paradies und Maria war ein Engel.
WIEN – Januar 1907
Im achten Wiener Bezirk, in der Josefstädterstraße 21, stand im Hinterhof eine Art Gartenpavillon, das Atelier eines in Wien sehr angesehenen Künstlers, Gustav Klimt. Er hatte das große quadratische Gemälde auf die Staffelei gestellt, es ein wenig gedreht, sodass das Winterlicht vom Blattgold reflektiert wurde. Die Porträtierte, die Unternehmergattin Adele Bloch-Bauer, war nicht anwesend. Klimt musste alleine entscheiden, wann das Gemälde vollendet war. Vor drei Jahren hatte er von dem Ehemann den Auftrag bekommen. Es wurde Zeit, dass das Werk der Welt gezeigt würde. Warum nicht hier, in seinem Atelier? Hier konnte er sich sicher sein, dass die Beleuchtung richtig war, dass das Gold weich schimmernd wirkte und nicht zu hart reflektierte.
Abb. 1 – »Adele Bloch-Bauer I«, von Gustav Klimt, 1907
Was war das für ein Ringen gewesen, bis er die richtige Position für Adele gefunden hatte. Über hundert Zeichnungen hatte er angefertigt, bis er und sie – seine zarte, elegante, durchgeistigte Adele – mit allem im Einklang waren. Sie mochte die für sie typische Handhaltung, all den Schmuck und das Gold. Er liebte ihre Augen mit den schweren Lidern und dem verträumten Blick, und vor allem liebte er ihren großen Mund. Und er liebte noch viel mehr an Adele, aber das musste die Welt nicht wissen.
Es war ganz still, an diesem Wintermorgen, der Schnee schluckte alle Geräusche. Es war über Nacht viel Schnee gefallen. Klimt kniff die Augen etwas zusammen und versetzte sich für einen Moment nach Italien zurück, in die Kirchen von Ravenna, und nach Venedig, in den Dom. Welch wundervolle Mosaike, welch ein Erstrahlen in Gold! Es war ihm gelungen, er hatte diesen Goldschimmer eingefangen. Je länger er sein Werk betrachtete, umso sicherer war er sich, sie sollten alle hier ins Atelier kommen, um es zu sehen.
CHARLOTTENBURG – Februar 1907
Berlin wuchs und wuchs. Die Anzahl der neuen Kaufhäuser – die Konsumtempel des neuen Jahrhunderts – ebenso. Es gab schon etliche Warenhäuser, darunter auch sehr große, wie das Warenhaus Wertheim an der Oranienstraße, mit einem Palmenhaus und Wasserfällen im Inneren, oder das Warenhaus Tietz in der Leipzigerstraße mit seiner großen Glasfassade. Für das zweite Tietz-Kaufhaus am Alexanderplatz, in dem die ersten elektrischen Staubsauger angeboten wurden, hatten die Berliner einen eigenen Spruch. »Jehn sie baden, jehn sie baden mit Jefühl, ohne Badehose is det Wasser kühl, doch bei Tietz am Alexanderplatz jibt es Badehosen mit’ nem Pelzbesatz.«
Nun war der Bau eines weiteren großen Konsumtempels fertig und stand kurz vor der Eröffnung, in Charlottenburg, das noch eine eigenständige Großstadt war. Für die Berliner war dieser Standort »jotwede…im wilden Westen…janz weit draußen«. Das neue Warenhaus bekam in der Tat den Namen Kaufhaus des Westens, kurz KaDeWe. Der Unternehmer war Adolf Jandorf. Das KaDeWe war sein siebtes Warenhaus, das die anspruchsvollsten Konsumwünsche der Gutbetuchten erfüllen sollte.
Abb. 2 – Eingang zum U-Bahnhof Wittenbergplatz
Anders als die Berliner dachten, erwies sich die Lage des KaDe-We als ein brillanter Standort. Zwischen der Ansbacher-, Passauer- und Tauentzienstraße gelegen, befand sich das Gebäude in unmittelbarer Nähe zu mehreren Straßenbahnlinien und einem der ersten U-Bahnhöfe – Wittenbergplatz – auf der Stammlinie der 1902 eröffneten Berliner Hoch- und Untergrundbahn.
Noch wurde im Inneren geräumt, sortiert und dekoriert, das Äußere aber schon von vielen begutachtet. Der Architekt, Emil Schaudt, hatte ein an drei Seiten freistehendes Gebäude entworfen, mit fünf Etagen und mit einer eher schlichten Fassade aus Muschel-Kalksandstein. Die Architekturkritiker bescheinigten Schaudt, dass es ihm gelungen sei, die unterschiedlichen Fassaden zu den drei
Abb. 3 – Das KaDeWe, 1907
Abb. 4 – Haupteingang des KaDeWe, mit der großen Uhr
verschiedenen Straßen gut unter einen Hut und somit das KaDeWe mit seiner Umgebung in Einklang gebracht zu haben, auch mit der nicht weit entfernten Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche.
Über dem hohen Eingangsportal hatte Schaudt eine Uhr mit einem über drei Meter großen Zifferblatt anbringen lassen, wo zu gewissen Uhrzeiten ein großes in Goldblech geschmiedetes Schiff als Wahrzeichen des Warenhauses vorbeizog.
WIEN – Februar 1907
Seit fünf Jahren konnte Elfriede Kegelbauer ihre Freiheit genießen. Ihr viel älterer Ehemann, der Münchner Papierfabrikant, Alois Kegelbauer, war verstorben und hatte ihr ein großes Vermögen vererbt. Dennoch musste sie München verlassen, sich eine andere Stadt, ein neues Domizil suchen. Sie liebte die Stadt München, aber die Münchner wurden ihr gegenüber immer schamloser. »Spotznhian« war noch eines der harmloseren Schimpfwörter, mit denen sie betitelt wurde, und mit dem man zu verstehen gab, dass sie nicht mehr Verstand besäße, als in das Gehirn eines Spatzen passe. Ja, sie war in einfachen Verhältnissen aufgewachsen und hatte keine Bildung. Das stimmte, aber sie war mutig, packte jede Chance beim Schopf, die ihr das Leben bot, wie Alois Kegelbauer, für den sie der »Stern seines Lebens« gewesen war. Elfriede wusste, es war der blanke Neid, der ihr hier in gehässigster Form entgegenschlug. In den ersten Jahren, nach dem Tod ihres Mannes, war sie auf Kreuzfahrten den bösen Zungen entkommen und hatte viel von der Welt gesehen. Doch nun wurde es Zeit, sich ein neues Domizil zu suchen.
Abb. 5 – »Hotel Meißl & Schadn«, Ausschnitt aus »Donnerbrunnen am Neuen Markt«, s/w, Aquarell von Robert Raschka, 1907
Elfriede Kegelbauer war nach Wien gereist und hatte sich im Hotel »Meißl & Schadn« einquartiert. Das renommierte Hotel mit Restaurant am Neuen Markt 2 gefiel ihr äußerst gut. Ihr Zimmer hatte Fenster zum Platz mit dem Donnerbrunnen, hatte ein eigenes Bad, elektrisches Licht und Zentralheizung. Außerdem bot das Hotel einen Lift und – was Elfriede besonders gefiel – ein Lesezimmer. Dort konnte sie hinter einem Buch leichter unauffällig andere Gäste beobachten als im Restaurant. Und dann das Hotelpersonal! »Wie ist das werte Befinden der Gnädigen Frau?« Hier wurde sie von allen als Dame behandelt.
»Gnädige Frau, darf ich Ihnen eine Empfehlung für ein besonderes musikalisches Ereignis geben? In einer Woche, am Samstag, den 2. März, gibt es im Carltheater eine Uraufführung, eine Operette von Oscar Straus, Walzertraum heißt sie, mit vielen wundervollen Walzermelodien. Das würde Ihnen sicher gefallen. Wir könnten Ihnen eine Karte besorgen.«
Und ob Elfriede Kegelbauer diese Operette gefiel, auch wenn sie kurz zuvor, im Foyer, einen kleinen Rückschlag erfahren hatte, als sie sich über einen Rechtschreibfehler auf dem Programmheft wunderte. Mit schneidendem Blick hatte sie eine ältere Dame mit viel teurem Schmuck belehrt: »Nein, junge Dame, das ist kein Schreibfehler. Oscar Straus entstammt nicht der berühmten Strauß-Familie, auch wenn diese Operette Walzertraum heißt.«
Abb. 6 – Notentitelblatt für die Operette »Ein Walzertraum«
Da die sie belehrende Dame nicht in Elfriedes Nähe saß, konnte sie den Abend genießen. Schon das Bühnenbild gefiel ihr, der prachtvolle Schlosssaal und der Musikpavillon im Park. Der fesche Leutnant Niki gefiel ihr und ganz besonders die Damenkapelle auf der Bühne mit der Tschinellenfifi. Die Walzermelodien waren ein Traum, die Operette hatte den richtigen Titel. Das Hotel sollte ihr noch für weitere Abende Karten besorgen. Wien kam in die engere Wahl für ein neues Domizil.
MAILAND – März 1907
Es war Montag, der 18. März, als der Journalist Luigi Barzini einen Anruf von Luigi Albertini bekam, dem Chefredakteur des Corriere della Sera, er solle sich umgehend bei ihm in der Redaktion einfinden.
»Was denken Sie darüber?« wollte der Chefredakteur wissen, nachdem er Barzini eine Ausgabe der französischen Zeitung Le Matin
