Rote Millefleurs mit Dame, Löwe und Einhorn und ihre Geheimnisse - Sibylla Vee - E-Book

Rote Millefleurs mit Dame, Löwe und Einhorn und ihre Geheimnisse E-Book

Sibylla Vee

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Beschreibung

Millefleurs, Tausend Blumen, bezeichnet eine bestimmte Stilrichtung in der hohen Kunst der gewebten Wandteppiche. Die einzige Millefleurs-Serie mit rotem Hintergrund trägt heute den Titel: Die Dame und das Einhorn. Sie birgt noch immer, selbst für Fachleute, zahlreiche Geheimnisse und Interpretationsmöglichkeiten. Die Autorin stellt auch ihre eigene Interpretation vor.

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Seitenzahl: 83

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Millefleurs – Tausend Blumen – bezeichnet eine bestimmte Stilrichtung in der hohen Kunst der gewebten Wandteppiche. Die einzige Millefleurs-Serie mit rotem Hintergrund trägt heute den Titel Die Dame und das Einhorn. Sie birgt noch immer – selbst für Fachleute – zahlreiche Geheimnisse und Interpretationsmöglichkeiten.

Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung!

Sibylla Vee ist das Pseudonym einer Autorin, die sich zunächst in Praxis und Theorie ganz der Bildenden Kunst widmete.

2016 wechselt sie vom Pinsel zur Feder und beginnt zwei Serien:

KLEINE KULTURGESCHICHTEN erzählen Kurzbiographien, – von Entdeckern, Kulturschaffenden und Künstlern, Männern wie Frauen, die es wert sind, aus dem Schatten der »sehr Berühmten« herauszutreten.

KLEINE BILDERGESCHICHTEN erzählen von Lieblingsmotiven in Grafik und Malerei, von sehr berühmten wie auch kaum bekannten Künstlern und Künstlerinnen und ihren Werken.

Inhaltsverzeichnis

Eine mehrfache Ausnahme

Vogel

Blütenkranz

Orgel

Zelt

Spiegel

Halsbänder

Erste Erkenntnisse

Fünf Sinne und ein sechster

Mariensymbolik

Allegorien aus dem Rosenroman

Hochzeitsgeschenk mit Minnesymbolik

Astrologische Deutung

Herzogin, Fürstin, Königin

Margareta von York

Mary Tudor

Noch eine Interpretation

Anhang

Quellen

Eine mehrfache Ausnahme

In der Serie KLEINE BILDERGESCHICHTEN ist dieser Band gleich in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahme.

Es werden keine Gemälde vorgestellt, sondern Tapisserien, Wandteppiche mit Bildmotiven.

Es sind nur sechs Teppiche an der Zahl, denn groß ist nicht nur die Fülle der Bilddetails, sondern vor allem die Anzahl der unterschiedlichen Interpretationen. Bis heute gehören sie weltweit zu den geheimnisvollsten Kunstwerken.

Da die Wandteppiche 3 bis 4 m breit sind, gibt es diesen Band in zwei – im Text identischen – Ausgaben, einmal im Format der Serie KLEINE BILDERGESCHICHTEN, und zudem als Sonderdruck im DIN-A4-Format.

Generell wird die zusätzliche Betrachtung auf einem Bildschirm empfohlen. Hierzu gibt es zwei Möglichkeiten. Das Pariser Museum für Kunst des Mittelalters, in dem die sechs Wandteppiche ausgestellt sind, erstellte nach einer umfangreichen Restaurierung im 21. Jh. hochwertige, farbgetreue Abbildungen. Diese sind zu finden auf der deutschen Wikipediaseite:

Musée national du Moyen Âge > Commons: Sammlung von Bildern > Collections of Musée national du Moyen Âge > Tapestries in the Musée national du Moyen Âge > La Dame à la licorne In der Fülle der angebotenen Abbildungen lassen sich die sechs hochwertigen des Museums über die Größe der Bilddatei finden, zwischen 6000 x 8200 Pixel, bzw. zwischen 60 bis 85 MB. Auf diesen lässt sich digital jedes kleinste Detail erkunden.

Wem dieser Weg zu umständlich ist, wähle die zweite Möglichkeit:

www.ladyandtheunicorn.com

Die von der in Sydney lebenden Japanerin Yuki Fukazawa vertretende Interpretation ist sehr eigenwillig und abenteuerlich – am besten ignoriert man die Texte völlig – das digital aufbereitete Bildmaterial aber ist sehr gut, insbesondere für einen schnellen Zugang und für einen hindernisfreien Wechsel zwischen den sechs Wandteppichen. Gleich zu Beginn ist auch eine Aufnahme aus den Harry-Potter-Verfilmungen zu sehen, denn dort wurden die Tapisserien als Wandtapete im Gemeinschaftsraum des Hauses Gryffindor verwendet.

Die letzte Ausnahme sind die Bildtitel, die von den gängigen abweichen. Ursprünglich wurden die sechs Wandteppiche nach ihrem Fundort benannt, dann nach dem Pariser Museum. Erst seit 1885 wurden sie mit dem Titel »La Dame à la Licorne« (Die Dame und das Einhorn) von anderen Teppichen im Museum unterschieden. Dieser Titel ist nur teilweise zutreffend, denn auf allen sechs Teppichen ist dem Einhorn auf der rechten Seite auf der linken Seite ein Löwe gegenübergestellt. Die sechs Teppiche gehören zur Tapisseriegattung der Millefleurs, Tausend Blumen.

Über die gesamte Fläche sind einzelne Blütenzweige oder im Erdreich wachsende Blumen verteilt. Unter den Millefleurs sind die sechs Teppiche die einzigen – zumindest heute noch erhaltenen – deren Hintergrund rot ist. Deshalb lautet der Titel dieses Buches »Rote Millefleurs mit Dame, Löwe und Einhorn und ihre Geheimnisse«.

Ähnliches gilt für die Einzeltitel, mit denen die Teppiche unterschieden werden. In der Literatur ebenso wie digital hat sich die Bezeichnung mit den fünf Sinnen verbreitet, da tasten, riechen, schmecken, hören, sehen so schön knappe Begriffe sind. Doch diese geben gleich eine eindeutige Interpretation (S. →), einmal davon abgesehen, dass der sechste Teppich dann jeweils einen anderen Titel trägt. Für dieses Buch wurden sechs ebenso kurze Begriffe nach einem sichtbaren Bildelement gewählt, unter denen die sechs Millefleurs in den folgenden Kapiteln erst einmal vorgestellt werden.

Vogel

Auf dem Wandteppich, der in diesem Buch mit dem Begriff Vogel bezeichnet wird (S. →), sind die meisten bewegten Bildelemente auszumachen. Der Löwe steht aufrecht und hält eine Fahnenstange mit einer stark wehenden, zweizipfligen Flagge. Das Wappen zeigt drei weiße Mondsicheln auf blauem, diagonalem Band und roter Grundfläche. Das gleiche Wappen als Standarte – eine steife Fahne – hält das aufrecht stehende Einhorn, das uns anschaut. Beide Tiere sind zusätzlich mit einem wehenden Umhang geschmückt, auch dieser mit dem gleichen Wappen. (S. →) Der Schleier der Dame ist ebenso in einer wehenden Bewegung gezeigt. Auf ihrer linken Hand sitzt ein Vogel mit nach oben gerichteten Flügeln. Über ihrem Kopf fliegen zwei Vögel aufeinander zu. (S. →)

Der deutsche Dichter Rainer Maria Rilke hielt sich ab 1905 länger in Paris auf, um dort als Sekretär für den französischen Bildhauer Auguste Rodin zu arbeiten. Er besuchte oft die sechs roten Millefleurs und widmete ihnen in seinem Roman Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge einige Seiten. [RR/104f.] Zu diesem Teppich schrieb er: »…Sie füttert den Falken. Wie herrlich ihr Anzug ist. Der Vogel ist auf der gekleideten Hand und rührt sich. Sie sieht ihm zu und langt dabei in die Schale, die ihr die Dienerin bringt, um ihm etwas zu reichen. Rechts unten auf der Schleppe hält sich ein kleiner, seidenhaariger Hund, der aufsieht und hofft, man werde sich seiner erinnern. Und…ein niederes Rosengitter schließt hinten die Insel ab. Die Wappentiere steigen heraldisch hochmütig.«

So wunderbar Rilke den kleinen Hund beschrieb (S. →), bei dem Falken irrte er, wenn auch verständlicherweise, denn der Handschuh, den die Dame an der linken Hand trägt, ist der eines Falkners. Der Vogel aber ist ein grüner Papagei mit einem roten Halsstreifen. Dies ist keine Frage der Interpretation, die Identifizierung ist augenscheinlich eindeutig, insbesondere, da auf demselben Teppich auch ein Falke abgebildet ist, braun mit den typischen Schwanzfedern. Es ist der linke der beiden Vögel, über dem Kopf der Dame, der auf eine Elster, auch diese durch ihr schwarz-weißes Federkleid eindeutig zu erkennen, zufliegt. (S. →)

Deutlich zu erkennen ist auch, dass der Papagei in seiner rechten Kralle eine der weißen Kugeln hält, von denen viele in der Schale liegen, aus der die Dame eine weitere entnimmt, ohne dabei hinzuschauen. (S. →) Doch was sind das für Kugeln? Warum sitzt der Papagei auf dem Falknerhandschuh und der Falke fliegt über dem Kopf der Dame? Welche Rolle spielt der Hund, der sich traut, auf der Schleppe des goldfarbenen Brokatkleids zu sitzen?

Auf Vogel – 3,75 x 4,60 m [VP/18] – spielt sich wie auf allen Teppichen das Geschehen auf einer Art dunkler Insel ab, die vor dem roten Hintergrund fast zu schweben scheint. Doch warum ist nur hier die Insel mit einem mit Rosen bewachsenen Gitter abgegrenzt?

Welche Bedeutung haben die vier Bäume, die alle zum Zeitpunkt ihres Fruchtstands abgebildet sind? Auf der rechten Seite eine Kiefer über einer Eiche, links ein Orangenbaum über einer Stechpalme. Zwischen diesen beiden Bäumen ein Tier mit getupftem Fell und einem langen gestreiften Schwanz. (S. →) Heute im 21. Jh. kommt diese scheue Schleichkatze im europäischen Raum nur noch in Frankreich und Spanien vor. Im Deutschen nennen wir sie Ginsterkatze. So unscheinbar wie sie sich im Hintergrund aufhält tun es auch ein Fuchs neben der Eiche und ein Affe zu Füßen der Dame. (S. →/→)

Kontrastreich, weiß leuchtend, machen dagegen zwei andere Tiere auf sich aufmerksam, ein junger Löwe neben der Kiefer (S. →/→) und neben dem wehenden Schleier ein junges Einhorn, dem noch kein Horn gewachsen ist. (S. →)

Betrachten wir nun den zweiten Teppich, der in diesem Buch mit Blütenkranz bezeichnet wird.

Blütenkranz

»Geht man nicht unwillkürlich leiser zu dem nächsten Teppich hin, sobald man gewahrt, wie versunken sie ist. Sie bindet einen Kranz, eine kleine, runde Krone aus Blumen. Nachdenklich wählt sie die Farbe der nächsten Nelke in dem flachen Becken, das ihr die Dienerin hält, während sie die vorige anreiht. Hinten auf der Bank steht unbenutzt ein Korb voller Rosen, den ein Affe entdeckt hat…« [RR/105]

Die Kiefer, der junge Löwe und die Elster, jetzt stehend, haben ihre Plätze beibehalten. Statt des Falken stolziert ein Reiher auf die Elster zu. Die Dienerin steht weiterhin an der rechten Seite der Dame.

Der Fuchs und das junge Einhorn sind verschwunden, der Affe ist vom Boden auf eine Bank geklettert und riecht an einer Rose. Der Korb mit den roten und weißen Rosen steht hinter der Dame. (S. →) Symbolisieren sie ihre Vergangenheit und die roten und weißen Nelken, aus denen die Dame einen Kranz flicht, ihre Zukunft?

Neben Nelken und Rosen gibt es noch zahlreiche andere Blumen, die Botaniker identifizieren konnten: Margueriten, Gänseblümchen, gelbe und blaue Stiefmütterchen, Ehrenpreis, Immergrün, Goldlack, Glockenblumen, Narzissen, Leimkraut, Akelei, Ringelblumen und Vergissmeinnicht. [JA]

Löwe und Einhorn sitzen jetzt auf ihren Hinterbeinen, die Fahne weht noch, aber schwächer, das Einhorn schaut zur Dame. Beide Tiere sind nicht mehr mit einem wehenden Umhang, sondern mit einem festen Wappenschild geschmückt. Orangenbaum, Stechpalme und Eiche sind neu angeordnet.

Der Blütenkranz-Teppich hat mit 3,67 x 3,22 m [VP/16] ein leichtes Hochformat. In der Abbildung (S. →) wirkt er fast quadratisch, da der untere Rand weggelassen wurde. Dieser Abschlussstreifen unter der Insel weist bei allen Teppichen jeweils einen etwas anderen Rotton als die große Hintergrundfläche auf (S. →), da diese Partien im 19. Jh. aufgrund ihrer starken Beschädigungen neu gewebt wurden. [VP/10]