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Rolf Steininger

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Beschreibung

Nach 1945 gab es keine gemeinsame Deutschlandpolitik der Sieger. Jede Besatzungsmacht verfolgte ihre eigenen Ziele. Am Ende sicherten sich die Westmächte mit der BRD den wichtigsten Teil Deutschlands, der von den Sowjets revolutionierte Rest wurde zur DDR. Rolf Steininger zeichnet diese Geschichte noch einmal nach und zeigt, dass bereits in der Entstehungszeit dieser beiden Staaten der Erfolg des einen und das Scheitern des anderen angelegt war.

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Rolf Steininger

1949Zwei deutsche StaatenDie Entstehung von BRD und DDR

 

 

© 2024 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

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Internet: www.studienverlag.at

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7065-6362-8

Buchinnengestaltung nach Entwürfen von himmel. Studio für Design und Kommunikation, Innsbruck / Scheffau – www.himmel.co.at

Satz und Umschlag: Maria Strobl – www.gestro.at

Umschlagabbildung: US-Department of Defense, Arlington, Virginia

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at

Inhalt

Vorwort

I: Die Planungen der Alliierten im Krieg

1. Bedingungslose Kapitulation

2. Die Außenministerkonferenz in Moskau

3. Die Konferenz von Teheran

4. Die Einteilung Deutschlands in Zonen

5. Die Konferenz von Jalta

6. Wachsendes Misstrauen bei Amerikanern und Briten

Exkurs: Der Morgenthau-Plan

II: Das Ende des Krieges

1. Die Besetzung

Einschub: Die amerikanischen „Rheinwiesenlager“

2. Die Befreiung der Konzentrationslager

3. Der 8. Mai 1945 und die Deutschen

4. Die Not der Besiegten

III: Die Konferenz von Potsdam

1. Die Initiative Churchills

2. Die Akteure: Truman, Churchill, Stalin

3. Die Atombombe

4. Grundsätze für die Behandlung Deutschlands

5. Reparationen und de facto-Teilung Deutschlands

6. Die Oder-Neiße-Linie

7. Weitere Entscheidungen

8. Fazit

Exkurs: Frankreichs Deutschlandpolitik

IV: Kriegsverbrecherprozesse

1. Statt Exekutionen Gerichtsverfahren

2. Das Tribunal von Nürnberg

3. Nachfolgeprozesse

V: Die Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen

1. Parteien

Exkurs: Die Entlassung Konrad Adenauers als Oberbürgermeister von Köln am 6. Oktober 1945

2. Gewerkschaften

3. Entnazifizierung

4. Umerziehung

VI: Die Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone

1. Stalins Ziele in Deutschland

2. „Demokratische Umgestaltung“

3. Die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED

4. Die Machtsicherung der SED

VII: Der Kalte Krieg im Frühjahr 1946

1. London und die „russische Gefahr“

2. Amerikanische Positionen

VIII: Die Ruhrfrage (1)

1. Frankreich fordert Abtrennung des Ruhrgebietes

2. Britischer Plan A: Internationalisierung der Ruhrindustrie

3. Britischer Plan B: Nationalisierung der Ruhrindustrie und ein neues Land

4. Das neue Land: Nordrhein-Westfalen

IX: 1946 – Auf dem Weg in die Teilung

1. Die Außenministerkonferenz in Paris

2. Die Bildung der Bizone

X: 1947 – Das Jahr der Entscheidung

1. Die Truman-Doktrin

2. Die Außenministerkonferenz in Moskau

3. Wirtschaftsrat und Deutsche Wirtschaftskommission

4. Der Marshallplan

5. George F. Kennan’s „X“-Artikel

6. Die gesamtdeutsche Ministerpräsidentenkonferenz in München

7. Die Außenministerkonferenz in London

Exkurs: Amerikanische Reparationspolitik: 30 Kilometer Film aus dem Reichspatentamt

XI: Die Gründung der Bundesrepublik

1. Die Sechsmächtekonferenz in London

Einschub: Ein Plädoyer gegen die Einheit

2. Währungsreform und Berlin-Blockade

3. Der Robertson-Plan

4. Der Kennan-Plan

5. Kirkpatricks Plan

6. Die letzten Schritte

XII: Die Ruhrfrage (2)

1. Keine Sozialisierung

Einschub: Sir Orme Sargent und die Deutschen

2. Die „Dekartellisierung“

Exkurs: „In die Wolfsschlucht“– Das Scheitern der Bodenreform

3. Ruhrstatut und Ruhrbehörde

4. Das Petersberger Abkommen

XIII: Die Gründung der DDR

1. Der Volkskongress

2. „Die neue Lage“

3. Die SED-Führung bei Stalin

4. Die „Partei neuen Typus“

5. Die Außenministerkonferenz in Paris

6. Stalins „Wendepunkt in der Geschichte Europas“

Schlussbetrachtung

Nachwort

ANHANG

Zeitzeugen

Abkürzungen

Zeittafel

Literaturhinweise

Bildnachweis

Vorwort

Das Jahr 1949 ist ein denkwürdiges Jahr in der deutschen Geschichte. In jenem Jahr wurden zwei deutsche Staaten gegründet: die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Deutschland war damit definitiv geteilt.

Wollten die Sieger diese Teilung? Sicher nicht von Anfang an. Bei Kriegsende wollten sie vor allem eines: künftig Sicherheit vor Deutschland. Dabei war eines auch klar: Selbst in der Niederlage blieb Deutschland der Schlüssel für die Zukunft Europas. Wer Deutschland beherrschte, beherrschte Europa. Dabei durfte dieses Land nie wieder zu einer Bedrohung des Weltfriedens werden. Egon Bahr, der Vertraute des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt, hat die Politik der Sieger 2007 einmal so beschrieben:

„Die Sowjets wussten, was sie wollten. Die Westmächte wussten es nicht. Beide waren jedenfalls in einem Punkt einig: Man muss aufpassen, dass diese Deutschen mit ihrer unheimlichen Kraft – trotz der Trümmer – nicht wieder eine Gefahr werden können. Man muss Deutschland unter Kontrolle haben. Insofern haben alle – die Sowjetunion genauso wie die drei Westmächte – hinter ihren machtpolitischen Zielen gestanden und haben dafür gesorgt, dass die Deutschen nicht mehr eine Gefahr werden können. Von Deutschland darf kein Krieg mehr ausgehen, ist ein Ziel gewesen am Ende des Krieges.“

Um genau das sicherzustellen, einigten sich die Sieger 1945 auf bestimmte Grundsätze zur Behandlung Deutschlands: Entwaffnung, Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Demokratisierung, Entflechtung der Kartelle, Reparationen.

Ein zentrales Thema dieser „Sicherheitsfrage“ war von Anfang an das Ruhrgebiet, das in der britischen Zone lag und an dessen Zukunft die Sieger besonders interessiert waren. Einerseits durfte die ehemalige „Waffenschmiede des Reiches“ nie wieder zum Rückgrat einer deutschen Aggression werden, andererseits war dessen Wirtschaftspotenzial für den Wiederaufbau Europas und Deutschlands unentbehrlich.

Das Problem brachte der höchste Beamte im britischen Foreign Office, Sir Orme Sargent, 1946 auf den Punkt: „Je leichter wir es dem deutschen Volk machen, die Kontrolle über die Ruhrindustrie zurückzugewinnen, umso größer ist das Risiko für uns, die Bildung einer deutschen Regierung zu beschleunigen, die entschlossen ist, Hitlers zerstörte Welt wieder aufzubauen.“ Sowjets und Franzosen sahen das ähnlich. Die einen wollten eine Viermächtekontrolle des Gebietes, die andern die Abtrennung von Deutschland.

Es gab keine gemeinsame Deutschlandpolitik der Sieger. Schon bald verfolgte jede Besatzungsmacht in ihrer Zone ihre eigenen Ziele: Die Westmächte nach demokratisch-westlichen, die Sowjets nach sowjetisch-kommunistischen Vorstellungen. Die „russische Gefahr“ und der Kalte Krieg taten ein Übriges. Der Weg führte Schritt für Schritt in die Teilung des Landes. Am Ende sicherten sich die Westmächte mit der BRD den wichtigsten Teil Deutschlands als eine Art „Bollwerk gegen den Kommunismus“. Der von Sowjets und deutschen Kommunisten revolutionierte Rest wurde zur DDR. Es war eine dramatische Geschichte, die im Folgenden noch einmal nachgezeichnet wird. Dabei wird deutlich, dass schon in der Entstehungsgeschichte dieser beiden Staaten die Grundlage gelegt wurde für den Erfolg des einen und den Untergang des anderen.

I:

Die Planungen der Alliierten im Krieg

1. Bedingungslose Kapitulation

2. Die Außenministerkonferenz in Moskau

3. Die Konferenz von Teheran

4. Die Einteilung Deutschlands in Zonen

5. Die Konferenz von Jalta

6. Wachsendes Misstrauen bei Amerikanern und Briten

Exkurs: Der Morgenthau-Plan

1. Bedingungslose Kapitulation

Am 11. Dezember 1941 erklärte das Deutsche Reich den USA den Krieg. Der stellvertretende amerikanische Außenminister (und von 1949–1953 Außenminister) Dean Acheson kommentierte das folgendermaßen: „Ein kolossaler Fehler. Endlich hatten unsere Feinde mit unvergleichlicher Dummheit unser Dilemma beseitigt, alle Zweifel geklärt und unser Volk für einen langen Kampf geeint.“

13 Monate später trafen sich vom 14. bis 26. Januar 1943, wenige Tage vor dem Ende der 6. deutschen Armee bei Stalingrad, US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill mit ihren Militärs in Casablanca, um das weitere Vorgehen gegen Deutschland zu beraten. Sowjetdiktator Josef Stalin war eingeladen worden, hatte aber am 6. Dezember zur Enttäuschung Roosevelts unter Hinweis auf die Schlacht um Stalingrad abgelehnt, ebenso eine Verschiebung auf März.

Am 24. Januar verkündete Roosevelt mit Wissen Churchills zum ersten Mal öffentlich als Kriegsziel der Alliierten die „bedingungslose Kapitulation“ Deutschlands, Italiens und Japans. Bedingungslose Kapitulation, „unconditional surrender“, bedeutete totale Niederlage. Der Begriff stammte aus dem amerikanischen Bürgerkrieg. 1862 hatte der Nordstaaten-General Ulysses S. Grant diese Forderung gegenüber dem Kommandanten der Konföderierten-Festung Fort Donelson gestellt. Grant wurde später von Präsident Lincoln zum Oberkommandierende der Nordstaaten-Truppen ernannt und führte den Norden zum Sieg. 1865 endete der Krieg mit der totalen Niederlage der Südstaaten. Von 1869–1877 war Grant 18. US-Präsident und wurde erfolgreicher Memoirenschreiber. „Unconditional surrender-Grant“ wurde für viele zum Begriff in den USA. In den Vorarbeiten für Casablanca war denn auch schon von der bedingungslosen Kapitulation die Rede. Roosevelt erwähnte sie erstmals am 18. Januar bei einem Mittagessen mit Churchill. Der bat am nächsten Tag das britische Kriegskabinett um Zustimmung und schlug gleichzeitig vor, Italien auszunehmen. Das Kriegskabinett sah das anders und beschloss einstimmig, dass die Formulierung gleichermaßen für Deutschland, Japan und Italien gelten solle.

(1) 14.–26. Januar 1943: Konferenz von Casablanca. US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill mit ihren Militärs. Stehend, 1. Reihe v. l.: General Henry Arnold, Admiral Ernest King, General George Marshall, Admiral Dudley Pound, Luftmarschall Charles Portal, General Alan Brooke, Feldmarschall John Dill, Admiral Louis Mountbatten.

Bis das von Roosevelt verkündete Ziel erreicht war, musste zwar noch ein langer Weg zurückgelegt werden, aber spätestens seit dem Herbst 1943 war erkennbar, dass Deutschland militärisch keine Chance mehr hatte.

2. Die Außenministerkonferenz in Moskau

Zu diesem Zeitpunkt gab es auf britischer und amerikanischer Seite bereits zahlreiche Überlegungen im Hinblick auf Nachkriegsdeutschland. Auf der Außenministerkonferenz in Moskau, im Oktober 1943, überreichte USAußenminister Cordell Hull einen detaillierten, aber noch inoffiziellen Vorschlag einer relativ milden Behandlung. Der Plan sah u. a. vor: Ganz Deutschland wird von amerikanischen, britischen und sowjetischen Streitkräften besetzt; eine interalliierte Kontrollkommission übernimmt die vorläufige Regierungsgewalt; Deutschland wird entmilitarisiert, entnazifiziert, demokratisiert, die Kriegsindustrie zerstört, die NSDAP sofort verboten und aufgelöst; Deutschland leistet Reparationen. Die Frage der Grenzen des zukünftigen Deutschlands sollte „bei einer allgemeinen Regelung des deutschen Problems“ ins Blickfeld gerückt werden. Hull sprach sich für eine „politische Dezentralisierung“, d. h. für ein föderalistisch strukturiertes Deutschland aus, um so die preußische Vorherrschaft über das Reich zu beseitigen.

Das waren Überlegungen, die den Vorstellungen des Foreign Office in London entsprachen. Für den britischen Außenminister Anthony Eden war das Memorandum denn auch ein „nützlicher Beitrag“. Sein sowjetischer Kollege Molotow reagierte ebenfalls zustimmend – angeblich war Stalin geradezu begeistert –, bezeichnete den Plan allerdings als „Minimal- und nicht als Maximalvorschlag“; er versicherte Hull, dass „die Sowjetunion allen Maßnahmen voll zustimme, die Deutschland für alle Zukunft unschädlich machen würden“, entschuldigte sich aber gleichsam dafür, dass seine Regierung angesichts der starken Beanspruchung durch militärische Aufgaben „mit dem Studium der Behandlung Deutschlands nach dem Kriege noch nicht weit genug sei“.

(2) 18.–30. Oktober 1943: Außenministerkonferenz in Moskau. (v. l.) Cordell Hull (USA), Wjatscheslaw Molotow (Sowjetunion) und Anthony Eden (Großbritannien) beschließen u. a. die Einrichtung der Europäischen Beratenden Kommission mit Sitz in London.

Und so sollte es bis Kriegsende bleiben. Zu keinem Zeitpunkt legten die Sowjets einen detaillierten Deutschlandplan vor; am ausführlichsten waren noch die Äußerungen Stalins gegenüber Eden im Dezember 1941 (s. u.). Im Übrigen überließen sie die Initiative stets ihren westlichen Partnern und reagierten meist nur – und oftmals zustimmend – auf anglo-amerikanische Vorstöße, was die Westmächte wiederum zu der – oftmals falschen – Überzeugung verleitete, dass sie ihre Vorstellungen weitgehend durchgesetzt hätten.

In Moskau beschlossen die Außenminister dann die Einrichtung einer Europäischen Beratenden Kommission (European Advisory Commission, EAC), mit Sitz in London, „zur Sicherung engster Zusammenarbeit zwischen den drei Regierungen bei der Prüfung der europäischen Fragen, die mit der Fortentwicklung des Krieges auftauchen“. Dies ging auf einen britischen Vorschlag zurück, und so verwundert es nicht, dass für Eden allein die Gründung der EAC genügte, um die Außenministerkonferenz als erfolgreich zu bezeichnen.

3. Die Konferenz von Teheran

Während des Krieges trafen Roosevelt, Churchill, Stalin zweimal zusammen: in Teheran (28.11.–1.12.1943) und Jalta (4.–11.2.1945). Teheran gehörte zum sowjetischen Einflussbereich Persiens, Stalin war der Gastgeber (wie in Jalta und auch wieder während der Potsdamer Konferenz im Juli/August 1945). Gemessen an der geschäftsmäßigen Routine und den Ergebnissen der zahlreichen Planungsausschüsse und auch der EAC verliefen die Beratungen der „Großen Drei“ in Teheran und Jalta in einem erheblichen Durcheinander. Ohne Tagesordnung kam man über Trinksprüche oftmals nicht hinaus; Entscheidungen wurden aufgeschoben, Probleme nur andiskutiert und plötzliche Eingebungen von Roosevelt oder Churchill in die Debatte geworfen, was bei den anglo-amerikanischen Planungsbürokraten manchmal mehr zur Verwirrung als zur Klärung der Positionen beitrug. Beiläufig gemachte und/oder im Protokoll festgehaltene Bemerkungen werden in den Akten immer wieder zitiert, sie wurden oftmals Ausgangspunkt groß angelegter Planungen – mit dem Ergebnis, dass noch Anfang 1945 alle großen Fragen im Hinblick auf das künftige Schicksal Deutschlands unbeantwortet waren.

Trotz der Trinksprüche wurden in Teheran zwei Grundsatzentscheidungen getroffen, von denen die eine geradezu von welthistorischer Bedeutung war. Zum einen ging es um die zukünftigen Grenzen Polens, zum anderen um die Errichtung der „zweiten Front“ in Europa. Stalin forderte als neue polnische Ostgrenze die „Curzon-Linie“[jene Linie, die die Alliierten 1919 als provisorische Ostgrenze Polens festgelegt hatten – benannt nach dem britischen Außenminister Lord Curzon –, die Polen aber im russisch-polnischen Krieg um etwa 200 Kilometer nach Osten verschoben hatte und im Frieden von Riga 1921 festgeschrieben worden war]. Polen würde dieses Gebiet entsprechend der sowjetischen Forderung wieder verlieren. Roosevelt und Churchill akzeptierten. Damit war auch klar, dass Polen in irgendeiner Weise mit deutschem Territorium entschädigt werden sollte. Das war die später so genannte „Westverschiebung“ Polens, die Churchill mit drei Streichhölzern demonstriert hatte. Wie weit Polen nach Westen verschoben würde, sollte dann in Jalta ein entscheidendes Thema werden.

(3) 28. November bis 1. Dezember 1943: Treffen der „Großen Drei“ in Teheran; v. l.: Franklin D. Roosevelt, Josef Stalin, Winston Churchill. Es geht um die Errichtung der „zweiten Front“ und um die „Westverschiebung“ Polens auf Kosten Deutschlands. Mit dabei (hintere Reihe): US-Botschafter in Moskau, W. Averell Harriman (verdeckt); Wjatscheslaw Molotow; der britische Botschafter in Moskau, Archibald Clark Kerr; Außenminister Anthony Eden.

Wichtiger und aktueller war die Frage, wo die „zweite Front“ – ein Begriff, den Stalin geprägt hatte – errichtet werden sollte. Eine „zweite Front“ gab es nämlich längst: im Mittelmeer. Im Winter 1942 waren die Amerikaner in Marokko gelandet und hatten zusammen mit den Briten Rommels Armee im Mai 1942 in Tunesien besiegt. Im Juli folgte der Sprung nach Sizilien, im September der nächste nach Süditalien. Dort blieb der Angriff lange stecken. Immerhin band er in ganz Italien mehr als 30 deutsche Divisionen.

In Teheran versuchte Churchill – wie immer misstrauisch mit Blick auf Stalin – eine Entscheidung herbeizuführen, die neue „zweite Front“ in Oberitalien, im Rücken der Deutschen, zu errichten, um so die Basis für einen Durchbruch nach Laibach zu gewinnen und von dort weiter nach Wien vorzustoßen, um noch vor den Sowjets in Zentraleuropa präsent zu sein – und so das Ergebnis künftiger Friedensverhandlungen zu präjudizieren. Stalin sah das offensichtlich genauso und forderte daher die Errichtung der „zweiten Front“ in Nordfrankreich. Er behandelte dies als Bündnisfrage und wurde darin von Roosevelt unterstützt. Der amerikanische Präsident begriff nicht, dass es schon in der Planung der Operation darauf ankam, den Grundriss für den künftigen Friedens zu legen. Amerika werde, so erwartete er, nach diesem Krieg stärker als jede andere Großmacht sein und stark genug, die richtigen politischen Lösungen durchzusetzen. Im Überfluss der Macht könne er es sich leisten, zurückzustellen, was nicht unmittelbar jetzt entschieden werden müsse. Als man sich im Februar 1945 in Jalta traf, war das eingetreten, was Churchill befürchtet und Stalin gehofft hatte: In Ost- und Südosteuropa stand die Rote Armee; die Westmächte konnten dort keinen Einfluss mehr nehmen.

4. Die Einteilung Deutschlands in Zonen

Britische Pläne

Sowjetische Pläne

Außenminister Edens hochgespannte Erwartungen mit Blick auf die Europäische Beratende Kommission EAC nach der Entscheidung der Moskauer Konferenz erfüllten sich in der Folgezeit nicht. Die Briten übernahmen zwar den Vorsitz in dieser Kommission, aber es kam nicht zu der von ihnen erhofften „Sicherung engster Zusammenarbeit zwischen den drei Regierungen“, da sich die USA und die Sowjetunion nicht binden lassen wollten; folgerichtig entsandten sie nur ihre Botschafter John Winant und Fedor Gusew in die Kommission. Dennoch: Es war gerade eine Entscheidung dieser Kommission, die für Deutschland schicksalhafte Bedeutung erlangen sollte.

Britische Pläne

Wie so oft auch in späteren Jahren übernahmen die Briten die Initiative. Am 15. Januar 1944 legte der Vorsitzende der Kommission, Sir William Strang, einen Plan vor, der die Aufteilung Deutschlands in drei Besatzungszonen vorsah: je eine für die Sowjetunion, die USA und Großbritannien. Vorgesehen war, dass in den einzelnen Zonen jeweils auch Truppen der übrigen Mächte stationiert werden sollten. Ausdrücklich betonte Strang, es handle sich lediglich um einen Diskussionsbeitrag, der Plan könne noch abgeändert werden, seine Regierung sei nicht darauf festgelegt; insgeheim gab er zu, nur mit größtem Unbehagen den Plan überhaupt vorgelegt zu haben.

Prophetisch erkannte damals der Vorsitzende des britischen Planungsausschusses, Gladwyn Jebb: „Diese Karte, in diesem Moment vorgelegt, wird sich möglicherweise als besonders bedeutend für die zukünftige Geschichte Europas erweisen.“ Er sollte recht behalten: Was lediglich als Demarkationslinie gegenüber der von den Sowjets zu besetzenden Zone für eine Übergangsphase gedacht war, wurde später zu jener Grenze, die Deutschland in zwei Staaten und Europa in zwei Blöcke spaltete. Wir wissen inzwischen, wie es zu diesem Plan gekommen ist.

Demnach war die Grenzlinie zum ersten Mal am 24. September 1943 in einer Karte des britischen Ausschusses für Nachkriegsplanung aufgetaucht.

Bei den Überlegungen für diesen Plan waren militärische und politische Interdependenzen besonders deutlich. Nach Stalingrad und angesichts der sowjetischen Erfolge im Sommer 1943 („Unternehmen Zitadelle“: Panzerschlacht bei Kursk) und der Ungewissheit im Hinblick auf die Errichtung der „zweiten Front“ befürchteten die Briten, dass die Rote Armee den größten Teil Deutschlands überrannt haben würde, bevor überhaupt alliierte Truppen den Rhein überquert hätten. Und für diesen Fall wollte man die Sowjets vertraglich binden und sich einen Rechtsanspruch sichern.

Bei der Zoneneinteilung war man von Deutschland in den Grenzen des Jahres 1937 ausgegangen, wobei allerdings schon damals Ostpreußen, Danzig, Oberschlesien und Teile Pommerns für Polen (nach der „Westverschiebung“ Polens) abgezogen worden waren. Der Rest war einfach: Die Demarkationslinien entsprachen den alten Verwaltungsgrenzen – mit Ausnahme Preußens, das geteilt wurde –, und in allen drei Zonen sollten etwa gleich viele Menschen wohnen, mit dem Ergebnis, dass der Sowjetunion ein Besatzungsgebiet zugewiesen wurde, das fast genauso groß war wie das der Briten und Amerikaner zusammengenommen (47 % der Gesamtfläche). Erst im Frühjahr 1945 stellten die Briten ernüchtert fest, man hätte doch zumindest versuchen können, bei der Festlegung der Zonen die flächenmäßig gleiche Größe zum Hauptkriterium zu machen; aber da war es für Änderungen längst zu spät.

Sowjetische Pläne

Hätten die Briten geahnt, welche Überlegungen die Sowjets bis zum Februar 1944 angestellt hatten, so hätten sie ihren Zonenplan wohl anders formuliert. Ausgangspunkt der sowjetischen Überlegungen war die anglo-amerikanische Forderung nach bedingungsloser Kapitulation gegenüber Deutschland und Italien. Die Sowjetunion hatte diese Forderung im Laufe des Jahres 1943 auf die osteuropäischen Satellitenstaaten Deutschlands ausgedehnt. Diese Forderung griffen die Briten auf, und am 2. Juli 1943 überreichte Außenminister Eden dem sowjetischen Botschafter in London ein entsprechendes Memorandum. Der Historiker Lothar Kettenacker hat dieses Dokument, das auf den ersten Blick primär technischen Charakter trug, 1989 zu Recht als eines der „folgenreichsten Schriftstücke des Zweiten Weltkrieges“ bezeichnet. Darin plädierten die Briten für die Anwendung des Prinzips der bedingungslosen Kapitulation für alle europäischen Mitglieder der „Achse“, für die Bildung von Waffenstillstands- bzw. Kontrollkommissionen unter wechselndem Vorsitz britischer, amerikanischer und sowjetischer Vertreter, für die vollständige bzw. teilweise Besetzung der betreffenden Staaten sowie für die Bildung einer „Kommission der Vereinten Nationen für Europa“ unter Einschluss der kleineren Verbündeten (eventuell auch der Dominions), geleitet durch einen Führungsausschuss, in dem neben den drei Hauptmächten auch Frankreich vertreten sein und Beschlüsse nur einstimmig gefasst werden sollten. Eine offizielle Antwort der Sowjetunion blieb zwar aus, aber dieses Dokument ist der Ausgangspunkt für sowjetische Überlegungen im Hinblick auf Deutschland.

Im September 1943 wurden im sowjetischen Außenministerium drei Kommissionen gebildet, die sich mit der Vorbereitung des Waffenstillstands, der Friedenskonferenz und der Ausarbeitung des sowjetischen Reparationsprogramms beschäftigten. Vier Tage, bevor die Briten ihren Entwurf in die Europäische Beratende Kommission einbrachten, wurde ein Memorandum über die bedingungslose Kapitulation Deutschlands fertiggestellt, das detaillierte Bestimmungen, u. a. zur Besetzung Deutschlands, enthielt. Für die Demarkationslinie zwischen der sowjetischen und den von den Westmächten besetzten Zonen wurden zwei Varianten vorgeschlagen. Die erste Variante zielte auf die Sicherung eines Nordseezugangs für den durch die Sowjetunion kontrollierten Teil Deutschlands zwischen dem westlichen Ausgang des Nord-Ostsee-Kanals und der Mündung der Elbe, beschränkte die übrige sowjetische Besatzungszone aber auf das Gebiet östlich der Elbe bis zur tschechischen Grenze.

Die zweite Variante verzichtete auf den Nordseezugang, schloss jedoch das Land Sachsen vollständig in die sowjetische Zone ein. Nach Unterzeichnung der Kapitulation sollte der sofortige gegenseitige Rückzug hinter die Demarkationslinie erfolgen, falls es im Zuge der Kampfhandlungen zur Überschreitung dieser Linie kommen sollte.

Die Beratungen wurden dann auf der Basis des britischen Memorandums fortgeführt. Man akzeptierte logischerweise die britische Demarkationslinie, bestand jedoch auf der ausschließlichen Besetzung der Zonen durch die Truppen der jeweiligen Besatzungsmacht. Demgegenüber wurde für Berlin, Schleswig-Holstein (Nord-Ostsee-Kanal) und Hamburg zunächst eine gemischte Besatzung durch Truppen der drei Mächte vorgesehen. Dies wurde ausschließlich mit der internationalen Bedeutung dieser Gebiete begründet. Dieser Entwurf wurde noch am 8. Februar zur Bestätigung an Stalin weitergeleitet, der außer der Streichung der gemeinsamen Besetzung Schleswig-Holsteins (Nord-Ostsee-Kanal) und Hamburgs keine wesentlichen Änderungen vornahm. Diese Fassung des Papiers ging erneut an die zuständige Kommission, die am 12. Februar nun ihrerseits eine gemeinsame Besetzung Österreichs vorschlug. Am selben Tag wurde durch die Kommission die endgültige Redaktion des Telegramms an Botschafter Gusew vorgenommen. Entgegen dem britischen Vorschlag sollte das gesamte Gebiet Ostpreußen nicht durch Polen besetzt, sondern in die sowjetische Besatzungszone einbezogen werden. Ebenso unannehmbar sei eine gemischte Besetzung Ostpreußens durch die drei Mächte. Die Verhinderung der Wiedergeburt des militaristischen Geistes Preußens müsse bei allen Varianten der Zoneneinteilung Deutschlands berücksichtigt werden. Die am 12. Februar in der Kommission bestätigten Fassungen der Kapitulationsbedingungen und des Telegramms an Gusew wurden durch Stalin ohne weitere Änderungen mit dem Vermerk „dafür“ abgezeichnet und in dieser Fassung am 13. Februar nach London weitergeleitet.

Am 18. Februar 1944 akzeptierten die Sowjets fast vollständig den britischen Plan – mit Ausnahme der „gemischten Besatzungstruppen“. Sie waren sogar bereit, den Briten ein kleines Gebiet in der Nähe Braunschweigs zuzugestehen, wo im britischen Plan eine Grenzbegradigung vorgenommen worden war. Dagegen forderten sie nun die Insel Fehmarn und einen Teil im Osten Schleswig-Holsteins für sich (hier war die britische Grenzlinie ungenau gewesen und hatte auf dem Festland geendet). Dessen ungeachtet waren die Briten hocherfreut über die sowjetische Entscheidung – in Unkenntnis der vorangegangenen sowjetischen Planungen, die eine Einigung auf einer wesentlich weiter östlich gezogenen Linie ermöglicht hätten.

Am 19. Juni 1944 ließen die Sowjets dann ihre Forderung plötzlich ohne ersichtlichen Grund fallen. Sie konnten nicht ahnen, dass das Foreign Office, das sich dieser Grenzziehung zunächst widersetzt hatte, da Schleswig-Holstein nicht geteilt werden sollte, zu diesem Zeitpunkt bereit war, auch dieser sowjetischen Forderung nachzugeben.

Am 12. September 1944 wurde ein entsprechendes Protokoll unterzeichnet. Gleichzeitig kam man überein, Groß-Berlin als besonderes Territorium in Sektoren aufzuteilen und der Kontrolle einer alliierten Kommandantur zu unterstellen. Dies ging ebenfalls auf einen britischen Vorschlag zurück, den die Sowjets aufgegriffen hatten. Für Berlin hatte man hier in den ersten Planungen die Bildung einer Zone vorgesehen, die im Umkreis von 20 km diese Stadt einschloss. Sie sollte in eine westliche und eine östliche Hälfte quer durch das Zentrum geteilt werden.

Am 14. November einigte man sich auch über das zukünftige Kontrollsystem für Deutschland: Ein von den Militärgouverneuren – den Oberbefehlshabern der jeweiligen Besatzungstruppen – gebildeter Alliierter Kontrollrat mit Sitz in Berlin sollte für alle jene Angelegenheiten zuständig sein, die „Deutschland als Ganzes“ betrafen.

Festzuhalten bleibt: Die Sowjets erhielten eine Zone, die sie sich in dieser Größe selbst nicht vorgestellt hatten, setzten sich allerdings mit ihrer Ablehnung einer gemischten Besetzung ebenso durch wie mit ihrem Beharren auf der Oberhoheit der jeweiligen Oberbefehlshaber in den einzelnen Zonen. All dies waren entscheidende Voraussetzungen für die spätere Teilung Deutschlands.

5. Die Konferenz von Jalta

Ankunft auf der Krim

Zerstückelung Deutschlands in Einzelstaaten?

Die Oder-Neiße-Linie

Reparationen

Die polnische Frage

Krieg gegen Japan

Gründung der UNO

Jalta, der große Irrtum

Ankunft auf der Krim

In der Nacht vom 2. auf den 3. Februar 1945 starteten 25 viermotorige Flugzeuge in Abständen von 10 Minuten von Malta in Richtung Osten. Ihr Ziel: Saki, der Flugplatz von Jalta auf der Halbinsel Krim; an Bord US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill mit ihren Stäben – insgesamt 700 Personen. Auf der Krim hatte es heftig geschneit, man hielt die Landung für ein Wagnis, doch als die erste Maschine nach siebenstündigem Flug Saki erreichte, hatten die Sowjets die Landebahn vollständig vom Schnee geräumt.

Roosevelts Maschine landete um 12:10 Uhr; er wartete, bis 20 Minuten später Churchills Flugzeug eintraf. Erst dann wurde er in seinem Rollstuhl mithilfe eines Lifts zu Boden gelassen. Dort begrüßte ihn Außenminister Molotow; ein Eliteregiment hatte eine Ehrenwache gestellt, eine Militärkapelle spielte die Nationalhymnen. Als Roosevelt seine Verwunderung darüber äußerte, warum Stalin nicht zu seinem Empfang gekommen sei, wurde ihm erwidert, Stalin sei noch gar nicht in Jalta eingetroffen.

Bis zum Konferenzort waren noch einmal sechs Stunden Autofahrt erforderlich.

Mehr als 14 Monate waren seit dem Treffen der „Großen Drei“ Ende November/Anfang Dezember 1943 in Teheran vergangen. Jetzt ging es um die Zukunft Deutschlands und Polens, um den Krieg gegen Japan und um die Gründung einer neuen Weltorganisation, den Vereinten Nationen.

Stalin hatte auf Jalta als Konferenzort bestanden, und so musste der schwerkranke Roosevelt eine Anreise per Schiff und Flugzeug von mehr als 11.000 Kilometern auf sich nehmen. Und Winston Churchill mokierte sich sarkastisch über die zu erwartenden Unannehmlichkeiten. Ein Vertrauter Roosevelts berichtete aus London:

„Churchill meint, dass wir keinen schlimmeren Ort auf der Welt hätten finden können als Jalta, selbst wenn wir zehn Jahre danach geforscht hätten. Er glaubt aber, überleben zu können, wenn er einen angemessenen Vorrat an Whisky mitnimmt. Er behauptet, Whisky sei gut gegen Typhus und tödlich für die Läuse, die es in der Gegend gibt.“

Alexander Cadogan, damals der höchste Beamte im britischen Foreign Office, hatte wenig Hoffnung auf konkrete Ergebnisse. Er schrieb in sein Tagebuch:

„Es wird nichts Greifbares dabei herauskommen. Sie werden dinieren und Wein trinken, was ja völlig in Ordnung ist, aber niemand weiß nachher (am wenigsten sie selbst), was beschlossen worden ist, wenn überhaupt etwas beschlossen worden ist.“ Das klang nicht sehr optimistisch.

In Jalta gab es wie schon zuvor in Teheran viele Friedens-Trinksprüche mit Wodka, Krimsekt und Kaviar. Stalin hatte drei Waggons Kaviar an den Konferenzort karren lassen und maximale Gastfreundschaft angeordnet. Im ehemaligen Zaren-Palast Livadia, in dem die amerikanische Delegation untergebracht war, war wegen Roosevelts Rollstuhl sogar der Fußboden mit Marmor ausgelegt worden. Churchills Leibarzt notierte: „Man hatte an alles gedacht, nur nicht an den Kammerjäger.“ Es wimmelte überall von Wanzen.

Von Stalin war Cadogan außerordentlich beeindruckt, wie er später notierte: „Ich muss gestehen, von den drei Männern macht Onkel Joe [Stalin] bei weitem den stärksten Eindruck. Er ist sehr ruhig und zurückhaltend. Am ersten Tag saß er rund eineinhalb Stunden da, ohne ein Wort zu sagen – er war nicht aufgefordert worden. Der Präsident überschlug sich fast, und der P. M. [Premierminister Churchill] redete ununterbrochen, aber Joe saß nur da, hörte sich alles an und schien eher amüsiert. Als er sich dann äußerte, sagte er nicht ein einziges überflüssiges Wort und blieb immer genau bei der Sache.“

(4) Jalta auf der Halbinsel Krim, 4.–11. Februar 1945: Zweites Treffen der „Großen Drei“; v. l.: Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt, Josef Stalin. Hinter Roosevelt dessen Stabschef Admiral William D. Leahy; hinter Churchill der Oberbefehlshaber der britischen Mittelmeerflotte, Admiral Sir Andrew Cunningham, und der Chef des britischen Luftwaffe, Sir Charles Portal; am linken Bildrand die Außenminister Anthony Eden (etwas verdeckt) und Wjatscheslaw Molotow sowie der amerikanische Russlandexperte und spätere Botschafter in Moskau, Charles Bohlen.

Einer der Teilnehmer, Frank Roberts, Leiter des Central Department im Foreign Office, erinnerte sich später daran, wie Stalin verhandelte: Er wollte immer „konkreto“-Ergebnisse (zu Frank Roberts s. auch Nachwort). Konkret war zu diesem Zeitpunkt nur die militärische Lage. Für Deutschland gab es noch keine verbindlichen besatzungspolitischen Richtlinien für die Zeit nach der Kapitulation; in der Europäischen Beratenden Kommission zirkulierten Anfang 1945 noch 16 amerikanische Entwürfe für entsprechende Direktiven, weitere 17 waren angekündigt. Einig waren sich Amerikaner, Briten und Sowjets im Prinzip darüber, dass Deutschland nie wieder zu einer Bedrohung des Weltfriedens werden durfte, dass die Kriegsindustrie zerstört, der Nationalsozialismus und der deutsche Militarismus ausgerottet, die Kriegsverbrecher bestraft, das deutsche Volk umerzogen und für die Kriegsschäden Reparationen geleistet werden sollten.

(5) Die Ergebnisse der Konferenz von Jalta für Deutschland. Dieses Flugblatt wurde in millionenfacher Auflage über Deutschland abgeworfen.

Nicht einig war man sich über die zukünftige Grenze Deutschlands im Osten, Form und Höhe der Reparationen, vor allen Dingen aber – und damit hingen alle Fragen mehr oder weniger zusammen – über die zukünftige Struktur Deutschlands: Sollte Deutschland in einzelne Staaten zerstückelt werden oder aber als – wie auch immer strukturierte – Einheit erhalten bleiben?

Zerstückelung Deutschlands in Einzelstaaten?

War die Zerstückelung Deutschlands in separate Staaten die Garantie dafür, Deutschland auf Dauer zu entmachten und die Welt vor einer erneuten deutschen Aggression zu sichern? War die damit verbundene Isolierung, Zerstückelung oder Amputation Preußens die Gewähr für das Ende des „preußischen Militarismus“, der als Wurzel allen deutschen Übels galt? Das Für und Wider einer solchen Lösung hat über Jahre die alliierten Nachkriegsplaner beschäftigt. Bei Kriegsende war man sich – mit Ausnahme der Franzosen – einig, dass dies nicht die Lösung des deutschen Problems war: Das, was von Deutschland übriggeblieben war, sollte als eine Einheit, allerdings politisch dezentralisiert, behandelt werden.

Es war Stalin, der am 16. Dezember 1941 beim Besuch Edens in Moskau zu dessen Überraschung detaillierte Vorstellungen über eine europäische Nachkriegsordnung entwickelt (die in einem Geheimvertrag festgehalten werden sollten) und dabei als erster eine Zerstückelung Deutschlands zur Diskussion gestellt hatte: Loslösung des Rheinlandes – „insbesondere das Industriegebiet“ – von Preußen und Bildung eines unabhängigen Staates oder Errichtung eines Protektorates; das sei „die einzige Garantie, um Deutschland auf Dauer zu schwächen“ (es erstaunt, dass die Franzosen später ähnliche Pläne verfolgten!!); möglicherweise Bildung eines selbstständigen Staates Bayern. Polen sollte Ostpreußen erhalten, „damit der Korridor beseitigt wird“, die Grenze zur Sowjetunion entlang der Curzon-Linie verlaufen; Österreich wieder unabhängig und das Sudetengebiet an die Tschechoslowakei zurückgegeben werden. Eden hatte darauf hingewiesen, dass die britische Regierung noch nicht über eine mögliche Zerstückelung Deutschlands entschieden habe, grundsätzlich aber nichts dagegen habe.

Auf der Konferenz von Teheran hatten dann Roosevelt und Churchill ihre Lieblingsvorstellungen entwickelt. Roosevelt sprach von fünf Staaten:

Preußen;

Hannover und Nordwestdeutschland;

Sachsen mit dem Raum um Leipzig;

Hessen-Darmstadt, Hessen-Kassel und das Gebiet südlich des Rheins;

Bayern, Baden, Württemberg.

Außerdem sollten Kiel, der Nord-Ostsee-Kanal und Hamburg sowie das Ruhrgebiet und das Saarland unter internationale Kontrolle gestellt werden.

Churchill plädierte dafür, Sachsen, Bayern, die Pfalz und Württemberg vom Reich zu lösen und einem zu schaffenden Donaubund (Österreich, Ungarn) anzugliedern. Stalin legte keinen eigenen Plan vor, gab aber – wie schon im Dezember 1941 in Moskau gegenüber Eden – zu erkennen, dass auch er eine Zerstückelung favorisierte.

Über einen unverbindlichen Meinungsaustausch kam man nicht hinaus, was insbesondere im Hinblick auf Roosevelt und Churchill nicht verwunderte, standen deren Zerstückelungspläne doch in krassem Gegensatz zu den Vorstellungen des State Department in Washington und des Foreign Office in London.

Im Foreign Office begann die Diskussion im Juli 1944 nach der erfolgreichen Invasion in der Normandie. Man lehnte eine gewaltsame Zerstückelung Deutschlands ab, da man sich davon keine dauerhafte Lösung des deutschen Problems versprach. Man setzte dagegen auf eine bewusste Dezentralisierung, d. h. ein föderalistisch strukturiertes Deutschland. Eine Zerstückelung setzte ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen den USA, Großbritannien und der Sowjetunion und die Bereitschaft der britischen Öffentlichkeit voraus, auf unbestimmte Dauer – auch in Friedenszeiten – die Anwendung von Gewalt in Deutschland zu billigen. Selbst dann, so Frank Roberts, müsse man sich darüber im Klaren sein, dass die Zerstückelung eines großen Landes, das „rassisch, wirtschaftlich, geographisch und, mit einer gewissen Einschränkung, historisch eine Einheit ist, ein Schritt ist, der vollkommen konträr zur historischen Entwicklung verläuft“. Hinzu komme die Gefahr, dass eine Zerstückelung möglicherweise zur Spaltung Deutschlands in eine östliche und eine westliche Einflusszone führen werde, und das werde dann alle Hoffnungen auf eine „gemeinsame Lösung der europäischen Probleme“ nach dem Krieg zerstören.

Der Planungsstab für Wirtschaft und Industrie (Economic and Industrial Planning Staff, EIPS) machte zudem auf die wirtschaftlichen Nachteile einer solchen Politik aufmerksam.

Gegenspieler des Foreign Office in dieser Frage waren die britischen Stabschefs. In Voraussicht zukünftiger Entwicklungen betrachteten sie schon sehr früh die Sowjetunion als möglichen neuen Gegner in Europa und ein Zusammengehen ganz Deutschlands mit der Sowjetunion nach Kriegsende für Großbritannien als – so der Stabschef der Luftwaffe, Charles Portal, – „die größte Gefahr in unserer Geschichte“.

Sie empfahlen daher die Zerstückelung Deutschlands in drei Staaten auf der Grundlage der Besatzungszonen, um zum einen die Wiederbewaffnung und eine erneute Aggression Deutschlands zu verhindern und zum anderen „als Rückversicherung gegen eine mögliche sowjetische Gefahr“. Diese Zerstückelung sollte notfalls mit größter Rücksichtslosigkeit durch Waffengewalt aufrechterhalten werden.

Im Foreign Office war man über diese Vorstellungen geradezu entsetzt; irgendwelche starren und willkürlich durch die Landschaft gezogene Grenzen hielt man für absurd; Sir Orme Sargent, nach Kriegsende ranghöchster Beamter im Foreign Office, bezeichnete die Pläne der Stabschefs als schlimmste Häresie, die im Keim erstickt werden müsse. Interessant ist Edens Einstellung. Hatte er noch im Januar 1944 die Zerstückelung nicht abgelehnt, war er im September der Meinung, das Konzept der Stabschefs müsse „wie die Pest“ gemieden werden, und er verlangte, das „unbedachte Gerede über Russland“ einzustellen. Im Foreign Office war man davon überzeugt, dass die Beziehungen zur Sowjetunion für die nächsten 20 Jahre nur freundschaftlich sein konnten. Zusammenarbeit mit der Sowjetunion um beinahe jeden Preis lautete daher die Devise.

Der Konflikt zwischen Militärs und Foreign Office wurde nicht gelöst; das Foreign Office verfolgte sein Föderalismuskonzept für Deutschland, die Stabschefs warteten ab. Das Thema Zerstückelung wurde dann in Jalta von Stalin angesprochen; möglicherweise aus Furcht vor einem separaten Waffenstillstand des Westens mit Deutschland. Ob er eine Zerstückelung zu diesem Zeitpunkt wirklich wünschte, muss bezweifelt werden; auch die Pläne, die die Exilkommunisten um Walter Ulbricht in Moskau ausgearbeitet hatten, sahen sie nicht vor.

Churchill sprach sich in Jalta zwar „prinzipiell“ für eine Zerstückelung aus, das Kriegskabinett hatte allerdings „keine bindende Verpflichtung“ eingehen wollen und empfohlen, das Problem im Zusammenhang mit den Reparationen zu prüfen. In Jalta einigte man sich schließlich auf die Einsetzung eines Ausschusses, der die Frage weiter untersuchen sollte. Im Übrigen wurde der Artikel 12 (a) der Kapitulationsbedingungen in dem Sinne geändert, dass die Sieger auch eine Zerstückelung Deutschlands durchführen konnten.

Das Foreign Office, nach wie vor davon überzeugt, dass eine Zerstückelung der falsche Weg zur Lösung des deutschen Problems war, widmete sich diesem Thema in den folgenden Wochen denn auch nur halbherzig. Unterstützung erhielt es am 7. März 1945 von Schatzkanzler Sir John Anderson.

Zerstückelung in mehrere Staaten war seiner Meinung nach in jedem Fall von Nachteil für die britische Wirtschaft. Dies schloss allerdings eine andere Lösung für den Fall einer pro-sowjetischen Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone nicht aus: die Schaffung eines vereinigten Westdeutschlands, das in die Wirtschaft der westeuropäischen Staaten integriert werden konnte. Das waren Überlegungen, deren Realisierung nicht allzu lange auf sich warten lassen sollte, auch wenn sie im Foreign Office zunächst noch auf Widerstand stießen. Eden schien eine solche Politik höchst gefährlich. „Ich denke“, so schrieb er an Anderson, „wir müssen vielmehr gewaltige Anstrengungen unternehmen, um Einigkeit unter den Alliierten bei der Behandlung Deutschlands zu erreichen, ehe wir uns auf eine Politik der getrennten Einflusssphären zurückziehen.“ Und in einer weiteren Stellungnahme des Foreign Office hieß es, eine solche Politik laufe unweigerlich darauf hinaus, „dass sich unsere Europapolitik direkt gegen Russland richten würde“. Dazu aber war das War Cabinet im März 1945 noch nicht bereit, auch wenn die Stimmen im Hinblick auf die Sowjetunion kritischer wurden. So schlug Feldmarschall Montgomery im Juni 1945 für den Fall vor, dass es Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit den Sowjets geben werde, zentrale Verwaltungsstellen für Westdeutschland unter der Kontrolle der drei Westmächte zu bilden. Was das bedeutete, war ihm klar: „Dies würde dann mit Sicherheit zu einer Teilung Deutschlands in Ost und West führen.“ In London betrachtete man dies zwar als eine Lösung des Problems, die aber nur durchgeführt werden sollte, „wenn alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind und klar geworden ist, dass die Russen definitiv nicht bereit sind, mit den Westmächten zu kooperieren“. Zunächst hoffte man weiter auf eine Zusammenarbeit mit den Sowjets.

Am 19. März 1945 legte Eden ein Memorandum vor, das als Diskussionsgrundlage für das weitere Vorgehen in der Frage der Zerstückelung Deutschlands dienen sollte. Er sprach darin von der Möglichkeit, fünf neue Staaten zu bilden, nämlich:

1.   Südstaat (Bayern, Württemberg, Baden und der größte Teil Hessens); 14 Millionen Einwohner.

2.   Weststaat (Westfalen, ohne Minden, Rheinprovinz, Teil Wiesbadens, Saar, Pfalz, Hessen-Darmstadt westlich des Rheins); 16 Millionen Einwohner.

3.   Nordstaat (Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Oldenburg, Hannover, Braunschweig, Lippe, Minden, Kassel); 11 Millionen Einwohner.

4.   Zentralstaat (Provinz Sachsen, ohne Magdeburg, Anhalt, Thüringen, Sachsen); 11 Millionen Einwohner einschließlich zwei Fünftel der Vertriebenen.

5.   Oststaat (Mecklenburg, Magdeburg, Rest von Pommern, Brandenburg und Schlesien); 16 Millionen Einwohner einschließlich drei Fünftel der Vertriebenen.

Als mögliche Kombinationen nannte er vier Staaten (1; 2; 3; 4 plus 5) und drei Staaten (1; 2 plus 3; 4 plus 5).

(6) „Germany divided into 3 to 5 States“. Britische Überlegungen für eine mögliche Zerstückelung Deutschlands in unabhängige Einzelstaaten. Karte des Foreign Office vom 19. März 1945.

Das Kabinett traf am 22. März noch keine Entscheidung; das Problem sollte auf einer weiteren Sitzung noch einmal beraten werden. Diese Sitzung erübrigte sich, als der sowjetische Botschafter Fedor Gusew Ende März zu verstehen gab, dass die Sowjetunion gegen eine Zerstückelung war; den Beschluss von Jalta betrachte sie nicht mehr als „obligatorisch“, sondern lediglich als eine Möglichkeit, Druck auf Deutschland auszuüben. Diese Erklärung wurde im Foreign Office mit Erleichterung und ungläubigem Staunen aufgenommen. Eden wörtlich: „Der russische Gesinnungswandel ist außergewöhnlich. Die Russen sind merkwürdige Menschen.“

Über die Gründe der Sowjets lässt sich auch hier nach wie vor nur spekulieren: Nach Meinung Stalins bestand die Gefahr eines separaten Friedensvertrages des Westens mit Deutschland offensichtlich nicht mehr – tatsächlich hatte sie nie bestanden. Die von Roosevelt in Jalta eher beiläufig gemachte Bemerkung, die amerikanischen Truppen würden spätestens nach zwei Jahren Deutschland wieder verlassen haben, hat wahrscheinlich für Stalin verlockende Perspektiven im Hinblick auf seine Deutschlandpolitik eröffnet.

Mit der Erklärung Gusews und der Feststellung Stalins am 9. Mai 1945 in Moskau in seiner „Ansprache an das Volk“, die Sowjetunion feiere den Sieg, wenn sie sich auch nicht anschicke, Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten, schien das Thema „Zerstückelung Deutschlands“ zunächst erledigt.

Die Oder-Neiße-Linie

Schwierigkeiten dagegen bereitete den Konferenzteilnehmern in Jalta die Festlegung der endgültigen Ostgrenze Deutschlands und der Höhe und Art der Reparationen – beides Probleme, die in den folgenden Jahren immer wieder im Mittelpunkt der Verhandlungen stehen sollten.

In Teheran war über die „Oder-Linie“ und die „Neiße“ gesprochen worden, ohne darüber Beschlüsse zu fassen. Roosevelt interessierten die Details nicht. Churchill zeigte sich bereit, Polen auch den Bezirk Oppeln zu geben. Damit war zugleich klar, dass er von der östlichen Neiße sprach. Stalin hatte geschwiegen. In Jalta brach dann ein Streit darüber aus, als Stalin behauptete, mit „Neiße“ sei die westliche, die Görlitzer Neiße, gemeint. Damit beanspruchte er ganz Schlesien für Polen. Churchill widersprach: Die britische Öffentlichkeit werde nicht akzeptieren, dass die polnische Grenze tief in nur von Deutschen bewohntes Gebiet vorgeschoben würde. Polen solle nicht mehr im Westen erhalten, als es im Osten abzugeben habe und „verdauen“ könne. Das war eine dehnbare Definition. Dahinter aber standen noch andere Befürchtungen: Die Deutschen würden den Westmächten zur Last fallen, wenn sie einen zu großen Teil ihrer landwirtschaftlichen Fläche verlören.

Von den letzten Sorgen der britischen Regierung schwieg Churchill: dass nämlich die Zerstückelung Deutschlands im Osten die Forderung von Frankreichs Regierungschef de Gaulles begünstigen werde, im Westen das ganze linke Rheinufer zu annektieren und aus dem Ruhrgebiet einen separaten Ruhrstaat zu machen. Und dass Stalin mit seinen Gebietsforderungen für Polen beabsichtigte, das deutsch-polnische Verhältnis für alle Zukunft so zu belasten, dass Polen bei der Sowjetunion Schutz vor Deutschland suchen müsste. Oder dass Deutschland, im Osten und Westen amputiert, überfüllt mit Flüchtlingen und Vertriebenen, im Elend versinke, ein Herd der Unsicherheit für ganz Europa werde und schließlich von selbst in die Hand der Sowjetunion falle, zumal nach dem Abzug der Amerikaner. An der deutsch-polnischen Grenze, so fürchteten Churchill und das Foreign Office, hänge am Ende das Wohl und Wehe ganz Europas.

Wenige Tage nach seiner Rückkehr von Jalta vertraute Churchill seinem Privatsekretär John Colville seinen Alptraum an: Wenn demnächst Deutschland vollends zerstört sein werde, „was wird dann noch zwischen den weiten Ebenen Russlands und den weißen Klippen von Dover liegen?“

Ohne Roosevelts Unterstützung konnte er sich in der Frage der zwei Neiße-Flüssen in Jalta nicht durchsetzen. Aber er meinte auch, es darüber mit Roosevelt nicht zum Streit kommen lassen zu dürfen. Roosevelt aber blieb auch in Jalta bei seiner Ansicht, keinen Konflikt mit Stalin riskieren zu wollen. Die Debatte über die künftige deutsch-polnische Grenze wurde abgebrochen, das Problem mit der Formel zugedeckt, Polen im Norden und Westen einen beachtlichen territorialen Zuwachs zuzugestehen, die genaue Westgrenze aber erst auf einer Friedenskonferenz festzusetzen. Wenige Wochen später schuf Stalin dann vollendete Tatsachen.

Reparationen

In der Frage der Reparationen entwickelten die Sowjets dezidierte Vorstellungen: 20 Milliarden US-Dollar (nach heutigem Wert etwa 200 Mrd.), davon 10 Milliarden für die Sowjetunion innerhalb von 10 Jahren, und zwar „in natura“, nicht in Geld: in erster Linie Demontagen (innerhalb von zwei Jahren) und Entnahmen aus der laufenden Produktion. Roosevelt war bereit, die 20 Milliarden als „Diskussionsgrundlage“ anzuerkennen, während die Briten mit Nachdruck jede Festlegung vermieden. Churchill bezweifelte, ob Deutschland überhaupt in der Lage war, nach Kriegsende hohe Reparationsleistungen zu erbringen; und er sprach von dem „Gespenst eines hungernden Deutschland mit seinen Millionen Menschen“, die zu versorgen zum großen Problem werden könnte; selbst Großbritannien müsse Waren exportieren, um Nahrungsmittel einzuführen. Wie üblich, wenn man nicht weiterkam, wurde die Bildung einer Kommission beschlossen, die der nächsten Konferenz Empfehlungen vorlegen sollte.

In anderen Fragen gab es konkrete Ergebnisse: Frankreich wurde als gleichberechtigter Partner vierte Besatzungsmacht in Deutschland – auf Drängen Churchills (Eden: man habe „wie die Tiger“ dafür gekämpft). Das Motiv Churchills für die Beteiligung war leicht zu erkennen: Mit Frankreich wäre Großbritannien stärker im Konzert der beiden Großen. Stalin stimmte nach anfänglichem Zögern zu – unter einer Bedingung: für die französische Besatzungszone mussten Briten und Amerikaner sorgen (aus deren Zonen wurde dann die französische Zone „rausgeschnitten“ und erhielt die entsprechende Form). Damit war auch die britische Hoffnung hinfällig, zu einer Neueinteilung der Besatzungszonen zu kommen.

Die polnische Frage

Das Hauptthema in Jalta blieb jedoch Polen. Der Streit um die Frage, wie es in Polen weitergehen sollte, war, so Churchill in seinen Memoiren, „der dringlichste Grund“ für die Konferenz gewesen. In nicht weniger als sieben der acht Sitzungen ging es um die Zukunft Polens. Churchill und Roosevelt wünschten ein freies, unabhängiges Polen, wollten es aber deswegen nicht zum Bruch mit Stalin kommen lassen. Stalin hatte seit dem Frühjahr 1943 – als in Katyn das Massengrab der vom sowjetischen Geheimdienst ermordeten polnischen Offiziere von den Deutschen entdeckt worden war – die diplomatischen Beziehungen zur polnischen Exilregierung in London, die eine Untersuchung durch das Internationale Rote Kreuz gefordert hatte, abgebrochen und seinerseits die von ihm abhängigen polnischen Kommunisten des „Lubliner Komitees“ in Warschau im Vorfeld der Konferenz Anfang Januar 1945 als rechtmäßige polnische Regierung anerkannt.

Der schließlich erzielte Kompromiss entsprach den Realitäten – in Polen stand die Rote Armee – und ließ die Konferenzteilnehmer ihr Gesicht wahren: die kommunistische Regierung sollte durch Hinzuziehung „demokratischer Parteiführer“ auf „breiter demokratischer Basis“ umgebildet werden und alsbald Wahlen auf der Grundlage des allgemeinen und geheimen Wahlrechts organisieren. Für den amerikanischen Diplomaten George F. Kennan, damals an der Botschaft in Moskau tätig, war dies auch, wie er notierte, „ein besonders schäbiges Beispiel für Doppelzüngigkeit“. Roosevelt und Churchill ließen die Exilpolen schlicht und einfach fallen. Sie verzichteten auch auf ihre ursprüngliche Forderung nach Bildung einer völlig neuen, aus Kommunisten und Exilpolitikern paritätisch besetzten Regierung und auf die Kontrolle der vereinbarten Wahlen durch die Alliierten.

Die Verständigung mit der Sowjetunion sollte nicht gefährdet werden, zumal Stalin auch eine „Erklärung über das befreite Europa“ (freie Wahlen für die befreiten Völker und die Verbündeten des Dritten Reichs in Osteuropa) unterschrieb, die ebenfalls vielseitig interpretierbar war. Roosevelts engster Vertrauter, Harry Hopkins, meinte dazu: „Dehnbar von hier bis Washington.“ Roosevelts Antwort: „Harry, ich weiß.“ Man brauchte etwas für die amerikanische Öffentlichkeit.

In Jalta fühlten sich Roosevelt und Churchill jedenfalls von einer Bürde befreit; die Exilpolen gingen ihnen mit ihrem Starrsinn noch mehr auf die Nerven als de Gaulle. Stalins vage Zusage, das Selbstbestimmungsrecht der Polen zu achten, genügte ihnen, die Londoner Exilregierung fallenzulassen. Stalin meine es gut „mit der Welt und mit Polen“, versicherte Churchill seinem Kabinett nach der Rückkehr von der Krim. Ein paar Wochen später war seine Zuversicht dahin, wenn er sie denn je gehabt hatte. Denn bei den Botschaftergesprächen in Moskau versteifte sich Außenminister Molotow auf die Buchstaben der Jalta-Erklärung: Kern der polnischen Regierung blieb für ihn das „Lubliner Komitee“ unter kommunistischer Dominanz. Die Folge: Gewählt wurde in Polen erst zwei Jahre später, und das alles andere als frei. Dennoch hatten Roosevelt und Churchill offensichtlich das Äußerste herausgeholt, was damals unter den realen Machtverhältnissen in Europa möglich war.

Krieg gegen Japan

In einem anderen Punkt zeigte Stalin Solidarität: Er gab Roosevelts Drängen nach und verpflichtete sich, drei Monate nach Kriegsende in Europa in den Krieg gegen Japan einzutreten (bei gleichzeitigem Bruch des Neutralitätsabkommens mit Japan). Der Preis dafür war die Rückgabe dessen, was der Zar 1904/05 im Krieg gegen Japan verloren hatte: Anerkennung der Mongolischen Volksrepublik, die damit im Machtbereich Moskaus blieb, Erwerbung von Südsachalin, Internationalisierung des Hafens von Dairen, Verpachtung des Flottenstützpunktes von Port Arthur, Verwaltung der chinesischen Ostbahn und der südmandschurischen Eisenbahn; Japan würde die Kurilen an die Sowjetunion abtreten. Roosevelt stimmte zu, ohne seinen chinesischen Verbündeten Tschiang Kai-schek auch nur informiert zu haben.

Gründung der UNO

Schließlich kam Stalin Roosevelt bei der Verwirklichung von dessen Lieblingsidee entgegen: Die noch offenen Fragen der Organisation der Vereinten Nationen wurden gelöst. Er zog seine ursprüngliche Forderung auf sechzehn Stimmen für die Sowjetunion in der UN-Vollversammlung zurück und beschränkte sich auf höchstens drei (Sowjetunion, Ukraine und Weißrussland). Botschafter Andrej Gromyko hatte in der Vorkonferenz in Dumbarton Oaks dafür das absurde Argument eingebracht, Großbritannien trete den Vereinten Nationen ja auch mit den einzelnen Dominions bei. Roosevelt wollte diesem Streit mit einem Scherz die Spitze nehmen: Die Vereinigten Staaten wollten mit 48 Gliedstaaten in die UNO-Vollversammlung eintreten. Es ist vermutet worden, dass Stalin die Forderung nach 16 Stimmen nur als Tauschmaterial für eine weit wichtigere Sache, nämlich die Abstimmungsregel im Sicherheitsrat, eingebracht hatte. An dieser Regel hing der ganze Sinn von Roosevelts Idee, dass nach dem Krieg fünf Großmächte den Frieden der Welt sichern konnten. Stalin verlangte in Jalta ein uneingeschränktes Veto-Recht für alle Entscheidungen im Sicherheitsrat. Churchill und Roosevelt wünschten eine Suspendierung jeweils in jenen Fällen, in denen eine der fünf Mächte selbst Konfliktpartei wäre. Dies war nicht durchzubringen. Dabei hatte das Veto-Recht für die Amerikaner eine ganz andere Bedeutung als für Stalin. Sie fürchteten, von anderen Mächten mit Mehrheitsbeschluss zu militärischen Interventionen gezwungen zu werden. Für die USA war das Veto-Recht Schutz davor, sich an einer internationalen Strafaktion beteiligen zu müssen. „Die meisten von uns“, so schrieb Clark Eichelberger, einer der Protagonisten der Völkerbunds- und UN-Idee in Amerika, „waren bis zu einer gewissen Grenze für das Veto-Recht.“ Das amerikanische Volk werde allerdings nicht dulden, so Senator Thomas Conally, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Senats, dass amerikanische Truppen ohne Zustimmung der amerikanischen Regierung eingesetzt werden müssten. Roosevelt und Churchill machten das Zugeständnis, dass in allen Konfliktfällen, zu deren Lösung auch militärische Maßnahmen notwendig würden, eine Großmacht im Sicherheitsrat ihr Veto einlegen konnte. Für Stalin war damit die Gefahr gebannt, dass die Vereinten Nationen zum Instrument einer anti-sowjetischen Politik würden.

Jalta, der große Irrtum

Neben dem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat konnte Stalin auch einen Erfolg in einer ganz anderen Sache erzielen: Roosevelt und Churchill stimmten nämlich nicht nur der Rückführung sowjetischer Kriegsgefangener zu, die an der Seite Deutschlands gekämpft hatten (Soldaten der Wlassow-Armee), sondern auch all jener Russen, die schon seit den zwanziger Jahren in Westeuropa Asyl gefunden hatten. Sie wurden später zwangsweise „repatriiert“, was ihr sicheres Todesurteil bedeutete. Selbst das neutrale Schweden beteiligte sich an diesen „Rückführungen“. In den Häfen Schwedens und Großbritanniens spielten sich später teilweise furchtbare Tragödien ab.

Das Thema russische Kriegsgefangene hatte der britische Außenminister Anthony Eden bereits bei seinem Besuch in Moskau im Oktober 1944 angesprochen. Molotow hatte damals vorgeschlagen, dass sowjetische Bürger ohne Rücksicht auf ihre Wünsche repatriiert werden sollten. Eden hatte keine Einwände vorgebracht.

Eine unrühmliche Rolle spielte in diesem Zusammenhang Patrick Dean – später Leiter der Deutschlandabteilung im Foreign Office – als Berater von Eden. Er hatte schon im Juni 1944 erklärt: „Zur gegebenen Zeit werden alle diejenigen, mit denen sich die sowjetischen Behörden befassen wollen, diesen übergeben, und wir können uns nicht mit dem Fakt beschäftigen, ob sie erschossen oder auf andere Weise schlecht behandelt werden.“

US-Außenminister Cordell Hull hatte Botschafter Harriman in Moskau angewiesen, auf die Praxis der amerikanischen Politik seit Dezember 1943 hinzuarbeiten: Kein russischer Kriegsgefangener sollte zwangsrepatriiert werden.

In Jalta war dies alles kein Thema mehr. Dies ist als „Verrat von Jalta“ in die Geschichte eingegangen. Osttirol wurde wenig später Schauplatz eines der übelsten Kapitel, als die Kosaken von den Briten zwangsweise in die Züge verfrachtet wurden: Für die Kosaken war dies ihr Todesurteil.

Wenn von Jalta die Rede ist, verbindet sich bis in unsere Tage oft auch die Vorstellung, dass dort die „Teilung der Welt“ bzw. die „Teilung Europas“ beschlossen worden sei. So wurde die Wende 1989/90 als das „Ende der Ordnung von Jalta“ bezeichnet.

Tatsache ist, dass das in Jalta nicht geschehen ist. Angesichts der militärischen Realität existierte diese Teilung bereits: Die Rote Armee stand in Rumänien, Bulgarien, Polen und Ungarn; bis Berlin waren es nur noch 90 Kilometer.

War Roosevelt ein allzu großer Illusionist mit Blick auf Stalin? Hat George F. Kennan recht, der dafür plädiert hatte, Stalin vor die Wahl zu stellen, entweder wirklich unabhängige Staaten in Osteuropa zuzulassen oder aber für den Rest des Krieges auf die materielle Hilfe des Westens zu verzichten. Die „Erklärung von Jalta“ taugte für ihn nicht als Hebel, sie war für ihn bloß noch der Versuch, „die Stalltür zu verriegeln, nachdem das Pferd gestohlen war“.

Am 11. Februar ging die Konferenz zu Ende. Amerikaner und Briten waren davon überzeugt, gemeinsam mit der Sowjetunion den Grundstein für eine neue, bessere Welt gelegt zu haben. Harry Hopkins beschrieb das später so: „Wir glaubten im Herzen wirklich, ein neuer Tag sei angebrochen, der Tag, den wir alle seit vielen Jahren ersehnt hatten. Wir waren absolut überzeugt, den ersten großen Friedenssieg gewonnen zu haben.“ Das war ein großer Irrtum, wie Stalins Politik in den von der Roten Armee besetzten Ländern deutlich machte.

Das Misstrauen auf westlicher Seite verstärkte sich jedenfalls. Es mehrten sich die Anzeichen für einen neuen Krieg – den Kalten Krieg.

6. Wachsendes Misstrauen bei Amerikanern und Briten

Das Jahr 1945 gilt allgemein als der Beginn des Kalten Krieges, der Konfrontation zwischen Ost und West: auf der einen Seite die westlichen Demokratien unter Führung der USA, auf der anderen Seite die kommunistischen Staaten unter Führung der Sowjetunion. Tatsächlich aber waren hochrangige amerikanische und britische Diplomaten in Moskau schon während der Zeit der Kooperation mit Stalin davon überzeugt, dass eine Zusammenarbeit mit dem Sowjetdiktator über das Kriegsende hinaus nicht möglich sein würde. Bei den Amerikanern waren das vor allem Botschafter W. Averell Harriman, dessen Mitarbeiter George F. Kennan sowie der Verbindungsmann des Pentagon zur Roten Armee, General John Deane. Bei den Briten war es Frank Roberts, der seit Februar 1945 an der Botschaft tätig war. Vieles kam damals zusammen:

Mitte Juni 1944 richteten die Amerikaner einen Luftwaffenstützpunkt in der Sowjetunion, Poltava in der Ukraine, ein. In Italien gestartete amerikanische Bomber sollten hier neu betankt und munitioniert werden. Die deutsche Luftwaffe bombardierte den Stützpunkt am 21. Juni 1944. Amerikanische Jagdflugzeuge auf zwei benachbarten Stützpunkten erhielten von den Sowjets keine Starterlaubnis; sowjetische Flugzeuge griffen genauso wenig ein wie die sowjetische Flugabwehr.

Es kam noch schlimmer. Während des Warschauer Aufstands im August verweigerte Stalin amerikanischen Flugzeugen, die die belagerten Polen aus der Luft versorgen wollten, die Landung in Poltava. Er stimmte erst zu, nachdem Roosevelt persönlich bei ihm intervenierte. Aber da war es bereits zu spät. Die polnische antisowjetische Heimatarmee wurde vernichtet, der Weg für ein kommunistisches Polen war damit frei.

Und so ging es weiter. Roosevelt protestierte nicht. Harriman warnte im September:

„Es beängstigt mich, wenn ein Land beginnt, mit nackter Gewalt und als Sicherheit verkleidet seinen Einfluss jenseits der Grenzen zu tragen.“

Für Kennan war das damals der Augenblick, wie er später schrieb, „in dem wir mit den Sowjets zu einer grundsätzlichen politischen Auseinandersetzung hätten kommen sollen“. Aus Washington kam keine Reaktion. Daraus ließ sich, so Kennan, „ganz deutlich der fundamentale Mangel an Realismus ablesen, den Roosevelt während der letzten Kriegsmonate gegenüber allen Problemen Osteuropas bewies“.

Das war wohl so. Schon auf der Konferenz in Teheran hatte Roosevelt zu Stalin gesagt: „Wegen Polen werden wir keinen Krieg mit euch anfangen.“ Und im Mai 1944 zu Harriman, ihm sei es egal, ob die an Russland angrenzenden Länder kommunistisch würden. Und im September zu seinem Außenminister Cordell Hull:

„In den von ihnen eroberten Ländern werden die Sowjets machen, was sie wollen.“

Das setzte sich in Jalta fort. Stalins Geheimdienstchef Beria hatte „maximale Gastfreundschaft “ für Roosevelt angeordnet. Dessen Hauptquartier war der Livadia-Palast. Jeder Raum dort war im doppelten Sinne des Wortes „verwanzt“: Jedes von Briten und Amerikanern gesprochene Wort lag in schriftlicher Form am Abend auf Stalins Schreibtisch. Für Roosevelt war Jalta dennoch nach eigener Aussage wie ein „Familientreffen“; er verstand sich prächtig mit Stalin. An einer Stelle meinte er, die von der Wehrmacht angerichteten Zerstörungen, die er auf der Fahrt vom Flughafen gesehen habe – Stalin hatte bekanntlich die entsprechende Route angeordnet –, hätten ihn „noch blutrünstiger“ mit Blick auf die Deutschen gemacht; für sie müsse jetzt „Auge um Auge“ gelten. Als Stalin auf Roosevelts Frage, wer denn Beria sei, antwortete: „Das ist mein Himmler“, blieb das ohne Nachfrage.

Bezeichnend dafür war auch, was nach der Befreiung von 7000 amerikanischen und britischen Kriegsgefangenen durch die Rote Armee im März 1945 geschah und erst im Jahr 2012 öffentlich wurde. Die Sowjets nahmen den GIs zunächst unter vorgehaltener Waffe die Uhren ab und überließen sie dann ihrem Schicksal. Sie mussten sich zu Sammelstellen durchschlagen und wurden in Viehwaggons nach Odessa befördert. Voller Verachtung berichteten sie später in Washington über das, was sie gesehen hatten: „Für die Russen gehört Vergewaltigung einfach zum Krieg. Vergewaltigung deutscher Frauen ist patriotisch, Vergewaltigung polnischer Frauen macht einfach nur Spaß.“ Oder: „Diese Soldaten sind wie die Tiere.“

Erklärungen des langjährigen sowjetischen Botschafters in London, seine Landsleute seien immer schon weit hinter der westlichen Zivilisation zurück gewesen, wiesen die Briten als „billiges Alibi für alles“ zurück.

Harriman wollte die befreiten Kriegsgefangenen mit in Poltava stationierten Flugzeugen direkt ausfliegen lassen: Die Sowjets lehnten ab. General Deane sprach von seinen „schwärzesten Tagen in Moskau. So wie die Russen unsere befreiten Gefangenen behandeln, so behandeln sie auch die von ihnen befreiten Länder – als Kriegsbeute.“

Harriman war entsetzt. Für ihn war der Vorstoß der Roten Armee nach Europa „eine Invasion durch die Barbaren“. Und er warnte Roosevelt vor negativen Reaktionen in den USA, wenn die Sache mit den Gefangenen dort bekannt würde. Der wiegelte ab, spielte die Sache runter und blieb auf sein großes Ziel fokussiert: Zusammenarbeit mit Stalin nach dem Krieg.

War dafür nicht auch inzwischen durch das eigenmächtige Vorgehen Stalins in Osteuropa in den Wochen nach Jalta jegliche Basis verloren gegangen? Stalin betrachtete ganz Osteuropa offensichtlich als seinen Herrschaftsbereich: „Säuberungen“ in Bulgarien, Ablösung der Regierung in Rumänien, Verhaftung von Widerstandsführern in Polen und Schwierigkeiten bei der Bildung der Regierung in Polen, Errichtung von vier Wojewodschaften im Gebiet östlich von Oder-Neiße – alles entgegen den Absprachen von Jalta. Er hielt sich an eine andere Vereinbarung:

Wenige Monate zuvor, im Oktober 1944, hatte er sich nämlich mit Churchill bei dessen Besuch in Moskau über die Aufteilung Südosteuropas in Einflusszonen geeinigt:

Rumänien sollte demnach zu 90 %, Bulgarien zu 75 % dem sowjetischen Einflussbereich zugeschlagen werden, Griechenland dagegen zu 90 % dem britischen; Jugoslawien und Ungarn teilte man sich je zur Hälfte. Dies war Churchills Idee gewesen. Er hatte die Zahlen auf einem Zettel notiert, Stalin hatte ihn abgehakt.

(7) Oktober 1944: Churchill in Moskau, wo er mit Stalin das „Prozent-Abkommen“ aushandelt; v. l.: Eden, Churchill, Stalin, Molotow.

(8) Das berühmt-berüchtigte „Prozent-Abkommen“ über die Aufteilung Südosteuropas in Einflusszonen; von Stalin „abgehakt“. Größe des Originals ca. DIN A5.

Außenminister Molotow wollte anschließend die Prozentzahlen noch für sein Land verbessern, aber sein britischer Kollege Eden lehnte ab. Auch wenn Churchill diese Vereinbarung später lediglich als Übergangsmaßnahme bis zur deutschen Kapitulation verstanden wissen wollte – was sie nicht sein sollte –: Stalin hielt sich später Punkt für Punkt an diesen Schacher. Möglicherweise war das Abkommen britische Realpolitik. Bis auf Griechenland stand überall die Rote Armee. Die 10% machte Stalin in Griechenland später nicht geltend – das Land blieb im westlichen Lager.

Anflüge von Zweifel mit Blick auf Stalin sind bei Roosevelt zu erkennen. Im März meinte er: „Averell [Harriman] hat Recht. Stalin hat sämtliche Versprechungen nicht eingehalten, die er in Jalta gemacht hat.“ Zu einem Bruch mit dem Diktator war er aber nach wie vor nicht bereit. Im Gegenteil: Er wollte „Uncle Joe“ sogar in das Geheimnis der Atombombe einweihen – entgegen Churchills Rat. Nach wie vor war es sein Ziel, dass die drei Mächte – USA, Sowjetunion, Großbritannien – „Deutschland und Japan für etliche Jahre kontrollieren sollten“. Churchills Warnungen mit Blick auf Stalin hatte Roosevelt am 11. April – einen Tag vor seinem Tod – folgendermaßen beantwortet:

„Ich würde das allgemeine sowjetische Problem so viel wie möglich herunterspielen. Wir müssen jedoch festbleiben, und unser Kurs ist soweit richtig.“

Das war er offensichtlich nicht. Das Misstrauen verstärkte sich jedenfalls. In den vorbereitenden Gesprächen für das Treffen zwischen Molotow und dem neuen US-Präsidenten Harry S. Truman im April 1945 meinte letzterer, er beabsichtige „hart mit den Russen zu sein und keine Konzessionen in Hinblick auf amerikanische Prinzipien oder Traditionen zu machen, um dadurch etwa ihre Gunst zu gewinnen“. Seiner Meinung nach seien die Vereinbarungen mit der Sowjetunion „aber bisher eine Einbahnstraße gewesen, was so nicht weitergehen kann“. Er wolle die Pläne für die Gründungskonferenz der Vereinten Nationen weiter verfolgen, aber „falls die Russen nicht wünschen, sich uns anzuschließen, können sie zur Hölle fahren“.

In dieser Gesprächsrunde meinte Marineminister James Forrestal, man solle es lieber gleich als später auf eine Kraftprobe mit der Sowjetunion ankommen lassen. Admiral William Leahy gab zu bedenken, „es sei eine ernste Angelegenheit, mit den Russen zu brechen, aber wir sollten ihnen sagen, dass wir für ein freies und unabhängiges Polen eintreten“. Auch Harriman trat für eine harte Politik ein, während der Stabschef der Armee, George Marshall, und Kriegsminister Henry Stimson zu mäßigen versuchten. Marshall verwies vor allem darauf, dass die Sowjetunion ihre militärischen Verpflichtungen stets eingehalten und oft mehr als ursprünglich zugesagt getan habe. Stimson warnte davor, sich in „sehr gefährliche Wasser“ treiben zu lassen. Für Harriman stand fest: „Die russischen Pläne zur Errichtung von Satellitenstaaten stellen eine Bedrohung für die Welt und für uns dar. Wenn die Sowjetunion erst einmal die Kontrolle über ihre Nachbarregionen erlangt hat, wird sie versuchen, die nächsten angrenzenden Länder zu durchdringen.“

Der republikanische Senator Arthur Vandenberg, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Senats, schrieb am 12. April: „Die Revolte gegen jede weitere Beschwichtigung [„appeasement“] der Sowjets wächst.“ Öffentlich formulierte die republikanische Abgeordnete im Repräsentantenhaus, Claire Boothe Luce – Ehefrau des Medienmoguls Henry Luce –, die Stimmung in Teilen ihrer Partei, als sie Ende Mai in einer Rede von der „unmoralischen Natur des Kommunismus“ sprach und die sowjetische Führung beschuldigte, die Völker Mittel- und Südosteuropas zu unterjochen. Und dann weiter:

„Es darf nicht dabei bleiben, dass es zwei Welten gibt, wie es heute der Fall ist – die Welt des Totalitarismus und die Welt der demokratischen Ideale. Diese zwei Welten sind verurteilt, in Konflikt miteinander zu geraten. Es muss – und es wird – eine Welt geben.“

Schon vorher hatte der stellvertretende Außenminister Joseph C. Grew in einem Privatmemorandum u. a. geschrieben: „Ein zukünftiger Krieg mit Sowjetrussland ist so sicher wie nur irgendetwas in dieser Welt.“ An einen offenen Bruch mit der Sowjetunion war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht zu denken. Noch brauchte man die Sowjets für den Krieg gegen Japan; hinzu kam, dass die öffentliche Meinung weiter für eine Zusammenarbeit war. Am 26. Mai wurde Truman das Ergebnis einer Meinungsumfrage übermittelt. Auf die Frage: „Meinen Sie, wir sollten nach dem Krieg weiterhin mit Russland zusammenarbeiten?“ hatten 72 % mit „Ja“ und lediglich 13 % mit „Nein“ geantwortet; 15 % hatten erklärt, keine Meinung dazu zu haben.