Der Große Krieg 1914-1918 in 92 Kapiteln - Rolf Steininger - E-Book

Der Große Krieg 1914-1918 in 92 Kapiteln E-Book

Rolf Steininger

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Beschreibung

Der Krieg von 1914–1918 war der Große Krieg, die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts". Dieser Krieg war ein Weltkrieg, der in Europa, im Nahen und Fernen Osten, in Afrika und zur See ausgetragen wurde und zum Untergang der Monarchien in Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland und zum Zerfall des Osmanischen Reiches führte. Er brachte Millionen Menschen Tod und Elend und legte den Grundstein für etliche der nachfolgenden Katastrophen. Von Februar 2014 bis Dezember 2015 hat der bekannte Zeithistoriker Rolf Steininger an 92 Wochenenden in den Dolomiten – Tagblatt der Südtiroler – über diesen Krieg berichtet. Im vorliegenden Band werden diese Beiträge nun gesammelt vorgelegt.

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ROLF STEININGER

Der Große Krieg 1914–1918 in 92 Kapiteln

ROLF STEININGER

DER GROSSE KRIEG 1914–1918

in 92 Kapiteln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-95768-178-2 © 2016 Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek Internet: www.lau-verlag.de

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlagentwurf: Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek Titelabbildung: © ullstein bild - Haeckel Archiv Satz und Layout: Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek

Inhalt

Vorbemerkung

Der Große Krieg 1914–1918 in 92 Kapiteln

1. Der Balkan als Krisenherd

Vor dem Ersten Weltkrieg: Wunschtraum Groß-Serbien – religiös und ethnisch große Unterschiede.

2. Der Blankoscheck

Zum Krieg entschlossen: Deutschland an der Seite Österreich-Ungarns.

3. Wer war schuld am Ersten Weltkrieg? (1)

„Ein Krieg aller gegen alle wird entbrennen, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hat.“

4. Wer war schuld am Ersten Weltkrieg? (2)

In den Weltkrieg hineingeschlittert: Alle Mächte 1914 wie Schlafwandler am Kriegsausbruch beteiligt?

5. Kriegsausbruch und „Augusterlebnis“ (1)

Hurrarufe und patriotische Lieder: In Berlin feiern Hunderttausende die Mobilmachung.

6. Kriegsausbruch und „Augusterlebnis“ (2)

Burgfriedenspolitik: Kaiser Wilhelm: „Ich kenne nur noch Deutsche!“

7. Kriegsausbruch und „Augusterlebnis“ (3)

In der k.u.k. Monarchie und Tirol: Das „Balkanproblem“ soll militärisch gelöst werden.

8. Die Stimmung in Tirol (1)

Begeisterung, Besorgnis und Angst: „Die Lieder waren traurig wie die Vögel auf dem Schnee.“

9. Die Stimmung in Tirol (2)

85.000 erwerbstätige Männer eingezogen, 40.000 Familien von einem Tag auf den anderen in schwere Nöte gestürzt.

10. Die Stimmung in Tirol ( 3)

Bruder Willram – Propagandist für den Krieg: „… dann stirbt er lachend als Sieger und Held.“

11. Deutsche und k.u.k Kriegsziele

Septemberprogramm: „… Frankreich soll so geschwächt werden, dass es als Großmacht nicht neu erstehen kann.“

12. Der Schlieffen-Plan

Ein „gigantisches Vabanquespiel“: Zuerst soll Frankreich, dann Russland besiegt werden.

13. „Aufmarschgebiet“ Belgien

Belgien (1): Die belgische Neutralität und die britische Kriegserklärung – „… bloß wegen eines Wortes“.

14. Unerwartet starker Widerstand

Belgien (2): Deutscher Terror und der„Fall Löwen“ – Zerstörung der Universitätsbibliothek.

15. „… als erobertes Land behandeln“.

Belgien (3): Generalgouvernement Belgien: Ordnung, Ausbeutung, Germanisierung.

16. 1914: Gegen Frankreich

Gewaltmärsche und schwierige Versorgung der Truppe – den Eiffelturm in Sichtweite.

17. September 1914: „Das Wunder an der Marne.“

Generalstabschef Helmuth von Moltke:

„Majestät, wir haben den Krieg verloren.“

18. Mythos Langemarck

„Deutschland über alles!“ Zehntausende junge Soldaten als Kanonenfutter für die Kriegspropaganda.

19. Die Schlacht bei Tannenberg

Revanche nach 504 Jahren: Hindenburg hält die „russische Dampfwalze“ auf.

20. 1914/15: Niederlage und Sieg im Osten

Tiroler Kaiserjäger nach Galizien: „Ein Mordsdreck, schwärzlich, klebrig; es nieselt.“

21. Der Kampf auf dem Balkan

Strafexpedition gegen Serbien: „… jede Humanität und Weichherzlichkeit unangebracht.“

22. Dschihad für Kaiser Wilhelm?

Kriegsschauplatz Naher Osten (1): „… den Fanatismus des Islam erregen“.

23. „Die Engländer totschlagen.“

Kriegsschauplatz Naher Osten (2): Max von Oppenheim:

„Deutscher Vater des Heiligen Krieges“?

24. „Sehr viel von 1001 Nacht.“

Kriegsschauplatz Naher Osten (3):

Akteure aus Deutschland und Österreich-Ungarn.

25. 1914/15: Völkermord an den Armeniern

„… werden wir die Türken noch sehr brauchen.“

26. 1914/15: Kampf in den Kolonien

Kein Deutsches Reich in der Südsee; nur in Ost-Afrika wird weitergekämpft.

27. Gallipoli 1915: Keine Kreuzfahrt im Marmarameer

Kriegsschauplatz Naher Osten (4): Grabenkrieg und Massensterben.

28. 22. April 1915: Der erste Giftgasangriff

Die Deutschen öffnen die Büchse der Pandora.

29. 7. Mai 1915: Die Versenkung der Lusitania

Der größte Schiffsverlust im Ersten Weltkrieg: „Fehler sind nicht immer zu vermeiden.“

30. Kaiser Franz Joseph: „Der König von Italien hat Mir den Krieg erklärt!“

„Ein Treuebruch, dessengleichen die Geschichte nicht kennt.“

31. 1915: Krieg im Gebirge und am Isonzo

„Alle möchten jetzt hinunter nach Italien.“

32. Nicht nur der heroische Kampf in den Bergen

Die Situation in Tirol 1915: Eine ganze Gesellschaft wird aus den Angeln gehoben.

33. „Es kann keinen Frieden ohne Sieg geben.“

Die Situation Ende 1915: „Der Krieg muss sich weiter hinziehen.“

34. 1915: Siegfrieden oder Verständigungsfrieden?

„Nach einem vollen Sieg hat das deutsche Volk einen Anspruch auf einen Siegespreis.“ Stimmen der Kriegsgegner verhallen ungehört.

35. 1916: Die Hölle von Verdun

Frankreich soll sich „ausbluten“: Sinnloses Opfern hunderttausender Soldaten.

36. 1916: Strafexpedition gegen Italien

„Großartiges Fortschreiten unserer herrlichen Truppen in Südtirol.“

37. 1916: Die Brussilow-Offensive

„Wie lange wird die österreichisch-ungarische Monarchie noch im Stande sein, den Kampf auszuhalten?“

38. 1916: „Die deutschen Maschinengewehre verrichteten eine furchtbare Blutarbeit.“

Die Schlacht an der Somme: Für die Briten „die größte militärische Tragödie im 20. Jahrhundert“.

39. 1916: Sieg in Rumänien

Kaiser Wilhelm: „Welch herrlicher, durch Gottes Gnade erreichter Erfolg auf der Bahn zu vollem Siege.“

40. 1916: Die Seeschlacht vor dem Skagerrak

Zwar mehr britische als deutsche Schiffe versenkt, aber kein entscheidender Sieg.

41. „Gott sei Dank, das ist der große Krieg!“

Notverordnungen, Bezugssystem, Inflation, Angst vor dem Verhungern.

42. 1916: Allenthalben Wunsch nach Frieden

Die Friedensinitiative der Mittelmächte (1): Kaiser Karl will den Krieg „so bald als möglich beendet sehen“.

43. Kaiser Wilhelm: „Unsere Feinde haben die Maske fallen lassen.“

Die Friedensinitiative der Mittelmächte (2): Kaiser Karl: „Vorwärts mit Gott!“.

44. 1917: „Amerika bedeutet militärisch null und noch einmal null …!“

Uneingeschränkter U-Boot-Krieg und Kriegseintritt der USA (1): Verzicht auf die U-Boot-Waffe bedeutet finis Germaniae.

45. 1917: Der U-Boot-Krieg als „letzte Karte“

Uneingeschränkter U-Boot-Krieg und Kriegseintritt der USA (2):

„Wir haben uns entschlossen, dieses Risiko einzugehen.“

46. Kaiser Wilhelm: „Schluss mit Verhandlungen mit Amerika!“

Uneingeschränkter U-Boot-Krieg und Kriegseintritt der USA (3): Das Zimmermann-Telegramm als Funke im Pulverfass.

47. Aus Sauerkraut wird liberty cabbage

Die USA im Krieg (1): Antideutsche Hexenjagd.

48. Für jedes versenkte Schiff zwei neue

Die USA im Krieg (2): Amerika wird zur „ausschlaggebenden Macht“.

49. 1917: „Es lebe Frankreich!“

An der Westfront (1): Das Scheitern des Generals Robert Georges Nivelle und französische Meutereien.

50. 1917: „Der Gegner taumelt schon.“

An der Westfront (2): Das Scheitern des Feldmarschalls Douglas Haig – und erstmals Panzer in großer Zahl.

51. 1917: „Angriff gegen Italien!“

„Der Himmel ist auffallend mit uns.“ Katastrophe für die Italiener bei Caporetto.

52. Faktische Autonomie für das Trentino

Die Stimmung im Trentino: Zwischen Autonomie und irredentistischer Propaganda.

53. „Unwille unter Volk und Priestern.“

Die Stimmung in Tirol an einem Tiefpunkt.

54. „Tanz der Gonokokken.“

Seuchen, Krankheiten, Hunger.

55. 1917: Auf der Suche nach Frieden

Kaiser Karl, der deutsche Reichstag und Papst Benedikt XV.

56. 1917: „Alle Macht den Sowjets!“

Revolution in Russland (1): Lenin mit deutscher Hilfe in Petrograd.

57. 1917: „Eines der denkwürdigsten Jahre der Weltgeschichte.“

Revolution in Russland (2): Der Krieg gegen Russland ist zu Ende.

58. 1916: „Nun sind wir gezeichnet!“

Antisemitismus (1): Die „Judenzählung“.

59. „Uns Juden steht ein Krieg nach dem Krieg bevor.“

Antisemitismus (2): „Eine eklige Rasse!“

60. Der Militärstaat „Ober Ost“

Land des Oberbefehlshabers Ost: Läuse werden zum „Markenzeichen“ für den Osten.

61. „Merkwürdig sind diese Bolschewiken.“

Der Friede von Brest-Litowsk (1): „Das siegreiche deutsche Heer steht in Ihrem Gebiet!“

62. 1918: „… das war Gottes Stunde.“

Der Friede von Brest-Litowsk (2): Kaiser Wilhelm: „Einer der größten Erfolge der Weltgeschichte!“

63. „Wir sind nicht eifersüchtig auf Deutschlands Größe.“

Woodrow Wilsons 14 Punkte: Das Friedensprogramm des US-Präsidenten.

64. Kaiser Wilhelm: „Die Schlacht ist gewonnen!“

Die Entscheidung im Westen (1): Die „Michael“-Offensive gescheitert.

65. 8. August 1918: Der „schwarze Tag der deutschen Armee“.

Die Entscheidung im Westen (2): Der Krieg ist nicht mehr zu gewinnen.

66. Das Trentino germanisieren

Der „Lago di Garda“ soll zum „Gartensee“ werden.

67. „Wir stehen vor dem Zusammenbruch eines Systems.“

Die letzte Offensive der k.u.k. Armee: Finales Scheitern in Italien.

68. Kaiser Karl: „An Meine getreuen österreichischen Völker!“

Österreich-Ungarn und das Ende (1): „Bei uns ist absolut Schluss!“

69. „Wir wollen die Republik! Nieder mit Habsburg!“

Österreich-Ungarn und das Ende (2): „Kaiser Karl genießt nur mehr Mitleid.“

70. „Dies ist ein Ende, ein Ende mit Schrecken!“

Kriegsende und Besetzung Tirols (1): Südtirol wird kampflos besetzt.

71. Es droht der Verlust Südtirols

Kriegsende und Besetzung Tirols (2): Plünderungen sind an der Tagesordnung.

72. „Die endgültige Niederlage steht unvermeidbar bevor.“

Deutschland und das Ende (1): „Diese Herren … sollen nun den Frieden schließen.“

73. 11. November 1918: „Was führt die Herren hierher?“

Deutschland und das Ende (2): In Compiègne wird der Waffenstillstand unterzeichnet

74. Siege und Niederlagen der Briten im Nahen Osten

Das Osmanische Reich und das Ende (1): Lawrence von Arabien und General Townsend. 184

75. 9. Dezember 1917: Die Einnahme von Jerusalem

Das Osmanische Reich und das Ende (2): Waffenstillstand und zukünftige Konflikte.

76. Kaiser Wilhelm: Beschützer der Juden in Palästina

Das Osmanische Reich und das Ende (3): „Entgegenkommende Behandlung des Zionismus.“

77. Der Großwesir: „Die Araber werden die Juden totschlagen.“

Das Osmanische Reich und das Ende (4): „Genugtuung oder Kriegsgericht.“

78. Eine jüdische Heimstätte in Palästina: Die Balfour-Deklaration

Das Osmanische Reich und das Ende (5): 117 Wörter für die Weltgeschichte.

79. „Sie dürfen Ihre Waffen zunächst behalten.“

Das Ende in Afrika: Der „Löwe von Afrika“, Paul von Lettow-Vorbeck: heute ein umstrittener Held.

80. Bomben auf London

Der Luftkrieg: Beginn eines neuen Zeitalters.

81. Frauen im Krieg

Die Männer ersetzen: „Ein Gegenstand ernster Sorge und aus bevölkerungspolitischen Gründen unerwünscht.“

82. Der Konflikt als Kulturkampf

Propaganda im Krieg (1): Der Erste Weltkrieg als Krieg der Ideen.

83. „The Kaiser – the Beast of Berlin.“

Propaganda im Krieg (2): „Die überragende Macht des Bildes und des Films.“

84. November 1918: Die ersten Italiener kommen

1918/19: Militärregierung in Südtirol (1): Rücksicht auf die deutschsprachige Bevölkerung.

85. 1918/19: Ruhe und Disziplin

Militärregierung in Südtirol (2): Harte Einschränkungen, aber noch keine Entnationalisierung.

86. „Es kann, es darf nicht sein …“

Die Teilung Tirols verhindern: Appell an US-Präsident Woodrow Wilson.

87. „Die Stunde der Abrechnung ist da.“

Das Diktat von Versailles (1): „Es wird keine mündliche Verhandlung geben.“

88. „Der Vertrag ist unannehmbar!“

Das Diktat von Versailles (2): Unterzeichnung am 28. Juni 1919, dem Jahrestag des Attentats von Sarajevo.

89. „Der Rest ist Österreich.“

Das Diktat von Saint Germain (1): „Der Friedensvertrag vollendet die Verstümmelung.“

90. „Finis Austriae“

Das Diktat von Saint Germain (2): Unterzeichnung am 10. September 1919.

91. „Ein Verbrecher, der auf seine Aburteilung wartet.“

Das Osmanische Reich und das Ende (6): 10. August 1920: Der Vertrag von Sèvres.

92. Der Erste Weltkrieg: Die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.“

Ein Fazit.

Anhang

Zeittafel

Literaturhinweise

Personenverzeichnis

Vorbemerkung

Der 28. Juni 1914 war ein Sonntag. Er begann als ein Tag wie jeder andere, doch er sollte nicht so enden. Am Mittag fielen an der Lateinerbrücke in Sarajevo Schüsse: der 19-jährige Bosnier serbischer Nationalität, Gavrilo Princip, erschoss den österreichisch-ungarischen Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, und dessen Ehefrau, Herzogin Sophie.

Diese Schüsse an jenem Tag machten Weltgeschichte. Sie führten am 28. Juli zur österreichischen Kriegserklärung an Serbien und lösten den Krieg aus. Die Österreicher dachten an eine kurze Strafexpedition gegen den Nachbarn Serbien, die Deutschen an einen schnellen Sieg in Frankreich und Russland. Weihnachten wollte man wieder zu Hause sein. Es kam bekanntlich alles anders.

Der Krieg wurde zum „Großen Krieg“ – für die Briten The Great War, für die Franzosen La Grande Guerre –, zur „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie der amerikanische Diplomat George F. Kennan den Krieg einmal genannt hat. Er wurde in Europa, im Nahen und Fernen Osten, in Afrika und auf den Weltmeeren ausgefochten. Es war ein Weltkrieg. Die Bilanz nach vier Jahren, drei Monaten und 11 Tagen war furchtbar: neun Millionen tote und 21 Millionen verwundete Soldaten, sieben Millionen tote Zivilisten. Um diese Zahlen etwas zu verdeutlichen: an den insgesamt 1564 Tagen des Krieges fielen im Durchschnitt an jedem Tag 6000 Soldaten, 13.000 wurden verwundet; 4500 Zivilisten starben an Hunger und Krankheit.

Der Krieg führte zum Untergang der Monarchien in Deutschland, in Österreich-Ungarn und in Russland und zum Zerfall des Osmanischen Reiches und legte den Grundstein für etliche der nachfolgenden Katastrophen.

2014 wurde in vielfacher Weise an den Ersten Weltkrieg erinnert. Der Anlass war der Ausbruch des Krieges vor 100 Jahren. Jahrzehntelang hatte die Erinnerung an diesen Krieg im Schatten des Zweiten Weltkrieges gestanden. Nun gab es zahllose Veranstaltungen und Konferenzen, der Büchermarkt wurde nachgerade überschwemmt. Also jetzt nur noch ein weiteres Buch über den Ersten Weltkrieg? Nicht nur. Was ist bei diesem Taschenbuch anders als bei den anderen Büchern?

Zum einen die äußere Struktur.

Der Erste Weltkrieg wird in 92 knappen, leicht lesbaren Kapiteln präsentiert. Diese 92 Kapitel haben eine Vorgeschichte.

Wie das oft mit Jubiläen geht: sie sind schnell vergessen, sobald es neue gibt, an die dann erinnert wird. Der Chefredakteur der Dolomiten – Tagblatt der Südtiroler, Dr. Toni Ebner, wollte daher etwas Nachhaltiges für die Leserschaft seiner Zeitung zu diesem Thema. Nicht zuletzt ist Südtirol ein Ergebnis dieses Krieges. Daraus entstand die Idee, wenn schon nicht täglich für die Dauer des Krieges, dann wenigstens jeweils am Wochenende über einen längeren Zeitraum für einen größeren Leserkreis an diesen Krieg zu erinnern. Die Frage war, wie viele Wochenenden, wie lange kann das Interesse an diesem Thema hochgehalten werden? Nach Vorlage eines ersten Konzeptes hielten wir 92 für die richtige Entscheidung, um die wichtigsten Dinge über diesen Krieg mitzuteilen. Und so wurde von Februar 2014 bis Weihnachten 2015 jeweils auf Seite 3 in der Wochenendausgabe der Dolomiten für 263.000 Leserinnen und Leser in einem längeren Beitrag über diesen Krieg berichtet.

Zum anderen die innere Struktur.

Natürlich kommen die „großen“ Fragen und Ereignisse des Krieges nicht zu kurz: Kriegsausbruch, Kriegsziele, Schlachten an diversen Fronten, im Osten, in Verdun, an der Somme, am Isonzo etc., genausowenig die übergreifenden Themen wie Giftgas, Luftkrieg, Propaganda, Frauen im Krieg etc. Während jedoch in den meisten Darstellungen mit Blick auf die Mittelmächte der Fokus auf Berlin oder Wien gelegt wurde, ging es mir wie in meinen anderen Büchern über Deutschland und Österreich auch hier um Berlin und Wien. Nicht gerade um „Österreich im Schatten der deutschen Frage“, wie das nach 1945 der Fall war, aber immerhin um Vergleiche, Querverbindungen und parallele Darstellungen vom „Augusterlebnis“ bis zum jeweiligen Waffenstillstand in der Villa Giusti und Compiègne und den Friedensverhandlungen in Versailles und St. Germain. Und mir ging es um den Weltkrieg. Dabei werden die USA als die entscheidende Macht genauso ausführlich dargestellt wie der oftmals vernachlässigte Nahe Osten, auch und gerade weil die Nachwirkungen des Krieges dort aktuell bis in die Gegenwart reichen.

In mehreren der 92 Kapitel geht es auch um das „heilige Land“ Tirol. Das war zum einen der Leserschaft der Dolomiten und der außergewöhnlichen Stellung dieses Kronlandes mit dem „welschen“ Trentino und dem heldenhaft verklärten „Krieg in Eis und Fels“ gegen die Italiener geschuldet. Zum andern aber waren Leben und Leiden der Tiroler Bevölkerung in vielfacher Hinsicht nachgerade exemplarisch für das Leben und Leiden der übrigen Menschen in der k.u.k. Monarchie; vergleichsweise auch im Deutschen Reich, obwohl da die Verhältnisse vielfach um vieles ärger waren: hier sind fast 800.000 Menschen verhungert. Mit der Entscheidung der Sieger, Tirol nach dem Krieg zu teilen und das deutschsprachige Südtirol Italien als Kriegsbeute zuzuschlagen, wurde darüber hinaus ein weiteres Problem für den Rest des Jahrhunderts geschaffen.

In der Redaktion der Dolomiten in Bozen hat Erich Rainer über 92 Wochen die Serie professionell und engagiert betreut. Dafür möchte ich ihm an dieser Stelle sehr herzlich danken. Im vorliegenden Band werden die 92 Beiträge gesammelt vorgelegt. Für die Genehmigung zum Wiederabdruck gilt mein ganz besonderer Dank dem Chefredakteur der Dolomiten, Dr. Toni Ebner.

Innsbruck, im Januar 2016

Rolf Steiningerwww.rolfsteininger.at

Der Große Krieg 1914–1918 in 92 Kapiteln

1. Der Balkan als Krisenherd

Vor dem Ersten Weltkrieg: Wunschtraum Groß-Serbien – religiös und ethnisch große Unterschiede.

Mit einem „Mord in Belgrad“ beginnt der australische Historiker Christopher Clark sein spannendes Buch „Die Schlafwandler“ über Europas Weg in den Ersten Weltkrieg. Es geht um die Ermordung des serbischen Königspaares am 11. Juni 1903 durch revoltierende Offiziere. Clark erspart dem Leser keines der grausamen Details:

„Das Paar wurde in einem Kugelhagel aus nächster Nähe niedergeschossen. […] Die Leichen wurden […] mit Säbeln zerstochen, mit einem Bajonett aufgerissen, teilweise ausgenommen und mit einer Axt zerhackt, bis sie zur Unkenntlichkeit verstümmelt waren.“

Bei dieser Verschwörung, die Peter I. auf den Thron brachte, spielte schon ein junger Leutnant der serbischen Armee eine Schlüsselrolle:

„Dragutin Dimitrijević, der später wegen seiner massigen Gestalt ‚Apis‘ genannt wurde, weil seine Anhänger ihn mit dem Stiergott des alten Ägyptens verglichen, war unmittelbar nach seinem Examen an der serbischen Militärakademie auf einen Posten im Generalstab befördert worden, ein untrügliches Zeichen für die hohe Meinung, die seine Vorgesetzten von ihm hatten.“

Er wurde 1903 zum Volkshelden. Daneben wurde Nikola Pašić der dominierende Politiker, der bis 1918 mehrfach Regierungschef war.

Die Zielvorstellung einer „Vereinigung aller Serben“ – von ihnen lebten fünf Millionen außerhalb der Staatsgrenze, überwiegend im Habsburger und im Osmanischen Reich – hatte von nun an „Hochkonjunktur“, verbunden mit jener Loslösung von Österreich-Ungarn, die Frankreich seit 1906 durch umfangreiche Kredite erleichterte. Auf die Annexion von Bosnien-Herzegowina (seit 1868 besetzt) durch Österreich-Ungarn 1908 reagierte Serbien mit Forderungen, auf die es Ende März 1909 verzichten musste. Dies führte zur Gründung der Gruppe „Vereinigung oder Tod!“ Sie wurde unter dem Namen „Schwarze Hand“ bekannt. Ihr Ziel war die Bildung Groß-Serbiens. Das konspirative Netzwerk der Königsmörder blieb auch in den folgenden Jahren eine wichtige Kraft in der serbischen Politik. Aus ihm rekrutierten sich die Verschwörer, die den Mord an dem österreich-ungarischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdi nand am 28. Juni 1914 planten. Für Christopher Clark waren die Serben von damals die Schurken in diesem Drama. Die Serben von heute waren nicht erfreut – und das Buch war denn auch in Serbien kein Erfolg.

Der Balkan war vor 1914 Europas Krisenherd Nr. 1. Die dortigen religiös und ethnisch sehr unterschiedlichen Völker strebten nach Unabhängigkeit oder einer Ausweitung ihrer Staatsgebiete. Zwei Imperien beherrschten das Gebiet: das Osmanische Reich und Österreich-Ungarn. Im Vorfeld von 1914 gibt es zwei Kriege auf dem Balkan: 1912 greifen Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro das Osmanische Reich an, 1913 greift Bulgarien Serbien an. Durch diese Kriege werden zwar die Grenzen auf dem Balkan neu gezogen, aber beide Kriege bleiben regional begrenzt: die Großmächte halten sich – noch – zurück. Die Serben strebten dabei nach einem Hafen an der Adria. Sie wurden zwar vom Zarenreich und Frankreich unterstützt, aber Sankt Petersburg machte letztlich einen Rückzieher. „Wir werden uns nicht in einen Krieg treiben lassen, nur weil Serbien einen Hafen an der Adria haben will“, sagte der russische Außenminister Sergei Sasonow. Österreich-Ungarn wäre im zweiten Krieg gern an die Seite Bulgariens getreten, um die serbische Macht ein für alle mal zu brechen, aber ohne deutsche Unterstützung war das nicht machbar. Das „Problem“ Serbien blieb ungelöst.

Mit der Ermordung Franz Ferdinands bot sich eine Lösung an. Das Attentat am 28. Juni 1914 war wie der Terroranschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001. Clark: „Es hat die Chemie der damaligen Politik grundlegend verändert.“ 37 Tage später befand sich Europa im Krieg und die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ – so der US-Diplomat George F. Kennan – nahm ihren Lauf.

2. Der Blankoscheck

Zum Krieg entschlossen:

Deutschland an der Seite Österreich-Ungarns.

Nach dem Attentat am 28. Juni 1914 zweifelte in Wien niemand an der Mitwisserschaft, wenn nicht gar Mittäterschaft des serbischen Staates. Gegen den sollte jetzt ein Exempel statuiert werden. Natürlich dachte man nicht an einen Weltkrieg, wohl eher an eine zu lokalisierende, kurze Strafexpedition. Kaiser Franz Joseph I. (geb. 1830) war dazu von Anfang an entschlossen. Nur zwei Tage nach dem Attentat kam er mit dem entsprechenden Entschluss von Bad Ischl nach Wien zurück. Am 30. Juni sagte Österreichs Außenminister Leopold Graf Berchtold (geb. 1863, seit 1912 Außenminister) dem deutschen Botschafter in Wien, Heinrich Graf von Tschirschky, zum ersten Mal, dass gegen Serbien etwas geschehen müsse. Der berichtete nach Berlin, dass er vor übereilten Schritten gewarnt habe. Kaiser Wilhelm II. schrieb an den Rand dieses Berichtes:

„Wer hat ihn dazu ermächtigt? Das ist sehr dumm! Geht ihn gar nichts an, da es lediglich Österreichs Sache ist … Tschirschky soll den Unsinn gefälligst lassen! Mit den Serben muss aufgeräumt werden, und zwar bald.“

Aber hinter Serbien stand nach wie vor die Schutzmacht Russland. Würde Österreich mit den Serben „aufräumen“, würde das Zarenreich mit Sicherheit intervenieren. Entscheidend für jede Aktion war daher von Anfang an die Reaktion des Bündnispartners in Berlin. Ohne Unterstützung Deutschlands würde es kein „Aufräumen“ geben. Am 5. und 6. Juli entsandte Berchtold seinen Sonderberater Alexander Graf von Hoyos nach Berlin – im Gepäck ein Schreiben von Kaiser Franz Joseph an Wilhelm II., in dem der deutlich machte:

„Das Bestreben Meiner Regierung muss in Hinkunft auf die Isolierung und Verkleinerung Serbiens gerichtet sein“, das „als politischer Machtfaktor am Balkan ausgeschaltet“ werden müsse.

Am 6. Juli gab Wilhelm die Antwort: er könne zum Serbienkonflikt keine Stellung nehmen, Franz Joseph könne sich aber darauf verlassen, so berichtet Hoyos nach Wien, „dass seine Majestät im Einklang mit seinen Bündnisverpflichtungen und seiner alten Freundschaft treu an der Seite Österreich-Ungarns stehen werde“. Am Tag zuvor hatte Wilhelm II. dem österreichischen Botschafter in Berlin, Graf Szögyény, die Zusicherung gegeben, dass „Deutschland in gewohnter Treue an unserer Seite stehen werde“.

Der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg (geb. 1856, seit 1909 Reichskanzler) bestätigte am 6. Juli gegenüber dem Botschafter die kaiserliche Zustimmung, die er damit auch politisch und formal effektiv machte. Er gab grünes Licht für das weitere Vorgehen. Es liege an Österreich-Ungarn, zu beurteilen, was zu geschehen habe, um das Verhältnis zu Serbien zu klären, Wien könne aber „wie auch immer unsere Entscheidung ausfallen möge – mit Sicherheit darauf rechnen, dass Deutschland als Bundesgenosse und Freund der Monarchie hinter ihr stehe“. Der Botschafter berichtete weiter nach Wien, er habe im weiteren Verlauf der Unterredung festgestellt, dass der Reichskanzler, genauso wie Wilhelm II., „ein sofortiges Einschreiten unsererseits gegen Serbien als radikalste und beste Lösung unserer Schwierigkeiten am Balkan ansieht. Vom internationalen Standpunkt hält er den jetzigen Augenblick für günstiger als einen späteren“.

Das war der vielzitierte „Blankoscheck“, die bedingungslose deutsche Rückendeckung, verbunden mit dem deutschen Drängen zum sofortigen Krieg gegen Serbien. Dies hinterließ in Wien eine tiefe Wirkung. Erst jetzt entschied sich Berchtold für ein energisches Vorgehen gegen Serbien. Und auch der Chef des Generalstabes, Conrad von Hötzendorf, sah nun, wie er später schrieb, „den Moment zur Lösung der serbischen Frage“ gekommen.

3. Wer war schuld am Ersten Weltkrieg? (1)

„Ein Krieg aller gegen alle wird entbrennen, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hat.“

Mit Berlins „Blankoscheck“ im Rücken arbeitete Wien mit aller Konsequenz auf den Krieg gegen Serbien hin. Belgrad sollte mit einem unerfüllbaren Ultimatum konfrontiert werden. Am 23. Juli, Donnerstag, wurde es überreicht. Der serbischen Regierung wurde eine Frist von 48 Stunden gelassen: Antwort bis Sonnabend, 25. Juli, 18:00 Uhr. Die serbische Regierung sollte auf der ersten Seite ihres offiziellen Organs u. a. erklären, dass sie die „gegen Österreich-Ungarn gerichtete Propaganda (verur teilt), das heißt die Gesamtheit jener Bestrebungen, deren letztes Ziel es ist, von der österreichisch-ungarischen Monarchie Gebiete loszutrennen, die ihr angehören, und sie bedauert aufrichtigst die grauenhaften Folgen dieser verbrecherischen Handlungen“.

Besonders heikel waren die Punkte 5 und 6 des Ultimatums: Wien verlangte die Einbeziehung von k.u.k. Kriminalbeamten in die Ermittlungen gegen die Attentäter vom 28. Juni und die Verfolgung subversiver Elemente auf serbischem Boden. Eine Annahme hätte für Serbien die Aufgabe seiner Souveränität bedeutet. Dagegen machte die Regierung in ihrer geschickt formulierten Antwort Vorbehalte, akzeptierte aber weitgehend Österreichs Forderungen, das daran aber gar nicht mehr interessiert war und am 28. Juli Serbien den Krieg erklärte. In der Nacht vom 28. auf den 29. Juli begannen österreichische Kriegsschiffe der Donauflotte sowie Artillerie mit der Beschießung der serbischen Hauptstadt Belgrad. Damit wurde eine Kettenreaktion in Gang gesetzt:

30. Juli: russische Generalmobilmachung als Antwort auf das österreichische Vorgehen gegen Serbien.

31. Juli: Generalmobilmachung Österreich-Ungarns. Die deutsche Regierung verkündet den „Zustand drohender Kriegsgefahr“ und fordert in einem auf 12 Stunden befristeten Ultimatum von Russland die Einstellung der Mobilmachung. Das Ultimatum wird nicht beantwortet. In einem auf 18 Stunden befristeten Ultimatum an Paris verlangt Berlin Frankreichs Neutralität im Fall eines deutsch-russischen Konflikts und als Pfand die Herausgabe der Festungen Toul und Verdun.

1. August: Deutsche Generalmobilmachung und Kriegserklärung an Russland. Frankreich macht klar, dass es „gemäß seinem Interesse“ handeln werde und ordnet Generalmobilmachung an.

2. August: Belgien lehnt das von Deutschland ultimativ geforderte Durchmarschrecht ab.

3. August: Deutsche Kriegserklärung an Frankreich.

4. August: Einmarsch deutscher Truppen in Belgien. Das englische Ultimatum – Rücknahme des Vorstoßes in Belgien und Einstellung aller militärischen Aktionen – läuft ab; Großbritannien – Garant der Neutralität Belgiens – bricht die diplomatischen Beziehungen zum Deutschen Reich ab. Der Schritt ist gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung.

5. August: Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Russland, am 10. und 12. August auch an Frankreich und Großbritannien.

Damit trat das ein, was der badische Gesandte in Berlin bereits am 3. August nach Karlsruhe berichtet hatte: Es werde „ein Krieg aller gegen alle entbrennen, wie ihn die Weltgeschichte noch nicht erlebt hat“.

4. Wer war schuld am Ersten Weltkrieg? (2)

In den Weltkrieg hineingeschlittert: Alle Mächte 1914 wie Schlafwandler am Kriegsausbruch beteiligt?

Als die Sieger 1919 Gericht hielten, erklärten sie Deutschland in Art. 231 des Versailler Vertrages zum alleinigen Verantwortlichen für den Krieg, ein Urteil, das im Deutschen Reich von Anfang an leidenschaftlich abgelehnt wurde. Der Hamburger Historiker Fritz Fischer schien dann 1961 mit seinem Buch „Griff nach der Weltmacht“ das Votum von Versailles zu bestätigen. Das Kaiserreich, so Fischer, habe systematisch auf einen Krieg hingearbeitet, um Europa zu unterwerfen. Fischer löste damit eine weitere leidenschaftliche Debatte aus. Am Ende dieser „Fischer-Kontroverse“ waren sich die Forscher insoweit einig, dass Deutschland zwar nicht allein verantwortlich war, aber doch eine Hauptverantwortung nicht nur für die Verschärfung der internationalen Spannungen, sondern auch für die Auslösung des Ersten Weltkrieges trug.

Der australische Historiker Christopher Clark lieferte mit seinem 2013 erschienen Buch „Die Schlafwandler“ nun eine neue Deutung. Seine These: alle Mächte seien 1914 wie die Schlafwandler am Kriegsausbruch beteiligt gewesen und die Frage nach der Kriegsschuld einer einzelnen Macht sei sinnlos, ganz in dem Sinne, wie es der ehemalige britische Premierminister Lloyd George 1933 in seinen Kriegsmemoiren formuliert hatte, dass unter den Herrschern und Staatsmännern des Jahres 1914 „kein einziger den Krieg gewollt“ habe und die Regierungen Europas allesamt „in den Weltkrieg hineingeschlittert“ seien.

Clarks Interpretation war fast wie ein Persilschein für Deutschland und daher verwunderte es nicht, dass Clark auf jubelnde Zustimmung einiger Fachkollegen in Deutschland stieß. „Die Deutschen tragen Schuld am Ersten Weltkrieg – aber nicht mehr als andere“, meinte Holger Afflerbach im Spiegel. Der Historiker Gerd Krumeich war zwar anderer Meinung, prophezeite aber in der Süddeutschen Zeitung, endlich werde man „ Abschied nehmen von der so lange quasi sakrosankten These, dass in erster Linie die Weltmachtambitionen Deutschlands Europa in den Abgrund gestoßen hätten“.

Andere Fachkollegen hielten ebenfalls dagegen: etwa Wolfram Wette, Michael Epkenhans, Volker Ullrich und Manfried Rauchensteiner. Sie blieben dabei: Wien und Berlin hätten die Weichen auf Krieg gestellt. Im Zusammenhang mit dem Blankoscheck nannte es Ullrich denn auch „merkwürdig“, dass Clark zwar aus dem Tagebuch Kurt Riezlers, des Legationsrats im Auswärtigen Amt und engen Vertrauten des deutschen Reichskanzlers Bethmann Hollweg, zitiert, die dort verzeichnete entscheidende Äußerung des Kanzlers am Abend des 6. Juli, die Clarks Interpretation entgegenstehe, aber unter den Tisch fallen lasse, nämlich: „Eine Aktion gegen Serbien kann zum Weltkrieg führen.“ Ullrich: „Das heißt, Bethmann Hollweg war sich sehr wohl bewusst, welch hochgefährlichen Kurs er eingeschlagen hatte.“

Mit Blick auf Wien geht der bekannte österreichische Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner noch einen Schritt weiter. Er spricht – wie schon erstmals 1993 – erneut von der „Entfesselung“ des Krieges durch Österreich-Ungarn. Er weist nach, dass Österreichs Kriegsproklamation schon lange vor Absendung des Ultimatums an Serbien fertiggestellt war, dass Kaiser Franz Joseph eine Kriegserklärung unterschrieb, in der davon die Rede war, dass serbische Truppen bereits das Feuer eröffnet hätten – ohne Kriegserklärung. Serbien konnte man so vorzüglich als Aggressor erscheinen lassen und darauf verweisen, dass die Monarchie einen Verteidigungskrieg führte. Es war allerdings alles nur eine Falschmeldung. Als man den Kaiser zwei Tage später davon unterrichtete, soll er „ungehalten“ gewesen sein.

5. Kriegsausbruch und „Augusterlebnis“ (1)

Hurrarufe und patriotische Lieder: In Berlin feiern Hunderttausende die Mobilmachung.

Berlins „Blankoscheck“ für Wien wirkte wie ein Brandbeschleuniger in der Julikrise 1914 und war von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung. Der deutsche Reichskanzler Bethmann Hollweg war offensichtlich bereit, ein extrem hohes Risiko einzugehen. Was veranlasste ihn zu dieser Politik, obwohl er nachweislich kein Kriegstreiber war und eher als Grübler und Zauderer galt?

Ausschlaggebend war die Überzeugung – bei ihm und den Militärs –, dass das Reich von seinen Gegnern „eingekreist“ war (Entente Frankreich – Großbritannien – Russland 1904 bzw. 1907) und der immer bedrohlicheren Macht Russlands militärisch schon bald nicht mehr gewachsen sein würde. Am Abend des 7. Juli meinte er: „Die Zukunft gehört Russland, das wächst und wächst und sich als immer schwererer Alb auf uns legt.“ Sein Kalkül war: würde Russland bei einer Aktion Österreich-Ungarns gegen Serbien nicht reagieren, würde es als Großmacht dramatisch an Ansehen verlieren und das Habsburgerreich zur Vormacht auf dem Balkan werden. Würde es reagieren und zum Krieg entschlossen sein, dann sollte der Krieg aus Sicht Berlins – wenn nicht jetzt, wann dann? – als „Präventivkrieg“ geführt werden – zu einem Zeitpunkt, wo man sich noch überlegen wähnte.

Jahre später, im Januar 1918, nur wenige Monate nach seinem Sturz, erklärte Bethmann Hollweg das so:

„Aber wenn der Krieg doch über uns hing, wenn er in zwei Jahren noch gefährlicher und unentrinnbarer gekommen wäre, und wenn die Militärs sagen, jetzt ist es noch möglich, ohne zu unterliegen, in zwei Jahren nicht mehr. Ja, die Militärs!“

Klar war aber auch, dass dabei das Zarenreich „rücksichtslos unter allen Umständen ins Unrecht“ gesetzt werden müsse, wie Bethmann Hollweg am 26. Juli in einem Telegramm an Wilhelm II. forderte.

Am Sonnabend des 1. August 1914 verfügte Kaiser Wilhelm um 17:00 Uhr die Generalmobilmachung im Deutschen Reich. Zwei Stunden später erfolgte die deutsche Kriegserklärung an Russland. Über die Reaktion in Berlin berichtete die Frankfurter Zeitung am nächsten Tag:

„Unter den Linden und vor dem königlichen Schloss versammelten sich bald nach der Bekanntgabe der Mobilmachung viele Hunderttausende Menschen. Jeder Wagenverkehr hörte auf. Der Lustgarten und der freie Platz vor dem Schloss waren dicht angefüllt von den Menschenmassen, die patriotische Lieder sangen und wie auf Kommando gleichmäßig immer wieder den Ruf erneuerten: ‚Wir wollen den Kaiser sehen!‘ Gegen 1/2 7 Uhr erschien der Kaiser am mittleren Fenster der ersten Etage, von einem unbeschreiblichen Jubel und von Hurrarufen begrüßt. Patriotische Lieder wurden angestimmt. Nach einiger Zeit trat in der Menge Ruhe ein. Die Kaiserin trat an die Seite des Kaisers, der den Massen zuwinkte, dass er sprechen wolle. Unter tiefstem Schweigen sprach der Kaiser dann ungefähr mit weithin vernehmbarer, langsam stärker werdender Stimme: ‚Wenn es zum Kriege kommen soll, hört jede Partei auf, wir sind nur noch deutsche Brüder. In Friedenszeiten hat mich zwar die eine oder andere Partei angegriffen, das verzeihe ich ihr aber jetzt von ganzem Herzen. Wenn uns unsere Nachbarn den Frieden nicht gönnen, dann hoffen und wünschen wir, dass unser gutes deutsches Schwert siegreich aus dem Kampf hervorgehen wird.‘

An diese Worte des Kaisers schloss sich ein Jubel, wie er wohl noch niemals in Berlin erklungen ist. Die Menge stimmte begeistert erneut patriotische Lieder an.“

6. Kriegsausbruch und „Augusterlebnis“ (2)

Burgfriedenspolitik: Kaiser Wilhelm: „Ich kenne nur noch Deutsche!“

Jubelszenen wie in Berlin am 1. August 1914 spielten sich auch in anderen deutschen Städten ab. Das ist als das berühmte „Augusterlebnis“ in die Geschichte eingegangen: die Vorstellung eines rauschhaften, alle Bevölkerungsschichten ergreifenden nationalen Erweckungserlebnisses. Das setzte sich in der Sitzung des Reichstages am 4. August fort, als die Abgeordneten über die Bewilligung der ersten Kriegskredite abstimmten. Wilhelm II. nutzte die aufgepeitschte Atmosphäre, um die Parteien auf die sogenannte Burgfriedenspolitik einzuschwören:

„Geehrte Herren! In schicksalsschwerer Stunde habe Ich die gewählten Vertreter des deutschen Volkes um Mich versammelt. Fast ein halbes Jahrhundert lang konnten wir auf dem Weg des Friedens verharren. Versuche, Deutschland kriegerische Neigungen anzudichten und seine Stellung in der Welt einzuengen, haben unseres Volkes Geduld oft auf harte Proben gestellt. […] Die Welt ist Zeuge gewesen, wie unermüdlich wir in dem Drang und den Wirren der letzten Jahre in erster Reihe standen, um den Völkern Europas einen Krieg zwischen Großmächten zu ersparen. […] Da tat sich mit der Ermordung Meines Freundes, des Erzherzogs Franz Ferdinand, ein Abgrund auf. […] An die Seite Österreich-Ungarns ruft uns nicht nur unsere Bündnispflicht. […] Sie haben gelesen, meine Herren, was Ich zu Meinem Volke vom Balkon des Schlosses aus gesagt habe. Ich wiederhole, Ich kenne keine Parteien mehr, Ich kenne nur noch Deutsche […], und zum Zeugen dessen, dass sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschiede, ohne Standes- und Konfessionsunterschiede zusammenzuhalten mit Mir durch dick und dünn, durch Not und Tod, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und Mir dies in die Hand zu geloben.“

Die Sozialdemokraten stimmten mit dem Satz: „Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich“ für die Kriegskredite. Das war das, was sich in jenen Tagen dem Augenschein nach ereignete: die Versöhnung der Klassen- und Interessengegensätze im Zeichen des angeblichen „Verteidigungskrieges“.

Was waren die Gründe dafür? Ein weit verbreiteter Gesinnungsmilitarismus, angereichert durch Sozialdarwinismusideen, die eine Mentalität förderten, die den Krieg als unvermeidlich ansahen, ihn als eine Bewährungsprobe wahrnahmen und ihm eine höhere Realität als den Frieden zusprachen. Zweifelsohne wirkte ein solches Denken besonders im protestantischen Bildungsbürgertum, vor allem in der jüngeren Generation, verhaltensprägend und mündete in den Krieg als der ersehnten großen Zeitenwende. Der Schriftsteller Thomas Mann formulierte das noch 1915 so:

„Wie hätte der Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte! Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden, und eine ungeheure Hoffnung.“

Und man war überzeugt davon, einen Verteidigungskrieg zu führen. Wider besseres Wissen hatte Reichskanzler Bethmann Hollweg im Reichstag Russland als den Schuldigen am Kriegsausbruch hingestellt und betont: „Nur zur Verteidigung einer gerechten Sache soll unser Schwert aus der Scheide fliegen.“ Der Chef des Marinekabinetts von Wilhelm II., Georg Alexander von Müller, sah das ganz anders. Intern meinte er: „Stimmung glänzend. Die Regierung hat eine glückliche Hand gehabt, uns als die Angegriffenen hinzustellen.“

7. Kriegsausbruch und „Augusterlebnis“(3)

In der k.u.k. Monarchie und Tirol: Das „Balkanproblem“ soll militärisch gelöst werden.

Die k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn war ein Vielvölkerstaat. Das Manifest von Kaiser Franz Joseph I. „An Meine Völker!“ zu Beginn des Krieges war in 11 Sprachen abgefasst. Da hieß es u. a.:

„Serbien hat die maßvollen und gerechten Forderungen Meiner Regierung zurückgewiesen und abgelehnt, jenen Pflichten nachzukommen, deren Erfüllung im Leben der Völker und Staaten die natürliche und notwendige Grundlage des Friedens bildet.

So muss Ich denn daran schreiten, mit Waffengewalt die unerlässlichen Bürgschaften zu schaffen, die Meinen Staaten die Ruhe im Inneren und den dauernden Frieden nach außen sichern zu wollen. In dieser ernsten Stunde bin Ich mir der ganzen Tragweite Meines Entschlusses und Meiner Verantwortung vor dem Allmächtigen voll bewusst. Ich habe alles geprüft und erwogen. Mit ruhigem Gewissen betrete Ich den Weg, den die Pflicht Mir weist.

Ich vertraue auf Meine Völker, die sich in allen Stürmen stets in Einigkeit und Treue um Meinen Thron geschart haben und für Ehre, Größe und Macht des Vaterlandes zu schweren Opfern immer bereit waren. Ich vertraue auf Österreich-Ungarns tapfere und mit hingebungsvoller Begeisterung erfüllte Wehrmacht, und ich vertraue auf den Allmächtigen, dass er Meinen Waffen den Sieg verleihen wird.“

Am Ballhausplatz war man davon überzeugt, dass die Monarchie einen entschlossenen Schritt setzen musste, um die Grenzen und den Bestand des Reiches zu sichern. In der kaiserlichen Proklamation war nur von Serbien die Rede – nicht etwa von Russland. Serbien war das Kriegsziel Wiens; mit einem militärischen Schlag sollte das Balkanproblem ein für alle Mal gelöst werden. Diese Bereitschaft war von Anfang an da. Man wiegte sich dabei in der Illusion, einen lokal begrenzten Krieg führen zu können. Mit Rückendeckung aus Berlin nahm man gleichzeitig einen Krieg mit Russland in Kauf.

Als der Krieg da war, war die Begeisterung – genauso wie im deutschen Kaiserreich – auch in der k.u.k. Monarchie groß: In Österreich, Böhmen, Galizien, Bosnien und Ungarn. In Agram, der Hauptstadt des zu Ungarn gehörenden Kroatien, wurde für den Krieg demonstriert und der Krieg gegen Serbien bejubelt. In Prag veranstalteten Tschechen und Deutsche eine gemeinsame Kundgebung für den Krieg. Überall wurde der Sieg beschworen. Die Erfüllung der „Pflicht“, die Betonung der „Unvermeidlichkeit“ und „Einigkeit“ sowie die wiederholte Bezugnahme auf „Gott den Allmächtigen“ ließen die Opposition verstummen. Die Arbeiter-Zeitung in Wien schrieb vom Krieg des Zaren und von der „heiligen Sache des deutschen Volkes“. Und Sigmund Freud notierte:

„Ich fühle mich vielleicht zum erstenmal seit 30 Jahren als Österreicher und möchte es noch einmal mit diesem wenig hoffnungsvollen Reich versuchen. […] Die Stimmung ist überall eine ausgezeichnete. Das Befreiende der mutigen Tat; der sichere Rückhalt an Deutschland tut auch viel dazu.“

Soldaten, die an die Front transportiert wurden, formulierten dies damals auf ihre Weise: auf den Eisenbahnwaggons prangten Aufschriften wie „Russen und Serben müssen alle sterben!“ Oder: „Serbien muss sterbien.“ Allenthalben war man von einem schnellen Sieg überzeugt. Weihnachten würde man wieder zu Hause sein.

Wie im übrigen Reich gab es auch in Tirol eine weithin feststellbare Euphorie.Vielfach gab es Szenen, die an den Befreiungskampf von 1809 erinnerten.

Voller Begeisterung zog man in den Krieg. In der Zeitung Tiroler Volksboten