Der Kalte Krieg - Rolf Steininger - E-Book

Der Kalte Krieg E-Book

Rolf Steininger

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DER SHOWDOWN DER SUPERMÄCHTE: KOMPAKT UND ANSCHAULICH ERZÄHLT Von 1945 bis 1991 war die Welt in zwei Lager geteilt, die sich unversöhnlich gegenüberstanden: auf der einen Seite die WESTLICHEN DEMOKRATIEN unter Führung der USA, auf der anderen Seite die KOMMUNISTISCHEN STAATEN unter Führung der SOWJETUNION. Diese Konfrontation ist als KALTER KRIEG in die Geschichte eingegangen, wurde mit geradezu "religiöser Intensität" geführt und nahm schon bald apokalyptische Formen an. Der Besitz der ATOMWAFFEN unterschied die "Siegermächte" von den übrigen Mächten. Das machte sie zu potentiellen Zerstörern der Welt, zeigte ihnen aber gleichzeitig die Grenzen zum Abgrund, die am Ende niemand überschritt. Wie dieser Krieg geführt wurde und wie er endete, stellt Rolf Steininger auf der Basis NEUESTER QUELLEN AUS WESTLICHEN UND ÖSTLICHEN ARCHIVEN dar.

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Rolf Steininger

Der Kalte Krieg

Rolf Steininger

Der Kalte Krieg

1945–1991

StudienVerlag

Innsbruck

Wien

Bozen

Inhalt

I. GRUNDRISS

Vorbemerkung

1. Von der Kooperation zur Konfrontation

a) USA

b) Großbritannien

c) Deutschland

2.Containment: Truman-Doktrin, Marshallplan und Berlinblockade

3. NSC 68, Koreakrieg und deutsche Wiederbewaffnung

4. Eisenhower und Dulles: roll back und massive retaliation

5. Krisenjahre: Berlin und Kuba

6. Anfang und Ende der Entspannung

7. Reagan, Gorbatschow und das Ende des Kalten Krieges

II. VERTIEFUNGEN

1. Die Potsdamer Konferenz

a) Grundsätze für die Behandlung Deutschlands

b) Reparationen und die Oder-Neiße-Linie

c) Potsdam und die Teilung Deutschlands

d) Fazit und Wertung

2. Der Marshallplan

a) Deutschland

b) Österreich

3. Der Koreakrieg

a) Der kommunistische Überfall und die amerikanische Reaktion

b) Die Vorgeschichte: ohne Stalin kein Krieg

c) Das Überschreiten des 38. Breitengrades und das Eingreifen Chinas

d) Begrenzter Krieg oder Einsatz der Atombombe?

e) Waffenstillstand und Fazit

4. Der Bau der Mauer in Berlin

5. Die Kubakrise

a) Sowjetische Atomraketen auf Kuba

b) Die Vorgeschichte

c) Die Quarantäne

d) Der 27. Oktober 1962: Der „schwarze Samstag“

e) Ende der Krise und Fazit

6. Der Vietnamkrieg

a) Vom Indochinakrieg zum Vietnamkrieg

b) Johnsons Krieg

c) Nixons Krieg

d) Fazit

7. Atombomben, Strategien und Technologie

a) Erfolgreicher erster Test

b) Atomare Diplomatie

c) Die Wasserstoffbombe

d) Die Bombe im Kalten Krieg

8. Entspannung im Kalten Krieg: Helsinki 1975

a) Die KSZE-Schlussakte

b) Zeitgenössische Äußerungen

c) Die Vorgeschichte

d) Erste Folgekonferenz in Belgrad

e) Zweite Folgekonferenz in Madrid

f) Drittes Folgetreffen in Wien

g) Wertung

9. Der NATO-Doppelbeschluss und der INF-Vertrag

a) Helmut Schmidt sieht die Gefahr für Europa

b) Schmidt sucht Verbündete für die Nachrüstung

c) Das Treffen auf Guadeloupe

d) 108 Pershing II und 116 Cruise Missiles

e) Der NATO-Beschluss

f) Die Stationierung

g) Die Unterzeichnung des INF-Vertrages

10. Der Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung

a) „Sofort, unverzüglich.“

b) Gründe für den Fall der Mauer

c) Es begann in Ungarn

d) Prag

e) Kohl übernimmt die Initiative

f) Misstrauen in Paris und London

III. SCHLUSSBETRACHTUNG

Neues zum Kalten Krieg

IV. ANHANG

1. Zeittafel

2. Glossar

3. Neuere Literatur/Dokumentationen

I. GRUNDRISS

Vorbemerkung

46 Jahre lang gab es das, was als Kalter Krieg in die Geschichte eingegangen ist und die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Von 1945 bis 1991 war die Welt in zwei Lager geteilt: Im Ost-West-Konflikt standen sich auf der einen Seite die westlichen Demokratien unter Führung der USA und auf der anderen Seite die kommunistischen Staaten unter Führung der Sowjetunion unversöhnlich gegenüber. Der amerikanische Journalist Walter Lippmann bezeichnete dies im Jahre 1947 in seinem gleichnamigen Buch als „The Cold War“. US-Präsidentenberater Bernard M. Baruch meinte im Juni 1947: „Russia is waging a cold war against us.“

Dieser Krieg wurde mit geradezu „religiöser Intensität“ geführt, wie das der amerikanische Historiker Arthur Schlesinger Jr. einmal genannt hat. Er nahm schon bald apokalyptische Formen an. Der Besitz der Atomwaffen unterschied die „Siegermächte“ von den übrigen Mächten. Das machte sie zu potentiellen Zerstörern der Welt, zeigte ihnen aber gleichzeitig die Grenzen zum Abgrund, die am Ende niemand überschritt. Lediglich „aus Versehen“ geriet die Welt mehrfach an den Rand eines Atomkrieges.

Mit der Geschichte dieses Kalten Krieges hat sich die Forschung – insbesondere in den USA – seit Jahren intensiv beschäftigt. Mit am interessantesten war dabei die Frage, wie es zu dieser unversöhnlichen Konfrontation kommen konnte, wer folglich die Verantwortung für die „Teilung der Welt“ trägt. Hatte man immer nur falsche Vorstellungen vom „anderen“? Führte also nur eine „Fehlperzeption“ zum Kalten Krieg? Wann begann der Konflikt? Mit der Oktoberrevolution in Russland 1917? Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945? Oder vielleicht schon 1944? Und war dieser Konflikt unvermeidlich? War es nicht im Kern ein ideologischer Konflikt zwischen zwei fundamental unterschiedlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen, der ausgetragen werden musste und nur durch die Anti-Hitler-Koalition während des Zweiten Weltkrieges unterbrochen worden war? Wer ist dann verantwortlich für das Auseinanderbrechen dieser Koalition? Die aggressive, expansive Sowjetunion unter Josef Stalin, die den Westen zu einer Politik der Eindämmung des Kommunismus zwang?

So sahen das in den ersten zwanzig bis dreißig Jahren des Kalten Krieges die „Traditionalisten“ unter den Historikern – bis der Vietnamkrieg kam. Eine Reihe zumeist junger Historiker, die „Neue Linke“, revidierte dann dieses Geschichtsbild. Für diese „Revisionisten“ war nämlich nicht mehr der totalitäre Herrschaftsanspruch des Kommunismus verantwortlich, sondern der amerikanische Kapitalismus. Inzwischen scheint das überholt. Mit neuen Quellen haben die „Postrevisionisten“, die „Realisten“, das Wort – und die nähern sich mehr und mehr den Traditionalisten an. Das Fazit lautet: Mit Stalin war der Kalte Krieg unvermeidlich. Der sowjetische Diktator sah die Welt durch die marxistisch-leninistische Brille: Die Sowjetunion war expansiv und aggressiv; Stalin unterstützte die kommunistischen Parteien, um das Nachkriegschaos auszunutzen; er unterstützte Mao Tsetung im chinesischen Bürgerkrieg, billigte und unterstützte schließlich den Angriff Nordkoreas auf Südkorea und verhinderte dann einen Waffenstillstand.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 war auch das Ende des Ost-West-Konfliktes. Wie dieser Konflikt entstanden ist und wie er geführt wurde, wird im Folgenden geschildert.

1. Von der Kooperation zur Konfrontation

a) USA

Das Verhältnis der USA zur Sowjetunion war während des Krieges – oder zumindest bis zur Konferenz in Jalta im Februar 1945 – alles andere als schlecht. Das Gegenteil war eher der Fall, auch wenn Stalin im Zusammenhang mit der Errichtung der „Zweiten Front“ immer wieder von den Westalliierten vertröstet worden war. Am Ende des Krieges waren von zehn gefallenen deutschen Soldaten neun an der Ostfront gefallen – ein Zeichen für die Gewichtung der Kriegsschauplätze. Bei den Planern für die Nachkriegspolitik kann man in den USA zwei gegensätzliche Konzeptionen unterscheiden: Kooperation und Konfrontation. Die Vertreter beider Richtungen waren allerdings gleichermaßen von der Überlegenheit der amerikanischen Gesellschaftsordnung, des American way of life überzeugt. Die eine Seite wurde von Präsident Franklin D. Roosevelt repräsentiert, der sein grand design, die Vorstellung von der „einen Welt“, der „one world“, realisieren wollte: Die USA und die Sowjetunion würden im friedlichen Wettbewerb miteinander stehen und künftige Auseinandersetzungen nicht auf militärischem, sondern primär auf politischem, ökonomischem und ideologischem Gebiet führen. Um weitere Namen zu nennen: Finanzminister Henry Morgenthau; Innenminister Harold Ickes; Harry Hopkins, Vertrauter von Präsident F. D. Roosevelt; Robert Sherwood; die Diplomaten John G. Winant, Joseph Davies und der stellvertretende Außenminister Sumner Welles. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Wendell Willkie, den Roosevelt bei der Wahl 1940 nur knapp geschlagen hatte, schrieb 1943: Ohne gute Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion „würde jeder Friede nur ein neuerlicher Waffenstillstand sein [...]. Wir müssen lernen, auch nach dem Kriege mit Russland zusammenzuarbeiten. Denn Russland ist ein dynamisches Land, eine lebenskräftige neue Gesellschaft, eine Macht, an der man in einer zukünftigen Welt nicht wird vorbeigehen können.“

Einflussreiche Handels- und Industriekreise der USA setzten sich gegen Kriegsende nachdrücklich für das „Russland-Geschäft“ ein. Der Präsident der amerikanischen Handelskammer, Eric Johnston, besuchte im Sommer 1944 für mehrere Wochen die Sowjetunion, wo er auch von Stalin empfangen wurde. 700 amerikanische Firmen ließen sich in kurzer Zeit in einem für sowjetische Einkäufer bestimmten Katalog eintragen. Eine Gruppe von Banken bereitete die Bildung eines Konsortiums vor, das die erwarteten Geschäfte finanzieren sollte. Morgenthau setzte sich dafür ein, der Sowjetunion Kredite in Höhe von 10 Mrd. Dollar (nach heutigem Wert etwa 100 Mrd.) zu gewähren.

Im wachsenden Gegensatz zu dieser Richtung formierte sich 1944/45 eine zweite Gruppe mit einer anderen Konzeption. Ihre Vertreter setzten sich immer offener für einen harten Kurs gegenüber der Sowjetunion ein, die Kooperation sollte durch Konfrontation ersetzt werden. Vertreter dieser Richtung waren u. a. Senator Arthur H. Vandenberg, der Vorsitzende des Senatsausschusses für außenpolitische Beziehungen, der spätere Außenminister John Foster Dulles, Marineminister James V. Forrestal, Minister Robert E. Patterson, der stellvertretende Kriegsminister John J. McCloy und General Douglas MacArthur, Oberbefehlshaber im Pazifik. Ihnen zur Seite standen die Russlandexperten des State Department, Vertreter der „Riga-Schule“ (jene Diplomaten, die vor Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 1933 auf dem Beobachtungsposten in Riga waren) bzw. von ihnen beeinflusst. Hier ist George F. Kennan zu nennen, aber auch Robert F. Kelly, Direktor der Osteuropaabteilung des State Department, Charles E. Bohlen sowie der erste US-Botschafter in Moskau, William C. Bullitt, und dessen Nachfolger während des Krieges, W. Averell Harriman. Harriman forderte im September 1944 in einem Schreiben an Hopkins, die USA sollten ihre Politik gegenüber den Sowjets ändern: „Die Zeit ist gekommen, dass wir ihnen klarmachen müssen, was wir von ihnen als Preis für unseren guten Willen erwarten.“

Jalta auf der Krim: Vom 4. bis 11. Februar 1945 treffen die „Großen Drei“ – Winston S. Churchill, Franklin D. Roosevelt, Josef Stalin – zum zweiten Mal während des Krieges zusammen. Hinter Roosevelt dessen Stabschef Admiral W. Leahy; hinter Churchill der Oberbefehlshaber der britischen Mittelmeerflotte, Admiral Sir Andrew Cunningham, und der Chef des britischen Luftwaffenstabes, Luftmarschall Sir Charles Portal; am linken Bildrand die Außenminister Anthony Eden (etwas verdeckt; Großbritannien) und Wjatscheslaw Molotow (Sowjetunion) sowie der amerikanische Russlandexperte und spätere Botschafter in Moskau, Charles Bohlen.

Die Vertreter dieser Richtung behaupteten, die Sowjetunion setze das Expansionsstreben der Zaren fort. Die Bereitschaft zur Kooperation mit Moskau würde als Schwäche gedeutet, eine Zusammenarbeit sei daher nur als Ergebnis einer harten Politik Washingtons möglich, wobei die meisten davon überzeugt waren, dass eine Zusammenarbeit überhaupt nicht möglich war. Innerhalb kurzer Zeit – 1945 bis 1947 – wurde dies dann die neue US-Politik.

Ausgangspunkt war die Konferenz von Jalta vom 4. bis 11. Februar 1945, auf der Stalin immerhin die „Erklärung über das befreite Europa“ unterschrieb, mit der darin enthaltenen Zusicherung freier Wahlen in den von der Naziherrschaft befreiten Ländern. Wenn von Jalta die Rede ist, verbindet sich bis in unsere Tage damit auch die Vorstellung, dass dort die „Teilung der Welt“ bzw. die „Teilung Europas“ beschlossen worden sei. Tatsache ist, dass genau dies nicht der Fall war. Es wurde im Gegenteil von Roosevelt und Churchill der Versuch gemacht, die angesichts der militärischen Realität längst bestehende Teilung zu überwinden. Weil dieser Versuch scheiterte, wurde Jalta schon bald nach dem Krieg zum Streitobjekt der amerikanischen Innenpolitik und Geschichtsforschung, vor allen Dingen, als in den fünfziger Jahren auf Anordnung der republikanischen Administration in Washington die amerikanischen Protokolle der Konferenz veröffentlicht wurden. Die Revisionisten von rechts beschuldigten den verstorbenen Präsidenten Roosevelt, er habe Ost- und Südosteuropa „verraten“, deren Völker leichtfertig dem Bolschewismus preisgegeben. Die Revisionisten von links warfen ihm vor, er habe durch seine unaufrichtige Politik die friedenswillige Sowjetunion zurückgestoßen und somit überhaupt erst den Kalten Krieg entfacht. Die Anklagen beider Seiten treffen daneben – sie verkennen nämlich die Realitäten in der Endphase des Krieges und die widerstreitenden Interessen, die zwangsläufig zur Kollision führen mussten.

Roosevelt und Churchill haben jedenfalls 1945 die Teilung der Welt nicht zu verantworten. Es begann mit Adolf Hitler und dem Hitler-Stalin-Pakt. Hitler hatte durch seinen Überfall auf die Sowjetunion der Roten Armee die Tore nach Mitteleuropa geöffnet. Wie für Stalin die politischen Konsequenzen dieses Vorstoßes aussahen, machte er wenige Wochen vor der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht dem Stellvertreter Titos, Milovan Djilas, klar: „Dieser Krieg ist nicht wie in der Vergangenheit; wer immer ein Gebiet besetzt, erlegt ihm auch sein eigenes gesellschaftliches System auf. Jeder führt sein eigenes System ein, so weit seine Armee vordringen kann. Es kann gar nicht anders sein.“

Auch wenn Harry Hopkins noch in Jalta zu Roosevelt meinte, die von Stalin unterschriebene Erklärung sei „dehnbar von hier bis Washington“: Was dann in Osteuropa entgegen den Absprachen von Jalta im Einflussbereich der Roten Armee geschah – „Säuberungen“ in Bulgarien, Ablösung der Regierung in Rumänien, Verhaftung von Widerstandsführern in Polen, Schwierigkeiten bei der Bildung der Regierung in Polen, Errichtung von vier Wojwodschaften im Gebiet östlich von Oder-Neiße, etc. –, führte zu einer Stärkung der Riga-Fraktion in Washington. In den vorbereitenden Gesprächen für das Treffen zwischen dem sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow und dem neuen US-Präsidenten Harry S. Truman im April 1945 meinte letzterer, er beabsichtige, „hart mit den Russen zu sein und keine Konzessionen im Hinblick auf amerikanische Prinzipien oder Traditionen zu machen, um dadurch etwa ihre Gunst zu gewinnen“. Seiner Meinung nach seien die Vereinbarungen mit der Sowjetunion „aber bisher eine Einbahnstraße gewesen, was so nicht weitergehen könne“. Er wolle die Pläne für die Gründungskonferenz der Vereinten Nationen weiter verfolgen, aber „falls die Russen nicht wünschten, sich uns anzuschließen, könnten sie zur Hölle fahren“.

Harry S. Truman im Rosengarten des Weißen Hauses in Washington, D. C., Juni 1945: Als F. D. Roosevelt am 12. April 1945 stirbt, wird er als Vizepräsident der 33. Präsident der USA. Nur wenige ahnen damals, dass mit diesem Mann eine der überzeugendsten Persönlichkeiten in der amerikanischen Geschichte ins Weiße Haus einziehen und einer ganzen Ära ihren unverwechselbaren Stempel aufdrücken würde.

Zu diesem Zeitpunkt war bereits erkennbar, wer als eigentlicher Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen war: die Großmacht USA als die Weltmacht schlechthin. Drei Viertel des in der Welt investierten Kapitals und zwei Drittel ihrer Industriekapazität befanden sich in den USA. Das jährliche Einkommen pro Kopf der Bevölkerung lag bei fast 1.500 Dollar, während es in keinem europäischen Land 800 Dollar überstieg. Zudem verfügte man schon bald über das Atommonopol. Schon ein Jahr vorher war man daher bemüht gewesen, Instrumente zur Neuordnung der Weltwirtschaft zu schaffen. Zu diesem Zweck hatte man bereits im Juli 1944 zu einer Konferenz nach Bretton Woods im US-Bundesstaat New Hampshire eingeladen. Dort verhandelten Delegierte von 44 Ländern, am Ende wurden zwei Organisationen gegründet: die „Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“ (International Bank for Reconstruction and Development), kurz Weltbank, und der „Internationale Währungsfonds“. Sie wurden mit rd. 15 Mrd. Dollar ausgestattet und zu einem wichtigen Steuerungselement in der internationalen Wirtschaftspolitik – unter Führung der USA. Am 27. Dezember 1945 traten die Beschlüsse von Bretton Woods in Kraft – ohne die Sowjetunion. Sie lehnte eine Teilnahme ab. Von nun an wurden Weltbank und Internationaler Währungsfonds zu Instrumenten im Kalten Krieg. Von einem möglichen US-Kredit in Milliardenhöhe war keine Rede mehr; die Unterlagen, so wurde dem Kreml mitgeteilt, seien „verloren“ gegangen. Wenig erfreut waren die Sowjets auch darüber, dass Truman die Lieferungen auf der Basis des Leih- und Pachtgesetzes (Lend-Lease) abrupt, wenn auch vertragskonform – das Gesetz lief im August aus – an sie stoppte. Schiffe mit entsprechenden Lieferungen mussten sogar umkehren.

Noch aber gab es die Anti-Hitler-Koalition und die „Großen Drei“ – Truman, Stalin, Churchill –, die sich vom 17. Juli bis 2. August 1945 in Potsdam zur letzten großen „Kriegskonferenz“ trafen. Trotz der unterschwellig vorhandenen Spannungen, der vielfältigen Differenzen der Westalliierten mit den Sowjets und des zeitweise offen zutage tretenden Misstrauens, insbesondere Stalins, gegenüber Truman und Churchill gab es keine Milde gegenüber den Deutschen, auch nicht vonseiten der Westmächte. „Noch hasste und fürchtete der ganze Kontinent Deutschland mehr als Russland“, wie es Robert Murphy, der politische Berater des amerikanischen Oberbefehlshabers in Deutschland, Dwight D. Eisenhower, formulierte. Deutschland stand im Mittelpunkt der Konferenz, und da fand man noch so etwas wie einen Formelkompromiss. Der neue britische Premierminister Clement Attlee – Nachfolger des nach der Wahlniederlage zurückgetretenen Winston Churchill – meinte intern, man habe in Potsdam bedeutende Erfolge auf dem Weg zu einem besseren Verständnis zwischen den drei Regierungen erzielt und die getroffenen Entscheidungen seien eine solide Grundlage für weitere Fortschritte. Dies sollte sich schon bald als Irrtum herausstellen, wie auf der Außenministerkonferenz im September in London deutlich wurde. In den Entwürfen für Friedensverträge mit Bulgarien, Rumänien und Ungarn, die die Sowjets vorlegten, konnten die Amerikaner kaum etwas finden, was ihren Vorstellungen entsprach.

17. Juli bis 2. August 1945: Potsdamer Konferenz. Die „Großen Drei“, Stalin (links), Truman (rechts) und Churchill (vorne), mit ihren Beratern am Verhandlungstisch. Der Krieg in Europa ist gewonnen, jetzt soll der Frieden gesichert werden. Unterschwellig vorhandene Spannungen und vielfältige Differenzen werden noch einmal überspielt.

Versuche von Außenminister James Byrnes, durch einen partiellen Kompromiss zu einem positiven Abschluss der Konferenz in London zu kommen, wurden vom Republikaner John Foster Dulles verhindert. In einem Gespräch unter vier Augen drohte er, die Republikanische Partei werde jeden Kompromiss in dieser Frage als Appeasement-Politik öffentlich bekämpfen. Truman stellte daraufhin am 27. Oktober in einer Rede in New York klar: „Wir werden es ablehnen, irgendeine Regierung anzuerkennen, die einem Volk von einer fremden Macht gewaltsam aufgezwungen wurde. In einigen Fällen mag es nicht möglich sein, das gewaltsame Oktroyieren einer solchen Regierung zu verhindern. Aber die Vereinigten Staaten werden diese Regierungen nicht anerkennen.“

Und gegenüber Byrnes betonte er am 5. Januar 1946 unmissverständlich: „Wenn man mit Russland nicht eine deutliche Sprache spricht und ihm nicht mit eiserner Faust entgegentritt, ist der nächste Krieg in Sicht. […] Ich bin es leid, die Sowjets weiter zu hätscheln.“ („I’m tired of babying the Soviets.“)

Das war der Beginn eines Jahres, dessen Ende auch das Ende jeder Kooperation mit der Sowjetunion bedeutete. Von nun an ging es beinahe Schlag auf Schlag. Am 9. Februar 1946 hielt Stalin in Moskau eine Rede, in der er erneut die marxistische These vertrat, dass das kapitalistische System in sich selbst Elemente einer allgemeinen Krise und militärischer Zusammenstöße enthalte; mit anderen Worten: Die von Stalin erwartete Wirtschaftskrise in den kapitalistischen Staaten würde nahezu gesetzmäßig zu Aufrüstung und Krieg führen. Im State Department wurde diese Rede als direkter Angriff auf die USA gewertet; und für den Richter am Obersten Bundesgericht in Washington, William O. Douglas, war sie gar die „Erklärung zum Dritten Weltkrieg“.

Am 22. Februar schickte Kennan dann aus Moskau sein inzwischen berühmtes „langes Telegramm“ nach Washington. Es waren zwar nicht „8.000 Wörter“, wie Kennan in seinen Erinnerungen später schrieb, sondern nur 5.000, aber immer noch das längste Telegramm in der Geschichte des State Department. Für den Russlandexperten Kennan war die sowjetische Außenpolitik militant, aggressiv und expansionistisch, kompromisslos, negativ und destruktiv; internationale Kooperation sei für die Sowjetunion nur ein Lippenbekenntnis, sie benutze die kommunistischen Parteien in Europa dazu, dem Weltkommunismus zum Sieg zu verhelfen; es gebe keinen modus vivendi mit der UdSSR. Kennan formulierte hier das, was wenig später als containment ein Begriff wurde. Seine Überlegungen wurden vom Russlandexperten Charles E. Bohlen, damals Assistent von Außenminister Byrnes, am 13. März weiterentwickelt. Die USA sollten demnach jedes zur Verfügung stehende Mittel einsetzen, um die „Ausdehnung der sowjetischen Macht über die gegenwärtigen Grenzen hinaus“ zu verhindern, und ein positives Programm ausarbeiten und verwirklichen, „um den Völkern dieser Länder zu zeigen, dass das nicht-sowjetische System ihnen mehr bietet als die falschen Versprechungen des Kommunismus“.

Ganz in diesem Sinne sah Washington nun sowjetischen Expansionismus am Werk. Die Joint Chiefs of Staff meinten am 16. April 1946, die Sowjetunion beabsichtige mit ihrer Forderung, das ehemals italienische Tripolitanien unter ihre Mandatsmacht zu stellen, die politischen Verbindungslinien durch das Mittelmeer nach dem Nahen und Mittleren Osten sowie nach Indien unter ihre Kontrolle zu bekommen. Es handle sich um einen Präzedenzfall, um den sowjetischen Einfluss über die eigene Sicherheitszone hinaus auszudehnen. Ähnlich auch die Situation im Iran, wo Moskau eingegangene Verpflichtungen nicht einhielt, seine Truppen nicht abzog und stattdessen versuchte, einen kommunistischen Regierungschef zu installieren. Dies, so Truman zu Harriman, „kann zum Krieg führen“. Erst nach massivem amerikanischem Druck kündigte Moskau am 25. März 1946 den Truppenabzug innerhalb der nächsten fünf oder sechs Wochen an.

Am 7. August deutete sich die nächste Krise an, als Moskau von der Türkei die Aufkündigung der Montreux-Konvention von 1936 forderte, in der der Türkei das Recht auf Kontrolle der Kriegsschifffahrt der Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres in den Meerengen zugesprochen worden war. Würde dies geschehen, so Dean Acheson, stellvertretender Außenminister, gegenüber Truman, würde dies zur sowjetischen Kontrolle über die Türkei führen, dies wiederum zur Kontrolle Griechenlands und des gesamten Mittleren Osten und dies würde der Sowjetunion helfen, „ihre Ziele in Indien und China zu erreichen“. Die Sowjets würden von ihrem Vorhaben nur ablassen, wenn sie erführen, dass die USA „bereit sind, der Aggression nötigenfalls mit Waffengewalt zu begegnen“.

Genau das geschah. Am selben Tag, als Byrnes in Stuttgart die zukünftige amerikanische Deutschlandpolitik erläuterte, am 6. September 1946, wurde im Pentagon ein Memorandum zum Thema „US-Sicherheitsinteressen in Griechenland“ fertiggestellt. Darin wurde die strategische Bedeutung Griechenlands für die USA betont, dass es „allein eine Barriere zwischen der Sowjetunion und dem Mittelmeer bildet, ähnlich wie die Türkei weiter im Osten“. Die USA seien daran interessiert, die gegenwärtige griechische Regierung zu stärken, ehe sich die Lage weiter in Richtung eines Bürgerkrieges verschärfe. Ein Sturz der Regierung könne zur Entwicklung eines kommunistischen Griechenlands führen und müsse daher unter allen Umständen verhindert werden.

Für das Jahr 1946 war die nationale Sicherheit, die national security, zum Schlüsselbegriff der amerikanischen Außenpolitik und Militärstrategie geworden. Dazu gehört eines der wichtigsten und umfangreichsten Dokumente, das jahrzehntelang als „top secret“ gehandelt wurde und vom Sonderberater Trumans, Clark M. Clifford, und seinem Assistenten George Elsey, Vertreter der Marine im Weißen Haus, stammt und um das Truman im Juli gebeten hatte. Unter der Überschrift „Sowjetische Aktivitäten, die die amerikanische Sicherheit beeinträchtigen“, wurde so ziemlich alles aufgeführt, was man zu erwarten hatte. Clifford und Elsey untersuchten jeden Aspekt der sowjetischen Politik nach dem Krieg und der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen. Die Sowjetunion, so heißt es da, stelle eine echte Bedrohung für die Freiheit in dieser Welt, in Europa und in den Vereinigten Staaten dar: „Entsprechend müssen wir vorbereitet sein. Das Endziel der sowjetischen Militärpolitik ist es, an jedem Ort der Welt einen Angriffskrieg führen zu können.“ Die Sowjetunion sei nur in begrenztem Maße verletzbar, da sich ihre Rohstoffquellen und Schlüsselindustrien über ein riesiges Territorium erstreckten. Zu treffen sei sie aber durch Atomwaffen und biologische Kriegführung sowie durch eine strategische Luftwaffe mit großer Reichweite. Es gehe also darum, dass die Vereinigten Staaten „darauf vorbereitet sein müssen, einen atomaren oder biologischen Krieg führen zu können, denn nur so sind wir stark genug, die Sowjetunion wirksam in Schach zu halten“. Die USA müssten entsprechend starke Streitkräfte unterhalten, um den sowjetischen Einfluss auf seine gegenwärtige Sphäre eindämmen zu können.

Das Clifford/Elsey-Memorandum wurde zum Kompendium der neuen US-Außenpolitik. Truman erkannte sofort die Brisanz des Papiers, zog alle Kopien ein und untersagte zunächst jede Verteilung. Zur Begründung meinte er:

„Das ist zu heiß; wenn das jetzt herauskommen sollte, könnte es eine überaus negative Auswirkung auf unsere Bestrebungen haben, mit denen wir versuchen, wenigstens ein einigermaßen funktionierendes Verhältnis zur Sowjetunion zu entwickeln.“

In dem Bericht wurde dafür allerdings noch nicht der Begriff contain, sondern confine verwendet. Es war Kennan, der – inzwischen in Washington – in einer Rede vor Mitarbeitern des State Department am 17. September 1946 erstmals das Wort contain benutzte.

Es gab damals in Washington nur wenige einflussreiche Politiker und Journalisten, die sich dem neuen antisowjetischen Kurs nicht anschlossen. Dazu gehörten etwa Senator Claude Pepper aus Florida, der ehemalige Finanzminister Morgenthau und der ehemalige Vizepräsident und Handelsminister unter Truman Henry

A. Wallace. Wallace warnte öffentlich vor einer Politik der Härte gegenüber der Sowjetunion, denn: „Je härter wir werden, umso härter werden die Russen“, wie er am 12. September 1946 in New York erklärte. Am 20. September wurde Wallace von Truman entlassen.

Inzwischen waren die Anfänge des containment bereits überall zu erkennen. Im Zuge der Türkei-Krise hatte Truman den neuerbauten Flugzeugträger USS Franklin D. Roosevelt ins westliche Mittelmeer entsandt. Nach der Außenministerkonferenz in Paris im Juli 1946 hatte Arthur Vandenberg notiert: „Paris war das Gegenteil von München. [...] Kein München mehr! [...] Amerika muss sich verhalten wie die Weltmacht Nr. 1, die sie ist.“ In Washington sah man die Sowjetunion auch indirekt auf Expansionskurs – mit Hilfe der kommunistischen Parteien. Mit Beunruhigung hatte man die Ergebnisse der Regionalwahlen in Italien und Frankreich zur Kenntnis genommen. Die Wahlen in Frankreich wurden in einem Dokument des State Department vom 15. September 1946 als „Triumph einer Minorität in einer Minorität“ bezeichnet und weiter: „Das Weltdrama der russischen Expansion wird in Miniatur auf der Bühne in Frankreich gespielt.“ Die USA müssten darauf hinarbeiten, dass wieder ein starkes Frankreich erstehe, das „als Bollwerk unserer Sicherheit dient, unseres Konzepts der Demokratie und unserer materiellen Interessen auf dem europäischen Kontinent“.

b) Großbritannien

Die Rolle, die die Briten in den ersten Jahren des Kalten Krieges spielten, erscheint nach Durchsicht der britischen Akten in einem ganz anderen Licht, als das gemeinhin und lediglich nach Kenntnis der amerikanischen Quellen bekannt war. Der Kalte Krieg war demzufolge mehr als nur die Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion. Aus London kamen entscheidende Impulse.

Im Sommer 1944 ging es dabei um die Frage einer möglichen Zerstückelung Deutschlands. In Voraussicht zukünftiger Entwicklungen betrachteten die britischen Stabschefs schon sehr früh die Sowjetunion als möglichen neuen Gegner in Europa und ein Zusammengehen ganz Deutschlands mit der Sowjetunion nach Kriegsende für Großbritannien als – so der Stabschef der Luftwaffe, Charles Portal – „die größte Gefahr in unserer Geschichte“. Sie empfahlen daher die Zerstückelung Deutschlands in drei Staaten auf der Grundlage der Besatzungszonen, um zum einen die Wiederbewaffnung und eine erneute Aggression Deutschlands zu verhindern, zum anderen aber als „Rückversicherung gegen eine mögliche sowjetische Gefahr“. Im Foreign Office war man über diese Vorstellungen geradezu entsetzt; irgendwelche starren und willkürlich durch die Landschaft gezogenen Grenzen hielt man für absurd. Im Übrigen war man im Sommer 1944 noch davon überzeugt, dass die Beziehungen zur Sowjetunion für die nächsten 20 Jahre nur freundschaftlich sein konnten. Zusammenarbeit mit der Sowjetunion um beinahe jeden Preis lautete daher die Devise.

Churchill selbst verständigte sich im Oktober 1944 bei seinem Besuch in Moskau mit Stalin über eine Aufteilung des Balkans in Einflusszonen. Das war das berühmte Prozentabkommen. Rumänien sollte demnach zu 90 %, Bulgarien zu 75 % dem sowjetischen Einflussbereich zugeschlagen werden, Griechenland dagegen zu 90 % dem britischen; Jugoslawien und Ungarn teilte man sich je zur Hälfte. Dies war Churchills Idee gewesen, auf einem Zettel entworfen, von Stalin sogleich abgehakt. Molotow wollte für sein Land anschließend noch die Prozentzahlen verbessern, aber Außenminister Anthony Eden lehnte ab. Auch wenn der britische Premierminister diese Vereinbarung später lediglich als Übergangsmaßnahme bis zur deutschen Kapitulation verstanden wissen wollte – was sie nicht sein sollte –, Stalin hielt sich später Punkt für Punkt an diesen Schacher. Keine Einigung erzielten die beiden über die Zukunft Polens und die künftige Zusammensetzung der polnischen Regierung – ein Thema, an dem Großbritannien als Gastland der nichtkommunistischen polnischen Exilregierung besonders interessiert war.

Schon bald sahen die Dinge anders aus: Der Stein des Anstoßes war zunächst Osteuropa, das Stalin offensichtlich als seinen Herrschaftsbereich betrachtete. Er weigerte sich, seine auf der Konferenz von Jalta gegebenen Zusagen zu realisieren, in den osteuropäischen Staaten Wahlen durchführen zu lassen und die Regierungen von Bulgarien und Rumänien nach westlichen Demokratievorstellungen umzubilden. Polnische Exilpolitiker wurden verhaftet. Dies alles war offensichtlich nur der Beginn einer umfassenden sowjetischen aggressiven und expansiven Politik.

In Moskau analysierten Frank Roberts und sein Freund George F. Kennan diese sowjetische Politik, in deren Beurteilung sie einig waren. Bekannt ist das bereits erwähnte „lange Telegramm“ George F. Kennans; weniger bekannt waren lange Zeit die zahlreichen Telegramme und umfangreichen Memoranden, die Roberts an das Foreign Office schickte. Roberts, der seit der Konferenz von Jalta im Ministerrang an der britischen Botschaft in Moskau tätig war, hatte bereits im März für ein Umdenken plädiert. Die Sowjetunion müsse als eine Macht gesehen werden, „die für unser Land potentiell genauso gefährlich ist wie Deutschland vor 1939“. Die Annahme, dass Moskau sich mit dem zufriedengeben werde, was es erreicht habe, sei „Wunschdenken, solange die Politik des Kreml von jenen rücksichtslosen und hinterlistigen Personen bestimmt wird, die im Politbüro sitzen und denen nicht zu trauen ist“, kabelte er nach London. Für ihn war die sowjetische Politik „alarmierend“. Die Sowjetunion nahm seiner Meinung nach keine Rücksicht auf die Verbündeten und auf bestehende vertragliche Verpflichtungen; ihre Politik richte sich gegen lebenswichtige britische Interessen. Kurz: „Wir werden überall zur gleichen Zeit angegriffen.“ Moskau, so lautete seine Interpretation, „will vom Nachkriegschaos in Europa und der Welt profitieren. Es verfolgt die gleiche national-imperialistische Politik wie Iwan der Schreckliche, Peter der Große oder Katharina die Große, wobei hinzukommt, dass die Führer im Kreml nicht nur nicht an die gleichen Werte wie die der westlichen Demokratien glauben, sondern dazu auch absolut unfähig sind“.

Diese Berichte aus Moskau stießen in London auf uneingeschränkte Zustimmung. Dort war man von der neuen „russischen Gefahr“, der Russian danger, überzeugt. Am 10. April 1946 fasste dies Außenminister Ernest Bevin in einem Schreiben an Premierminister Clement Attlee folgendermaßen zusammen:

„Die Russen haben sich für eine aggressive Politik entschlossen, die sich auf militanten Kommunismus und russischen Chauvinismus gründet. Sie schrecken offensichtlich vor nichts zurück und gehen bis an den Rand des Krieges, um ihre Ziele zu erreichen. Gegenwärtig richtet sich die aggressive Politik Russlands eindeutig gegen unser Land.“

Noch schienen die USA abseits zu stehen. Churchill blieb es vorbehalten, sie auf die neue Gefahr aufmerksam zu machen. In Absprache mit Bevin und Attlee hielt er am 5. März 1946 in Fulton, Missouri, jene berühmte Rede, in der er zum ersten Mal öffentlich den Begriff „Eiserner Vorhang“ verwendete: „Von Stettin an der Ostsee bis Triest an der Adria ist ein eiserner Vorhang über den Kontinent heruntergegangen.“ Die Russen wollten zwar keinen Krieg, aber „sie wollen die Früchte des Krieges für sich und die unbegrenzte Ausweitung ihrer Macht und ihrer Ideologie“. Und da sie nichts mehr bewunderten als Macht, müssten sich die englisch sprechenden Völker zu einer dauerhaften militärischen Allianz zusammentun. Durch die Anwesenheit Trumans erhielt die Veranstaltung in Fulton besonderes Gewicht. Churchill hatte das ausgesprochen, was viele in Washington dachten, aber öffentlich noch nicht sagten. Gemäßigte Kongressabgeordnete kritisierten Churchill sogar. Der ehemalige britische Außenminister und nunmehrige Botschafter in Washington, Lord Halifax, berichtete Bevin:

„Mr. Churchill sieht sich selbst wie ein Zahnarzt, der festgestellt hat, dass etwas mit einem Zahn nicht in Ordnung ist und eine Wurzelbehandlung empfiehlt; möglicherweise muss der Zahn auch gezogen werden. Mit Ausnahme der linken Journalisten und Politiker bestätigen auch alle Beobachter, dass irgend etwas mit dem Zahn nicht stimmt, einige meinen sogar, dass er in ganz schlechtem Zustand sei. Aber fast alle schrecken davor zurück – aus wirklicher oder vorgetäuschter Angst –, den Bohrer anzusetzen, und beklagen sich über den Zahnarzt, der leider nur allzu bekannt dafür sei, dass er eine Vorliebe für Radikalkuren habe, wo die moderne Medizin doch sicher etwas weniger schmerzvolle Möglichkeiten biete; die von Churchill vorgeschlagene brutale Methode sei alt und überholt.“

Winston S. Churchill und US-Präsident Harry S. Truman im Sonderzug des Präsidenten auf dem Weg nach Fulton, Missouri, wo Churchill am 5. März 1946 die berühmte „Eiserner-Vorhang“-Rede hält. Stalin bezeichnet ihn daraufhin als Kriegshetzer.

Kurz vor seinem Abflug aus den USA gab der Zeitungsverleger Henry Luce ein Essen zu Ehren Churchills. Als Kaviar gereicht wurde, meinte Churchill nur: „Wissen Sie, Uncle Joe [Stalin] hat mir davon früher immer jede Menge geschickt. Jetzt werde ich wahrscheinlich nichts mehr bekommen.“ Er sollte recht behalten.

Stalin griff Churchill gleich in zwei öffentlichen Reden massiv an und bezeichnete ihn als „unverbesserlichen Tory“; sein Vergleich von den englischsprechenden Nationen erinnere ihn an Hitlers Anspruch der überlegenen arischen Rasse. Gleichzeitig betonte er, die Völker wollten keinen neuen Krieg, sondern Frieden. Die Öffentlichkeit und die „herrschenden Kreise“ im Ausland rief er dazu auf, „Kriegstreiber“ wie Churchill in die Schranken zu weisen.

c) Deutschland

Deutschland hat den Kalten Krieg nicht ausgelöst, wurde aber schon bald zu einem Hauptschauplatz dieses Krieges. Selbst in der Niederlage war Deutschland der Schlüssel für die Zukunft Europas. Wer Deutschland beherrschte, beherrschte Europa. Wie sollte unter diesen Umständen der Friede organisiert werden? Einig waren sich Amerikaner, Briten und Sowjets im Prinzip darüber, dass Deutschland nie wieder zu einer Bedrohung für den Weltfrieden werden durfte, dass die Kriegsindustrie zerstört, der Nationalsozialismus und der deutsche Militarismus ausgerottet, die Kriegsverbrecher bestraft, das deutsche Volk „umerzogen“ und für die Kriegsschäden Reparationen geleistet werden sollten. Aber sollte Deutschland auch als Einheit erhalten bleiben, oder war es besser, es in unabhängige Einzelstaaten zu „zerstückeln“? Oder sollte es gar in einen „Agrarstaat“ zurückverwandelt werden, wie US-Finanzminister Henry Morgenthau meinte?

Zunächst einmal sollte Deutschland in Besatzungszonen eingeteilt werden. Die Briten legten am 15. Januar 1944 einen entsprechenden Plan vor. Prophetisch erkannte damals der Vorsitzende des britischen Planungsausschusses, Gladwyn Jebb, „diese Karte, in diesem Moment vorgelegt, wird sich möglicherweise als besonders bedeutend für die zukünftige Geschichte Europas erweisen“. Er sollte recht behalten: Was lediglich als Demarkationslinie gegenüber der von den Sowjets zu besetzenden Zone für eine Übergangsphase gedacht war, wurde später zu jener Grenze, die Deutschland in zwei Staaten und Europa in zwei Blöcke spaltete. Angesichts der sowjetischen militärischen Erfolge in Stalingrad 1942/43 und in der Panzerschlacht bei Kursk im Juli 1943 und der Ungewissheit im Hinblick auf die Errichtung der Zweiten Front befürchteten die Briten damals, dass die Rote Armee den größten Teil Deutschlands überrannt haben würde, bevor überhaupt alliierte Truppen den Rhein überquert hätten. Und für diesen Fall wollte man die Sowjets vertraglich binden und sich einen Rechtsanspruch sichern. Anfang 1945 wurde den Briten klar, dass sich ihre Befürchtung hinsichtlich der militärischen Entwicklung als unbegründet erwiesen hatte: Nicht die Rote Armee, sondern die westalliierten Truppen standen am Rhein. Nunmehr erkannten sie, dass die „ungewöhnliche Schnelligkeit“, mit der die Sowjets ihrem Zonenplan zugestimmt hatten, darauf schließen ließ, dass man ihnen mehr gegeben hatte, als sie jemals erwartet hatten (was im Übrigen zutraf). Die Hoffnung auf eine Änderung der Zonengrenzen lehnte Stalin in Jalta dann aber ab. Frankreich erhielt zwar ebenfalls eine Zone, aber lediglich auf Kosten der britischen und amerikanischen Zone.

Bis zum Frühjahr 1945 war auch noch die mögliche Zerstückelung Deutschlands ein Thema. Begonnen hatte diese Diskussion Stalin, der bereits am 16. Dezember 1941 beim Besuch des britischen Außenministers Anthony Eden in Moskau zu dessen Überraschung detaillierte Vorstellungen über eine europäische Nachkriegsordnung entwickelt hatte, wobei er eine Zerstückelung Deutschlands zur Diskussion gestellt hatte. Das Thema wurde dann auch auf der Konferenz der „Großen Drei“ in Teheran (28. November bis 1. Dezember 1943) diskutiert, anschließend in London und Washington. Das Foreign Office lehnte eine Zerstückelung ab, die britischen Stabschefs waren aus den bereits erwähnten Gründen – mögliche sowjetische Gefahr – dafür.