Deutschland und der Nahe Osten - Rolf Steininger - E-Book

Deutschland und der Nahe Osten E-Book

Rolf Steininger

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Beschreibung

Seit mehr als 100 Jahren ist der Nahostkonflikt der Dauerkonflikt, der Nahe Osten die Krisenregion schlechthin. Und Deutschland - fast immer - mittendrin. Es begann mit der Orientreise von Kaiser Wilhelm II. im Jahre 1898. Im Ersten Weltkrieg spielte Deutschland im Bündnis mit dem Osmanischen Reich eine entscheidende Rolle im Nahen Osten. Die Briten waren die Sieger und sicherten den Zionisten ihre Unterstützung bei der Errichtung einer "nationalen Heimstätte" in Palästina zu. Damit und mit den willkürlichen Grenzziehungen nach dem Krieg legten sie gleichzeitig den Grundstein für die Konflikte der nächsten Jahrzehnte im Nahen Osten. Deutschland spielte dort in den ersten Jahren nach dem Ersten Weltkrieg keine große Rolle. Das änderte sich mit der Machtübernahme Hitlers, den die Araber - allen voran der Großmufti von Jerusalem - bewunderten. Im Zweiten Weltkrieg rückte der Nahe Osten dann wieder ins Blickfeld deutscher Außenpolitik. Es ging u. a. um den Irak und um den Großmufti - und wieder ohne Erfolg. Deutsche Nahostpolitik, die den Namen verdient, gibt es erst wieder seit Gründung der Bundesrepublik. Bei allen Aktivitäten wird dabei immer wieder die historische Verantwortung gegenüber dem neuen Staat Israel deutlich, den Bonn mit Geld und Waffen unterstützte. Spätestens mit dem Yom Kippur-Krieg 1973 wurden die USA zum entscheidenden Faktor im Nahen Osten. Dabei ist der Rüstungsexport in den Nahen Osten nach wie vor ein großes Thema deutscher Politik. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel gehört die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson. Der bekannte Zeithistoriker Rolf Steininger legt hier eine großteils aus den Akten erarbeitete, knappe Gesamtdarstellung vor, ergänzt um 44 Bilder. Die Arbeit gibt Aufschluss über die verschiedenen Phasen der deutschen Politik im Nahen Osten - von Kaiser Wilhelm II. bis zur Gegenwart.

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Rolf Steininger

Deutschland und der Nahe Osten

Rolf Steininger

Deutschland

und der

Nahe Osten

Von Kaiser Wilhelms Orientreise 1898bis zur Gegenwart

Bibliografische Informationder Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-95768-164-5© 2015 Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek/MünchenInternet: www.lau-verlag.de

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigungund Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet,vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlagentwurf: Atelier Versen, Bad AiblingTitelabbildung: © Istockphoto / FredFroeseSatz und Layout: Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek

Inhalt

Einleitung

I.

Vor dem Ersten Weltkrieg

 

1. Kaiser Wilhelm II., die Juden und die Moslems

II.

Im Ersten Weltkrieg

 

1. Dschihad für Kaiser Wilhelm II.

 

2. Der Völkermord an den Armeniern

 

3. Das Osmanische Reich und das Ende

 

4. Kaiser Wilhelm II. und die Juden in Palästina

III.

Weimar und Drittes Reich (1918–1939)

 

1. Briten, Juden, Araber und der deutsche Generalkonsul

IV.

Im Zweiten Weltkrieg

 

1. Hitler und der Irak

 

2. Großmufti Husseini in Berlin

V.

Von der Gründung der Bundesrepublik 1949 bis zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel 1965

 

1. Konrad Adenauer und die Wiedergutmachung

 

2. Panzer für Israel

 

3. Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel

VI.

Vom Sechstagekrieg 1967 bis zur Wiedervereinigung 1990

 

1. Sechstagekrieg und Bonner Reaktion

 

2. Der Yom Kippur-Krieg 1973

 

3. Von Helmut Schmidt bis zur Wiedervereinigung

VII.

Von der Wiedervereinigung bis zur Gegenwart

 

1. Der Golfkrieg

 

2. Der Irakkrieg

Fazit

Anhang

I.

Anmerkungen

II.

Zeittafel

III.

Literatur

IV.

Personenregister

V.

Bildnachweis

Einleitung

Der Nahostkonflikt ist der Dauerkonflikt, der Nahe Osten die Krisenregion schlechthin. Und das inzwischen seit mehr als 100 Jahren. Und Deutschland – fast immer – mittendrin. Es begann mit Kaiser Wilhelm II. und dessen Zusage, sich für die Idee des Zionisten Theodor Herzl – Errichtung eines Judenstaates in Palästina, das zum Osmanischen Reich gehörte – beim Sultan, dem Herrscher des Osmanischen Reiches, einzusetzen. Der Sultan hielt zwar nichts von dieser Idee, aber das beeinträchtigte nicht die guten Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und dem Deutschen Reich. Die Deutschen durften sogar die Bagdadbahn bauen, während sich Kaiser Wilhelm zum Beschützer von 300 Millionen Muslims erklärte.

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war die Rede vom Dschihad – dem Heiligen Krieg – Kaiser Wilhelms im Kampf gegen die Engländer. Der Nahe Osten wurde Kriegsschauplatz. Im Bündnis mit dem Osmanischen Reich spielte Deutschland dort eine entscheidende Rolle. Im Gefolge der 100-Jahr-„Feiern“ zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges sind mehrere Arbeiten erschienen, die ein neues Licht auf die deutschen Aktivitäten werfen, u. a. von Alexander Will, Stefan M. Kreutzer und Wilfried Loth/Marc Hanisch.1 Kaiser Wilhelm wurde zum Beschützer der Juden in Palästina, wie Hansjörg Eiff gezeigt hat.2 Die Briten sicherten Ende 1917 den Zionisten ihre Unterstützung bei der Errichtung eines „nationalen Heims“, sprich Staat, der Juden in Palästina zu und legten damit – und mit ihren willkürlichen Staatsgründungen nach dem Ersten Weltkrieg – den Grundstein für die Konflikte der nächsten Jahrzehnte im Nahen Osten.

Deutschland spielte dort in den ersten Jahren nach dem Ersten Weltkrieg keine große Rolle. Das änderte sich mit der Machtübernahme Hitlers im Jahr 1933. In ihrem Hass auf die Juden bewunderten die Araber – allen voran Husseini, der Großmufti von Jerusalem, – Hitler, ohne dabei auf den naheliegenden Gedanken zu kommen, Hitler-Deutschland für die verstärkte jüdische Einwanderung nach Palästina und den damit verbundenen Problemen verantwortlich zu machen. Dies führte schon früh zu Massakern an Juden und 1936 zum Aufstand der Araber gegen Briten und Juden.

Im Zweiten Weltkrieg rückte der Nahe Osten wieder ins Blickfeld deutscher Außenpolitik. Es ging um den Irak – und wieder um den Großmufti. Der war 1939 aus Jerusalem nach Bagdad geflohen, wo er seinen Kampf gegen Briten und Juden fortsetzte – als erklärter Anhänger Hitlers. Der pro-deutsche Putsch im Irak im April 1941 scheiterte – auch mangels deutscher Hilfe: Hitler war auf das „Unternehmen Barbarossa“, den Angriff auf die Sowjetunion, fixiert. Großbritanniens Premierminister Winston Churchill meinte damals:

„Hitler verschenkte die Gelegenheit, im Nahen Osten mit geringem Einsatz viel zu gewinnen.“3

Der Großmufti Husseini flüchtete nach Berlin, wo er am 28. November 1941 von Hitler empfangen wurde. Husseini war einer der schlimmsten Judenhasser und eine der umstrittensten Figuren des 20. Jahrhunderts. Neuere Veröffentlichungen von Klaus Gensicke, Jennie Lebel und Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers werfen ein neues Licht auf dessen Tätigkeit in Deutschland während des Krieges und in den Jahren nach 1945.4

Deutsche Nahostpolitik, die den Namen verdient, gibt es erst wieder seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Bei allen Aktivitäten wird dabei immer wieder die historische Verantwortung gegenüber dem neuen Staat Israel deutlich. Aber es kamen noch andere Aspekte hinzu: im Kalten Krieg die Rücksichtnahme auf die Interessen der europäischen Partner bzw. der USA in der Region, auf die Interessen der arabischen Staaten und der mit allen Problemen verbundene Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik. Es begann 1952 mit dem Wiedergutmachungsabkommen mit Israel, das Bundeskanzler Konrad Adenauer gegen Widerstände im eigenen Lager und arabischer Staaten durchsetzte. Seit 1957 lieferte Bonn Waffen an Israel, was 1964/5 zum Konflikt mit den arabischen Staaten und zur schwersten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik führte: Es drohte die diplomatische Anerkennung der DDR durch die arabischen Staaten, mit der Bonn erpressbar war. Die Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt beendete diese Erpressungsmöglichkeit.

Im Nahen Osten ging es – und geht es – auch um Öl. Beim israelisch-arabischen Krieg 1973 – Yom Kippur – setzten die arabischen Staaten Öl erstmals als politische Waffe ein – sehr zum Leidwesen Bonns. Mit Yom Kippur waren die USA zum entscheidenden Faktor im Nahen Osten geworden. Inzwischen belastete die israelische Siedlungspolitik auch das deutsch-israelische Verhältnis. Eine Besuchseinladung an Bundeskanzler Helmut Schmidt aus dem Jahre 1978 wurde nicht realisiert, weil er, wie Schmidt den israelischen Botschafter in Bonn beschied, „in Israel seine Kritik an der Siedlungspolitik offen äußern würde“.5 Bonn setzte von nun an auf die Europäische Gemeinschaft und war maßgeblich an deren Resolution von Venedig im Juni 1980 beteiligt. Darin wurde das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung und ihre Beteiligung an einer Friedenslösung gefordert. In seinem Kampf um den NATO-Doppelbeschluss spielte Schmidt damals sogar die Nahostkarte: die sowjetischen SAM-Raketen waren demnach auch eine Gefahr etwa für Ägypten. Nach der Wiedervereinigung sah manches anders aus. Deutschland war im Golfkrieg gefordert. Es lehnte eine Beteiligung am Irakkrieg ab, lieferte aber 2014 erstmals Waffen an eine kriegführende Partei – die Kurden im Irak.

Über die verschiedenen Phasen der deutschen Politik im Nahen Osten gibt es inzwischen eine ganze Reihe aktueller Arbeiten. Für den Ersten Weltkrieg und Husseini s. o., übergreifend Wolfgang G. Schwanitz,6 für die Bonner Politik Markus A. Weingart, Niels Hansen, Sven Olaf Berggötz und Frederik Schumann7 – um nur einige der wichtigsten zu nennen. Was bislang fehlte, war eine knappe, zusammenfassende Darstellung. Die wird hiermit vorgelegt – auf der Basis der neuesten Literatur8 und der wichtigsten Akteneditionen. Für die Zwischenkriegszeit sind das die Berichte der deutschen und österreichischen Generalkonsuln in Jerusalem, die einen authentischen Einblick in die Geschehnisse in Palästina bieten, so wie sie von den Diplomaten gesehen und analysiert worden sind.9 Die Berichte des österreichischen Generalkonsuls enden im März 1938 mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Der deutsche Generalkonsul Walter Döhle berichtete am 21. März 1938 nach Berlin, wie sich das in Jerusalem abgespielt hatte:

„Am Sonnabend, den 12. d. M., an welchem morgens die deutschen Truppen die österreichische Grenze überschritten hatten, wurde ich abends um 7 1/2 Uhr vom österreichischen Generalkonsul gebeten, ihm eine Hakenkreuzflagge zu überlassen, ein Wunsch, dem selbstverständlich entsprochen wurde. Am Sonntag und Montag war auf dem österreichischen Generalkonsulat die österreichische und die deutsche Flagge gesetzt worden, am Dienstag nur noch die deutsche Flagge. Ab 17. d. M. wurde keine Flagge mehr gesetzt, da die Amtsräume geschlossen worden waren. Am 18. d. M. wurden an dem Amtsgebäude die österreichischen Hoheitszeichen entfernt.“10

Für die Bundesrepublik liegen die Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland vor.11 Daneben gibt es den Dokumentenband von Y. Jelinek,12 dann die acht Bände „Der deutsch-israelische Dialog“ von Rolf Vogel13 und die von mir herausgegebenen 12 Bände der „Berichte aus Israel“14 und ein Band über die Jahre 1972–1976.15 Für den Sechstagekrieg 1967 hat William Burr vom National Security Archive in Washington schon 2003 zahlreiche Dokumente veröffentlicht;16 für diesen Krieg und den Yom Kippur-Krieg 1973 sind die entsprechenden Bände der Foreign Relations of the United States besonders relevant17 (ergänzend die Veröffentlichung der Telefonate von Henry Kissinger während des Yom Kippur-Krieges, die Kissinger selbst herausgegeben hat18).

Für die Hilfe bei der Beschaffung der Bilder danke ich ganz besonders Archives Specialist Holly Reed, National Archives II in College Park, Maryland, und Sharon Revach, Israel Government Press Office in Jerusalem. Bei den Bildern aus Jerusalem werden die jeweiligen Photographen – soweit bekannt – auch im Bildnachweis genannt.

Innsbruck, im Februar 2015

Rolf Steiningerwww.rolfsteininger.at

I. Vor dem Ersten Weltkrieg

1. Kaiser Wilhelm II., die Juden und die Moslems

Alles begann mit einem im 19. Jahrhundert in Europa entstandenen Phänomen und einem Mann, der daraus die Konsequenzen zog. Das Phänomen war der Antisemitismus, der Mann der Österreicher Theodor Herzl.

Am 13. Oktober 1898, einem Donnerstag, stiegen fünf Zionisten in Wien in den Orientexpress nach Konstantinopel. Angeführt wurde die Gruppe vom 38-jährigen Theodor Herzl. Herzl hatte erreicht, worum er sich seit drei Jahren bemüht hatte: eine Audienz beim deutschen Kaiser Wilhelm II., der am 11. Oktober zu seiner Orientreise aufgebrochen war. Herzl, jener assimilierte Jude aus Wien, war davon überzeugt, dass die Antwort auf den überall wachsenden Antisemitismus nur ein eigener Staat für die Juden sein konnte. 1896 hatte er diesen Gedanken in einer programmatischen, 71 Seiten umfassenden Schrift „Der Judenstaat – Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“ zusammengefasst. Ein Jahr später hatte der von ihm organisierte jüdische Weltkongress in Basel diesen Staat für die Juden in Palästina gefordert. Palästina aber gehörte zum Osmanischen Reich. Um dort einen Staat errichten zu können, brauchten die Zionisten Hilfe und Unterstützung – und einen Fürsprecher beim Sultan. Herzl setzte auf das Deutsche Reich, und hier auf Wilhelm II.19

Herzls Absicht, einen Appell an Wilhelm II. zu richten, war so alt wie sein Zionismus überhaupt. Im Juni 1895, kurz bevor er den Entwurf zu seinem Buch „Der Judenstaat“ niederschrieb, erklärte er:

„Ich werde zum Deutschen Kaiser gehen; und der wird mich verstehen, denn er ist dazu erzogen, große Dinge zu beurteilen. Dem Deutschen Kaiser werde ich sagen: Lassen Sie uns ziehen.“

Obwohl Herzl klar war, dass ein mit Deutschlands Hilfe ins Leben gerufener jüdischer Staat „die wucherischsten Zinsen“ würde bezahlen müssen, bevorzugte er stets den deutschen Weg zur Verwirklichung seiner weitreichenden Pläne. Er wollte in Palästina eine aristokratisch jüdische Republik gründen, für die das Bismarck-Reich Modell stehen sollte.

„Unter dem Protektorat dieses starken, großen, sittlichen, prachtvoll verwalteten, stramm organisierten Deutschland zu stehen, kann nur die heilsamen Wirkungen für den jüdischen Volkscharakter haben“,

schrieb er am 8. Oktober 1898 in sein Tagebuch. „Mit einem Schlag“, fuhr er fort, „kämen wir zu vollkommen geordneten inneren und äußeren Rechtszuständen.“ Und auch die Deutschen würden aus dem Bündnis Gewinn zielen, denn „durch den Zionismus wird es den Juden wieder möglich werden, dieses Deutschland zu lieben, an dem trotz allem unser Herz hing!“

Ein Jahr zuvor hatte Wilhelm II. einen Bericht über den ersten Zionistenkongress gelesen und an den Rand geschrieben:

„Ich bin sehr dafür, dass die Mauschels nach Palästina gehen; je eher sie dorthin abrücken, desto besser. Ich werde ihnen keine Schwierigkeiten in den Weg legen.“

Am 1. Dezember 1897 schickte Herzl dem Kaiser seine Broschüre „Der Basler Kongress“ zu. Wilhelm fand Gefallen an der Idee eines Judenstaates in Palästina. An seinen Onkel, Großherzog Friedrich von Baden, über den die Verbindung zu Herzl zustande gekommen war, schrieb er:

„Ich bin der Überzeugung, dass die Besiedelung des Heiligen Landes durch das kapitalkräftige und fleißige Volk Israel dem Ersteren bald zu ungeahnter Blüthe und Segen gereichen wird“

– und somit auch zu einer bedeutenden wirtschaftlichen Wiederbelebung der Türkei, die ganz im Interesse des Deutschen Reiches lag, hoffte man in Berlin doch auf die Konzession des Sultans zum Bau der Bagdadbahn. Wilhelm weiter:

(1) Vom 11. Oktober bis 26. November 1898 unternimmt der deutsche Kaiser Wilhelm II. seine Orientreise. Hier mit seiner Begleitung im Zelt vor Damaskus. Wichtigste Stationen sind Konstantinopel, Jerusalem und Damaskus, Hauptereignis die Einweihung der Erlöserkirche in Jerusalem.

„Dann wird der Türke wieder gesund, d. h. kriegt er auf natürliche Weise, ohne zu pumpen, Geld, dann ist er nicht mehr krank, baut sich seine Chausseen und Eisenbahnen selbst ohne fremde Gesellschaften und dann kann er nicht so leicht aufgeteilt werden. Q.e.d.! Zudem würde die Energie, Schaffenskraft und Leistungsfähigkeit vom Stamme Sem auf würdigere Ziele als auf Aussaugen der Christen abgelenkt, und mancher die Opposition schürender, der Soz. Dem. anhängender Semit wird nach Osten abziehen, wo sich lohnendere Arbeit zeigt … Nun weiß ich wohl, dass neun-zehntel aller Deutschen mit Entsetzen mich meiden werden, wenn sie in späterer Zeit erfahren sollten, dass ich mit den Zionisten sympathisire oder gar eventl: wie ich es auch – wenn von ihnen angerufen – thun würde, sie unter meinen Schutz stellen würde!“

Aber Wilhelm hatte seine Entgegnung bereit:

„Dass die Juden den Heiland umgebracht, das weiß der liebe Gott noch besser wie wir, und er hat sie demgemäß bestraft. Aber weder die Antisemiten noch andere noch ich sind von ihm beauftragt und bevollmächtigt, diese Leute nun auch auf unsere Manier zu kujoniren in Majorem Dei Gloriam!“

Wilhelm erinnerte daran, dass man seine Feinde lieben solle. Und außerdem sei es

„vom weltlichen, realpolitischen Standpunkt aus nicht außer acht zu lassen, dass bei der gewaltigen Macht, die das internationale jüdische Kapital nun einmal in aller seiner Gefährlichkeit repräsentirt, es doch für Deutschland eine ungeheure Errungenschaft wäre, wenn die Welt der Hebräer mit Dank zu ihm aufblickt?! Überall erhebt die Hydra des rohesten, scheußlichsten Antisemitismus ihr greuliches Haupt, und angsterfüllt blicken die Juden – bereit, die Länder, wo ihnen Gefahr droht, zu verlassen – nach einem Schützer! Nun wohlan, die ins Heilige Land zurückgekehrten sollen sich Schutzes und Sicherheit erfreuen und beim Sultan werde ich für sie interzediren.“

Und zwar anlässlich seiner für 1898 geplanten Reise ins Heilige Land – und bei der Gelegenheit auch Herzl empfangen.

Inzwischen befanden sich die Zionistenführer mit dem Orientexpress auf dem Weg nach Konstantinopel. Unterwegs einigten sie sich darauf, das Gebiet zwischen Gaza und dem Euphrat zu verlangen. Dieses Gebiet sollte einen autonomen Status innerhalb des Osmanischen Reiches erhalten.

Am 18. Oktober 1898 empfing Wilhelm sie und fragte, was er vom Sultan fordern solle. Herzl: „Eine Chartered Company unter deutschem Schutz.“ Der Sultan dachte nicht daran, Land an Juden abzutreten oder zu verkaufen. Seiner Tochter zufolge erklärte er:

(2) 1903: Das Jaffa-Tor in der Altstadt von Jerusalem mit türkischen Flaggen. Die Menschen schwenken Fahnen als Zeichen der Verehrung für den Sultan.

„Ich kann selbst einen Fuß Land nicht verkaufen, denn es gehört nicht mir, sondern meinem Volk. Die Juden können sich ihre Millionen sparen. Wenn einst mein Reich geteilt ist, können sie Palästina vielleicht umsonst bekommen. Aber nur unser Leichnam kann zerlegt werden. Ich werde einer Vivisektion nie zustimmen.“

Für Wilhelm war das die rote Karte. Ein deutsches Protektorat über einen Judenstaat in Palästina würde es nicht geben. Das war offensichtlich keine Realpolitik mit Blick auf das Osmanische Reich.

Der Kaiser und seine Umgebung kamen am 24. Oktober 1898 vor Haifa an. Der englische Historiker John Röhl hat die Reise beschrieben. Als Wilhelm II. am Nachmittag an Land ging, war es, wie der offizielle Reisebericht verkündete, das erste Mal seit dem Besuch Friedrich II. von Hohenstaufen im Jahre 1228, dass ein deutscher Kaiser den Boden des Heiligen Landes betrat. Als sich die Reisegruppe auf den staubigen Weg nach Jaffa begab, waren zahlreiche Geistliche und über 500 weitere Teilnehmer zugestoßen, die in vier Dampfern angekommen waren. Die Prozession benötigte nicht weniger als 230 Zelte, 120 Wagen, 1.300 Pferde und Maulesel, 100 Kutscher und 600 Treiber, 12 Köche und 60 Kellner. Diese gewaltige Karawane wurde von einem Regiment der türkischen Armee beschützt, und die deutschen Kriegsschiffe, die die Reisenden vom Meer aus begleiteten, feuerten donnernde Salven ab, wo immer die Kaiserstandarte am Horizonte zu erblicken war.

Als Wilhelm die jüdische Siedlung von Mikle Israel passierte, hatte er am Straßenrand eine kurze Begegnung mit Herzl, bevor er zum Hauptereignis der Reise, der Einweihung der Erlöserkirche am 31. Oktober, nach Jerusalem weiterfuhr. Am 2. November wurde Herzl von Wilhelm im Zeltlager vor Jerusalem empfangen. Wilhelm äußerte sich in unverbindlichen Platitüden: „Das Land braucht … Wasser und Schatten“, sagte er den Zionisten.

„Die Ansiedlung, die ich sah, sowohl die deutschen wie Ihrer Landsleute, können als Muster dienen, was man aus dem Lande machen kann. Das Land hat Platz für alle … Ihre Bewegung … enthält einen gesunden Gedanken.“

(3) 1910: An der Klagemauer

Und als Herzl bemerkte, dass die Wasserversorgung durch die Eindämmung des Jordans sichergestellt werden könnte, obwohl dies viel Geld kosten würde, antwortete der Kaiser in seinem bekannten Ton: „Na, Geld haben Sie ja genug … mehr Geld wie wir alle.“

„Er sagte weder ja noch nein“, bemerkte Herzl enttäuscht nach dem Treffen, tröstete sich jedoch mit dem Gedanken, dass seine Bemühungen nicht umsonst gewesen seien:

„Dieser kurze Empfang wird in der Geschichte der Juden für immerwährende Zeiten aufbewahrt werden, und es ist nicht unmöglich, dass er auch geschichtliche Folgen haben wird.“

Die offizielle Pressemeldung sprach von „wohlwollendem Interesse“ des Kaisers für alle Bestrebungen, „welche auf die Hebung der Landwirtschaft Palästinas zum Besten der Wohlfahrt des türkischen Reiches, unter voller Respektierung der Souveränität des Sultans abzielen“. Das Delegationsmitglied Max Bodenheimer hielt fest:

„Die Ansprache des Kaisers wirkte auf uns zunächst wie eine kalte Dusche. Nach weiterer Überlegung fanden wir aber, dass der Kaiser mit Rücksicht auf die nicht unbedenkliche Lage nicht mehr sagen konnte. Der Kaiser hatte zwar kein Wort von einem Protektorat gesagt, aber man hat Herzl gestattet, unsere Absichten klar und unverblümt vorzutragen, und hatte in Aussicht gestellt, dass dieses Problem noch weiter geprüft werden sollte. An diesem Ort und aus dem Munde des Kaisers war dies von Bedeutung.“20

Von Jerusalem fuhr der Kaiser nach Damaskus, wo er am 8. November alle Welt mit folgender Erklärung in Erstaunen versetzte:

„Möge der Sultan und mögen die 300 Millionen Mohammedaner, die […] in ihm ihren Kalifen verehren, dessen versichert sein, dass zu allen Zeiten der deutsche Kaiser ihr Freund sein wird.“

Aus seiner Enttäuschung über das, was er in Palästina erlebt hatte, machte der allerhöchste Kreuzfahrer allerdings keinen Hehl. Palästina sei „ein trostloser, ausgetrockneter Steinhaufen“, schrieb er seiner Mutter auf der Heimfahrt. Und weiter:

„Der Mangel an Schatten und Wasser ist entsetzlich … Jerusalem ist gänzlich verdorben durch die vielen, ganz modernen Vororte … voller jüdischer Kolonisten. 60.000 von diesen Leuten waren da, schmierig, erbärmlich, kriechend und verkommen, die nichts zu tun haben außer sich bei den Christen und Muselmanen gleichermaßen verhasst zu machen, indem sie diesen Nachbarn jeden schwer verdienten Groschen abzuknöpfen versuchen. Lauter Shylocks allesamt.“

Der Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Konstantinopel, Robert Bosse, analysierte die Reise. Einige Mitreisende waren demnach der Meinung, das Deutsche Reich werde auch in Palästina „festen Fuß fassen“. Dazu meinte Bosse, die Reise habe gezeigt

„wie vorsichtig unser Kaiser in dieser Beziehung alles vermieden habe, was übertriebenen politischen Hoffnungen oder auch dem Misstrauen anderer Nationen zum Anhalt hätte dienen können. Die auswärtige Politik des Deutschen Reiches bewegt sich auch heute noch – Gott sei Dank – auf den von dem Fürsten Bismarck vorgezeichneten Bahnen. Sie ist namentlich in der orientalischen Frage ausgesprochene Friedenspolitik.“21

Auch wenn Wilhelm Palästina und die Juden dort nicht mochte, die Geschäfte mit dem Osmanischen Reich ließen sich gut an: das Deutsche Reich erhielt die Konzession für den Bau der Bagdadbahn. Die wirtschaftlichen Beziehungen wurden enger, gefolgt von der Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet. Preußische Offiziere übernahmen Ausbildung und Führung der osmanischen Armee.22

II. Im Ersten Weltkrieg

1. Dschihad für Kaiser Wilhelm II.

Auf dem Höhepunkt der Julikrise 1914 erteilte Kaiser Wilhelm II. für den Fall eines Eingreifens Großbritanniens in den Konflikt die Anweisung,

„daß unsere Consuln in der Türkei und Indien, Agenten etc. die ganze mohammedanische Welt gegen dieses verhaßte, verlogene, gewissenlose Krämervolk zum wilden Aufstand entflammen müssen; denn wenn wir verbluten sollen, dann soll England wenigstens Indien verlieren.“23

Am 2. August schlossen Deutschland und das Osmanische Reich einen geheimen Vertrag, in dem sich Deutschland zu militärischer Unterstützung verpflichtete und das Osmanische Reich sich bereit erklärte, deutsche Offiziere, die sich bereits seit 1913 dort befanden, in die Führung der türkischen Streitkräfte einzubinden. Damit erhielt Deutschland entscheidenden Einfluss auf die Operationen der türkischen Streitkräfte, während die Türkei auf die Rückgewinnung verlorener Gebiete hoffte. Als Großbritannien am 4. August dem Deutschen Reich den Krieg erklärte, gab der Chef des Generalstabes, Helmuth von Moltke, ganz im Sinne des Kaisers die Order aus:

„Von höchster Wichtigkeit ist die Insurrektion von Indien und Ägypten, auch im Kaukasus. Durch den Vertrag mit der Türkei wird das Auswärtige Amt in der Lage sein, diesen Gedanken zu verwirklichen und den Fanatismus des Islam zu erregen.“24

Gemeinsam mit den Türken und mit einem Aufruf zum Dschihad, dem Heiligen Krieg, sollte ein Aufstand in der von Russen, Briten und Franzosen beherrschten islamischen Welt von Marokko bis Indien entfacht werden. Die Türken sollten umgehend Russland angreifen.

Zu den ersten Aktionen gehörte Anfang September der Versuch, den Suezkanal durch Versenken eines Schiffes unpassierbar zu machen und mit Sabotageakten eine explosive Stimmung in Ägypten zu schaffen, die schließlich in einen Aufstand gegen die Briten münden sollte. Der Versuch scheiterte. Der Admiralstab der Marine meldete am 10. September an das Auswärtige Amt:

„Gewaltsames Festnehmen deutscher Dampfer und starke Überwachung anderer Schiffe haben Sperrung misslingen lassen. Weitere Versuche in Ägypten erfolglos.“

Immerhin rief am 12. November der Sultan, zugleich das geistliche Oberhaupt des Islam, zum Heiligen Krieg gegen die Alliierten auf, was allerdings unter den Mohammedanern nicht das erwartete Echo fand. Dagegen gelang es der Entente, große Teile der islamischen Bevölkerung für ihre Kriegsführung zu gewinnen. Für das Deutsche Reich und seinen Verbündeten, die k.u.k Monarchie, war jedoch zunächst einmal eine direkte Landverbindung zur Türkei vorrangig, um das türkische Heer aufzurüsten und mit Nachschub zu verstärken (was beim ersten Versuch im Krieg gegen Serbien im Dezember 1914 gründlich misslungen war). Der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg verlangte dann nach dem ersten Scheitern am Suezkanal eine weitere militärische Aktion gegen die Engländer in Ägypten. Im Februar 1915 sollte dies mit einem 16.000 Mann starken türkischen Expeditionskorps durchgeführt werden. Geplant war, nach dem Marsch durch die Wüste durch einen Handstreich den Suezkanal zu überqueren, um diese Verbindung zu sperren. Die Zusammensetzung dieser Truppe war allerdings mehr als zweifelhaft, bestand aus „eingeborenen Freiwilligen und Irregulären“, die nichts leisteten und „unbotmäßig, feige und anspruchsvoll“ waren, wie es im deutschen Bericht heißt. Und weiter: die türkischen Offiziere hätten den ganzen Tag geschlafen, ihre Energie habe nur dazu ausgereicht, den Deutschen „passive Resistenz zu leisten“.25 Den Engländern gelang es mit ihren indischen Einheiten auf das östliche Ufer des Kanals überzusetzen und die Türken in der Flanke anzugreifen. Die konnten zunächst den Angriff abwehren, verloren aber ihren deutschen Kommandeur. Am Abend des 3. Februar wurde das Unternehmen abgebrochen. Erst im August 1917 wurde ein erneuter Versuch unternommen, der ebenfalls scheiterte. Damit war die Offensivkraft der Türken an der Sinai-Front erschöpft. An anderen Fronten gab es dagegen schwere Kämpfe mit wechselhaftem Erfolg.

Die Blaupause für die deutschen Revolutionierungsbemühungen im Nahen Osten lieferte ein Mann namens Max von Oppenheim. Der legte Ende Oktober 1914 eine 136 Seiten umfassende „Denkschrift zur Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde“ vor. Zu Beginn heißt es da:

„In dem uns aufgedrängten Kampf gegen England wird der Islam eine unserer wichtigsten Waffen werden. Die ganze Art der Kriegsführung unserer Feinde gibt uns ein Recht, die Notwendigkeit unserer Selbsterhaltung die Pflicht, diese so wichtige Waffe für das Endziel des Kampfes nicht unbenutzt zu lassen.“

Man solle Banden bilden, um überall „auf dem Lande die Engländer totzuschlagen“. Der letzte Satz der Denkschrift lautet:

„Das Eingreifen des Islam in den gegenwärtigen Krieg ist besonders für England ein furchtbarer Schlag. Tun wir alles, arbeiten wir vereint mit allen Mitteln, damit derselbe ein tödlicher wird.“

Wer war dieser Max von Oppenheim (1860–1946)? Er entstammte der einflussreichen Kölner Bankiersdynastie. Als er 16 war, schenkte man ihm eine Ausgabe von „Märchen aus 1001 Nacht“, die seinen weiteren Lebensweg bestimmen sollte. Der Orient ließ ihn nicht mehr los. 1892 zog er nach Kairo, mietete im arabischen Teil ein Haus, lernte Arabisch und pflegte, anders als die übrigen Europäer in Kairo, engen Kontakt mit Einheimischen. Von Kairo aus unternahm er Expeditionen an den Euphrat, nach Syrien und Mazedonien. Sein erster Versuch, in den Auswärtigen Dienst aufgenommen zu werden, scheiterte: sein Name klinge „zu semitisch“. Der zweite Versuch gelang: 1896 wurde er dem Generalkonsulat in Kairo zugewiesen. 1910 quittierte er den Dienst. Bis dahin hatte er mehr als 500 Berichte an das Auswärtige Amt geschrieben und seinen Ruf als Orientexperte gefestigt. In den folgenden zwei Jahren leitete er die Ausgrabungen der 3000 Jahre alten aramäischen Tempelanlagen von Tell Halaf in Syrien, die er 1899 entdeckt hatte. Die Funde dort machten den Hobbyarchäologen weltberühmt. Bei Kriegsausbruch meldete er sich in Berlin zum Dienst zurück.

In der angelsächsischen Historiographie ist das Urteil über ihn und die deutsche Nahostpolitik eindeutig: Oppenheim ist „The Kaiser’s Spy“, die männliche Mata Hari des Orients, und die deutsche Nahoststrategie der perfide Versuch, das britische Empire zu vernichten und an seiner Stelle ein deutsches Weltreich zu errichten.26 Ähnlich sah man das auch in der deutschen Geschichtsschreibung, ausgehend von Fritz Fischers Einordnung der Denkschrift. Der sah darin einen weiteren Beweis für Deutschlands „Griff nach der Weltmacht“ – so der Titel seiner in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts kontrovers diskutierten Arbeit über die deutsche Kriegsschuld am Ersten Weltkrieg. Offensichtlich beeinflusst von dieser Interpretation fällte der Nahostkenner Wolfgang G. Schwanitz 2013 ein vernichtendes Urteil über Oppenheim. Für ihn ist er der „deutsche Vater des Heiligen Krieges“, der den „armenischen Genozid rechtfertigte“; die Denkschrift somit ein „diabolischer Jihad-plan“ mit „ tödlichen Dimensionen“, bis hin zum heutigen extremen Islamismus. Schwanitz: „Dieser deutsche Abu Jihad sah Terror, Boykott, Mob und politischen Mord vor.“27

Andere sehen das alles ganz anders, etwa Stefan Kreutzer in seiner 2012 erschienenen Arbeit. Für ihn ist Oppenheim „kein demagogischer Agitator“, „kein agitatorischer Spion des Kaisers“, sondern das genaue Gegenteil, lediglich ein „politisch interessierter, leidenschaftlicher Orientfan“. Seine Denkschrift verdeutliche demnach seine „liberale Seite, seine Aufgeschlossenheit anderen Kulturen gegenüber und seinen Wunsch, diesen auf dem Weg in die Unabhängigkeit beizustehen“. Ihn trieb demnach auch „kein Hass gegen England oder eine andere Ententenation“. Er habe damals für Deutschland die Gelegenheit erkannt, als Befreier der unterdrückten islamischen Nationen aufzutreten.28

Jeder möge sich sein eigenes Urteil bilden. Tatsache ist, dass Oppenheim im Laufe des Krieges eine wichtige Rolle spielte. Er richtete die Nachrichtenstelle für den Orient ein, ein Übersetzungs- und Propagandabüro mit Orientalen und Helfern im Nahen und Mittleren Orient. In Berlin gab es 15 vom Auswärtigen Amt bezahlte Mitarbeiter. Die Nachrichtenstelle gab vielsprachliche Flugschriften und ein wöchentliches Informationsblatt heraus. Es war die Propagandastelle des Auswärtigen Amts für den Heiligen Krieg.

Neben Max von Oppenheim waren Colmar Freiherr von der Goltz, Rudolf Nadolny, Wilhelm Waßmuß und Fritz Klein die wichtigsten Akteure beim geplanten Aufstand in der islamischen Welt von Marokko bis Indien.29

Der Preuße Freiherr Colmar von der Goltz (1843–1916) war ein „Grenzgänger zwischen Orient und Okzident“. Von 1883–1895 war er der Chef des Osmanischen Generalstabes, wurde 1911 Generalfeldmarschall und übernahm 1915 das Kommando über die 6. Osmanische Armee und damit die Leitung der Kriegsführung in Mesopotamien und Persien. Er war ein radikaler Feind der Engländer, die bereits Ende November Basra, den wichtigsten Hafen am Persischen Golf, als Ausgangspunkt für weitere militärische Operationen besetzt hatten, aber im September 1915 in der Hafenstadt Kut-al-Amara gestoppt wurden. Goltz verfolgte globale Kriegspläne und begann mit einem Vorstoß nach Indien zu liebäugeln, was ihm den Vorwurf einbrachte, durch Zersplitterung der Kräfte die eigentlichen Ziele der deutschen Kriegsführung konterkariert zu haben. Von der Goltz blieb umstritten: einerseits übte er nachhaltigen Einfluss auf das türkische Offizierskorps aus – mit Langzeitwirkung: entscheidende Erfolge konnten die Briten bekanntlich erst im letzten Kriegsjahr erzielen, andererseits ermutigte er die osmanische Führung durch Schaffung spezieller kurdischer Kavallerie-Einheiten zumindest indirekt zu Massakern an den Armeniern.

In gewisser Weise erfolgreicher war Rudolf Nadolny (1873–1953) in Persien. Ende 1914 waren russische Truppen ins Zentrum des Landes einmarschiert und hatten Teheran eingeschlossen. Nationalpersische Kräfte riefen ein Jahr später eine Gegenregierung in Kermanschah aus, bei der Nadolny ab 1916 als Gesandter tätig war. Er wollte dort ein „kleines Muster-Persien“ aufbauen – als Ausgangspunkt für Expeditionen nach Afghanistan und Indien. Von Anfang an gab es dabei Probleme mit dem türkischen Verbündeten und auch dem deutschen Botschafter in Konstantinopel und späteren Unterstaatssekretär Richard von Kühlmann, der diese Expeditionen in seinen „Erinnerungen“ 1948 als „eine Landplage“ bezeichnete. In deutschen Hirnen habe sich der Orient eben „noch immer sehr viel von 1001 Nacht bewahrt“. Mit der erfolgreichen britischen Offensive 1917 fand Nadolnys Mission ihr abruptes Ende. Am 25. April 1917 wurde die Gesandtschaft offiziell aufgelöst.

Wilhelm Waßmuß (1880–1931) nannten die Engländer den „deutschen Lawrence“ – in Anlehnung an „ihren“ Lawrence von Arabien. Er leitete Ende 1914 eine Expedition nach Afghanistan, die den Emir überzeugen sollte, mit einem Einfall in den Punjab einen Aufstand gegen die Briten in Indien zu provozieren. Waßmuß blieb später weitgehend unbekannt, obwohl er der Anführer des einzigen erfolgreichen Aufstandes gegen die britische Besatzung in Persien bis 1918 war.

Ähnlich erfolgreich war Hauptmann Fritz Klein, der mit Hilfe von Araberstämmen die türkische Mesopotamienfront stabilisieren konnte; seine Leute sprengten britische Ölleitungen, in Westpersien wurde 1915 der Durchbruch russischer Truppen nach Mesopotamien und die geplante Vereinigung mit den Briten verhindert. Vom vielzitierten „Heiligen Krieg“ gegen deutsche Kriegsgegner im Nahen Osten blieb am Ende trotz aller Aktionen dennoch nicht viel übrig.

Ein Wort zum Bündnispartner Österreich-Ungarn. Feldmarschall Josef Pomiankowski war damals die Verkörperung der militärischen Präsenz Österreich-Ungarns im Osmanischen Reich. Von Zusammenarbeit mit den Deutschen konnte dabei keine Rede sein. Der eigentliche Grund für die österreichisch-ungarische Präsenz war die proösterreichische und gegen Deutschland gerichtete Propaganda. Dabei war Österreich-Ungarn keinesfalls die viel zitierte „Kaffeehaus-Großmacht“. Im Gegenteil: Sie agierte als selbstständige, selbstbewusste Macht im Orient und arbeitete dabei sogar gezielt gegen den eigenen Verbündeten Deutschland, nutzte Konflikte zwischen Deutschen und Türken geschickt aus und war vor allen Dingen kulturpolitisch aktiv.30

2. Der Völkermord an den Armeniern31

Die deutsche Führung setzte hohe Erwartungen in den neuen Bündnispartner Türkei. Das türkische Heer sollte demnach Russland im Kaukasus angreifen, das Gebiet von Baku erobern und den Weg nach Persien und Indien öffnen. Noch im November 1914 griffen russische Truppen im Kaukasus an. Deren Vorstoß konnte jedoch von der 3. türkischen Armee – 100.000 Mann mit 244 Geschützen – gestoppt werden. Die Türken gingen ihrerseits am 19. Dezember 1914 zur Gegenoffensive über. Anfangs sah alles nach einem Erfolg aus; man machte große Geländegewinne in dem erst 1877 von den Russen besetzten armenischen Gebiet. Die dort lebenden Armenier unterstützten sogar die türkischen Soldaten. Die Katastrophe kam wenig später im Zuge der russischen Gegenoffensive mit der verheerenden Niederlage bei Sarykamisch. Die türkischen Truppen waren weder für den Gebirgsnoch den Winterkrieg ausgerüstet. Fast 90.000 Soldaten erfroren oder verhungerten, Tausende desertierten. Südlich der türkisch-russischen Front kam es zum Stellungskrieg.

Die Tatsache, dass Armenier diesmal die russische Armee unterstützt hatten – nach der Zusage Russlands, einen unabhängigen armenischen Staat zu errichten – und armenische Freiwilligenbataillone an den Kämpfen beteiligt gewesen waren, führte am Ende zu der Entscheidung der osmanischen Führung, die armenische Bevölkerung zu deportieren und letztlich zu vernichten. Ein entsprechendes Gesetz wurde am 27. Mai 1915 erlassen. Am 30. Juni kommentierte der US-Konsul in Harput, Leslie Davis, das in einer Depesche nach Washington so:

„Man hat eine andere Methode gefunden, die armenische Rasse zu vernichten. Es handelt sich um nichts weniger als die Deportation der gesamten armenischen Bevölkerung. […] Die volle Tragweite eines solchen Befehls ist kaum vorstellbar, sofern man über die besonderen Verhältnisse in dieser abgeschiedenen Region nicht im Bilde ist. Selbst ein Massaker, so grausam das Wort auch klingen mag, wäre im Vergleich hierzu humaner.“

Im selben Monat schrieb der deutsche Botschafter Hans von Wangenheim aus Konstantinopel an Reichskanzler Bethmann Hollweg:

„Daß die Verbannung der Armenier nicht allein durch militärische Rücksichten motiviert ist, liegt zutage. Der Minister des Innern, Talaat Bey, hat sich hierüber kürzlich […] ohne Rückhalt dahin ausgesprochen, daß die Pforte den Weltkrieg dazu benutzen wollte, um mit ihren inneren Feinden – den einheimischen Christen – gründlich aufzuräumen; das sei auch im Interesse der mit der Türkei verbündeten Deutschen, da die Türkei auf diese Weise gestärkt würde.“

Der deutsche Generalkonsul in Konstantinopel, Johann Heinrich Mordtmann, berichtete:

„Das läßt sich nicht mehr durch militärische Rücksichten rechtfertigen; es handelt sich vielmehr darum, die Armenier zu vernichten.“

Interventionen und Vorhaltungen des deutschen Botschafters in außerordentlicher Mission in Konstantinopel, Paul Graf Wolff Metternich, im Dezember 1915 sowie sein Vorschlag, die Deportationen und Ausschreitungen öffentlich zu machen, wurden von Bethmann Hollweg nicht gebilligt:

„Die vorgeschlagene öffentliche Koramierung eines Bundesgenossen während laufenden Krieges wäre eine Maßregel, wie sie in der Geschichte noch nicht dagewesen ist. Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht. Bei länger andauerndem Kriege werden wir die Türken noch sehr brauchen.“

Über Zahl der Opfer gibt es unterschiedliche Angaben. Sie reichen von 800.000 bis 1,5 Millionen. Obwohl wir inzwischen über den Völkermord an den Armeniern sehr gut informiert sind, ist dessen Leugnung bis heute offizielle Politik jeder türkischen Regierung.

3. Das Osmanische Reich und das Ende

Kaiser Wilhelms Hoffnung zu Beginn des Krieges, dass sich bei Ausrufung des „Heiligen Krieges“ die gesamte mohammedanische Welt gegen England erheben würde, erfüllte sich nicht. Da konnte auch das „Asienkorps“ von am Ende 16.000 deutschen und k.u.k. Truppen nichts ändern. Das Osmanische Riesenreich war für die arabischen Völker nicht mehr attraktiv, zumal es den Briten gelang, die Araber für sich zu gewinnen. Berühmt ist die erst 1939 bekannt gewordene Korrespondenz zwischen dem britischen Hochkommissar in Ägypten, Henry McMahon, und dem Sherif von Mekka, Hussein, aus dem Jahr 1915. Großbritannien war demnach „bereit, die Unabhängigkeit der Araber anzuerkennen und zu unterstützen innerhalb der Länder, die in den vom Sherif von Mekka vorgeschlagenen Grenzen liegen“. Dies werde „zu einer festen und dauerhaften Allianz führen, deren unmittelbare Ergebnisse die Vertreibung der Türken aus den arabischen Ländern und die Befreiung der arabischen Völker vom türkischen Joch sein werden, das seit vielen Jahren schwer auf ihnen gelastet hat“. Acht Monate später, am 15. Juli 1916, erklärten die Araber der Türkei den Krieg.32

Legendär wurde hier der britische Verbindungsoffizier Thomas Edward Lawrence, „Lawrence of Arabia“. Wenn dieser Name fällt, denkt man wohl zunächst an jenes mit sieben Oscars ausgezeichnete 3,5 Stunden Hollywood-Epos von David Lean aus dem Jahre 1962, in dem Peter O’Toole als Lawrence und Omar Sharif als sein Freund und Kampfgefährte Sharif Ali zu Weltruhm gelangten. In beeindruckenden Wüstenbildern spielt jene Geschichte, die Lawrence endgültig zum Mythos werden ließ: ein britischer Offizier wird im Ersten Weltkrieg bewunderter Anführer der Araber im Kampf gegen die Türken. Der Brite wurde der engste Berater Feisals, einer der vier Söhne des Sherifs von Mekka, trug nur noch Beduinenkleidung, sprach nur noch Arabisch. Er führte die Beduinen im Guerillakampf gegen die Türken, sprengte Brücken, machte Anschläge auf Lokomotiven und Truppentransporte, unterbrach wichtige Nachschubwege der türkischen Armee durch Zerstörung von Gleisen. Der Höhepunkt „seines“ Wüstenkrieges war der 6. Juli 1917, als er nach einem 600 Kilometer langen Marsch durch die Wüste mit den Beduinen die Hafenstadt Akaba am Roten Meer von Land aus eroberte – eine Aktion, die die Türken für unmöglich gehalten hatten.33