20 Minuten Leselust - Band 2: 10 bewegende Geschichten - Barbara Gothe - E-Book
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20 Minuten Leselust - Band 2: 10 bewegende Geschichten E-Book

Barbara Gothe

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Beschreibung

Jetzt wird es romantisch! „20 Minuten Leselust“ jetzt als eBook bei dotbooks. Das ist LESELUST: Ob im Wartezimmer Ihres Hausarztes, während der Pediküre oder bis der Lieferservice kommt – jeder dieser zehn romantischen Kurzromane beschert Ihnen in weniger als 20 Minuten weiche Knie! In diesem Band begegnen Sie einem Ehepaar, dessen lang ersehnte Traumreise zum schieren Albtraum wird, einem Arzt, der in seiner dunkelsten Stunde dem größten Glück begegnet, und Eltern, die, nach 20 Jahren wieder vereint, gemeinsam auf die hoffnungsvollen Suche nach ihrer geliebten Tochter gehen … Lassen Sie sich berühren! Jetzt als eBook kaufen und genießen: „20 Minuten Leselust“. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Das ist LESELUST: Ob im Wartezimmer Ihres Hausarztes, während der Pediküre oder bis der Lieferservice kommt – jeder dieser zehn romantischen Kurzromane beschert Ihnen in weniger als 20 Minuten weiche Knie!

In diesem Band begegnen Sie einem Ehepaar, dessen lang ersehnte Traumreise zum schieren Albtraum wird, einem Arzt, der in seiner dunkelsten Stunde dem größten Glück begegnet, und Eltern, die, nach 20 Jahren wieder vereint, gemeinsam auf die hoffnungsvollen Suche nach ihrer geliebten Tochter gehen … Lassen Sie sich berühren!

Über die Herausgeberin:

Barbara Gothe, Jahrgang 1960, lebt in Reinbek vor den Toren Hamburgs und arbeitet seit vielen Jahren als Redakteurin und Herausgeberin.

Bei dotbooks brachte sie bereits die Geschichtensammlung Sternenstaub und Weihnachtswunder. Zauberhafte Adventsgeschichtenund weitereLeselust-Bände heraus.

***

Originalausgabe April 2016

Copyright © 2015 dotbooks GmbH, München

Copyright © der einzelnen Texte Dörnersche Verlagsgesellschaft mbH, Reinbek

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: © Tanja Winkler, Weichs

Titelbildabbildung: Masson - Fotolia.com 

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95520-699-4

***

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Inhalt

Alptraum im Wüstenparadies
Ich dachte nur an meine Karriere, bis ich das Leid der Nachbarstochter entdeckte
Ein Arzt aus Leidenschaft
Ein Flügelschlag des Schicksals
Ein Kind der Liebe
Liebe meines Lebens
Neubeginn für Doktor Ferenz
Schutzengel in Weiß
Und es gibt sie doch, die Liebe
Wie ein Wunder – jedes Mal
Lesetipps

Rena Marlo

Alptraum im Wüstenparadies

Kurzroman

dotbooks.

Arno und Rieke wollen sich mit der Reise ins Sultanat Oman einen Traum erfüllen. Sie tauchen tief ein in die Faszination dieses Ortes, die überwältigende Farbenpracht in den Souqs, den schweren Duft von Weihrauch und Gewürzen. Unversehens aber wandelt sich der Traum zum Alptraum …

***

Als sie die Gangway der Boeing 767 der Oman Air hochstiegen, drückte Rieke Meyners den Arm ihres Mannes und wies mit dem Kopf zur Tür des Flugzeuges. »Sieh nur, sogar die Stewardessen sehen wie orientalische Prinzessinnen aus«, flüsterte sie.

Arno lächelte und zwinkerte ihr zu. »Ja. Ab hier fängt das Märchen an.«

Arabien zu bereisen war schon lange ein Traum gewesen, den sie im Hamsterrad des Alltags immer wieder aus den Augen verloren hatten. Arno war Oberarzt an einer großen Klinik und eigentlich nie abkömmlich. Rieke hatte als Lehrerin zwar mehr Freizeit, doch sie engagierte sich in der Jugendarbeit und betreute Feriencamps, so dass unterm Strich von der freien Zeit oft nicht mehr viel übrig blieb. Vielleicht wäre auch der Traum von 1001 Nacht ein Traum geblieben, hätte Arno nicht Nägel mit Köpfen gemacht und ihr zum 10. Hochzeitstag zwei Flugtickets und einen Reiseführer in die Hand gedrückt. Und nun saß sie also in einem bequemen Sessel in der Business Class, ließ die Erde unter sich zurück und fühlte das leise Vibrieren der Triebwerke sich mit einer sacht kribbelnden Vorfreude in ihrem Bauch mischen.

Sechs Stunden bis Maskat. Sechs Stunden Zeit, sich einzustimmen auf das legendäre Reich der Königin von Saba, die Heimat Sindbad des Seefahrers, die Spuren der Weihrauchstraße. Rieke blätterte in dem Reiseführer und bemerkte mit einem Seitenblick, wie Arno das Ärztejournal zur Hand nahm und sich in einen Artikel vertiefte.

»Möchtest du nicht lieber die Zeit nutzen um noch mehr über Land und Leute zu erfahren?«, fragte sie mit leisem Tadel.

Arno begegnete schmunzelnd ihrem Blick. »Dafür hab ich dich doch.«

Rieke seufzte und senkte den Kopf wieder über das Buch. Alle paar Seiten aber stupste sie ihn an, um ihm eine Textstelle vorzulesen oder ein Bild zu zeigen.

»Sieh nur, das sieht fast wie eine Prozession aus.« Rieke schob Arno die Seite hin. »All diese Männer in ihren wallenden weißen Gewändern. Die haben einen eigenen Namen. Warte, irgendwo steht er.«

»Dischdaschas.«

Die Stimme kam aus der Reihe hinter ihnen. Rieke drehte sich um und blickte in ein freundlich lächelndes Gesicht mit olivfarbenem Teint und blitzenden schwarzen Augen.

»Verzeihen Sie, dass ich Ihr Gespräch mit angehört habe«, setzte der junge Mann entschuldigend hinzu. »Ich wollte nicht aufdringlich sein.«

»Aber nein.« Rieke lächelte ihm zu. »Dischdaschas, sagen Sie?«

»Ja. Jeder Mann im Oman trägt sie.«

Jetzt drehte auch Arno sich um und nickte ihrem Hintermann zu. »Erzählen Sie meiner Frau ruhig mehr davon. Sie kann gar nicht genug bekommen von den Geschichten und Geschichtchen rund um dieses Land.«

»Mit dem größten Vergnügen!« Der junge Mann strahlte. »Wenn Sie gestatten, dass ich mich vorstelle, mein Name ist Jamal Abd al-Malik bin Ali bin Zahir. Aber sagen Sie einfach Jamal.«

Er studiere in Deutschland und sei auf dem Weg zu Besuch in seine Heimat, erzählte er weiter. Danach ließ er sich bereitwillig von Rieke löchern und ließ keine ihrer Fragen zu Land und Leuten unbeantwortet. Auch Arno hatte seine Zeitschrift bald beiseite gelegt und mit Interesse Jamals Erzählungen zugehört. Als beiden nichts mehr zu fragen einfiel deutete Jamal auf das Ärztejournal, das Arno neben sich abgelegt hatte.

»Erlauben Sie, dass ich einen Blick in Ihre Zeitschrift werfe?«

»Aber gerne.« Arno reichte das Magazin nach hinten. »Sind wir etwa Kollegen?«

Jamal grinste breit. »Noch nicht ganz. Aber wenn alles glatt läuft mache ich nächstes Jahr meinen Abschluss.«

Er hatte dann seinerseits ein paar fachliche Fragen, die Arno gerne beantwortete, so dass die beiden Männer den Rest der Reise mit angeregten Fachsimpeleien verbrachten und sich erst bremsen ließen, als die Maschine zum Landeanflug ansetzte.

Das Flughafengebäude fügte sich homogen in die umliegende Wüstenlandschaft ein. Weitläufig und flach, die Wände weiß und sandfarben getüncht, Spitzbögen, die die gesamte Fassade zierten. Die Hitze beim Verlassen des Flugzeuges aber schlug ihnen wie eine Wand entgegen. Nur Jamal schien sie nichts auszumachen. Er half ihnen noch bei den Einreiseformalitäten und beim Erwerb des Visums, dann trennten sich ihre Wege. Zum Abschied tauschten sie Visitenkarten aus.

»Ich wünsche Ihnen einen fantastischen Urlaub«, sagte Jamal. »Wenn Sie es irgendwie einrichten können wäre es mir eine große Ehre, Sie im Haus meiner Familie begrüßen zu dürfen.«

»Vielen Dank.« Arno lächelte erfreut. »Wir möchten erst unser Besichtigungsprogramm absolvieren. Aber danach kommen wir gerne darauf zurück.«

Das Hotel hatte einen Mitarbeiter geschickt, um sie abzuholen, und im klimatisierten Kleinbus konnten sie gleich darauf die ersten Eindrücke sammeln. Die Straße nach Maskat war zwar gut geteert, doch der Wüstenstaub war allgegenwärtig, und auch das Straßenbild war für europäische Augen exotisch. Kleinbusse und Pritschenwagen beherrschten den Verkehr, in denen kunterbunt Ware, Mensch und Tier befördert wurden. Sie waren in Mutrah untergekommen, dem laut Reiseführer schönsten und lebhaftesten Viertel von Maskat. Ihr Hotel war ein Traum in weiß mit Spitzbögen und Arabesken direkt an der Corniche, das Zimmer mit einem überdimensionalen Bett ausgestattet, Lampen aus fein ziseliertem Silber und Vorhängen aus schwerem Brokatstoff. Rieke zog sie zur Seite und trat ans Fenster. Der schlanke Turm eines Minaretts erhob sich aus dem Weiß der Häuser, die Palmen entlang der Corniche wiegten sich sacht im Wind, dahinter tiefblau der Golf von Azadi.

»Oh sieh nur, ist das nicht traumhaft?«, rief sie aus.

Arno trat hinter sie, umfing sie mit seinen Armen und begann ihren Nacken zu küssen. »Ja«, murmelte er. »Ganz traumhaft.«

»He!« Rieke wand sich kichernd aus seinem Griff und drehte sich um. »Ich meinte die Aussicht.«

»Ja. Ich auch.« Arno sah ihr ins Gesicht, hob dann die Hand an ihren Hals und ließ sie langsam tiefer gleiten. Rieke schloss genießerisch die Augen. Zehn Jahre, und es kribbelte immer noch. Dann schlang sie die Arme um seinen Hals und zog ihn zum Bett.

»Komm«, murmelte sie. »Die Aussicht kann warten.«

Später ließen sie sich ein Lokal empfehlen und aßen an diesem Abend in einem Restaurant im Marktviertel, wo sie auf ledernen Kissen auf dem Boden saßen und außer ihnen kaum jemand Besteck benutzte. Das Lamm war vorzüglich, dazu gab es Hoummus und Bohnen und schwarzen Tee aus Gold verzierten Gläsern.

»Auf uns«, sagte Arno und ließ sein Glas sacht gegen Riekes klingeln.

»Auf einen traumhaften Urlaub«, erwiderte sie.

Am nächsten Tag tauchten sie richtig ein in die Faszination dieses Ortes zwischen Gestern und Heute, Märchen und Moderne. Ein Taxi brachte sie nach Maskat und führte sie kreuz und quer durch die Stadt, wobei sich der Fahrer Mühe gab, ihnen in bruchstückhaftem Englisch die Sehenswürdigkeiten zu erklären. So konnten sie den Sultanspalast Al Alam und die verschwenderische Blütenpracht seiner Gärten bewundern, Fort Mirani und Fort Jalaly, das eindrucksvoll auf einer vorgelagerten Insel thronte, das Regierungsviertel mit seinen blütenweißen Gebäuden, das prächtige Opernhaus, auf das der Mann besonders stolz zu sein schien, und immer wieder Gärten und Parks.

»Wie grün es hier ist«, staunte Rieke.

»Hier im Norden gibt es relativ viel Wasser«, erwiderte Arno. »Es kommt aus dem Oman-Gebirge und bewässert den gesamten Küstenstreifen bis zur Grenze nach Dubai.« Und als Rieke ihn fragend ansah fügte er schmunzelnd hinzu: »Stand in deinem Reiseführer. Hast du das etwa nicht gelesen?«

Es war bereits Nachmittag, als sie ins Hotel zurück kehrten und sich erstmal eine Dusche und frische Kleider gönnten. Nach einer kurzen Pause aber zog es Rieke wieder nach draußen. Zu Fuß bummelten sie durch den Hafen, besichtigten den Fischmarkt, der um diese Zeit verwaist lag, und landeten schließlich im Souq. Es schien eine Welt für sich zu sein, ein Ort, an dem die Zeit stehengeblieben war. Überwältigend die Farbenpracht in den engen, verwinkelten Gassen, und nichts, das es nicht gab – Stoffe und Lederwaren, Haushaltsartikel, Tücher und Schmuck aus Gold und Silber, Spielzeug, Parfüm und Krummdolche, und über all dem der schwere Duft von Weihrauch und Gewürzen, vermischt mit einer Vielzahl anderer Aromen, betörend, fremd, exotisch. Es waren überwiegend Einheimische, die hier ihre Einkäufe erledigten, Frauen in Gold verzierten langen Gewändern, oftmals mit kunstvollen Gesichtsmasken geschmückt. Unbehelligt konnten sie an den kleinen Läden vorbei defilieren, auch die Händler waren nicht aufdringlich, und Rieke blickte staunend nach allen Seiten und sog diese authentische, orientalische Atmosphäre tief in sich auf. An einem Stand mit Silberschmuck blieb sie stehen und nahm eine schwere Halskette mit gelben Schmucksteinen in die Hand.

»Was meinst du, würde die deiner Schwester gefallen?«, fragte sie.

»Hmm«, brummte Arno.

Da trat auch schon der Händler breit lächelnd dazu. »Englisch?«, fragte er.

»Deutsch«, antwortete Rieke. »Aber Englisch ist okay.«

»Ah, deutsch.« Das Strahlen des Händlers wurde noch breiter. »Meine Bruder in Deutschland. Bitte! Kommen und schauen.«

Sie folgten seiner einladenden Handbewegung ins Innere des kleinen Ladens, hielten im nächsten Moment jeder ein Glas Tee in der Hand und bekamen ein ums andere Schmuckstück vorgeführt. Dabei redete der Händler unaufhörlich in einer Mischung aus Englisch und Deutsch, fragte nach ihrer Unterkunft, wie lange sie noch blieben und ihren Plänen. Als er hörte, dass sie für den nächsten Tag einen Wagen gemietet hatten und ein wenig herumfahren wollten, die Festungen an der Nordküste und das Hinterland besichtigen, ging ein Leuchten über sein breites Gesicht.

»Ah«, rief er aus. »Sie brauchen Guide!«

Er trat auf die Gasse und rief etwas auf Arabisch, und wenig später tauchte ein junger Mann mit dichten schwarzen Locken und einem strahlenden Lächeln auf.

»Meine Bruder Sohn«, erklärte der Händler stolz. »Er beste Guide der Welt.«

»Mein Onkel übertreibt ein wenig«, sagte der junge Mann in nahezu akzentfreiem Deutsch. »Aber es wäre mir eine Freude, Ihnen ein wenig von meinem Land zu zeigen. Ich bin Sayid.« Damit streckte er ihnen die Hand hin, und Rieke tauschte einen schnellen Blick mit ihrem Mann.

»Nun«, meinte sie zögernd.

»Das kommt auf den Preis an«, ergänzte Arno.

Sayid lächelte breit. »Ah, Sie lernen schnell. Man muss überall handeln.«

Das taten sie dann auch, wurden sich aber rasch einig und verabredeten sich für den nächsten Morgen. Schließlich kauften sie noch eine Halskette und einen Krummdolch in einem Bilderrahmen hinter Glas, den Arno in seinem Arbeitszimmer aufhängen wollte. Als sie sich verabschiedeten sagte der Händler etwas auf Arabisch, worauf Sayid nickte und sich an Arno und Rieke wandte.

»Haben Sie schon einmal echten Bauchtanz gesehen?«

So kam es, dass sie diesen Tag, der sie so tief in diese fremde, zauberhafte Welt hatte blicken lassen, angemessen ausklingen ließen – bei orientalischen Klängen und einer atemberaubenden, temporeichen Vorführung sinnlicher arabischer Weiblichkeit, die man in der ganzen westlichen Welt wohl vergeblich suchen würde.

Am nächsten Morgen erschien Sayid pünktlich zur vereinbarten Zeit am Hotel. Arno regelte noch die Details mit dem Autovermieter, während Rieke bereits Rucksack und Wasservorrat im Wagen verstaute. Er lächelte ihr zu.

»Wie war’s gestern Abend?«

Rieke strahlte. »Unvergesslich.«

»Dann wollen wir diesen Tag heute auch unvergesslich machen«, erwiderte er.

Sie hatten einen schweren, japanischen Geländewagen gemietet, geräumig und klimatisiert. Sayid bot an, den Wagen zu steuern, so dass Arno und Rieke sich entspannt zurücklehnen und die Landschaft genießen konnten. Und zu sehen gab es viel. Sie verließen Mutrah in westlicher Richtung und fuhren durch überraschend grünes, fruchtbares Gebiet. Weite Haine von Dattelpalmen wechselten mit Feldern voller Bananenstauden, dazwischen Tomaten und andere, im Vorbeifahren nicht näher zu identifizierende Früchte und immer wieder mannshohe Zuckerrohrpflanzen. Al Batina, wie dieser Küstenstreifen genannt wurde, war das Agrarzentrum des Landes, erfuhren sie von Sayid.

»Unsere Vorfahren verstanden sich schon vor über 2000 Jahren auf die Kunst der Bewässerung«, erklärte er nicht ohne Stolz. »Sehen Sie hier? Falak nennen wir diese Kanäle.«

Er wies auf einen der gemauerten Gräben, die die Felder durchzogen, und fügte gleich noch einen kurzen Exkurs in die Geschichte seines Landes an. Auch zu Sitten und Gebräuchen wusste er so manches zu erzählen, während er den Wagen durch staubige Dörfer und abenteuerliche Pisten abseits der Hauptstraße lenkte, die aussahen, als hätte sie noch nie ein Tourist betreten.

Gegen Mittag erreichten sie Barka, wo sich die mächtigen Rundtürme des Fort Bayt Naman in den Himmel erhoben. Hier machten sie Rast in einem einfachen Lokal unter weißen Sonnensegeln, wo man ihnen Schafskäse, Fladenbrot und eine Art Gurkensalat auftischte. Die anschließende Besichtigung des Forts fiel eher kurz aus. Die Hitze machte Rieke zu schaffen, so dass sie froh war, bald wieder im wohltemperierten Wagen zu sitzen.

»Fort Nakhal ist noch eindrucksvoller, Sie werden sehen«, versprach Sayid gut gelaunt und schaukelte sie bergwärts, bis nach einer knappen Stunde vor der kargen Kulisse des Gebirges unversehens eine mächtige Festung auftauchte. Sandfarbene trutzige Mauern umgaben eine weitläufige, gut erhaltene Anlage, die größte im Sultanat, wie Sayid zu berichten wusste. Die verschiedenen Ebenen waren durch verschlungene Pfade miteinander verbunden, auf denen man zum Teil richtig klettern musste. Dafür wurde man beim Blick durch die Löcher in den dicken Mauern mit spektakulären Panoramen belohnt. Besonders beeindruckend fand Rieke auch die heiße Quelle, die im Herzen eines Palmenhains hinter der Festung entsprang.

»Möchten Sie noch Nizwa sehen?«, bot Sayid an, als sie wieder in den Wagen stiegen. »Auch eine tolle Festung. Ich kenne eine Abkürzung über die Berge. In einer knappen Stunde wären wir dort.«

»Ich weiß nicht.« Arno hob unentschlossen die Schultern. »Was meinst du?«

Rieke überlegte. »Also gut«, entschied sie dann. »Eine Festung noch. Aber morgen lege ich mich den ganzen Tag an den Strand.«

Sayid lachte und fuhr los. Bald verließen sie die geteerte Straße und bogen auf eine geschotterte Piste ein, die der Federung des Wagens viel abverlangte. Nach einer halben Stunde kamen Rieke allmählich Zweifel. Immer unwirtlicher wurde die Gegend, die Hänge steiler, die Pisten schmaler.

»Sind wir hier richtig, Sayid?«, fragte sie vorsichtig.

»Aber ja.« Er grinste. »Nur noch eine Kuppe, dann sieht man im Tal schon die Oase.«

Rieke wollte sich eben wieder zurück lehnen, als eine jähe Bremsung sie im Sitz nach vorne warf. Ein tarnfarbener klappriger Lastwagen war vor ihnen aufgetaucht und versperrte ihnen den Weg. Auf Sayids wütende Handzeichen, ihnen Platz zu machen, geschah erst einmal gar nichts. Dann entstiegen dem anderen Wagen einige Gestalten, in graue Gewänder und Turbane gehüllt, und kamen auf sie zu. Auch Sayid stieg aus. Vom Wagen aus konnte Arno beobachten, wie er heftig gestikulierend auf die Männer einredete, die unbewegt herüber starrten.

»Sie müssten doch nur ein Stück zur Seite fahren«, bemerkte Rieke.

Arno verfolgte die Szene auf der Straße, deren Ton rauer zu werden schien. »Ich glaube, darum geht es gar nicht«, meinte er und stieg aus.

»Sei vorsichtig!«, rief Rieke ihm noch hinterher. Im gleichen Moment verließ ein weiterer Mann der Lastwagen, ein Gewehr im Anschlag.

Arno trat neben Sayid, der jetzt deutlich verstört wirkte. »Was ist hier los?«, fragte er leise. Einer der Männer bellte etwas auf arabisch, und Sayid wandte sich mit einem unglücklichen Ausdruck an Arno.

»Er sagt, Sie sollen mitkommen.«

Noch während Arno diese Information in seinem Kopf einzuordnen versuchte kam Leben in die Männer. Der mit dem Gewehr kam drohend auf ihn zu. Ein anderer ging zu ihrem Wagen, riss die Tür auf, packte Rieke grob am Arm und zerrte sie nach draußen. Ihr Schmerzenslaut riss Arno aus seiner Starre. Ohne nachzudenken stürzte er sich auf den Mann, fuhr ihm mit einer Hand in den Arm und mit der anderen an die Kehle. Der Kerl stieß Rieke zur Seite, als er sich nun seinerseits auf Arno stürzte, Sayid schrie etwas, und aus dem Augenwinkel sah Arno eine Bewegung hinter sich aufblitzen, erkannte im letzten Moment den Gewehrkolben, der auf seine Schläfe zuraste – dann ließ ein berstender Schmerz in seinem Kopf glühende Funkenräder vor seinen Augen explodieren, bevor die ganze Welt in Dunkelheit versank.

Stechende Schmerzen seine ganze rechte Seite hoch und der metallische Geschmack von Blut in seinem Mund waren die ersten Empfindungen, als Arno langsam wieder zu sich kam. Er öffnete mühsam die Augen und sah Staub und Steine vor sich. Eine Straße. Warum lag er hier? Stöhnend rappelte er sich hoch und sah sich um. Sein Kopf dröhnte fürchterlich und boykottierte jeden klaren Gedanken. Eine kahle Berglandschaft. Von Osten zog bereits die Dämmerung auf. Ein Stück entfernt stand ein Geländewagen, alle Türen offen – und siedendheiß stürzte plötzlich die Erinnerung wieder auf ihn ein und schnürte ihm fast die Luft ab. Arno sprang auf die Füße, strauchelte, rannte zu dem Wagen und starrte gehetzt nach drinnen. Ihr Rucksack, der Wasservorrat, die Kamera, alles lag unberührt. Sogar der Zündschlüssel steckte. Von Rieke und Sayid aber fehlte jede Spur.

Schwer atmend ließ Arno sich auf den Fahrersitz fallen und starrte blicklos vor sich hin. Sein Verstand versagte ihm den Dienst. Wie in Watte verpackt drifteten Gedanken vorbei, ohne dass er sie greifen konnte. Dazu schmerzte sein Kopf immer noch höllisch. Irgendwann griff Arno hinter sich nach einer der Wasserflaschen. Dabei fiel sein Blick in den Rückspiegel und versetzte ihm den nächsten Schock. Er sah fürchterlich aus. Das linke Auge war blutunterlaufen und dick geschwollen, das Blut aus einer Platzwunde an der Stirn war auf seiner Wange zu bizarren Mustern getrocknet. Arno stieg aus, wusch sich Blut und Staub ab und trank ausgiebig. Danach zwang er sich, den Tatsachen ins Auge zu sehen.

Rieke war weg. Entführt worden. Oder schlimmeres?

Nur mit Mühe konnte er die Panik unterdrücken, die in ihm hochsteigen wollte. Ruhig, Arno. Denk nach. Er musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Und in seiner Not fiel ihm der einzige Mensch ein, den er in diesem Land kannte.

Wenn es einen Gott gab, dann hatte er soeben Arnos stumme Gebete erhört. Er fand sein Handy unversehrt in der Seitentasche des Rucksacks. Es empfing trotz der abgelegenen Gegend ein Signal. Und Jamal nahm beim zweiten Klingeln ab.

»Jamal! Gott sei Dank!«, entfuhr es Arno aus tiefster Seele. Dann sprudelte er zusammenhanglos die jüngsten Ereignisse hervor. Jamal musste mehrfach nachfragen, ehe er das Geschehen halbwegs begriffen hatte.

»Wo sind Sie jetzt?«, wollte er dann wissen.

»Keine Ahnung. Irgendwo in den Bergen.«

»Finden Sie den Rückweg?«

»Ich denke schon.«

»Dann kommen Sie ins Hotel zurück. Ich erwarte Sie dort.«

Arno wusste hinterher nicht mehr zu sagen, wie er die Fahrt hinter sich gebracht hatte. Erst die Schotterpiste in der rasch einbrechenden Dunkelheit über die Berge, danach die Provinzstraßen, asphaltiert, aber unbeleuchtet – wie in Trance spulte er die Strecke ab und stand irgendwann tatsächlich vor seinem Hotel. Jamal wartete in der Lobby und sprang erschrocken auf, als er Arno sah.

»Oh mein Gott! Sie brauchen einen Arzt.«

Arno winkte müde ab. »Ich brauche nur meine Frau zurück.«

Jamal sah ihn mit ehrlicher Bestürzung an. »Das ist mir unbegreiflich«, versicherte er. »Gewalt und Terror kennen wir im Oman eigentlich gar nicht.« Und als Arno nichts darauf erwiderte dirigierte er ihn entschlossen zu den Aufzügen. »Kommen Sie. Sie ruhen sich jetzt erst einmal aus und ich kümmere mich um alles andere.«

Von Ausruhen wollte Arno nichts hören. Er stand wie unter Strom, wollte etwas tun und musste sich doch darauf beschränken, Jamal beim Telefonieren zu beobachten.

»Wen rufen Sie an?«, wollte er jedes Mal wissen, wenn Jamal ein Gespräch beendete und gleich darauf neu wählte.

»Freunde«, hieß es meistens.

»Warum nicht die Polizei?«

Jamal sah ihm fest ins Gesicht. »Weil es vermutlich keine einfachen Straßenräuber waren, die Ihre Frau gekidnappt haben. Vertrauen Sie mir.« Damit wandte er sich wieder dem Telefon zu, und Arno blieb nichts weiter, als ihn gewähren zu lassen.

Irgendwann musste er eingeschlafen sein, denn als er die Augen öffnete war es heller Tag. Arno fuhr hoch und sah sich um. Jamal saß immer noch im anderen Sessel, das Telefon in Reichweite. Er sah müde aus, schickte Arno aber ein Lächeln.

»Wie fühlen Sie sich?«

»Zum Bäume ausreißen«, murmelte Arno. »Und Sie? Irgendwas Neues?«

Jamal wiegte den Kopf. »Noch nicht. Aber ich warte auf ein paar Rückrufe. Wie wär’s mit Frühstück?«

Obwohl er gedacht hatte, keinen Bissen hinunter zu bekommen, meldete sich Arnos Appetit zurück, als der Zimmerkellner einen üppig beladenen Wagen herein schob. Und tatsächlich fühlte er sich nach zwei Tassen Kaffee und einer kräftigen Mahlzeit besser und bestürmte Jamal mit Fragen. Der ließ sich nicht vollständig in die Karten blicken, doch seinen Andeutungen war zu entnehmen, dass er offensichtlich Freunde in einflussreichen politischen Positionen hatte.

»Wir finden sie«, versprach er, und Arno klammerte sich mit jeder Faser an diese Hoffnung.

Die Stunden klebten an der Uhr. Mittag, Nachmittag. Jamal war einmal kurz verschwunden um die Kleider zu wechseln, ließ es sich aber nicht nehmen, Arno beizustehen. Der schwankte zwischen Hoffen, Bangen und Grübeln. Wie es Rieke wohl jetzt ging? Als das Telefon klingelte schrak Arno aus seinen Gedanken hoch. Jamal sprach in den Hörer, dann glitt ein triumphierender Ausdruck über sein Gesicht.

»Was ist?«, drängte Arno.

»Die Rebellen haben sich gemeldet. Sie fordern die Freilassung einiger politischer Gefangener im Austausch gegen Ihre Frau.«

Bilder vom Sturm auf das Rebellenlager und einer waghalsigen Befreiungsaktion verpufften ebenso schnell in Arnos Kopf wie sie aufgetaucht waren. Jamal sprach von einer politischen Lösung, von Verhandlungen, und führte daraufhin einige weitere lange Telefongespräche. Arno wusste vor Aufregung kaum wohin mit sich, bis Jamal endlich fertig war und ihm den Stand der Dinge zusammenfasste. Der Rebellenführer war bereit zu verhandeln. Und Jamals Vater, ein einflussreicher Scheich und Mitglied der Regierung, sollte ihn am nächsten Tag zu Gesprächen treffen. Arno war wie elektrisiert.

»Ich komme mit!«, rief er.

Darüber schien Jamal wenig begeistert, doch Arno war so wild entschlossen, dass er schließlich einlenkte.

»Ich sehe, was ich tun kann«, versprach er. »Aber zuerst haben Sie etwas Schlaf nachzuholen. Und ich auch.«

Damit ließ er Arno allein, der vor Anspannung vibrierte und sicher war, die ganze Nacht kein Auge zu schließen, ehe die Erschöpfung ihren Tribut forderte und er in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.

Am nächsten Morgen brachen sie beizeiten auf und machten sich auf den Weg in die Berge. Arno achtete kaum auf die Gegend. Seine Gedanken flogen voraus zu seiner Frau, und er betete, sie wohlauf anzutreffen. Nach etwa drei Stunden endete ihre Fahrt an einer Straßensperre. Ein Lastwagen stand quer über die Schotterpiste, umstanden von verwegenen Gestalten. Jamal wechselte ein paar Worte mit den Männern, woraufhin zwei zu ihnen in den Wagen stiegen und sie die Fahrt fortsetzen konnten.

»Da vorne ist es«, erklärte Jamal.

Sie näherten sich einer Senke, in der eine Ansammlung einfacher Zelte errichtet worden war. Auf den Hängen rundherum waren Wachen postiert. Jamal hielt den Wagen, und sie folgten ihren Begleitern zu einem der größeren Zelte.

»Wo ist Rieke?«, wollte Arno wissen. Jamal mahnte mit einer Handbewegung zu Geduld und betrat das Zelt.

Mehrere Männer saßen im Kreis auf einem Teppich. Einer stach durch seine blütenweiße Dischdascha und die gepflegte Erscheinung deutlich hervor. Jamals Vater, wie Arno annahm. Man wechselte ein paar Worte, dann bedeutete einer der Rebellen Arno ihm zu folgen und brachte ihn zu einem der anderen Zelte. Und endlich, endlich sah er Rieke wieder.

Sie saß auf dem Boden und kraulte gedankenverloren eine Ziege, die neben ihr lag. Als er eintrat ging ein Leuchten über ihr Gesicht.

»Arno! Gott sei Dank.«

Er stürzte auf sie zu und riss sie in die Arme, musste sie drücken, streicheln, berühren, um sich zu versichern, dass er sie wirklich, wirklich wieder hatte. Irgendwann schob er sie ein Stück von sich und sah ihr ins Gesicht.

»Geht es dir gut?«, fragte er besorgt. »Ist alles in Ordnung?«

Sie lächelte. »Jetzt schon. Aber vorher auch. Sie haben mich anständig behandelt.«

»Ist Sayid auch hier?«

Rieke schüttelte den Kopf. »Nein, den haben sie gleich laufen lassen. Wie hast du mich gefunden?«

In raschen Worten erzählte er von Jamals Bemühungen und den Verhandlungen, die ein paar Zelte weiter stattfanden. Rieke nickte ein paar Mal.

»So etwas ähnliches habe ich vermutet. Und wie stehen die Chancen?«

Bevor Arno antworten konnte wurde die Plane beiseite geschoben und Jamal betrat das Zelt. Er strahlte Rieke entgegen und drückte fest ihre Hand.

»Es macht mich glücklich, Sie wohlauf zu sehen«, sagte er.

Sie lächelte. »Vielen Dank.« Dann sah sie von einem zum anderen. »Aber einer der Männer ist verletzt«, sagte sie. »Er scheint starke Schmerzen zu haben.«

Arno und Jamal tauschten einen Blick. Daraufhin ging Jamal nach draußen und sprach mit dem Wachposten vor dem Zelt. Schließlich verschwanden sie beide. Arno setzte sich dicht neben Rieke und drückte ihre Hand. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter.

»Ich hol dich hier raus«, versprach er. »Und wenn es das letzte ist, was ich tue.«

Nach einer Weile kam Jamal zurück. »Ich könnte Ihren fachlichen Rat gebrauchen«, sagte er ernst zu Arno.

Der Verletzte hockte in einem der Zelte auf dem Boden. Sein Gesicht war angespannt und fahl, sein linker Arm hing kraftlos und in unnatürlichem Winkel an seinem Körper herab. Als Arno die Hand nach ihm ausstreckte wich er misstrauisch zurück.

»Ich muss ihn untersuchen«, erklärte Arno. »Übersetzen Sie ihm das.«

Jamal sprach zu dem Mann, der daraufhin eckig nickte. Die leiseste Berührung aber schien ihm starke Schmerzen zu verursachen. So gut es ging tastete Arno den Arm ab, erklärte was er tat, und Jamal übersetzte. Schließlich richtete er sich wieder auf und sah Jamal an.

»Das sieht nach einer Luxation des Schultergelenkes aus«, stellte er fest. »Er muss höllische Schmerzen haben. Der Mann gehört in ein Krankenhaus.«

Jamal dolmetschte dies dem Posten, der verschwand und bald darauf wieder kam. Seine Antwort klang ablehnend.

»Zu gefährlich«, übersetzte Jamal. »Wir sollen ihn hier behandeln.«

»Ohne Röntgenkontrolle? Ohne Sedierung?« Arno schüttelte den Kopf. »Das halte ich für keine gute Idee.«

Jamal sah ihn fest an. »Schon Hippokrates hat ausgerenkte Schultern repositioniert. Der hatte auch keine moderne Technik.«

»Und wenn Knochen abgesplittert sind?«

»Haben wir Alternativen?«, fragte Jamal zurück.

Arno dachte nach. Der Mann litt ganz offensichtlich. Ihm nicht zu helfen wäre sträflich. »Also gut«, räumte er schließlich ein. »Versuchen wir es.«

Sie berieten sich kurz über die Methode und einigten sich in Anbetracht der primitiven Umstände rasch auf die Reposition nach Hippokrates, die im Liegen ohne weitere Hilfsmittel durchgeführt wird. Jamal hockte sich an den Kopf des Patienten und hielt die gesunde Schulter fest, während Arno sich neben dem Mann auf den Boden setzte, den Arm ergriff und seine Ferse in der Achselhöhle platzierte. Dann nickte er Jamal zu.

»Auf drei. Eins – zwei –«

Der Mann schrie auf, riss sich aus Jamals Händen und klappte nach vorne. Mit der gesunden Hand umklammert er die lädierte Schulter. Arno atmete aus.

»Drei. Okay. Das war’s. Kann er den Arm bewegen?«

Auf Jamals Anweisung versuchte der Mann vorsichtig kleine Bewegungen. Arno nickte zufrieden.

»Er soll sich schonen und die Schulter sacht bewegen, soweit der Schmerz es zulässt. Kann ich jetzt wieder zu meiner Frau?«

Stunden reihten sich träge aneinander. Doch anders als gestern empfand Arno nicht mehr diese lähmende Verzweiflung. Sie waren zusammen. Sie würden das gemeinsam durchstehen. Die Sonne senkte sich bereits, als einer der Rebellen eintrat und etwas auf arabisch sagte. Ihm folgte Jamal, der müde, aber zufrieden aussah.

»Wir können gehen«, sagte er nur.

Arno sprang auf. »Gehen? Ist das Ihr Ernst?«

Jamal nickte. »Ja. Kommen Sie, ich bringe Sie zurück.«

Arno war außer sich vor Glück und bestürmte Jamal mit Fragen, denen der jedoch geschickt auswich. Schließlich bat er um Verständnis, dass er über die Details der Unterredung nichts verlauten lassen dürfte. Das musste Arno akzeptieren. Trotzdem kreisten seine Gedanken noch lange um die Umstände ihrer Freilassung. Ob Lösegeld im Spiel gewesen war? Auch darauf erhielt er keine Antwort.

In dieser Nacht schliefen Arno und Rieke in enger Umarmung ein. Noch nie war es so wichtig gewesen, den anderen zu spüren. Und noch nie war ihnen so bewusst geworden, wie schnell alles vorbei sein konnte.

Am nächsten Morgen saßen sie spät noch beim Frühstück, als Jamal im Hotel auftauchte. Er wirkte ausgeruht und bester Laune und bestand darauf, dass sie als kleine Entschädigung für erlittene Schrecken und Strapazen den Rest des Urlaubs als Gäste seiner Familie verbrachten. Arno und Rieke waren einverstanden. Und nun wurde er doch noch wahr, der Traum von 1001 Nacht. In einem märchenhaften Palast – alles andere wäre untertrieben – am Rand der Wüste erlebten sie unvergessliche Tage, beim Flug im privaten Helikopter über die zerklüftete Küste, bei einer Kameltour auf den Spuren der Weihrauchstraße, bei der Falkenjagd.

Der Abschied fiel schwer. Von einem zauberhaften Land, der Herzlichkeit seiner Menschen, von Jamal. Doch sie wollten in Kontakt bleiben. Was sie erlebt hatten verbindet. Und wenn Jamal im nächsten Jahr sein Studium beendet würde Arno ihm gerne mit Rat und Tat und Starthilfe zur Seite stehen. Und bestimmt war es auch nicht der letzte Besuch bei ihm und seiner Familie im Wüstenparadies.

Britta Brunner

Ich dachte nur an meine Karriere, bis ich das Leid der Nachbarstochter entdeckte

Aufgezeichnetes Schicksal

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Als ehrgeizige Modedesignerin und Mitglied einer Schickeria-Clique hatte ich nur selten mal eine ruhige Minute. Deshalb gingen mir die Annäherungsversuche meiner trübsinnigen Nachbarin Beate auch sehr auf die Nerven. Ganz zu schweigen von ihrer 15-jährigen Tochter Maren, die als reiner Trauerkloß durchs Leben lief. Doch als ich das Mädchen eines Nachts weinend in meinem Garten fand, tat es mir doch leid, und ich fing an, mich für ihren Kummer zu interessieren. Es dauerte lange, bis Maren mir ihr schreckliches Geheimnis anvertraute, das schließlich unser aller Leben verändern sollte.

***

»Guten Morgen, wie schön, dass ich Sie treffe!«

O Gott! Schon wieder diese Nervensäge. Wäre ich doch bloß hinten hinausgegangen. Nun musste ich mindestens ein paar höfliche Worte mit der Nachbarin wechseln, und dabei war ich jetzt schon spät dran.

»Hallo Beate, wie geht es Ihnen?« Ich rang mir sogar ein Lächeln dazu ab.

»Ach«, machte sie gedehnt, was mich sofort das Schlimmste befürchten ließ.

»Wenn Sie wüssten, liebe Nora, wie schlecht ich geschlafen habe …«

Sie kam näher und ließ mich einen eingehenden Blick auf ihre Augenringe werfen.

Wenn sie jetzt zu einem ihrer zehnminütigen Klagelieder anhob, würde ich es mit Sicherheit nicht mehr pünktlich zu dem Termin mit meinem Chef schaffen. Einen Moment lang zögerte ich noch. Diese Beate war mir ein Rätsel. Ich schätzte sie auf Mitte dreißig, aber manchmal wirkte sie auf mich wie eine Achtzigjährige. Irgendwie verbraucht und ein beständiges Bild des Jammers. Wenn Ehe und Familie das aus einer jungen Frau machten – na, danke, dann blieb ich mit meinen 29 Jahren doch lieber frei und ungebunden.