2039 - Robot's Welt - Karl-Heinz Knacksterdt - E-Book

2039 - Robot's Welt E-Book

Karl-Heinz Knacksterdt

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Beschreibung

Wir schreiben das Jahr 2039. Die wirtschaftliche und politische Macht wird von den 'Großen Fünf', mächtigen global agierenden Konzernen ausgeübt - die Regierungen sind von ihnen unterwandert. Die Situation in Europa: Das Bargeld ist weitgehend abgeschafft. Computer vielfältigster Art bestimmen den Alltag der Menschen. Zugewanderte aus fernen Regionen leben in eigenen Städten, ihre biometrischen Daten sind lückenlos erfasst und zentral gespeichert. Die KI, die künstliche Intelligenz, hat weite Teile der Bevölkerung beschäftigungslos gemacht. Bestimmte Arbeitsbereiche wurden von Androiden, perfekten menschenähnlichen Robotern, übernommen. Die Planungen von EUROCOMM, der europäischen Regierung, sehen die Implantierung von elektronischen Chips in den Unterarmen aller Einwohner mit dem Ziel vor, jeden Menschen jederzeit und überall identifizieren und kontrollieren zu können. Die Protagonisten und ihre Freunde versuchen, die geplanten Maßnahmen zu verhindern - sie riskieren das Leben bei den Versuchen, die Bevölkerung vor der totalen Überwachung zu bewahren. Eine den Roman begleitende Liebesgeschichte lässt dennoch das Menschliche in dieser bedrohlichen Zeit durchblicken.

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Die Personen:

Peer Bartels alias Björn Bollmann alias Sean Myers

Jasmin Beier, IT-Fachfrau, Freundin von Peer

Tom Mahler, Kneipenwirt „Toms kleine Kneipe“

Ben, Gast

Kai, Gast

Edgar und Greta Bollmann, Peers Eltern – Pension Lotusblüte

Veronika Schneider, Rezeptionistin, Androidin

Jennifer Taylor, Einsatzkraft WED, Androide

John Barkowitz, Leiter WED, Androide

Gerald Pons, Mitarbeiter WED, Mensch

Carola Meier, Gruppenleiterin Europol

Arianna Polisi, Analystin, Europol

Peter Borg, Ermittler, Europol

Angelique (Angie) Pasteur, ehem. Freundin von Peer in Palo Alto Jane Mahler und Jimmy Bronson in Wunderlich Country Park bei Palo Alto

Inhaltsverzeichnis

Ballade „Die Brück‘ am Tay“ (Fontane)

Der Brief 2031

Das Meeting 2031

1 Unruhen

2 World’s Residence Hotel

3 Die Humboldtstraße

4 Jasmin Beier

5 Tom und Peer

6 Regierungspläne

7 Die Halle

8 Die Aktion beginnt

9 Der Umzugsplan

10 Die andere Seite

11 Amtshilfe-Ersuchen

12 Neue Aspekte

13 Pension „Lotusblüte“

14 Zusammentreffen im Park

15 Konfrontation

16 Palo Alto

17 Jane und Jimmy

18 Jasmin im Haus am Deich

19 Das erste Opfer

20 Europol-Aktion

21 Nacht am Deich

22 Erster Fehlschlag

23 Konkrete Pläne

24 Fahndungsbeginn

25 Bedrohung und Flucht

26 Auf See

27 Montpellier

28 Die Rückkehr

29 Finale

Theodor Fontane (1819 – 1898) Die Brück‘ am Tay

When shall we three meet again (Shakespeare: Macbeth)

»Wann treffen wir drei wieder zusamm'?«

»Um die siebente Stund', am Brückendamm.«

»Am Mittelpfeiler.« »Ich lösche die Flamm'.«

»Ich mit.«

»Ich komme vom Norden her.«

»Und ich von Süden.«

»Und ich vom Meer.«

»Hei, das gibt ein Ringelreihn,

Und die Brücke muß in den Grund hinein.«

»Und der Zug, der in die Brücke tritt

Um die siebente Stund'?«

»Ei der muß mit.«

»Muß mit.«

»Tand, Tand,

Ist das Gebilde von Menschenhand.«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus

Alle Fenster sehen nach Süden aus,

Und die Brücknersleut', ohne Rast und Ruh

Und in Bangen sehen nach Süden zu,

Sehen und warten, ob nicht ein Licht

Übers Wasser hin »ich komme« spricht,

»Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,

Ich, der Edinburger Zug.«

Und der Brückner jetzt: »Ich seh einen Schein

Am anderen Ufer. Das muß er sein.

Nun Mutter, weg mit dem bangen Traum,

Unser Johnie kommt und will seinen Baum,

Und was noch am Baume von Lichtern ist,

Zünd' alles an wie zum heiligen Christ,

Der will heuer zweimal mit uns sein,

Und in elf Minuten ist er herein.«

Und es war der Zug. Am Süderturm

Keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,

Und Johnie spricht: »Die Brücke noch!

Aber was tut es, wir zwingen es doch.

Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,

Die bleiben Sieger in solchem Kampf,

Und wie's auch rast und ringt und rennt,

Wir kriegen es unter: das Element.«

»Und unser Stolz ist unsre Brück';

Ich lache, denk ich an früher zurück,

An all den Jammer und all die Not

Mit dem elend alten Schifferboot;

Wie manche liebe Christfestnacht

Hab ich im Fährhaus zugebracht,

Und sah unsrer Fenster lichten Schein,

Und zählte, und konnte nicht drüben sein.«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus

Alle Fenster sehen nach Süden aus,

Und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh

Und in Bangen sehen nach Süden zu;

Denn wütender wurde der Winde Spiel,

Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel',

Erglüht es in niederschießender Pracht

Überm Wasser unten ... Und wieder ist Nacht.

»Wann treffen wir drei wieder zusamm'?«

»Um Mitternacht, am Bergeskamm.«

»Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.«

»Ich komme.« »Ich mit.«

»Ich nenn euch die Zahl.«

»Und ich die Namen.«

»Und ich die Qual.«

»Hei! Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.«

»Tand, Tand,

Ist das Gebilde von Menschenhand.«

Die Brücke, deren Einsturz Fontane als Thema der Ballade gewählt hat, war 1871–1878 unter enormem Aufwand erbaut worden und bereits eineinhalb Jahre nach ihrer Eröffnung im Sturm zusammengebrochen. Sie riss 75 Menschen mit in den Tod. Fontane macht seine Ballade so zu einer Mahnung vor Technik gläubiger Hybris.

Sein Fazit legt er einer der Hexen in den Mund:

»Tand, Tand,

Ist das Gebilde von Menschenhand.«

Der Brief 2031

Handschriftlich, durch Boten

Von: Timothy Brandon, CEO Your Distributor Inc. (YDI)

Persönlich, streng vertraulich

An: Die CEOs aller Big Player in der Region Silicon Valley

Palo Alto

Monday, May 26, 2031

Liebe Freunde, Kollegen, Wettbewerber!

Sicher seid ihr verwundert, auf diesem Wege, in dieser Form eine Message von mir zu bekommen, schließlich sind wir alle es gewohnt, mit Hilfe der Elektronik miteinander zu kommunizieren, wenn wir es nicht aus Wettbewerbsgründen überhaupt vermeiden.

Nun, es gibt einen besonderen Anlass, diese Art der Korrespondenz zu wählen – handschriftlich und Zustellung persönlich durch Boten. Ich bitte, eine Antwort, falls nötig, auf die gleiche Weise an mich und die anderen Adressaten zu senden. Ich will euch den Anlass erklären, erläutern.

Für den Freitag der letzten Woche hatte ich ein Meeting mit meinen Vorstandskollegen geplant, in dem die weitere Vorgehensweise für die neuen Aktivitäten auf dem Gebiet des weltweiten Direktvertriebes bestimmter Produkte besprochen werden sollte.

Die Einladung zu diesem Meeting hatte ich, wie es bei uns und sicher auch bei euch üblich ist, von einer Vorstandssekretärin über E-Mail an die Adressaten verschickt. Die Einladungen sind bei den Adressaten leicht verzögert angekommen, die von mir genannten Tagesordnungspunkte waren jedoch verändert worden. Als TOP 1 war eingefügt: „Übertragung von Verantwortung an das System 'Meringo'“, unsere zentrale Steuerungssoftware. Dieses Programm ist ein hocheffizientes KI-System, das uns viele unangenehme, aber wichtige Entscheidungen, wie z. B. Mitarbeiter-Freistellungen, Produktbereinigungen oder Standort-Analysen abnimmt – Arbeiten, die z. T. unerfreulich, zum anderen Teil sehr arbeitsaufwendig sind.

Ich habe versucht, die Änderung der Tagesordnung sofort durch mein Sekretariat rückgängig machen zu lassen – die Korrektur ist bei den Adressaten nicht angekommen, selbst meine persönliche Kopie ist vom System unterdrückt worden. Stattdessen hat mir das CSS 'Meringo', das Zentrale Steuerungssystem, durch eine Kurznachricht mitgeteilt, dass ich keine Kompetenz hätte, die Tagesordnung zu verändern, ab sofort könne dies nur noch das CSS. Mein Eindruck ist, dass das System die Macht übernehmen will, schon zuvor deuteten verschiedene Faktoren in den Arbeitsabläufen darauf hin!

Eine sofortige Anweisung an die Abteilung KI-Programmierung, diesen Unsinn zu unterbinden, konnte nicht positiv ausgeführt werden, das System verweigert seit diesem Zeitpunkt jeden Zugriff von außen. Die KI-Programmierer sind den Computern gegenüber machtlos, eines jedoch haben sie feststellen können: Es herrscht plötzlich ein ungeheuer intensiver und umfangreicher Datenaustausch zwischen diversen Mega-Computern, zu denen auch die eurer Unternehmungen gehören. Nach meiner Ansicht ist zu befürchten, dass eine von wo und wie auch immer gesteuerte Macht massiv unsere Rechnersysteme beeinflussen will, allerdings verschließt sich mir noch der Zweck der Aktivitäten.

Für den in dieser Situation meines Erachtens zwingend erforderlichen sofortigen Informationsaustausch schlage ich vor, dass wir uns schon morgen um 2 p. m. auf meinem Landsitz in Checkers Garden (Iowa) zusammensetzen, denn ich unterstelle, dass bei euch ähnliche Probleme entstanden sind.

Ihr solltet versuchen, euren Besuch bei mir geheim zu halten. Vielleicht könnt ihr ihn vor euren Mitarbeitern und im Kalender als privaten Ausflug deklarieren! Ich erwarte euch, es ist wichtig und dringend!

Es grüßt Timothy Brandon

Das Meeting 2031

Tuesday, May 27, 2031

Checkers Garden (Iowa), Landsitz von Timothy Brandon

Der Brief ist die Reaktion eines der weltweit mächtigsten Männer der Wirtschaft auf Ereignisse und Entwicklungen, die anscheinend nicht mehr beherrschbar geworden sind und von ihm als Bedrohung empfunden werden.

Viele, zu Tim Brandons Bedauern aber nicht alle seiner Kollegen haben sich tatsächlich so kurzfristig auf seinem Landsitz eingefunden. Immerhin: Es sind mehr als fünfundzwanzig Frauen und Männer, die Tim in der großen Halle seines Landsitzes begrüßen kann, allerdings fehlen einige der Big Player in der Runde.

„Liebe Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen! Ich habe euch unter größter Geheimhaltung zu mir gebeten, weil ich sehr in Sorge bin. Den Grund für meine Sorgen habe ich bereits zum Teil in meinem Einladungsschreiben ausgedrückt. Ich nenne euch jetzt meine Hauptbedenken, die auch Eure sein sollten.

Durch die Reaktionen der Computer in unserem Unternehmen habe ich den Eindruck, dass diese elektronischen Mitarbeiter die Macht übernehmen wollen. Viele Indizien sprechen dafür, als da zum Beispiel sind

Verweigerung von KI-Updates,

Veränderung von Anweisungen der Unternehmensleitung,

Selbstständige Kontaktaufnahme mit den Rechnersystemen nicht nur meiner, sondern auch EURER Firmen.

Außerdem bauen die Rechner unseres Hauses in ihrer Cloud ein Datensammelsystem auf, das sich dem Zugriff unserer Programmierer und KI-Spezialisten entzieht. Könnt ihr mir aus eurer Praxis auch derartige Beobachtungen nennen?“

Er sieht sich fragend im Auditorium um.

Paul, CEO eines Fahrdienstleisters, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Wir hatten im Vorstand geplant, uns mit der Expansion etwas zurückzuhalten, sie sollte nicht unsere Finanzkraft überfordern. Die Anweisungen, die wir in dieser Richtung ausgegeben haben, wurden von unserem Finanzverwaltungs-Rechner einfach ignoriert. Es hat das Kapital, das wir nicht im Markt beschaffen wollten, auf eine bislang unbekannte Weise generiert.“

„Dazu kann ich auch etwas sagen“, meint Billy Watson, ein Waffenhersteller aus Illinois, „wir haben einen größeren Auftrag aus einem Bürgerkriegsland ablehnen wollen, weil uns die Zahlungsrisiken einfach zu groß waren. Unsere Auftragsabteilung konnte die Zusage an die Auftraggeber nicht verhindern und die automatische Produktionssteuerung hat den Job voll eingeplant – es war uns nicht möglich, die Fertigung und auch nicht die Auslieferung zu stoppen!“

Immer mehr Stimmen in der Versammlung bestätigen derartige Vorkommnisse, in den meisten der hier vertretenen international tätigen Unternehmungen trat derartiges bereits auf, allerdings nur sporadisch.

Tim Brandon versucht, das Ganze in eine Struktur zu bringen und tritt erneut ans Rednerpult.

„Leute, Ihr habt die Statements unserer Freunde gehört, wisst um eigene schlechte Erfahrungen. Da kommt eine große Gefahr auf uns alle, ich meine, sogar auf unser Land zu. Wenn es bei diesen Zugriffen unserer KI-Systeme bleibt, ist Schlimmeres zu befürchten. Lasst uns versuchen, eine Strategie zu entwickeln. Ich habe deshalb meinen Chef-KI-Entwickler ebenfalls zu uns gebeten, der uns eventuell Lösungen anbieten kann. Bitte, Bernie, du hast das Wort!“

Ein schmächtiger etwa dreißigjähriger Mann tritt ans Rednerpult, rückt seine für das schmale Gesicht viel zu große schwarze Hornbrille gerade, räuspert sich und hebt zu einer längeren Rede an.

„Sehr verehrte Damen und – äh – Herren, ich will versuchen, Ihnen meine Gedanken – äh – zu diesem Problem zu vermitteln. Also, was geschieht in ihren – äh – Computersystemen?“ Er schnäuzt sich in ein riesiges rot kariertes Taschentuch, dann fährt er fort:

„Also, es ist so – die KI in allen dieser Systeme ist so angelegt, dass sie aus Erfahrungen und gemachten Fehler lernt. Zwei Beispiel: Wenn ein Kunde – äh – einen Toaster gekauft hat, sagt uns die KI‚ dass der Kunde auch eine Kaffeemaschine und einen Brotkorb benötigen könnte, also werden sie ihm angeboten. Wenn der Kunde jedoch nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraumes diese Artikel geordert hat, werden sie zunächst zurückgestellt und ihm wird als Ergänzung ein Eierkocher empfohlen. Wenn der Kunde jedoch den gesamten Kontakt – äh – zum Händler beendet, sind die Daten aller Deals, die er jemals getätigt hat, nicht erledigt, sie werden vielmehr an Wettbewerber verkauft.“ Erneut kommt das Rotkarierte zum Einsatz.

„Dieses Verfahren wird von allen KI-Systemen im Handel angewendet. Aber jetzt werden die Systeme ohne fremden Eingriff noch intelligenter, entwickeln sich ohne meine und meiner Kollegen – äh – Hilfe selbstständig weiter. Die Systeme verfolgen eigene Ziele, die wir leider noch nicht ergründen konnten.“

Überwiegend sind nachdenkliche Gesichter bei den Zuhörern zu sehen, einige jedoch scheinen die Konsequenzen noch nicht überblicken zu wollen oder zu können. In der letzten Zuhörerreihe erhebt sich ein rotgesichtiger Mann, Manager eines Bierkonzerns.

„Mein Lieber, ich denke, Sie sehen das durch die falsche Brille. Nach meiner Ansicht kann es doch für uns und unsere Aktionäre nur gut sein, wenn der Dollar rollt, egal, ob wir es selbst entscheiden oder es ein Computer bestimmt. Solange die Kasse klingelt, ist mir das völlig gleichgültig!“

Er setzt sich, Beifall hat er für seine Meinung von den anderen kaum bekommen.

Bernie versucht, mit einigen Worten die Zielrichtung dieser Veranstaltung im Hause Timothy Brandons zu benennen.

„Meine Damen und – äh – Herren, Sie scheinen noch nicht alle“, damit bezieht er sich auf den letzten Redner, „des Ernstes der Lage bewusst zu sein. Wenn sich unsere Rechnersysteme, ohne dass wir sie – äh – kontrollieren können, unabhängig weiterentwickeln, verfolgen sie, wie ich bereits sagte, eigene Ziele, die nur ihnen selbst und – äh – nicht den Menschen und damit auch nicht den Aktionären dienen. Wollen Sie das wirklich? Nur wegen ein paar Dollars?“

Er blickt den Redner von vorhin direkt an, der jetzt aber versucht, sich hinter seinem Vordermann zu verstecken. Bernie redet weiter.

„Sie alle müssen sofort, ich betone sofort, Gegenmaßnahmen ergreifen, falls das überhaupt noch möglich ist. Mein Vorschlag: Eine neutrale Institution entwickelt schnellstens Systeme, die nicht selbstlernend, sondern von Menschen gesteuert werden. Wenn das gelungen ist, schalten Sie für einen kurzen Zeitraum ihre Rechner und Server ab und tauschen die Software komplett aus, nur so – äh – kann es noch gelingen, eine Katastrophe zu verhindern!“

Bernie hat sich bei seinen Worten regelrecht verausgabt, wieder kommt das Rotkarierte zum Einsatz, nachdem er sich gesetzt hat.

Timothy als Gastgeber ergreift das Wort, weist noch einmal auf den Ernst der Lage hin.

„Wir bei Your Distributor Incorporated werden auf jeden Fall versuchen, Bernies Ratschlag zu realisieren, falls das überhaupt noch möglich ist. Ich kann euch allen nur empfehlen, es unserem Unternehmen gleich zu tun.

Sicher werden wir auf einen Teil des Umsatzes verzichten müssen, aber dieses Risiko gehen wir ein. Und jetzt darf ich euch ans Buffet bitten, das mein Caterer vorbereitet hat. Ihr solltet ihr miteinander über das Problem reden!“

Es ist den versammelten Wirtschaftsbossen, Frauen und Männern, nicht gelungen, sich auf Wege zur Verhinderung der von den Computern ihrer Konzerne geplanten Vorhaben und der daraus resultierenden Probleme zu einigen.

In einer privaten Message schreibt Timothy Brandon später: „Die Computer“ werden siegen!

Kapitel 1 Unruhen

Die Menge, die sich auf dem großzügig angelegten Platz vor dem Hotel versammelt hat, weil sie gegen die allgegenwärtige Überwachung und das Fehlen von sinnvoller, reell bezahlter Arbeit protestieren will, wächst von Minute zu Minute. Im Innern des vornehmen „World's Residence Hotel“ tagen derweil Politiker aus dem ganzen Land, um über die nächsten Schritte im Staat zur Realisierung des Projektes von EUROCOMM zur vollständigen Digitalisierung ganz Europas zu beraten.

Umrahmt von mehreren Hundertschaften der örtlichen Bereitschaftspolizei stehen sie da, halten ihre Plakate hoch, skandieren Sprechchöre gegen die Verantwortlichen an dieser Lage, die sich im Festsaal des Hauses versammelt haben. Die Überwachungskameras auf dem Platz vor dem Hotel schwenken immer wieder über die Menschenmenge – ihnen soll kein Gesicht entgehen. Später werden die Filme bei Europol mit Gesichtserkennungssoftware ausgewertet, mancher Teilnehmer der Demonstration, vor allen die Wortführer, werden die Konsequenzen zu spüren bekommen.

Die Menschen hier wollen ihrem Unmut über die Verhältnisse Luft verschaffen, über die Verhältnisse, die in diesen 'großartigen Zeiten', wie der Regierungschef Oskar Lavalle immer wieder betont, ihnen Job und Lebensmut gekostet haben. Sie wollen arbeiten, Geld verdienen, nicht mehr auf staatliche Almosen angewiesen sein. Und sie wollen nicht auf Schritt und Tritt kontrolliert und überwacht werden mit der fadenscheinigen Begründung, Recht und Ordnung im Lande erforderten dies.

Ja, ein gewisses Grundeinkommen steht jedem Menschen zur Verfügung, dennoch: Jeder einzelne Teilnehmer an der Demonstration, ob Mann oder Frau, ist auf irgendeine Art und Weise in eine Notlage geraten.

Da sind Taxifahrer, für die es keine Fahrgäste mehr gibt, weil diese alle mit autonomen Uber-Autos fahren.

Da sind ehemalige Behördenmitarbeiter, deren Arbeit von Computern übernommen wurden – ihre Jobs wurden ersatzlos gestrichen.

Da sind freigestellte Banker, deren Arbeitsstätten geschlossen wurden. Am 14. Mai des letzten Jahres wurde die letzte Filiale der Volksbank aufgegeben, die anderer Geldinstitute bereits viel früher. Bargeld ist nur an wenigen ausgewählten Stellen der Stadt erhältlich und wird gesondert registriert, gezahlt wird fast ausschließlich mit Smartwatch oder einfach durch Gesichtsscan.

Da ist die Reinigungskraft, deren Arbeit jetzt ein Putz und Aufräumroboter erledigt und neben ihr die Kassiererin aus dem Supermarkt, der sein Zahlungssystem auf Chip oder Gesichtserkennung umgestellt hat. Der Paketzusteller steht ebenfalls in der Menge der Demonstranten, denn seinen Job haben Paketboxen und automatische Zustelldrohnen übernommen.

Nicht zu finden sind unter den Demonstranten aber Computer-Techniker, IT-Spezialisten und Service-Handwerker, für sie fällt auch in dieser hoch technisierten Zeit immer Arbeit an. Und als Teilnehmer fehlen Polizisten und andere Vertreter der Ordnungskräfte von Kommune und Europol, deren Anzahl sich in den letzten Jahren vervielfacht hat – sie sind allerdings nur sehr selten als solche zu erkennen.

Wir schreiben heute das Jahr 2039, sind Jahrhunderte vor der von Aldous Huxley beschriebenen 'Schönen neuen Welt', auch Georg Orwells '1984' hat sich zum Glück bisher so nicht bewahrheitet.

Eine Gleichschaltung aller Einwohner ist ausgeblieben, aber die Kontrollen über sie sind dennoch umfassend. Der 'Große Bruder' zeigt sich nicht als umfassende Staatsmacht, diese Funktion haben mächtige Konzerne übernommen.

Die Menschen, jedenfalls in Europa, haben die Umweltprobleme der letzten zwanzig Jahre und auch den Klimawandel, der wie ein Damoklesschwert über der Menschheit hing und noch immer hängt, irgendwie überstanden, aber das gilt nicht für alle Regionen der Welt, deren Einwohnerzahl inzwischen auf über acht Milliarden angewachsen ist.

Die Polkappen sind weitgehend abgeschmolzen, die Permafrostböden in Sibirien und anderswo aufgetaut und haben riesige Mengen CO2 freigesetzt – dies hat die Erderwärmung weiter beschleunigt. Die riesigen Süßwassermengen, die durch das Abschmelzen der Eismassen in den Atlantik geströmt sind, haben glücklicherweise entgegen den Vorhersagen nicht zu einer Umkehr der Bewegungsrichtung des Golfstromes geführt ...

In den Staaten des Pazifiks hingegen sind viele Inseln verschwunden, in den Fluten der Ozeane versunken. Auch die Regierungen der Länder, die das Thema 'Von Menschen gemachter Klimawandel' nicht akzeptiert hatten, sind inzwischen eines Besseren, nein, eines Schlechteren belehrt worden.

Besonders die Völker Afrikas hatten und haben unter den aus der Erderwärmung resultierenden Problemen zu leiden. Die Ostküste der USA hat ebenfalls viele untergegangene Regionen zu verzeichnen wie auch die tieferliegenden Landstriche in Südamerika – hier hat der Amazonas die gewaltigen brandgerodeten Gebiete in Wasser- und Sumpfflächen verwandelt.

Dürreperioden, in einigen Gegenden Überschwemmungen und regionale Kriege um Wasser und Bodenschätze haben zu einem bisher nicht erkannten und deshalb unterschätzten Flüchtlingsstrom aus Zentralafrika und anderen Weltgegenden nach Europa geführt. Durch die Mauer, die von den USA in den Zwanzigern an der Grenze zu Mexiko errichtet wurde und die rigide Flüchtlingspolitik dort wurden große Ströme Hilfesuchender nach Europa geleitet. Die riesige Menge der in den letzten Jahren zusätzlich zu versorgenden Menschen haben EUROCOMM, die europäische Zentralregierung, zur Anlage neuer, nach außen hermetisch abgeriegelter Siedlungen (sogenannten Refuges-Städte, ähnlich den Lagern in der Türkei nach dem Syrienkrieg in den zwanziger Jahren) mit jeweils bis zu einer viertel Million Einwohnern veranlasst. Diese Internierungsstädte, für die bis dahin dünn besiedelte Gebiete in ganz Europa ausgewählt und aus denen die bisherigen Einwohner umgesiedelt wurden, werden durch massive Konzentrationen von Europol-Truppen gesichert. Das Leben in diesen Städten verläuft relativ normal, es wird gelebt, gearbeitet (soweit Arbeit vorhanden ist), geliebt. Es gibt dort einen sehr hohen Geburtenüberschuss, der irgendwann Europa zusätzlich zu neuen Problemen führen wird. Die Einwohner der Refuges-Städte, im Sprachgebrauch 'Temporäre Gäste', wurden und werden mit ihren biometrischen Daten wie Fingerabdrücke, Gesichtserkennungs-Merkmale und Iris-Scans registriert. Trotz aller Sicherungsmaßnahmen versuchen immer wieder junge, arbeitsfähige und -willige Personen, aus ihrer geschützten Umgebung auszubrechen, manchen gelingt es auch – das führt in den Ländern und Städten zu weiteren Problemen.

Aber nicht alles in der Welt hat sich negativ entwickelt. Die Deiche in Europa haben dem steigenden Meeresspiegel standhalten können, obwohl sich die Pegel um fast fünfzig Zentimeter erhöht haben – der Aufwand für die Erhöhungen war immens und wird auch weiterhin anfallen, denn der Schwund des Polar-Eises ist noch nicht beendet. Wenn auch in den Ländern Europas knapp fünfzig Prozent der Arbeitnehmer ohne Job sind: Hungern muss niemand, die staatlichen Wirtschaftsbehörden sorgen für ein Grundeinkommen. Die Menschen, die noch vor zehn, zwölf Jahren keine Bleibe hatten, die Berber, inzwischen Outlaws genannt, die Rechtlosen, sind jetzt ausnahmslos in betreuten und kontrollierten Einrichtungen untergebracht.

Kapitel 2 World's Residence Hotel

Sein Flug von Brüssel nach hier war pünktlich – wie soll es in dieser hoch technisierten Zeit auch anders sein. Die autonome Zubringerdrohne hat ihn in weniger als acht Minuten vom Flughafenterminal direkt auf das Dach des „World's Residence Hotel“ gebracht, jetzt fährt er, seine Reisetasche in der Hand, mit dem Expresslift hinunter zur Rezeption.

Es ist ein gut gekleideter Mittvierziger, der dort einchecked. Auf die wartenden Gäste in der Lobby des Hotels macht er den Eindruck, als sei er ein trainierter Sportler auf dem Weg zu einem großen Wettkampf: Sonnengebräunt, athletisch, mit einem energischen Kinn und stahlblauen Augen, die ein einmal gefasstes Ziel verfolgen könnten. Mit seinen strahlend weißen Zähnen und einem gewinnenden Lächeln im Gesicht wären jeder Rezeptionistin eine Freude gewesen, wäre sie denn ein Mensch aus Fleisch und Blut.

„Sie haben reserviert, mein Herr?“ Ihre Frage kommt mit einem Timbre in der Stimme, das bei einer 'richtigen' Frau eine Verheißung gewesen wäre. Da sie aber eine Androidin ist, wenn auch eine perfekte, erweckt es in ihm keinerlei Emotionen.

„Ja, Miss“, er betrachtet ihr Namensschild auf der makellos weißen, sehr körpernahen Bluse mit dem Emblem einer Weltkugel am rechten Kragen. „Ja, Miss Schneider, in der letzten Woche, aber das wissen Sie doch“!

„Bitte verraten Sie mir noch Ihren Namen, nur zum Abgleich mit meinen Informationen“?

Peer Bartels lächelt seine Gegenüber an.

„Sie haben mich doch in zwischen gescannt und die Informationen über mich abgespeichert, also was soll das Ganze“?

„Vorschrift, mein Herr!“

Die schöne, sehr weiblich wirkende Androidin Veronika Schneider lässt sich durch Peer nicht verunsichern, wie sollte sie auch, denn ihr überaus intelligentes Programm gestattet Derartiges nicht.

„Bitte, mein Herr, bevor Sie mir nicht Ihren Namen nennen, darf ich Ihnen Ihre Keycard nicht aushändigen!“

„Sie werden von einem sehr strengen Programm kontrolliert, Veronika – ich darf Sie doch Veronika nennen?“ Diese Art zu fragen hat er sich in den Staaten angewöhnt. „Sagen Sie mir, wer es geschaffen hat“?

„Bitte einen Augenblick, ich muss mich informieren.“ Nach wenigen Sekunden kommt tatsächlich eine Antwort auf seine Frage: „Das Programm wurde von einer Angelique Pasteur aus Palo Alto entwickelt.“

Peer ist erstaunt, bedankt sich für die Information, die für ihn vielleicht noch einmal nützlich sein könnte. Er kennt Angie seit einer ganzen Reihe von Jahren, hatte sogar eine kurze intensive Liaison mit ihr, nachdem sie damals ganz neu in Palo Alto eingetroffen war – und jetzt macht sie so perfekte Programme für Humanoiden ...

Inzwischen sind noch andere Gäste an der Rezeption angekommen.

„Ich will Sie nicht länger an Ihrer Arbeit hindern, mein Name ist Peer Bartels“, sagt er mit einem charmanten Lächeln in Richtung Veronika Schneider.

„Danke, Peer, hier ist Ihre Hotelcard. Das ‚World's Residence Hotel‘ wünscht Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“ Mit diesen Worten reicht sie ihm die Karte über den Tresen und nickt ihm freundlich zu, bevor sie sich den nächsten Gästen zuwendet.

Peer geht hinüber zum Lift, sein Gepäck besteht nur aus einer Reisetasche, in der seine persönlichen Utensilien und ein leistungsfähiges Tablet verstaut sind; die meiste Wäsche und Oberbekleidung hat er in der Stadt deponiert. Die Tür des Fahrstuhls öffnet sich schon beim Näherkommen, seine Hotelcard teilt durch den integrierten sehr sensiblen Transponder dem Lift-Computer mit, in welcher Ebene sein Appartement liegt. Sekunden später ist er auf der Vierzehnten angekommen, die Beschleunigung war kaum zu spüren.

„Ihr Gepäck wird Ihnen kurzfristig zugestellt, Herr Bartels!“

„Ich habe kein weiteres Gepäck!“

„Oh!“ Der Computer scheint verwirrt. „Dann wünsche ich einen guten Abend.“ Die Tür des Liftes schließt sich geräuschlos.

Durch eine kurze berührungslose Nähe der Keycard mit dem Sensor neben der Tür öffnet sie sich, er betritt sein Appartement. Es ist so, wie er es sich vorgestellt hatte, geräumig, gut möbliert, mit Blick auf den vor dem Gebäude großen freien Platz mit dem dahinter liegenden kleinen See. Selbst die Minibar wurde perfekt für seine Gewohnheiten ausgestattet, wie er durch einen schnellen Blick ins Innere des Barschrankes feststellt.

Eine anscheinend aus einem anderen Jahrtausend stammende dezente Musik umfängt ihn. Es sind geradezu sphärische Klänge aus unsichtbaren Lautsprechern, für jemanden in Stresssituationen sicher beruhigend, aber er hat zurzeit keinen Stress ...

Peer geht zum Balkon, dessen Tür sich lautlos öffnet und tritt hinaus. Der Lärm der großen Stadt dringt kaum herauf, nur ein brodelndes Grundgeräusch ist zu hören, dazu das Zischen der sie wegen der Nähe des Flughafens relativ niedrig überfliegenden Passagierjets und das Surren der autonom fliegenden Taxidrohnen und der „Lilium-Jets“.

Ein Blick über die Brüstung des Balkons zeigt, dass die Menschenmenge, die anscheinend bereits längere Zeit vor seiner Ankunft auf dem Platz vor dem Hotel demonstrierte, in der Zwischenzeit deutlich weiter angewachsen ist, es mögen inzwischen mehrere tausend Teilnehmer sein. Er kann erkennen, dass Transparente hochgehoben werden, die Inschriften sind aus dieser Höhe natürlich nicht lesbar.

„Guten Tag, Peer“, wird er von der Arriba-Box begrüßt, „Wenn Sie einen Wunsch haben, sagen Sie es einfach – es wird dann alles Erforderliche veranlasst. Ich freue mich, für Sie aktiv sein zu dürfen. Bitte aktivieren Sie mich jeweils mit 'Hallo, Arriba', wenn Sie einen Wunsch haben.“

Er hasst diese permanente Belästigung und Überwachung durch alle möglichen technischen Geräte, die am Beginn dieses Jahrhunderts mit den 'Echo'-Boxen, die seit Juni 2015 von dem damaligen weltweit agierenden Online-Händler Amazon als „Amazon Echo“ erstmals verkauft wurden und die mit den zunehmend in öffentlichen Gebäuden, auf Straßen und Plätzen installierten Videokameras konsequent fortgeführt wurde.

Seitdem versucht er prinzipiell, diese Technik zu ignorieren, in dem er kameraverseuchte Plätze meidet und in Räumen, z. B. Hotelzimmern, auf seinem Tablet ein spezielles Störprogramm aktiviert.

Vom Flughafen aus hatte er ein „Ein-Personen-Lufttaxi“, einen geräumigen Oktocopter genommen, der nach einem kurzen Flug auf dem Dach des „World's Residence“ gelandet war. Es erstaunt ihn immer wieder, mit welcher Geschwindigkeit und Präzision sich diese Fluggeräte sicher im inzwischen schon ziemlich engen Luftraum über der großen Stadt bewegen. Drohnen unterschiedlichster Art, für Lasten und für Menschen, sowie auch die für mehrere Personen geeigneten „Lilium-Jets“ erfüllen die Luft mit einem permanenten Surren und Brummen, wie in seiner Kindheit ein Insektenschwarm, an den er sich erinnert – die für derartige Höchstleistungen programmierten Quanten-Computer und hoch entwickelten Sensoren in den Geräten verhindern mögliche Katastrophen.

Er geht zurück in den Raum, öffnet seine Reisetasche und nimmt als Erstes sein Tablet heraus, Toilettenartikel und Nachtwäsche können warten.

Mit dem Gerät in der Hand scannt er zunächst das Zimmer und das Bad, denn er weiß aus eigener schlechter Erfahrung, dass viele Hotels aus den unterschiedlichsten Gründen dazu übergegangen sind, ihre Gäste optisch und akustisch zu überwachen. Tatsächlich, neben der Arriba-Box sind auch noch zwei fast unsichtbare Kameras im Appartement installiert, aber das Bad scheint davon frei zu sein. Das Tablet-Programm wird von ihm gestartet, damit ist zumindest die Überwachungsfunktion der Box außer Kraft gesetzt. Es bleiben nur noch die beiden Kameras übrig, die er lokalisiert hat. Er versucht, ihre Linsen zu überdecken, entfernen will er sie nicht, denn das könnte als Sachbeschädigung gewertet werden. Also bleibt nur das Abdecken mit den Klebepads, die sich immer in seinem Gepäck befinden, was ihm auch gelingt. Sein Instinkt und seine Erfahrung sagen ihm, dass sein Tablet das Ziel mancher Begehrlichkeiten seiner Gegner sein könnte. Sicherheitshalber verstaut er es zunächst oberhalb der Tür in der Ablage für die Zusatz-Bettdecken. Dann fährt er mit seinen 'Anti-Spionage'-Tätigkeiten fort.

Die zweite Kamera ist gerade abgeklebt, als der dezente Türgong anschlägt – irgendjemand möchte ihn besuchen. Er erwartet niemanden, deshalb ist er besonders misstrauisch.

„Technischer Service, Herr Bartels, bitte lassen Sie mich ein.“

Peer geht zur Tür seines Appartements, neben der das Bild des Besuchers auf einem kleinen Monitor angezeigt wird. Ein Mensch in grüner Monteurskleidung steht vor der Tür, gelangweilt in das Objektiv der Türkamera schauend. Anscheinend hat er etwas Schweres zu tragen, wahrscheinlich seinen Werkzeugkasten, weshalb seine linke Schulter etwas hängt.

Er überlegt einen Moment

„Können Sie sich ausweisen?“ Der Mann auf der anderen Seite der Tür hält seinen Hotelausweis vor die Kamera an der Tür. Der Ausweis scheint echt zu sein, das Bild entspricht der Person, also betätigt Peer die 'Open'-Sensortaste neben der Tür. Die Sicherungsverriegelung wird entsperrt, ein leises Summen ist zu hören. Es ist noch nicht ganz beendet, als die Zimmertür kraftvoll aufgestoßen und er selbst von einem bulligen Typ, der jedoch keinen Monteur-Overall trägt, niedergeschlagen wird, nein, niedergeschlagen werden sollte. Mit einem kraftvollen Hieb gegen den Kehlkopf des Angreifers, der diesen von den Beinen reißt, wehrt er sich wirkungsvoll. Der Zweite, der Mann in Grün, beendet Peers Gegenwehr, in dem er mit einer alten P5-Pistole auf ihn zielt.

„Hinsetzen, in den Sessel“, befiehlt der Grüne. Der andere versucht, am Boden liegend, wieder normal zu atmen. Peer folgt dem 'Rat', hat er doch zuvor das Klicken beim Entsichern der Waffe gehört.

Der Grüne geht zu seinem Mitstreiter in die Zimmermitte, Peer nicht aus den Augen lassend, tritt ihm leicht in die Seite „Los, hoch mit dir, wir haben einen Auftrag!“ Der Bulle stöhnt noch immer, der Schlag gegen seinen Kehlkopf hat ihn weitgehend außer Gefecht gesetzt.

„Ich kann nicht“, krächzt er zum Grünen.

„Dann mache ich es eben selbst, gib mir die Fesseln“. Der Bulle nimmt etwas aus seiner Hosentasche, stöhnt, reicht es dem Grünen, der jetzt ziemlich nah an Peer herantritt, zu nah!

Mit einem kraftvollen Tritt in die Weichteile holt er den Mann von den Füßen, dessen Pistole fliegt weit in den Raum hinein. Mit ein, zwei mächtigen Sätzen ist er bei der Waffe, hebt sie hoch, will sie sichern. Er steht mit dem Rücken direkt vor der geöffneten Balkontür, als der Bulle, der sich gerade aufgerafft hat, blind vor Wut und mit gesenktem Kopf auf ihn zustürmt.

Peer, der den mächtigen Mann etwas aus den Augen verloren hatte, weil er sich mit dem Grünen und der Pistole beschäftigt hat, sieht den Schatten auf sich zukommen und dreht sich instinktiv zur Seite. Mit einer Geschwindigkeit, die Peer nicht erwartet hat, rast der mächtige Angreifer an ihm vorbei auf den Balkon, kommt nicht mehr rechtzeitig zu stehen. Die Balkonbrüstung kann ihn nicht aufhalten, er stürzt mit einem langanhaltenden, tierischen Schrei in die Tiefe.

Die Demonstranten, die sich am Hotel zu ihrem Protest versammelt haben, stieben auseinander, als sie den aus Ebene 14 herabstürzenden Mann hören und sehen ...

Inzwischen hat sich der Grüne wieder von dem Tritt erholt, versucht, Peer anzugreifen – mit einem gewaltigen Boxhieb auf den Solarplexus setzt ihn Peer erneut außer Gefecht. Irgendwie zahlt sich jetzt sein jahrelanges Kampfsport-Training aus.

„Kein gutes Hotel“, sagt er zu sich selbst, „ich werde auschecken müssen!“ Er nimmt sein Tablet aus dem Versteck, verstaut es sorgfältig wieder in seiner noch nicht ausgepackten Reisetasche. Er verlässt das Appartement, lautlos die Tür hinter sich verschließend.

„Herr Bartels, zur Basis?", wird er vom Liftcomputer höflich und emotionslos gefragt. „Ja, bitte“.

Die Kabine setzt sich in Bewegung, stoppt jedoch schon auf Ebene Sieben. Die Tür öffnet sich, eine dunkelhaarige, attraktiv, aber dezent geschminkte junge Frau steigt ein. Peer betrachtet sie aufmerksam. Irgendetwas gefällt ihm nicht an ihr trotz ihres hervorragenden Aussehens.

Die Frau grüßt ihn mit einem Kopfnicken, vermeidet es jedoch sorgfältig, ihm in die Augen zu schauen, warum nur? Peer kann sich noch keinen Reim auf ihr Verhalten machen – oder sollte sie ebenfalls eine Androidin sein?

Der Lift stoppt ein weiteres Mal. „Drei“ zeigt das Display an, als die Frau plötzlich aus ihrer Designerhandtasche ein silbrig glänzendes Röhrchen hervorzieht, ähnlich einem Füllfederhalter. Peer wird an einen uralten James-Bond-Film erinnert ...

Als die Frau mit der hochmodernen Laserwaffe auf ihn zielt, reagiert er rein instinktiv. Ein Schlag mit der Handkante lässt den Minilaser zu Boden fallen. Peer bückt sich blitzschnell und nimmt ihn an sich.

„Verzeihen Sie, meine Dame, ich hoffe, ich habe Sie nicht verletzt!“ Die Ironie in seiner Stimme ist unverkennbar.

Peer ist nicht sonderlich erstaunt, dass die Frau keine Reaktion zeigt, sondern wortlos und in aller Ruhe ihre Tasche wieder verschließt – sie ist tatsächlich, wie Veronika Schneider, eine Androidin.

Der Lift setzt seine jetzt kurze Fahrt fort und stoppt an der Basis.

Die Tür öffnet sich. Gemeinsam verlassen die Angreiferin und Peer wortlos die Kabine, dann trennen sich ihre Wege. Hier, in der Lobby, scheint kein weiterer Feind auf ihn zu warten.

Zügig, aber nicht auffällig schnell verlässt er das Hotel. Die Rezeptionistin Veronika Schneider beobachtet ihn dabei aufmerksam. Im Freien angekommen wendet er sich nach rechts, um nicht mit der Menschenmenge und der inzwischen bei der Leiche des Bullen eingetroffenen Polizei konfrontiert zu werden. Mitgefühl angesichts der Situation will in Peer nicht aufkommen, schließlich wollte ihn der Tote gerade noch umbringen!

Ein vorbeikommendes autonomes Taxi stoppt auf sein Winken hin. Er wirft seine Tasche auf den Rücksitz, bevor er sich im Frontbereich des Wagens hinsetzt. Er will auf jeden Fall seine Umgebung im Auge behalten.

„Wohin darf ich Sie fahren, mein Herr?“, fragt eine sympathische weibliche Stimme, die ihm bekannt vorkommt und fortfährt mit der Frage „Hatten Sie einen angenehmen Aufenthalt im ‚World's Residence‘, Herr Bartels?“

Peer ist im ersten Augenblick erstaunt über diese Frage und die Anrede mit seinem Namen. Es fällt ihm ein, dass er noch immer die Hotelcard in seiner Hosentasche trägt, die selbstverständlich vom Fahrzeugcomputer gescannt wurde.

„Fahren Sie mich zur Humboldt-Straße, dann erhalten Sie weitere Informationen. Und jetzt stoppen Sie bitte ganz kurz auf der Brücke dort vor uns.“

Der Wagen hält. Peer steigt aus, kramt die Karte hervor. Dann zückt er die Laserwaffe, die er der Dunkelhaarigen abgenommen hat, hält die Hotelcard zwischen zwei Fingern seiner linken Hand fest. Er löst die Wirkfunktion der Waffe aus. Jetzt ziert ein feines Loch die Karte im Chipbereich. Er wirft sie sofort über das Brückengeländer hinweg in den Fluss, sie ist jetzt für alle Nutzungs- und Identifizierungs-Versuche unbrauchbar geworden. Den Laser steckt er in seine Hosentasche.

Er steigt wieder in sein Taxi. „Bitte fahren Sie weiter.“ Es ist viel Verkehr auf den Straßen der großen Stadt am heutigen Nachmittag. Autonome Fahrzeuge unterschiedlichster Art, mit und ohne menschliche Insassen, Lieferfahrzeuge für die Geschäfte in der Innenstadt, Großkabinen als Sammeltaxen sind in alle Richtungen unterwegs. Erstaunlicherweise sind sogar noch von Menschen gesteuerte Fahrzeuge unterwegs, uralte Modelle mit akkubetriebenem Elektroantrieb. Es ist beachtlich, wie problemlos und crashfrei der Verkehr dank der hoch entwickelten Elektronik und des hyperschnellen Internet abläuft.

Nach etwa zwanzig Minuten zügiger Fahrt verlangsamt sein mit Wasserstoff betriebenes Taxi, stoppt an der Einmündung der Humboldtstraße. Die Stimme, ganz eindeutig Veronikas Stimme fragt ihn: „Wie geht es weiter, Peer?“

„Ich werde den Wagen jetzt verlassen und mich auf meinen eigenen Beinen fortbewegen!“

„Und wo kann ich die Fahrtkosten abbuchen?“

„Buchen Sie sie auf das Konto von 'Alabama Investigation Assoziation, Departement Q7'“.

Die sanfte Stimme bestätigt: „Ich habe die Zahlungsadresse überprüft, das geht in Ordnung. Einen guten Tag wünscht Ihnen Veronika vom ‚World's Residence Hotel‘“.

Veronika Schneider, sie hat ihn also bis hierher verfolgen können. Diese Tatsache macht ihn sehr nachdenklich.

Er verlässt mit zügigen Schritten die Hauptstraße mit ihren vielen Fahrzeugen. Seine Schritte führen ihn in die kleine, tatsächlich noch mit nostalgischem Kopfsteinpflaster versehene Straße, an deren Ende er schon das handgemalte, ziemlich vom Zahn der Zeit angenagte Schild mit der Aufschrift „Toms kleine Kneipe“ lesen kann.

Kapitel 3 Die Humboldtstraße

Die Humboldtstraße, ja der ganze Bezirk darum herum war einmal eine sehr gediegene Wohngegend mit vornehmen Bürgerhäusern und einer größeren Anzahl alter, gediegener Villen. Die Bewohner des Stadtteils waren reiche Industrielle und erfolgreiche Kaufleute aus der Innenstadt. Der ganze Stadtteil war eine gemütliche, für Fußgänger reservierte Zone mit Boutiquen, kleinen Kneipen, Ruhebänken und Dienstleistern verschiedenster Art.

Irgendwann in den vergangenen Jahren kamen Spekulanten auf die Idee, auch auf diesem Hügel die schöne neue smarte Welt zu errichten. Die schönen alten Gebäude wurden eines nach dem anderen dem Erdboden gleichgemacht, nachdem man den Eigentümern horrende Summen für den Verkauf angeboten hatte – eine 'Entmietung' nach dem Muster anderer Stadtteile zum Zwecke der Modernisierung und der Mietgewinn-Maximierung war hier nicht notwendig. Die ehemaligen Besitzer zogen sich, den ausgeuferten Möglichkeiten des Luftverkehrs sei Dank, teilweise bis auf Inseln in der Karibik zurück. Die einzigen Überbleibsel aus dieser Zeit sind „Toms kleine Kneipe“ am Ende der Straße und die historische Pflasterung. Die Spekulanten haben gewonnen, anstelle der schönen Bürgerhäuser und Villen wurden hochgeschossige Zweckbauten errichtet. Die Mieten der smarten Wohnungen sind für Normalverdiener nicht bezahlbar. Vielfach werden sie jetzt von Erwerbslosen und von auf die Grundsicherung angewiesene Familien bewohnt – die Mietdifferenz wird von der Kommune ausgeglichen.

Es ist Mittwochnachmittag im Juni 2039, etwa um 14:30 Uhr, als Peer sein Taxi verlässt und die Humboldtstraße betritt. Es sind nur wenige Gehminuten von seinem Standort bis zu der Kneipe seines engsten Freundes, er freut sich schon auf gute Stunden, vielleicht sogar Tage in dem wie aus der Zeit gefallenen altmodischen Bierlokal.

Peer tritt ein, dichte Rauchschwaden wabern ihm entgegen.

„Bah, wollt ihr mich räuchern und dann pökeln“, ruft er mit Stentorstimme in den Zigarren- und Zigaretten-Qualm hinein. Das Stimmengewirr in der gut besuchten Kneipe verstummt für einen kurzen Moment, dann erhebt es sich wieder zur alten Lautstärke.

„Wer meckert hier lautstark über unsere Atmosphäre? Peer, bist du das? Gib dich zu erkennen!“

Es ist Tom, dessen satter Bass durch den Qualm dringt. „Komm zu Papa, mein Junge!“

Peer ist schon nach nur wenigen Schritten an der hölzernen, noch aus dem vorherigen Jahrtausend stammenden Theke, hinter der der Wirt agiert, sein in mehrfacher Hinsicht alter Freund.

„Bier?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schiebt er ihm ein schönes, kühles Pils zu. „Was gibt es? Erzähl!“

„Ich brauche mein Zimmer.“

„So, so! Hat man dich wieder einmal rausgeworfen? Warst du das im ‚World's Residence'?“

„Wieso, was war denn dort?“

„Stell dich nicht so dusselig an, mein alter Freund, sag, was passiert ist. Die Polizei sucht überall nach jemandem mit dem Namen 'Peer Bartels', der sich im Hotel allen Kontrollfunktionen entzogen hat und aus dessen Appartement plötzlich ein Mann geflogen kam. Und ein Zweiter lag angeblich bewegungsunfähig im Zimmer des Gesuchten!“

„Ach, Tom, lass es gut sein. Ein unerfreuliches Erlebnis, aber nicht wichtig, irgendjemand wollte mich ja nur wieder einmal umbringen. Ich habe den unfreundlichen Ort sofort verlassen. Hier fühle ich mich wohler!“

Der alte Mann sieht ihn nachdenklich an.

„Ich werde meine Jungs mal nachsehen lassen, ob man dich verfolgt, Peer, sicher ist sicher!“

Er ruft zwei seiner Gäste zu sich: „Igor und Ben, seht euch einmal auf der Straße um, ob etwas Auffälliges zu sehen ist.“ Die Männer verlassen wortlos die Kneipe – Tom ruft ihnen noch nach „Zeche heute geht aufs Haus!“

Sie drehen sich nicht einmal um, anscheinend sind sie solche Aufträge des Wirtes gewohnt, denn sie sind Mitglieder in seinem Team, ohnehin scheint es eine ziemlich vertraute, ja konspirative Gesellschaft in dieser Kneipe zu sein ...