Im schwarzen Kokon - Karl-Heinz Knacksterdt - E-Book

Im schwarzen Kokon E-Book

Karl-Heinz Knacksterdt

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Beschreibung

Teil 1 der Trilogie "MANIPULATIONEN" Sehen - Schmecken - Fühlen - Hören - Sehen Der Inhalt des Buches changiert zwischen Fiktion, Fantasy und Realität - detail- und abwechselungsreich dargestellt. Seiner fünf Sinne nicht mehr mächtig zu sein, ist für jeden Menschen ein erhebliches Problem. Der 'Held' dieses Romans erleidet durch einen Unfall den vorläufigen Verlust seines Sehvermögens, dazu kommt eine Koma-Situation, die ihn in völliger Schwärze und ohne die Möglichkeit, sich bewegen zu können, leben lässt. Er findet einen Weg heraus aus dieser schwierigen Lage, in dem er die Fähigkeit der Telepathie entwickelt. Mit dieser Kommunikationsform kann er Kontakt zu Umfeld und Familie halten, ja, er kann sogar Menschen manipulieren. Lesen Sie die spannende Geschichte eines in seinem Körper gefangenen Mannes.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Freitag 12.5. 06:30 Uhr

Kapitel 2 08:35 Uhr

Kapitel 3 09:15 Uhr

Kapitel 4 09:40 Uhr

Kapitel 5 Samstag 13.5. 07:07 Uhr

Kapitel 6 11:45 Uhr

Kapitel 7 14:00 Uhr

Kapitel 8 Sonntag 14.05. 10:00 Uhr

Kapitel 9 Montag 15.05. 10:00 Uhr

Kapitel 10 11:30 Uhr

Kapitel 11 Dienstag 16.05. 07:40 Uhr

Kapitel 12 11:30 Uhr

Kapitel 13 Mittwoch 17.05. 07:00 Uhr

Kapitel 14 Donnerstag 18.05. 09;30 Uhr

Kapitel 15 13:15 Uhr

Kapitel 16 13:30 Uhr

Kapitel 17 Freitag 19.05. 07:30 Uhr

Kapitel 18 11:00 Uhr

Kapitel 19 18:30 Uhr

Kapitel 20 Sonntag 21.05. 14:30 Uhr

Kapitel 21 15:40 Uhr

Kapitel 22 19:00 Uhr

Kapitel 23 Dienstag 23.05. 07:00 Uhr

Kapitel 24 Mittwoch 24.05. 09:30 Uhr

Kapitel 25 Donnerstag 25.05. ca. 13:00 Uhr

Kapitel 26 ca. 17:00 Uhr

Kapitel 27 19:30 Uhr

Kapitel 28 Freitag 26.05. 10:00 Uhr

Kapitel 29 14:30 Uhr

Kapitel 30 16:00 Uhr

Kapitel 31 17:00 Uhr

Kapitel 32 Mittwoch 24.05. 22:00 Uhr

Kapitel 33 Freitag 26.05. 22:00 Uhr

Kapitel 34 Samstag 27.05. 08.30 Uhr

Kapitel 35 16:30 Uhr

Kapitel 36 Sonntag 28.05. 14:40 Uhr

Kapitel 37 Dienstag 30.05. 09:30 Uhr

Kapitel 38 12:00 Uhr

Kapitel 39 13:30 Uhr

Kapitel 40 16:20 Uhr

Kapitel 41 16:50 Uhr

Kapitel 42 19:00 Uhr

Kapitel 43 22:00 Uhr

Kapitel 44 22:30 Uhr

Kapitel 45 Mittwoch 31.05. 09:00 Uhr

Kapitel 46 14:00 Uhr

Kapitel 47 Freitag 02.06. 07:30 Uhr

Kapitel 48 Mittwoch 07.06. 15:30 Uhr

Kapitel 49 Freitag 16.06. 11:30 Uhr

Kapitel 50 Samstag 01.07. ca. 15:00 Uhr

Kapitel 51 Brief an den Autor

Die Personen

Familie Schaf in Werterfehn

Berthold, 41, Familienvater, Patient

Beate (Bea), 36, geb. Fokken, seine Frau

Johanna, 10 Jahre, Tochter

Malte, 8 Jahre, Sohn

Eltern von Berthold aus Delmenhorst

Johanna (Hanne) und Konrad

Eltern von Beate aus Marienhafe

Eske und Tjark Fokken

Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter am Klinikum Emsstadt

Prof. Dr. von Meier, Chefarzt

Dr. Mölders, Oberarzt der ITS

Schwester Carolin

Schwester Daniela

Schwester Agneta

Dr. Al-Wazir, Neurochirurg

Dr. Findorf, Radiologe

Prof. Ulrich Perley, Freund der Eheleute Schaf, Neurologe Dr. Matthias Bremer, Wissenschaftler im Silikon Valley Prof. Dr. Dr. O'Sullivan, Neurochirurg aus Phoenix/USA

Freunde und Kollegen

Kapitel 1

Freitag, 12. Mai

Werterfehn / Ems, Goethestraße14a

06:30 Uhr

„TüTüt“

„TüTüt“

„TüTüt“

„TüTütTütTütTütTütTüt“

Schlaftrunken schlage ich auf die Snooze-Taste des Weckers. Ruhe.

Dann: Ein Blick zur Seite. Tatsächlich: Es ist wirklich schon wieder sechsuhrdreißig.

Aufstehen, aber schnell, sonst ist das Bad wieder durch die Kinder blockiert!

Duschen. Zähneputzen. Rasieren.

Klopfen an der Tür des Bades, eine wütende Mädchenstimme: „Bist du bald fertig?“

„Ja, gleich!“

Das Klopfen wird durch ein vierhändiges Trommeln an der Tür ersetzt. Aha, denke ich. Mein Sohn spielt heute auch mit im Duo Infernale.

Ich räume das Bad, nicht ohne die vorwurfsvollen Blicke meiner beiden Kinder ...

Unten in der Küche höre ich Beate hantieren, sie deckt den Frühstückstisch für uns alle vier. Ich weiß gar nicht, wann sie aufgestanden ist. Irgendwie schafft sie es fast immer, aus unserem Schlafzimmer zu gehen, ohne mich zu wecken.

Ein Blick aus dem Fenster zeigt: Die Sonne steht schon strahlend an einem leuchtend blauen Himmel. Eigentlich ein Tag zum genießen, aber der Urlaub ist noch längst nicht in Sicht.

Ich gehe aus dem Schlafzimmer hinunter in die Küche und gebe Beate eine dicken Guten-Morgen-Kuss, soviel Zeit muss sein.

Nur zehn Minuten später hat sich der Rest der Familie am Frühstückstisch versammelt.

Der Kaffee und die frischen Brötchen, die uns Freitags immer der Lieferservice unseres Lieblingsbäckers schon früh ins Haus bringt, duften um die Wette, und selbst unsere Kinder sind heute ausgesprochen lieb und artig – eine ganz tolle Atmosphäre herrscht an diesem Morgen bei Tisch.

Nicht das dies immer so wäre – wir haben auch schon stürmische Morgenstunden in der Familie erlebt. Aber wie gesagt: Heute ist alles sozusagen 'mustergültig'.

„Papa,“ fragt Malte, unser achtjähriger, „Papa, kannst Du mich heute Nachmittag vom Fußball abholen?“

„Das wird wohl gehen, wann ist dein Training denn zu ende?“

„So etwa um sechs.“

„Dann klappt das, kannst dich auf mich verlassen.“

Unsere „Große“, Johanna, hat auch etwas auf dem Herzen:

„Mama, darf ich heute bei Anna schlafen? Morgen ist doch schulfrei!“

Beate sieht mich fragend an. Ich nicke.

„Na gut, ausnahmsweise! Schließlich ist heute ja Freitag.“

Es ist halb acht, als Johanna und Malte mit ihren Rädern zur Schule starten, die nur ungefähr fünfzehn Fahrrad-Minuten von unserer Wohnung entfernt ist.

Beate und ich räumen gemeinsam die Frühstücks-Utensilien beiseite, der Geschirrspüler wird bestückt, die am Vortag im Garten gepflückten Blumen zieren jetzt wieder den Küchentisch.

Eine halbe Stunde später ist dann auch für mich die Zeit gekommen, Richtung Arbeitsstelle zu starten; Beate muss erst um zehn ihren Job als Filialleiterin einer kleinen Schmuck-Boutique beginnen.

Bei diesem wunderbaren Wetter kann ich den Wagen in der Garage lassen, mit dem Rad so etwa 10 km bis zu meiner Arbeitsstelle sind ja leicht zu schaffen.

Luft in die Reifen pumpen, das bremst mich noch etwas in meinem Drang zum Radfahren, aber das ist ja nur eine kleine unerhebliche Verzögerung ...

Ich schwinge mich auf mein Rad und starte los. Noch ein Blick zurück zu Beate, die vor der Haustür steht und mir nachschaut.

Die Luft ist wunderbar, man riecht den baldigen Sommer schon fast.

Ach ja, verzeihen Sie mir, das ich uns noch nicht vorgestellt habe, das will ich aber jetzt noch schnell nachholen.

Also: Wir sind die Schafs (nicht die Schafe!). Sie lesen richtig: Familie Schaf. So heißen wir nun einmal, kann man nichts machen.

Manchmal ist der Name, vor allem für die Kinder, schon etwas nervig, wenn lustige Menschen beim Hören des Namens ein deutliches „Bäääh“ von sich geben. Aber damit können wir inzwischen ganz gut leben!

Wir wohnen in dem kleinen Ort Werterfehn an der Ems, der etwa 4800 Einwohner hat. Eine Kirche, eine Schule, ein Arzt und ein Zahnarzt. Und ein Kindergarten direkt neben der Apotheke. Alles ist am Ort, was wir zum täglichen Leben so benötigen; ach nein, ein kleiner Supermarkt fehlt den Menschen hier, aber unsere Einkäufe kann ich immer sehr leicht bei meiner Arbeitsstelle erledigen.

Unsere Familie besteht aus Beate, meiner lieben Frau (sechsunddreißig Jahre jung), unseren Kindern Johanna (zehn) und Malte (acht Jahre) und mir, Berthold, einundvierzig.

Im Sommer, nach den großen Ferien, muss Johanna dann immer mit dem Schulbus in die Stadt fahren zur weiterführenden Schule; aber da haben wir ja noch ein paar Monate Zeit. Bis zu diesem Tag besuchen Malte und Johanna noch gemeinsam die Grundschule hier in Werterfehn.

Was ich beruflich mache? Ich bin Einkäufer in einem großen Einkaufszentrum im benachbarten Emsstadt. Sie sehen, dort kann ich leicht alle erforderlichen Einkäufe machen. Aber nur, wenn ich einen entsprechenden Spickzettel von Beate habe!

Der Job dort füllt mich aus und macht mir viel Freude, ich bin nach Meinung meiner Mitmenschen ein ziemlich kommunikativer Typ.

Unser Häuschen haben wir vor ungefähr neun Jahren gebaut, Malte wurde hier in diesem Haus geboren.

Inzwischen hat sich der nicht ganz kleine, aber trotzdem pflegeleichte Garten wunderbar entwickelt, er ist Beates ganzer Stolz. Gartenarbeit ist nicht so unbedingt meine Sache, dafür verbringe ich lieber einen Teil meiner Freizeit in der kleinen Werkstatt im Keller unseres Hauses. Fahrrad-Reparaturen, kleine Möbel für Kinderzimmer oder Flur, Behälter für Pflanzen im Garten – alles Dinge, die mich in meiner Freizeit begeistern können. Und natürlich meine Familie!

Kapitel 2

Freitag, 12. Mai

Einfahrt zum „Profikauf-Einkaufszentrum“

08:35 Uhr

Ich höre, wie sich von weitem ein Rettungswagen nähert. Immer lauter wird das Martinshorn. Unmittelbar neben mir, so scheint es, stoppt er, und das Horn verstummt. Was ist denn passiert, ich habe nichts gesehen.

Gerade noch bin ich mit meinem Rad an der Einfahrt zur Warenannahme angekommen. Den schweren Lastwagen, der zur Laderampe abbiegen will, habe ich aus dem Augenwinkel wahrgenommen. Das Riesenfahrzeug, ein 32-Tonner, will wohl Ware bringen.

Hupen, das Quietschen der Bremsen des Lkw höre ich.

Ich verspüre einen Schlag an meiner linken Seite. Hoffentlich ist nichts passiert, vor allem mit meinem noch neuen Rad!

Und dann? Nichts. Einfach nichts! Ich werde Ärger bekommen, wenn ich zu spät im Büro ankomme! Dann wieder: NICHTS! NICHTS! NICHTS!

„Hallo, können Sie mich hören?“

Natürlich, ich bin ja schließlich nicht taub. Bisher konnte ich mich immer auf meine Ohren verlassen, und das soll auch so bleiben! Wieso ist es denn dunkel um mich herum, gerade schien doch noch die Sonne?

Wenn nur endlich jemand das Licht einschalten würde, damit ich sehen kann, wer mir da eine so dumme Frage gestellt hat.

„Ja, natürlich! Ich kann Sie hören!“ will ich antworten, aber die Worte scheinen mir nicht so richtig über die Zunge zu kommen!

„Hören Sie mich? Haben Sie Schmerzen?“

Ich habe keine Schmerzen, und ich höre sehr gut. Aber mein Gegenüber scheint kein Wort von mir zu verstehen, was kann denn nur mit ihm sein?

„Nicht ansprechbar!“ sagt die Stimme zu jemandem, der bei ihm ist, „nicht ansprechbar! Hypovolämischer Schock!“ „Können wir den Kopf etwas anders lagern?“ „Ich helfe dir!“ „Vorsichtig!“ Eine zweite Person nimmt meinen Kopf ganz vorsichtig hoch und legt ein Kissen oder so etwas darunter.

„Sieh mal! Kann das eine Schädelfraktur sein?“ „Oh, oh!“ sagt der erste Mensch, „das sieht böse aus! Aber wir müssen zuerst die Wunde am Oberschenkel versorgen, damit er nicht noch mehr Blut verliert! Melanie, machst du das?“ „Ja, natürlich! Ich mache einen Druckverband, hoffentlich reicht das!“ sagt eine neue Stimme, eine anscheinend noch junge Frau, wohl die angesprochene Melanie.

„Wenn die Blutung steht, einen Milliliter Noradenalin, damit er uns nicht wegbleibt!“

Erst widmet sie sich meinem linken Bein. Ich habe das Gefühl, dass sie das Hosenbein zerschnitten hat! So eine Unverschämtheit, die Hose ist fast neu und hat über einhundert Euro gekostet! „Finger weg von meinem Oberschenkel!“ sage ich zu ihr. Keine Reaktion ihrerseits, sie macht einfach weiter. Anschließend hantiert sie an meinem linken Oberarm herum (sie hat doch nicht etwa meine Jacke aufgeschnitten?), scheint ihn zu bandagieren.

Das Atmen fällt mir ein wenig schwer, ich bin wohl vom Radfahren noch etwas erschöpft - ich hätte ja auch etwas langsamer fahren können, aber ich war so gut in Schwung.

Mir ist kalt.

„Wir müssen intubieren, er kriegt keine Luft mehr!“ sagt die erste Stimme wieder. Dann schieben sie mir etwas metallisches in den Hals, es würgt mich - warum nur kann ich nicht reagieren, mich wehren gegen all das, was mir gerade widerfährt? Irgendwie bin ich im falschen Film!

„Blutdruck sinkt! Druckmassage, er bleibt uns weg!“

Kräftige Hände malträtieren meinen Oberkörper. Will man mir die Rippen brechen? „Aufhören! Sofort aufhören!“,

denke, sage ich, schreie ich, aber niemand hört mir zu.

„Druck sinkt weiter!“ sagt Melanie. „Defi aktivieren. Hände weg! Und los!“ Der Mann hört auf, mich zu quälen, denke ich. Irrtum. Ein Stromstoß schüttelt mich regelrecht durch, ich scheine zu fliegen, jedenfalls für einen Augenblick.

„Druck sinkt weiter, vierzig zu zwanzig!“ Wieder ein Stromstoß. Wieder fliege ich in die Luft. „Noch einmal, erhöhen!“ sagt der Mann. Und wieder ein Flug.

„Druck kommt, sechzig zu vierzig. Achtzig zu fünfzig. Er ist wieder da!“ sagt Melanie.

„Sofort in den RTW, und ab dafür!“ Der Mann scheint es jetzt eilig zu haben.

Neben mir ist ein metallisches Geräusch zu hören. Kräftige Hände packen mich und legen mich auf ein weiches Polster. Ich werde festgeschnallt, Hände und Beine werden fixiert! Das will ich aber nicht, so im Dunklen gefesselt werden, und versuche, mich zu wehren: Keine Chance!

„Licht an! Was ist hier los!“ will ich sagen, rufen, hinausschreien. Immer noch ist finstere Nacht um mich herum.

Kein Wort verlässt meinen Mund ...

Mit mir scheint es ein größeres Problem zu geben. Die Stimmen, die ich zuvor gehört habe, entfernen sich.

Ich werde hochgehoben mitsamt dem Polsterteil, auf dem ich liege, und in ein Fahrzeug geladen, das spüre ich genau. Der Rettungswagen, den ich vorhin gehört habe? Tatsächlich! Nachdem die Türen mit lautem Knall geschlossen wurden, fährt der Wagen los. Mit lautem Martinshorn, ein schreckliches Geräusch, mir schmerzen davon die Ohren!

Das Atmen fällt mir immer schwerer. „Er bekommt keine Luft mehr!“ „Beatmen!“ Kalte Luft strömt mir in die Lungen.

„Was sagt der Kreislauf?“ „80 zu 50, Puls 220!“

„Der Fahrer soll sich beeilen, sonst bleibt er uns im Wagen!“

Können die denn nicht langsamer fahren? Von diesem Geschaukel kann einem ja schlecht werden, und dann will dieser Mensch noch schneller fahren?

Ich bin so entsetzlich müde, will nur noch schlafen. „Hallo, bleiben Sie bei uns!“ Die Frau schlägt mir ins Gesicht.

Meine Müdigkeit ist kaum noch zu unterdrücken. Wenn ich doch nur etwas sehen könnte, wenn es doch nur hell wäre - ich falle in eine tiefe Finsternis.

Kapitel 3

Freitag, 12. Mai

Klinikum Emsstadt

09:15 Uhr

„Ich bin Doktor Arser. Können Sie mich hören?“ fragt die Stimme.

Wieder diese dumme Frage, sie scheint bei manchen Menschen zum Standard-Wortschatz zu gehören.

Natürlich kann ich Sie hören, sage ich ihr auch, will ich jedenfalls.

Meine Müdigkeit von vorhin hat sich gelegt, ich bin jetzt wieder hellwach!

„Was haben wir?“ fragt die Frau weiter, Dr. Arser, wie ich jetzt weiß.

„Männlicher Patient, etwa 50 Jahre alt. Verkehrsunfall, nicht ansprechbar. Kreislauf wurde gestützt. Massive Fraktur, offen, mit schwerer Blutung des linken Oberschenkels, Fraktur linker Oberarm, Schürfwunden am Kopf beidseitig und an der linken Hand, eventuell auch Schädelbruch mit Schädel-Hirn-Trauma!“

„Medikation?“ fragt die mir fremde Frauenstimme.

„Nur Noradenalin gegen den Schock, beatmet, reanimiert,“ sagt der Mann, „wir müssen dann wieder!“

Die Stimme kenne ich schon aus dem Rettungswagen, der Mann, wohl ein Rettungssanitäter, macht einen sehr kompetenten Eindruck auf mich.

„Sofort in den Schockraum, OP1 vorbereiten. Dr. Mölders soll kommen.“

Wieder werde ich hochgehoben und auf eine andere Trage gepackt, wieder festgeschnallt.

Ich will das nicht, dieses festschnallen, bin doch kein Gefangener!

Ganz aus der Ferne höre ich eine Durchsage: „Doktor Mölders dringend zur Notaufnahme, Doktor Mölders bitte!“

Mit ziemlicher Geschwindigkeit werde ich durch irgendwelche Gänge oder Flure geschoben. Die Räder meines 'Gefährtes' rattern über den anscheinend gefliesten Boden.

Warum nur ist alles so dunkel? Ich möchte mich gern auf die Seite drehen, vielleicht ist dort eine Lampe.

Geht natürlich nicht, schließlich bin ich festgeschnallt. Die Fahrt durch die Gänge ist beendet, wieder werde ich auf eine andere Liege gehoben. Zumindest weiß ich jetzt durch den Bericht des Rettungssanitäters, was mit mir los ist. Ich hatte also einen Unfall! Mit dem großen Lkw in der Einfahrt? Dann wird mein Fahrrad wohl Schrott sein.

Schade, hat zwölfhundert Euro gekostet, ob das meine Versicherung bezahlt? Sobald ich wieder gesund bin, werde ich dort anrufen – vielleicht kann das aber ja auch meine Beate schon vorher erledigen ...

Im Hintergrund murmeln mehrere Stimmen, Dr. Arser scheint auch dabei zu sein. Leider kann ich kein Wort verstehen. Dann deutlich: „Sind die Angehörigen verständigt?“ „Noch nicht, mach ich jetzt.“

Man soll meine Frau benachrichtigen, sie informieren, dass ich hier bin, will ich sagen. Die Worte wollen einfach nicht über meine Lippen kommen.

Jemand gibt mir eine Spritze in den rechten Arm. Ich werde schrecklich müde, falle, falle immer tiefer; bunte Farben ziehen mit Wahnsinns-Geschwindigkeit an mir vorbei, so muss sich ein Drogenrausch anfühlen.

Dann, als wenn ein Gummiband reißt, ist mein Fallen vorbei. Ich schlage nicht irgendwo auf, nur der Absturz ist zu Ende.

Die Stimmen um mich herum hören sich an wie durch Watte, verstummen – ich fühle mich wie eingewickelt, eingesponnen Um mich herum ist es dunkel, und jetzt greift die tiefe Dunkelheit auch nach mir, man kann sagen in mich hinein, breitet sich immer weiter in mir aus. Ist das jetzt das Ende meiner Existenz, meines Lebens?

Kapitel 4

Freitag, 12. Mai

Boutique „access moderne“

09:40 Uhr

Beate hat kaum die Tür „Ihrer“ Boutique aufgeschlossen, als sich mit einem fröhlichen „Hallo!“ ihr Smartphone meldet.

„Beate Schaf, guten Morgen!“.

„Klinikum Emsstadt, Tschirner, guten Morgen! Frau Schaf, ich habe Ihnen eine schlimme Nachricht zu übermitteln.

Ihr Mann Berthold hatte einen Unfall und wird zur Zeit notärztlich versorgt. Wenn es Ihnen möglich ist, sollten Sie so bald wie möglich kommen!“

„Was ist passiert?“ das Blut weicht ihr aus dem Gesicht, ihr wird schwindlig, fast schwarz vor den Augen - sie muss sich ganz schnell setzen. Berthold, einen Unfall? Sofort steigen schreckliche Bilder vor ihrem geistigen Auge hoch.

Berthold. Unfall. Krankenhaus. Die Kinder.

„Näheres kann ich Ihnen leider nicht sagen, bitte kommen Sie!“

Lilo, ihre Kollegin, kommt herein. „Was ist denn mit Dir los? Du bist ja leichenblass!“

Beate erzählt von dem Anruf aus dem Krankenhaus.

„Du fährst natürlich sofort hin, den Laden hier werde ich schon meistern!“ Lilo nimmt sie aufmunternd in die Arme.

„Wird wohl nicht so schlimm sein ...“

„Gut, dass ich heute mit dem Auto hergekommen bin“, denkt Beate, „oder auch nicht gut! Wenn Berthold den Wagen genommen hätte, wäre ihm wahrscheinlich nichts passiert.“

Es sind nur wenige Schritte bis zum Parkplatz. Die Fahrt zum Krankenhaus in der Stadt erscheint ihr jedoch unendlich lang.

„Berthold! Unfall!“

Beates Gedanken kreisen immer wieder um diese Worte: „Hätte er doch nur den Wagen genommen!“.

Kreuzung Mittelweg – Wilhelmstraße. Rote Ampel. Beate nimmt sie erst im letzten Moment war. Vollbremsung direkt vor dem Querverkehr. Gerade noch einmal nichts passiert!

Als die Wilhelmstraße wieder frei ist, will sie weiterfahren, will zu ihrem Mann, zum Krankenhaus. Ein Streifenwagen hält direkt vor ihr.

„Bitte aussteigen und die Fahrzeugpapiere!“ wird sie von dem älteren der beiden Beamten angeherrscht. „Das ist ja gerade noch einmal gut gegangen, junge Frau. Haben Sie Alkohol getrunken? Hauchen Sie mich einmal an!“

Der Jüngere geht inzwischen mit ihren Papieren zum Streifenwagen, zur Überprüfung.

„Alles sauber, Herbert!“ sagt er dem Älteren.

„Wieso sind Sie denn überhaupt so zügig in die Kreuzung eingefahren, haben Sie die Ampel nicht gesehen?“

„Mein Mann! Unfall! Krankenhaus!“ kann Beate nur stammeln. „Ich muss ganz schnell dorthin!“

„Ohne eine Anzeige kann ich Sie aber nicht davonkommen lassen. Überfahren des Rotlichtes, fahrlässige Verkehrsgefährdung. Das kostet Geld und Punkte!“.

Der jüngere Beamte mischt sich ein. „Meinst Du nicht, Herbert, dass wir Gnade vor Recht ergehen lassen sollten, in diesem besonderen Fall? Ich habe vorhin die Meldung von dem Unfall gehört, ganz schön heavy ...“

„Meinst Du? OK, lassen wir es bei einer Ermahnung! Das wird uns hoffentlich keinen Ärger bringen!“. Er füllt einen Zettel aus und reicht ihn Beate. „ Fahren Sie weiter!“

Erleichtert, noch zitternd von dem Schreck wegen des Fast-Zusammenstoßes, fährt Beate weiter Richtung Krankenhaus. „Noch etwa zehn Minuten, dann müsste ich da sein“, sagt sie zu sich.

Die Strecke scheint ihr unendlich lang - noch etwa fünf Minuten. Das Krankenhaus kommt in Sicht.

Einparken! Aber wo? Alle Parkplätze sind belegt vor dem langgestreckten Gebäude, und die Ampel des Parkplatzes zeigt „BELEGT“.

Egal! Beate stellt den Wagen am Zaun neben einem Seiteneingang ab.

Motor aus. Aussteigen. Im Laufschritt zum Haupteingang, zur Anmeldung. Drei Leute sind vor ihr. Es ist 9:55 Uhr.

„Entschuldigung!“ drängt sie sich vor, „Entschuldigung, mein Mann wurde gerade nach einem Unfall eingeliefert.

Wo finde ich ihn?“

Murren bei den zurückgedrängten Wartenden.

„Name?“ „Berthold Schaf“. „Schaf? Wie man es spricht?“

„Ja,“ Beate wird ungeduldig, „Schaf wie Schaf!“

„Aja, da haben wir ihn ja, aber sie können jetzt nicht zu ihm, er ist im OP. Der Lotse bringt Sie in den Warteraum.“

In Begleitung des jungen Mannes, wohl ein Praktikant oder Student, geht Beate durch die langen Flure, über diverse Treppen, vorbei an Wartezonen und vielen Türen.

„Da wären wir“, sagt der junge Mann zu ihr, „hier auf der Sitzbank können Sie warten!“

Beate dankt ihm; allein hätte sie nie hierher gefunden.

An der Wand ist eine große Digitaluhr installiert. Beate starrt ständig auf die sich veränderten Zahlen, ohne sie wirklich wahrzunehmen.

Hinter der Glastür rührt sich nichts. Ist Berthold wirklich dort? Warum kommt denn nicht jemand heraus, ich muss doch wissen, wie es meinem Mann geht!

Nach gefühlten Stunden endlich Schatten hinter der Milchglasscheibe. Dann öffnet sich die Tür, mehrere grün gekleidete Menschen kommen heraus, ein Arzt und mehrere Schwestern.

„Sie sind Frau Schaf?“ „Ja, wie geht es meinem Mann?“

Die Anzeige an der Uhr springt auf 12:30 Uhr.

„Er hat die Operationen überstanden, es war zeitweise etwas kritisch. Jetzt haben wir ihn aber auf die Intensivstation verlegen können.“

„Kann ich zu ihm?“

„Nein, das geht heute nicht, Ihr Mann braucht unbedingt Ruhe. Sie sollten nach Haus fahren. Geben Sie der Schwester Ihre Telefonnummer. Man wird Sie anrufen, wenn Sie zu ihm können!“

Eine der Krankenschwestern tritt zu ihr: „Können wir noch ein paar Formalitäten erledigen? Das wäre ganz gut, aber wenn es Ihnen nicht möglich ist, machen wir das morgen; und bitte die KV-Karte Ihres Mannes mitbringen!“

Beate ist froh, sich nicht heute mit Papierkram belasten zu müssen.

Die Angst um ihren Mann ist ihr ins Gesicht geschrieben; die Schwester spricht ihr gut zu. „Sie können im Moment nichts für ihn tun. Er wird noch eine lange Zeit in der Narkose bleiben. Fahren Sie nach Haus, wir rufen Sie an!“

Wie benommen macht sich Beate auf den Heimweg. In ihren Gedanken hat sie schon bei den Worten der Schwester das Wort 'Narkose' durch das Wort 'Koma' ersetzt.

So etwa um drei Uhr kommt sie bei ihren Kindern an, die sie natürlich schon sehnsüchtig erwarten und wissen möchten, was mit ihrem Papa los ist, wie es ihm geht.

„Kinder, lasst uns heute Abend in Ruhe über alles reden, jetzt geht ihr, wenn ihr wollt, zu euren Freunden. Aber, Johanna, bitte nicht übernachten, ich möchte euch nachher bei mir haben!“

Kapitel 5

Samstag, 13. Mai

In der Wohnung der Schafs

7:07 Uhr

Eine über weite Strecken schlaflose Nacht liegt hinter Beate.

Am Abend hat sie noch lange mit den Kindern über die neue Situation gesprochen, so offen und ehrlich, wie es ihr nur möglich war, und jetzt haben sich Malte und Johanna zu ihr ins Bett gekuschelt. „Wir werden eine hoffentlich nicht sehr lange Zeit ohne Papa zurechtkommen müssen, ich habe keine Ahnung, wie lange er im Krankenhaus sein wird. Ich hoffe nur, dass die Kopfverletzung nichts Ernstes nach sich zieht ...“

„Ach, Mama,“ Johanna versucht, sie zu trösten, „wir sind doch bei dir, und wir drücken dem Papa ganz fest die Daumen!“

„Was wird denn nun aus unserem Urlaub?“ Malte denkt da ganz praktisch, „den müssen wir doch absagen, oder?“

„Kann ich noch nicht sagen, die Ärzte wollen heute noch einmal genauer untersuchen, gestern war ja alles nur wegen der akuten Verletzungen. Ich hoffe, heute wissen sie mehr!“

„Was hat er denn gesagt, wie geht es ihm?“ Malte setzt nach, „hat er Schmerzen?“

„Ich habe nicht mit ihm reden dürfen, keine Ahnung, aber nachher fahre ich zu ihm, und wenn es geht, hole ich euch auch ab. Kommt, ihr zwei, lasst uns frühstücken, dann werden wir weitersehen ...“

Beate geht als erste ins Badezimmer, versucht, die Müdigkeit aus dem Körper zu vertreiben – eine kalte Dusche bringt sie in kurzer Zeit in Schwung. Haare föhnen, Zähne putzen, das muss reichen. Ins Geschäft geht sie heute nicht, das hat sie schon gestern mit ihrer Kollegin Lilo abgesprochen, ihr Mann und die Kinder sind wichtiger.

Die Kinder haben sich wieder in die Kissen gekuschelt, als sie die Tür zum Schlafzimmer öffnet.

„Jetzt aber raus aus den Federn, und Zähne putzen nicht vergessen!“ Die Zwei springen aus dem großen Bett, in dem sie mit ihrer Mama in der letzten Stunde lagen; beide versuchen, als erste das Bad zu erobern – wie fast immer gewinnt Johanna den kleinen morgendlichen Wettstreit.

„Och manno, nun muss ich wieder auf die warten“, mault Malte.

„Wer ist denn die?“, fragt Beate den Jungen auf dem Flur, sie hatte Maltes letzte Worte mitgehört. „Na, die Große, wer denn sonst? Immer drängelt sie sich vor!“

Johanna ist heute früh, ganz anders als an 'normalen' Tagen, ziemlich schnell mit ihrer „Morgentoilette“ fertig und macht ihrem kleinen Bruder den Weg frei, geht in ihr Zimmer zurück, um sich anzuziehen.

Schon einige Minuten später ist sie in der Küche zu finden, hilft Beate, die schon begonnen hat, den Tisch herzurichten, beim Vorbereiten des Frühstücks. „Mama, wir brauchen heute aber nur drei Gedecke, Papa ist doch nicht da!“

Beate, ganz in ihre Gedanken vertieft, schreckt auf: „Ach ja, ich war in Gedanken, entschuldige bitte!“

„Du brauchst dich doch nicht entschuldigen“, versucht Johanna, sie zu trösten, denn bei Beate kommen ein paar Tränen, und sie nimmt ihre Tochter in die Arme. „Du hast ja Recht, mein Mädchen!“

Es dauert nicht sehr lange, bis auch Malte zum Frühstück erscheint. „Hab ich einen Hunger!“

„Brötchen gibt es heute nicht, ich hatte keine Lust, zum Bäcker zu fahren, samstags kommt der Bäckerjunge ja nicht - und Papa kann ja leider nicht hinfahren“. Beate hat den Satz noch nicht ganz beendet, als ihr schon wieder die Tränen kommen.

„Mama - Papa ist doch nur im Krankenhaus! Wenn es ihm relativ gut geht, werden Johanna und ich ihn heute Nachmittag besuchen fahren!“ Malte ist voller Optimismus.

„Aber nicht mit dem Rad, sondern mit dem Bus!“, Beate ist betroffen, „nachher werde ich erst einmal mit dem Krankenhaus telefonieren, ob wir überhaupt zu Besuch kommen können.“

„Wenn wir heute nicht zu ihm dürfen, möchte ich gern mit meinen Freunden Fußball spielen, ich habe gestern schon das Training verpasst!“ „Und ich möchte dann gern zu Anna!“

„Lasst uns bis zum Mittag warten mit euren Plänen, dann sehen wir weiter.“

Beate will nicht, dass sich die Kinder schon festlegen, erst einmal sehen, was das Krankenhaus sagt, wenn auch an einem Samstag wahrscheinlich nicht sehr viel zu erfahren sein wird …

Mit dem Frühstücken und dem anschließenden Aufräumen ist es inzwischen etwa zehn Uhr geworden. Beate sucht die Nummer des Krankenhauses aus dem Telefonbuch heraus und speichert sie in ihrem Smartphone ab – sie wird sie ja wahrscheinlich in den kommenden Tagen noch häufiger benötigen. Dann wählt sie die Nummer an.

„Klinikum Emsstadt! Mein Name ist Gudrun Meierbeer - was kann ich für sie tun?“

„Mein Mann wurde gestern nach einem Unfall bei Ihnen eingeliefert, und ich möchte mich nach seinem Zustand erkundigen!“

„Wie ist der Name?“

„Berthold Schaf“.

„Wie man es spricht?“

„Ja, Schaf wie Schaf!“ Beates Stimme klingt jetzt etwas ärgerlich, alle Welt fragt bei ihrem Familiennamen immer erst noch einmal nach … „Da haben wir ihn, ich verbinde sie mit der Station!“

„Danke!“ Aber da ist die Stimme von Gudrun Meierbeer schon weg.

„Neurologie Eins, Schwester Carolin. Kann ich ihnen weiterhelfen?“

„Mein Mann liegt bei ihnen, Berthold Schaf, wie geht es ihm?“

„Dazu darf ich ihnen am Telefon keine Auskunft geben, aber wenn es ihnen möglich ist, sollten sie kurzfristig vorbeikommen – bis dreizehn Uhr ist Dr. Mölders, unser Oberarzt, noch im Haus!“

„Danke, Schwester, ich bin schon unterwegs!“