3 Bewegende Arztromane März 2023: Super Arztroman Sammelband - Anna Martach - E-Book

3 Bewegende Arztromane März 2023: Super Arztroman Sammelband E-Book

Anna Martach

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Beschreibung

3 Bewegende Arztromane März 2023: Super Arztroman Sammeband (399) von Thomas West, Anna Martach Über diesen Band: Dieser Band enthält folgende Arztromane: Anna Martach: Zwei Herzen auf dem Irrweg Thomas West: Eine Ärztin und Stunden der Angst Thomas West: Hoffnung ist stärker als der Tod Auf dem Weg nach Mannheim erfährt Felix Söhnker von dem Verhältnis seiner Frau. Es kommt zum Streit, und auf der regennassen Straße verliert Edith die Gewalt über den Wagen. Im Krankenhaus kommen die beiden wieder zu sich. Während Edith mit ihren schweren Verletzungen hadert, wird Felix von Schwester Marianne betreut, die selbst noch nicht über den Tod ihres Verlobten hinweggekommen ist.

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3 Bewegende Arztromane März 2023: Super Arztroman Sammeband

Anna Martach and Thomas West

Published by BEKKERpublishing, 2023.

Inhaltsverzeichnis

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3 Bewegende Arztromane März 2023: Super Arztroman Sammeband

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Zwei Herzen auf dem Irrweg

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Eine Ärztin und Stunden der Angst

Eine Ärztin und Stunden der Angst

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About the Publisher

Thomas West Arztroman - Hoffnung ist stärker als der Tod

Hoffnung ist stärker als der Tod

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About the Publisher

3 Bewegende Arztromane März 2023

von Thomas West, Anna Martach

Über diesen Band:

Dieser Band enthält folgende Arztromane:

Anna Martach: Zwei Herzen auf dem Irrweg

Thomas West: Eine Ärztin und Stunden der Angst

Thomas West: Hoffnung ist stärker als der Tod

––––––––

Auf dem Weg nach Mannheim erfährt Felix Söhnker von dem Verhältnis seiner Frau. Es kommt zum Streit, und auf der regennassen Straße verliert Edith die Gewalt über den Wagen. Im Krankenhaus kommen die beiden wieder zu sich. Während Edith mit ihren schweren Verletzungen hadert, wird Felix von Schwester Marianne betreut, die selbst noch nicht über den Tod ihres Verlobten hinweggekommen ist.

Copyright

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Zwei Herzen auf dem Irrweg

Alpendoktor Daniel Ingold – Band 21

von Anna Martach

Der Umfang dieses Buchs entspricht 106 Taschenbuchseiten.

In Hindelfingen soll die Hochzeit des Jahres stattfinden: Stefanie Ammersberger und Frank Eschbacher wollen sich das Ja-Wort geben. Doch dann flieht Frank vom Altar. Was steckt dahinter und werden die beiden wieder zueinanderfinden?

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

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1

Schon vor der eigentlichen Trauzeremonie flossen die Tränen in Strömen. Noch während die Kirchenglocken von St. Antonius das freudige Ereignis in alle Welt verkündeten, saßen auf den Kirchenbänken die Eltern der Braut, wie auch Vreni Kollmannberger, und schnieften um die Wette. Vreni war mit Arndt und Emma Ammersberger eng befreundet. So war es natürlich eine Ehrensache, heute am Hochzeitstag von Stefanie und Frank dabei zu sein.

Als das junge Paar sich endlich fürs Leben gefunden hatte, war wohl niemand glücklicher gewesen als „das lebende Tageblatt“ von Hindelfingen. Sie, die keine Gelegenheit ausließ, über alle Leute die tollsten Geschichten zu erzählen, hatte im Vorfeld tatsächlich über diese junge Liebe geschwiegen. Bis zu dem Tag, da endlich die Verlobung bekanntgegeben werden konnte.

Heute nun war endlich der große Tag gekommen, da die Hochzeit des Jahres stattfinden sollte. Die Tochter des größten Fabrikanten der Umgebung und der Sohn des größten Holzhändlers, der Filialen im ganzen Land besaß, traten vor den Traualtar.

Es war das Ereignis des Jahres, und ganz Hindelfingen war auf den Beinen, um nicht eine Sekunde davon zu verpassen.

St. Antonius, die mehr als vierhundert Jahre alte Kirche, war erst vor kurzer Zeit restauriert und renoviert worden, die Fresken strahlten in freundlichen hellen Farben, wetteiferten mit dem üppigen Blumenschmuck, und machten die Kirche zu einem freundlichen und angemessenen Ort für diese Trauung. Festlich gekleidete Angehörige des Brautpaares füllten die vorderen Reihen der Kirchenbänke. Von dort aus hatte man den besten Blick auf den Altar, vor dem der Bräutigam mit dem Trauzeugen bereits wartend stand. Er wirkte nervös, aber welcher Bräutigam war das wohl nicht an dem wichtigsten Augenblick seines Lebens?

Frank Eschbacher hatte feuchte Hände, war bleich und warf immer wieder unruhige Blicke in die Runde. Schließlich setzte doch der Hochzeitsmarsch von der Orgel ein, und die Braut, Stefanie Ammersberger, schritt am Arm ihres Vaters herein.

Das Kleid war atemberaubend, ein Traum aus Seide und Spitze, verziert mit einer Unzahl an Perlen und Rüschen. Mit feierlichem Gesicht schritt die junge Frau durch die Reihen der Kirchenbänke bis nach vorn, wo ihr zukünftiger Ehemann wartete und ihr erwartungsvoll und staunend entgegenschaute. Die letzten drei Schritte, die Treppe zum Altar hinauf, ging die Braut allein und stand mit klopfendem Herzen vor Pfarrer Feininger.

Stefanie war ihr Leben lang behütet geworden, die Eltern hatten ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen, und praktisch niemals war ihr etwas abgeschlagen worden. Dieser Tag sollte jetzt die Krönung ihres Lebens werden. Sie bekam den Mann, den sie schon seit ihrer Schulzeit hatte haben wollen, und damit erfüllte sich ihr Traum von einem perfekten Leben. Finanzielle Sorgen hatte sie nie gekannt, ebenso wenig wie andere Probleme, immer hatten die Eltern alles von ihr ferngehalten, was sie belasten oder betrüben könnte, eigentlich hatte Stefanie noch gar nichts vom Leben kennengelernt. Und aller Voraussicht nach würde Frank Eschbacher auch im weiteren Verlauf dafür sorgen, dass sich an diesem Zustand für die junge Frau nichts änderte.

Von Hause aus war er wohlhabend genug, um ebenfalls finanzielle Probleme nur vom Hörensagen zu kennen, doch er war frühzeitig schon in der Firma seines Vaters eingespannt gewesen und galt als fleißiger Mann, der das Geld, was er durch seine Arbeit verdiente, sehr wohl zu schätzen wusste. Auf jeden Fall würde er seiner Frau den Lebensstandard bieten können, den sie von den Eltern her gewöhnt war und natürlich auf weiterhin erwartete.

Pfarrer Raphael Feininger sprach die einleitenden Worte, und wieder wurde Schluchzen laut aus den Reihen der Angehörigen, schließlich stellte er die entscheidende Frage.

„Ja“, erwiderte Stefanie mit fester Stimme und strahlte.

Doch Frank zögerte plötzlich. Er hielt den Ring in der Hand, starrte auf die junge Frau, sein Blick wanderte zum Priester und dann über die Menschen in der Kirche.

„Ich – ich kann das net tun. Stefanie, es tut mir leid, aber ich kann dich net heiraten.“

Er ließ den Ring fallen und lief die Stufen hinunter, dem Ausgang zu.

Im Kirchenraum herrschte eine unheilvolle Stille.

„Du kannst mich doch jetzt net hier stehenlassen“, flüsterte die junge Frau, fasste sich dann aber etwas. „Wenn du jetzt gehst, brauchst mich nie wieder anzusprechen, dann bist für mich gestorben.“

„Das wird auch besser sein“, rief Frank über die Schulter zurück. „Verzeiht mir, aber irgendwann werdet ihr alle es verstehen.“

Er rannte hinaus und ließ eine total verwirrte Hochzeitsgesellschaft und eine hemmungslos schluchzende Braut zurück.

2

Als Frank hinausgelaufen und die schwere hölzerne Tür hinter ihm zugeschlagen war, setzte ein aufgeregtes Gerede ein. Alle sprachen durcheinander, jeder wollte etwas dazu zu sagen haben, und doch gab es ja eigentlich nur zwei Leute, die dieses Thema wirklich etwas anging. Ausgerechnet diese beiden hatten aber im Augenblick keine Meinung.

Frank Eschbacher war weg, und Stefanie stand fassungslos noch immer am Altar. Jetzt sprang ihre Mutter auf und zog die junge Frau tröstend in die Arme.

„Mein armes Kleines, so ein Skandal. Wie kann dieser Depp es wagen, dich vor dem Altar stehen zu lassen? Wie soll ich das nur den Gästen erklären, und den Geschäftsfreunden, und ... Ach, das ist ja alles so schrecklich. Geht es dir gut? Nein, bestimmt net, wie sollte es dir denn auch gut gehen?“ Die Frau machte allerdings selbst den Eindruck, als ginge es ihr nicht gut, sie stand eindeutig unter Schock. Ihre Tochter hingegen hielt sich aufrecht, Zorn loderte in den hübschen blauen Augen, aber nicht mehr eine Tränen floss.

„Das wird er mir büßen“, stieß sie hervor.

Aus einer der hinteren Bänke kam Doktor Daniel Ingold, der hiesige Arzt, nach vorn und musterte die beiden Frauen. Nach einem Zwischenfall von solcher Tragweite wie diesem würde es nicht einfach sein, wieder zur Tagesordnung überzugehen. Der Arzt rechnete mit einem hysterischen Anfall, da konnte es durchaus sein, dass seine Hilfe gebraucht wurde.

Mittlerweile standen alle Gäste auf, fanden sich in kleinen Gruppen zusammen, diskutierten aufgeregt oder machten sich schon auf den Heimweg, um dort von diesem unerhörten Skandal zu berichten.

Das finstere Gesicht des Brautvaters zeigte Daniel, dass diese Angelegenheit noch lange nicht beendet war. Auch der Vater des Bräutigams stand wie erstarrt da, doch nun trafen beide Männer aufeinander.

„Das hat dein Sohn net umsonst getan“, grollte Arndt Ammersberger. Wilhelm Eschbacher wirkte selbst total unglücklich.

„Ich weiß auch net, was in den Frank gefahren ist, aber er hat bestimmt einen guten Grund, warum er das getan hat.“

„Kein Grund kann gut genug sein, dass meine Tochter als verlassene Braut am Altar stehen bleibt.“

„Nun mal langsam“, mischte sich der Pfarrer ein. Auch er war überrascht und verwirrt, hatte er die beiden doch ebenfalls für ein Traumpaar gehalten. Die meisten jungen Leute waren vor dem Traualtar schrecklich nervös, aber hier beim Frank hatte der Feininger gespürt, dass mehr dahinter stecken musste als die ganz normale Aufregung. Frank hatte ängstlich gewirkt, mehr sogar noch als das, er war von regelrechter Panik erfüllt gewesen. Der Priester hatte in seinem langen Leben schon unzählige Erfahrungen gemacht, und er konnte heute mit Bestimmtheit sagen, dass dieser junge Mann zutiefst verzweifelt gewesen war.

Liebte er vielleicht eine andere? Ach, nein, da hätte er ganz bestimmt den Mut gehabt, im Vorfeld schon die Fronten zu klären, dazu brauchte es nicht erst die Zeremonie in der Kirche. Also musste es einen anderen Grund geben. Aber welchen?

Nun, früher oder später würde dieser Grund offenbar werden, wenn auch vielleicht nicht gleich heute.

Die beiden Väter starrten den Priester missmutig an, in seiner Gegenwart wagten sie es nicht, einen offenen Streit ausbrechen zu lassen.

„Ich glaub‘ net, Herr Pfarrer, dass unser Herrgott für einen solchen Dummkopf auch noch Liebe und Verständnis übrig hat“, wehrte der Brautvater unwirsch ab.

Feininger lächelte. „Sag das lieber unserem Herrgott selbst, was er zu tun und zu lassen hat, wirst schon sehen, dass er ganz anders denk‘ als du. Selbst wenn der Frank aus Dummheit gehandelt haben sollt‘, was ich net so recht glauben will, dann gäb‘s auch dafür ein Verzeihen. Aber bevor keiner von uns was Genaues weiß, ist‘s mehr als unchristlich, wennst ein Urteil fällst und deswegen einen Krieg in zwei Familien tragen tätst, der absolut unnötig und dumm ist.“

Der Mann ließ beschämt den Kopf sinken. „Ich werd‘ drüber nachdenken, Herr Pfarrer“, versprach er. „Aber ich sag‘s Ihnen, und jedem anderen auch: wenn der Frank net wirklich einen guten Grund hat, werd‘ ich ihn selbst in der Luft zerreißen.“

„Dann willst den Burschen einfach so davonkommen lassen?“, begehrte jetzt seine Frau auf.

„Da ist noch gar nix entschieden. Ich denk‘, erst mal wird Frank Eschbacher eine ganze Menge Fragen zu beantworten haben.“

„So ist‘s recht“, stimmte der Pfarrer zu. „Mich tät‘s nämlich auch brennend interessieren.“

3

Der junge unglückliche Mann, um den sich die ganze Aufregung drehte, saß verzweifelt auf einer Bank im Garten von Doktor Ingold. Hier hoffte er, von niemandem gefunden zu werden. Nur niemanden sehen, nur keine Fragen beantworten, sich am besten vor der ganzen Welt verstecken. Oder doch nicht ganz, er musste dringend mit Daniel reden. Der Arzt war im Augenblick vermutlich der einzige, der ihn verstehen konnte. Im Übrigen würde er auch helfen können – müssen, so jedenfalls hoffte Frank. Er war wirklich zutiefst verzweifelt, und für einen Augenblick wünschte er sich, gar nicht mehr zu leben.

Was sollte er nur tun? Wie sollte er sich verhalten? Allein schon, dass er vor dem Traualtar davongelaufen war, würde sich zu einem handfesten Skandal auswachsen, dessen war er sicher.

Dabei hatte er doch wirklich einen guten Grund, und mit seinem Verhalten hatte er Stefanie nur schützen wollen. Würde sie ihn verstehen, wenn er ihr alles erzählte? Vielleicht hätte er mit seinem Problem überhaupt zuerst zu seiner zukünftigen Frau gehen sollen? Dann hätte er die peinliche Situation heute vielleicht vermeiden können. Aber nein, gerade Stefanie wollte er ja davor bewahren, mit seinem Leid konfrontiert zu werden.

Ob nun wohl alle Gäste weg waren? Wie viel Zeit mochte inzwischen vergangen sein? Wann würde Daniel wohl zurückkommen? Frank versank wieder in dumpfes Brüten, bis ihn das Geräusch eines Autos aufschreckte. Doktor Ingold kehrte von seinen Hausbesuchen zurück, stieg aus dem Wagen, die unvermeidliche Tasche in der Hand, und ging mit festen Schritten auf sein Haus zu. Frank zögerte noch einen Moment. Konnte er dem Arzt wirklich vertrauen? Aber ja, wenn nicht ihm, wem sonst?

Er sprang auf und lief auf Daniel zu, der verblüfft mitten im Schritt innehielt.

„Frank? Was machst denn hier? Die anderen machen sich schon alle große Sorgen. Sag mal, willst net zurückgehen und ein bisserl was erklären? Ich denk‘, die Leut‘ haben alle ein Recht darauf.“

Heftig schüttelte der junge Mann den Kopf. Wie der Arzt bemerkte, sah er etwas derangiert aus, Flecken von Gras und Erde hafteten am Jackett, die Krawatte war nur noch nachlässig um den Hals geschlungen, und der kleine Blumenstrauß am Revers hing traurig herunter.

„Bis ich überhaupt mit irgendwem wieder ein Wort wechsle, muss ich dringend mit dir reden.“

„Dann komm herein, ich mach‘ uns einen Kaffee. Oder willst lieber in die Praxis? Ist es was Medizinisches?“ Daniel war voller Verständnis, er stellte keine überflüssigen Fragen, Frank würde ihm jetzt gleich schon alles erklären, was er wissen musste.

Wenige Minuten später saßen die beiden Männer sich am Küchentisch gegenüber, und der Doktor bemerkte, dass die Hände des anderen zitterten, während sie die Tasse umklammert hielten, als wäre sie der einzige Lebensfaden.

„So, jetzt sind wir allein. Willst mir was erzählen?“, forschte Daniel sanft.

Frank zog die Krawatte endgültig von seinem Hals weg, legte sie auf den Tisch und betrachtete sie voller Wehmut.

„Ich nehm‘ an, ein jeder hat gedacht, ich hätt‘ im letzten Moment Angst vor der Ehe bekommen und wär‘ deswegen weggelaufen?“, begann er zögernd.

„Dieser Eindruck drängte sich auf“, meinte Daniel, „aber ich glaub‘, da ist noch ein bisserl mehr.“

„Hast gar net so unrecht. Ich hätt‘ dies Theater gern vermieden, aber irgendwie fand ich keine Zeit mehr, um noch was zu ändern. Weißt, Daniel, ich bin heut‘ früh noch bei einem anderen Arzt gewesen. Das hat nix mit dir oder mangelndem Vertrauen zu tun. Ich wollt ganz einfach net, dass hier überhaupt jemand weiß, dass mit mir was net stimmt.“

Er machte eine Pause, doch Daniel schwieg. Niemals würde er jemandem Vorwürfe machen, wenn dieser einen guten Grund für sein Verhalten hatte. Außerdem spürte er, unter welch ungeheurer Anspannung Frank stand.

„Schau, das ist so. Ich hab mich vor einiger Zeit ganz normal untersuchen lassen, weil ich sicher sein wollt, dass ich als gesunder Mann in die Ehe gehe. Das hat dann eine Weile gedauert, bis alle Befunde beieinander waren. Und schließlich riet man mir, mich an einen Onkologen zu wenden, weil ich bei der Untersuchung gesagt hab, dass ich manchmal Probleme mit der Lunge hab. Die konnten allerdings nix finden, deswegen waren weitere Untersuchungen angesagt. Da hab ich aber immer noch gedacht, ich hätt‘ eine Erkältung verschleppt und wollt das Ganze net so ernst nehmen. Als es dann aber immer noch net wegging, bin ich doch zu einem Doktor in der Stadt gefahren. Weißt, ich wollt ganz einfach net, dass du mir Vorhaltungen machst, und außerdem sieht hier am Ort ein jeder alles. Da hätt‘s vielleicht auch Gerede gegeben, wenn ich so kurz vor der Hochzeit in die Praxis gekommen wär‘.“

Daniel nickte, er konnte diese Bedenken verstehen. Vreni hätte ganz bestimmt keine Hemmungen gehabt, den jungen Mann ganz offen zu fragen, an welcher Krankheit er litt.

Frank nahm einen Schluck aus seiner Tasse und fuhr fort.

„Naja, ich muss dir net erklären, wie solche Untersuchungen vor sich gehen. Auf jeden Fall hat der Doktor Kehl festgestellt, dass ich ...“ Frank schluckte und umklammerte seine Kaffeetasse noch fester. „Er hat festgestellt, dass ich Lungenkrebs hab.“

Daniel fixierte den Mann gegenüber. Das war ja eine verheerende Diagnose, und eine Verschwendung jungen Lebens.

„Doktor Kehl ist sich ganz sicher?“, forschte er sanft nach, obwohl das eigentlich überflüssig war. Werner Kehl galt in Fachkreisen als fähiger Diagnostiker, auch wenn er in seiner manchmal schroffen Art nicht immer das Vertrauen der Patienten genoss. Die wollten und mussten nun einmal gehätschelt werden, wenn sie die Befürchtung oder Bestätigung hatten, dass sie von einer schweren Krankheit heimgesucht wurden. Daniel selbst hatte schon viele seiner Patienten an den Kollegen überwiesen, und gerade im Bereich der Vorsorge vertraute der Alpendoktor ihm voll und ganz. Bereits viele schwere Fälle waren durch die sichere und kompetente Diagnose von Doktor Kehl vermieden worden.

„Er hat‘s mir grad heut‘ früh noch bestätigt“, erklärte Frank denn auch mit brüchiger Stimme. „Und ich wusst‘ gar net mehr, was ich machen sollt‘. Da konnte ich doch net mal mit der Stefanie drüber reden, ausgerechnet an unserem Hochzeitstag.“ Er lachte bitter auf, der Ton ging dann zu einem trockenen Schluchzen über.

„Hätt‘st aber vielleicht mit dem Herrn Pfarrer drüber reden sollen. Was du da grad vor dem Altar gemacht hast, war auch net besonders klug. Aber das lässt sich jetzt eh net mehr ändern. Ich denk‘, wichtig ist jetzt, dass du deiner Familie, und auch Stefanie und ihren Eltern erklärst, was los ist. Vorhin hätt‘s schon fast eine Rauferei gegeben, weil sich eure Väter net einig werden konnten über deine Dummheit. Außerdem solltest dir Gedanken machen, wie es nun weiter gehen soll. Sollt‘ der Doktor Kehl deine Behandlung weiter führen, dann würd‘ ich ihm meine Unterlagen zur Verfügung ...“

„Aber nein, wie kommst denn darauf?“, fragte Frank jetzt verblüfft.

„Na, ich dacht‘, du möchtest vielleicht einen Arzt außerhalb ...“

„Schmarrn“, unterbrach der junge Mann erneut. „Ich hab dir doch grad erklärt, warum ich net zuerst zu dir gekommen bin. Aber auf keinen Fall werd‘ ich mich woanders weiter behandeln lassen. Ich will schon, dass du das übernimmst. Zu dir hab ich Vertrauen, da braucht‘s keinen anderen Doktor. Wie schaut das aus, soll ich die Unterlagen von dort holen, oder schickt der dir was zu?“ Frank bemühte sich um ein bisschen Normalität, um seine Erschütterung zu verbergen.

„Darum brauchst dich net zu kümmern. Aber jetzt sag mir noch mal genau, was Doktor Kehl als Diagnose festgestellt hat.“

Gequält schaute Frank den Arzt an. „Ein Lungenkarzinom, inoperabel. Reicht das net?“

„Ja, fürs erste. Und es wird ganz bestimmt net besser werden oder weggehen, wennst dich jetzt selbst verrückt oder andere dafür verantwortlich machst. Du kannst jederzeit zu mir kommen, wennst reden willst oder auch mit dir selbst net fertig wirst. Es wird net leicht werden, das kann ich dir jetzt schon sagen. Es wird manchmal ganz plötzlich kommen, dass alles über dir zusammenschlägt und du glaubst, du fällst in ein großes schwarzes Loch. Dann wirst bestimmt wen brauchen, bei dem du einfach mal Dampf ablassen kannst. Ich weiß net, ob du noch jemanden hast, zu dem du ausreichend Vertrauen hast, musst du auch selbst wissen. Ich biete dir meine Hilfe an, kannst darauf zurückgreifen, wennst magst.“

Ein gequältes Lächeln zeichnete sich auf den schmalen Lippen des jungen Mannes ab.

„Ich bin dir sehr dankbar, auch dafür, dass du mich net gleich verurteilt hast. Wird vielleicht ein Fehler gewesen sein, die Stefanie allein da stehen zu lassen, und ich werd‘ mir was einfallen lassen müssen, um ihr das begreiflich zu machen. Aber ich hoff‘ ganz einfach, dass sie genug empfindet, um mir verzeihen zu können und zu verstehen, dass ich sie nur schützen wollt‘.“

„Und wann soll der neue Termin für eine Trauung sein?“, fragte Daniel lächelnd. Er hoffte, die erste schwierige Klippe umschifft zu haben.

„Ein neuer Termin? Aber niemals“, fuhr Frank auf. „Ich könnt es keinem Menschen zumuten, an meiner Seite zu bleiben und zuzusehen, wie ich langsam sterbe. Soll sie mich vielleicht pflegen und jeden Tag aufs Neue daran erinnert werden, dass sie schon in wenigen Wochen Witwe sein wird? So verrückt kannst net mal du sein, dass du das ernstlich vorschlägst.“

„Siehst da net doch ein bisserl zu schwarz?“

„Nein, ich mach‘ mir da nix vor, und du solltest das auch net erst versuchen“, erklärte Frank müde. „Du bist Arzt, ich muss dir doch bestimmt net erklären, wie der Krankheitsverlauf ist. Also fang‘ erst gar net an, mir was vorzulügen.“

Daniel seufzte. „Ich halt auch net viel davon, einen Patienten anzulügen. Aber es sollte dem Arzt gestattet sein, zum Schutz des Patienten, die Wahrheit ein bisserl zu verschleiern – ohne zu lügen.“

„Find‘st eigentlich immer eine Ausrede?“

„Nein, leider net“, musste der Doktor zugeben.

4

Am nächsten Tag bekam Daniel gegen Abend per Kurier einen Umschlag. Die Unterlagen von Doktor Kehl über den Patienten Frank Eschbacher waren detailliert und ausführlich. Die Sprechstunde in der Praxis zog sich noch eine ganze Weile hin, und der Arzt beschloss, erst am Abend, wenn er allein war, die Ergebnisse der Untersuchungen zu studieren und sich selbst ein Bild zu machen. Allerdings gab er sich keinen Illusionen hin, Doktor Kehl machte seine Arbeit stets sorgfältig und würde sich auch in diesem Fall kaum geirrt haben.

Endlich verließ auch der letzte Patient für heute die Praxis. Daniel verabschiedete seine beiden fleißigen Helferinnen, Hermine und Maria. Ohne diese beiden Frauen, die sämtliche organisatorischen und Hilfsarbeiten perfekt ausführten, während er sich selbst um die Diagnosen und Behandlungen der Patienten kümmerte, wäre der Arzt vermutlich aufgeschmissen. Er wusste recht gut um die unschätzbare Hilfe der beiden Frauen, die für ihren Chef durchs Feuer gehen würden. Für ihn war nichts selbstverständlich daran, dass besonders Minchen jeden Tag aufs Neue den Betrieb am Laufen hielt. Die junge Maria war noch nicht so lange in der Praxis, doch schon jetzt zeigte es sich, dass auch sie bald ebenso gut alles im Griff haben würde wie ihre ältere Kollegin. Außerdem war sie hoffnungslos verliebt in den Doktor, was sich auch nicht geändert hatte, seit sie selbst ihr Herz an einen jungen Mann verloren hatte. Der allerdings befand sich irgendwo in der Weltgeschichte und baute großartige Hochhäuser und andere Projekte in der Wüste. Irgendwann aber würde er zurückkommen, und Daniel befürchtete, dass er dann eine großartige Kraft verlieren könnte.

Jetzt aber war noch alles im grünen Bereich, und in der Praxis lief alles wie am Schnürchen.

Maria schaute dem Doktor hinterher, als der mit schweren Schritten in seine Wohnung hinüberging. Für ihn war noch längst nicht Feierabend. Von der anderen Straßenseite her näherte sich eine schlanke Gestalt. Bernie Brunnsteiner, die fesche Tierärztin und feste Freundin des Arztes, kam von daheim und wollte Daniel besuchen. Minchen, wie Hermine Walther meist genannt wurde, fand das eine hervorragende Idee. Es würde den Doktor ein bisschen ablenken von all den Sorgen, die er mit seinen Patienten hatte.

Die junge Frau winkte den beiden Arzthelferinnen fröhlich zu und lief leichtfüßig auf das Haus zu. Sie besaß einen Schlüssel und musste nicht klingeln. Drinnen hörte sie Daniel in der Küche hantieren, vermutlich unternahm er gerade einen Versuch, sich selbst etwas zu essen zu machen. Bernie wusste, dass er dann meist mit einem improvisierten Mahl vorliebnahm, daher wollte sie das lieber selbst in die Hand nehmen. Der Doktor liebte gutes Essen, doch allein schon durch seine unregelmäßigen Arbeitszeiten kam er manchmal zu nicht mehr als einer einfachen Brotzeit.

Bernie verwöhnte ihren Daniel gern. Das war wenigstens ein kleiner Ausgleich dafür, dass sie noch immer keine Entscheidung getroffen hatte, ob und wann aus ihnen beiden in absehbarer Zeit ein Paar wurde. Dabei stand das eigentlich gar nicht zur Debatte, ob sie fest zusammenblieben, keiner von ihnen konnte sich ein Leben ohne den anderen vorstellen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, von der allerdings beide nicht gerade im Übermaß besaßen.

Daniel stand am Tisch und bestrich ein Brot mit Butter. Bernie trat lautlos hinter ihn und hielt ihm die Augen zu.

„Wer bin ich?“, fragte sie.

Er runzelte die Stirn, wie sie spüren konnte. „Die Kaiserin von China?“, vermutete er dann scherzhaft.

„Nein.“

„Frau Holle?“

„Knapp daneben.“

„Kleopatra?“

„Einmal darfst du noch.“

Er griff nach ihren Händen, drehte sich um und zog die Frau an sich, um sie herzhaft abzubusseln. „Es ist schön, dass du ein bisserl Zeit für einen überarbeiteten Doktor hast. Du munterst mich immer wieder auf. Wie war deine Konferenz?“

Bernie hatte sich für drei Tage mit einigen Kollegen getroffen, um dringende Gespräche für den Verband der Tierärzte zu führen. Sie hatte daher den Skandal in der Kirche nicht miterlebt. Es gab jedoch in Hindelfingen nichts, was im Verborgenen bleiben konnte, so hatte Vreni nach der Rückkehr der jungen Frau nicht einmal eine Stunde Zeit verstreichen lassen, bis sie alle Einzelheiten bis ins Kleinsten erzählt hatte. Allerdings wusste die Klatschbase von Hindelfingen noch nichts von der Ursache für diesen Skandal. Bisher war es Frank offenbar gelungen das Wissen um seine schreckliche Krankheit im Kreise der Familie zu halten. Es war jedoch nur eine Frage der Zeit, bis alle am Ort darüber Bescheid wussten. Das musste und sollte auch in seinem Interesse sein, denn bisher galt sein Verhalten bei allen Leuten noch immer als unmöglich, die Gründe für diesen Skandal sollten besser nicht geheim bleiben.

Bernie gehörte jedoch zu den Menschen, die von Daniel auch schon mal ins Vertrauen gezogen wurden über Dinge und Vorfälle, die sonst absolut vertraulich waren. Doch sie war ja selbst Ärztin und von daher an Vertraulichkeit gewöhnt.

Die junge Frau machte sich jetzt daran, ein kleines schmackhaftes Essen zu zaubern. Aus den bunt zusammengewürfelten Zutaten mischte sie mit Eiern ein Omelette zusammen, bei dem Daniel das Wasser im Mund zusammenlief.

„Was würd‘ ich nur ohne dich tun?“, seufzte er zufrieden.

„Naja, verhungern wohl net gleich, ein Brot kannst dir ja immer noch machen. Und Kuchen bekommst ja auch reichlich von deinen Patienten geschenkt.“

„Es ist ja net nur das. Weißt, Bernie, es ist jeden Tag das gleiche, wenn die Sprechstunde beendet ist. Ich komm in die Wohnung, und ich fühl‘ mich allein, solange, bis du dann endlich kommst. Du fehlst mir, in jeder Minute, in der du net bei mir bist. Deine Stimme, deine Berührungen, dein Duft – ich vermisse dich ständig.“

Sie legte ihm sanft einen Finger auf die Lippen. „Sprich net weiter, Daniel, ich bitt‘ dich. Noch bin ich net so weit, dass ich guten Gewissens mit dir vor den Traualtar treten könnt‘. Ich liebe dich, Daniel, mehr als alles auf der Welt. Aber ich kann noch net. Sonst könnt‘s glatt passieren, dass ich dich da stehen lassen würde. Aber ich glaub‘, ein Skandal in der Kirche pro Jahr reicht.“ Bernie legte liebevoll einen Arm um Daniel, und er schmiegte sich an sie.

„Mag wohl sein, ich hätt‘ erst gar net davon anfangen dürfen“, sagte er leise. „Schließlich hab ich doch versprochen abzuwarten, bis du so weit bist. Können wir einfach so tun, als hätt‘ ich gar nix gesagt?“ Er verdrängte tief in seinem Innern die Gefühle, die ihn fast überwältigen, Bernie in die Arme zu reißen und den letzten kleinen Widerstand mit seiner Liebe endgültig zu überwinden.

„Hast denn irgendwas gesagt?“, wunderte sich Bernie jetzt gespielt ratlos. „Oh, Himmel, das Omelette.“

Hastig nahm sie die Pfanne vom Herd. Das Omelette war genau richtig, und beide aßen mit gutem Appetit.

„Was hast denn da noch für einen großen Umschlag? Hast dir etwa Arbeit mit nach Hause genommen?“, neckte sie ihn.

„Darüber wollt‘ ich mit dir noch reden. Der Frank hatt‘ tatsächlich einen guten Grund gehabt, die Stefanie vor dem Altar stehen zu lassen, auch wenn er das ein bisserl klüger hätt‘ anfangen sollen.“ Er berichtete von dem Gespräch mit dem jungen Mann, während beide ihre Mahlzeit beendeten. Anschließend betrachteten sie zusammen die Unterlagen, die Doktor Kehl geschickt hatte. Röntgenbilder, Blutanalysen, Laborwerte, alles deutete darauf hin, dass der Kollege sich tatsächlich nicht geirrt hatte.

„Oh, mein Gott, so ein junger Mensch, es tut mir ja so leid. Und es gibt nix, was wir noch tun könnten?“

„Wir?“, fragte Daniel erstaunt.

„Sicher dir, glaubst doch net, dass ich dich mit dem Problem allein lass? Überhaupt, man darf auch den Frank net allein lassen. Hast schon was gehört, ob er sich mit der Stefanie ausgesprochen hat? Ich tät‘s den beiden ja so wünschen, dass da net womöglich Hass zwischen ihnen steht.“

„Ich bin mir da gar net sicher, dass die Stefanie bereit ist, dem Frank die Sache so einfach zu verzeihen. Wenn ich nur dran denk‘, was sie noch vor dem Altar gesagt hat – na ja, und ihre Eltern waren auch net grad begeistert.“

„Aber dafür muss man schon Verständnis haben, auch wenn die Art und Weise sicher net ganz richtig war“, wandte Bernie ein.

„Na, wir werden sehen. Jetzt denk‘ ich aber doch, es ist an der Zeit, die Arbeit für heut‘ zu vergessen“, erklärte Daniel bestimmt und zog Bernie wieder an sich. „Ich glaub‘, es ist viel interessanter, mit dir über andere Dinge zu reden. Komm, erzähl mir lieber, wie dein Tag war.“

Nur zu gern ging die junge Frau auf diese Ablenkung ein. Es tat ihnen beiden gut, ab und zu die drängenden Probleme beiseite zu schieben. Sie ahnte schon jetzt, dass dieses Kapitel noch lange nicht ausgestanden war.

5

Frank war der Ansicht, dass es im Augenblick wohl besser war, mit Stefanie auf neutralem Boden zu reden. Würde er zu ihr nach Hause gehen, konnte es durchaus sein, dass sie ihm einfach die Tür vor der Nase zuschlug. So hatte er Vreni als Freundin beider Familien gebeten, sich als Vermittlerin zur Verfügung zu stellen. In ihrem Haus sollte es möglich sein, auf zivilisierte Weise mit der sitzengelassenen Braut zu reden. Vielleicht würde sie ja ohne lange Diskussionen bereit sein, ihm zu verzeihen und ihm die Hand zur Freundschaft zu reichen. Mit seiner Bitte kam der junge Mann der Neugier von Vreni natürlich entgegen. Sie wollte schließlich auch wissen, warum die Hochzeit des Jahres geplatzt war.

Nervös und mit feuchten Händen betrat Frank das Haus Kollmannberger. Stefanie war schon da, ihr Wagen stand draußen vor der Tür. Vreni schaute ihn nur einen Moment lang an, bemerkte, wie schlecht er ausschaute und zog ihn an sich. Sie hatte starkes Mitgefühl, überhaupt besaß die Frau ein goldenes Herz und war stets bereit zu helfen. Das wog ihre Neugier und ihre Klatscherei vielfach wieder auf.

„Stefanie ist im Wohnzimmer, ich mach‘ uns einen Kaffee und komm dann auch dazu.“

Zögernd ging Frank hinüber. Die Frau stand am Fenster, sie musste also gesehen haben, dass er angekommen war. Trotzdem rührte sie sich nicht, machte keine Anstalten ihn zu begrüßen.

„Ich – ich möcht‘ mich bei dir entschuldigen“, sagte er leise. „Danke, dass du hergekommen bist.“

„Reine Neugier“, erwiderte sie spröde. „Ich will nur wissen, welche Ausrede du dir hast einfallen lassen für die Beleidigung, die du mir und allen anderen Menschen zugefügt hast.“

„Nun, Madl, langsam, net gleich so aggressiv“, mahnte Vreni, die mit einem Tablett voll Geschirr und Gebäck hereinkam.

„Warum net?“, fauchte Stefanie. „Schließlich bin ich es, die dahersteht mit einem Dummkopf als Fast-Ehemann. Also – ich höre. Was hat dich so in Angst und Schrecken versetzt, dass du weggelaufen bist? Hab ich gar so schrecklich ausgesehen in meinem Brautkleid?“

„Nein, ganz sicher net. Du hast nie schöner ausgesehen“, sagte er rau und schaute die junge Frau bittend an. „Ich sag‘s net gern, aber ich hab da wohl einen Fehler gemacht. Weißt, ich kann dich net heiraten, Stefanie, weil ich schwer krank bin. Ich wollt dir net zumuten, die wenigen Monate, die mir noch bleiben, an meiner Seite zu leben und meinen langsamen Tod mit anzusehen.“

Sie schwieg einen Moment, doch ihre abweisende Miene veränderte sich nicht.

„Und das soll ich dir glauben?“, fragte sie schließlich bitter. „Selbst wenn‘s wahr wäre ...“

„Welchen Grund sollt‘ ich haben dich zu belügen?“

„Den gleichen, der dich veranlasst hat, mich zu versetzen. Also, selbst wenn es wahr wäre, musstest tatsächlich solange warten, bis alle in der Kirche versammelt waren? Ich hätt‘ das vielleicht verzeihen können, wennst vorher zu mir gekommen wärst. Dann hätt‘ man eine andere Lösung finden können. Aber so? Nein, Frank, für alle Zeiten hast mich unmöglich gemacht. Da gibt‘s keine Ausrede und keine Entschuldigung. Was tätst du denn an meiner Stelle denken? Es tut mir leid für dich, und ich will net hoffen, dass das schon das letzte Wort gewesen ist. Aber auch das ist kein Grund für mich, dir wieder gut zu sein. Jedenfalls jetzt noch net. Nein, Frank, ich kann dir das net verzeihen. Aber ich will dir net bös sein, musst halt schauen, wie du zurechtkommst.“

„War das alles? Willst mich jetzt einfach so stehenlassen?“, protestierte er verblüfft.

„Warum denn net?“, fragte sie schnippisch nach. „Doch, ich kann das sehr wohl. Und ich mach‘ das net mal auf eine so gemeine Weise wie du. Hier sind wir nämlich unter uns. Lebwohl, Frank, wir haben uns nix mehr zu sagen.“

Stefanie rauschte hinaus, und der junge Mann blieb einen Moment wie erstarrt stehen, dann aber wollte er hinter ihr herlaufen. Vreni hielt ihn am Arm fest.

„Nein, net, Frank, lass sie. Wirst sie net zurückholen können, fürcht‘ ich. Ich werd‘ später noch mal mit ihr reden, aber im Augenblick hat‘s keinen Zweck, sie umstimmen zu wollen. Komm her, Bub, hast ja schreckliche Neuigkeiten zu erzählen. Ich dacht‘ wirklich, ich hör‘ net richtig, als du mir alles erzählt hast. Das tut mir so unendlich leid für dich. Und dem Sepp geht‘s net anders. Da schau her, trink erst mal deinen Kaffee und iss ein Stück Kuchen. Dann solltest mir alles von Anfang an erzählen. Hast mit dem Daniel schon einen Behandlungsplan aufgestellt? Ich hätt‘ ja net gedacht, dass unser Doktor ein solcher Dummstoffel ist, dir ausgerechnet am Morgen vor der Hochzeit ...“

„Halt, wart, Vreni, net so heftig“, bremste Frank und zeigte zum ersten Mal seit Tagen den Anflug eines amüsierten Lächelns. „Der Daniel hat gar nix damit zu tun, der hat die ganzen Untersuchungen doch da net gemacht. Er hat net mal was davon gewusst.“

Frank erzählte die ganze Geschichte ausführlich und fühlte sich durch Vrenis Anwesenheit seltsam getröstet. Die Frau mochte noch so sehr als Tratschtante verschrien sein, und es gab wohl kein Gerücht, das nicht bei ihr seinen Anfang nahm, aber sie hatte noch nie jemandem die Hilfe verweigert. Auch hier nahm sie sich augenblicklich vor, den jungen Mann, der ihr ans Herz gewachsen war, in seinem Elend nicht allein zu lassen. Sanft legte sie ihre Hand auf die seine.

„Ich weiß net, ob und wie ich dir helfen kann“, erklärte sie mitfühlend. „Aber auf jeden Fall versprech‘ ich dir schon jetzt, dass ich dir immer zur Seite stehen werd‘. Kannst herkommen, oder ich komm zu dir, kannst reden oder schweigen, aber denk‘ immer dran, du bist net allein.“

Er unterdrückte die Tränen des Selbstmitleids, die in ihm aufstiegen. Warum sollte er sich selbst leidtun? Er hatte immer noch Freunde, die zu ihm hielten, und die ihn unterstützten, auf welche Weise auch immer. Er durfte nur nicht aufgeben. Das war jedoch leichter gesagt als getan, wie Frank sehr genau wusste. Er hatte Angst, panische Angst. Und die verhinderte, dass er augenblicklich den Kampf aufnehmen konnte. Innerlich lähmte ihn diese Angst, er ließ sich schon davon beherrschen, und deswegen achtete er längst auf jedes Zeichen seines Körpers und interpretierte schon das kleinste Nervenzucken als Anzeichen der heimtückischen Auswirkungen des Karzinoms.

Hier saß jedoch Vreni und versuchte ihn aufzurütteln. Sie spürte natürlich, dass sie gar nicht bis zu ihm durchdringen konnte. Das war eine gefährliche Stimmung, in der Frank sich befand.

„Was hast nun weiter vor, und was sagen deine Eltern?“, forschte sie weiter, um das Gespräch nicht abreißen zu lassen.

„Vater hat zuerst getobt, bis ihm klar geworden ist, was passieren wird – immerhin bin ich der einzige Sohn. Mama ist überraschend ruhig geblieben. Sie hat dann gleich alles in die Hand genommen. Das wundert mich ein bisserl, weil ich doch gedacht hab, dass grad sie am meisten betroffen ist.“

Vreni lächelte. „Deine Mutter ist eine fantastische Frau, das hast wahrscheinlich noch nie so recht erkannt. Sie ist tatsächlich am meisten betroffen, welche Mutter kann schon einfach ihr Kind verlieren? Aber Mütter kämpfen auch wie Löwen um ihre Kinder. In dem Augenblick, wo eine Mutter gefordert wird, da nimmt sie auch alles in die Hand. Und wie‘s da drinnen ausschaut, wird sie wahrscheinlich net zeigen. Aber sie wird dir Mut machen, wirst schon sehen. Und sie wird dich net aufgeben.“

„Vielleicht will ich das aber gar net“, brach es plötzlich aus ihm heraus. „Vielleicht will ich ja die letzten Monate meines Lebens so verbringen, wie es mir passt. Ohne dass ich bemuttert werd‘ von vorn bis hinten.“

„Wennst das willst, ist es deine eigene Entscheidung, aber dann musst es deiner Mutter auch sagen – und erklären. Sie liebt dich, und sie wird für dich kämpfen, wo‘s nötig ist. Wennst das wirklich net willst, muss darüber reden.“

„Stell dir vor, sie hat schon eine Frau engagiert, eine Psychotherapeutin, die auch in der Pflege ausgebildet ist. Die soll mir helfen, in jeder Form, was das auch sein mag.“

Also hatte seine Mutter ebenfalls schon erkannt, dass Frank mit der Krankheit nicht umgehen konnte. Er würde sich selbst fallenlassen, wenn man ihn nicht aufhielt. Aber wer konnte schon überhaupt mit einer solchen Diagnose umgehen? Darüber sprach Vreni jedoch nicht, nicht zu diesem Zeitpunkt, der Bursche war innerlich noch viel zu sehr aufgewühlt.

„Dann solltest dich ganz einfach ein bisserl verwöhnen lassen von deiner Privatschwester. Wer weiß, vielleicht kann die ja wirklich was erreichen. Denk‘ mal drüber nach, auch diese Diagnose muss noch net die letzte sein. Wie oft schon hat ein Kranker sämtlichen Ärzten eine lange Nase gezeigt? Kannst auch dazu gehören.“

„Jetzt red‘st Schmarrn. Aber bist wenigstens liebevoll, Vreni. Hab vielen Dank.“ Er gab ihr einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich.

6

Daniel Ingold musterte nicht zum ersten Mal die Krankenakten von Frank. Irgendetwas irritierte ihn daran, doch bisher war ihm nicht eingefallen, was das sein könnte. Jetzt saß ihm die junge attraktive Psychotherapeutin gegenüber, die als Privatschwester arbeitete, und er wunderte sich ein bisschen. Aber das spielte keine Rolle, warum eine so fesche junge Frau sich diesem schweren Beruf verschrieben hatte. Jetzt war es wichtig sich abzusprechen, die Behandlung musste Hand in Hand laufen, und der Doktor gab seine Anweisungen präzise und knapp. Er hatte schon ein langes Gespräch mit Frank hinter sich, und er machte sich Sorgen um den jungen Mann, der sich selbst ganz und gar aufgegeben hatte. Auf keinerlei Ratschläge oder Vorhaltungen wollte er reagieren, am liebsten wäre er schon tot. Eine Einstellung, die niemand so recht nachvollziehen konnte.

Der Alpendoktor hatte lange auf den Burschen eingeredet, war aber förmlich vor eine Mauer gelaufen. Nun, vielleicht würde diese fesche Frau mehr erreichen. Sie besaß eine sehr gute Ausbildung und betreute nicht zum ersten Mal einen hoffnungslosen Fall.

„Ich muss Ihnen net sagen, wie wichtig es ist, dass Frank regelmäßig seine Medikamente nimmt. Um eine gewisse Lebensqualität aufrecht zu erhalten, sollten wir dafür sorgen, dass er keine Schmerzen hat. Außerdem muss er psychisch stabil gehalten werden. Das ist Ihre vordringlichste Aufgabe. Frank ist labil, und es wird im Laufe der Zeit sicher nicht besser werden.“

„Dessen bin ich mir bewusst, Herr Doktor.“

Birgit Ranke war etwa Mitte zwanzig, besaß eine schlanke Gestalt, schulterlange braune Haare, ein schmales ernstes Gesicht und kluge dunkelblaue Augen. Ihre Kleidung war einfach, aber geschmackvoll. Sie trug natürlich nicht die Tracht einer Schwester im Hospital, eine einfache Hose und eine unauffällige Bluse reichten aus. Kein Schmuck zierte die Hände, kein Nagellack befand sich auf den Nägeln.

„Ich habe bereits drei ähnliche Fälle bis zum Ende betreut, es ist nicht einfach, aber es ist eine Aufgabe, die getan werden muss.“

„Warum ausgerechnet Sie?“, konnte Daniel seine Frage nun doch nicht verkneifen. „Ich verstehe Ihre Gründe net ganz. Verstehen S‘ mich bitte net falsch, wenn S‘ net wollen, müssen Sie meine Fragen net beantworten. Aber es tät‘ mich schon interessieren, warum eine fesche junge Frau sich mit hoffnungslos Kranken abgibt. Ich mein, da gibt‘s keine Möglichkeit, dass durch ein Wunder noch eine Heilung zustande kommt. Es heißt, immer wieder Abschied nehmen. Damit kam man auch net so einfach fertig werden. Das ist selbst für uns Ärzte nach jahrelanger Praxis noch schwierig.“

Birgit hatte ihn in aller Ruhe aussprechen lassen. „Sie sind net der erste, der mich das fragt“, begann sie. „Und meist weiche ich einer Antwort aus, weil die Leut‘ wirklich nur aus Neugier und net aus Mitgefühl fragen. Bei Ihnen scheint das ein bisserl anders zu sein, auch nach allem, was ich bisher von Ihnen und über Sie gehört hab. Schau‘n S‘, ich bin bei meinem Vater aufgewachsen, Professor Ranke, nachdem meine Mutter schon kurz nach der Geburt gestorben ist. Von klein auf hat mein mich Vater gelehrt, auf andere Menschen einzugehen, was sicher auch dazu geführt hat, dass ich in gewisser Weise in seine Fußstapfen getreten bin und sein Fachgebiet studiert hab. Irgendwie hab ich nie einen anderen Berufswunsch gehabt, obwohl mein Vater stets betont hat, dass mir die ganze Welt offen steht, und ich durchaus etwas anderes machen könnte. Ursprünglich hatte ich geplant, die Praxis später zu übernehmen, natürlich zunächst als Assistentin. Es kam alles anders, wie S‘ vielleicht gehört haben.“

Daniel nickte. Erst jetzt war ihm zu Bewusstsein gekommen, dass es sich hier um die Tochter des hochgeachteten und weltweit anerkannten Psychologen und Psychotherapeuten Waldemar Ranke handelte. Der Professor hatte eine Praxis in der Stadt betrieben, war aber auch immer wieder als Gutachter angefordert worden, sein Urteil war fast wie ein Gesetz. Dann war er von einer heimtückischen Krebsart befallen worden, die schnell zum Tod führte. Aber warum hatte Birgit dann nicht die Praxis übernommen? Die Antwort sollte Daniel gleich bekommen.

„Als mein Vater erkrankte, befand ich mich in Asien, um meine Ausbildung dort zu erweitern. Ich wollte einen Weg finden, unsere klassische Psychotherapie mit asiatischen Heilmethoden zu kombinieren. Natürlich wollte ich sofort zurückkehren und meinen Vater pflegen. Er war schließlich alles, was ich besaß. Doch er lehnte ab und meinte – gegen besseres Wissen – dass er wohl wieder gesund werden würde, bevor ich mein Studium beendet hätte. Er hatte mich angelogen, dass erste und einzige Mal in meinem Leben hat mein Vater bewusst die Unwahrheit gesagt. Er wollte, dass ich mein Studium abschließe und mich nicht für ihn opfere. Außerdem nehme ich an, er wollte es vermeiden, dass ich seinen Todeskampf erlebe. Irgendwie gelang es ihm immer wieder, mich zu vertrösten und mir Mut zu machen. Ich glaubte ihm. Vielleicht wollte ich auch einfach glauben, darüber möchte ich selbst jetzt noch nicht nachdenken. An dem Tag, an dem ich mein Diplom bekam, starb mein Vater, wie ich wenige Stunden später erfuhr. Ich entschloss mich, seine Praxis nicht weiterzuführen, sein Kollege und Partner betreibt sie jetzt allein. Ich hingegen, entgegen aller guten Ratschläge, habe mich entschlossen, Menschen zu begleiten, die dem Tod entgegengehen. Dazu muss ich mich natürlich net lang selbst analysieren“, lächelte sie traurig. „Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich auf diese Weise meine eigenen Schuldgefühle verdrängen und beschwichtigen möcht‘. Das müssen S‘ mir also net vorhalten.“

„Ich würd‘ Ihnen gar nix vorhalten, ganz im Gegenteil, für Ihren Mut und Ihre Kraft haben S‘ meine volle Bewunderung. Nur wenige Menschen auf der Welt sind in der Lage, ihre eigene Kraft mit denen zu teilen, die eigentlich keine Zukunft mehr haben. Ich dank‘ Ihnen für Ihr Vertrauen und bin sicher, dass wir gut zusammenarbeiten werden. Aber würden S‘ mir trotzdem noch eine Frage beantworten?“

„Freilich.“

„Hilft es Ihnen? Sind Ihre Schuldgefühle weniger geworden?“ Er betrachtete die ernste hübsche Frau aufmerksam. Sie überlegte einen Moment.

„Ja, ich glaub schon. Jedes Mal, wenn es mir gelingt, einen Menschen in Frieden mit sich selbst bis zuletzt zu begleiten, kann ich ein bisserl zufrieden sein. Sterben müssen wir alle einmal, aber gerade für jüngere Menschen ist das besonders schwierig, denn die haben ihr Leben noch net gelebt. Da fehlt was. Und so versuch‘ ich halt, eine Lücke zu füllen, oder sie gar net erst aufkommen zu lassen. Das klappt net immer, und grad bei diesem Fall, beim Frank Eschbacher, hab ich eine Menge Zweifel. Doch er ist jeden Versuch wert.“

Daniel hatte eine ungeheure Hochachtung vor der jungen Frau. Natürlich war sie nicht ganz selbstlos, mit jedem neuen Fall nahm sie den Kampf gegen ihre eigenen Ängste und Schuldgefühle auf. Doch sie besaß offenbar genug Kraft, um gegen die Hoffnungslosigkeit bei anderen anzugehen. Eine bewundernswerte Persönlichkeit.

„Im Augenblick ist der Fall noch net akut, ich denk‘, da wird‘s reichen, wenn ich einmal die Woche zu einem Hausbesuch komme. Frank kann mich auch hier in der Praxis aufsuchen. Und wenn es denn notwendig ist, dann bin ich auch jederzeit zu erreichen und kann in kurzer Zeit da sein.“

„Ich glaub‘ fast, Herr Doktor, die Leut‘ hier in Hindelfingen haben ein ganz großes Glück. Nur wenige Ärzte sind so um ihre Patienten besorgt. Die meisten schalten ab, sobald die Sprechstunde beendet ist. Auf der einen Seite ist das verständlich, niemand kann immer nur für andere da sein, net mal ich. Aber manchmal hätt‘ ich mir schon gewünscht, dass einige Mediziner sich mehr oder intensiver um ihre Patienten kümmern.“

„Na, alles net ganz so wild“, wehrte Daniel das Lob ab. „Hier auf dem Lande hat man vermutlich ein ganz anderes Verhältnis zu den Leuten, mit den meisten ist man ja auch privat befreundet. Und wohin sollten die Patienten denn auch sonst gehen? Die Kollegen in der Stadt haben ganz einfach net den Kontakt, wie er hier üblich ist.“

Birgit stand auf. „Ich dank Ihnen, dass sie sich so viel Zeit genommen haben. Jetzt warten Ihre anderen Patienten auf Hilfe. Für den Frank werd‘ ich tun, was ich kann.“ Sie verabschiedete sich, um ihren Dienst anzutreten. Schon im Vorgespräch hatte sie festgestellt, dass der junge Mann ein ganz schwieriger Fall werden würde. Aber auch den wollte sie meistern.

7

Es betrübte Vreni Kollmannberger zutiefst, dass die beiden jungen Leute nicht einmal mehr ein Wort miteinander sprachen. War es denn nicht so gewesen, dass Stefanie ihren Frank geliebt hatte? So langsam begann die Frau daran zu zweifeln, dass bei dem jungen Madl wirklich echte Gefühle im Spiel gewesen waren. Sonst hätte sie doch längst einen Weg gefunden Frank zu verzeihen. Sicher war es seine Dummheit gewesen, den Skandal in der Kirche zu entfachen. Aber allein schon die Tatsache, dass Frank todkrank war, rechtfertigte fast alles. Er hatte auf jeden Fall viel für Stefanie empfunden, sonst hätte er sie nicht schützen wollen. Vreni wollte auf jeden Fall noch einmal einen Versuch machen, zwischen den beiden zu vermitteln. Dazu wollte sie aber zuerst einmal mit Daniel Ingold reden, um mehr über den Krebs zu erfahren. Vielleicht kam Stefanie zur Vernunft, wenn ihr bewusst wurde, was Frank bevorstand.

Der Doktor aber war von dieser Idee gar nicht begeistert.

„Was soll das?“, fragte er unwillig. „Erstens geht‘s dich gar nix an, welche Krankheiten andere Leut‘ haben, und wie die verlaufen. Wenn der Frank dir das net von allein erzählt, wirst es von mir bestimmt net erfahren. Und was hast dann überhaupt mit den Informationen vor? Willst etwa an das Mitleid von der Stefanie appellieren? Das halt ich für eine ganz schlechte Idee. Mitleid ist das letzte, was der Frank braucht. Der macht sich schon selbst verrückt, da braucht‘s net noch Leut‘, die ihn darin unterstützen, wie schlecht es ihm doch geht. Nein, Vreni, wennst da wirklich vermitteln willst, dann ganz bestimmt net auf diese Weise. Kannst die Vernunft bei der Stefanie anrufen, unter der Voraussetzung, dass da noch was ist und sie darauf reagiert. Mir ist sowieso unklar, wieso du dich in das Leben von zwei fremden Menschen einmischen willst. Wenn die Stefanie sich weigert, dann kannst eh nix machen. Ich schätze mal, da hat entweder die Liebe net ausgereicht, oder sie ist durch den Vorfall in der Kirche in Hass umgeschlagen.“

Vreni seufzte. „Darüber hab ich mir auch schon Gedanken gemacht“, gestand sie. „Und so, wie‘s sich grad benimmt, schaut‘s net aus, als würd‘ das Madl überhaupt noch was empfinden. Sonst könnt sie doch net so herzlos sein.“

„Aber dann willst tatsächlich den Versuch machen, da noch was zu retten? Ich glaub‘, du gehst da ziemlich weit. Kannst den Frank mal net einfach in Ruhe lassen? Der macht es sich grad selbst extra schwer, da solltest eher versuchen einzuhaken, wennst überhaupt was willst. Aber erzähl net herum, dass ich dir das gesagt hab. Ich weiß, dass du auch schweigen kannst, wo‘s Not tut. Und hier, wo alles so offensichtlich ist, fällt das natürlich auch net unbedingt unter die Schweigepflicht. Aber ich will net, dass der Frank denkt, ich würd‘ mir zu viele Sorgen machen. Der ist einfach zu viel mit sich selbst beschäftigt. Wennst eine gute Idee hast, wie der Bursche wieder ins Leben zurückgeholt werden kann, dann kümmere dich darum. Die Stefanie halte ich jedenfalls net für eine gute Idee.“

Vreni dachte kurz über die Worte des Arztes nach, dann nickte sie.

„Eigentlich hatt‘ ich wirklich gehofft, es könnt‘ sich noch was ergeben, aber wahrscheinlich hast recht. Wenn das Madl so auf sich selbst bezogen ist, sollten wir besser dafür sorgen, dass dem Frank die letzte Zeit, die er im Leben hat, schön gemacht wird.“

„Na also, dann sind wir uns ja einig“, lächelte Daniel zufrieden. Er wusste, dass Vreni jetzt Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde, um genau das zu erreichen. Sie hatte eben doch ein goldenes Herz.

8

„So kann das aber net gehen“, sagte Birgit ruhig und beherrscht. „Ich bin schließlich hier, damit S‘ die bestmögliche Pflege bekommen. Dazu gehört halt auch, dass S‘ die Medikamente pünktlich und in der richtigen Dosis einnehmen. Also bitte, Frank, was soll denn das Theater? Es nutzt ihnen doch nix, wenn S‘ Ihre Medizin verweigern.“

„Es nutzt mir auch nix, wenn ich sie nehme. Also bleiben S‘ mir mit dem Rattengift vom Leibe.“

„Es mag ja sein, dass Ratten das net gut vertragen. Ihnen wird‘s aber helfen, ein einigermaßen vernünftiges Leben zu führen“, widersprach sie beherrscht.

„Ach ja, und wie lang? Ich hab ja wohl net mehr viel Zeit. Warum wird dann überhaupt dies teure Zeugs an mich verschwendet?“ Seine Stimme klang bitter, er machte eine wegwerfende Handbewegung, so als wollte er neben den Medikamenten auch die junge Schwester gleich mit aus der Tür schieben, oder besser noch, gleich aus dem Fenster werfen.

„Ist das wirklich Verschwendung?“, fragte sie sanft, obwohl auch sie langsam an einen Punkt kam, wo sie dem jungen eigensinnigen Mann am liebsten gründlich den Kopf gewaschen hätte. Aber noch blieb sie ruhig und griff auf all das zurück, was sie im Laufe der Zeit gelernt hatte.

Besonders die asiatische Meditation mit ihren Übungen half ihr, auch in Extremfällen klarzukommen. Nur hatte offenbar noch niemand daran gedacht, dass es Menschen geben könnte, die sich auf eine derart gleichgültig Art aus den Leben stehlen wollten. Frank blockte alles ab, was ihm etwas Hilfe bringen oder das Leben erleichtern konnte. Dazu gehörten die regelmäßige Einnahme seiner Medikamente, aber auch Gespräche. Frank verkroch sich förmlich in seinem Zimmer, setzte eine missmutige Miene auf und grübelte vor sich hin. Es interessierte ihn überhaupt nicht mehr, wie andere Menschen lebten, was in der Welt vor sich ging, selbst seine Familie war ihm gleichgültig.

Sein Vater hatte versucht mit ihm zu streiten, um seinen Widerspruch zu wecken, doch die lautstarke Auseinandersetzung war sehr einseitig gewesen, denn Frank hatte gar nichts gesagt. Er hatte seinen Vater die ganze Zeit über angestarrt, bis dem keine Worte mehr einfielen. Dann war der junge Mann wortlos wieder nach oben in sein Zimmer gegangen und hatte sich in sich selbst zurückgezogen. Auch seine Mutter hatte den Versuch gemacht zu ihrem Sohn vorzudringen, allerdings hatte sie nicht den Fehler begangen ebenfalls laut zu werden. Doch sie war auch nicht die Frau, die tränenreich um die Aufmerksamkeit ihres Sohnes bettelte. Ganz ruhig und vernünftig hatte sie auf ihn eingeredet, mit dem gleichen durchschlagenden Erfolg wie dem lauten Gepolter ihres Mannes, nämlich gar keinem. Aber zumindest hatte Frank eine kleine Reaktion gezeigt. Er hatte seiner Mutter sanft über die Wange gestrichen, war aber auch in diesem Fall wortlos gegangen. Die einzige, die überhaupt noch den Anflug eines Gesprächs mit Frank zustande brachte, war in der Tat Birgit. Leider endete jede Kontaktaufnahme unweigerlich in einem Streit, der so sinnlos und überflüssig schien. Frank weigerte sich einfach zu kooperieren, da konnte die junge Frau tun, was sie wollte.

„Ist das wirklich Verschwendung?“, wiederholte sie ihre Frage noch einmal. „Oder ist es net vielmehr der Versuch jemandem, dem nur noch eine begrenzte Zeitspanne bleibt, ein lebenswertes Dasein zu ermöglichen? Wäre es Ihnen denn lieber, schon in ein oder zwei Wochen hier im Bett oder endgültig im Hospital zu liegen und nur noch dahinzuvegetieren? Das hat dann doch gar nix mehr mit Leben zu tun“, bohrte sie weiter.

„Spielt denn das noch eine Rolle? Ob in zwei Wochen oder in zwei Monaten, wo liegt da der Unterschied?“

„Der Unterschied mag ja vielleicht darin liegen, dass man jeden Tag aufs Neue das Leben entdecken kann. Carpe diem. Nutze den Tag. Da gibt es doch so viel, was immer wieder gute Gefühle hervorrufen kann. Der Gesang der Vögel, das Lachen eines Kindes, das Zirpen einer Grille, Wind auf der Haut, Regen im Gesicht, der Herzschlag des Lebens – was sind S‘ denn nur für ein Dummkopf, dass S‘ net sehen können oder wollen, was jeden Tag aufs Neue schön ist? Stattdessen verkriechen S‘ sich hier in ihrem Zimmer, tun gar nix und warten förmlich auf den Tod. Und der wird bestimmt net mehr lang auf sich warten lassen, aber er wird ganz bestimmt keine Erlösung sein. Kein Freund, auf den man lang gewartet hat, um ihn zu begleiten. Er wird grausam und bitter sein, denn in den Moment, wo er auftaucht, wird‘s Ihnen einfallen, was S‘ alles versäumt haben. Aber dann gibt‘s keine Rückkehr mehr. Warum wollen S‘ sich das Leben selbst so schwer machen?“

Sie hatte sich nun doch in Erregung geredet, ihre Augen, ihre Wangen waren leicht gerötet, und sie sprach nicht nur mit den Lippen, sondern mit dem ganzen Körper und drückte somit viele Emotionen aus. Irgendwie musste sie Frank erreichen können.

„Sind S‘ jetzt fertig?“, erkundigte er sich uninteressiert. Verblüfft hielt sie inne, drehte sich dann herum und schaute dem jungen Mann offen ins Gesicht. Was sie sah, ließ sie zutiefst erschrecken. Jedes Wort, das sie gerade einfach zur Provokation ausgesprochen hatte, stimmte. Frank war im Herzen längst tot, erwartete nur noch den Augenblick, an dem er auch die sterbliche Hülle aufgeben würde. War denn da nichts mehr zu retten? Ganz bestimmt nicht dann, wenn sie ihn jetzt allein ließ und selbst verärgert davonging.

„Nein, ich bin noch net fertig“, sagte sie mühsam beherrscht. „Ich kann verstehen, wie schwierig die ganze Situation für Sie ist. Jeder Tag kann der letzte sein. Aber gerade deswegen sollten S‘ wirklich jeden Tag auskosten, als ob er der letzte wär‘. Und in all Ihrem verständlichen Kummer vergessen S‘ ganz, dass es noch mehr Menschen gibt, die ebenfalls mit Ihnen leiden. Da sind Ihre Eltern, die ihr einziges Kind verlieren werden. Da sind Freunde, die Sie vermissen werden. Ist Ihnen überhaupt net bewusst, dass S‘ eine Lücke hinterlassen werden? Und die liegt net nur in Ihrem Herzen. Aber wahrscheinlich haben S‘ mittlerweile schon ein so großes schwarzes Loch in Ihrer Seele, dass nix mehr Ihre früher sicher vorhandenen Gefühle erreichen kann. Ich werd‘ gleich mit dem Doktor Ingold reden, inwieweit wir die Medikation auf Spritzen umstellen können, die ich Ihnen verabreichen kann – damit wenigstens das klar geht.“

Sie drehte sich um und wollte aus dem Zimmer gehen, doch offenbar waren ihre Worte, oder Teile davon, endlich angekommen.

„Einen Augenblick, bitte, Birgit“, sagte Frank mühsam.

„Was ist noch?“, fuhr sie ihn jetzt an. Vielleicht kam ihm endlich zu Bewusstsein, dass sie der einzige Mensch war, der ihn noch mit dem Leben außerhalb dieses Zimmers verband.

„Glauben S‘ das wirklich?“, fragte er leise.

„Was soll ich glauben?“

„All das, was S‘ gerade gesagt haben? Jeden Tag neu erobern. Ist das net völlig unmöglich?“

„Wie kommen S‘ denn darauf? Ist es denn so schwer, sich am Gesang der Vögel zu erfreuen? Was ist dabei, selbst mal zu lachen? Das hat übrigens positive therapeutische Auswirkungen, weil dadurch Endorphine freigesetzt werden. Außerdem fühlt man sich besser. Ich sag ja net, dass S‘ sich selbst völlig umkrempeln sollen. Aber versuchen könnten S‘ das mal. Denken S‘ auch an Ihre Eltern, für die ist das net leicht.“

„Aber die werden leben.“

„Noch tun S‘ das auch, zumindest körperlich“, gab sie trocken zurück. „Außerdem, was ist das Leben ohne Kampf? Manchmal ganz schön langweilig, oder?“

Das Wunder geschah. Ein Zucken um die Mundwinkel deutete den Versuch eines Lächelns an. Innerlich atmete Birgit auf. War der erste Schritt doch endlich getan? Im nächsten Moment wurde sie blass vor Schreck, denn Frank ächzte, griff sich an die Brust und krümmte sich zusammen. War es nicht noch viel zu früh für solche Anfälle?

„Es tut so weh“, jammerte er.

Die Frau verlor keinen Augenblick lang die Nerven, sie war schließlich hier, um zu helfen. Mit festen Bewegungen bettete sie den Patienten richtig und alarmierte den Arzt.

9

„Ist in Ordnung, dieser Anfall musste kommen, weil er seine Medikamente nicht regelmäßig nimmt“, erklärte Daniel Ingold. Von Birgit hatte er sich berichten lassen, was geschehen war, allein die Aufregung konnte diese krampfartigen Anfälle auslösen. Der Arzt hatte seinem Patienten eine Injektion gegeben, die nicht nur krampflösend wirkte, sondern auch etwas beruhigte. Mürrisch schaute der junge Mann auf den Alpendoktor.

„Und das ist alles?“

„Freilich. Was sollte denn sonst noch sein?“, fragte Daniel zurück.

„Na, ich mein, ist das net schon eine Auswirkung des Karzinoms? Der frisst sich doch immer weiter und zerstört mich von innen.“