50 × besser streiten - Thierry Moosbrugger - E-Book

50 × besser streiten E-Book

Thierry Moosbrugger

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Beschreibung

Streiten ist doof. Und Streiten ist auch normal: so unvermeidlich wie Steuern zahlen oder die Grippe. Und weil Kommunikation in Konflikten anders funktioniert als im Alltag, sind praktische Lösungen gefragt – weder herumbrüllen noch den Streit schönreden hilft. Das Beste ist es also, besser streiten zu lernen: Die Streitenergie so rasch als möglich verstehen, auflösen oder umwandeln, damit Win-win-Lösungen entstehen – keine einfache Aufgabe, wenn der Kopf raucht und das Gegenüber nervt. Wege zur Lösung – 50× Besser streiten bietet einen einfach zugänglichen Werkzeugkasten, der auf dem Nachttisch wie auf dem Lehrerpult seinen Platz findet. Thierry Moosbrugger lädt mit einem Augenzwinkern dazu ein, sich ernst, aber (!) nie tierisch ernst zu nehmen. Praktische Übungen zu jedem Werkzeug helfen bei der praktischen Umsetzung.

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Thierry Moosbrugger

50 × besser streiten

Wege zur Lösung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2024 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel

Korrektorat: Kerstin Köpping, Berlin

Abbildung Umschlag: Adobe Stock © EnelEva

Umschlaggestaltung: Weiß-Freiburg GmbH, Freiburg i. Br.

Gestaltung, Satz: Claudia Wild, Konstanz

Druck, Einband: Hubert & Co, Göttingen

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

ISBN Print 978-3-907396-66-7

ISBN E-Book 978-3-907396-67-4

www.nzz-libro.ch

NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.

Inhalt

Einleitung

Vom Gebrauch der Worte – zwischen Toleranz und Korinthenkackerei

«Und» statt «aber» – die Hand und die Wand

Harmlos, aber toxisch: «Aber» unter der Lupe

«Nicht» ist nichts oder der nicht rosarote Elefant

Superlative sind der grösste Mist

Danke statt Sorry – der Lotuseffekt

Machen statt sein

Ein Ja für ein Nein

Im Giftschrank der Kommunikation: immer und überall

«Anders» statt «Besser», Teil 1: Heute ist es anders besser als es früher anders war

«Anders» statt «Besser», Teil 2, oder: Diversität im Wohnzimmer

The Sound of Peace – die Töne sauber treffen

Schleifen – ein Tor, wer meint, ein Tor sei ein Tor

Lernen Sie gefühlisch

Themen: wertfrei wertvoll

Gepflegt fluchen – wie das geht

«Was ist wichtig?» oder: Um welchen Teil des Eisbergs geht es?

Wie negativ positiv werden kann

«Was ist das Thema?» – Antivergesslichkeitspille und Lawinenverbauung

Anerkennen und Wertschätzen – Zaubertrank und Türöffner

Den Raum öffnen – Entfesselungskunst in Konflikten

Sprachfloskeln – Hefe im Kommunikationsteig

Differenzierungen – die Summe der Einzellösungen ist grösser als der Problemberg

Auf der Wippe gibts keine Augenhöhe

Hühnersuppe, immer nur Hühnersuppe

Die vier Ohren

Warum gut fragen? Weil es gute Lösungen bringt!

SMART streiten

Für mich (statt gegen dich)

Probleme verkleinern

Streiten nach dem Strichmännchen-Prinzip (GFK in a nutshell)

Mehr desselben

«Höhere Wesen befahlen: Verantwortung übernehmen!»

Fragen der Perspektive – Du siehst was, was ich nicht sehe (und umgekehrt)

Win-win statt Nullsummendynamik

Die Fussball-Logik: «OMG – den musst du doch machen!»

Das Fehler-Helfer-Prinzip

Ich statt man

Anker für die Seele

«Was haben wir?» – Ressourcen statt Mangel

Wie der Skiabfahrer vor dem Starthaus – Konflikte visualisieren

Situationen ändern statt Menschen

Pseudogefühle – Wölfe im Kommunikationspelz

Ich-Perspektive – das Gegenteil von Egoismus

Interventionen – Verschnaufpausen für das rauchende Hirn

Workarounds sind Streit-Hacks

Time-out!

Zwischen Super-GAU und Super-GAG

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Das 10-10-10-Prinzip oder die wunderbare Zeitmaschine

Ein gutes Ende setzen

Ein klares Ende setzen

Streit auf der Ziellinie

5-5-5 – die Futurum-2-Intervention

Das Lift-Prinzip

Über den Tellerrand

Humor ist, zu spüren, wann Humor angebracht ist

Und wie geht eigentlich Versöhnung?

Anstelle eines Nachwortes: Leben wie ein Zebra

Dank

Anmerkungen

Bildnachweis

Weiterführende Literatur

Anhang: Arbeitsblätter und Vorlagen

«Tough Shit!»-Methode

Das Eisbergmodell: Was den Konflikt trägt

Cornell-Methode

Meine Ressourcen

Mindmap, Beispiel

Konflikt-Schichtenmodell

Für Elisha, Yael und Tobit

Einleitung

Streiten ist doof. Immer. Streiten ist aber auch normal, streiten ist auch unvermeidlich, streiten gehört auch zum Leben. Wie Steuern zahlen und wie Grippe.

Nichtsdestotrotz: Streiten ist doof. Immer.

Wenn mir Menschen erwidern, streiten sei doch etwas Gutes, klingelt sofort meine Alarmglocke und ich frage mich, …

… braucht er die starken Emotionen im Streit, um sich selbst zu spüren, weil er nur so Zugang zu den eigenen Gefühlen hat?

… braucht sie die Eskalation, um in den Kampf-Modus zu kommen, weil sie sich nur so durchsetzen kann?

… braucht er den Streit, um Spannungen abzubauen, weil er nie gelernt hat, wie das auch konstruktiv gehen könnte?

… braucht sie die heftigen negativen Emotionen, um die tiefere Auseinandersetzung mit dem Partner zu vermeiden, weil die Themen tiefer liegen und unangenehm sind?

Die Sprache gibt ebenfalls einen Hinweis: Wenn wir Konflikte oder unterschiedliche Meinungen konstruktiv austragen, dann «diskutieren» wir engagiert und kontrovers, oder wir «ringen» um eine Lösung.

Von Streit reden wir erst dann, wenn wir uns durch Emotionen oder Angriffe persönlich infrage gestellt fühlen und uns so zu wehren beginnen, dass es auch für das Gegenüber schwierig wird, ruhig zu bleiben.

Deshalb bleibe ich dabei: Streit ist ein falscher Weg, um Probleme zu lösen, Streit ist doof, auch wenn er unausweichlich ist.

Ziel: Wachsen!

Passend finde ich den Satz: «Herumbrüllen hilft nicht. Reflektieren hilft».1

Statt Streit schönzureden, halte ich es für sinnvoller, besser streiten zu lernen. Das Ziel dabei ist immer: die negative Streitenergie raschestmöglich verstehen, auflösen oder umwandeln, damit konstruktive Wege oder Win-win-Lösungen entstehen.

Konfliktkommunikation läuft anders

In Konflikten funktioniert Kommunikation anders als im Alltag – das ist ein roter Faden durch dieses Buch.

Im Streit ist irgendetwas in Schieflage: Ich fühle mich vom Gegenüber infrage gestellt oder angegriffen, verletzt, beleidigt, ungerecht behandelt; die Beziehung ist in Gefahr; ich möchte meine Meinung, meine Absicht, mein Ziel, meine Idee durchsetzen.

Dabei ist mein emotionales Zentrum im Alarmzustand, und deshalb wird ein grosser Teil meiner Energie und meines Bewusstseins dafür benötigt, diese innere Verunsicherung wieder zu stabilisieren. Das bedeutet:

–Mein Bewusstsein ist mit meinen Argumenten, meinen Emotionen, meinen Zielen beschäftigt. Also mit mir selbst.

–Die Folge: Nur wenig Kapazität bleibt übrig für das, was sich hinter dieser Oberfläche versteckt.

–Und natürlich bleibt am wenigsten Energie übrig für das, was mein Gegenüber eigentlich sagen möchte.

Meine eigene Kommunikation ist also gestört, und umso schwerer fällt es, die gestörte Kommunikation meines Gegenübers einzuordnen oder adäquat darauf zu reagieren. Mit anderen Worten: Es ist kompliziert.

Nichts funktioniert wie sonst.

Der «magische Blick»

In Konfliktsituationen verhält es sich ein wenig wie bei den «Magic Eye»-Bildern (auch Stereoskopie genannt), die eine Weile lang sehr populär waren. Oberflächlich sehe ich nur ein Wirrwarr von Farben und Strichen. Erst wenn ich das Bild nahe an mein Gesicht halte, meine Augen gleichzeitig auf «Weitsicht» einstelle und mir Zeit nehme, erhält die wirre Oberfläche einen dreidimensionalen Charakter und erscheint plötzlich ein klares «Bild hinter dem Bild».

So verhält es sich auch beim Streiten. Um im oberflächlichen Streit weiterzukommen, müssen wir unsere alltäglichen Kommunikationsgewohnheiten verlassen.

Eine Kiste mit kleinen Werkzeugen

Es gibt zahlreiche wertvolle, interessante und lehrreiche Konfliktlösungstheorien. Einige davon sind das «Hintergrundrauschen», das dieses Buch erst möglich gemacht hat.

Abb. 1: Ein «Magic Eye»-Bild (auch Stereoskopie genannt): Oben die oberflächliche Erscheinung, unten das Tiefenbild. Es erscheint, wenn ich die alltägliche Sehgewohnheit breche.

Hier jedoch geht es um viele spezifische Ideen und konkrete Anwendungen. Das ist die Idee dieses Buchs: Eine Werkzeugkiste mit ganz unterschiedlichen praktischen Vorschlägen, um jeweils auswählen zu können, was mir gerade am meisten entspricht.

Wie lese ich dieses Buch?

Kategorien: Die 50 Werkzeuge sind auf fünf Kategorien verteilt, und Sie werden rasch merken, dass es Überschneidungen gibt. Verschiedene Werkzeug könnten auch in einer anderen Kategorie auftauchen, einzelne Ideen sind eng mit anderen verwandt oder verweisen aufeinander.

Ideenvielfalt: Es gibt Ideen, die funktionieren auch in anderen Spezialsituationen, unabhängig von Konflikten (z. B. wenn ich ein Projekt vorstellen muss, oder in einer Teamsitzung, oder wenn ich mit meinen Kindern ein Wochenende plane). Einige Ideen haben einen präventiven Ansatz, einige sind analytisch, andere kreativ oder wirken gar paradox. Einige Ideen funktionieren nur zu zweit, andere realisieren Sie sinnvollerweise für sich allein.

Probieren geht über studieren: Eben, es ist wie bei einer grossen Werkzeugkiste: Es scheint ein grosses «Chrüsimüsi» (ein Glossar aller Helvetismen finden Sie im Umschlag), damit für möglichst viele Situationen ein Werkzeug da ist, oder sogar mehrere. Probieren Sie herum, welches Sie am einfachsten oder am liebsten benützen.

Keine Leseordnung: Sie können das Buch von vorn nach hinten lesen oder von hinten nach vorn, nach dem Zufallsprinzip einzelne Kapitel aufschlagen oder sich von den Titeln leiten lassen. Sie bestimmen, was Ihnen nützt.

Kapitelprinzip: Jedes Kapitel besteht aus drei Teilen. Ein Grundtext, ergänzt durch lose weiterführende Gedanken (Bonus), und eine mögliche Umsetzung in die Praxis.

Rezepte zum Weiterentwickeln: Alles ist vorläufig und unabgeschlossen. Lassen Sie sich inspirieren! Entwickeln Sie Ideen weiter oder ändern Sie sie ab. Denn für Ihre Streitsituationen gibt es keinen besseren Spezialisten und keine bessere Fachfrau als Sie selbst.

Wichtig ist, dass Sie in Streitsituationen besser zu konstruktiven Lösungen kommen und so rasch wie möglich einen Kaffee oder ein Bier trinken gehen können.

Neue Vorschläge? – Danke!

Haben Sie eines der Werkzeuge verbessert? Gute Erfahrungen damit gemacht? Oder schlechte? Kennen Sie selbst ein «Besser streiten»-Tool, das hier fehlt?

Lassen Sie es mich wissen! Ich freue mich, von Ihren Erfahrungen zu lernen.

Basel, im Herbst 2023

Thierry Moosbrugger

PS: Mehr zum Thema finden Sie unter www.50xbesserstreiten.ch.

Vom Gebrauch der Worte – zwischen Toleranz und Korinthenkackerei

Wenn es am Ende des Monats um den Betrag geht, den Sie für Ihre Arbeit erhalten, sagt die Französin: «Je gagne 5000 balles.» Der Schweizer sagt: «Ich verdiene 5000 Stutz». Dasselbe Resultat, und eine ganz andere Atmosphäre, die die Worte verbreiten. Auf Französisch könnte ich meinen, Arbeiten sei wie ein Spiel im Casino, bei dem ich am Ende des Monats immer mit einem Gewinn nach Hause fahre.

Auf Deutsch wiederum klingt es eher nach harter, schon fast trotzig erledigter Krampferei, an deren Ende mir das Geld zusteht, schon fast als Teil meiner Persönlichkeit.

Ähnlich verhält es sich, wenn ich in der Küche sage: «Ich zaubere ein Nachtessen für meine Lieben» oder «Ich stopfe die jaulenden Hyänenschnauzen».

Die Poesie der Sprache liegt darin, dass Worte neben der Sachaussage mehrere Bilder in sich tragen können. Und je nach Umfeld erreicht uns das eine Bild in einem Wort stärker als ein anderes. Ist die Atmosphäre entspannt und vertrauensvoll, fällt der Umgang mit den unterschiedlichen Ebenen zumeist leicht.

Konflikte jedoch sind kommunikative Ausnahmesituationen: Ich fühle mich auf irgendeine Art angegriffen oder infrage gestellt. Ob es dabei um eine unterschiedliche Meinung zu einem Sachthema geht, um das unaufgeräumte Zimmer meiner Tochter oder um die Kritik meines Chefs an meinem aktuellen Projekt – Hirn, Herz und Seele sind in einem Alarmzustand.

Und in diesem fragilen Zustand ist gerade die reiche Vielschichtigkeit der Sprache ein Hort der Missverständnisse und der Eskalation.

Deshalb ist in Konfliktsituationen eine achtsame Sprache enorm wichtig.

Wenn es in den folgenden Beispielen also um einzelne Wörter geht, dann nie im Sinne der Korinthenkackerei oder Tüpflischysserei, sondern immer vor dem Hintergrund einer emotionalen Notsituation.

«Und» statt «aber» – die Hand und die Wand

«Du darfst noch ein bisschen lesen, aber um acht Uhr löschst du das Licht.» – Ein Standardsatz in den Kinderzimmern der Welt. Was das Kind dabei hört, sagt der Held Jon Snow im Fantasy-Epos Game Of Thrones so: «Alles, was vor dem ‹Aber› gesagt wird, ist Pferdescheisse.»1

Genau. Der Zwerg im Buch, der gerade einem Drachen begegnet, und mein neues Legoflugzeug, bei dem ich nur noch den Flügel fertigbauen muss – das ist meinen Eltern egal. Wichtig ist nur, wann die Lichter ausgehen. Der Lockdown im Kinderzimmer als göttliche Ordnung.

«Aber» in einer Pantomime dargestellt – eine einfache Aufgabe: Beim Wort «aber» geht der Zeigefinger lehrmeisterlich in die Luft – Punkt gewonnen. Die Geste sagt dabei: «Achtung! Jetzt pass auf, weil ich der Boss bin und jetzt das Wichtige kommt!»

So wird aus der Leseerlaubnis eine Drohung, bestenfalls ein Zugeständnis, bei dem vom Kind ungesagt mindestens ein schlechtes Gewissen gewünscht wird.

Was im Kinderzimmer gilt, gilt auch in der Elternstube, auch wenn sie selten einem epischen Schlachtfeld gleicht.

«Ja, du hast mir wirklich schöne Blumen gekauft, aber ich musste meine Mails checken.» Wer auch immer Ihnen die Blumen geschenkt hat, wird sich nach dieser Formulierung hinter die Mails zurückgesetzt fühlen.

Denn das Wort «aber» zieht bildlich eine Wand auf, und der erste Teilsatz verschwindet dahinter. Wir haben uns daran gewöhnt, die Argumente des Gegenübers mit «aber» zu beantworten. Wir spielen uns oft vor, damit die Argumente des anderen wertzuschätzen (wir «erwähnen» sie ja). Und wir stellen dabei unsere eigene Seite strahlend vor die Wand. «Sie haben recht, aber …» heisst unter dem Strich: «Sie haben nicht alles bedacht, und ich sage Ihnen jetzt, was bei Ihnen falsch ist.»

Auf diese Art bildet «aber» immer erst mal eine Front und stellt meine Erkenntnis über die des Gegenübers.

Aber (!): Es gibt einen Ausweg. Und der ist ausgerechnet das unscheinbare, unterschätzte Wörtchen «und». Denn: Wenn «aber» eine Wand ist, dann ist «und» eine Hand.

«Bis acht Uhr darfst du noch lesen, und dann löschst du das Licht.» – Lesen Sie es laut, das tönt automatisch anders.

«Und» verbindet Teilsätze gleichwertig, ohne den ersten Gedanken implizit abzuwerten. Statt die Teilsätze durch eine Wand zu trennen, schafft «und» Brücken und reicht die Hand.

Das tönt banal, und es hat eine beinahe universelle Wirkung. Probieren Sie es aus und ersetzen Sie in sämtlichen Sätzen «aber» durch «und».

Als ich mir so selbst im Alltag zuhörte, war ich überrascht, wie diese «Kommunikation der kleinen Fronten» den Alltag durchwirkt. Ich war entsetzt, wie oft ich mit «aber» mikroskopische Abwertungen vornahm. Ich war verblüfft, wie problemlos sich «aber» durch «und» in fast jedem Fall ersetzen liess. Und ich war erstaunt, wie diese kleine Änderung für Entspannung in Streitgesprächen sorgen kann.

Zuletzt: Ja, Sprachgewohnheiten sind Despotinnen. Wenn ich Texte schreiben muss, bin ich immer wieder verärgert, wie mich mein «Aber»-Embargo zwingt, Gedanken besser zu fassen, statt auf die vertraute Wand- und Frontenmechanik zurückgreifen. Aber (!) es lohnt sich.

Bonus

«Aber ich will ‹aber› sagen dürfen!»

Wir sind in unserer Alltagssprache gewohnt, Dinge ständig negativ zu bewerten, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.

Gleichzeitig gibt es viele Menschen, die sich in ihrem Alltag als zu nachgiebig erleben. Sie sagen oft «Ja» zu etwas und bereuen es im Nachhinein.

Von solchen Menschen erlebe ich oft spontanen Widerstand dagegen, «aber» durch «und» auszutauschen. Sie haben den Eindruck, noch nachgiebiger zu werden, wenn sie mit «aber» keine Grenze mehr ziehen können.

Diese Befürchtung ist nachvollziehbar, und sie ist wichtig. Tatsächlich ist es in Konflikten wichtig, seine eigenen Grenzen zu spüren und auszudrücken. Und gerade das «und statt aber»-Prinzip ist eine ideale Übung, mir bewusst zu machen, was ich wirklich sagen will und was mir wichtig ist.

Denn das «aber» hat sich so in unsere Sprachgewohnheiten eingewoben, dass wir seine «mikro-destruktive» Funktion kaum mehr wahrnehmen.

Wenn ich also Mühe damit habe, mich selbst abzugrenzen, dann ist der «Aber-Verzicht» auch ein Verzicht auf Abwertung. Mit dieser kurzfristigen Mauer ist nämlich nichts gewonnen. Und das «und» ist kurzfristig vielleicht mühsam, ja, und (!) es ist langfristig gewinnbringend.

Vielmehr hilft mir gerade der bewusste Verzicht auf negative Sprachmuster, mir besser darüber klarzuwerden, was ich wirklich ausdrücken möchte. Klar, das ist mühsam. Aber (!) niemand hat gesagt, dass die Entwicklung meiner Persönlichkeit ein Ponyhof ist.

Praxis

1.Schreiben Sie fünf Sätze auf, die ein «aber» beinhalten – Sie brauchen nicht lange zu überlegen.

2.Wechseln Sie das «aber» durch ein «und» aus, betrachten Sie den Satz oder lesen Sie die beiden Varianten laut.

3.Wie hat sich der Satz nun verändert? Wie stehen die Aussagen in den beiden Satzteilen zueinander? Wie «fühlen» sich die Sätze an, wenn sie durch «und» getrennt sind statt durch «aber»?

Satz 1:

Satz 2:

Satz 3:

Satz 4:

Satz 5:

Beispiel:

1.Ein Satz mit «aber»:

Das Menü in diesem Fünf-Sterne-Restaurant hat mir geschmeckt, aber die Nudeln waren versalzen.

2.Austausch von «aber» durch «und»:

Das Menü in diesem Fünf-Sterne-Restaurant hat mir geschmeckt, und die Nudeln waren versalzen.

3.Eindrücke im Vergleich:

–Mit «aber» bleiben die versalzenen Nudeln als entscheidender Eindruck zurück.

–Mit «und» kommen mir die Nudeln lediglich wie ein Nachsatz zum Schmunzeln vor.

–Der ganze Rest des Menüs (der frische Salat, das zarte Gemüse und das leckere Dessert) bleibt mit «und» eigenständig und «unberührt» von den versalzenen Nudeln.

–Wenn ich den Satz mit «und» höre, dann gehe ich davon aus, dass es im Ganzen ein guter Restaurantbesuch war. Mit «aber» macht es auf mich den Eindruck, dass durch die versalzenen Nudeln eine betrübte Erinnerung zurückbleibt.

–Mein Gesamturteil über den Abend ist mit «und» besser als mit «aber».

Harmlos, aber toxisch: «Aber» unter der Lupe

Das unscheinbare Wort «aber» ist vielleicht eines der mächtigsten Wörter der Sprache überhaupt. Omnipräsent im Alltag und in Streitgesprächen, sind sich nur die Wenigsten bewusst, was das Wort für eine Wirkung besitzt. Kurz gesagt: «Aber» ist der Wolf im Schafspelz, der Scharfrichter im Mönchsgewand, die Verurteilung in Form eines Diskussionsbeitrags.

Eine Wertschätzung dieses Wort-Superwesens ist deshalb nichts anderes als richtig.

«Aber»-Sätze tönen vorerst eigentlich meist harmlos:

«Das Hotel hatte ein tolles Frühstücksbuffet, aber die Zimmer waren kühl.»

«Meine Chefin redet laut, aber sie ist intelligent.»

«Am Morgen schien die Sonne, aber am Mittag regnete es.»

«In der ersten Halbzeit dominierte Union Berlin, aber in der zweiten Halbzeit stürmte nur der FC Basel.»

Mit der Lupe betrachtet, gibt es zwei Grundsätze:

Erster Grundsatz: «Aber» drückt zuerst immer auf irgendeine Art einen Gegensatz aus (toll/kühl, laut/intelligent, Sonne/Regen, zwei gegnerische Fussballteams). Verbinde ich die Teilsätze stattdessen mit «und» – «Das Hotel hatte ein tolles Frühstücksbuffet und kühle Zimmer.» –, dann ist «kühl» wie durch Zauberhand kein Gegensatz von «toll» mehr, sondern einfach eine weitere Eigenschaft des Hotelaufenthalts.

Zweiter Grundsatz: Mit «aber» beurteile ich die beiden Satzteile, und der zweite Teil ist für mein Gesamturteil entscheidend.

Wenn ich «Das Hotel hatte ein tolles Frühstücksbuffet, aber kühle Zimmer.» umkehre und sage: «Das Hotel hatte kühle Zimmer, aber ein tolles Frühstücksbuffet.» – da wird sofort klar, in welchem Beispiel das Hotel mehr Bewertungssterne erhält. Und das funktioniert mit den anderen Beispielsätzen genau gleich.

Dieser Grundsatz gilt überall, wirklich überall. Wo ich sage: «Sie haben recht, aber dies und das haben Sie noch vergessen», da signalisiere ich, dass das Gegenüber unter dem Strich eben falsch liegt. Wenn ich hingegen formuliere «Sie haben noch dies und das vergessen, aber sie haben recht», dann mache ich meine Zustimmung deutlich.

Im Alltag verwenden wir das Wort «aber» fast immer unbedacht und geben dabei nur allzu oft unsere unbewusste Bewertung preis.

Oder wir zeigen gar, dass die angebliche Wertschätzung des Gegenübers («Sie haben ja recht, aber …») nur ein rhetorischer Trick ist, um Verständnis vorzutäuschen und dann unsere eigene Position umso krachender zu demonstrieren.

Auch dies geschieht oft unbewusst und führt nicht selten zur Verwunderung über eine zunehmende Verhärtung der Atmosphäre: «Aber (!) ich habe doch gesagt, er habe da und dort recht, wieso hat er nur so aggressiv reagiert?»

Wo ich in Konflikten und Streitgesprächen Lösungen finden will, ist eine wertschätzende Sprache sinnvoll.

Unbedacht verwendete «Aber»-Konstruktionen tragen die Gefahr in sich, Diskussionen zu kontaminieren und zu vergiften.

Wenn ich das Wort «aber» aber (!) sparsam und gezielt einsetze, ist es mächtig wie ein Atomkraftwerk, aber ohne Entsorgungsproblem. Und dieser Vergleich zum Schluss war vielleicht lustig, aber wahrscheinlich eher unnötig.

Bonus

Gegensätze im Alltag

In Konflikten ist Kommunikation ein filigranes Ding, ähnlich wie ein Mobile. Ein nicht sorgfältig platziertes Element kann das ganze Gebilde zum Kippen bringen, und im Nu sind die verschiedenen Ebenen heillos verwickelt. Gerade weil wir das Wort «aber» so oft benützen, hat es in Konflikten viel unsichtbare Macht über die Atmosphäre. Im Alltag ist das anders, hier sind die Beziehungen stabil. «Alles vor dem Aber ist Pferdemist» gilt auch im Alltag. Aber (!) wir können das Ungleichgewicht besser einschätzen und relativieren, als wenn wir emotional angegriffen sind.

Souverän ohne Aber

Wenn ich direkt angesprochen werde, hilft es auch mir selbst, auf ein «aber» zu verzichten. Nur zu oft bringt mein «aber» mich selbst nämlich dazu, in eine Rechtfertigungs- oder Verteidigungshaltung zu gehen.

Da fragt mich ein Freund zum Beispiel:

«Gehen wir wieder einmal miteinander essen?» Darauf antworte ich: «Ja, gern, aber diese Woche geht nicht, ich kann erst nächste Woche.»

Mein Freund hat mich gar nicht für diese Woche gefragt. Dennoch tönt meine Antwort danach. Und sie vermittelt, dass ich gerade Stress habe, der durch meinen Freund noch vergrössert wird, weswegen ich ihn erst mal abwehren muss. Dabei kann ich die «Aber»-Formulierung ersatzlos streichen und sagen:

«Ja, gern, ich kann nächste Woche.»

Da bestimmt die Vorfreude den Klang der Antwort, bei meinem Freund ebenso wie bei mir selbst.

Und sogar wenn ich Stress habe, kann ich ohne «aber» formulieren: Ja gern, ich kann nächste Woche. Schön, dass du mich fragst, ich bin nämlich gerade im Stress, und da tut es gut, von dir zu hören.

Praxis

Satzteile umdrehen

1.Formulieren Sie drei ganz banale Sätze mit einem «aber» in der Mitte.

2.Wechseln Sie die beiden Satzteile aus.

3.Lassen Sie auf sich wirken, wie Sie die gesamte Aussage nun empfinden.

«Aber»-Sätze umdrehen im Alltag

Experimentieren Sie im Alltag damit, «Aber»-Sätze umgedreht zu formulieren, als Sie es spontan möchten.

Also zum Beispiel:

Auf die Frage «Gehst du noch Brot einkaufen?» möchten Sie sagen:

«Ja, aber ich kann erst am Nachmittag gehen.»

Stattdessen sagen Sie:

«Ich komme erst am Nachmittag zum Einkaufen, aber ich kaufe dann Brot.»

Oder:

«Unser Lehrer hat uns oft gelobt, aber seine Prüfungen waren immer sehr schwierig.»

Stattdessen sagen Sie:

«Die Prüfungen waren bei diesem Lehrer immer sehr schwierig, aber er hat uns oft gelobt.»

Mit der Zeit können Sie sich dabei überlegen, wie Sie die Teilsätze vor und nach dem «aber» anordnen möchten, damit diejenige Energie nachhaltig bleibt, die Sie bei sich und dem Gegenüber platzieren möchten.

«Aber»-Formulierungen weglassen

Versuchen Sie, bei Anfragen die «Aber-Teile» ganz wegzulassen.

Also im obigen Beispiel:

«Ja, ist o. k., ich bringe am Nachmittag Brot mit.»

Vielleicht müssen Sie dann ein wenig umformulieren.

Frage:

«Findest du, dieses Kleid steht mir?»

Antwort mit «aber»:

«Ja, es steht dir, aber es ist teuer.»

(Umgedrehte Version: «Es ist teuer, aber ja, es steht dir.»)

Version ohne «aber»:

«Das Kleid steht dir, ja. Ist es dir diesen Preis wert?»

«Nicht» ist nichts oder der nicht rosarote Elefant

Nehmen Sie sich bitte fünf Sekunden Zeit. Schliessen Sie die Augen, und stellen Sie sich dann nicht einen rosaroten Elefanten vor.

Es ist ein alter Trick. Die allermeisten Menschen haben bei dieser Übung dann genau das vor dem sprichwörtlichen inneren Auge: einen Elefanten, womöglich einen rosaroten. Also das, was zu vermeiden war.

Es scheint, dass das Gehirn das Wort «nicht» schlicht überspringt und das registriert, was danach gesagt wird.

Im Alltag sind wir es jedoch gewohnt, Dinge laufend negativ zu formulieren. Versuchen Sie probehalber eine Stunde lang, das Wort «nicht» zu vermeiden – Gratulation, wenn es Ihnen gelingt!

Eine alte Binsenwahrheit der Kommunikation lautet: Was dir wichtig ist, das formuliere positiv! Denn wo du einen Satz mit «nicht» formulierst, hört das Gegenüber unbewusst das, was du nach dem «nicht» sagst.

Das kann durchaus lebensrettend sein: Der erschreckte Vater, der seiner Tochter auf dem Baum zuruft «Fall nicht runter!», sollte also besser rufen «Halt dich fest!».

In Streitgesprächen ist diese Erkenntnis Gold wert, weil wir auch hier permanent versucht sind, «nicht»-Dinge zu sagen, und genau damit hört das Gegenüber, was wir ausschliessen wollten: «Ich wollte dir nicht unterstellen, dass …», «du hast das sicher nicht böse gemeint, dass …», «ich wollte nicht, dass …».

Der Reflex, etwas «nicht» sagen zu wollen und es dann eben doch zu sagen, scheint tief in unseren Zellen eingelagert zu sein.

Hinzu kommt eine grundsätzliche inhaltliche Hürde: Was will ich eigentlich? Es ist oft sehr viel schwieriger zu wissen, was wir denn wirklich tun oder was genau wir erreichen wollen. Es ist viel einfacher, erst mal zu sagen, was wir nicht wollen.

«Nicht»-Formulierungen sind Kommunikationsfallen, und sie zu umgehen, fordert Achtsamkeit. Gerade in Streitsituationen, wenn ich etwas verteidigen will oder mich angegriffen fühle, ist das noch schwieriger.

Trotzdem müssen wir nicht verzweifeln, oder eben, positiv ausgedrückt: Es gibt Hoffnung. Denn wo wir um die Fallstricke im Wald wissen, ist es einfacher, sie zu erkennen oder zu umgehen:

Erstens: Ich muss nicht erstaunt sein, oder eben, ich kann gelassen bleiben, wenn das Gegenüber meint, ich sei verärgert, obwohl (bzw.: weil!) ich gesagt habe, ich sei nicht verärgert.

Zweitens: Ich kann die Herausforderung annehmen, genauer zu überlegen, wie ich mich eigentlich fühle – zum Beispiel «ich bin überrascht».

Drittens: In Streitgesprächen hilft das Bewusstsein um die tückische Wirkung von «Nicht»-Sätzen doppelt, weil gleichzeitig präziser formuliert und Tempo aus dem Gespräch genommen wird. Damit hat man mehr Zeit zum Denken, Sorgfalt und Langsamkeit wachsen – ein wesentlicher Teil von Deeskalation.

Und viertens: Wenn wir wissen, dass im Gehirn das als positive Aussage haften bleibt, was nach dem «nicht» gesagt wird, können wir «Nicht»-Sätze sogar bewusst konstruktiv einsetzen, zum Beispiel mit rhetorischen Fragen wie etwa «Ist das nicht ein guter Vorschlag?» oder indem ich einen Graben mit einer Negativ-Formulierung abschwäche, vielleicht noch verstärkt durch ein nachfolgendes «aber» («Ich bin mit Ihnen nicht einig, aber …»).

Bonus

Vegetarier und Nicht-Raucher

Die Lungenliga (die Schweizer Parallelorganisation zur Deutschen Atemwegsliga) setzt sich für die Befreiung vom Rauchen ein, und sie hat genau dieses «Nicht»-Problem. Der Tabakindustrie ist es nämlich gelungen, die Welt in Raucher:innen und Nicht-Raucher:innen einzuteilen. Auch wer noch nie den Rauch einer Zigarette inhaliert hat, wird mit dem Wort «Raucher:in» definiert. Normal ist es also, zu rauchen. Das ist wie eine Einteilung der Menschheit in «Männer» und «Nicht-Männer» (statt dem Wort «Frau»).

Besser haben das die «Nicht-Fleischesser:innen» gemacht. Sie definieren sich darüber, was sie tun, also über einen positiv formulieren Begriff: «Vegetarier:in». Damit haben sie eine eigene Identität, die sie mit positiven Eigenschaften füllen können, ohne ausgerechnet den Begriff im Namen zu tragen, den sie ablehnen.

«Hermann, was machst Du da?»

Zum Thema «Nichts» passt der legendäre Sketch des Komikers Loriot aus den 1970er-Jahren «Ich will hier nur sitzen».2

Aus der Küche heraus fragt die emsige Ehefrau: «Hermann, was machst Du da?» Darauf antwortet er: «Nichts.» Die Ehefrau kann sich darunter nichts vorstellen, und es entspinnt sich ein Dialog, der lehrbuchgemäss eskaliert, bis ein handfester Streit daraus wird.

Viele von Loriots Sketchen sind kleine Meisterwerke, die die absurden Abgründe der menschlichen Kommunikation liebevoll entlarven. Sehenswert sind sie auch heute noch.

Positiv formulieren statt schönreden

Die Aufforderung, negative Formulierungen zu vermeiden, führt bisweilen zu Missverständnissen: «Ich will manchmal aber das Negative aussprechen und sagen, dass etwas nicht gut ist. Man darf nicht immer alles schönreden.»

Ja, das ist richtig. Man soll die Dinge beim Namen nennen, gerade wenn sie unangenehm sind. Und um bei diesem Beispiel zu bleiben: Auf diese Weise positiv formuliert ist die Aussage klar und stärker formuliert als «ich will Dinge nicht schönreden». In der «Nicht»-Formulierung nenne ich das Wort, das ich eigentlich vermeiden möchte, und gebe ihm damit eine Realität.

Beim positiv Formulieren geht es also gerade bei negativen Inhalten darum, klar zu bleiben. Denn auch «Wir haben Streit» ist positiv formuliert und klar. «Wir haben es gerade nicht so friedlich» ist hingegen schwammig und verdeckt das Unangenehme.

Schlimmer geht immer

Es ist möglich, die Gefahren von «Nicht»-Aussagen in Konflikten zu vervielfachen – indem ich sie mit einer nachfolgenden «Aber»-Konstruktion garniere.

«Ich bin nicht verärgert, aber du hast mich soeben aus meinen Gedanken gerissen …» – wir bestätigen damit, dass wir eben genau verärgert sind. Letztlich zeigt sich auch eine Grundregel der Kommunikation: Richtig ist nicht, was A gesagt hat, sondern was B verstanden hat.

Was man einzig noch sagen müsste: Bitte positiv umformulieren.

Praxis

Übung 1

Denken Sie sich ein paar negativ formulierte Sätze aus und schreiben Sie sie auf.

Nun formulieren Sie jeden Satz so um, dass kein «nicht» drin vorkommt.

Beispiel 1:

Richtig ist nicht, was A gesagt hat, sondern was B verstanden hat.

Wird zu:

Für die Kommunikation muss A seine Aussagen so formulieren, dass B sie verstehen kann.

Oder:

Was A gesagt hat, zeigt sich erst daran, was B verstanden hat.

Beispiel 2:

Formulieren Sie jeden Satz so um, dass kein «nicht» drin vorkommt.

Wird zu:

Formulieren Sie jeden Satz so um, dass zum Ausdruck kommt, was Sie «positiv» sagen wollen.

Anmerkung:

Gewisse negativ formulierte Sätze sind zum Umformulieren wahre Knacknüsse. Manchmal brachte es mich schier zum Verzweifeln, wenn ich mir zum Ziel setzte, meine Aussagen wirklich als Positiv-Aussagen zu formulieren, statt mich mit schwammigen «Nicht»-Formulierungen durch Inhalte zu mogeln. Da hilft nur: dranbleiben, lernen, besser werden. Und sich freuen, wenn es gelingt!

Übung 2

Versuchen Sie, im Alltag ihre Aussagen positiv zu formulieren. Merken Sie an sich selbst, dass Sie gerade eine «Nicht»-Formulierung verwendet haben, formulieren Sie noch einmal neu, wie als Spiel.

Anmerkung:

Gerade hier ist wieder wichtig festzuhalten: Im Alltag können wir gut mit «Nicht»-Formulierungen umgehen. Sobald wir uns jedoch in einem Konflikt befinden, wird es heikel und es kann um jedes einzelne Wort gehen, ob ein Streit eskaliert oder sich zu einer Lösung hinbewegt. Deshalb ist der Alltag das beste Übungsfeld.

Das Resultat der beiden Übungen: Langfristig wird Ihre Sprache präziser, und es gelingt Ihnen, Ihre Anliegen besser, verständlicher und klarer zu formulieren.

Und mit einer positiven, klaren, präzisen Sprache erhalten Ihre Anliegen auch markant höhere Erfolgschancen. Dies allein macht das mühselige Üben mit Umformulieren lohnenswert.

Superlative sind der grösste Mist

«Das war das beste Cordon bleu der Welt.» – «Die Jugendlichen von heute sind die faulsten aller Zeiten!» – «Das ist dein dümmstes Argument!» – Superlative zeigen schön, wie unsere Sprache verschiedene Informationsebenen verwurstelt, und wie dieses «gemischte Hackfleisch» leicht kommunikative Bauchschmerzen hervorrufen kann.

In sieben plus einem Schritt verdauen wir diesen Kloss und finden eine verträglichere Nahrung.

1.Jetzt und hier, aber immer und überall!

Superlative drücken fast nie eine mathematische Information aus. Meist bedeuten sie einfach «sehr stark» und drücken eine grosse momentane Ergriffenheit aus. Um diese Ergriffenheit auszudrücken, wird das stärkste sprachliche Mittel gewählt.

2.Der «Hör mir zu!»-Booster

Bei Unsicherheit, ob mich mein Gegenüber wirklich hört oder meine Situation sieht, werden oft unbewusst Superlative benützt. Sie sind die Blick-Schlagzeilen und «Click-Baiter» der Kommunikation auf der Suche nach Aufmerksamkeit.

3.Ich mixe, ergo weiss ich, was ich mixe

Wo ich selbst Superlative verwende, weiss ich meist unbewusst, wie hoch der jeweilige Anteil von Sachinformation, Ergriffenheit und Aufmerksamkeitsappell ist. Das Problem: Die anderen wissen das nicht automatisch.

4.Streitsituationen sind Ausnahmezustände

In einer entspannten Situation kann ich die verschiedenen Ebenen eines Superlativs oft intuitiv interpretieren. Im Streit hingegen bin ich angespannt, meine Argumente und Emotionen nehmen mich in Beschlag, achtsames Zuhören und das Dekodieren vermischter Ebenen wird schwieriger.

5.Fallstricke allüberall

Ich sage zum Beispiel «Ich habe die schlimmsten Kopfschmerzen der Welt.» Mein Gegenüber muss nun intuitiv die verschiedenen Ebenen (Sachinfo, Gefühlsstärke, Aufmerksamkeitsaspekt) und ihr Verhältnis zueinander aufdröseln.

Dabei gibt es unzählige Möglichkeiten, so auf mich zu reagieren, dass ich mich missverstanden fühle. Will ich dem Guinness-Buch der Rekorde ein Mail schreiben? Will ich, dass meine Frau mir Tabletten holt? Will ich, dass mein Sohn mir zuhört, statt mir Löcher in den Bauch zu fragen? Will ich, dass mein Chef aufhört, über Lappalien zu jammern?

6.Eskalationstreiber

In Streitgesprächen führen Superlative auch oft zu einer Eskalation, weil das Gegenüber unbewusst drastischer zu argumentieren beginnt, um sprachlichen «Gleichstand» herzustellen. Der Teufelskreis beginnt …

7.Die Exit-Strategie: Verzicht auf Superlative

Mit Superlativen riskiere ich, dass die verschiedenen Ebenen missverstanden werden, was Streit befördert.

Die Themen und Gefühle an sich sind schon kompliziert genug, darum ist eine einfache Kommunikation wichtig.

Ergo: Verzichten Sie auf Superlative.

8.Präzision (statt Superlative)

Um in Konflikten auf unterschiedlichen Ebenen Wichtigkeit zu markieren, können wir lernen, uns anders und klarer auszudrücken.

–Auf der «mathematischen» Ebene: verwenden von «sehr», «enorm», «stark» etc.

–Auf der emotionalen Ebene: zum Beispiel mit «Ich habe so Kopfschmerzen, ich kann nicht mehr klar denken.»

–Auf der Aufmerksamkeitsebene: «Es ist mir wichtig, dass du siehst, wie es mir jetzt gerade geht.»

Für Superlative bleibt dann der Ort, wo sie hingehören: Dort, wo sie mathematisch korrekt verwendet sind. Ansonsten ist ihre Verwendung, eben, der grösste Mist.

Bonus

Concept Creep – die moralische Superlativisierung der Sprache

Meine Freundin hat mich verlassen, ich mag weder essen noch schlafen. Habe ich Liebeskummer und bin tieftraurig? Nein, ich klage über eine «Depression»! Ich habe mit Schokoladen-Glacé einen grossen braunen Fleck gemacht, der einfach nicht weggeht. Ich ärgere mich, weil ich mein Lieblingshemd entsorgen muss? Nein, ich bin «traumatisiert»! Nun habe ich das Prinzip begriffen: Ein Auto schneidet mir den Weg ab – ich bin ein «Opfer von struktureller Verkehrsgewalt!»

Diese Begriffsblähungen dienen einer grösseren Sensibilisierung für mein Leiden, ich suche damit mehr Anerkennung für meine Situation und Zuwendung für meine Person.

Dieser Vorgang nennt sich «Concept Creep» und ist auf Deutsch unübersetzbar.3 Meist negative Bezeichnungen von Begriffen blähen sich auf und führen zu einer extremen, moralisch belasteten Wahrnehmung der Realität.

Mir selbst kann «Concept Creep» helfen, Unrecht nicht zu beschönigen. In Konflikten ist es jedoch ein Brandbeschleuniger, wird rasch als moralische Schuldzuweisung verstanden und erschwert eine Deeskalation.

Beliebte Begriffsblähungen in der Politik

Die «Superlativisierung der Übertreibung» ist in der Politik leider ein allseits beliebtes Mittel: Wer eine gegenteilige Meinung vertritt, wird sofort mit den jeweiligen Extremen gleichgesetzt. Wahlweise sind dann alle Rechten «gewalttätige Nazis» und alle Linken «gewalttätige Chaoten». Und damit legitimiere ich dann das jeweilige Höchstmass an Reaktion, inklusive Gewalt.

Die heillose Familie der Superlativisierung

Zur Familie «Concept Creep» gehören «Cancel Culture» und «Gaslighting» ebenso wie die Mediengeschwister «Clickbaiting» und «Boulevardisierung». Überall werden jeweils die maximalen Begriffe, Zuschreibungen, moralischen Urteile und Reaktionen gesucht, um etwas beim Gegenüber zu bewirken: Betroffenheit, Anzahl Leser:innen, grösstmögliche Reaktion. Die Logik ist leider dieselbe wie die Aufrüstungsspirale, um ein «Gleichgewicht des Schreckens» herzustellen. Natürlich immer im Namen des «Friedens», der «Wahrheit» und der «Moral» (ja, das war jetzt ironisch, deshalb der Superlativ «immer»).

Plädoyer für präzise Sprache

Der berühmte Ökonom Adam Smith hat bereits im 18. Jahrhundert eine Theorie der ethischen Gefühle beschrieben.4 Was wir subjektiv fühlen, bewerten wir oft mit pseudoobjektiven Worten und Werten. Ich fühle mich verletzt? – Ein anderer muss mir Gewalt angetan haben. Deshalb plädiert Smith dafür, dass Unangenehmes differenziert und präzise ausgedrückt werden soll, statt zu Superlativen zu greifen. Daran hat sich nichts geändert.

Praxis

Analog statt digital

Ein Superlativ ist immer auch eine Art digitale Beschreibung, wie Schwarz und Weiss, «on» und «off», Eins und Null. Wenn Sie etwas beschreiben, stellen Sie sich stattdessen eine Farbskala vor. Oder platzieren Sie Ihre Bewertung auf einer Skala von eins bis tausend.

Adjektive und Gefühle

Verwenden Sie Superlative nur dann, wenn es mathematisch nachprüfbar ist («Das war der günstigste Käse im Angebot.»).

Wenn der Superlativ ein besonders starkes Gefühl ausdrücken soll, verwenden sie Adjektive – oder eben Gefühle.

Ein veganer Hamburger kann «hervorragend» sein, aussergewöhnlich, überraschend schmackhaft, sehr gross, mehrlagig, knusprig, mit vielen Zutaten gefüllt, sättigend, saftig usw.

Ich kann auch sagen: «Ich hatte noch den ganzen Nachmittag den feinen Geschmack auf der Zunge.» – «Der vegane Burger hat mir so geschmeckt, ich hätte am liebsten nochmals einen bestellt.» – «Wenn ich nur davon erzähle, läuft mir gleich wieder das Wasser im Mund zusammen». – «Das nächste Mal nehme ich wieder den gleichen Burger.»

Noch ein Beispiel:

Statt einfach «die beste Krimiserie, die ich je gesehen habe», kann eine Serie Folgendes sein: fantastisch, mitreissend, berührend, spannend wie ein Pfeilbogen, herzzerreissend, tiefgründig, beängstigend realistisch, gleichzeitig witzig und tragisch, lehrreich, ich konnte wunderbar abschalten, eintauchen, mich entspannen, beruhigend absehbar.

Oder beschreiben Sie, wie es Ihnen nach dem Film ging: entspannt, glücklich, mitgenommen.

Jetzt Sie:

Wählen Sie etwas aus, an dem Sie üben wollen.

Eine Ferienreise, ein Konzert, eine Begegnung, eine Sportveranstaltung, ein Anlass aus Ihrem Liebesleben oder ein Hobby:

Level 1: Wählen Sie nun fünf Adjektive aus, die Sie statt «das beste» verwenden könnten:

Level 2: Wählen Sie nun fünf Gefühle aus, mit denen Sie beschreiben können, weshalb das für Sie so aussergewöhnlich war:

Wortlisten sind Schatztruhen

Wenn Sie auf der Suche nach Adjektiven sind: Synonymlisten aus dem Internet sind wahre Fundgruben. Probieren Sie Wörter aus und spielen Sie mit ihnen – Sie werden rasch merken, welche zu Ihnen passen. Und: Es macht Spass, neue Wörter zu entdecken oder sie nach einer Weile im «Arbeitsspeicher» verfügbar zu haben!

Bei Gefühlen ist es ähnlich: Picken Sie sich einzelne Gefühle raus und denken Sie sich Situationen aus, in denen Sie das Wort statt eines Superlativs verwenden könnten.

Oder natürlich umgekehrt: Suchen Sie Gefühle, die zu Ihrem Erlebnis passen.

Eine Liste mit positiven und negativen Gefühlen finden Sie in den Kapiteln «Lernen Sie gefühlisch» (S. 70) – und auch im Internet, oft im Zusammenhang mit «gewaltfreier Kommunikation».

Danke statt Sorry – der Lotuseffekt

Was bei grossen Verfehlungen oft wie eine Kröte im Hals stecken bleibt, droht im Alltag zur Floskel zu verkommen: Entschuldigungen.

«Sorry, dass ich schon wieder zu spät bin.» – «Sorry, jetzt habe ich so viel geredet.» – «Sorry, ich habe vergessen, den Tisch abzuräumen.»

Mit einem «Sorry» signalisiere ich zwar Einsicht, einen Fehler gemacht zu haben. Ich bleibe jedoch ganz bei mir und meinem Thema. Und ich verrate bereits hier die Pointe: Viel besser ist es, wenn ich dem Gegenüber Dankbarkeit für sein Verhalten ausspreche.

Weil die «Sorry!»-Logik tückische Widerhaken in sich birgt, schauen wir kurz genauer hin.

Mit einem «Sorry, ich bin immer so viel zu spät» mache ich mich selbst klein. Darin liegt für das Gegenüber auch der Köder, mich wieder aufzubauen («ist ja nicht so schlimm»). Ein «aber» («ich musste noch Mails checken») macht dann aus dem scheinbar einsichtigen «Verzeih!» eine Rechtfertigung. «Schuld» an meinem Verhalten ist nun jemand anderes.

Meine Frau hat also erst auf mich warten müssen, spürt dann die Erwartung, mich zu trösten, während ich mich letztlich als unschuldig darstelle. Damit hat meine Frau also eigentlich kein Recht, meinetwegen ärgerlich zu sein.

Das alles passiert meist unbewusst, ungesagt und unabsichtlich. Gerade deswegen bleiben oft Kratzspuren auf unserer Seele zurück.

Die Alternative heisst: Dankbarkeit ausdrücken.

Wenn ich mich bei meinem Gegenüber für sein Verhalten bedanke, höre ich auf, um mich selbst zu kreisen, sondern wende mich dem anderen zu. Ich zeige damit explizit, dass ich sehe, was er oder sie getan hat.

Also zum Beispiel: «Danke, dass du gewartet hast» (statt «Es tut mir leid, dass ich zu spät bin»). – «Danke, dass du mir zuhörst» (statt «Ich habe so viel geredet!»). – «Danke, dass du das Geschirr abgeräumt hast» (statt «Ich war völlig neben mir»).

Wenn mir Dankbarkeit entgegengebracht wird, fühle ich mich innerlich «gesehen» und mein Verhalten wird mit Wertschätzung betrachtet. Ich fühle mich nicht sanft gedrängt, etwas zu verzeihen, das mich noch ärgert, weil ich zum Beispiel wirklich lange im Regen warten musste. Ich darf durchaus noch verärgert sein, denn mein Verhalten wird unabhängig davon mit Anerkennung und Wertschätzung bedacht.

Bis man es gewohnt ist, sich in traditionellen «Sorry!»-Situationen zu bedanken, braucht es ein wenig Übung, was man sagen könnte. Zum Beispiel:

–«Danke fürs genaue Korrigieren» (statt «Sorry, dass es Schreibfehler hatte»).

–«Danke, dass du mir meinen Laptop ins Homeoffice gebracht hast» (statt «Sorry, dass du extra kommen musstest»).

–«Danke, dass du mir das zugetraut hast» (statt «Sorry, dass ich den Auftrag nicht erfüllen konnte»).

Anderen gegenüber Dankbarkeit auszudrücken, das erweist sich rasch als wunderbare Essenz mit Lotuseffekt – wohlriechend, schmutzabweisend, reinigend.

Viele Studien sagen gar, dass Dankbarkeit ein eigentliches Glückselixier ist und Ehen nachhaltig stärkt. Also bringen wir im Alltag mehr Dankbarkeit ins Spiel und bitten dort ernsthaft um Entschuldigung, wo es tatsächlich um Verzeihen und Versöhnung geht.

Sorry, wenn ich diesen Text mit so einer Plattitüde beende. Oder eben: Danke, wenn Sie diesen Schluss mit einem Augenzwinkern lesen können.

Bonus

«Sorry» und «Entschuldigung»

Das englische «sorry» bedeutet etwas anderes als «Entschuldigung» und wird auch anders verwendet, als wir es eingedeutscht gewohnt sind. Wenn ich bei uns «Sorry, darf ich kurz stören?» frage, dann lautet die korrekte englische Übersetzung «Excuse me, may I bother you?». «Sorry, may I bother you?» ist schlicht falsch.

«Sorry» hingegen ist eine Kurzform für «I feel sorry», entspricht also unserem «es tut mir leid».

Die Feinheiten der Sprache zeigen also auch hier interessante Unterschiede.

Sich selbst entschuldigen? Sorry, das geht nicht.

Ist die Verfehlung ein bisschen gröber und nicht mit einem lapidaren «Sorry» abzutun, verwenden viele eine weitere Floskel: «Ich entschuldige mich dafür, dass …». Bei genauem Hinschauen wird die Problematik dieser Floskel deutlich: Kann ich mich selbst entschuldigen, nachdem ich jemand anderem Unrecht getan habe? Sofort wird klar, das ist ein schräges Konzept. Ich tue so, als würde ich einen Fehler eingestehen, und erwarte gleichzeitig, dass mit einem einzigen Satz die Diskussion beendet sein soll. Das Gegenüber hat so gar nicht die Chance, etwas darüber zu sagen, was mein Verhalten bei ihm ausgelöst hat. Wenn das Gegenüber dann beim Thema bleibt, wird oft prompt der vorwurfsvolle Satz nachgeschoben: «Was soll jetzt das, ich habe mich doch entschuldigt!»

Andere um Entschuldigung bitten: korrekter – und anspruchsvoller

Korrekt ist nach einer Verfehlung natürlich die Formulierung: «Ich bitte dich um Entschuldigung». Es ist nachzuvollziehen, dass viele das lapidare «sorry» oder «ich entschuldige mich» vorziehen, weil sie damit die Kontrolle über ihren Fehler und über die Verzeihung des anderen behalten. Um Entschuldigung zu bitten fordert von mir, mehr Verantwortung dafür zu übernehmen, dass mein Fehler bei meinem Gegenüber etwas ausgelöst hat, und dass es an ihm liegt, wie er meinen Fehler bewertet. Es ist ein Zeichen von erwachsenem Verhalten, Verantwortung für meine Fehler zu übernehmen.

Kleine und grosse Verfehlungen

«Sorry» durch «Danke» ersetzen, das ist ein kleines und wirkvolles Sprachwerkzeug für alltägliche Situationen. Wenn ich im Büro hingegen 10 000 Franken unterschlagen habe, ist der Satz «Danke, dass Sie nicht böse auf mich sind» der falsche Weg aus dem Schlamassel …

Entschuldigung und Versöhnung

Tatsächlich bräuchten wir neue «Wege zur Versöhnung», im Kleinen wie im Grossen. Die wertvollen Kerne in den traditionellen Angeboten der Kirchen sind von Unkraut überwuchert, und der Umgang vieler politischen Aktivisten mit Schuld ist meist lediglich eine Neuauflage genau der alten Schwarz-Weiss-Kirchenmoral in neuen Kleidern. Und ja: Versöhnung, das ist ein eigenes, grosses Thema.

Praxis

Grundsätzlich funktioniert das Prinzip so:

–Erster Schritt: «Danke»-Formulierungen suchen.

–Eventuell zweiter Schritt: fragen, was das Gegenüber braucht, um nach meinem Fehler wieder ins Lot zu kommen

–Bei gröberen Fehlern dritter Schritt: aushalten, dass es eine Weile dauern kann, bis das Gegenüber weiss, was es zur «Versöhnung» braucht, damit «Vergeben» und «Entschuldigen» möglich wird.

Notieren Sie sich mögliche Reaktionen für verschiedene kleine Alltagssituationen.

1.Ich komme zu spät zu einem Termin.

Mögliche Reaktion:

Mögliche Nachfrage:

2.Ich habe in einem Gespräch viel Redezeit in Anspruch genommen, um von meinen Sorgen zu erzählen.

Mögliche Reaktion:

Mögliche Nachfrage:

3.Meine Partnerin hat mich durch eine schwierige Zeit begleitet.

Mögliche Reaktion:

Mögliche Nachfrage:

4.Ich habe überempfindlich auf etwas reagiert.

Mögliche Reaktion:

Mögliche Nachfrage:

5.Ich habe Mühe, in einem Gespräch meine Gefühle und Gedanken in klare Sätze zu fassen.

Mögliche Reaktion:

Mögliche Nachfrage:

6.Mein Freund besucht mich an einem Sonntag im Spital und bringt mir Bücher von zu Hause mit.

Mögliche Reaktion:

Mögliche Nachfrage:

7.Ich habe im Garten aus Versehen die Lieblingsrose meines Partners abgeschnitten.

Hier ist ein «Danke» fast unmöglich, ohne dem Geschädigten eine Reaktion aufzuzwingen, zu der er vielleicht gar nicht wirklich bereit ist. Dann einfach nur um Verzeihung bitten:

Mögliche Nachfrage:

8.Ich hadere mit meinen Unzulänglichkeiten und Fehlern und finde mich selbst ganz und gar unausstehlich.

Mögliche Reaktion:

Mögliche Nachfrage:

9.Sie haben das Vertrauen Ihrer Freundin gebrochen.

Hier gibt es keine einfache Umformulierung. Nehmen Sie sich Zeit für ein längeres Gespräch, übernehmen Sie Verantwortung für Ihr Verhalten, suchen Sie sich professionelle Hilfe.

Mögliche Antworten:

1.«Danke für deine Geduld» (anstatt «Sorry für meine Verspätung»).

2.«Danke, dass du mir so lange zugehört hast» (statt «Sorry, ich rede einfach immer zu viel»).

3.«Danke, dass du das alles für mich getan hast» (anstatt «Entschuldigung, dass du meinetwegen so viel durchmachen musstest»).

4.«Danke, dass du mich gerade so annimmst» (anstatt «Sorry, dass ich so empfindlich bin»).

5.«Danke, dass du versuchst, mich zu verstehen» (statt «Sorry, das muss für dich alles ganz sinnlos tönen»).

6.«Danke, dass du mich besuchen kommst» (statt «Sorry, dass ich deinen Sonntagnachmittag vermassele»).

7.«Das war Mist. Ich bitte dich, mir die Chance zu geben, das wiedergutzumachen» (statt «Sorry, ich bin im Garten einfach eine Niete»).

8.«Danke, dass du mit mir Lösungen suchst, wenn ich Fehler mache» (statt «Sorry, ich bin einfach eine Katastrophe»).

Mögliche Nachfragen:

1.«Was ist dir jetzt wichtig?» Oder, wenn ich immer wieder zu spät komme: «Können wir unsere Abmachzeiten besprechen?»

2.«Magst du auch von dir erzählen?» oder «Was ist dir jetzt wichtig zu sagen?»

3.«Was war besonders schwierig für dich?» oder «Was kann ich jetzt für dich tun?»

4.«Magst du noch etwas dazu sagen?»

5.«Willst du mich noch etwas dazu fragen?»

6.«Was wünschst du dir für diesen Nachmittag?»

7.«Was kann ich tun, um das wiedergutzumachen?»

8.«Was könnten wir in solchen Situationen tun, damit es dir besser geht?»

Bedanken Sie sich immer wieder für Dinge, die andere für Sie getan haben, auch wenn sie es sich gar nicht bewusst sind, oder auch wenn es Alltägliches ist.

Unterlassen Sie es, sich dafür zu entschuldigen, dass Sie existieren. Daran ist nichts falsch.

Machen statt sein

«Da hast du aber ein tolles Foto gemacht» ist ein schönes Kompliment. Wenn ich meine Frau noch mehr loben will, kann ich ihr sagen «Das ist ein tolles Foto, du bist eine tolle Fotografin.»

Auch ohne theoretische Erklärung spüren wir intuitiv einen Unterschied zwischen der Formulierung mit Sein oder Machen.

Mit «Machen» spreche ich vor allem über eine Handlung oder eine Sache (also das tolle Foto, obwohl meine Frau sonst vielleicht eine miserable oder gar keine Fotografin ist), mit «Sein» identifiziere ich das einzelne Resultat mit der ganzen Person (das Foto ist «nur» eine Folge ihrer Klasse).

Vielleicht ahnen Sie bereits, dass dieser Unterschied bei Kritik und Streit den Weg weisen kann, wie ein Konflikt sich entwickelt.

«Du hast das Essen versalzen.» – «Du hast diesen Text schludrig geschrieben.» – «Du hast mich grob angefasst.» Kritik ist selten angenehm. In idealen Fällen kann ich mich dafür bedanken, oder ich möchte um Entschuldigung bitten, oder mich erklären. Oder ich kann nachfragen, wieso meine Handlung so gewirkt hat.

Beinahe ausweglos sieht es jedoch aus, wenn die Kritik auf die Ebene des Seins gehievt wird: «Du bist ein schlechter Hausmann.» – «Du bist ein Schluderi.» – «Du bist ein Grobian.»

Für ein grobes Anfassen kann ich um Entschuldigung bitten – wenn ich als Grobian bezeichnet werde, dann liegt der Fokus nicht mehr auf meiner Handlung, sondern auf meiner Persönlichkeit. Meine Tat ist dann quasi ein Teil meiner DNA, und dafür kann ich kaum um Entschuldigung bitten.