8. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2022 - Christoph-Maria Liegener (Hrsg.) - E-Book

8. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2022 E-Book

Christoph-Maria Liegener (Hrsg.)

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Anthologie des Bubenreuther Literaturwettbewerbs soll wie immer einen Querschnitt der zum Wettbewerb eingesendeten Texte abbilden. Das heißt, dass aus einer großen Zahl von Texten die ausgewählt wurden, die für den Beobachter interessant sein könnten. Manche dieser Texte sind einfach großartig und bei manchen ist es faszinierend zu sehen, wie die Autor*innen auf ihrem Weg vorankommen. Mit 330 ausgewählten Texten dürfte ein gesundes Maß getroffen sein. Einige der Texte wurden vom Herausgeber kommentiert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 499

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Christoph-Maria Liegener (Hrsg.)

8. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2022

© 2022 Christoph-Maria Liegener

Herausgeber: Christoph-Maria Liegener

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg Druck in Deutschland und weiteren Ländern

ISBN:

978-3-347-76237-4 (Paperback)

978-3-347-76238-1 (Hardcover)

978-3-347-76239-8 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Das Copyright der einzelnen Texte liegt bei den jeweiligen Autoren. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autoren und des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Vorwort

Die Siegertexte

Erster Platz: Brigitte Pixner

Zweiter Platz: Dieter R. Fuchs

Dritter Platz: Georg Großmann

Weitere ausgewählte Werke

Herbert Glaser

Werner Siepler

Lisa Deutschmann

Katja Baumgärtner

Helmut Blepp

Norbert Schäfer

Ulrike Grömling

Helga Licher

Thomas Schmid

Hans Heinze

Susanne Ulrike Maria Albrecht

Samira Schogofa

Wolfgang Rinn

Frank-Thomas Mitschke

Susanne Staudinger

Didi Costaire

Paul Fehlinger

Eva Königseder

Beat Meyenhofer

Günther Pilarz

Dominika Rauscher

Tim Tensfeld

Carsten Stephan

Gerd Schneider

Giulia Patruno

blumenleere

Werner Haussel

Mona Ullrich

Felice Marie Sophie Gotthardt

Sofian Weigel

Thomas Fix

Sonja Gruber

Felicia Yangin

Lisa-Kristin Jakobi

Inge Jung

Joshua Clausnitzer

Svenja Müller (Altdorf)

Kaia Rose

Eusebius van den Boom

Christina Pirker

Nadine Buch

Frank Joußen

Liza Ulitzka

Blago Vukadin

Petra Kislinger

Max Schatz

Michael Vock

Thyra Thorn

Kerstin Vögele

Maria Rosenberger

Ursula Strätling

Rolf Blessing

Gisela Baudy

Christian Baudy

Tanja Tuesday

Maria Lehner

Alexa Rudolph

Jürgen Rösch-Brassovan

Saskia Bannister

Lisa Schneeberger

Mateusz Gawlik

Lisa-Katharina Hensel

Markus Putnings

Michaela Schrimpf

Barbe Maria Linke

Oliver Fahn

Wolfgang Rödig

Joe Bach (Wipperfürth)

Norbert Sternmut

Roswitha Kathrina Wirtz

Lilly Leev

Daniel Bruno Löwen

Luisa Kaiser

Wolfgang Ahrens, Stade

Inna Cheshskaya

Maximilian Wust

Thorsten Franck

Regina Eske-Keller

Torsten Krippner

Friederike Obst

Karen Schröder

Jörg Hirche

Caroline Seeger

Alexander Klymchuk

Claudia Dvoracek-Iby

Leonie Rauth

Evelyn Langhans

Bernd Kleber

Andreas Kraft

Manuel Otto Bendrin

Alexander Da Re

Karsten Ricklefs

Antonia Weißbach

Othmar Auberger

Philipp D. Schönherr

Ludmilla Pettke

Regina Jarisch

Leon Richter

Claudia Lüer

Franck Sezelli

Maria Malt

Gabriele Marx

Johannes Wöstemeyer

Erwin Macher

Doreen Jaafar

Antje Pollok-Giese

Sigrid Eggersglüß

Julian Funke

Robert Füllenbach

Isabel Neumerkel

Tobias Hoffmann

Leonore Dubach

Detlef Siehl

Dyrk-Olaf Schreiber

Jale A. Welsch

Winfried Dittrich

Véra Marie Deubner

Sabine Quint

Hanna Geisemeyer

Hannah-Maria Hornbach

Heike Franz

Christiane Schwarze

Svenja Kaiser-Heykes

Margit Stein

Vanessa Boecking

Helmut Rinke

Sonja Dohrmann

Rebecca Jäger

Louise Behrens

Bernd Watzka

Valentin Steiner

Eva Joan

Sylvia Döttlinger

Melanie Jacobsen

Julia Schröder

Martin Kobe

Mario Thunert

Murielle Brehm

Katharina Fohringer-Hackl

Béatrice Sassi-Ehinger

Wolfgang Wörz

Michelle Möller

Mika Barton

Roberto Conti

Michael Asmussen

Dörte Müller

Karola Meling

Susanne Fissenewert

Alexander Willms

Anna-Katharina Kürschner

Heinz Kröpfl

Liane Krause

Alina Penner

Claudia Kemmer

Nora Fiegenbaum

Doreen Cölle

Jes Schön

Annemarie Aichele

Elisabeth Grossfurtner

Katharina Schiller

Konrad Grein

Vanessa Cutui

Ulla Unzeitig

Karin Wüste-Sallouh

Jandra Schröder

Angelique Göll

Nicole Prosser

Patrick Raphael Schaffarczik

Tim Sterniczuk

Judith Manok-Grundler

Jürgen de Bassmann

Valerija Knaub

Annika Kneipp

Hans Peter Flückiger

Astrid Kohlmeier

Miriam Bornewasser

Michael Grabner

Kerstin Nethövel

Philipp Spiering

Selina Trothe

Tom Reichelt

Julia Kohlbach

Margit Heumann

Gottfried Pixner

Andreas Kleingrothe

Sebastian Steffens

Paul van Kleren

Silvana E. Schneider

Steve Strix

Monika Mayer-Pavlidis

Aaron Böhler

Christina Müller

Gerwin Haybäck

Marcus Richter

Friedhelm Fiebig

Alexandra Caragata

Michael Köhler

Lisa Huber

Juan Tramontina

Luise Apel

Willi Volka

Jasmin Lincke

Philine Kreter

Patrick Langer

Verena Krum

Frank Maria Fischer

Anton Jacobshagen

Jan-Sandro Berner

Friedrich C. Hartmann

Frederik Durczok

Gisela Verges

Alina Gretenkordt

Ludwig Roman Fleischer

Heinrich Dörflinger

Laurin J. Lenschow

Thomas Steiner

Tia Bibra

Rainer „Reno“ Rebscher

Victoria Lubarski-Goldbeck

Andreas Köllner

Burkhard Bartsch

Lean Malin Wehler

Katharina Weiss

Achim Stößer

Simon Bernart

Felix Anker

Olga Polikevic

Jonathan Diez

Bettina Schmelz

Norbert Sternmut

Dirk Clausmeier

Varia Antares

Luca Gerst

Mandy Schirrmeister

Janine Lenkardt

Beate Loraine Bauer

Barbara Tischow

Desiree Burba

Dagmar Dusil

Marta Ivkic

Susi Menzel

Leon Silva

Elke Hernandez

Sabine Petko

Karlotta Hohmann

Ingrid Hägele

David Jura

Johanna Noack

Gernot Weise

Sabine van der Zwan

Andreas Lukas

Marlies Blauth

Helmut Beushausen

Zilla Berg

Tina Ludwig

Kevin Schneidhofer

Hannelore Futschek

Kami Kamea

Katharina Zanon

Omhashem Soliman

Finn Lorenzen

Eva Simone Neidhard

Sandy Schramm

Claudia Biedner

Bernd Watzka

Janina Mähleke

Ana Alamo

Felix Eckstein

Alisa Winterhalter

Frank Dietrich

Luitgard Kasper-Merbach

Franz Brunner

Christa Issinger

Jens-Philipp Gründler

Ingrid Reidel

Vianna Maris Liekam

Heike Weidlich

Miklos Muhi

Karl J. Müller

Sascha Wittmann

Franz Fabianits

Laura Mirecki

Sabine Reifenstahl

Roff Boff

Charlene Woywod

sara reichelt

Yvonne Brüntrup

Silvio Colditz

Joël Miguel Lädrach

Dieter Radtke

Ramona Pechmann

Virginia Lehmann

Felix Bozzai

Kora Busch

Jonas Hadler

Barbara Braun

Martin Hopfengart

Celina Farken

Sarah Mai

Simon Brombacher

Sebastian Frey

Angelika Zöllner

René Gröger

Irmgard Wackerzapp

Andra Beykirch

Heidi Scheer

Brit Tams

Emma Röttger

Hannah Boxleitner

Kristy Tieste

Nisnevitsch

Kamali Bauer

Claudius K. Makoi

Clementine Skorpil

Matthias Santiago Staehle

Stefanie Maurer

Melanie Bäreis

Katherina Ushachov

Juliane Barth

Christof Schäfer

Jeannette Overbeck

Marie Sulk

Elenor Eden

Lena Neukirchen

Mark Monetha

Bernd Daschek

Jonas Thüringer

Vorwort

An Themen für Literatur herrscht derzeit keine Knappheit: Ist Corona vorbei? Wird der Ost-West-Konflikt eskalieren? Lässt sich der Klimawandel noch stoppen? Und der Ukraine-Krieg? Die Inflation … Und vieles mehr.

Sollen jetzt alle Schriftsteller*innen über immer dieselben Themen schreiben, nur weil sie aktuell sind? Wie langweilig! Wir hören doch jeden Tag etwas darüber. Natürlich: Wenn jemand eine völlig neue Sicht auf eines der Themen eröffnet, wäre das lesenswert.

Aber eigentlich wünschen wir uns doch, das Alltägliche loszulassen, wenn wir ein Buch aufschlagen. Wir wollen in eine andere Welt eintauchen, wir wollen all die Probleme vergessen.

Literatur kann kunstvoll sein, muss aber nicht. Vieles, was modern klingt, soll nur verbergen, dass der Autor gar nichts zu sagen hat, dass er Formen nicht ausfüllen kann. Manchmal ist mir ein einfacher, klarer Text lieber als ein kunstvoller unklarer. Wie schön, wenn man genau versteht, was der Autor sagen will, wie sympathisch! Da braucht keiner Angst zu haben, dass es banal klingt. Die Wahrheit ist oft banal. Natürlich müssen die Wörter trotzdem passen, Sorgfalt ist unumgänglich.

Sorgfältig gestaltete Werke sind gar nicht mal so häufig. Oft stehen Autoren unter dem Einfluss einer Gefühlswallung und schreiben dann auf, was ihnen durch den Kopf geht. Ein zweiter Blick auf das Werk kann da schon viel bewirken.

Die Anthologie soll einen Querschnitt der eingesendeten Texte abbilden. Das heißt auch, dass nicht gnadenlos alle nicht ganz so guten Texte ausgesiebt wurden. Manchmal ist es interessant zu sehen, wie die Autor*innen auf ihrem Weg vorankommen, auch wenn sie noch nicht immer angekommen sind. Mit 330 Texten dürfte ein gesundes Maß getroffen sein.

Wie immer möchte ich meiner Familie für die anhaltende Unterstützung danken. Mein Dank gilt ferner all denen, die etwas eingesendet haben. Durch sie wurde diese Anthologie erst möglich.

Dr. Dr. Christoph-Maria Liegener

Die Siegertexte

Erster Platz: Brigitte Pixner

MACHT GELD GLÜCKLICH?

Geld macht glücklich!, so lautet derzeit ein TV-Werbespot für das neue Kabarett-Programm im „Gimpel“. – „Mama, stimmt das, dass Geld glücklich macht?“, fragt der kleine Roland seine Mutter verunsichert … „Und warum sagst du dann öfters, dass Geld nicht glücklich macht?!“ Kinder wollen eben alles wissen. – „Na, wenn man kein Geld hat, macht es schon glücklich, wenn man eins bekommt!“, antwortet die Mutter, „aber wenn man so halbwegs sein Auskommen hat, dann braucht man schon noch etwas anderes dazu, damit man glücklich ist.“ – „Mich?“, strahlt der liebe Roland. „Ja. Häschen!“, lacht die Mutter und schenkt ihm ein Küsschen. – „Aber, wenn wir genug Geld haben – oder eigentlich der Papi, der dir das Haushaltsgeld gibt –ich aber noch keines, dann macht es dich doch sicher glücklich, wenn du mir eines gibst, und ich mir davon einen neuen CD-Player kaufen kann?“ – Roland ist erst acht, denkt aber schon recht logisch – nicht nur, wenn er sich im Schachspiel versucht … Aha, daher weht also der Wind!, denkt die Mutter belustigt: Es geht, wie immer, doch ums liebe Geld! (Ums liebe Geld, habe ich eben gedacht, schilt sie sich selbst, aber es ist eben so eine Redensart).

„Wie viel brauchst du denn?“, sondiert sie vorsichtig. – „Hm, nicht viel! Nur dreißig Euro – ungefähr. Weißt du, das Geschäft, in dem ich den Player gesehen hab’, wird bald geschlossen, und so gibt es dort jetzt alles zum halben Preis! – Auch Lego und Playmobil übrigens …“ – „Lauter Schnäppchen also“, überlegt die Mutter. „Na, gut, wenn das so ist!“ Und sie holt tatsächlich dreißig Euro aus ihrem „Geheimfach“, dem Täschchen mit den Lockenwicklern, wohin sicher keiner schaut, und überreicht sie ihrem kleinen Sohn, der bald darauf glückstrahlend mit dem Player in der Hand wieder bei ihr aufkreuzt … „Stell dir vor, er hat sogar nur siebzig Prozent vom reduzierten Preis gekostet, weil das Geschäft schon übermorgen zusperrt!“, triumphiert Roland. Vom übrig gebliebenen Geld hab’ ich mir sogar noch ein verbilligtes Lego kaufen können! Alles zusammen dreißig Euro! Toll – nicht? Muss ich dir das Lego abzahlen, sobald Tante Mimi meinen Spar-Hamster wieder nachgefüttert hat?“ Treuherziger Blick. – „Nein, nicht nötig!“, wehrt die Mutter großzügig ab. – Was natürlich sehr erfreulich ist, ein echter Glücks-Zufall! … „Ist aber nur ausnahmsweise so“, setzt sie vorbeugend hinzu.

„Jetzt sind wir beide glücklich!“, strahlt der Bub. „Hoffentlich lange, wenn der neue Player und der Adapter auch lange halten!“ – „Wir müssen eben gut darauf aufpassen!“, kommt die mütterliche Mahnung. „Noch dazu, wo es ja keine Garantie mehr geben wird, weil das Geschäft dann geschlossen ist.“

Die dreißig Euro sind nun zwar perdu, aber niemand kann bestreiten, dass beide, der liebe Roland und seine Mutti, Glück gehabt haben … und es hoffentlich weiter haben werden, und dass beide jetzt, wo sie noch dazu viel Geld gespart haben – trotz (oder gerade durch den) Playerkauf –, so richtig glücklich miteinander und überhaupt mit aller Welt im Einklang sind!

Kommentar: Auf die Suggestivfrage in der Überschrift hat man schnell eine Antwort parat – und wird dann eines Besseren belehrt! Meisterlicher Rekurs aufs kindliche Verständnis. Was zunächst wie ein Lehrstück beginnt, endet als köstliche Anekdote. Und es erfreut das Gemüt.

Zweiter Platz: Dieter R. Fuchs

Als ein Loch das Nichts heimsuchte.

Leuchtet es nicht ein, dass sich ein Loch, angesichts der Fülle um es herum, bedrückt fühlen müsste? Doch die meisten Löcher sind so voller Leere, dass sich ihnen diese Erkenntnis nicht erschließt. Aber wie immer – Ausnahmen bestätigen die Regel.

So kam es, dass sich ein seines unerfüllten Daseins überdrüssiges Loch quasi seiner substanziellen Nichtexistenz bewusst wurde. In einer ersten spontanen Reaktion wünschte es sich also eine Erfüllung seiner selbst. Um im gleichen Moment dieser Eingebung jedoch zu begreifen, dass es mit einer solchen Aufgabe seiner der Leere verpflichteten Natur alles verlöre, was es selbst ausmachte und vom Rest seiner Umwelt unterschied. Deshalb entschied das Loch logischerweise, so zu bleiben, wie es war, und stattdessen einen ihm angemesseneren Ort zu suchen. Und was könnte einem Loch wohl paradiesischer erscheinen als das vollkommene Nichts?

Nach langer Reise durch die fast unendlichen Schichten des umgebenden Seins gelangte es dank seiner Masselosigkeit ins angrenzende, alles umschließende Nichts. Das Loch fühlte sich wohlig umhüllt von etwas ihm Gleichen und glaubte, als Loch im Nichts willkommen zu sein. Was sich jedoch als eklatante Fehleinschätzung erwies!

Das sich plötzlich aufblähende Nichts machte deutlich, dass im Nichts eben nichts etwas zu suchen habe, auch kein Loch. Dies könne die Ordnung des Nichts in Unordnung bringen, was zu vermeiden sei. Ein heftiges Ringen hob an, das mangels jeglicher Substanz auf beiden Seiten jedoch zu keinerlei Wirkungen führte. Die Leere sowohl des Lochs als auch des Nichts konnten sich weder gegenseitig verdrängen noch absorbieren, keine Seite konnte sich durchsetzen. Alles lief auf einen schier endlosen Streit hinaus, was sich insbesondere durch das Fehlen jeglichen Endes bei den Kombattanten als eine zusätzliche Komplikation erwies. Skurril wurde von dem Loch das Argument des Nichts empfunden, dass der Schöpfer des Nichts keine Löcher vorgesehen habe. Das Loch antwortete, dass so ein Schöpfer des Nichts, der ja nichts geschaffen hatte, wohl kaum ernst zu nehmen sei. Es ereiferte sich, wo denn so ein Schöpfer eigentlich hergekommen sein solle, etwa aus dem Nichts? Dann sei er ja wohl kaum objektiv und daher für den aktuellen Dissens irrelevant.

Nichts konnte das Nichts umstimmen und auch das unangreifbare Loch wich kein Jota von seinem im Nichts nicht definierbaren Standpunkt ab. Als dann das Nichts auch noch die grundsätzliche Nichtigkeit des Seins von Löchern ansprach, kam es zum unausweichlichen Chaos. Das Loch und das Nichts prallten mit voller, nicht vorhandener Wucht aufeinander, es kam zu einem zweiten Urknall und das löchrige Nichts wurde unter unhörbarem Getöse zum Beginn eines neuen Seins. Und darin leben wir alle nun, zusammen mit vielen Löchern und viel Nichts.

Kommentar: Eine Orgie des Absurden. Köstlich! Die Kunst besteht darin, scheinbar logische Argumente für sinnlose Sachverhalte zu finden.

Dritter Platz: Georg Großmann

Aus Angst

Angst

aus Angst

ich bin aus Angst

gefertigt

bin aus Angst

vor mir selbst

im Schatten der

Zeit

mein Fleisch ist

durchzittert vom

Ausbruch

mein Hirn ist

zerknittert

die Hoffnung

verwittert im

Erdreich der

Seele

ich lebe, ich

bebe

in Angst

vor der Welt

in Angst

vor mir selbst

bin aus Angst

bin die Angst

binde Angst

bind' mich selbst

um meine

Hände

das Leben zieht

den Knoten

fest

Kommentar: Wortspielereien, die tatsächlich einen Sinn ergeben. Stimulierende Reise in die Sprache. Die Auflösung Der Sprache kann auch konstruktiv wirken.

Weitere ausgewählte Werke

Herbert Glaser

Ich weiß alles!

Werner saß am Küchentisch und stierte in die halbvolle Müslischale, die vor ihm stand. Lara kam herein, knallte die Tür hinter sich zu, stellte sich auf die andere Seite des Tisches und stemmte ihre Hände in die Hüften.

„Ich weiß alles!“

Durch zwei Augenschlitze, die sich weigerten, größer zu werden, blickte Werner zu seiner Frau auf.

„Guten Morgen Schatz. Was weißt du?“

„Ich weiß alles. Du brauchst es gar nicht zu leugnen.“ In ihrem Gesicht waren alle Vorhänge zugezogen.

Werner fuhr sich über die unrasierte Wange und massierte seine Augen mit Daumen und Zeigefinger.

„Keine Ahnung, wovon du sprichst. Meinst du den Männerabend gestern? Ich hatte dir doch davon erzählt. Tut mir leid, dass es ein bisschen später geworden ist.“

„Ach, hör doch auf!“, sagte sie mit einer Stimme, die eine solche arktische Kälte ausstrahlte, dass er sich fragte, weshalb sich auf den Fensterscheiben kein Frost bildete. „Es geht doch nicht um den blöden Männerabend.“

Er gab sich unschuldig wie ein frisch gebadetes Kind.

„Ich kann dir beim besten Willen nicht folgen. Sag‘ mir einfach, was du meinst.“

Um das aufkommende Zittern ihrer Mundwinkel zu überspielen, zog Lara ihre Augenbrauen so stark zusammen, dass diese sich über der Nasenwurzel trafen.

„Wenn du das nicht selbst erkennst, kann ich uns nicht mehr helfen.“

„Uns?“ Unzusammenhängende Gedanken knallten wie Billardkugeln an die Banden seiner Schädeldecke.

„Ja, uns! Wir sind seit über sechs Jahren verheiratet. Anscheinend ist etwas dran an diesem verflixten siebten Ehejahr. Wie lange willst du mir noch etwas vormachen?“ Sie sagte dies mit so viel Überzeugung, dass der Verdacht in ihm keimte, sie wüsste tatsächlich, wovon sie sprach.

Ihre Blicke fraßen sich kurz ineinander. Einer dieser Er

glaubte, dass sie wusste, dass er … - Momente.

„Schatz, ich … „

„Spar dir das!“ Ihre Worte klangen wie Eiswürfel, die in ein leeres Wasserglas fallen. „Hier …“ Sie zog einen Umschlag aus ihrer Jeanstasche und warf ihn vor Werner auf den Tisch.

Er gönnte sich einen kurzen Augenblick des Selbstmitleids und ließ zu, dass sich seine Augen mit Tränen füllten. „Willst du etwa die Scheidung?“

Mit äußerster Beherrschung hielt Lara ihre Stimme auf arktischem Niveau. „Lies, dann wirst du schon sehen, wohin du uns gebracht hast.“

Resigniert drehte Werner das Kuvert in seiner Hand und gestand mit brüchiger Stimme „Ich wollte das doch nicht.“

Lara zog eine Grimasse. Lachen und Entsetzen kämpften um den verfügbaren Platz.

„Was?“

„Es war auf einer Betriebsfeier. Ich hatte zu viel getrunken und wir sind uns näher gekommen. Glaub‘ mir, es hat nichts mit dir zu tun. Ich schwöre, dass sie mir nichts bedeutet. Es tut mir so leid. Bitte verlasse mich nicht.“

Lara starrte mit zitterndem Kinn auf den Umschlag in seiner Hand. Werner öffnete ihn und las die handgeschriebenen Worte.

„Reingefallen!Ich wünsche dir einen schönen ersten April, Schatz!“

Werner Siepler

Fassungslos

Die Glühbirne heute kaum noch existiert, durch die Energiesparlampe ersetzt wird, die seit 2012 qualitätsbedingt, erheblich mehr Helligkeit ins Dunkel bringt.

Während sie stets Kaufinteresse findet, die Glühbirne aus dem Handel verschwindet. Vereinzelt man sie noch hier und da erblickt, auf dem Wege zum nostalgischen Relikt.

So ist die Glühbirne gewaltig entsetzt, dass ihre Strahlkraft heute keiner mehr schätzt. Und ihre Enttäuschung ist nach wie vor groß, schluchzt tränenerfüllt: “Jetzt bin ich fassungslos.“

Kommentar: Auch ein Kalauer muss mal erlaubt sein.

Lisa Deutschmann

Die Alte

Die Frau im Lodenmantel stützt sich mit steifen Fingern am Tresen ab. Der Angestellte hinter dem Schalter zählt ihr die Banknoten vor. Schon lange gelingt es ihr nicht mehr, diese mitzuzählen. Das Nachzählen würde zu lange dauern, hinter ihr warten bereits andere Kunden. Sie greift nach dem Kuvert, das ihr der Angestellte unter dem Glas durchschiebt und verstaut es in ihrer Handtasche. Die braune Tasche an den Körper gepresst, verlässt sie die Bank. Sie hastet den Gehweg entlang, ihr Atem bildet Dampfwolken in der kalten Luft. Zwei Halbwüchsige, die auf der Steinmauer sitzen, verfolgen sie mit ihren Blicken. „Hey Omi, …“, sagt der eine. Den Rest des Satzes versteht sie nicht. Sie eilt weiter. Das Geräusch des Sprungs von der Mauer lässt sie zusammenzucken. Ihr Herz pocht. Folgt er ihr? Will er sie berauben? Sie presst die Handtasche fester an sich, hält nach Fußgängern Ausschau. Auf der anderen Straßenseite geht eine Frau mit einem kleinen Kind. Ob sie es bemerken würde, wenn die Jungen über sie herfielen? Sie horcht angestrengt, kann aber keine Schritte hinter sich hören. An der Kreuzung bleibt sie stehen, hält den Blick starr auf die Ampel gerichtet. Endlich grün! Sie steigt vorsichtig vom Gehweg auf die Straße und marschiert los. Obwohl sie sich beeilt, schafft sie nur zwei Drittel des Übergangs, ehe die Ampel auf Rot umschaltet. Ein Autofahrer hupt. Sie hastet weiter, hört ihr eigenes Keuchen. Autos fahren knapp hinter ihr vorbei. Sie zwingt sich, noch schneller zu gehen. Als sie auf der gegenüberliegenden Seite angelangt ist, bleibt sie schwer atmend stehen. Sie stützt sich mit einer Hand an der Ampel ab, mit der anderen kramt sie im Mantel nach dem Stofftaschentuch. Kraftlos schnäuzt sie sich die Nase. Sie ist den Leuten doch bloß im Weg! Eine lästige Alte, die mit der schnelllebigen Zeit nicht mehr mithalten kann, die endlich abtreten sollte, um den Jungen nicht ihre kostbare Zeit zu stehlen und ihre zukünftige Rente zu schmälern. Sie wendet den Kopf, sieht zurück auf die andere Straßenseite. Die beiden Jugendlichen sitzen wieder auf der Steinmauer, ins Gespräch vertieft. Sie scheinen sie längst vergessen zu haben. Ihr werdet auch einmal alt sein, denkt sie verbittert und setzt ihren Weg langsam fort.

Katja Baumgärtner

Für meinen Bruder Roger, weil er immer für mich da ist

Pack die Badehose ein

„Pack die Badehose ein, Schwesterchen!“ „Nein!“

„Warum nicht?“

„Ich möchte meinen Bikini anziehen! Nur eine Badehose zu tragen, ist in meinem Alter nicht angemessen.“

„Dann pack also deinen Bikini ein, Schwesterchen!“ „Nein.“

„Warum nicht?“

„Ich ziehe ihn gleich an. Ich möchte sofort schwimmen gehen, wenn wir am Strand angekommen sind!“

„Willst du dich nicht erst bräunen, Schwesterchen? Schwimmen können wir dann immer noch!“

„Nein, ich möchte zuerst schwimmen, denn ich will bis ans Ende der Welt und dann wieder zurück. Das kann dauern!“

“Das ist zu gefährlich allein, Schwesterchen. Ich komme mit und beschütze dich vor all den Haien und wenn du nicht mehr schwimmen kannst, trag ich dich ein bisschen!“

„Einverstanden, vielleicht sind wir zu zweit schneller am Ziel und wir möchten ja auch noch zurück. Dann können wir uns noch bräunen!“

„Ja, Schwesterchen. Zu zweit sind wir schneller und dann bräunen wir uns noch!“

„Ich zieh jetzt gleich den Bikini an, Brüderchen. Pack die Badehose ein!“

„Nein Schwester!“

„Warum nicht?“

„Ich zieh sie gleich an. Dann sind wir noch schneller und können schwimmen, uns bräunen und vielleicht noch ein Eis schlecken!“

“Ja, Bruderherz!“

Helmut Blepp

Nachbarn

Nach dem Abendbrot ging ich daran, meine Pflanzen zu gießen. Nun, da das Frühjahr gekommen war, hatte ich die meisten umgetopft, deshalb schüttete ich etwas Flüssigdünger ins Gießwasser. Meine Yukka-Palme bereitete mir Sorgen. Ihre Blätter fingen an, sich braun zu färben, und die Spitzen spalteten sich.

Nachdem ich die Gießkanne abgestellt hatte, setzte ich mich an den Tisch und machte eine Notiz. „Vogel vorläufig im Käfig lassen!“ Es war mir schon einmal passiert, dass ein Wellensittich an den gedüngten Pflanzen geknabbert hatte und an einer Vergiftung gestorben war. Ich heftete den Zettel an die Wand zu den anderen. Zufrieden setzte ich mich in den Fernsehsessel. Es war kurz vor sieben.

Ich musste eingenickt sein, denn die Türglocke ließ mich aufschrecken. Ich erwartete niemanden, und Besuch war ohnehin recht selten. Neugierig ging ich öffnen. Meine Nachbarin stand in der Tür. Letzte Woche erst waren sie, ihr Mann und das Kind eingezogen. Etwas überrascht bat ich die Frau herein und führte sie ins Wohnzimmer. Eilig nahm ich einen Stoß Rätselhefte von der Couch, und sie setzte sich. Ich selbst nahm wieder auf dem Sessel Platz. Mir war unbehaglich. Ich war es nicht gewohnt, Konversation zu machen. Sollte ich ein Getränk anbieten? Es war nur Milch im Haus. Ich fragte nicht. Auch die Frau schien verunsichert. Sie rang die Hände im Schoß. Minutenlang. Endlich aber schaute sie mir ins Gesicht und sagte stockend:

„Es ist wegen meinem Mann.“

Ich wartete ab.

Wir haben schon seit einiger Zeit Probleme, und meine Tochter … für das Kind ist es furchtbar, Sie verstehen?“

Ich nickte, obwohl ich gar nichts verstand.

„Er schlägt sie, wenn er getrunken hat. Manchmal wage ich nicht, sie zur Schule zu schicken, weil man die Schläge sehen kann. Und ich …“

Es fiel ihr schwer, weiterzusprechen.

„Sehen Sie selbst!“

Sie nestelte an den oberen Knöpfen ihrer Bluse und legte den Ansatz ihrer Brüste frei. Die Blutergüsse rührten von Bissen her. Ich konnte die Abdrücke einzelner Zähne erkennen. Sprachlos schüttelte ich den Kopf.

„Heute Abend kam er schon betrunken von der Arbeit, schwer betrunken.“

Sie sprach jetzt schneller, so als wolle sie möglichst bald zum Ende kommen.

„Sein Essen stand bereit. Ich stellte die Suppe vor ihn auf den Tisch. Murrend begann er, sie zu schlürfen, verlangte Brot dazu. Ich holte den Laib aus dem Korb und nahm das Messer. So stand ich hinter ihm und schaute auf seinen geröteten Nacken. Dann stieß ich das Messer hinein.“

Ich hatte ihrem Geständnis mit gesenktem Kopf zugehört und dabei auf ihre Hände gestarrt. Nun blickte ich hoch. Sie hatte nichts mehr zu sagen und, so schien es mir, erwartete auch keine Stellungnahme. Sie hielt meinem Blick gewiss eine Minute lang stand. Dann erhob sie sich. Ich brachte sie zur Tür. Sie reichte mir die Hand und drückte kräftig zu. Dann ging sie zurück in ihre Wohnung, deren Tür die ganze Zeit offen gestanden hatte.

Norbert Schäfer

Gipfel und andere Freuden

Meine schmerzenden Muskeln entspannen sich. Traditionell fasse ich an das alte Kreuz, die Hand an dem von der Sonne beschienenen, rissigen, dunklen Holz wärmend. Bänke gibt es keine, aber ein großer, flacher Stein scheint mir bequem genug. Die Beine schicken Wellen des Dankes, als ich sie mit einem Seufzer der Erleichterung ausstrecke. Ein Pärchen mittleren Alters, das mich bei meiner Ankunft freundlich nickend begrüßt, hat sich unweit des Gipfels niedergelassen und ist in eine halblaute Unterhaltung vertieft.

Mein Blick schweift über das Tal und verharrt kurz bei dem Dorf aus der Vogelperspektive. Die Welt dort unten war mein Ausgangspunkt und hat sich doch verwandelt. Die Häuser wirken wie kleine, zusammengewürfelte, farbige Steine, von denen lediglich der Kirchturm heraussticht. Gestern noch hatte ich vor dem wuchtigen Gebäude gestanden, beeindruckt von seinen steil aufragenden Mauern mit den schönen Buntglasfenstern. Auch die lackglänzenden Autos, die jeden Tag lärmend, nach Abgasen riechend und, häufig gefährlich schnell. das Dorf passieren, gleichen jetzt winzigen Käfern. Langsam und geräuschlos bewegen sie sich entlang der Ameisenstraße. Ihre Farben haben sich in Grautöne verwandelt.

Dohlen malen dunkle Kreise in das tiefe Blau des Himmels. Ich begreife ihr Krächzen als Begrüßung des neuen Gastes.

Die ungefilterten Sonnenstrahlen wärmen meinen Körper. Und meine Seele.

Ich sauge die Kulisse des Bergpanoramas auf. Ein Anblick, den Künstler oftmals versuchen, mit Pinsel und Farben zu verewigen. Mir erscheint es aber, als ob die Natur versucht, sich an einem besonders schönen Landschaftsbild zu orientieren. Das ist natürlich eine surreale Vorstellung. Aber es erklärt die sich mir darbietende, nahezu perfekte Aufteilung der Farben und Flächen.

Wiesen schmiegen sich von der Talsenke an die Bergflanke. Ihr helles Grün mit den braunen und weißen Sprenkeln von weidenden Kühen strahlt vor Energie und Lebenslust. Nahtlos schließt sich das dunklere Blaugrün der Tannen und Fichten an, das den Hang dominiert. Helle, sonnenbeschienene Flecken der Nadelbäume vervollständigen den Eindruck, als ob mir der Wald freundlich zulächelt. Am obersten Rand wechselt die Farbe abrupt in ein helles, fast weißes Grau, mit dem mich die gegenüberliegenden Bergspitzen begrüßen. Und einladen, ihre Welt in den nächsten Tagen zu besuchen. Ich kann drei weitere Gipfelkreuze ausmachen, von denen eines, Sonnenstrahlen reflektierend, aufblitzt.

Die Dohlen haben ihre Spender gefunden. Sie tippeln unweit des Paares umher.

Einen Moment werde ich noch verweilen, um dann zurück in die andere Welt aufzubrechen. Die Welt der bunten und schnellen Autos, der großen Häuser und der lärmenden Touristengruppen.

Aber eben auch die Welt der Leberknödelsuppen, Rahmschwammerln, halben Hendln und Weißbiere.

Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen.

Kommentar: Der Autor bezeichnet seinen Text als eine Geschichte in Dur. In der Tat kann der Beitrag zur guten Laune beisteuern.

Ulrike Grömling

Abschied

Auf diesen Moment hatte ich monatelang hingearbeitet, ihn mehr herbeigesehnt als Geburtstag und Weihnachten zusammengenommen. Vor dem inneren Auge malte ich mir den Augenblick immer wieder aus. Ich sah meine Euphorie und den unbändigen Stolz. Jubeln wollte ich, tanzend den restlichen Tag verbringen, Gott und die Welt umarmen.

Jetzt, kurz vor dem Ziel, erlahmt mein Tatendrang. Ich zögere, will den Augenblick hinausschieben. Tief im Inneren weiß ich, dass es kein Zurück geben wird. Wenn ich weitermache, werde ich den Kontakt zu Ella und Luis verlieren.

Die beiden haben viele Schwierigkeiten und Gefahren überwunden. Anfangs sah es kompliziert aus, und wenig später schien die Katastrophe vorprogrammiert. Zu Beginn unserer Bekanntschaft pflegte Ella ihre Launen. Nie werde ich vergessen, wie oft sie Luis anfuhr und damit absichtlich verletzte. Das hätte sich beinahe auf fatale Weise gerächt. Doch sie entwickelte sich zu einer großherzigen Frau, Luis zu einem feinfühligen Menschenkenner.

Als hätte sie meine Gedanken gespürt, taucht Ella wie aus dem Nichts auf. Traurig sieht sie mich an und fragt mit belegter Stimme: »Du schickst uns weg? Magst du uns nicht mehr?«

»Nein, Ella, ich habe euch gern! Ihr seid mir ans Herz gewachsen, als wärt ihr meine leiblichen Kinder!«

»Warum beendest du dann unsere Beziehung? Warum machst du Schluss?«

»Das ist nichts Endgültiges. Wir werden nur künftig nicht mehr jeden Tag miteinander verbringen.«

»Du wirst mir fehlen!« Trauer schwingt in ihrer Stimme mit.

Luis kommt hinzu, beobachtet uns aufmerksam und versteht intuitiv die Situation. Das ist keine Gabe. Diese Fähigkeit hat er sich durch leidvolle Erfahrungen erworben. Ich erinnere mich an die Schmerzen, die er erduldete. Daran war ich nicht unschuldig, sofort steigen Schuldgefühle in mir hoch.

Entschieden presse ich die Worte hervor: »Ihr seid erwachsen und braucht kein Kindermädchen mehr!« Mein Kopf hatte gesprochen. Das Herz dagegen schrie tonlos: Geht nicht weg! Bleibt hier! Ich weiß nicht, was ich ohne euch machen soll!

Der innere Zwiespalt reißt an mir, ich fühle den Schmerz und Tränen schießen in meine Augen.

»Nein«, sagt Luis. »Das ist kein Grund zum Weinen. Ella, wir wussten stets, dass es enden wird.« Zu mir gewandt fährt er fort: »Mary, ich danke dir für alles. Du hast uns geformt und uns begleitet. Ohne dich wären wir nichts. Doch jetzt beginnt eine neue Zeit.« Er drückt mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und sagt entschlossen: »Komm, Ella, wir gehen!«

Die junge Frau nimmt Luis' Hand und folgt ihm. Im Türrahmen dreht sie sich um. Sie lächelt ein letztes Mal, bevor beide verschwinden, als hätten sie sich in Luft aufgelöst.

Jetzt kommt die Botschaft in meinem Herzen an. Ja, es ist an der Zeit, Abschied zu nehmen. Dennoch möchte ich Ella und Luis gern wiedersehen. Eine Fortsetzung erscheint nicht ausgeschlossen.

Nun bin ich bereit. Ich schreibe den letzten Satz meines Romans, schreibe: »Komm, Ella, wir gehen!«

Und darunter: ENDE

Kommentar: Kunstvoller Spannungsaufbau, der mit einer überraschenden Lösung beendet wird.

Helga Licher

„Bunt sind schon die Wälder…

… gelb die Stoppelfelder, und der Herbst beginnt.“

Dieses Volkslied von Hannes Wader ertönte zum Herbstbeginn aus allen Klassenräumen meiner Schule.

Den Klang der Mädchenstimmen habe ich noch heute im Ohr, wenn sich der Sommer wehmütig verabschiedet und den Herbst ankündigt. Die goldene Oktobersonne taucht die Natur jetzt in ein prächtiges Licht, bevor die grauen Nebelschwaden aus den Wiesen emporsteigen.

Wenn der Wind die letzten Blätter von den Bäumen weht und die Tage merklich kürzer werden, zieht es mich oft an den Ort, an dem ich meine Kindheit verbrachte.

Ziellos gehe ich dann die Straßen meiner Heimatstadt entlang, wo ich als kleines Mädchen vor vielen Jahren mit meiner Familie lebte. Für meine Geschwister und mich waren es glückliche Jahre. Der Krieg war vorbei, Entbehrungen, Hunger und Not gehörten der Vergangenheit an. Unser kleines Siedlungshaus am Stadtrand hatte die vielen Bombenangriffe unbeschadet überstanden, und in unserem Garten blühten die Herbstzeitlosen, wie in all den Jahren zuvor.

Wenn ich heute diese Straße entlang gehe, sehe ich keine spielenden Kinder mehr. Ich höre ihr Lachen nicht, und vermisse das Strahlen in ihren Gesichtern, wenn der Herbststurm um die Hausecken fegt, und es gar nicht mehr richtig hell werden will. Niemand ruft meinen Namen, so wie es früher war, wenn ich durch die Gartenpforte auf die Straße trat. Ich frage mich, wo sie geblieben sind, die fröhlichen Kinder mit ihren lachenden Augen. Wie ausgestorben liegt diese, mir einst so vertraute Straße im trüben Licht der Herbstsonne. Rechts und links an den Bürgersteigen parken Autos, und hohe Zäune versperren den Blick in die Gärten. Nachdenklich gehe ich weiter die Straße entlang. Einige Meter noch, dann macht sie eine leichte Biegung nach rechts.

Ich halte inne, schließe meine Augen und öffne in Gedanken die rostige Gartenpforte.

Ich sehe ihn vor mir - den gepflasterten Weg, der zum Haus führt. Vorbei an den Apfelbäumen, deren Zweige sich unter der Last der reifen Äpfel tief hinunter beugen. Ich atme den Duft der Rosen und lausche dem Gesang der Vögel. Die Luft riecht würzig nach feuchtem Laub. Hier bin ich zu Hause…

Ich bleibe noch eine Weile stehen. Nur zögernd finde ich in die Wirklichkeit zurück und öffne langsam meine Augen. Mein Blick fällt auf ein riesiges Hochhaus mit vielen Stockwerken und einer modernen Glasfassade.

Mein Elternhaus gibt es nicht mehr. Es musste diesem Koloss aus Stahl und Beton weichen.

Doch in meiner Erinnerung werde ich mein Zuhause noch oft besuchen. Ich werde den Geruch von Seifenlauge in der Nase spüren, der durchs ganze Haus zog, wenn meine Oma große Wäsche hatte. Ich werde die knarrenden Treppenstufen hinaufgehen, um einen Blick in mein kleines Zimmer zu werfen, und - ich werde das Lachen der Kinder wieder hören, wenn sie draußen auf der Straße meinen Namen rufen…

…“rote Blätter fallen,

graue Nebel wallen,

kühler weht der Wind…“

Thomas Schmid

Höhenrausch

Die Buntstifte malen azurblaue Sehnsucht, im Windschatten schimmert glitzernder Tau, von dannen schwebt – vermaledeites Grau, hinfort mit dem Dunkel und verbotener Frucht.

Statt Apfelsünde, der Weg in die Freiheit, wie Vögel ihre Runden vollführend, den Wind am ganzen Körper verspürend, Ikarus, der Wunsch in mir voll Inbrunst schreit.

Doch nicht nur die Sonne im Hürdenspalier, verspürt meinen Traum - himmelwärts fliegen, der Engelschor singt schwarze Lieder.

Ängste beschweren meine Glieder, Vernunft zieht ein, statt dich zu besiegen, erklärt mir: Auch fürder führt kein Weg zu dir.

Hans Heinze

Auszeit

Ehe mich die Kaskaden

der Tatsächlichkeit überfluten

und die Schnitzmesser unserer Zeit

mein Ebenbild formen

tauche ich Knall auf Fall

in die kunterbunte Welt der Fantasie

in ihre verheißungsvollen Fänge

und in ihr verlockendes Licht

ich umfahre das Fegefeuer

blockiere dessen Umarmung

blicke voll Sehnsucht und woge doch

wie eine schaumgebremste Welle

und da keine Ruhe herrscht

reite ich hinüber auf meine Insel

denn unsere Synthese erdet mich

weil ich nunmehr auf Pause bin

Susanne Ulrike Maria Albrecht

Ein Meer von Blumen

Unser aller Stolz, ein Park wie kein anderer; Kulturpark „Europas Rosengarten“. Er wurde im Juni 1914 von Prinzessin Hildegard von Bayern eröffnet. Rosenfreunde, allen voran der Landschaftsgärtnermeister Ludwig Stengel aus der Herzogstadt haben die prachtvolle Anlage geschaffen, die mitten in der Stadt liegt. „Europas Rosengarten“ ist eine Parkanlage ganz besonderer Art. In stilvoll gestalteter Umgebung von Gehölzen und Pflanzen, Teichen und Weihern, werden auf fünfzigtausend Quadratmeter über sechzigtausend Rosen in zweitausend verschiedenen Sorten vorgestellt.

Ein Meer von Blumen!

Gibt es etwas schöneres als die Stadt Zweibrücken? Oder den Rosengarten? Dieser betörende Duft der mit dem Beginn der Rosenblüte zu einem blumigen Spaziergang einlädt … Den Besuchern des Kulturpark „Europas Rosengarten“ begegnen die neuesten und ältesten, die seltensten und die prächtigsten Rosen international renommierter Züchter. Auf dem Gelände der ehemaligen herzoglichen Gärten können sich Gartenfreunde wertvolle Anregungen holen und sich über die vielartigen Rosensorten freuen. Ein abwechslungsreiches Unterhaltungsprogramm bietet für jeden Geschmack etwas und macht den Garten zu einem besonderen Anziehungspunkt. Nach einem ausgiebigen Spaziergang durch ein Meer von farbenfrohen Blüten lädt eine sehr gepflegte Cafeterrasse in stilvoller Atmosphäre, die in den Rosengarten integriert ist, zum Verweilen ein. Wem das noch nicht genügt, kann sich aufmachen in ein lebendiges Rosenmuseum: Der Wildrosengarten. Über den fast drei Kilometer langen Spazierweg ist der Kulturpark mit dem Wildrosengarten im Naherholungsgebiet Fasanerie verbunden.

So hatte Ludwig Stengel mit dem Rosengarten ein Paradies für Pflanzen, Tiere, Menschen und alle Lebewesen geschaffen.

Kommentar: Der Text liest sich fast wie ein Kapitel aus einem Reiseführer, wäre da nicht die echte Begeisterung der Autorin für den Gegenstand ihrer Lobpreisung. Da bekommt man geradezu Lust hinzufahren.

Samira Schogofa

Ball der Irren

In dieser fahl erleuchteten Stunde

wiegen wir uns wehrlos,

dem Charme der begehrlichen Musik ergeben,

schmiegen wir uns schwerelos

an eine mühselig gewundene Melodie.

Dieser regelmäßige Rhythmus tut uns gut

in erschütternden Zeiten.

Hoffentlich verderben uns die Toten

nicht den Sommer.

Wolfgang Rinn

Ein kleines Wunder

Ein kleines Wunder

hat sich auf den Weg gemacht

und bei mir angeklopft,

an mich gedacht:

„Komm mit,

so will ich dich

das Staunen lehren,

und du darfst

Sternen näher sein,

die Aussicht dir gewähren

auf jenes Land,

dem deine Sehnsucht gilt,

im Traume sichtbar wird

als Hoffnungsbild.“

Frank-Thomas Mitschke

Der Künstler

Er war ein wirklicher Künstler! Malen konnte er wie Rembrandt, wie van Gogh, wie Cézanne. Er hatte sogar ein Kunststudium begonnen, aber sein Professor meinte, er habe zwar das Zeug zum Kopierer, zum Nachahmer – allein für das eigene, unverwechselbare Schaffen fehle ihm die künstlerische Kraft.

Daraufhin hatte er sich aus der Akademie zurückgezogen und sich in sein Atelier vergraben. Er arbeitete Tag und Nacht und versorgte auf diese Weise die Kunstwelt nach und nach mit Neuentdeckungen von (fast) originalen Meisterwerken der oben erwähnten Berühmtheiten. Die vielen Fachleute – u. a. auch sein früherer Kunstprofessor – bestätigten voll Eifer, dass es sich um Originale handelte, um Sensationsfunde, um Wunder!

Sein größter Traum aber war es, ein von ihm für unvollkommen eingeschätztes Kunstwerk eines Kollegen zu verschönern, ihm mehr Strahlkraft und Sinnesfreude zu vermitteln und so sein Genie mit dem Können des Kollegen zu vereinen. Sei es, das Gelb eines einohrig gemalten Feldes zu intensivieren, sei es, die Konturen einer sich auf einem Diwan räkelnden Dame von überflüssigen Pfunden zu befreien – es war sein Ziel, ganz einfach Kunst zu optimieren.

So ging er von nun an jeden Tag ins Museum, jedes Mal ein Malutensil mit sich führend; einen Pinsel, den er auf der Toilette des Museums versteckte, eine Tube Farbe, die er mit Klebeband unter einem Papierkorb befestigte, seine Palette, die er, in Folie gewickelt, unter die Stufen eines der Notausgänge geklemmt hatte – nie mehr als ein Utensil am Tag, um nicht aufzufallen.

Es war ein Sonntag, an dem er sich einschließen ließ. Er schaffte es, sich nicht vom Aufsichtspersonal erwischen zu lassen, und nachdem das letzte menschliche Wesen das Museum verlassen hatte, suchte er seine Mitbringsel zusammen, mischte die Farben auf seiner Palette und begab sich mit einer sonst nie gekannten Spannung ans Werk – einer Spannung, die nicht etwa aus der Angst resultierte, erwischt zu werden, sondern die sich speiste aus dem Gefühl, dem Höhepunkt seines bisherigen Schaffens näher zu kommen.

Er ließ sich viel Zeit, hier ein dünner Pinselstrich, da eine vorsichtige Farbkorrektur – er wollte schließlich kein neues Werk schaffen, sondern nur weniger gelungene Passagen verbessern, dem Ganzen mehr Gestalt geben. Er arbeitete ohne Pause bis zum frühen Morgen, betrachtete dann seine Arbeit voll Zufriedenheit und zog sich zurück, um sich auszuruhen und die Frucht seiner Genialität immer wieder zu betrachten.

Als am nächsten Morgen wie gewohnt tausende von Menschen in den Louvre strömten – die meisten von ihnen auf direktem Weg zur Mona Lisa – staunten diese nicht schlecht, als sie statt des sphinxhaften Lächelns und der elegant ruhenden Hände eine Mona Lisa erblickten, die sie mit breitem Grinsen begrüsste, die strahlend weißen Zähne dem Betrachter entgegenbleckend, und die rechte, normalerweise elegant auf dem linken Handgelenk ruhende Hand aus der Bildmitte heraus fröhlich winkte wie eine gute alte Bekannte.

Kommentar: Hier wird eine große Erwartung aufgebaut. Innerlich reibt man sich vergnügt die Hände, was nun kommen möge … Eine Pointe war dann schon erwartet worden und kann doch durch die Verlagerung in die wirkliche Welt nicht die erträumten Fantasien erreichen. Die Kunst bestand also hierbei darin, die Erwartungen zu erwecken, weniger darin, sie zu erfüllen. Diese Kunst ist indes zur Vollendung gebracht worden.

Susanne Staudinger

Dominik

Gleichgültig leuchten die Laternen

auf seine Schneespur durch die Nacht.

Sie müssen keine Demut lernen,

auch nicht, dass Kälte mürbe macht.

Bei ihnen bröckelt keine Würde,

sie suchen nicht nach Flaschenpfand.

Und sie erleben nicht als Bürde

die ausgestreckte Bettlerhand.

Auch wird kein Dreck sie jemals plagen,

kein Schmutz, der in die Seele schleicht.

Kein kalter Blick wird ihnen sagen:

Hier ist die Endstation erreicht.

Die Jacke ist schon steifgefrorn.

Die Handschuh hat er mal verlorn.

Die eine Hand hängt taub am Arm.

Er lutscht die starren Finger warm.

Bald werden die Klamotten Fetzen

und alle Hoffnung Scherben sein.

Die Lampen wird es nicht entsetzen.

Sie werfen ihren Schein wie Stein.

Gangs werden ihren Mut erproben

und treten, wenn er eh schon liegt.

Kann sein, dass er als Hauch nach oben

entkommt und in die Freiheit fliegt.

Das Mädchen mit den Schwefelhölzchen

erscheint ihm plötzlich als Gestalt.

Er gäbe viel für so ein Flämmchen,

denn die Laternen bleiben kalt.

Die Jacke ist schon steifgefrorn.

Die Handschuh hat er mal verlorn.

Die eine Hand hängt taub am Arm.

Er lutscht die starren Finger warm.

Didi Costaire

Küchenlatein

Ich bin eine Kieler Sprotte

ohne viel‘ Tabus.

Meine Tochter heißt Schalotte

und mein Hund Beifuß.

Heute mach ich Ratatouille

und bin drauf erpicht,

dass die Gäste staunen: »Hui,

was für ein Gedicht!«

Manchmal, wenn ich Nahrung aufkauf,

sieht mich mein Cousin,

und mir droht ein Menschenauflauf

pünktlich zum Gratin.

Folglich stöhne ich: »Ach, hätt ich

bloß ein Fleißges Lieschen!«

oder frage mich »Wie Rettich

nur mein paar Radieschen?«

Wie sich Einzelne ernähren,

unterscheidet sich.

Einem geht‘s um große Ähren,

anderen ums Ich.

Samstags treibt der Ritter Sport,

er ist ohne Frau da,

denn ihn reizt in einem fort

Mittelalter Gouda.

Ähnlich geht es jenem Saudi,

der die Sau nicht will,

Ruhe mag und seine Gaudi

und das Lamm vom Grill.

»Gänsefleisch…?«, so fragen Sachsen,

Friesen trinken Tee,

Bayern schwörn auf Schweinehaxen -

meist ist das Klischee.

Dein Gebiss sagt, wer du bist - ein

bisschen wird geunkt.

Dort, wo du was isst, dort ist dein

Lebensmittelpunkt.

Du hast oft den Preis verglichen

mit dem Angebot,

Streichwurst allerdings gestrichen.

Dick aufs Butterbrot.

»Fettarm« steht auf mancher Packung,

gut für die Diät.

Fette Arme und Entschlackung

klingt indes verdreht.

Oft wird Fast Food zubereitet

für den Wohlstandsbauch.

Knacker einfach sind verbreitet,

schimpfen dich: »Du Lauch!«

Doch du kannst mit Artischocken

und dem Wörtchen »Veggie«

jene auf der Party schocken,

denkst dann »Ätschi Bätschi!«

Wer hier Recht behält jedoch,

weiß in Wahrheit keiner.

Hunger wär der beste Koch,

meinte der Lateiner.

Aktuell liegt Kohldampf fern.

Satt sind all die Leute.

»Voller Bauch studiert nicht gern«

aber stimmt noch heute.

Kommentar: Poesie aus dem täglichen Leben. Nicht abgehoben, sondern auf den Punkt gebracht.

Paul Fehlinger

Flitzen

Ich war nie still, stillsitzen befahl man mir immer, aber ich konnte es nie. Ich flitzte meist durch die Gegend, machte kaum Rast, ich sang oder schrie, was mir grad durch den Kopf flog, und fühlte mich unwohl in stillen Räumen, solange man mich nicht ausreichend beschäftigte. Das vertrug sich nicht besonders mit meiner Umgebung. Die Kindergärtner haben mich gehasst. In der Grundschule war es leider ähnlich. Hatte ich einen schlechten Tag, wurde ich spätestens nach zehn Minuten des Klassenraums verwiesen. Die Lehrer wie die Mitschüler hielten es mit mir einfach nicht aus, sodass die Lehrerschaft regelmäßig bei uns daheim anrief. Dumm nur, dass meine Eltern nie rangingen. Spätestens nach den ersten drei Lehrertelefonaten hatten sie genug gehört. Ich war für die beiden halt das missratene der vier Kinder, das der Beachtung nie würdig war. Ich kam mir vor wie ein lästig gewordenes Haustier. Gelegentlich sperrten sie mich auch aus. So verbrachte ich mit zehn Jahren so manche Sommernächte einsam auf dem Rasen des örtlichen Sportplatzes und blickte in die Sterne. Mit der Realschule wurde es nicht besser. Die Lehrer redeten wieder viel über mich, aber kaum einer mit mir. Meinen Eltern waren diese ungelösten Probleme und meine allgemeine Entwicklung völlig egal. Ich wurde nie einem Test oder sonstigem unterzogen, ich wurde nie medizinisch behandelt, ich wurde nie ausgefragt von einem Doktor, ich wurde meinem Schicksal überlassen: Ich flitze durch die Gegend und wusste nie, warum ich das tat. Eines Nachmittags begnügte sich Vater dann nicht mehr damit, uns Kinder nur anzuschreien, sondern schlug ab jenem blutigen Moment das Kind, das ihm gerade nicht in den Kram passte. Häufig war das ich. Bald darauf wurde ich dann für zwei Wochen von der Schule suspendiert. Als ich nach Hause kam, merkte ich recht früh, dass einzig und allein Vater da war. Nur sein Wagen stand in der Einfahrt. Sein Kopf war bereits feuerrot bei meiner Ankunft. Mein Leben hat ihn nie interessiert, aber die Suspendierung störte ihn sichtbar doll. Er brüllte mich pausenlos an, während ich minder aufnahmefähig durch das Wohnzimmer hin und her flitzte und mich so nur eingeschränkt seinen cholerischen Fragen stellte. Er merkte es schnell und er verstummte. Vater ballte die Hand zur Faust. Mit den Worten „dann prügle ich halt diese Scheiße aus dir raus“ fing er an mich zu misshandeln und in gewisser Weise hatte er damit Recht. Vater nahm mir meine gesamte Energie: Vater prügelte mich tot, Vater prügelte mich einfach tot. Die rote Farbe zog in den Teppich ein. Die Nachbarschaft hörte mein Verenden und das Blaulicht kam wenig später. Vielleicht tut es ihm ja heute leid, vielleicht denkt er ja gelegentlich an mich. Und was denken meine Lehrer heute? Ich selbst weiß es nicht, ich weile ja nicht mehr unter ihnen, ich bin auf der anderen Seite. Weißt du es vielleicht? Und willst du es mir überhaupt erzählen?

Kommentar: Beginnt wie eine Autobiografie, wechselt dann aber in die Esoterik. Das Überraschungsmoment leitet den Schluss ein.

Eva Königseder

Von Panikattacken und Liebe

Nervös liege ich im Bett. Ich hechle, versuche mit aller Kraft genug Luft zu erhaschen, um mich am Leben zu halten. Bei den Gedanken an den morgigen Tag wird mir übel. Ich male mir die erste Begegnung mit seiner Familie aus, werde dadurch noch aufgeregter.

Ich setze mich auf, werfe die Decke zur Seite, um der Hitze zu entweichen. Mein Blick schweift über sein vom Mondschein erleuchtetes, perfektes Gesicht. Vom ersten Treffen an war ich in seine Augen verliebt. Jetzt sind sie von seinen Lidern und den langen Wimpern bedeckt. Seine schweren Atemzüge beruhigen mich. Ich versuche so gut es geht, meine hektischen Luftschnapper an seine ruhige, tiefe Atmung anzupassen. Kalte Schweißtropfen bilden sich auf meiner Stirn. Ich beginne zu frieren, dennoch schwitze ich stark. Ich würde mich gerne an ihn schmiegen, doch ich fühle mich schmutzig, ekel mich vor mir selbst. Erst als ich bemerke, dass seine Atmung unregelmäßiger wird und er sich dreht und wendet, wird mir klar, dass ich das ganze Bett zum Zittern bringe, meine Zähne klappern laut. Trotz meinen Bemühungen, alle Muskeln anzuspannen, um die Vibrationen meines zuckenden Körpers zu unterbinden, öffnet er verschlafen seine Augen. Er legt seinen Arm auf mein Bein und drückt sich mit dem anderen ein Stück weit nach oben. "Was ist los?", fragt er und sieht mich verwirrt an. Sein Anblick und die Tatsache, dass ich morgen seine Familie kennen lernen werde, lösen starke Emotionen in mir aus. Ich beginne zu weinen. Er setzt sich ganz auf, streicht mir über den Rücken und umarmt mich. Es ist mir peinlich, dass ich seinen nackten Oberkörper nicht nur mit Tränen durchnässe, sondern auch mit Schweiß. Trotz allem ist seine Umarmung fest, vermittelt mir Schutz und Geborgenheit. Ein langer Kuss auf meine Stirn leitet das Ende der wohltuenden Berührung ein. Er löst sich von mir. "Möchtest du einen Schluck Wasser?", fragt er mich liebevoll, streicht mir dabei die klebrig nassen Haarsträhnen von der Wange. Ich nicke, woraufhin er aus dem Bett steigt und auf Zehenspitzen den Raum verlässt. Als er mit einem großen Glas in der Hand zurückkommt, habe ich mich wieder einigermaßen beruhigt. “Du weißt, dass ich immer für dich da bin, oder?”, fragt er flüsternd. Ich nicke, nehme einen großen Schluck aus dem Gas. “Ich liebe dich”. Er drückt mich erneut fest an sich und küsst mich. Als wir uns lösen, stellt er das Glas zur Seite und legt sich wieder hin. Mit einer Handbewegung verdeutlicht er mir, dass ich mich zu ihm schmiegen soll. Ich lege meinen Kopf auf seine Brust und lausche seinen Herzschlägen. Ich versuche, jede seiner Berührungen in mich aufzunehmen, passe meine Atmung an seine an und genieße die Stille. Schon wenige Minuten später merke ich, wie ich immer müder werde. Ich beende den Kampf gegen das Wachbleiben und schließe meine Augen. “Ich liebe dich auch”, flüstere ich leise, bevor ich wieder einschlafe.

Kommentar: Eine als einmalig im Leben empfundene Situation. Das lyrische Ich gibt Einblick in ihre Gefühlswelt. Das bewegt. Trotzdem habe ich beim Lesen immer auf eine Pointe gewartet, die nicht kam und wahrscheinlich auch nicht nötig war.

Beat Meyenhofer

Der Einberufene und der Veteran

Ken hängt rum an der Ecke 42ste Strasse West mit 8ter Avenue. Er ist ein Grünschnabel wie es im Buch steht. Dauernd fährt er sich nervös durch die blonde Mähne. An derselben Ecke hockt ein unrasierter Typ in einem klapprigen Rollstuhl. Er steckt in einer abgetragenen, mit Fettflecken übersäten Armeejacke. Da reisst ihn Kens heller Zuruf aus seiner Lethargie. "Hey Mann, warum sitzt du im Rollstuhl?", platzt er heraus. Ken kann das fehlende Bein, das eine Prothese perfekt ersetzt, nicht erkennen. Wie eine Antwort ausbleibt, drückt sich der Einberufene weiter an dem Platz herum, unschlüssig, ob er nun in einen der Busse steigen und zur Kaserne fahren, oder besser nach Hause zurückkehren und sich irgendwo verstecken sollte.

"Nun, ich habe mein linkes Bein verloren und dazu noch ein paar weitere Schäden abgekriegt, die du gar nicht erst wissen willst“, erwidert der Krüppel endlich. Der Einberufene springt hoch und japst: "Wie bitte? Ein ganzes Bein sagst du?! Und was noch?" Er schluckt schwer, seine Stimme überschlägt sich: "Oh Mann, bestimmt hast du tapfer gekämpft. Und dann haben sie dich doch erwischt! Du aber hast weiter geschossen, stimmt‘s?", insistiert das Milchgesicht. "Und wie viele hast du dafür erschossen? Sag schon!"

– "Ganz cool, Junge. Es geschah alles auf einer Armeebaustelle, nicht auf dem Schlachtfeld. Auf einmal kam da ein Kran runter und so ein Teil schlug mich nieder. Das ist alles, was ich darüber weiss. Ich hätte grosses Glück gehabt, sagten sie. Aber geht es dir gut? Du siehst echt schlecht aus!"

Die ruhigen Worte lassen dem Rekruten etwas Dampf ab. Dieser murmelt: "Am Anfang war alles noch in Ordnung, weisst du. Meine Freunde und ich fühlten uns grossartig und übertrumpften tagelang uns mit Heldenfantasien. Aber der entscheidende Tag rückte immer näher und da dann ging’s los." Endlich rückt er heraus: "In meinen… na ja… in meinen Träumen, da werde ich ständig angeschossen und ich verliere eimerweise Blut! Und jetzt soll ich da hingehen!“ gesteht er mit zittriger Stimme.

– "Ich versteh…", brummelt der Ältere. Seine plötzliche Präsenz überrascht ihn selber. Kens Not hat ihn wach gerüttelt, keine Frage.

– "Ach vergiss es! Ich glaub, du verstehst rein gar nichts!", ruft der Junge den Tränen nahe: "Die einzig Frage ist doch die: Was soll ich denn jetzt tun?"

Nach langem Nachdenken meint er: "Ein Patentrezept hab ich keins für dich. Nimm einfach mal meinen Fall: Es braucht keinen totalen Krieg, um in einem Leichensack oder in einem verfluchten Rollstuhl zu enden. Allein schon das unvorsichtige Überqueren dieser Strasse hier kann dich ins Jenseits befördern.“

– "Echt jetzt, was hat diese bescheuerte Strasse mit meiner Einberufung zu tun?!", schreit er voller Verzweiflung.

– "Langsam, mein Junge." Der Veteran lehnt sich zurück, lächelt ihn an und bringt es auf den Punkt: "Keiner entwischt seinem Schicksal. Am Ende zählt allein, umsichtig zu sein. Oder wie mein alter Herr immer sagte: WEIT VOM GESCHÜTZ GIBT ALTE KRIEGER!

Günther Pilarz

Ins Wasser gefallen ♫

Der Horizont, ummantelt sanft vom Abendrot,

exorbitant klingt zart geflötet Harfenspiel

vom Himmelstor hinfort zum Engelsdomizil

im Wolkenreich, besitzergreifend Dunkel droht.

Verträumt die wahrhafte Sehnsucht, ob es gelänge,

ihre Paradiestournee im Angesicht der Erde

auf schwarzen Wiesen, vor oft zitierter Schäfchenherde

bei Vollmond: auf Terra inszeniertes Gesänge.

Die Visionen im Jenseits erzürnen den Herrn,

ein Hauch von Fegefeuer saust in Bausch und Bogen

mit böser Miene sein Reich skizzierend, schwebt Gott.

Schimpftiraden zermalmen das Freigeistkomplott,

der Traum zerplatzt, samt Stoßseufzer und Wehleidwogen

Tourneeabsage, die Himmelsboten bleiben fern.

Dominika Rauscher

Nacht überm Himmel

Schwarze Vögel beschatten mein Antlitz.

Sprachlosigkeit

beschreibt Entfremdung.

Jedes Wort

ein Wort zuviel

im Dickicht des

Unverständnisses.

Du entfernst

dich von mir,

ziehst deine eigenen

Kreise.

Keine Schnittmenge

mehr angesichts

meines Leidens.

Du lässt mich allein,

zeigst mit dem Finger auf mich.

Ich versinke im Sumpf.

Nur andere

können mich retten.

Tim Tensfeld

Kleiner Existenzbeweis

Ich entzünde flammend ein Streichholz, mit loderndem Ruck, ich bin nicht fern von der Wahrheit, die ich mit Mündigkeit suche.

Ich bin tatsächlich nicht fern von einer qualmenden Pfeife,

ich, mit glühend zuckendem Tabak und dem Worte in meinem Kopfe.

Ich will längst Ausgedachtes zum längst Geschriebenen quälen, mein Blatt füllen,

will Erlebtes, Befürchtetes und Erhofftes festnageln, die als Existenzbeweis dienen können.

Ich will mich erklären, ironisch und hämisch, wissend und lehrend,

doch ich bin nicht produktiver als meine Pfeife, nur Rauch und Qualm.

Ich will schreiben, doch ich hänge in meinem alten Geist fest,

wie meine Pfeife lodernd, nahe dem Bart, in meinem Mundwinkel.

Ich will weiter meinen Gedanken, die Peitsche auf den Rücken knallen lassen,

doch wie mir die Zeit ausgegangen ist, tut es meine Pfeife mir mit dem Tabak gleich.

Ich klopfe meine Pfeife an meinem Tisch aus, da sehe ich ein Häufchen Asche ruhend auf dem Holz. Ich sehe es mir genauer an und denke:

„Das muss als Existenzbeweis reichen!“

Kommentar: Sich selbst mit der Anapher „Ich“ in den Mittelpunkt zu stellen, hinterlässt einen Eindruck, der vom Autor sicher nicht beabsichtigt war. Die Resignation am Schluss stellt eine nette Pointe dar.

Carsten Stephan

Indisches Springkraut

O sanfter Balsam vom Himalaja,

Verzauberst uns die Au zu Rajasthan

Mit Türmlein, rosarot und filigran

Und wie Ganesha wohlgeformt allda.

Du bringst uns hier das große Brahman nah

Mit Blüten, Knospen, Früchten simultan

Und duftest fein auf unsrer Lebensbahn

Wie heiliger Kühe Straßenmandala.

Wir wollen in dir wie im Ganges baden,

Auf dass wir wachsen auch als Lichtgeschöpfe

Und unsre Wurzelchakren selig schwingen.

Befrei uns von den inneren Blockaden,

Ja, reinige die übervollen Köpfe:

O lass das Hirn uns in den Kosmos springen!

Gerd Schneider

Paar auf der Brücke

Reichstadt Nürnberg, Dorfgemeinde Stein, Sommer 1498

Ich stehe vor der neuerbauten Brücke über die Rednitz, die nach langer Bauzeit endlich fertig wurde. Dass das Bauwerk überhaupt beendet wurde, liegt an dem Mann, der mit seiner Frau eng umarmt auf der Brücke steht. Ein Steinpfeiler wurde mittig in der Rednitz-Schlucht errichtet, rechts und linksseitig wurde eine Holzkonstruktion als Verbindung zum Ufer gelegt. Die Konstrukteure verschätzten sich immer wieder mit der Statik, eine Domäne, in der sich Stoß gut auskennt. Veith Stoß, eigentlich ein Bildschnitzer, wurde vom Rat der Stadt als Ingenieur hinzugezogen. Seine Frau, Christine Reinholt, trägt das Gewand einer Kaufmannsfrau. Die zierliche Frau, Mutter von 12 Kindern, ist ein Kopf kleiner als ihr Ehemann. Ihre braunen Haare sind unter einem Tuch verdeckt, wie es sich für eine Frau ihres Standes geziemt. Stoß Frisur ist halblang gescheitelt, ein Schnauzer und ein symmetrischer Kinnbart runden das sympathische Gesicht ab. Mit dem eleganten Lederwams hat er das Aussehen eines Edelmannes. Dieses Paar symbolisiert für mich die Zukunft. Stoß, wenngleich zeitweise ein Querulant, hat der Reichsstadt viel Gutes beschert: Im Chor der Nürnberger St. Lorenzkirche hängt der „Englische Gruß“, die von dem Patrizier Anton Tucher gestiftet wurde. Das Kruzifix auf dem Hauptaltar der Kirche stammt ebenfalls von ihm. Stoß sagt gerade seiner Frau, dass er einen Auftrag von Kaiser Maximilian erhalten habe, um in der Innsbrucker Hofkirche die Figurengestaltung zu übernehmen. Bereits einmal war er in Österreich, um für die Pfarrgemeinde Schwarz in Tirol einen Maria-Himmelfahrt-Altar zu entwerfen. Und dann habe ihn Tillman Riemenschneider gebeten, ihn in Münnerstadt bei der Gestaltung des Magdalenen-Altares zu unterstützen. Seine Frau umarmt ihn und gibt ihm einen Kuss. Stoß sieht man selten so entspannt wie in diesen Augenblicken. In einer Verlautbarung der Reichsstadt heißt es: „Ein unruwiger haylosser Burger, der einem Ehrbaren Rat vnd gemainer Statt vil Unruw gemacht hatt“. In einem Dekret wird er als ein „irrig vnd geschreyig man“ bezeichnet. Dabei hat er gute Verbindungen zu Kaiser Maximilian und den vermögenden Bürgern der Reichsstadt. In seiner Werkstatt beschäftigt er mehrere Gesellen, die Nachfrage ist so groß. Mag die Stadt über ihn schreiben, was sie mag, ich kenne ihn als jovialen, hilfsbereiten Menschen. Wenn es nur mehr solcher vorbildlicher Bürger gäbe! In der Ferne hört man Gaukler und das Spiel der Musiker. Es gibt ein Fest zur Fertigstellung der Brücke, die künftig als Zollstation dienen soll. Kaufleute mieden bisher den beschwerlichen Umweg durch die Schlucht, die mit Fuhrwerken nicht passierbar war. Fanfaren künden kaiserliche Reiter an, vermutlich die Unterhändler, die mit Stoß seinen Auftrag in Innsbruck besprechen wollen. Ich gehe guten Mutes zu den Festlichkeiten, bei denen sich sicherlich noch eine Gelegenheit für ein Gespräch mit dem Meister ergibt.

Giulia Patruno

Ukrayina

dunkle Wolken aus Schwefel

ziehen durch den Frühling

höre noch das Violinenspiel aus dem Haus

seh noch das kleine Mädchen

auf der Straße tanzend und ein Himmel

ein Zimmer, eine Straße, ein Gedanke

der schwindet, Licht das mich blendet

dann ein Funke der alles in Brand setzt

ein Defekt, ein Riss der nicht zugenäht

werden kann, ein tiefer Atemzug

während Helikopter vorüber ziehen

über mein Land

der Feind kommt wieder

und bringt Raketen mit statt Blumen

meine Gestalt in deiner Iris

sich noch einmal halten, alles andere

ein fernes Geräusch

lassen den Lärm hinter uns und folgen

den Wellen unseres Schicksals

so riecht also die Hölle, hatten davon gehört

von einem Gott, den man betrügen kann

eine verpasste Gelegenheit für Gerechtigkeit

wollten nur eine schöne Gegenwart

Zufälle, Schicksal ohne Vergangenheit

weil wir den Frieden sahen

als Selbstverständlichkeit

und dann kam er um uns die Farben zu stehlen alles wurde grau, aus grau wurde rot

bloß mögen wir keine rote Schatzkarte sein

weil wir ein Tresor sind gefüllt mit Hoffnung

und hoffen auf ein paar Meter Vernunft

ein einziger Schritt ohne Täuschung

blumenleere

challenging (y)our luck

[…] das spiel ist eine freie betaetigung, zu der der spieler nicht gezwungen werden kann, ohne dass das spiel alsbald seines charakters der anziehenden & froehlichen unterhaltung verlustig ginge […]

– aus die spiele & die menschen; roger caillois

einsaetze bitte also zum beispiel time equals ressources aufwand & lebensenergie ohne risk there ain‘t no game wobei die grenzen verschwimmen like dreams merging with reality denn was auch immer das bedeuten moege u consider yourself a persona welche wisse was sie will zumindest bisweilen in luziden momenten wird dir klar your whole life u play by rules u won’t always question their meaning ihren sinn naemlich wagst du blosz selten zu hinterfragen beziehungsweise gar sie zu modifizieren um deine chancen auf irgendwas beliebiges zu erhoehen nimmst du depending on your weltbild verschiedenstes in kauf aber koennten wir die kugel jetzt gleich zurueck zum anfang drehen & einen blick in die karten erhaschen ehe sie ausgeteilt werden would we really act differently oder wuerden wir unser sogenanntes schicksal vielleicht einfach annehmen weil es teil des spiels sei mitzuspielen & unsre scheinbare existenz waere unser consentment to go with the flow & so zu tun als ob es unterschiede gaebe zwischen ernst & this hoax we call ernst relativ abhaengig von dem grade unserer immersion in ihre tiefen probably

Werner Haussel

Meine Füße

Zuerst fing es ja ganz einfach an. Ich fühlte mich eigentlich ganz wohl. Ich merkte schon, wie er mich etwas anders setzte wie sonst immer. Ja, ich sah es genauso. Ich merkte auch ganz deutlich seine Anspannung, eine gewisse Nervosität. Das lag wohl auch an den vielen Füßen, die sich in dem nicht ganz so großen Raum mit uns bewegten. Erschwerend kam noch hinzu, dass sich uns gegenüber, das heißt Zehenspitze an Zehenspitze ein weiteres Paar Füße befand, die sich mit einer gewissen Korrelation im Ablauf zu unseren Füßen bewegten. Das lag daran, weil er zusammen mit seiner Frau einen Tanzkurs besuchte. Sie konnten noch ein befreundetes Ehepaar, Ute und Norbert, dazu überreden mitzukommen. Insofern hatten wir keine Aussicht auf einen baldigen Abbruch der sportlichen Maßnahmen. Hinzu kam der anschließende Besuch einer Kneipe mit langen Gesprächen. Und Spaß hatten sie auch! Und wir konnten endlich unsere geschundenen Sohlen ausruhen.

Weißt du noch, wie es dann mit den Drehungen losging? Der Tanzlehrer verlangte dabei immer von uns auf den Ballen zu gehen. Das drückte ganz schön auf die Mittelfußknochen und die Zehen. Bei den ersten Malen erinnerte ich mich dabei an die häufigen Schwimmbadbesuche in meiner Kindheit. Wir hatten in Marktredwitz ein Bad, das auf einer Seite einen strandartigen Zugang hatte. Dort ging es flach ins Wasser und der Untergrund war nicht etwa Sand, sondern relativ grober Kies. Beim Hineintreten tasteten wir uns zuerst mit dem Ballen und den Zehen vor bis zum vollständigen Auftreten. Trotzdem kam es häufig vor, dass es schmerzte oder drückte wie bei den Drehungen während des Tanzens.

Mich hat es an etwas ganz anderes erinnert. Ich denke, es war in seiner Jugendzeit, als er immer Ferienarbeit absolvierte. Mit 15 und 16 Jahren arbeitete er auf dem Bau. Seine Mutter hatte ihm den lukrativen Job beschafft. Das erste Jahr gab es 2,20 DM und im zweiten Jahr 2,50 DM pro Stunde. Das war viel Geld, aber auch eine sehr schwere Arbeit, auch für uns Füße. Acht Stunden auf den Beinen, dazu oft die Belastung beim schweren Heben oder sich gegen etwas stemmen. Eines Tages, du weißt das bestimmt nicht mehr, weil du ja auch nicht betroffen warst, ist es dann passiert. Am Bau lag immer viel Holz herum, Stützbalken, Schalbretter, und wir mussten immer darum herum turnen. So trat ich mir einen rostigen Nagel mitten in den Ballen. Es war erst einmal nicht anders als die ersten Ballenschritte beim Tanzen. Die großen Schmerzen und der Eiter kamen erst später.

Was sagst du? Tanzen war dann doch besser, oder?

Kommentar: Sobald man als Leser den Perspektivenwechsel erkannt hat, wartet man auf die Pointe. Sie kommt dann auch, allerdings gemäßigt.

Mona Ullrich

Die Sterntalerin

Als Anna aus der Nervenklinik entlassen worden war, fand sie erst einmal keine Arbeit.