A Future We Can Love - Susan Bauer-Wu - E-Book

A Future We Can Love E-Book

Susan Bauer-Wu

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Greta Thunberg und der Dalai Lama im Gespräch über die Zukunft unseres Planeten

Greta Thunberg und der Dalai Lama widmen sich der größten Herausforderung, vor der die Menschheit je stand. Drehen sich die Kreisläufe des Klimawandels zu lange, können wir sie selbst dann nicht mehr stoppen, wenn wir jede CO2-Emission einstellen. Dieses Buch zeigt eindrucksvoll, dass es noch Hoffnung gibt und bietet konkret umsetzbare Schritte, um positive Veränderungen zu bewirken. So können wir

• den Umgang mit der Klimakrise in unseren Familien und Freundeskreisen als gemeinsames Projekt definieren,

• neue Hoffnung schöpfen und Klimaangst überwinden,

• die Kreisläufe des Klimawandels zurücksetzen.

Denn sie haben auch eine gute Nachricht: Wir können die Kreisläufe des Klimawandels nicht nur stoppen, wir können sie sogar umdrehen und damit die Erde und ihre Atmosphäre wieder in ihren ursprünglichen natürlichen Zustand versetzen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 403

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Als der Dalai Lama und Greta Thunberg zum ersten Mal miteinander sprachen, wurden Millionen Menschen auf der ganzen Welt darauf aufmerksam. Zwei Lichtgestalten unserer Zeit aus zwei verschiedenen Welten und Generationen sprechen über die größte Herausforderung, vor der die Menschheit je gestanden hat. Trotz der unterschiedlichen Perspektiven sind sich Greta Thunberg und der Dalai Lama einig, dass die klimatischen Bedrohungen die Aufmerksamkeit aller Menschen erfordern. »Es ist ermutigend zu sehen, wie Sie der Welt die Augen für die Dringlichkeit des Schutzes unseres Planeten, unserer einzigen Heimat, geöffnet haben«, schrieb der Dalai Lama vor dem Treffen an Greta. Aus dem Gespräch miteinander und weiterem Austausch mit führenden Wissenschaftlern, spirituellen Lehrern und Klimaaktivisten ist dieses Buch entstanden, welches anschaulich die Hintergründe des Klimawandels erklärt, die Möglichkeiten unserer Erde erforscht, sich selbst zu heilen, sowie die Fähigkeit der Menschen, sich zu verändern. Es zeigt, wie wir unsere gegenseitige Abhängigkeit für das Verständnis der Klimakrise und ihrer Lösung nutzen können, und verdeutlicht, warum uns die Rückkopplungsschleifen unseres Konsumverhaltens keine Zeit mehr lassen, mit dem Klimaschutz zu warten.

Die Autorin

Susan Bauer-Wu ist eine anerkannte klinische Forscherin im Bereich des Gesundheitswesens und Mindfulness-Expertin. Sie ist Präsidentin des Mind & Life Institute, einer Organisation, die 1987 vom Dalai Lama gegründet wurde. Zuvor war sie John Kluge-Professorin für kontemplative Sterbebegleitung an der University of Virginia.

Das Gespräch

Der Dalai Lama ist das politische und religiöse Oberhaupt der Tibeter. Er lebt in Indien im Exil und wirbt für die Freiheit Tibets. 1989 erhielt er den Friedensnobelpreis. Seit vielen Jahren setzt er sich für den Klimaschutz ein.

Greta Thunberg initiierte die »Fridays for Future«-Bewegung und setzt sich unermüdlich für das globale Bewusstsein für den Klimawandel ein. 2019 hat sie den Alternativen Nobelpreis erhalten. Das Time Magazine wählte sie zur bislang jüngsten »Person of the Year«.

SUSAN BAUER-WU

A FUTURE WE CAN LOVE

Inspiriert durch das Gespräch zwischen dem

DALAI LAMA &GRETA THUNBERG

Wie wir mit Herz und Verstand denWeg aus der Klimakrise finden können

Unter Mitarbeit von Stephanie Higgins

Aus dem amerikanischen Englisch von Elisabeth Liebl

Die englische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel A Future We Can Love: How We Can Reverse the Climate Crisis with the Power of Our Hearts and Minds bei Shambhala, Boulder, Colorado.

Wenn nicht anders angegeben, stammen die Zitate in diesem Buch von den Mind-&-Life-Konferenzen 2021 und 2022 oder aus Gesprächen mit der Autorin. Diese wurden zum Zwecke größerer Klarheit gelegentlich gekürzt.

»Der Segen«: Copyright von Yuria Celidwen

»Wenn Pessimismus keine Alternative ist« und »Die Eine-Menschheit-Praxis«: Copyright Seine Heiligkeit der Dalai Lama

»Eine Meditation gegen Öko-Angst und Klimaverzweiflung«: Copyright Dekila Chungyalpa

»Praktizieren mit gebrochenem Herzen«: Copyright Kritee Kanko

»›Ein Opfer bringen‹ – was bedeutet dies?«: Copyright Steve Leder

»Sich morgens mit der Erde verbinden«: Copyright Lyla June

Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall aufgrund der schlechten Quellenlage bedauerlicherweise einmal nicht möglich gewesen sein, werden wir begründete Ansprüche selbstverständlich erfüllen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe Juni 2023

Copyright © 2023 der Originalausgabe by The Mind & Life Institute

Basierend auf dem Buch Kreisläufe des Klimawandels,

edition a, Wien

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Grafiken: Bastian Welzer

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotive: Bilder vom Gespräch: 2021, Mind & Life Institute; weitere Motive: shutterstock/Yuriy2012

Redaktion: Ralf Lay

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

SC ∙ CB

ISBN 978-3-641-29866-1V001

Inhalt

Einführung

Teil I

Wissen

1. Die Wissenschaft: Warum Eis, Wind, Wolken und Bäume wichtig sind

2. Der Spirit: Das Problem mit dem »Business as usual«

Teil II

Leistungsfähigkeit

3. Die Leistungsfähigkeit der Erde: Lasst sie tun, was ihre Aufgabe ist

4. Die Leistungsfähigkeit des Menschen: Warum wir ein Gefühl der Wirkmächtigkeit entwickeln müssen

Teil III

Wille

5. Das gebrochene Herz: Dunkelheit und Licht

6. Das Wunder: Eine Gegenwart, auf die wir uns freuen können, und eine Zukunft, die vorstellbar ist

Teil IV

Handeln

7. Der Beginn einer neuen Ära: Das »Zeitalter des Genug«

Nachwort

Dank

Anhang

Über die Autorinnen

GesprächspartnerInnen

Quellen

Anmerkungen

Sachregister

Personenregister

Unsere grenzenlose Dankbarkeit gilt Seiner Heiligkeit und Greta.

Der Segen

Jetzt. Sie plätschert immer noch.

Immer noch summt sie, pulsiert, erbebt.

Immer noch seufzt sie.

Und ihr Murmeln unter dem Himmel.

Wir hören zu, und alles, was wir hören, ist: Die Zeit drängt. Die Wasser wirbeln, die Winde peitschen, die Feuer toben voller Zorn. Der Herausforderungen sind unzählige, aber ebenso grenzenlos sind die Möglichkeiten. Unsere Trauer ist eine Belastung, aber unser Mitgefühl ist stark. Wir schaffen ein kosmisches Gewebe voller Ehrfurcht und Schrecken, voller Staunen und Zweifel, voll Werden und Vergehen … wir und alle anderen.

Das unermessliche, unaufhörliche Weben ist Liebe in all ihren myriadischen Formen.

Wir hören das Summen von Mutter Erde. Ihr Rufen. Ihren Herzschlag, ihre Flügel. Wir, die wir selbst aus Erde sind, sind durchlässig. Die tätige Liebe fließt – fließt hindurch – und füllt die Risse der Hoffnungslosigkeit, der Ohnmacht, der Isolation.

Wir atmen ein und kehren zurück voller Dankbarkeit.

Wir atmen aus und verbinden uns mit sich entfaltender Güte und Fürsorge.

Es ist die Liebe, die der Trauer einen Sinn verleiht, die Wut zum Handeln werden lässt, die Verzweiflung zum Wandel, die Angst zur Geborgenheit. Die Liebe heilt alle Wunden. Sie macht ganz, sie stellt wieder her … sie baut Brücken.

Denn wir, unser ganzes Sein, sind offen.

Vertrauen entsteht.

Meine Anverwandten: Erinnert euch an die ersten Schritte der Entdeckung, fort vom Nicht-Wissen.

Ja.

Diese ersten Schritte tun wir hier und heute wieder.

Heute gehen wir achtsam und absichtsvoll. Unsere Vergangenheit bringt diese Wachheit mit sich. Das Morgen geschieht hier und heute, durch uns.

Ja.

Erinnert euch an die Zeit, als wir noch barfuß gingen. Als unsere Sohlen die Haut unserer Länder liebkosten und sich nicht bekümmerten um Kiesel und Dornen. Weil sie auf Spiel ausgingen und auf Verbundenheit.

Meine Anverwandten, erinnert euch, wie Mutter Erde euch hielt. Wie ihr liebevoller Blick, ihr Lächeln auf euch ruhte.

Wir lächeln zurück, denn wir hören ihr nun wirklich zu.

Jetzt. Wir plätschern.

Wir summen, pulsieren, erbeben.

Wir seufzen.

Unser Murmeln unter dem Himmel.

Dr. Yuria Celidwen, Tochter der Nahua und Maya

Einführung

Verabreden sich ein tibetischer Lama und eine Umweltaktivistin zu einem Zoom-Meeting …

Klingt wie der Anfang zu einem Witz, ist es aber nicht. Der tibetische Lama war kein anderer als der Dalai Lama, und bei der Umweltaktivistin handelte es sich um Greta Thunberg. Dieses Gespräch hat tatsächlich stattgefunden. Der Anlass für diese Online-Diskussion – die Klimakrise, die wir gegenwärtig erleben – hätte ernster kaum sein können. Doch wie immer, wenn der Dalai Lama beteiligt ist, verlief auch dieses Gespräch nicht todernst. Es waren trotz allem ein Feuer und eine Leichtigkeit zu spüren, ungeachtet des Themas und der – für Greta, die in Schweden saß – sehr frühen Stunde, wobei »mitten in der Nacht« es eher träfe. In Charlottesville, Virginia, wo ich arbeite, war es auch schon reichlich spät, nämlich 22.30 Uhr. Aber ich bin ohnehin eine Nachteule; und egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit dieses Gespräch stattgefunden hätte, ich wäre ebenso wach gewesen und froh, dabei zu sein.

10. Januar 2021, 9.00 Uhr früh im indischen Dharamsala. Der Dalai Lama und Greta Thunberg trafen sich zum ersten Mal. Etwa eine Million Menschen hatten sich dem Livestream zugeschaltet, um zu hören, was die beiden Leitgestalten sich zum Thema »Klimakrise« zu sagen hätten. Meine Aufgabe war es, die einleitenden Worte zu diesem Ereignis zu sprechen, da es von der Organisation, für die ich arbeite, dem Mind & Life Institute, gehostet wurde. Ich hatte Greta schon eine Stunde vor dem Event kontaktiert (in Schweden war es da 3.45 Uhr früh, wie ich anerkennend erwähnen möchte), um zu kontrollieren, ob mit der Bild- und Tonübertragung alles funktionierte. Zuerst war sie verständlicherweise noch ein bisschen verschlafen. Doch irgendwer – ich denke mal, es war ihr Vater – brachte ihr dann Tee und Toast, und schnell wurde sie zu der jungen, geradezu unheimlich gefassten Erwachsenen mit den klaren Augen, die ich aus dem Internet kannte. Sie saß mit nach hinten gebundenen Haaren und schwarzem Hoodie im elterlichen Wohnzimmer, der Hintergrund erfrischend unaufgeräumt. Auf dem Sofa eine verwurschtelte Decke. Auf – ja was: einem Hutständer, einer Lampe? – saß eine überständige Weihnachtsmütze, obwohl Weihnachten schon ein paar Wochen zurücklag. Greta zeigte sich ohne Allüren, nur mit ihrer zum Markenzeichen gewordenen Ernsthaftigkeit, was den Zustand unseres Planeten angeht. Hinter ihr konnte ich sehen, wie der tiefste schwedische Winter pechschwarz zum Fenster hereinsah.

Der Dalai Lama lächelte und winkte uns aus einem bequemen Stuhl hinter einem kleinen Holztisch zu, auf dem eine Uhr stand. Er saß in einem sonnenhellen Raum voll tiefroter und gelber Blumen, welche die Farben seiner traditionellen Mönchsrobe aufnahmen. Er hatte sich schon seit vielen Jahrzehnten für Umweltthemen starkgemacht, lange vor Gretas Geburt und zu einer Zeit, als das Ozonloch in den Köpfen präsenter war als die Bedrohung, die der Mensch für das Weltklima darstellt. Aber erst im Jahr zuvor hatte der Dalai Lama Greta einen Brief geschrieben. Darin hieß es: »Auch mir ist der Umweltschutz ein Herzensanliegen. Wir Menschen sind die einzige Spezies, die die Macht hat, die Erde, so wie wir sie kennen, zu zerstören. Doch wie wir die Fähigkeit haben, die Erde zu zerstören, so haben wir auch die Fähigkeit, sie zu beschützen. Es ist ermutigend zu sehen, wie du der Welt die Augen geöffnet hast für die Notwendigkeit, unseren Planeten, unser einziges Zuhause, zu schützen. Und gleichzeitig hast du so viele junge Brüder und Schwestern inspiriert, Teil dieser Bewegung zu werden.«

Nun, an Greta direkt gewandt, bringt der Dalai Lama noch einmal seine Bewunderung und seinen Optimismus zum Ausdruck, die ihn diesen Brief schreiben ließen. Und dass er sehr gespannt sei auf das, was sie zu sagen habe. »Die jüngeren Mitglieder der Menschheitsfamilie zeigen sich aufrichtig besorgt um unsere Zukunft, um unseren Planeten, und das ist ein sehr, sehr hoffnungsvolles Zeichen.« Gretas Antwort und ihre ersten direkten Worte an den Dalai Lama zeigen, dass diese Wertschätzung gegenseitig ist: »Ich kann sagen, dass wir als jüngere Generation ewig dankbar dafür sind, dass Sie für uns eintreten, und nicht nur für uns, sondern für die gesamte Menschheit und den ganzen Planeten.«

Doch wie Greta so oft und zu Recht betont, ist es weder fair noch zielführend, unsere gesamte Hoffnung auf die junge Generation zu setzen und die Rettung des Planeten ihr zu überlassen. Denn bis sie und ihre Altersgenossen alt genug sind, um als Umweltwissenschaftler, Klimajournalisten, gewählte Mandatsträger oder Ingenieure für grüne Energie aktiv zu werden, haben wir das kritische Zeitfenster verpasst, in dem sich die Katastrophen, die mit einer globalen Erwärmung über 1,5 bis 2 Grad Celsius hinaus verbunden sind, noch verhindern ließen. Natürlich findet Greta es, im Gegensatz zu den meisten Erwachsenen, gut, dass der Dalai Lama während eines Großteils seines langen Lebens für die Belange des Planeten eingetreten ist. Schläft er auch jede Nacht geruhsame neun Stunden, das Thema »Umwelt« hat er darüber keinesfalls verschlafen.

Ebenso trifft zu, was der Dalai Lama sagt: Diese von jungen Menschen getragenen Bewegungen sind ein ermutigendes Zeichen; und wenn sich uns irgendwo Gelegenheit zur Hoffnung bietet, dann sollten wir diese Gelegenheit ergreifen. Während ich den beiden zuhöre, kommt mir ein Gedanke: Irgendwo in diesem Spektrum zwischen dem 85-jährigen Oberhaupt des tibetischen Buddhismus und der achtzehnjährigen Umweltaktivistin müssen auch wir aktiv werden.

Das ist unsere Aufgabe. Was den meisten Menschen auch mehr oder weniger bewusst ist, mag uns das Wissen um diese Notwendigkeit noch so neu sein. Vielleicht wurde es geweckt durch die Schlagzeilen der Zeitungen, durch Dokumentarfilme, oder konkreter und unmittelbarer durch Hitzewellen, Waldbrände, Flutkatastrophen oder Wasserknappheit. Die meisten von uns kennen die schlechten Nachrichten zum Klimawandel, und die meisten hegen daran keinen Zweifel, ob wir uns mit diesem Thema nun beschäftigen oder nicht. In diesen Tagen hören wir wieder und wieder von den Problemen. Und viele Menschen auf dieser Welt erleben sie ganz unmittelbar. Was aber bei Greta und dem Dalai Lama so anders ist: Wie diese beiden das Gespräch aufziehen, bekommt es etwas durchaus Einladendes. Was einen Umschwung in der bisherigen Herangehensweise bewirken kann. Zumindest war das bei mir der Fall.

Vielleicht möchten wir über diese Dinge lieber nicht reden, doch die jüngsten Ereignisse haben uns gezwungen, unsere Scheuklappen abzulegen, die uns vor der Erkenntnis bewahrten, dass unserem Planeten etwas droht, was gefährlicher ist als alles, was die Menschheit je gesehen, erlebt oder in ihren Annalen festgehalten hat. Extreme Wetterereignisse sind nichts Neues, doch die zunehmende Häufigkeit und ihre Schwere sind alarmierend. Nachrichten über Unwetterkatastrophen erreichen uns so häufig, dass ich sie mittlerweile jede Woche, wenn nicht jeden Tag, aus irgendeinem Winkel der Welt erwarte. Das beständige Tröpfeln erschreckender Schlagzeilen fühlt sich fast schon normal an. Es stumpft uns ab. Ich schaue mir die Nachrichten an, »sehe« sie aber nicht wirklich. Ich höre von einer Schlammlawine oder einem Waldbrand und schüttele den Kopf, doch dieses Leid fühlt sich zu heftig an, um es auszuhalten, also wende ich den Blick ab. Nicht, weil mir alles egal ist, sondern weil ich mich hilflos fühle. Oder genauer: fühlte. Bis mir die Menschen, die Sie in diesem Buch kennenlernen werden, zu der Erkenntnis verhalfen, dass ich in Wirklichkeit mit allem und jedem verbunden bin und dass es Menschen gibt, die gegen diese Entwicklungen bereits etwas tun. Und dass ich mich ihnen anschließen kann.

Vielleicht empfinden manche die Klimakrise als etwas, was – irgendwo weit weg – andere Menschen betrifft. Vielleicht scheint sie manchen als etwas, was weit in der Zukunft eintreten wird und uns genügend Zeit zum Gegensteuern lässt. Vielleicht fürchten wir auch, dass wir, lassen wir das Leid der Welt an uns heran, in Verzweiflung oder Lähmung versinken. Wie sollen wir morgens noch aus dem Bett kommen, wenn wir tatsächlich die Verluste und den Schaden nachempfinden, den wir unseren Mitmenschen, zahllosen nichtmenschlichen Lebewesen und unserem Planeten wider besseres Wissen zufügen? Vielleicht denken oder beten wir, dass jemand anders sich um diese Probleme kümmern möge, in letzter Sekunde sozusagen, mit einer technischen Wunderwaffe ausgerüstet. Oder dass eine Heilsgestalt auf einem weißen Pferd heransprengt und alle sich plötzlich der guten Sache anschließen. Charismatische Führungsgestalten und technologische Innovationen können uns zwar helfen, aber sie allein werden uns nicht retten.

Zwar tun viele in Sachen Umwelt, was sie als Einzelperson tun können: Müll trennen, recyceln, Politiker wählen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, unterstützen, Solaranlagen installieren oder ein E-Auto kaufen (wenn sie sich das leisten können). Aber dann hören wir von wohlmeinenden Menschen, solche individuellen Bemühungen würden nichts bringen. Dann recyceln wir zwar weiter unseren Müll und verwenden keine Trinkhalme aus Plastik, aber die Fakten über die Klimakrise sitzen uns wie düstere Schatten im Nacken. Wir kommen uns vor wie kleine Würstchen angesichts steigender Meeresspiegel und schmelzender Polkappen. Doch auch wenn unsere individuellen Bemühungen nicht ausreichen, ist die stille Resignation doch keineswegs die beste Alternative. Selbst wenn es uns überhaupt nicht passt: Wir müssen lernen, miteinander über die Klimakrise zu reden.

Wie Greta gegenüber dem Dalai Lama sagte: »Ich habe die Erfahrung gemacht und mache sie immer noch, dass es massiv am Bewusstsein fehlt für die wahren Probleme des Klimawandels und die Risiken, die sich daraus ergeben. Und dass wir als Gesellschaft viel zu wenig Zeit darauf verwenden, darüber zu reden. Die Diskussionen, die stattfinden, sind thematisch zu eng begrenzt. Das liegt hauptsächlich daran, weil die Wissenschaft nicht ausreichend einbezogen ist.« Zustimmung seitens der Wissenschaftler: Zwar seien die meisten Menschen wegen der Klimakrise besorgt oder beunruhigt, würden das aber nicht thematisieren. Mag sein, weil wir glauben, nicht genug zu wissen, und Angst haben, uns zu informieren. Angst vor dem, was wir herausfinden könnten. Mag sein, dass wir genug wissen, aber zu viel Angst haben, es laut auszusprechen, und das Ganze lieber wegschieben. Mag sein, dass es für uns ungemütlich werden kann. Je mehr wir über dieses Thema wissen, desto mehr scheint es zur sozialen No-go-Area zu mutieren. Ich weiß, dass ich nicht allein bin, wenn ich ebendas nicht möchte.

Nachdem ich erfahren hatte, dass es diesen Klimawandel gibt, versuchte ich lange Zeit, einfach mit meinem Leben weiterzumachen und ein guter Mensch zu sein, meinen Teil zum Wohl der Welt beizutragen und mich ansonsten an das zu klammern, was ich als Normalität ansah. Dann aber beschloss mein Kollege beim Mind & Life Institute, der Filmemacher Barry Hershey, eine Reihe von Kurzfilmen über die Macht der klimatischen Feedback-Loops (Prozesse, durch welche die Erderwärmung die weitere Erwärmung zusätzlich verstärkt) zu machen. Als er mir von diesen Filmen erzählte, bemühte ich mich darum, Mind & Life zum Podium der Erstausstrahlung zu machen. Als Termin fassten wir den Januar 2021 ins Auge – schon mit der Vorstellung, den Dalai Lama und Greta mit einzubeziehen. Der Dalai Lama hatte Mind & Life vor 35 Jahren mitbegründet und ist der Arbeit unserer Organisation immer noch verbunden. Er zeigte sich sehr interessiert an einer öffentlichen Diskussion mit Greta. Deren Teilnahme war allerdings alles andere als gesichert. Angesichts der Qualität der Filme, der Gelegenheit, dem Dalai Lama zu begegnen, und der Möglichkeit, mit dieser öffentlichen Diskussion Millionen von Zuschauern zu erreichen, beschlossen wir, bei ihr wegen einer Teilnahme anzufragen.

Doch sie zu kontaktieren, war eine echte Herausforderung. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, sie über Dritte anzusprechen, erfuhren wir, dass der Dalai Lama ihr besagten Brief geschrieben hatte, und hofften, sie würde zustimmen, wenn wir darauf eingingen. Jeder, der an der Planung dieses Events mitwirkte, saß auf glühenden Kohlen, während die Uhr tickte. Der November verstrich, und Anfang Dezember hatten wir immer noch keine Reaktion. Dann plötzlich, einen Monat bevor das Event stattfinden sollte, kam Gretas Zusage. Wir alle jubelten. Über die Feiertage arbeiteten wir mit Hochdruck daran, das Event in allen Einzelheiten durchzuplanen.

Als der Dalai Lama 1987 am ersten Dialog des Mind & Life Institute teilnahm, stand er bereits in den Fünfzigern seines bemerkenswerten Lebens. Er entstammt einer Bauernfamilie aus der alten tibetischen Region Amdo, wo er am 6. Juli 1935 geboren wurde. An das Tibet, in dem er aufwuchs, erinnert er sich als »Paradies für Wildtiere« (»keine Übertreibung«).1 Er kann sich gut daran erinnern, wie er von Takster, dem osttibetischen Dorf, in dem er zur Welt kam, zur Hauptstadt Lhasa reiste, wo er im Alter von vier Jahren als neuer Dalai Lama inthronisiert werden sollte. Besonders in Erinnerung sind ihm die vielen Wildtiere geblieben, die ihn unterwegs faszinierten: »Riesige Herden von kyang, Wildeseln, und drong, wilden Yaks, streiften frei über die weiten Ebenen. Hin und wieder erhaschten wir einen Blick auf schimmernde Herden von goa, den scheuen Tibetgazellen, von shawa chukar, Weißlippenhirschen, oder von tsö, Tibetantilopen. Ich weiß auch noch, wie sehr mich die kleinen chibi, Pikas oder Pfeifhasen, faszinierten, die sich auf den Grasflächen tummelten. Sie waren so unglaublich freundlich. Ich beobachtete auch gern die Vögel, die würdevollen go (Bartgeier, manchmal auch als Bartadler bezeichnet), die hoch über den Klöstern kreisten und oben in den Bergen saßen, die Herden von Gänsen (gnang-kar); und manchmal, nachts, konnte ich den Ruf der ug-pa (Waldohreule) hören.« Er erinnert sich weiter, dass er sich nicht einmal in Lhasa »von der Welt der Natur getrennt gefühlt« habe.2

Zwanzig Jahre nach dieser idyllischen Reise, die er als Kind gemacht hatte, wurde der Dalai Lama 1959 als junger Erwachsener gezwungen, Tibet zu verlassen. Landsleute, die danach ihrem Heimatland einen Besuch abgestattet hatten, berichteten dem Dalai Lama von immensen Umweltzerstörungen, deren Zeugen sie gewesen waren – einen nicht zu übersehenden Rückgang der Fauna, eine massive Abholzung der Wälder –: »Kahl geschoren wie der Schädel eines Mönchs«, so der Eindruck, den der Dalai Lama aus diesen Gesprächen zurückbehielt.3 Seit Langem schon ist ihm der Zusammenhang bewusst zwischen dieser Abholzung im Quellgebiet der großen Flüsse Asiens und den Überschwemmungen in Ländern wie Bangladesch. Zehn oder fünfzehn Jahre später machte ihn ein chinesischer Ökologe mit dem Konzept des tibetischen Hochlands als »drittem Pol«4 bekannt – eine gigantische Eisfläche von ähnlicher Bedeutung wie Arktis und Antarktis, die sich gleichfalls sehr viel schneller erwärmt als der übrige Planet, sodass wir gut daran täten, ihr die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen und sie besser zu schützen.

Seit mittlerweile über sechzig Jahren führt der Dalai Lama die Gemeinde der Exiltibeter an – Flüchtlinge, die gezwungen waren, ihre vertraute Welt hinter sich zu lassen, so wie die Klimaflüchtlinge dies heute tun müssen. Viele Menschen sind bereits aus den Wüstengebieten vertrieben worden, und bis 2050 wird mit zweihundert Millionen von ihnen gerechnet (manche Schätzungen gehen bis zu einer Milliarde).5 Die Geschichte, die uns der Dalai Lama erzählt und mit Mut und Würde vorlebt, kann uns viel darüber lehren, was uns über solche Verlusterfahrungen hinwegzuhelfen vermag. Und auch wie wir uns unsere Menschlichkeit selbst in den finsteren Zeiten von Traumata und Verzweiflung bewahren können. Im Jahr 1989 erhielt er den Friedensnobelpreis. Er ist der erste Preisträger, bei dem in der Begründung für die Preisverleihung sein Engagement zum Schutz der Umwelt hervorgehoben wurde.

»Ich lebte in Tibet, bis ich 24 war«, erzählte der Dalai Lama 2013 bei einem Umweltgipfel, »und wann immer wir einen Fluss oder Strom durchquerten, genossen wir das. Erst als ich nach Indien kam, hörte ich die Leute sagen: ›Du kannst dieses Wasser nicht trinken.‹ Das hat mich sehr erstaunt. Langsam kam ich dann dahinter: Wenn Wasser auch aussieht wie Wasser, so kann es trotzdem stark verschmutzt sein. Fische und andere Wassertiere überleben darin nur mit Mühe. Aber ich kann mich auch an einen Besuch in Stockholm erinnern. Mitten durch die Stadt fließt ein Fluss, und ein paar meiner Freunde erzählten mir, die Fische würden wegen spezieller Maßnahmen gegen die Wasserverschmutzung wieder in den Fluss zurückkehren. Zwar gäbe es immer noch Fabriken, die ihr Abwasser in den Fluss einleiten, aber sie würden es jetzt reinigen, um das Wasser nicht zu verschmutzen. Mit dem Ergebnis, dass bestimmte Fischarten allmählich wieder zurückkehrten. Vorher hatte es überhaupt keine Fische mehr gegeben. Schon aus diesen Gründen entwickelte ich ein starkes Interesse an Umweltfragen.«6 Stockholm! Wenn ich ihn da von Angesicht zu Angesicht im Gespräch mit Greta sehe, kann ich mich über diesen Zufall nur freuen.

Mitten in der Nacht aufstehen. Ein Opfer, wie so vieles von dem, was sie bisher getan hat. Sieben Tage vor ihrer Begegnung mit dem Dalai Lama feierte Greta ihren achtzehnten Geburtstag. Am Montag darauf würde sie nach langer Abwesenheit wieder zur Schule gehen. In Interviews und anderen öffentlichen Äußerungen betont sie immer wieder, dass sie eigentlich lieber in der Schule wäre, dass sie ihre Ausbildung und ihre Kindheit opfern würde, um die Erwachsenen wachzurütteln. Nicht »damit ihr uns erklärt, was politisch machbar ist in der Gesellschaft, die ihr geschaffen habt«, wie sie vor dem britischen Parlament sagte. »Sondern damit ihr eure Differenzen beilegt und handelt, wie ihr es in einem Krisenfall tun würdet. Wir Kinder tun das, weil wir unsere Hoffnungen und Träume zurückhaben wollen.«7 Wir entschuldigten uns, sie zu dieser Stunde aus dem Bett gerissen zu haben.

Während der Vorbereitungen für das, was ich nur noch kurz »die Debatte« nannte, dachte ich viel über die unterschiedlichen Hintergründe dieser beiden Galionsfiguren der Klimabewegung nach. Entstammte der Dalai Lama dem nachgerade prämodernen Tibet und hatte er im Laufe seines Lebens eine Zeitreise durch Jahrhunderte technologischer Entwicklung hinter sich gebracht, ist Greta ein Kind des urbanen, industriellen, postmodernen Schweden. Geboren 2003, das Jahr, in dem Fotohandys auf breiter Front Einzug in die Gesellschaft hielten, ist sie eine Post-Millennial, die das 20. Jahrhundert nicht aus eigener Anschauung kennt. Wie so viele ihres Alters beherrscht sie den Umgang mit den sozialen Medien aus dem Effeff (während ich diese Zeilen schreibe, hat sie fünf Millionen Follower auf Twitter) und bedient sich ihrer, um die globale Klimadiskussion am Laufen zu halten. Doch sogar in ihrem noch relativ jungen Leben konnte sie bereits beobachten, welche Folgen der Klimawandel für ihr Heimatland hat. Veränderungen, die durchaus vergleichbar sind mit dem, was im Hochland von Tibet geschieht. Ein Sechstel von Schweden liegt nördlich des Polarkreises. Sie und ihr Vater sind mit ihrem E-Auto in den Norden gefahren, um sich vor Ort anzusehen, wie sich die Baumgrenze nach oben verschiebt, wodurch sich die alpine Zone verkleinert, sodass die Wildtiere, die bisher dort gelebt haben, sich in immer größere Höhen zurückziehen müssen, »bis es nichts mehr gibt, wo sie noch hingehen könnten«8. Und Greta hörte sich an, was die Wissenschaftler sagen, die diese Veränderungen messen, nämlich dass diese Prozesse sich immer weiter beschleunigen.

Die »Debatte« entwickelte sich mehr und mehr zu einem Großprojekt. Als Direktorin des Mind & Life Institute fiel die Verantwortung dafür mir zu. Während der Planungen wurden Feedback-Loops und Klimakrise für mich zu Themen, die ich nicht länger ignorieren konnte und – weit wichtiger – nicht länger ignorieren wollte.

Es gab eine Menge zu stemmen – wie so oft bei Projekten, die dem Dalai Lama am Herzen liegen. Und es gibt viel zu erzählen über die »Debatte«. Es waren auch Klimawissenschaftler zugeschaltet, um die Fragen dieser beiden notorisch und furchtlos neugierigen Menschen zu beantworten und den Zuhörern die wissenschaftlichen Zusammenhänge zu erläutern. Ich brenne darauf, Ihnen all diese Leute vorzustellen.

Auf den folgenden Seiten lernen Sie kennen: die Permafrost-Expertin Sue Natali, den fünfmaligen Mitautor des IPCC-Weltklimaberichtes Bill Moomaw sowie viele ihrer Kollegen (die auch in Barry Hersheys Filmen mitgewirkt haben). Wie Greta bei dieser Veranstaltung sagte (und Barrys Dokumentarfilmer-Instinkt bestätigte): »Wir können die Klimakrise nicht lösen, wenn wir diese Feedback-Loops nicht berücksichtigen und sie nicht wirklich verstehen. Das ist also ein wichtiger Schritt.« Diese Filme sind online verfügbar und frei abrufbar (unter https://feedbackloopsclimate.com).

Doch außer der Gelegenheit, mehr über Klima-Feedback-Loops zu erfahren, geschah an jenem Tag (beziehungsweise jener Nacht, je nach Zeitzone) noch etwas. Allein die Tatsache, dass der Dalai Lama und Greta Thunberg gemeinsam in diesem virtuellen Konferenzraum saßen, brachte Licht ins Dunkel. Ich spürte, wie ein Teil meiner Ängste wegschmolz, wobei ich zum ersten Mal merkte, dass ich auch dabei sein wollte. Ich wollte ein Teil dieser Debatte werden. Und ich wollte andere einladen, sich ebenfalls zu engagieren.

Dieses Buch ist nun meine Einladung an Sie, sich Greta, dem Dalai Lama und einer großen Anzahl motivierter Menschen anzuschließen, um über eine Zukunft zu sprechen, die wir nicht fürchten müssen, sondern auf die wir uns freuen können. Wie Greta zum Dalai Lama sagte: »Auch wenn wir vielleicht sehr unterschiedlich sind, was unser Alter und viele andere Dinge angeht, so teilen wir doch das gleiche Ziel, das Ziel, unseren Planten, das Leben auf der Erde und die Menschheit zu schützen.« Wer würde dieses Ziel nicht teilen? Lassen Sie uns nun darüber sprechen, was es braucht, um das auch zu erkennen.

Es hat auf dieser Welt schon immer Menschen gegeben, die bereit waren, scheinbar aussichtslose Herausforderungen auf sich zu nehmen und zum Wohle der anderen ihr eigenes Wohlergehen zu riskieren, wenn nicht gar zu opfern. Sie sehen Unrecht, Leid oder Gefahr und begeben sich mitten hinein, sei es, um Alarm zu schlagen oder andere den Fängen des Unheils zu entreißen. Sie knicken nicht ein angesichts bürokratischer oder anderer Hürden, Schwierigkeiten oder Rückschläge, geschweige denn sozialer Missbilligung. Sie sind unsere Helden, unsere Heiligen, unsere Leitgestalten, die sowohl die Integrität wie auch den Mut haben, den Status quo infrage zu stellen und diejenigen herauszufordern, die uns schaden wollen. In der buddhistischen Tradition bezeichnet man solche Leute als »Bodhisattva« – Menschen, welche die Dinge so sehen, wie sie tatsächlich sind, und die bereit sind, alles zu tun, was notwendig ist, um jedes einzelne Wesen ohne Ausnahme von seinen Leiden zu befreien. Es heißt, dass sie nie auch nur eines von ihnen aufgeben. Wenn wir Geschichten über solche Menschen hören oder Zeuge ihres Handelns werden, berührt dies unmittelbar unser Herz. Und die buddhistische Tradition lehrt auch, dass von Natur aus jeder von uns ein solcher Bodhisattva ist, dass wir alle mit dieser Anlage zum mitfühlenden Handeln geboren wurden. Die Frage ist daher nicht, was ein Dalai Lama, eine Greta Thunberg, eine Sue Natali oder ein Bill Moomaw tun würden. Die Frage ist vielmehr: Was werde ich tun? Was werden Sie tun? Was werden wir tun?

Greta, der Dalai Lama und die damals anwesenden Wissenschaftler stehen als Menschen für all das, was notwendig ist, um die Probleme anzugehen, die vor uns liegen. Wie Greta sagte: »Wir kennen bereits alle Fakten und auch die Lösungen.«9 Und wie der Dalai Lama an jenem Tag meinte: »Unser Denken muss sich neu ausrichten.« Etwas, was er im Laufe seines langen Lebens immer wieder gesagt hat: Veränderung beginnt damit, dass wir sehen, wie die Dinge tatsächlich sind, also nicht so, wie wir sie gern hätten. Darum waren selbst die Menschen, die von der Diskussion der beiden nur gehört hatten, zuversichtlicher, was den Zustand der Welt anging, nur weil dieses Gespräch überhaupt stattgefunden hatte.

Aufgrund der immensen Forschungsarbeit, die seitens der Wissenschaft geleistet wird, können wir uns angesichts der Krise, auf die wir zusteuern, nicht mehr damit herausreden, von alldem nichts gewusst zu haben. Zum Glück kann uns die Wissenschaft aber auch sagen, und dies immer präziser, welche kollektiven Anstrengungen wir unternehmen müssen, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Der Dalai Lama appelliert an unser kollektives Gewissen und fordert uns auf, uns auf unser Menschsein und unser Mitgefühl für kommende Generationen zu besinnen und uns in unserem Handeln von der Einsicht leiten zu lassen, dass das Wohlergehen aller Wesen auf unserem so verwundbaren blauen Planeten miteinander verbunden ist. Greta und alle, die sich ihr angeschlossen haben, sagen – mit der Wissenschaft im Rücken –: Gut, lasst uns das angehen. Lasst uns jetzt alles tun, was nötig ist, um eine Zukunft zu schaffen, auf die wir uns freuen können.

Wäre er nicht Mönch geworden, so der Dalai Lama weiter, dann hätte er eine Laufbahn als Wissenschaftler oder Ingenieur eingeschlagen. Seit es besteht, fördert das Mind & Life Institute, mit ständiger Unterstützung durch den Dalai Lama, den Dialog zwischen Wissenschaftlern, spirituellen Lehrern und Neuerern. Die Grundidee war und ist, dass diese verschiedenen Gruppen voneinander lernen, gemeinsam neue Wege finden und ganz allgemein das Beste im anderen zum Vorschein bringen, um so in der Welt eine Veränderung zum Guten zu bewirken. Das tun wir nun seit 45 Jahren, doch haben wir seit 2015, als ich Präsidentin wurde, unsere Mission erweitert: von »mehr Wohlergehen für den Menschen« zu »mehr Wohlergehen« – für jede Form von Leben, für alle Wesen in Anerkennung der Tatsache, dass wir nur in Verbindung mit der Natur prosperieren können. Oder wir wenden uns gegen sie, aber egal, für welchen Weg wir uns entscheiden, wir werden ihn gemeinsam gehen müssen. Wir sind Teil der Natur, untrennbar mit ihr verbunden. Leider scheinen allzu viele Menschen diese wechselseitige Abhängigkeit vergessen haben.

Ist es auch das Markenzeichen des Mind & Life Institute, dass es ihm gelingt, die unterschiedlichsten Stimmen aus den Bereichen Forschung, kontemplative Weisheit und gesellschaftliche Veränderung zusammenzubringen und so die umfassenden Diskussionen zu ermöglichen, wie sie beispielsweise in diesem Buch zu finden sind, so wende ich mich im Folgenden weniger als Präsidentin dieser Organisation an Sie, sondern als Susan Bauer-Wu, Mensch, Mutter, Großmutter und besorgte Bürgerin dieses Planeten. Seit jenem Wintertag Anfang 2021, als der Dalai Lama und Greta sich zu diesem Gespräch verabredeten, habe ich Solarmodule auf meinem Dach montiert und am »Council on the Uncertain Human Future (Gremium zur unsicheren Zukunft des Menschen)«10 teilgenommen. Ich fliege sehr viel weniger als früher, und dies nicht nur wegen der Corona-Pandemie. Mit meiner neu gefundenen, na ja, nicht gerade Furchtlosigkeit in Sachen Klimawandel, aber mit mehr Ehrlichkeit, Solidarität und Mut habe ich meine Lektüre zur Klimakrise ausgedehnt, höre mir einschlägige Podcasts an und rede mit jedem, den ich kenne, über dieses Thema. Und ich habe das Glück, beruflich und privat mit sehr vielen gut informierten, weisen und mitfühlenden Menschen zusammenzukommen. Dieses Buch ist das Ergebnis all dieser Gespräche, und mir schien, es wäre passend, wenn dieses Buch ebenfalls Dialogform hätte – aber nicht so, dass ich Ihnen etwas über den Klimawandel erzähle. Dafür bin ich nicht qualifiziert. Ich sehe es einfach so, als würden wir uns unterhalten. Denn ich möchte, dass mehr Leute wissen, wie so etwas aussehen und ablaufen könnte.

Ich habe das Glück und die Gabe, dass ich Leute zu einem Gespräch zusammenbringen kann. Die Menschen, die Sie auf den folgenden Seiten kennenlernen werden, saßen nicht alle zur selben Zeit im selben Raum. Ein paar von ihnen sind mittlerweile sogar verstorben. Doch habe ich mir die Freiheit genommen, das Buch so zu schreiben, als säßen wir alle in diesem Moment zusammen, denn so empfinde ich das seit damals, seit der Zeit mit dem Dalai Lama und Greta. Und eine zunehmende, sich ausweitende Debatte ist, was wir brauchen, was unser Planet von uns braucht, jetzt, in diesem Augenblick.

Nun leiten wir im Alltag Gespräche nicht mit einer These ein oder geben ihnen eine Gliederung vor, doch ein Buch braucht einen logischen Aufbau, dem es folgt und der seinen Grundgedanken erläutert. Der Grundgedanke, der sich aus dieser Diskussion (vor allem mit Thupten Jinpa entwickelte, meinem Freund und Kollegen bei Mind & Life, Religionswissenschaftler, Gelehrter und langjähriger Englischübersetzer des Dalai Lama), ist folgender: Der Weg in eine Zukunft, der wir mit Freude entgegensehen können, beginnt mit Wissen und führt über unsere Fähigkeit und Bereitschaft, uns zu ändern, zum Handeln. Daher gliedert sich dieses Buch in vier Teile:

Wissen, Leistungsfähigkeit,Wille und Handeln.

Diese Abfolge lässt sich aus den buddhistischen Lehren über Ethik und Karma ableiten und damit auch von den Grundprinzipien so gut wie jeden ethischen oder rechtlichen Systems.

Verantwortung beginnt mit Wissen. Als Greta beim Gespräch mit dem Dalai Lama gefragt wurde, was sie den Leuten sagen würde, um sie zum Handeln zu bringen, meinte sie: »Wenn ich Sie alle um eines bitten könnte, dann darum, dass Sie sich informieren, dass Sie versuchen, so viel als möglich zu lernen.« Der Dalai Lama stimmte ihr zu und ergänzte: »Von Erziehung und Bildung hängt sehr viel ab.« Wir müssen über ausreichend Wissen und Information verfügen, um verantwortlich handeln und für unser Handeln die Verantwortung übernehmen zu können. Und das vielleicht wichtigste Wissen ist das von der uns eigenen Fähigkeit zu heilen (die wir als Einzelwesen wie als Gemeinschaft besitzen) sowie die Kenntnis der Selbstheilungskräfte unseres Planeten. Wir können uns ändern, und die Natur kann sich regenerieren. Doch in welche Richtung werden wir uns ändern, und was werden wir dann tun? Wir müssen gewillt sein, das, was wir wissen, tatsächlich und gemäß unseren Möglichkeiten praktisch umzusetzen. Der Wille weist uns in die richtige Richtung und treibt unser Handeln an. Es geht hier um den Unterschied zwischen dem Kreisen um Angst und Sorge beziehungsweise den alten Gewohnheiten einerseits und der konstruktiven Reaktion auf die Hilferufe unseres Planeten andererseits. Der letzte Punkt schließlich ist das konkrete Handeln und der Punkt, auf den diese Diskussion hoffentlich hinführt. Wenn ich den Leuten erzähle, dass ich ein Buch über die Klimakrise schreibe, dann erwidern fast alle mehr oder weniger das Gleiche: »Schön und gut, aber was kann ich dafür schon tun?« Der letzte Teil des Buchs hat zum Ziel, uns allen zu helfen, eine Antwort auf diese Frage zu finden.

Wenn etwas nicht getan wird – in diesem Fall: wenn nicht genug gegen die Klimakrise unternommen wird –, dann ist doch die Frage, an welchem der vier Punkte wir zu kurz greifen. Wissen? Leistungsfähigkeit? Wille? Handeln? Was hindert uns daran, der Situation gerecht zu werden? Darüber möchte ich sprechen, und ich war überrascht und ermutigt – auch überrascht, dass ich mich ermutigt fühlte – von den Antworten, die ich hier versammelt habe.

So hatte ich beispielsweise schon von den Klima-Rückkopplungsschleifen gehört, wusste aber nicht, dass diese auch umgekehrt funktionieren. Statt uns zu schaden, wirken sie heilend und können uns helfen, den Planeten wieder abzukühlen. Die Natur – auch die menschliche – weist mehr Heilkräfte auf, als ich gedacht hatte.

Und wenn ich mit anderen vernünftigen, mitfühlenden Menschen über die Klimakrise spreche, geht es mir danach besser. Nicht schlechter.

Außerdem sind Klimaangst und -verzweiflung absolut normale Reaktionen. Wir sollten todunglücklich sein, wenn wir erkennen, wie Greta sagt, »was genau vorgeht«. Doch auch in der Trauer liegt Schönheit, weil sie aus der Liebe erwächst. Und unsere Trauer kann zur Quelle der Willenskraft werden, weil sie uns daran erinnert, was wir lieben, was wir noch nicht verloren haben und was wir schützen wollen.  

Was jeder von uns tut, ist wichtiger, als wir denken. Und was wir zusammen zuwege bringen, ist das A und O. In gewisser Weise sind Problem und Lösung ein und dasselbe: wechselseitige Verbundenheit. Darüber hinaus liegt in der Ungewissheit der Same aller Möglichkeiten. In dieser Debatte geht es auch nicht darum, was wir aufgeben müssen, sondern darum, was wir dadurch gewinnen.

Die Lösung für diese Krise ist keineswegs nur technischer oder wissenschaftlicher Natur, sie liegt in unserem Geist, in unserem Herzen und in der Verbundenheit miteinander. Das Potenzial hier auf dieser Erde, unserer Heimat – »unserer einzigen Heimat«, wie der Dalai Lama sagt –, ist gewaltig: Wir haben die Möglichkeit, eine Welt zu schaffen so voller Schönheit, dass wir gerade erst begonnen haben, uns dies vorzustellen. Wenn wir dieser Situation gerecht werden, können wir eine Welt voller Fairness, Schönheit, Fülle und Güte gestalten.

Es ist nichts Neues, dass der Dalai Lama und Greta Thunberg sich für die Erwärmung des Klimas und die Zukunft der Erde interessieren. Vielleicht haben Sie schon früher gehört oder gelesen, was die beiden über dieses Thema denken. Aber ihre beiden Stimmen zusammen, mit all den Wissenschaftlern, führen uns zu Einsichten, die uns vorher unbekannt waren. Sie vermitteln unerwartete Erkenntnisse, die stärker sind als alles, was nur einer von beiden zu sagen hätte. Und so wie die Antwort auf ein besonders komplexes Rätsel sich häufig »zwischen den Zeilen« findet, werden wir überrascht feststellen, dass wir im Gespräch mit diesen beiden und miteinander das Wissen, die Leistungsfähigkeit, den Willen und den Mut zum Handeln entdecken, die uns eine Zukunft sichern, auf die wir uns freuen können.

Andererseits enthält das Gespräch zwischen den beiden nicht schon alle Antworten. Es war sozusagen der Auftakt, der wegweisende Lichtstrahl eines Leuchtturms. Eine Aufforderung zum Handeln, die hoffentlich die – unterschiedlichsten – Menschen berührt, sodass sie zusammenkommen und über die Krise sprechen, die wir gerade erleben. In Wahrheit können unsere Lehrer uns zwar sagen, in welche Richtung wir gehen sollen, aber auch sie wissen nicht, was wir dort vorfinden werden oder wie wir dahin gelangen. Trotz des Sturms auf das Kapitol, der nur drei Tage zuvor stattfand und die Aufmerksamkeit der Welt forderte, schalteten sich doch eine Million Menschen ein, um das Gespräch zwischen den beiden live zu erleben. Und Abertausende mehr sahen sich später die Aufzeichnungen an. Das Gespräch wurde simultan in dreizehn Sprachen übersetzt und erreichte Menschen auf allen Kontinenten. Indem wir es ausweiten auf Millionen Menschen, die bislang nicht fürs Klima eintraten oder sich von Illusionen, Scham oder Angst lähmen ließen, hoffe ich, dass wir verändern können, wie wir übers Klima nachdenken. Dass wir die Ursachen und Bedingungen aufdecken, die den Wandel ermöglichen. Zusammen mit einigen der besten Sozial-, Umwelt- und Kognitionswissenschaftler sowie mit führenden Gestalten uralter Weisheitstraditionen möchte ich hier einen Weg vorstellen, um den Bodhisattva in uns allen zu erwecken: ausgehend vom Wissen, das wir brauchen, über die Leistungsfähigkeit, die wir besitzen, und den Willen, den wir entfachen können, hin zum Tun, das etwas verändern wird.

Greta hat zusammen mit ihrer Familie ein Buch verfasst: Our House Is on Fire. Dieses Buch habe ich all meinen Freunden und Angehörigen geschenkt. Ich kann es gar nicht genug empfehlen, nicht nur als Teil der Klimadebatte, sondern auch weil es eine berührende Familiengeschichte und darüber hinaus großartig geschrieben ist. Gretas Reden wurden gesammelt und veröffentlicht. Aber ich möchte hier auch unterstreichen, dass es mir nicht darum geht, mehr Menschen dazu zu bringen, sich mit Greta auseinanderzusetzen. Ich will, dass die Erwachsenen sich die Realität der Klimakrise bewusst machen. Ich habe dieses Buch geschrieben, um den jungen Menschen diese Last abzunehmen. Sie sind es, deren Zukunft auf dem Spiel steht. Sie haben also ohnehin schon viel zu tragen. Ein Grund, warum Greta und all die jungen Leute die Erwachsenen erreichen, ist doch, dass sie die überzeugendste Geschichte über die Klimakrise erzählen. Wie Yuval Noah Harari so treffend charakterisiert: Die Alten opfern die Jungen »auf dem Altar ihrer Gier und Verantwortungslosigkeit«.11 Was die jungen Menschen angeht, möchte ich meinen Altersgenossen zurufen: »Hört auf damit!« Oder wie der Dalai Lama zu Greta sprach: »Ich glaube, unsere Generation hat eine Menge Probleme verursacht.« Und daher sage ich: Lasst uns den jungen Leuten zuhören. Wir müssen aufholen, uns informieren und uns engagieren.

Sie sollen noch wissen, dass die Autorenerträge von diesem Buch an das Mind & Life Institute gehen, eine gemeinnützige Organisation, die sich dem Wohlergehen des gesamten Planeten widmet. »Wenn jeder wüsste, wie ernst die Situation ist und wie wenig tatsächlich getan wird«, meint Greta, »dann würden sich uns alle Menschen anschließen.«12 Dieses Buch ist meine Art, mich neben sie zu setzen, zusammen mit dem Dalai Lama, und andere Menschen einzuladen, es uns gleichzutun.

Kennen Sie das Kinderbuch, das erzählt, wie mehrere Waldgeschöpfe vor dem Regen Zuflucht suchen unter einem Pilz? Es kommen immer mehr, und wie durch ein Wunder findet ein jeder Platz. Aber es ist kein Wunder, denn das ist es, was Pilze tun: Im Regen werden sie größer. Ich schreibe dieses Buch in der Hoffnung, dass die Diskussion über den Klimawandel auf die gleiche Weise wachsen möge und sich nicht nur erweitert, sondern auch tiefer geht. Und dass sie sich zur Zuflucht auswächst, nicht zu einer Aufzählung von Opfern und Anforderungen. In diesem Buch geht es nicht um mich. Ich bin nur da, um euch zu sagen: »Kommt unter diesen Pilz!« Wir versammeln uns: Sie, Greta, der Dalai Lama, die Wissenschaftler, die Aktivisten, die jungen Menschen, die Babyboomer, die Waldgeschöpfe und alles, was es sonst noch gibt – und deshalb werden sich die Dinge wandeln, mit uns. Dieses Gespräch wird uns verändern, wenn wir das zulassen. Oder wie Greta sagt: »Verbreitet das Wissen. Verbreitet das Bewusstsein, sodass es auch andere erreicht.«

Und wie der Dalai Lama sagt: »Die Vergangenheit ist vergangen. Die Zukunft aber liegt in den Händen der jungen Generation.« Der Zufall will es, dass ich die letzten Worte dieser Einführung an seinem 87. Geburtstag schreibe. Er arbeitet immer noch daran, sein Wissen zu verbreiten. Die »junge Generation«, das sind wir alle.

TEIL I

Wissen

Das menschliche Gehirn ist etwas ausgesprochen Besonderes und Beeindruckendes. Doch wenn wir unsere heutige Welt ansehen, ist der Mensch in gewisser Weise auch der schlimmste Unruhestifter. Andere Lebewesen verbringen ihre Zeit mit Essen, Schlafen, Sex und so weiter – wir aber nicht. Wir haben viele Wünsche und sind viel zu sehr von uns eingenommen. Wenn man die Geschichte des Planeten betrachtet, dann hat unter den verschiedenen Säugetieren der Mensch auf dieser Erde sicher viel Gutes getan, aber gleichzeitig schaffen wir uns eine Menge Probleme.

Der Dalai Lama

Wir müssen den Menschen erklären, was im Augenblick passiert, weil der Großteil von uns davon keine Ahnung hat. Die meisten Menschen, die ich kenne oder getroffen habe, haben noch nie etwas von Rückkopplungsschleifen,Kettenreaktionen oder Kipppunkten gehört. Dabei sind sie von entscheidender Bedeutung, wenn wir verstehen wollen, wie die Welt funktioniert.

Greta Thunberg

Kapitel 1

Die Wissenschaft: Warum Eis, Wind, Wolken und Bäume wichtig sind

»Nun, die Rede ist recht dramatisch«, meint Greta trocken, als wir uns zusammen eine Videoaufzeichnung ansehen. Sie meint ihre unvergessliche, empörte »Wie-könnt-ihr-es-wagen«-Rede vor den Vereinten Nationen 2019. »Aber meine Erfahrung ist, dass es den Menschen an Bewusstsein für den Klimawandel fehlt und dass die Wissenschaft in unsere Debatten darüber nie genug eingebunden ist.«

Greta Thunberg hat uns wieder und wieder gebeten, ihre Worte zu überprüfen. Auch vor den Vereinten Nationen zitiert sie den neuesten Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Sie sagt: »Hören Sie auf die Wissenschaftler!« Dank der Bewegung, die Greta ins Leben gerufen hat, als sie 2018 zum ersten Mal in den Schulstreik trat, hören meiner Meinung nach mehr Menschen zu, aber vielleicht immer noch nicht genug. Denn an jenem Morgen im Januar 2021, als sie – mehr als ein Jahr nach ihrer Rede vor der UN – mit dem Dalai Lama sprach, verwies sie immer noch auf das fehlende Bewusstsein. Bei diesem Gespräch kam sie insgesamt fünfmal darauf zurück.

»Ich glaube, wir brauchen unbedingt einen Bewusstseinswandel. Wir müssen den Menschen erklären, was jetzt passiert, weil der Großteil davon keine Ahnung hat«, sagt sie. Und fügt hinzu: »Die meisten Menschen, die ich kenne oder getroffen habe, haben noch nie etwas von Rückkopplungsschleifen, Kettenreaktionen oder Kipppunkten gehört.«

Wie viel Wissen braucht ein Normalbürger, der nicht Klimawissenschaftler ist? Wie viel ist hilfreich? Wie viel können wir ertragen? Ich ringe mit diesen Fragen. Ich weiß keine sichere Antwort darauf, aber ich kann Ihnen eines sagen: Dass ich mit meinen Fragen zum Klimawandel nicht allein dastehe, hat meine Klimaangst ganz entscheidend gelindert. Es klingt vielleicht paradox, aber je mehr Zeit ich damit zubringe, den Wissenschaftlern zuzuhören, vor allem wenn wir als fürsorgliche Menschen miteinander reden und ich das Gefühl bekomme, dass wir das gemeinsam durchstehen, dass wir uns am Kopf kratzen und versuchen, unser Bestes zu tun, desto weniger habe ich das Gefühl, einen Albtraum zu erleben, in dem ich im freien Fall in einen unermesslichen Abgrund stürze. Die Aussagen der Wissenschaftler, die Sie hier kennenlernen werden und die bei dem Gespräch zwischen dem Dalai Lama und Greta dabei waren, wie auch die Filme über die Rückkopplungsschleifen (Feedback-Loops), die das Mind & Life Institute gedreht hat, sind keine leichtverdauliche Kost. Wenn diese Wissenschaftler das Wort ergreifen, klingen sie freundlich. Aber ich weiß, dass es sich um praxisorientierte, rationale Menschen handelt, die in ihrem Fach häufig zu den Besten gehören. Dieses Gespräch war keine Therapiesitzung, aber ich habe mich beim Zuhören aufgehoben gefühlt.

Tatsächlich interessiere ich mich vor allem für jenes Wissen, das uns Hoffnung schenkt und Wege zum Handeln aufzeigt, ohne die Fakten zu überzuckern. Die Klima-Rückkopplungsschleifen sind dabei zentral. Wir nehmen also Gretas Hinweis auf und machen sie zum Hauptthema dieses Kapitels. Haben Sie je von »Climate Feedback Loops« gehört, wie der englische Fachausdruck dafür lautet? Die Wissenschaft hat Dutzende solcher Rückkopplungsschleifen gefunden, die alle bereits aktiv sind. Wir werden uns speziell fünf solcher Schleifen näher ansehen und erklären, warum sie wichtig sind. Die Feedback-Loops kamen für mich einer Erleuchtung gleich, weil sie die Wahrheit über den Klimawandel begreiflich machen, selbst wenn man sich nur mit einem einzigen Loop beschäftigt. Sie erzählen nicht die ganze Geschichte, aber sie enthüllen die tiefere Wahrheit über die Situation, in der wir uns aktuell befinden.

Feedback-Loops sind für uns gute und schlechte Nachrichten zugleich. Sie sind das Problem und die Möglichkeit seiner Lösung. Wenn wir mehr darüber erfahren, ist sofort klar, warum wir nicht weitermachen können wie bisher. Aber wenn wir es zulassen, wird uns die Natur selbst helfen, gegen den Klimawandel anzukämpfen. Denn die Feedback-Loops werden, wenn wir sie umkehren können, dabei unser wichtigster Verbündeter sein. Also hören wir zu, was uns die Wissenschaft zu sagen hat.

Der Katastrophenfall

Wir wissen, dass sich die Erde erwärmt. Wir wissen, dass das Verbrennen fossiler Brennstoffe wie Erdöl, Kohle und Erdgas die Atmosphäre mit wärmespeichernden Gasen füllt wie Kohlendioxid, Methan oder Stickstoffoxid, und zwar in bisher nicht da gewesenem Ausmaß. Während die Welt noch debattiert, wie viel Erwärmung über das Niveau des vorindustriellen Zeitalters hinaus die Erde aushalten kann – 1,5 Grad Celsius, 2 beziehungsweise 2,5 Grad? –, heizt sich die Erde weiter auf.

Was nur wenige Menschen wissen, ist: Es sind nicht nur unsere Treibhausgasemissionen, die der Welt einheizen. Die steigenden Temperaturen setzen die natürlichen Erwärmungsmechanismen der Erde in Gang, die sich selbst verstärken.

George Woodwell schlägt schon seit über fünfzig Jahren Alarm, was dies angeht. George ist Klimawissenschaftler und so angesehen, dass das Forschungszentrum Woods Hole, das er 1985 auf Cape Cod gegründet hat, mittlerweile ihm zu Ehren umbenannt wurde in »Woodwell Climate Research Center«. In einem Artikel, den er bereits 1989 im Scientific American veröffentlichte, schrieb er, dass die durch menschliches Tun verursachte Erderwärmung »schon jetzt schnell voranschreitet, sich aber aufgrund der Erwärmung selbst möglicherweise noch beschleunigen wird«. Heute verzichtet George auf Formulierungen wie »möglicherweise«. »Das Problem ist doch, dass die Welt viel zu heiß wird für die aktuelle Verteilung der Menschen und der Landwirtschaft über den Globus, zu heiß für menschliches Wohlbefinden und menschliche Interessen«, sagt er. »Und es wird immer schlimmer.«13

Dreißig Jahre sind vergangen, seitdem George seinen Artikel im Scientific American