Abby III - Claudia Fischer - E-Book

Abby III E-Book

Claudia Fischer

0,0

Beschreibung

Kalifornien 1918 Für Abby und ihren Mann Robert Williams, den ehemaligen Banditen Butch Cassidy, könnte das Leben im Norden von Los Angeles nicht besser laufen. Sie fanden auf ihrer Ranch mit der lebhaften Tochter Betty eine neue Heimat, in der sie niemand aufspüren wird, denn man hält sie für tot. Doch allzu bald wird der Friede bedroht, nicht nur gefährliche Banditen treiben ihr Unwesen, persönliche Dramen und Unglücke erfordern allen Mut, Geschick und Einfallsreichtum. Und dann gibt es ja auch noch Abbys erste Tochter Alison. Zum Glück steht der alte Freund Elzy Lay mit Rat, Tat und viel Humor zur Seite. Sie haben alle den Outlaw Trail schon längst verlassen und kämpfen nun auf der Seite des Gesetzes.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 537

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buchbeschreibung:

Dies ist der dritte Band einer Reihe über Abigail Clearwater, die in jungen Jahren die Banditen Butch Cassidy und Elzy Lay kennenlernte und mit ihnen den Outlaw Trail ritt.

Nach langen Jahren der Trennung fanden die drei wieder zusammen und zwischen Abby und Butch erfüllte sich, was sich schon von Beginn an abgezeichnet hatte: Sie gehören untrennbar zusammen.

Nun leben die beiden mit ihrer Tochter Betty auf ihrer Ranch nördlich von Los Angeles und mit Elzy und seiner Frau Mary sind sie eng befreundet.

Gemeinsam begegnen sie allen Widrigkeiten und Problemen und lösen sie wie immer auf ihre ureigene Art: mit Humor, Einfallsreichtum und beinahe stets auf der Seite des Gesetzes.

Die anderen Bände lauten:

Abby I - Mit Butch Cassidy auf dem Outlaw Trail

Abby II - Totgesagte leben länger

Abby IV - Die wahre Heimat

Triggerwarnung:

In dieser Geschichte kommen sensible Themen vor, eine Liste findet sich am Ende des Buches.

„However I can honestly say that I have not found one person who knew him personally who will say a bad thing about him.“

Lula Parker Betenson1

1 Butch Cassidy, My Brother – Penguin Books Ltd.

Inhaltsverzeichnis

Los Angeles

Der Flug

Das ungute Gefühl

Gestörte Nachtruhe

Im Strandhaus

Auf der Jagd

Ein zweiter Versuch

Der dritte Versuch

Der vierte Versuch

Endlich wieder Frieden

Die Diagnose

Die Operation

Die Viehauktion

Genesung

Betty als Filmstar

Sommer auf der Ranch

Ausflug zum Grand Canyon

Besuch bei Fynn

Das Unglück

Fahrt nach San Francisco

San Francisco

Emmett Dalton

Der Stammbaum

Pater Joseph

Das böse Erwachen

Beim Bischof

Es bleibt nicht ungesühnt

Heimkehr

Rückkehr zur Normalität

Die große Feier

Das neue Schuljahr

Wie Vögel im Wind

Danksagung

Zu diesem Buch

Triggerwarnung

Los Angeles

3. Mai 1918

Abigail Clearwater Williams hatte das Geräusch des Motors schon lange vernommen. Aufmerksam suchte sie den Himmel ab, dann konnte sie endlich die Doppeldeckermaschine sehen, die schnell näherkam und mit lautem Brummen über sie hinwegflog. Sie beruhigte ihr tänzelndes Pferd und winkte zum Piloten hinauf, den sie nur als kleinen Punkt wahrnahm.

Sehnsüchtig starrte sie der Maschine hinterher, wie gerne würde sie einmal fliegen.

Sie war mit ihrem Mann und ihrer Tochter auf jeder Einzelnen der Flugschauen gewesen, die jährlich in Los Angeles stattfanden, sie hatten atemberaubende Stunts gesehen und auch Blanche Scott kennengelernt, die als Pilotin ihre rein männlichen Kollegen in Erstaunen versetzte.

Für Abby war es nichts Besonderes, die einzige Frau unter Männern zu sein, sie selbst war in jungen Jahren den Outlaw Trail geritten und hatte zusammen mit Butch Cassidy, Elzy Lay und Fynn Johnson Banken überfallen, sich dann aber zurückgezogen.

In San Francisco hatte sie den reichen Erben James Hart geheiratet und mit ihm eine Tochter, Alison, bekommen. Die Beziehung war nach 20 Jahren zerbrochen und Abby war zu Butch Cassidy zurückgekehrt. Der berühmte ehemalige Outlaw galt offiziell als tot, war jedoch quicklebendig und er wohnte mit Abby und ihrer gemeinsamen Tochter Elizabeth unter dem Namen Robert Williams unerkannt auf einer Ranch im Norden von Los Angeles.

Für Abby hatte das Ganze bedeutet, dass sie auf ihre ältere Tochter Alison verzichten musste, die als Ärztin in San Francisco im Glauben lebte, ihre Mutter sei tot.

Dass Abby über Alisons Werdegang jedoch aufs Genaueste informiert war, verdankte sie Elzy Lay, dem einstigen Weggefährten und immer noch besten Freund der Familie,der mit Alison Kontakt hielt und ihre Briefe an Abby und Robert weiterleitete.

Es waren aufregende Zeiten gewesen, doch nun genossen Abby und Robert die Ruhe, die ihnen ihre beschauliche Ranch bot. Sie lebten in Wohlstand, denn Robert hatte sein gesamtes erbeutetes Vermögen nach seiner Rückkehr in die USA unversehrt in zahlreichen Verstecken wiedergefunden. Sie züchteten wertvolle Pferde, die sie gewinnbringend verkauften, und hatten daher weiterhin ihr Auskommen. Zu ihren Nachbarn pflegten sie nur losen Kontakt, ihre lebhafte Tochter Betty dagegen kannte jeden in der Gegend und es war oft schwer, das siebenjährige Mädchen abends wieder aufzufinden, sie konnte überall sein. Betty hatte ein eigenes Pony und oft genug ritt sie einfach los, ohne Bescheid zu sagen, schwänzte auch die Schule und tat, was sie wollte.

Robert war viel zu nachsichtig mit ihr, er ließ ihr alles durchgehen, verzog das kleine Mädchen nach Strich und Faden und Abby war machtlos dagegen. Mit Robert zu streiten war ein Ding der Unmöglichkeit, er verschloss ihr meist einfach den Mund mit einem Kuss und es war ihm sowieso schon immer gelungen, sie um den Finger zu wickeln, das hatte sich in all den Jahren nicht geändert.

Sie waren beide älter geworden, doch die Arbeit auf der Ranch und die täglichen weitläufigen Ausritte führten dazu, dass sie jung und beweglich blieben und Abby ihre schlanke Gestalt behalten hatte. Mit ihren langen, lockigen rotblonden Haaren war sie immer noch ein ansehnlicher Anblick.

Alles in allem waren sie glücklich und zufrieden, die helle Sonne Kaliforniens trug dazu bei, dass niemals Traurigkeit aufkommen konnte, man nahm das Leben von der leichten, heiteren Seite. Wenn Abby ihre ältere Tochter Alison zu sehr vermisste, fuhr sie mit dem Auto ans Meer, dort fühlte sie sich ihr nahe, dort vergoss sie ab und zu auch ein paar Tränen und wünschte von Herzen, dass Alison so glücklich war wie sie selbst.

Alison war immer ein besonderes Kind gewesen. Der Lehrstoff der Schule hatte ihr bei Weitem nicht ausgereicht, sie stieß mit ihrer offenen Art alle vor den Kopf und hatte wenig Gefühl für das, was man sagte und was nicht.

Dank ihrer Intelligenz hatte sie als jüngste Studierende an der medizinischen Universität den Abschluss gemacht und ihren ersten Doktor mit summa cum laude erhalten, ihre zweite Doktorarbeit stand kurz vor der Vollendung. Mit ihrem ehemaligen Professor unterhielt sie ein Liebesverhältnis und wohnte in einer kleinen Wohnung in San Francisco, mehr brauchte sie nicht.

Als glühende Verfechterin des Frauenwahlrechts trat Alison überhaupt für die Rechte der Frauen ein, viele Frauen und Mädchen in Not wandten sich an sie und sie half, wo sie konnte.

Alison war schon mehrmals im Gefängnis gewesen, teils weil man sie auf Demonstrationen verhaftet hatte und vor kurzem, weil sie eine Frau nach einem unerlaubten Schwangerschaftsabbruch versorgt und diesen nicht angezeigt hatte. Das hatte dann der Ehemann der Frau erledigt. Die unglückliche Frau war zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden und Alison kam vor Gericht mit einer Verwarnung davon, schließlich hatte sie ja nur ihre Pflicht getan und der Frau geholfen.

Das hielt Alison jedoch nicht davon ab, für ihre Anliegen zu kämpfen, auch gegen ihren konservativen Vater, Abbys erstem Ehemann James Hart, der im Stadtrat saß und seine rebellische Tochter am liebsten verleugnet hätte.

Abby wusste das alles, denn Alison schrieb Elzy in allen Einzelheiten über ihr Leben, das hatte sie ihm einmal versprochen und ihre Versprechen hielt sie pflichtbewusst ein. Wäre Alison eines Tages wirklich in ernsthaften Schwierigkeiten, konnten Robert und Abby immer sofort eingreifen, das bedeutete eine große Beruhigung.

Jetzt war Abby eigentlich beinahe wunschlos glücklich. Früher war sie viel gereist, sie war begierig gewesen, Neues zu entdecken, sie liebte hohe Berge, liebte das Abenteuer, das Außergewöhnliche.

Wenn sie nach Los Angeles zu den Piers gingen, war sie diejenige, die mit den neu gebauten Achterbahnen fuhr oder sich auf die großen Rutschen wagte. Nichts konnte ihr waghalsig genug sein, sie kannte keine Furcht und lachte Robert oft aus, weil er sie zwar begleitete, es aber nicht richtig genießen konnte, da er leicht unter Höhenangst litt.

Einst war sie am Grand Canyon gestanden, auf einem überhängenden Felsen, nur gehalten von Fynn Johnson, und sie hatte sich nach vorne gebeugt, mit ausgestreckten Armen, als würde sie fliegen. Nur wenige Zoll hatten ihre Füße vom Abgrund getrennt.

So hatte sie immer leben wollen, sie hatte das Risiko nie gescheut und sie hatte stets nach vorne geschaut und das getan, was notwendig war.

Hier auf der Ranch vermisste sie ab und zu den Nervenkitzel, alles war ruhig und schön, manchmal sehnte sie sich nach Entdeckungen, nach Neuem, sie dachte zurück an die hohen Berge, die sie in Südamerika bezwungen hatte, an all die Reisen, und sie seufzte bei dem Gedanken, dass sie das vielleicht nie mehr erleben würde. Aber immerhin hatte sie die Erinnerungen daran, sie wollte nicht undankbar sein und konnte sich glücklich schätzen.

Sie blickte dem Doppeldecker nach, der nun eine Kurve flog und wohl zurück zum kleinen Flugfeld unterwegs war. Für sie war es auch Zeit umzukehren und sie trieb ihr Pferd an.

Als sie die Ranch erreichte, wurde sie schon ungeduldig von ihrer Tochter Betty und von Robert erwartet.

„Wo bleibst du denn, Mummy? Das Abendessen ist fertig und dann musst du gleich wieder gehen, wir wollen doch das Zimmer für deinen Geburtstag schmücken!“

„Betty, das sollte doch unser Geheimnis bleiben“, schimpfte Robert.

„Ich habe nichts gehört“, erwiderte Abby lachend, stieg vom Pferd und Robert nahm es ihr ab, um es zu versorgen.

„Ich habe ein ganz tolles Geschenk für dich“, rief Betty und griff nach ihrer Hand. „Willst du es gleich sehen?“

„Der Geburtstag ist doch erst morgen, Schatz!“

„Aber es ist fertig, ich habe es ganz allein gemacht. Daddy hat nur ein bisschen geholfen!“

„Morgen gibst du es mir, ich bin schon so gespannt!“

„Bis morgen dauert es doch noch so lange.“

„Nur noch einmal schlafen, Betty. Nun komm, hast du dir die Hände gewaschen? Und dein Gesicht sieht aus, als hättest du dich im Dreck gewälzt, was hast du nur wieder getan?“

Abby nahm ihre Tochter und säuberte sie gründlich, was Betty nur unter Protest zuließ. Die blonden Zöpfe waren arg verfilzt und mussten ausgebürstet werden.

Als sie das Haus betraten, nahm Robert wie immer seinen Hut und zirkelte ihn zu Bettys stetem Entzücken auf den Haken an der Wand. Diese Angewohnheit, die noch aus Roberts Jugendzeit stammte, war ihr Ritual geworden, niemals durfte er es vergessen und wehe, er verfehlte ausnahmsweise einmal sein Ziel. Dann tanzte Betty durch den Raum und lachte aus vollem Hals.

Schließlich saßen sie am Tisch und genossen die Speisen, die Teresa, ihre Köchin, auftrug. Danach musste Abby das Zimmer verlassen und lautes Gepolter und Gehämmere verrieten ihr, dass Robert und Betty eifrig am Werk waren und anscheinend Girlanden und andere Dinge aufhängten.

Sie ließ sich später mit geschlossenen Augen durch das Zimmer führen, Betty hatte darauf bestanden, und so sah sie erst am Morgen, wie schön die beiden alles für sie geschmückt hatten. Betty war schon zum Morgengrauen in ihr Bett gesprungen und hatte sie geweckt, sie war aufgeregter als zu ihrem eigenen Geburtstag.

„Ihr müsst aufstehen, schnell! Komm, Mummy, du musst dein Geschenk anschauen!“

Leise seufzend gaben Robert und Abby nach und erhoben sich gähnend.

Robert umarmte sie. „Alles Gute zum Geburtstag!“

„Vielen Dank, ich fühle mich so alt und müde“, lachte sie.

„Aber mit jedem Jahr wirst du schöner!“

„Ganz bestimmt!“

Staunend betrachtete Abby das Zimmer, überall hingen tatsächlich bunte Girlanden, und der Tisch war festlich gedeckt, sogar Blumen standen darauf, wenn auch schon etwas verwelkt. Betty hatte wohl am Vorabend noch die Gärten der Nachbarn geplündert. Sie selbst hatten kaum Blumen, weder Robert noch Abby hatten wirklich ein Händchen dafür, daher hatten sie es schon lange aufgegeben.

„Hier ist mein Geschenk“, rief Betty und tanzte ungeduldig herum. „Nun schau es endlich an!“

Abby nahm das Blatt Papier, das am Tisch lag und entfaltete es. Sie drehte es ein paarmal, weil sie nicht gleich erkennen konnte, was das Bild darstellen sollte. Betty hatte wie üblich wild drauflosgekritzelt, aber Robert hatte das Ganze gerettet, und man konnte zumindest Formen erahnen.

„Ein Flugzeug?“, fragte sie vorsichtig.

„Ja, ein Flugzeug!“, schrie Betty strahlend vor Stolz. „Ich habe es ganz allein gemalt, Daddy hat nur ein paar Striche dazu gemacht. Ich habe es für dich gemalt. Gefällt es dir?“

„Es ist wunderschön“, log Abby. „Wir werden es hier an die Wand hängen.“

„Daddy hat auch noch ein Geschenk für dich!“, brüllte Betty aufgeregt. „Jetzt gib es ihr, Daddy, los!“

„Da wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben“, lächelte Robert und überreichte Abby ebenfalls ein Blatt Papier, das jedoch sehr viel seriöser und ordentlicher aussah.

Abby las es fassungslos.

„Du schenkst mir einen Flug? Einen richtigen Flug?“

Er küsste sie.

„Ich weiß doch, dass du dir das wünscht. Übermorgen, am Sonntag, fahren wir zum Flugfeld und du kannst in eine dieser Doppeldeckermaschinen einsteigen. Es ist alles ausgemacht, ich habe die beste und sicherste Maschine gewählt, du sollst heil und als Ganzes zurückkommen!“

Sie umarmte ihn stürmisch und warf ihn beinahe um. „Dabei hast du immer gesagt, das sei viel zu gefährlich und du würdest mir das nie erlauben!“

„Ich habe mich überzeugen lassen, ich kenne da einen Piloten, dem vertraue ich, er wird dich sicher wieder zu mir zurückbringen, das hat er mir versprochen.“

„Freust du dich? Freust du dich?“, schrie Betty.

Abby hob ihre Tochter hoch und schleuderte sie herum. „Und wie ich mich freue!“

„Du wirst fliegen, Mummy, wirst du mir dann zuwinken?“

„So fest ich kann“, versprach Abby.

Da es noch viel zu früh am Morgen war, war Teresa noch nicht anwesend, daher bereitete Abby selbst das Frühstück zu, eifrig unterstützt von Betty, die unentwegt plapperte. Sie war wie im Traum, sie würde fliegen, übermorgen schon, sie würde von oben herabschauen auf die Erde, konnte es wirklich wahrwerden?

Der Tag verging schnell, die vor Wut weinende Betty war von Robert zur Schule gebracht worden, das Mädchen hatte geglaubt, der Geburtstag der Mutter würde ihr einen schulfreien Tag bescheren, aber die Eltern waren unerbittlich.

Gegen Mittag kam Post, ein Brief von Elzy und Mary Lay, sie gratulierten ebenfalls und kündigten an, dass sie am Samstag in acht Tagen für zwei Wochen zu Besuch kommen würden. Abby freute sich sehr darauf, ihre besten Freunde bald wiederzusehen, mit ihnen konnten sie frei reden. Es gab zwischen ihnen keine Geheimnisse und Heimlichkeiten und die Kinder verstanden sich ebenfalls gut. James war mit seinen stolzen acht Jahren nur ein Jahr älter als Betty und die kleine Mary Lucille, genannt Lucille, war sechs.

Abends kamen ein paar Nachbarn zu einem Barbecue und es wurde eine vergnügliche Feier. Betty schlief irgendwann in Roberts Armen ein und wurde von ihm zu Bett gebracht. Weit nach Mitternacht verließen die letzten Gäste die Ranch und Robert und Abby sanken endlich in den wohlverdienten Schlaf, aufräumen würden sie am nächsten Tag.

Irgendwie schafften sie es am Morgen, rechtzeitig aufzustehen, um Betty in die Schule zu schicken. Es war Samstag, da musste sie nur ein paar Stunden überstehen. Abby winkte ihr erleichtert nach, als sie mit dem Pony eilig davonritt. Für kurze Zeit würde nun Ruhe herrschen.

„Hoffentlich geht sie wirklich hin!“, meinte sie zu Robert. „Nicht, dass sie unterwegs wieder etwas Interessantes findet und lieber schwänzt. Wenn ich nur daran denke, wie Alison war, die Lehrerinnen hatten zu tun, sie nach Hause zu schicken, sie fragte ihnen Löcher in den Bauch. Ich fürchte, wir müssen froh sein, wenn Betty überhaupt irgendwann einmal Lesen und Schreiben lernt.“

„Rechnen kann sie!“, entgegnete Robert stolz. „Das wird schon noch, ich war in der Schule auch nicht der Beste. Ich bin lieber geritten.“

„Und ich habe mit 13 aufgehört hinzugehen und lieber im Hotel gearbeitet.“

„Siehst du, aus uns ist doch auch was geworden!“

„Zwei Outlaws“, lachte Abby.

„Zwei sehr wohlhabende Outlaws“, berichtigte Robert. „Und nun, Mrs. Williams, sollten wir hier aufräumen, bevor Teresa kommt und mit uns schimpft!“

Sie arbeiteten eine Weile und tatsächlich erschien Teresa zur üblichen Zeit, um das Mittagessen zu bereiten.

Am Samstag kam sie immer später und am Sonntag hatte sie frei.

An diesem Tag war sie sehr aufgeregt. „Madre mía!“, rief sie schon von Weitem. „Was für ein Unglück, was für ein abscheuliches Verbrechen!“

„Was ist passiert?“, fragte Abby erschrocken. „Ist etwas mit deiner Familie?“

„Nein, nicht meine Familie, die Familie Kramer, alle tot!“

„Wie bitte? Du meinst diese nette deutsche Familie, die östlich von hier in den Hollywood Hills lebt?“

„Ja, alle, Vater, Mutter, Großeltern und die drei Kinder, alle tot, Bandidos waren da, haben alles gestohlen und alle gemordet.“

„Wann ist das passiert?“, fragte Robert.

„Postmann hat heute gefunden, vielleicht schon ein paar Tage, man weiß nicht. Alle tot, Frau … oh, die arme Frau, … sie haben sie … Madre mía“ klagte sie laut.

„Nun beruhige dich doch, Teresa“, bat Robert. „Woher weißt du das denn alles?“

„Gabriela arbeitet dort am Samstag, sie hat gesehen, Polizia hat sie nicht hingelassen, aber sie hat gesehen, sie hat gesehen Postmann. Er hat ihr erzählt. Gabriela kam heim, weinte und betete, sie traut sich nicht mehr aus dem Haus. Ich sage, ich gehe, ich gehe zu Mr. Williams, ich habe keine Angst, sollen sie kommen, sollen sie versuchen mich zu morden, ich werde zeigen, wer ich bin! Aber Pedro hat mich hergebracht, wird mich wieder holen ab, er lässt mich nicht allein gehen!“

Pedro war Teresas Ehemann, wie Abby und Robert wussten. Das waren ja böse Neuigkeiten.

Und im Lauf des Tages erfuhren sie noch mehr Einzelheiten, die Nachbarn kamen und erzählten, was geschehen war. Anscheinend war das kleine Anwesen der Familie Kramer in der Nacht zum Freitag von einer Bande überfallen worden. Man hatte alle Bewohner getötet und die Frau vor ihrem Tod geschändet. Überall herrschte großes Entsetzen, was waren das nur für Bestien. Das jüngste Kind war gerade mal vier Jahre alt gewesen.

Abby und Robert waren erleichtert, als Betty mittags fröhlich und unversehrt von der Schule heimkehrte, ihren Ranzen in ihr Zimmer feuerte und sich sofort zu den Pferden begab. Sie hatte ein besonderes Gespür für die Tiere, genau wie ihr Vater, und sie unterhielt sich oft mit ihnen. Bei ihnen war sie auch nie laut und ungestüm oder ungeduldig, sie behauptete sogar oft, dass die Pferde ihr Geschichten erzählten oder ihr sagten, was ihnen nicht passte.

Ihr größter Wunsch war jedoch ein Hund und Robert hatte ihr versprochen, sie dürfe sich einen Hund holen, wenn ihr Schulzeugnis einigermaßen in Ordnung war. Die ersten Zensuren hatten allerdings nicht danach ausgesehen, und als Betty begriffen hatte, dass der Hund in weite Ferne gerückt war, strengte sie sich ein bisschen mehr an und schwänzte nicht mehr gar so oft.

Beim Abendessen kam das Gespräch unweigerlich auf die unglückliche Familie Kramer zurück.

„Ben und Tobi haben heute schon wieder in der Schule gefehlt“, berichtete Betty. „Dann kam der Sheriff und sagte, dass sie tot sind. Kommen sie nun nicht wieder?“

Abby und Robert wechselten einen Blick.

„Ben und Tobi Kramer?“, fragte Abby vorsichtig.

„Ja, so heißen sie. Sie waren gestern nicht da und heute auch nicht. Wir mussten alle aufstehen und für sie beten. Miss Mannering hat geweint.“

„Die beiden sind tot, Betty, sie sind zum lieben Gott gegangen. Es ist schön, dass ihr für sie gebetet habt. Und Miss Mannering weinte, weil sie traurig war deswegen.“

„Aber warum sind sie gegangen? Und warum müssen sie nicht mehr in die Schule?“

Robert griff ein. „Weißt du noch, als unser alter schwarzer Hengst krank wurde und wir ihn erlösen mussten?“

„Du hast ihn erschossen, damit er nicht mehr leiden musste!“

„Richtig, ich habe ihn erschossen und er war tot. Er ist nicht mehr aufgestanden.“

Betty dachte nach. „Aber Tobi und Ben waren doch nicht krank?“

„Nein, das waren sie nicht, es ist eine schreckliche Sache passiert, böse Männer sind gekommen und haben sie einfach umgebracht, ohne Grund.“

„Aber wieso?“

„Weil diese Männer böse und schlecht sind. Der Sheriff wird sie fangen und sie werden eingesperrt werden. Aber solange diese Männer noch frei herumlaufen, müssen wir alle vorsichtig sein, hörst du?“

„Wenn sie kommen, wirst du sie erschießen, Daddy!“

Nichts konnte Betty von ihrer Überzeugung abbringen, dass ihr Vater alles möglich machen würde. Sie sprang von ihrem Stuhl auf und umarmte ihn, so fest sie konnte.

Später bestand sie auch darauf, dass er sie zu Bett brachte, was er wie üblich bereitwillig tat. Er hatte nicht gelogen, als er zu Abby gesagt hatte, dass er sich immer ein Kind gewünscht hatte. Dieser Wunsch war sehr spät erfüllt worden, er dachte bei sich, dass sein Leben bestimmt anders verlaufen wäre, hätte Abby zu der Zeit, als er noch kein berühmter Anführer einer wilden Horde war, ein Kind bekommen. Aber vielleicht wäre er damals auch nicht wirklich bereit dazu gewesen, auf jeden Fall bereute er nichts, sein Leben war voller Aufregung und Abenteuer gewesen und hatte ihn reich beschenkt.

Am Ende war er dann sogar doch noch mit einer Tochter belohnt worden, die in seinen stolzen Vateraugen die Krone der Schöpfung war.

Als er zurückkehrte, schenkte sich Abby gerade einen Whisky ein und reichte ihm auch ein Glas.

„Wir sollten auf jeden Fall die Waffen prüfen und bereithalten“, schlug sie vor.

Er nickte.

„Wir beide wohnen hier allein mit Betty, wir sind augenscheinlich leichte Beute, wer weiß, ob man uns nicht schon ins Visier genommen hat. Gesehen habe ich keinen, aber die lassen sich bestimmt nicht so einfach blicken.“

Abby lachte.

„Wenn die wüssten, mit wem sie sich anlegen!“

„Schade, dass wir es ihnen nicht sagen können!“

„Ich hoffe ja, dass sie tatsächlich kommen, und zwar genau nächste Woche, wenn Elzy hier ist.“

„Ehrlich gesagt hoffe ich, dass der Sheriff sie vorher erwischt, Abby, du weißt, …“

Ja, Abby wusste, dass Robert ein Problem damit hatte, auf Menschen zu schießen. Sie drückte ihn an sich.

„Man wird sie bestimmt fassen. Und wenn, das sind keine Menschen, Robert, das sind Bestien. Wir verteidigen uns nur. Denke vor allem an Betty, ihr darf nie etwas geschehen!“

„Ihr wird auch nichts passieren. Wir werden das nicht zulassen! Und nun sprechen wir über etwas Angenehmeres, morgen wirst du fliegen, ich zittere jetzt schon bei dem Gedanken. Hast du keine Angst?“

„Angst? Ich? Nein, ich freue mich so sehr darauf! Das war das schönste Geschenk, das du mir jemals gemacht hast! Wir gehen jetzt auch zu Bett, damit es schneller morgen wird, ich kann es schon kaum mehr erwarten.“

„Ich bin aber noch hellwach!“

„Dann werde ich dafür sorgen, dass du ganz rasch müde wirst, komm, mein Liebster!“

Sie löschte alle Lichter und zog ihn mit sich in das gemeinsame Schlafzimmer.

Der Flug

Am nächsten Morgen erwachten sie früh und nach einem reichhaltigen Frühstück fuhr Robert das Auto vor und kutschierte Abby und Betty zum Dominguez Flugfeld. Dort hatten die internationalen Flugschauen stattgefunden, die sie alle besucht und bestaunt hatten. Wie immer war Abby fasziniert von den Maschinen, die sich dort in allen Farben und Formen fanden. Es gab Doppeldecker und andere Motorflugzeuge in abenteuerlichen Konstruktionen.

Betty war sehr aufgeregt und stürmte aus dem Wagen, kaum dass Robert ihn angehalten hatte. Ohne auf ihre Eltern zu hören, lief sie zu dem großen Gebäude, in dem sich die Piloten und ihre Kunden trafen, und rannte zielsicher auf einen Mann zu, den sie offensichtlich kannte.

„Ihr seid also öfter hier gewesen“, stellte Abby fest.

Robert grinste. „Ich musste doch sehen, wem ich dich anvertrauen kann. Wir haben dir immer erzählt, wir würden in die Berge fahren.“

„Ich hatte mich schon gewundert, Betty reitet doch lieber, ich habe mich immer gefragt, was ihr so Interessantes in den Bergen entdeckt habt!“

„Es ist schwer, vor dir etwas geheim zu halten“, seufzte Robert. „Aber diesmal ist es uns tatsächlich gelungen und Betty hat nichts verraten.“

„Das überrascht mich allerdings auch“, lachte Abby. „Was hast du ihr versprochen? Raus mit der Sprache!“

„Einen Hund, und wenn ihre Zensuren in Ordnung sind, bekommt sie einen zweiten!“ „Robert!“

„Ich weiß, Abby! Es tut mir leid.“

„Du bist unmöglich, Bob, du verziehst deine Tochter …“

„Psst, Abby!“ Er nahm sie in die Arme und verschloss ihren Mund wie gewohnt. „Jetzt freu dich einfach, meine Schöne, aber ich sage dir eins, ich bin erst wieder glücklich, wenn du heil und gesund gelandet bist.“

Sie waren nun ebenfalls am Gebäude angelangt und gerade startete eine Maschine und sie spürten den Fahrtwind, als sie vorbeizog.

Gebannt sahen sie zu, wie sich der Doppeldecker schnell in die Lüfte erhob und kleiner und kleiner wurde.

Dann stellte Robert den Piloten vor, der Betty bereits auf dem Arm hatte, die wild auf ihn einredete.

„Das ist Charles Stephens und hier ist meine mutige Frau Abby, die mir seit Jahren in den Ohren liegt, dass sie einmal fliegen möchte!“

Charles reichte Abby die Hand. Er war ein stattlicher, ruhiger Mann in den Vierzigern, der Vertrauen ausstrahlte. Sein Haar war schütter, aber er hatte einen langen, gepflegten schwarzen Bart und lebhafte dunkle Augen.

„Nett, Sie kennenzulernen, Mrs. Williams. Ich werde Sie nun gleich ein wenig einweisen, dann kann es auch schon losgehen“, begrüßte er sie mit sonorer Stimme.

„Vielen Dank, Mister Stephens! Ich freue mich sehr.“

„Charles genügt!“

„Gerne, dann nennen Sie mich aber auch Abby!“

Charles wandte sich an Betty.

„Meine Kleine, du gehst jetzt mit deinem Vater, ich habe mit deiner Mutter einiges zu besprechen.“

„Darf ich auch einmal fliegen?“, fragte Betty. „Bitte!“

Robert befreite Charles von dem Mädchen. „Damit wartest du, bis du erwachsen bist.“

„Bekomme ich dann heute noch den Hund? Du hast es versprochen!“

Robert schielte Abby von der Seite mit offensichtlich schlechtem Gewissen an. „Wir werden uns nach dem Flug darum kümmern“, meinte er vorsichtig.

„Aber ich habe nichts verraten! Und du hast es versprochen! Und was ist mit dem Pferd? Kriege ich das jetzt?“

„Was für ein Pferd?“, fragte Abby.

„Komm Betty!“ Robert hatte es plötzlich sehr eilig. „Wir wollen nun nicht länger stören!“ Und er entfernte sich schnell mit seiner Tochter aus Abbys Reichweite.

Sie starrte den beiden nach und schüttelte nur mehr ergeben den Kopf. Dann aber wandte sie sich Charles Stephens zu und er führte sie zu seiner Maschine, einem soliden Doppeldecker mit einem großen Propeller vorne.

„Das ist Ihr Platz!“ Er deutete auf den vorderen Sitz, fasste hinein und zog eine lederne Haube und eine dicke Brille hervor. „Das müssen Sie aufsetzen, sonst macht Ihnen der Fahrtwind zu sehr zu schaffen!“

Abby zog sich folgsam die Haube über den Kopf und band sie fest zu. Dann hörte sie zu, wie ihr der Motor und die Flugeigenschaften erklärt wurden, aber sie verstand kaum ein Wort. Technische Einzelheiten waren schon immer an ihr abgeprallt. Als sie damals zum ersten Mal ein Auto gesteuert hatte, war es ihre Tochter Alison gewesen, die alle Informationen wie ein Schwamm aufgesaugt und sich sofort mit allem vertraut gemacht hatte.

Abby wollte auch gar nicht wissen, wieso so ein Flugzeug fliegen konnte, obwohl es doch so viel schwerer als Luft war, sie hatte keine Ahnung, was ein Auftrieb war, sie wollte es nur endlich erleben.

Dennoch lauschte sie höflich und aufmerksam und schließlich durfte sie einsteigen. Charles half ihr hinein und sie saß so tief unten in der Maschine, dass nur ihre Schultern oben herausragten. Als sie sich umblickte, sah sie Robert und Betty am Rand des Flugfeldes stehen und ihr eifrig zuwinken. Sie winkte zurück und dann nahm auch schon Charles hinter ihr Platz.

„Alles bereit?“, rief er ihr zu!

„Ja, es kann losgehen!“

Der Motor wurde gestartet und die Maschine fuhr langsam auf die Rollbahn. Männer liefen neben ihnen her und halfen, das Flugzeug in die richtige Richtung zu schieben, denn mit den starren Rädern konnte man nur schwer am Boden Kurven fahren.

Endlich waren sie am Anfang der Piste und Charles zog die Bremse. Die Männer an den Seiten begaben sich in Sicherheit und Charles gab Gas. Der Propeller drehte sich schneller und schneller, Abby spürte den heftigen Luftstrom. Dann löste Charles die Bremse und sie fuhren an, erhielten Geschwindigkeit und plötzlich war da ein seltsames Gefühl in Abbys Magen, sie hatten sich vom Boden gelöst und es ging steil nach oben.

Ohne Zeichen von Angst jauchzte Abby laut. Sie richtete sich auf, um mehr zu sehen, blickte zurück auf das Flugfeld, das immer kleiner wurde, und sie nahm Robert und Betty nur noch als winzige Punkte wahr.

Der Fahrtwind pfiff ihr um die Ohren, es war laut, der Motor dröhnte, aber es war wundervoll. Sie flogen direkt in die Sonne, so schien es ihr.

Charles stupste sie von hinten an und deutete nach links oder rechts. Abby verstand und wies in die Richtung, in der ihre Ranch lag. Sie wollte auch über die Berge fliegen.

Charles machte daraufhin eine Kurve und kurze Zeit sah Abby rechts von sich direkt auf den Boden, dann waren sie wieder gerade und flogen schnell dahin. Ab und zu hopste das Flugzeug wild und die Flügel flatterten laut. Abby strahlte vor Vergnügen, ihr konnte es gar nicht wild genug gehen. Sie erkannte die Ranch von Weitem, die Stallungen, die Koppeln und die zwei Häuser, alles war wunderschön und so klein aus der Luft. Die Pferde jagten unter ihnen wild durcheinander und sie winkte und rief ihnen zu, doch natürlich würden sie sie nicht hören.

Charles ließ das Flugzeug noch stark steigen und steuerte auf die Hollywood Hills zu, zuerst schien es, als würden sie dagegen prallen, aber dann erreichten sie doch genug Höhe und brausten über sie hinweg.

Wie flach von oben alles aussah, hätte Abby nicht gewusst, wie steil und hoch die Berge waren, sie hätte sie als kleine Hügel abgetan. Sie konnte sich nicht sattsehen und wäre am liebsten ausgestiegen aus ihrem Sitz, so wie sie es in den Stuntshows beobachtet hatte.

Sie hätte sich liebend gerne auf einen der Flügel gestellt, um überall hinblicken zu können und sich vollkommen frei zu fühlen. Aber natürlich hatte Charles ihr das im Vorfeld strengstens verboten, er hatte sofort erkannt, was für eine abenteuerlustige Frau er vor sich hatte, und Abby hatte versprechen müssen, brav sitzen zu bleiben.

Das Erlebnis genügte ja auch so.

Viel zu schnell war es allerdings vorbei, nach einer Stunde kehrten sie zurück. Am Ende flogen sie noch kurz über das Meer und Abby starrte fasziniert auf die Wellen, die von oben so anders aussahen. Sie beneidete Charles glühend, der fliegen konnte, wann immer es ihm beliebte, sie wusste, dass sie auch in Zukunft allerhöchstens Passagierin sein konnte, sie würde nie im Leben die Technik verstehen, die hinter der Fliegerei steckte.

Das Landen war abenteuerlich. Sie verloren schnell an Höhe, kreisten eine Weile in Spiralen nach unten und Abby dachte schon, sie würden mit hoher Geschwindigkeit aufprallen, doch dann auf den letzten Metern ging die Maschine in einen geraden Gleitflug über und sie landeten sicher auf der holprigen Piste.

Charles lenkte das Flugzeug mit Hilfe der bereitstehenden Männer zurück auf seinen Stellplatz und machte den Motor aus. Langsam hörte der Propeller auf, sich zu drehen. Endlich war wieder alles still.

Abby wandte sich strahlend um. Sie fand kaum Worte für das, was sie erlebt hatte. Charles stieg aus und half Abby, sich aus ihrem Sitz zu winden. Sie nahm die Mütze und die Brille ab und dann war da schon Robert, der sie umarmte und abküsste, und Betty, die ungeduldig und lautstark verlangte, auf den Arm genommen zu werden.

„Wie war es?“, fragten die beiden im Chor.

„Es war unglaublich! Du musst das unbedingt auch einmal machen, Robert, ich habe noch nie etwas Schöneres erlebt! Wir sind über unsere Ranch geflogen und über die Berge und das Meer.“

„Hast du Phyllis gesehen?“, schrie Betty. Phyllis hieß ihr Pony.

„Natürlich habe ich sie gesehen, sie hat mir zugewunken“, strahlte Abby.

„Du lügst, Mummy, Ponys können doch nicht winken!“

„Phyllis kann es!“

Sie gingen zusammen in das Gebäude und bestellten Kaffee, Kuchen und Champagner und eine Limonade für Betty, ein für sie sehr seltener Genuss. Charles verabschiedete sich dann bald, er wollte noch einmal in die Luft und Abby blickte ihm neidvoll hinterher.

„Ich wollte, ich könnte noch einmal fliegen“, seufzte sie.

„Du hast ja irgendwann wieder Geburtstag“, neckte Robert seine Frau.

„Kann ich vielleicht einen Vorschuss haben? Wenn ich mir die nächsten zehn Geburtstage nichts anderes wünsche? Wer weiß, ob ich sie erlebe, ich könnte doch einfach die nächsten Wochenenden wieder fliegen, dafür brauchst du dir nie wieder Gedanken zu machen, was du mir schenkst, …“

„Und was ist jetzt mit dem Hund?“, warf Betty ein.

„Einverstanden, Abby“, nahm Robert eilig die günstige Gelegenheit wahr. „Du kriegst einen Vorschuss für die nächsten zehn Geburtstage, wenn du uns nicht wegen des Hundes schimpfst!“

Abby lachte. „Also gut. Aber was ist das für eine Geschichte mit dem Pferd?“

„Daddy hat mir ein Pferd versprochen, ein richtiges Pferd! Ich bin groß genug!“

Robert nahm sein Kind auf den Schoß.

„Betty, ich habe dir das doch erklärt, das Pferd ist noch nicht geboren, erst wenn es auf der Welt ist, kannst du es haben, und auch dann musst du noch lange Zeit warten, bis du es reiten kannst.“

„Aber es gehört mir!“

„Ja, es gehört dir!“

Abby vernahm das mit Erleichterung.

Sie hatte wirklich kurzzeitig Angst gehabt, Robert würde seiner Tochter erlauben, ein großes Pferd zu reiten, sie war einfach noch zu klein dafür. Aber ein Fohlen, das ihr gehören würde und das mit ihr zusammen groß werden würde, war eine ausgezeichnete Möglichkeit, Betty noch einige Zeit hinzuhalten. Trotzdem, …

„Wer hatte jetzt eigentlich Geburtstag? Betty oder ich?“, murrte sie. „Mir scheint, Betty hat viel mehr Geschenke bekommen.“

Robert blickte sie strafend an.

„Elzy hat mir schon prophezeit, dass ich auf Dauer Probleme haben würde, euch beide zufriedenzustellen. Dabei strenge ich mich doch wirklich an. Es ist wahrlich nicht leicht mit so einer Weiberwirtschaft!“

Abby prustete los. „Ja, du Ärmster hast es schwer. Aber du wolltest es so, also keine Klagen!“

„Niemals“, versicherte Robert. „Wie könnte ich mich bei zwei so reizenden und schönen Damen auch beschweren?“

„Wie lange wollt ihr denn noch reden, Daddy, was ist jetzt mit dem Hund?“, rief Betty wieder.

Sie stampfte zornig mit dem Fuß auf, stemmte die Hände in die Hüften und erinnerte in ihrer ganzen Haltung an Abby, wenn sie wütend wurde. Also erhoben sich Robert und Abby folgsam und kurze Zeit später war Betty stolze Besitzerin eines undefinierbaren lebhaften Mischlingswelpen, den sie Alice nannte, nach ihrem Lieblingsbuch ‚Alice im Wunderland‘, dem einzigen Buch überhaupt, das Betty jemals interessiert hatte.

Alice war bereits zehn Monate alt und beinahe ausgewachsen, sie besaß ein langes, seidiges Fell und war so groß wie ein Retriever. Sie hatte in einer Familie gelebt und war an Kinder gewöhnt, sie gehorchte auch gut und schien ideal zu sein.

Mit Betty war es Liebe auf den ersten Blick. Bereits nach ein paar Minuten versuchte Alice dem Mädchen das Gesicht zu lecken, was Betty empört abwehrte. Sie hatte von ihrem Vater schon lange gelernt, dass man bei Tieren Grenzen setzen musste. Also erklärte sie Alice, dass man das nicht tat, und hielt sie auf Abstand.

Wenig später rannten die beiden um die Wette durch den Hof und der Spaß war ihnen anzusehen.

Robert war mehr als zufrieden, er hatte früher bereits Hunde besessen und kannte sich damit aus, Abby hatte dagegen überhaupt keine Erfahrung damit. In Lander hatten sie auf der Ranch ein paar Hunde gehalten, aber Abby hatte nie mit ihnen zu tun gehabt, hatte sie höchstens verscheucht, wenn sie ihr zu nahegekommen waren. Jetzt würde also Alice bei ihnen einziehen und ein richtiges Familienmitglied werden. Als Betty mit dem Hund zu ihren Eltern zurückkehrte, schloss Abby also auch Freundschaft mit Alice und streichelte das Tier, das daraufhin begeistert an ihr hochsprang.

Es war beschlossene Sache, dass Alice von nun an in Bettys Bett schlafen würde. Abby wollte es erst verbieten, aber Betty weinte entsetzt, sie würde sich nicht mehr von ihrem Hündchen trennen, und Robert erlaubte es kurzerhand und überging Abby einfach.

„Mir ist es recht, wenn ein Hund bei ihr ist!“, erklärte er ihr hinterher, als sie ihn zur Rede stellte. Betty war glückselig mit Alice im Arm eingeschlafen. „Gerade jetzt, wenn Gefahr droht!“

Abby hatte die Verbrecherbande, die die Familie Kramer so bestialisch ermordet hatte, ganz vergessen mit all der Aufregung, die der Tag gebracht hatte, und sie hielt erschrocken die Hand vor den Mund.

Robert nahm sie in den Arm.

„Der Hund wird uns warnen, wenn etwas ist. Er ist zwar noch jung, aber Hunde haben das im Blut.“

„Du hast recht, ich habe gar nicht mehr daran gedacht!“

„Das ist auch gut so, und jetzt erzähle mir nochmal von deinem Flug, wie ist es denn, wenn man da oben ist?“

„Man ist frei, losgelöst, alles ist so klein und so weit weg, …“ Abby berichtete in allen Einzelheiten und ihre Begeisterung war ansteckend.

„Vielleicht versuche ich es doch einmal“, überlegte Robert todesmutig.

„Tu es, du wirst es nicht bereuen, glaube mir!“

Das ungute Gefühl

Am nächsten Morgen, als Betty schon in der Schule war, kam der Sheriff vorbei. Er fuhr mit seinem Auto in den Hof der Ranch und hupte laut.

Alice lief aufgeregt bellend und schwanzwedelnd auf ihn zu, sie konnte sich nicht so recht entscheiden, ob der Besuch zu verjagen oder willkommen zu heißen war. Der Sheriff stieg aus dem Wagen, beugte sich hinab und streckte ihr die Hände entgegen. Sie schnupperte begeistert und er streichelte sie. Doch dann erinnerte sie sich wieder an ihre Aufgabe, den Hof zu schützen und sie bellte laut.

Der Sheriff lachte und Robert, der inzwischen herangekommen war, sorgte dafür, dass Alice ruhig wurde.

„Ich sehe, ihr habt einen Hund, gute Idee, muss ich sagen. Bei all dem Gesindel, das sich herumtreibt! Guten Morgen, Mr. Williams!“

„Guten Morgen, Sheriff, was führt Sie zu uns?“

„Ja, Sie haben sicher gehört von der schrecklichen Sache mit den Kramers.“

„Haben wir! Ich hoffe, Sie haben die Bande bereits erwischt.“

„Leider nein! Ich bin unterwegs, um alle zu warnen, sie könnten noch einmal zuschlagen, bei den Kramers war nicht so viel zu holen, eine hart arbeitende Familie, aber eben nicht besonders wohlhabend. Nicht so wie Sie, Mr. Williams. Sie beide sind in der Nacht allein mit ihrer Tochter, bitte seien Sie wachsam!“

„Sind wir, Sheriff, danke für die Warnung!“

„Also falls Ihnen etwas Ungewöhnliches auffällt, scheuen Sie sich nicht, es gleich zu melden.“

„Das werden wir! Haben Sie vielleicht Lust auf eine Tasse Kaffee?“

„Da sage ich nicht nein.“

Der Sheriff folgte Robert ins Haus, begrüßte Abby und ließ sich von Teresa einen Kaffee aufbrühen. Teresa nützte die günstige Gelegenheit und erzählte dem Sheriff wortgewaltig alles, was sie über den Fall Kramer gehört hatte, und das war eine ganze Menge.

Der Sheriff floh schließlich und versprach, der Ranch jeden Tag einen Besuch abzustatten. Draußen blickte er sich noch einmal nachdenklich um.

„Sie haben kein Telefon, sehe ich“, meinte er zu Abby.

„Nein“, antwortete sie erstaunt. „So etwas brauchen wir nicht, wen sollten wir anrufen wollen?“

„Sie könnten um Hilfe rufen, wenn etwas ist.“

Abby dachte daran, wie die wilde Horde früher die Telegrafenleitungen gekappt hatte, damit niemand von ihren Überfällen zu früh erfuhr, genau dasselbe konnte man mit Telefonleitungen machen. Sie fand daher keinen Sinn darin, aber das wollte sie dem Sheriff jetzt nicht sagen.

„Wir überlegen es uns“, antwortete sie stattdessen.

„Tun Sie das!“ Der Sheriff tippte zum Abschied an den Hut und fuhr schließlich davon.

Abby erledigte die Hausarbeiten, bereitete mit Teresa das Mittagessen zu und begab sich dann zu Robert auf die Koppel. Er arbeitete gerade mit seinen Pferden.

Alice war bei ihm und jagte umher, alles interessierte sie. Sie schien sich sehr wohlzufühlen.

Als Robert Abby erblickte, deutete er auf eine trächtige Stute. „Sie wird demnächst fohlen, das könnte was für Betty werden.“

„Ja, das habe ich mir schon gedacht. Ich kann wahrscheinlich sowieso nichts dagegen unternehmen.“

„Nein, kannst du nicht, meine Schöne“, lachte er. „Ist bereits eine beschlossene Sache!“

„Das Essen ist so weit fertig, ich sattle mir ein Pferd und hole Betty von der Schule ab“, meinte Abby leichthin. „Sie hat heute nur Vormittagsstunden.“

Robert nickte dazu. „Nimm aber Alice mit, dann fällt es ihr nicht so auf!“

„Gute Idee! Wenn sie den Hund sieht, vergisst sie sowieso alles andere!“

„Ich helfe dir, hier die Braune muss bewegt werden, aber pass auf, sie sticht heute anscheinend ein wenig der Hafer!“

Abby lachte nur, sie wurde mit beinahe jedem Pferd fertig, das Reiten war ihr von Anfang an im Blut gelegen.

Schließlich war sie unterwegs und Alice lief ihr brav hinterher, nachdem Abby sie gelockt hatte. Sie war wirklich ein kluger und folgsamer Hund, Robert hatte Alice anscheinend schon länger im Blick gehabt und gewusst, warum er ausgerechnet sie ausgewählt hatte.

Und er hatte auch mit der braunen Stute recht gehabt, sie war ungebärdig und vollführte einige Bocksprünge, bis Abby sie dazu brachte, ihr zu gehorchen. Sie trieb sie an, um sie müde zu machen, und Alice hatte zu tun, hinterherzukommen, aber sie schaffte es, mit fliegenden Ohren und mit weit heraushängender Zunge.

Zur Schule waren es nur ein paar Meilen und Abby war etwas zu früh dran, es dauerte noch ein wenig, bis die Kinder aus dem Gebäude strömten. Wie nicht anders zu erwarten, war Betty die Erste, die herausstürmte.

„Alice!“, schrie sie, sobald sie ihren Hund erblickt hatte, und Alice raste auf das Mädchen zu und warf sie beinahe um. Die anderen Kinder standen staunend um Betty herum und jeder wollte Alice streicheln.

Doch Betty ließ das nicht zu, es war schließlich ihr Hund. So rannte sie schnell zu ihrem Pony und sattelte es, während Alice freudig um sie herumtanzte.

Endlich galoppierte sie zu ihrer Mutter, die geduldig gewartet hatte.

„Warum holst du mich ab?“, fragte Betty.

„Alice wollte zu dir, ich habe ihr den Weg gezeigt.“

„Das ist gut, kann Alice mich nun jeden Tag abholen?“

„Gewiss!“, lachte Abby. „Ein paar Mal werde ich sie noch begleiten müssen, bis sie allein herfindet.“

Im Stillen segnete Abby inzwischen den Hund, der ihr die perfekte Ausrede bot, Betty unauffällig zu beschützen, solange diese Verbrecher noch die Gegend unsicher machten. Der Sheriff hatte sie heute nicht umsonst gewarnt, vielleicht wusste er mehr, als er zugeben hatte wollen.

Sie waren jedenfalls vorsichtig und Waffen mit sich zu tragen war ihnen seit Jahren eine feste Gewohnheit. Sie wussten nie, wem sie begegnen würden, auch wenn es mehr als unwahrscheinlich war, es konnte immer sein, dass jemand Robert erkannte.

Während des Ritts nach Hause blickte sich Abby aufmerksam um, stellte jedoch nichts Verdächtiges fest.

Früher hatte sie immer auf ihr Gefühl vertrauen können, ebenso wie Robert war sie stets wachsam gewesen, doch die letzten friedlichen Jahre hatten ihnen Sicherheit verliehen, mit der sie eigentlich nie gerechnet hatten. Jetzt war es plötzlich wieder da, dieses seltsame Kribbeln im Nacken, der Vorbote für drohende Gefahr.

Und sie wusste, dass Robert es genauso empfand, zwischen ihnen brauchte es nicht mehr viele Worte, sie konnten aus kleinen Gesten ablesen, was der andere dachte. Sie waren sich einig, dass sie Betty aus allem möglichst heraushielten, ihre Tochter sollte beschützt aufwachsen und sie sollte vor allem nie von der bewegten Vergangenheit ihrer Eltern erfahren.

Abby war sich sicher, dass Robert bereits einen Plan hatte, er dachte gerne zwei Schritte voraus, wollte immer den Vorteil auf seiner Seite haben, und sie verließ sich voll auf ihn. Seine Klugheit und sein Einfallsreichtum hatten ihm mehr als einmal das Leben gerettet, zusammen mit Elzy Lay hatte er alle genarrt.

Ach Elzy, wenn er nur schon hier wäre, aber es würde noch bis zum Wochenende dauern.

Zuhause wurden Abby, Betty und Alice von Robert empfangen, der ihnen die Pferde abnahm und versorgte. Dann begaben sie sich gemeinsam zum Essen, auch die Leute, die auf der Ranch mitarbeiteten, saßen wie üblich mit um den Tisch und genossen das einfache Mahl, das von Teresa aufgetragen wurde.

Robert fing Betty ab, die sofort nach dem Essen verschwinden wollte. „Hiergeblieben, junge Dame. Wie sieht es mit Schularbeiten aus?“

„Ich habe nichts aufbekommen“, log Betty, wurde aber rot dabei.

Abby grinste und holte den Schulranzen.

Darin fand sie eine Nachricht der Lehrerin, dass Betty wieder unaufmerksam gewesen war und eine lange Strafarbeit schreiben musste. Abby sah sich alles genau durch und nickte zufrieden. Diese Aufgabe würde Betty den halben Nachmittag beschäftigen. Sie machte ein strenges Gesicht und zwang ihre maulende Tochter dazu, sich sofort an die Arbeit zu begeben.

Nach einer Stunde weinte und tobte Betty bereits, klagte, dass ihre Hand schmerzen würde, doch es nützte ihr nichts, nicht einmal ihr Vater ließ sich erweichen. Er hatte kurz ins Haus geblickt, als das Theater bis nach draußen gedrungen war, und sie nur ermahnt, sich zu beeilen.

Als Betty endlich fertig war, war es bereits später Nachmittag. Abby packte alles ordentlich in den Ranzen und ließ ihre Tochter hinaus. Sie war froh, dass es vorbei war, es war auch für sie anstrengend gewesen.

Draußen wurde Betty sofort von Robert abgefangen. Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu den Pferden.

„Schau, Betty, siehst du diese Stute? Sie trägt dein Fohlen, du musst jetzt gut auf sie aufpassen, es kann jeden Moment so weit sein!“

Betty vergaß alles andere, sie war begeistert. „Kann ich dabei sein, wenn es auf die Welt kommt?“

„Natürlich!“, lachte Robert. „Außer es passiert mitten in der Nacht, wenn wir alle schlafen. Dann könnte es sein, dass uns am Morgen ein kleines Pferdchen begrüßt! Aber jetzt wäre es wirklich gut, wenn du hierbleiben könntest und aufpassen, ich habe nämlich woanders zu tun. Wirst du auf die Stute achten? Du kannst ja hier mit Alice spielen und ihr ein bisschen was beibringen.“

Betty nickte strahlend.

Sie hatte schon längst mit ihrem Vater besprochen, welche Kunststücke Alice lernen sollte. Und Robert hatte sein Ziel erreicht, Betty würde keinen Schritt vom Hof machen.

Er sattelte daher ein Pferd, nahm sein Gewehr und ritt erneut davon, wie schon den ganzen Nachmittag kontrollierte er sein Land, ob jemand unbefugt eingedrungen war.

Die nächsten Tage verliefen ähnlich, Abby und Robert achteten streng darauf, dass Betty sich nicht unbeaufsichtigt entfernte, was sich als geringes Problem herausstellte, denn am Mittwoch kam das Fohlen zur Welt, zum Glück nachmittags, und Betty konnte tatsächlich dabei sein.

Robert musste nicht eingreifen bei der Geburt, sie sahen alle fasziniert zu, wie sich das kleine Wesen seinen Weg ganz allein in die Welt bahnte und gleich darauf schon auf wackligen Beinchen stand, bei seiner Mutter nach Milch suchte und eifrig trank.

Schließlich war es satt und die Zuschauer stiegen über den Zaun, um es näher zu betrachten.

„Eine Stute“, seufzte Robert erleichtert. Ein weibliches Tier schien ihm für seine Tochter bei Weitem besser geeignet.

„Wie willst du sie nennen?“, fragte Abby.

Sie hatte Betty an die Hand genommen und gemeinsam näherten sie sich vorsichtig.

Betty streckte die Hand aus und streichelte das Fohlen. Es sah wirklich hübsch aus, hatte ein hellbraunes Fell, eine schwarze Mähne und einen weißen Fleck auf der Nase.

„Alice!“, antwortete Betty sofort.

„Das geht nicht, dein Hund heißt Alice, du musst dir schon einen anderen Namen ausdenken.“

„Aber wenn ich ‚Alice‘ rufe, werden beide kommen, dann brauche ich nicht zweimal zu rufen!“

Robert und Abby mussten lachen.

„Schau, Betty, wenn du ein Geschwisterchen hättest, möchtest du doch auch nicht, dass es Betty heißt, jeder braucht seinen eigenen Namen“, erklärte Abby.

Betty sah das schließlich ein und dachte nach.

„Dann soll sie Dorothy heißen, wie das Mädchen im ‚Zauberer von Oz‘.“

„Woher kennst du den ‚Zauberer von Oz‘?“, fragte Abby erstaunt.

„Miss Mannering liest uns jeden Tag daraus vor.“

„Das ist schön, wir haben das Buch übrigens auch hier, wenn du es lesen möchtest.“

Betty wehrte empört ab. Lesen war etwas, das man in der Schule tun musste, doch nicht zuhause.

Das Pferdchen bekam also den Namen Dorothy und Betty war glücklich. Sie machte auch Alice und Dorothy miteinander bekannt und war für den Rest des Tages beschäftigt.

Am liebsten hätte sie auf der Koppel übernachtet, aber sie musste zu ihrer üblichen Schlafenszeit ins Bett gehen.

Als Abby und Robert allein waren, konnten sie endlich miteinander sprechen. Sie saßen auf der Veranda, hatten sich Wein eingeschenkt und eine Kerze angezündet.

Abby hatte wie immer bemerkt, dass ihr Mann etwas auf dem Herzen hatte und sah ihn erwartungsvoll an.

„Ich glaube, ich weiß, wo sie sind“, verkündete er.

„Wo?“

„Oben im Norden, in den Bergen, da gibt es einige alte Hütten, ich vermute, sie haben dort Unterschlupf gefunden.“

Abby kaute auf ihrer Unterlippe. „Sag es dem Sheriff.“

„Er weiß es bereits, ich bin ihm begegnet. Nur, ich fürchte, er kann da wenig tun.“

„Wieso?“

„Zum einen sind sie da oben ziemlich unangreifbar, zum anderen, wie soll man ihnen nachweisen, dass sie es waren, die den Überfall begangen haben?“

„Dann muss sich der Sheriff auf die Lauer legen und warten, bis sie wieder zuschlagen.“

„Sehe ich auch so.“

„Aber wird er das tun?“

„Wenn er genug Männer findet, die ihm helfen … Das Gebiet ist einfach zu groß. Sie können sich gut verstecken und in alle Richtungen ausweichen. Es ist fast so wie Robbers Roost, beinahe unzugänglich und sehr weitläufig. Wirklich ideal für so einen Unterschlupf. Damit kenne ich mich gut aus.“

„Zu eurer Zeit wagte sich kein Sheriff in die Schlupfwinkel.“

„Nein, und das war auch gut so. Die hatten ihr Gebiet und wir unseres. Man brauchte ja auch ab und zu Ruhe voneinander.“

„Was werden wir jetzt tun?“

„Wir müssen abwarten, Abby, und hoffen, dass sie nicht zu uns kommen. Wir werden weiterhin gut aufpassen und den Sheriff seine Arbeit tun lassen.“

„Bob, du weißt es so gut wie ich, nicht wahr?“

Er blickte sie an. „Du fühlst es also auch.“

Abby nickte.

Er nahm sie in den Arm und sie hielten sich eine Weile einfach nur fest. Es war nicht gerecht, dass nun wieder Gefahr drohte, sie wollten doch nichts anderes als Frieden.

Gestörte Nachtruhe

Zwei Tage später, am Freitag, machte wieder eine entsetzliche Nachricht die Runde, die Bande hatte eine andere Familie überfallen, war diesmal aber auf heftige Gegenwehr gestoßen und hatte sich zurückziehen müssen. Es hatte bei der Schießerei mehrere Tote gegeben, der Vater und zwei Söhne waren gestorben und einer der Räuber. Es hieß, es handle sich bei den Räubern um mexikanische Desperados.

Robert und Abby hatten die Geschichte gleich am Morgen von Teresa erfahren, die wie immer bestens informiert war und den ganzen Tag nur lamentierte. Sie war kaum fähig zu arbeiten, sodass Abby gezwungen war, die Aufgaben im Haushalt selbst zu übernehmen und das Essen zu bereiten.

Auch das Gästehaus musste hergerichtet werden, denn am nächsten Tag würde Elzy mit seiner Familie eintreffen. Abby fragte sich, warum Elzys Sohn nicht zur Schule musste, aber das würden sie sicher erzählen.

Gegen Mittag traf der Sheriff ein und sah nach dem Rechten. Er hatte mit seinen Männern erfolglos das Gebiet der Berge durchkämmt, sie hatten keine brauchbare Spur der Banditen gefunden. Daher suchten sie nun östlich weiter, hinter den Hollywood Hills.

Robert widersprach nicht, obwohl er die Meinung des Sheriffs nicht teilte. Aber er wollte nicht zu viel Aufmerksamkeit auf seine Person lenken, je weniger er mit dem Sheriff zu tun hatte, desto besser.

Wachsam ritt er über sein Land, bis es spätnachmittags Zeit war, Betty von der Schule abzuholen.

Sie nahm sich keine Zeit zum Umziehen, sondern sah sofort nach ihrem Fohlen, das inzwischen schon Zutrauen zu ihr gefasst hatte.

Kein Wunder, Betty tat ja nichts anderes, als sich um das Tier zu kümmern. Alice sprang munter um sie herum,auch sie wurde sorgfältig gebürstet, bis das seidige Fell glänzte.

Abby beobachtete ihre Tochter und seufzte. Wenn Betty doch nur annähernd so viel Wert auf Sauberkeit und Pflege bei sich selbst legen würde, wie sie es bei ihren Tieren tat. Ihre blonden Zöpfe, die sie am Morgen ordentlich geflochten hatte, waren wirr und verfilzt, das konnte sie aus der Ferne erkennen. Wahrscheinlich hatte sie in der Schule wieder gerauft, das war in letzter Zeit öfter vorgekommen, sie schlug sich gerne mit den älteren Jungen, ließ sich nichts gefallen und war nicht zimperlich.

Abby erinnerte sich an ihre eigene Kindheit, sie hatte das auch getan, sie war mit den Jungen herumgelaufen, war zu Mutproben herausgefordert worden und hatte nie klein beigegeben. Es war eine schöne Zeit gewesen, anscheinend kam Betty ganz nach ihr, nun gut, bei diesen Eltern wäre es ein Wunder gewesen, wäre ein braves, ruhiges Kind entstanden.

Die Liebe zu Tieren hatte sie eindeutig von Robert, Tiere hatten in Abbys Leben nie eine Rolle gespielt.

Wieder einmal dachte sie an ihre Tochter Alison und der Trennungsschmerz durchfuhr sie fast körperlich. Was gäbe sie darum, Alison noch einmal in die Arme schließen zu dürfen. Die letzten Monate mit ihr waren wie ein schöner Traum gewesen.

Alison war zwar ein Ebenbild ihrer Mutter, aber vom Charakter her hätten die beiden Frauen unterschiedlicher nicht sein können. Dennoch hatten sie sich verstanden und Abby hatte oft das Gefühl gehabt, sie fungiere als eine Art Übersetzer. Sie erklärte Alison die Welt und brachte der Welt Alison näher.

Nun war ihre Tochter ganz auf sich allein gestellt, aber wie es schien, war das für sie so in Ordnung, mit ihrem Vater hatte sie gebrochen, sie hatten sich die letzten zehn Jahre nicht wirklich verstanden.

Morgen würde Elzy bestimmt Neuigkeiten mitbringen, Abby konnte es schon kaum mehr erwarten, sie hoffte,dass nicht wieder nur von Gefängnis und Strafanzeigen die Rede war.

Langsam senkte sich der Abend über die Ranch. Abby und Robert genossen das schwindende Tageslicht auf der Veranda und schwiegen zusammen.

Das taten sie am liebsten. Sie brauchten wenig Worte, ihre Verbundenheit war so tief, es war wirklich seltsam, wie das Leben oft spielte. Von Anfang an, vom ersten Moment der Begegnung an, hatte Abby Robert vertraut, seine durchdringenden Augen hatten ihr alles verraten, was sie über diesen Mann wissen musste. Und dieses Vertrauen hatte sich sogar erhalten in den 20 Jahren, in denen sie nur über Briefe Kontakt gehalten hatten.

Robert schreckte plötzlich auf, als weit in der Ferne ein Vogelschwarm aufflog und laut protestierte. Er wechselte einen Blick mit Abby.

Sie wusste Bescheid und lief ins Haus. Betty schlief noch nicht, sie unterhielt sich mit Alice in ihrem Bett.

„Betty, Schatz, kannst du dich erinnern, was wir besprochen haben? Du musst jetzt auf Alice achten und sie gut verstecken. Ihr darf nichts geschehen, versprichst du mir das? Und Alice wird auf dich aufpassen, damit dir nichts passiert. Alice, hörst du? Ihr zwei geht jetzt in dieses kleine Loch, damit euch niemand findet.“

„Aber Dorothy muss auch mit …“

„Nein, Betty, das geht nicht, Dorothy muss bei ihrer Mutter bleiben, sie kann sie am besten beschützen. Jetzt beeil dich, mein Liebling! Ich muss Daddy helfen, wir werden alle vertreiben, die zu uns kommen, hab keine Angst, auch wenn du jetzt dann Schüsse hörst, das sind Daddy und ich. Die werden vor Angst alle davonlaufen und wir werden lachen!“

Sie küsste ihre Tochter und öffnete eine kleine Falltür. Zusammen mit zwei Decken und einem Kissen machte sie es Betty und Alice noch kurz bequem, verschloss die Luke und zog einen Teppich so darüber, dass man nichts mehr sehen konnte.

Rasch rannte sie nach draußen, wo Robert schon auf einem Pferd saß und ein zweites am Zügel hielt. Sie stieg in den Sattel und er reichte ihr ein Gewehr. Mit grimmiger Miene nahm sie es und prüfte kurz, ob sie auch ihren Revolver hatte und dieser geladen war.

Wenig später stoben sie los in die Richtung, in der sie die Vögel entdeckt hatten. Sie mussten nicht weit reiten, schon bald hörten sie Hufgetrappel und hielten die Pferde an.

„Mehr als fünf“, meinte Robert.

Sie befanden sich in einem kleinen Wäldchen.

„Deckung hinter Bäumen, schnell, du nimmst den Ersten ins Visier, du schießt besser als ich, ich den Dritten, du wieder den Fünften“, befahl Robert ruhig.

Abby nickte mit klopfendem Herzen. Sie warf sich hinter einen umgefallenen Baum und entsicherte ihr Gewehr. Glühend wünschte sie sich Elzy herbei, er hatte ihr das Schießen beigebracht, sie hatte es nur nie zu der Fertigkeit gebracht, die er von ihr erwartet hatte.

Doch es blieb kaum Zeit zum Überlegen. Eine Gruppe von Männern ritt langsam heran, in der Dämmerung waren sie nur schwer zu erkennen.

Abby zielte sorgfältig und schoss. Gleichzeitig hörte sie neben sich Roberts Gewehr.

Einer von ihnen hatte getroffen, der Vorderste der Männer fiel vom Pferd. Die Gruppe hielt an.

Abby hob ihr Gewehr erneut und diesmal war sie sicher, dass es ihr Schuss gewesen war, der den Mann rechts vom Pferd holte. Robert schoss ebenfalls, doch er traf nicht, wahrscheinlich wollte er das gar nicht.

Er hatte da wirklich ein Problem. Abby hatte keins und zielte erneut. Wieder traf sie, doch anscheinend hatte sie ihr Opfer nur verwundet, sie hörte lautes Schmerzgebrüll. Die Männer schrien wild durcheinander, Abby glaubte,spanische Wörter zu vernehmen. Robert und sie gaben noch je zwei Schüsse ab, dann ritt die Horde davon. Sie nahmen die Pferde der getroffenen Männer mit, die Leichen ließen sie liegen.

Abby und Robert erhoben sich vorsichtig und näherten sich behutsam den gefallenen Männern. Im letzten Dämmerlicht konnten sie sie erkennen, zwei Mexikaner mit Ponchos und Bärten. Abby stupste den einen mit dem Fuß an, er bewegte sich nicht mehr.

„Für heute dürfte Schluss sein“, meinte Robert. „Was machen wir mit den beiden?“

„Dem Sheriff Bescheid sagen, er soll sie holen.“

„Schlechte Idee, Abby, ich möchte nicht, dass das herauskommt, ich will nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. Man könnte nachfragen …“

„Du hast recht“, gab Abby erschrocken zu. „Wir werden sie also begraben irgendwo.“

„Ich mache das morgen, für heute verstecken wir sie nur, vielleicht holen sie ja Kojoten, die nehmen uns die Arbeit ab.“

„So viel Glück haben wir bestimmt nicht.“

Sie verbargen die zwei Männer notdürftig in einem Gebüsch. Danach ritten sie schnell zu ihrer Ranch zurück und holten Betty und Alice aus ihrem Versteck.

Sie hätten sich keine Sorgen machen müssen, beide schliefen tief und fest. Robert hob seine Tochter heraus und legte sie vorsichtig in ihr Bett.

Sie erwachte und schlang ihre Arme um seinen Hals. „Hast du sie verjagt, Daddy?“, murmelte sie schlaftrunken.

„Ja, sie sind alle weg! Schlaf weiter, mein Liebling!“

Er küsste sie und deckte sie sorgfältig zu.

Abby hatte schon zwei Whisky eingeschenkt und reichte Robert ein Glas. Sie stießen an und tranken erleichtert.

„Ich fürchte, das war nur der erste Versuch, sie werden das nicht auf sich sitzen lassen und wiederkommen!“

„Morgen sind Elzy und seine Familie da, Mary und den Kindern darf nichts passieren.“

„Wir könnten Mary mit all den Kindern ins Strandhaus schicken, sie sollen das Wochenende dortbleiben und du, Elzy und ich räuchern das Nest da oben endgültig aus.“

Abby starrte ihren Mann an. „Woher nimmst du nur immer diese Ideen? Auch das mit dem Hund, Betty wäre nie so bereitwillig ins Versteck gegangen, hätte sich allein nie so sicher gefühlt. Alice ist ein Segen, anders kann ich es nicht sagen.“

Robert lächelte geschmeichelt. „Ich gebe es zu, das mit dem Hund war jetzt Zufall. Aber es passte wie die Faust aufs Auge. Und ich bin froh, dass du mir wegen meiner Eigenmächtigkeit nicht mehr böse bist.“

Sie lachte.

„Wann habe ich dir jemals wirklich böse sein können?“

„Oh, da gab es bereits Situationen“, seufzte er. „Ich musste schon oft Angst vor deinem Zorn haben.“

„Angst! Du! Vor mir! Mach dich nicht lächerlich.“

„Du hast keine Vorstellung, wie ich oft vor dir zittere!“

„Nein, das kann ich mir tatsächlich nicht vorstellen. Komm her zu mir!“, befahl sie streng und breitete die Arme aus. Robert gehorchte brav und sie hielten sich eine Weile nur fest.

„Ich überlege jetzt nur noch eins, wie bringen wir Betty ins Strandhaus? Sie wird Dorothy nicht verlassen wollen“, fragte Abby nach einer Weile.

Robert grinste. „Das ist ja wohl die einfachste Sache der Welt. Wie wäre es mit ein paar schulfreien Tagen? Schließlich sind James und Lucille auch da, wie können wir da unsere Tochter zur Schule schicken?“

„Du bist so erschreckend klug!“

Sie küsste ihn und machte sich wieder einmal klar, wie sehr sie ihn liebte.

Im Strandhaus

Am nächsten Morgen erwachten sie früh und weckten auch die verschlafene Betty. Als sie hörte, dass sie nicht zur Schule musste, war sie jedoch gleich hellwach und tanzte durch das Haus, von der wild bellenden Alice begleitet. Überall waren sie im Weg.