Abby IV - Claudia Fischer - E-Book

Abby IV E-Book

Claudia Fischer

0,0

Beschreibung

Los Angeles 1927 Auf der Williams Ranch ist Unruhe eingekehrt, die 16-jährige Tochter Betty möchte nicht länger das einfache Mädchen von der Ranch sein und strebt nach Glanz und Glamour. Da sie einen gefährlichen Weg wählt, nimmt Abby ihre Tochter mit auf eine lange Schiffsreise. Robert dagegen zieht es in seine Heimat, nach Utah, wo er wieder Butch Cassidy sein könnte. Schwierige Entscheidungen müssen getroffen werden, doch das Leben lässt sich nicht immer planen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 505

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buchbeschreibung:

Was macht man, wenn die eigene Tochter plötzlich Wege geht, die man nicht dulden kann? Robert (Butch Cassidy) und Abby sind sich uneins, zwischen ihnen gärt es seit langem, nie lernten sie zu streiten, immer wurden alle Probleme mit einem Kuss weggewischt.

Doch dann wird klar, sie müssen Betty Einhalt gebieten, daher nimmt Abby sie mit auf eine lange Reise.

In der Zwischenzeit unterstützt Robert Abbys Tochter Alison in San Francisco, die mit einer Erbschaft gewaltige Probleme hat. Die Situation wird auch nicht leichter, als Mary Lay Robert bittet, den unsteten Elzy zu ihr zurückzubringen.

Alle müssen schließlich einsehen, dass sich das Leben nicht immer planen lässt, und es am Ende nur darum geht, die wahre Heimat für sich zu finden.

Die anderen Bände lauten:

Abby I - Mit Butch Cassidy auf dem Outlaw Trail

Abby II - Totgesagte leben länger

Abby III - Auf der Seite des Gesetzes

Zur Autorin

Claudia Fischer, geboren 1965, lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Ort in Bayern.

Mit den Abby-Romanen tauchte sie in die Welt der Outlaws in den USA ein und schaffte es, Fiktion und historische Fakten zu einer Einheit zu verbinden.

Sie wollen mehr erfahren? Folgen Sie ihr auf Instagram.

Wohin auch immer du gehst, mein Herz geht mit dir.

Inhaltsverzeichnis

Williams-Ranch

Im Strandhaus

Der Beschluss

Marys Brief

Der Beginn der Reise

Die ersten Tage

Robert

Die Entscheidung

Das Trauma

Die Reise geht weiter

Zurück in der Heimat

Überfahrt nach Hongkong

Elzys Rückkehr

Die Verlobung

Der Plan

Die Wahrheit

Unterwegs nach Indien

Alisons Kampf

Sturm an der Küste

In Indien

Die Heimkehr

Bettys Rache

Der richtige Weg

Roberts Pläne

Im Strandhaus

Das Powder-Duff-Derby

Black Thursday

Neues Leben auf der Ranch

Reise nach Europa

London

Der beste Freund

Die Versprechen

Los Angeles

Nachwort der Autorin

Williams-Ranch

August 1927

Robert Williams rieb sich die Hände und freute sich nach getaner Arbeit auf ein vorzügliches Abendessen zusammen mit seiner Frau Abby und ihrer gemeinsamen Tochter Betty. Gemütlich und zufrieden mit seinem Leben schritt er auf das Wohnhaus zu, das neben den Ställen auf seiner Ranch im Norden von Los Angeles mit seiner Einfachheit kaum auffiel.

Weder er noch Abby hatten Wert darauf gelegt, mit ihrem Wohlstand zu protzen, sie lebten so, wie sie es von klein auf gewohnt waren, auch jetzt, nach so langer Zeit und mit den Früchten ihrer erfolgreichen Pferdezucht, verzichteten sie auf Luxus und die Annehmlichkeiten, die eine Stadt wie Los Angeles im Jahr 1927 bot.

Sie hatten weder Elektrizität noch fließendes Wasser, was ihre Köchin Teresa oft beklagte, nur zu einem Telefon und zwei Autos hatten sie sich durchringen können, denn das war so weit draußen auch notwendig.

Robert wurde wie immer von der munteren Hündin Alice umtanzt, trotz ihrer neun Jahre strotzte sie vor Kraft und nichts war ihr zu viel.

Eigentlich hatte Alice Betty gehört, doch die Tochter des Hauses hatte seit längerer Zeit andere Vorlieben entwickelt und interessierte sich nicht mehr für Tiere, wie sie es als Kind getan hatte.

So hatte die Hündin Glinda, die im letzten Jahr einen Schlangenbiss nicht überlebt hatte, keine Nachfolgerin bekommen, und Alice bewachte das Haus wieder allein, höchstens von dem eigenwilligen Kater Cheshire begleitet, mit dem sie eine Art Hassliebe verband.

Als Robert näherkam, hörte er laute Stimmen und seufzte. Wieder einmal Unfrieden im Haus!

Betty war in den letzten zwei Jahren immer unleidlicher geworden, nichts passte ihr mehr, sie empfand ihre Eltern als rückständig und altmodisch. Sie verbrachte daher die meiste Zeit auf dem Filmgelände in Hollywood, wo sie aufregende Menschen kennenlernte und ab und zu kleine Filmrollen ergatterte. Zwar lag ihr wenig an der Schauspielerei, ihr Steckenpferd war das Schreiben, sie verfasste Gedichte und hatte es schon zu einem Roman gebracht, aber sie behauptete, in der Beschränktheit der Ranch würde ihre Kreativität verkümmern.

Das war zurzeit ihr Lieblingsargument. Nichts, was Abby oder Robert sagten, konnte diese Tatsache entkräften. Wahrscheinlich ging es wieder darum, dass Betty das Auto haben wollte, um noch nach Hollywood hinüberzufahren, was angesichts ihrer 16 Jahre ein Unding war.

Er öffnete die Tür, nahm seinen Hut und zirkelte ihn an die Wand an einen Haken, wie er es immer machte, eine alte Gewohnheit, die er schon in seinen ganz jungen Jahren begonnen hatte.

Doch niemand schenkte ihm Aufmerksamkeit, zu sehr waren Abby und Betty in einen Streit vertieft.

Robert nahm sich Zeit, die beiden Menschen zu betrachten, die für ihn das Liebste auf der Welt waren.

Abby, seine Frau, trotz ihrer 53 Jahre bot sie immer noch einen schönen Anblick, war schlank und beweglich, die braungrünen Augen blitzten lebhaft wie eh und je aus ihrem sommersprossigen Gesicht, das allerdings ein wenig weicher und faltiger geworden war. Und das lockige Haar war nicht mehr rotblond, sondern eher grau, daher trug sie es meist aufgesteckt.

Für Robert war Abby jedoch immer das 16-jährige Mädchen geblieben, das er vor vielen Jahren kennengelernt hatte, und das seitdem untrennbar mit ihm verbunden war.

Betty, ihre Tochter, hatte sein etwas breites Gesicht geerbt, ebenso die blauen Augen, und ihre langen Haare waren blond wie seine und viel glatter als die der Mutter. Ihre Formen waren sehr weiblich, sie wirkte rundlich, aber nicht dick. Trotz ihrer jungen Jahre besaß sie jedoch Charakter, der jeden vergessen ließ, dass sie nicht dem Schönheitsideal ihrer Zeit entsprach, und der ihr immer wieder Türen öffnete, die anderen verschlossen blieben.

Sie war es auch gewohnt, dass ihre Wünsche erfüllt wurden, denn gerade ihr Vater hatte ihr beinahe immer in allem nachgegeben und ihr kaum etwas abgeschlagen. Abby war machtlos gewesen dagegen.

Trotzig lehnte Betty sich seit Wochen vehement gegen das in ihren Augen sinnlose Verbot auf, abends weggehen zu dürfen, wie es ihre Freunde taten.

„Alle treffen sich heute!“, schrie Betty gerade ihre Mutter an. „Nur du erlaubst es wieder nicht!“

„Alle? Wer ist alle?“, fragte Abby, auch ihre Stimme war erhoben.

„Alle eben. Du kennst sie sowieso nicht, was soll ich dir also Namen sagen. Es interessiert dich ja auch gar nicht, was sich in der Welt tut, hier, im Niemandsland, kein Mensch möchte hier leben, so wie ihr das tut! Ohne jeden Komfort! Die Eltern von Penny haben einen Swimmingpool im Garten, sie haben elektrisches Licht überall, Pennys Poolpartys sind en vogue und ich soll nicht dabei sein? Du willst mich ausschließen?“

Abby erblickte Robert und Erleichterung zeigte sich in ihrem Gesicht.

„Deine Tochter möchte das Auto haben, um zu einer Poolparty zu fahren“, erklärte sie ihm. „Sag etwas dazu!“

„Was sind das für Leute?“, fragte Robert.

„Ihr kennt sie nicht, sie wohnen in Hollywood, sind erst hergezogen, Pennys Mutter hat eine Rolle in einem großen Film, sie darf noch nicht darüber sprechen, aber es wird ein riesiger Erfolg.“

„Du kannst doch nicht nachts zu Leuten gehen, von denen keiner etwas weiß, Betty, wie stellst du dir das vor?“

„Alle gehen heute hin!“ Betty brach in Tränen aus. „Und ich habe extra das neue Kleid gebügelt, auch wenn es armselig ist im Vergleich zu dem, was Penny trägt!“

„Diese Penny ist mir jetzt schon unsympathisch“, murmelte Abby und fuhr mit lauterer Stimme fort: „Du bleibst zuhause, hörst du? Erst wollen wir wissen, was das für Leute sind, bevor wir dich zu ihnen fahren lassen!“

„Du bist so altmodisch, Mutter, so rückständig! Geh doch zurück in dein Utah, da passt du hin, aber nicht in das moderne Los Angeles!“

Robert räusperte sich.

„Was hältst du davon, wenn ich dich hinfahre, mir alles einmal ansehe und dich um zehn Uhr wieder abhole?“

Betty hörte sofort auf zu weinen und fiel ihrem Vater um den Hals.

„Oh, Daddy, du bist der Beste! Ich ziehe mich schnell um!“ Sie verschwand nach oben in ihrem Zimmer.

Abby schüttelte resignierend den Kopf.

„Was soll das, Bob? Warum gibst du ihr immer nach?“

„Ich habe heute hart gearbeitet und will meine Ruhe haben.“

„Die hättest du. Sie würde auf ihr Zimmer gehen und schmollen. Sie ist 16!“

„Wie alt warst du, als …“

„Das tut hier nichts zur Sache, das waren andere Zeiten und andere Umstände. Hier geht es um diese neureichen Leute, die Hollywood übervölkern und jeden verrückt machen. Ich will nicht, dass meine Tochter sich in dieser Gesellschaft bewegt. Sie kommt mit völlig unsinnigen Vorstellungen wieder heim und wer weiß, was für Kerle …“

Robert nahm seine Frau in den Arm.

„Wir werden es nicht verhindern können, Abby. Betty muss lernen, auf sich selbst aufzupassen, mit 16 kann man das, du konntest es. Lass ihr die Freiheit, die du dir auch genommen hast! Du hast mit ihr über alles gesprochen, was wichtig ist, sie muss erwachsen werden.“

In diesem Augenblick kam Betty strahlend und geschminkt aus ihrem Zimmer.

„Los, wir wollen fahren!“

„Willst du nicht noch etwas essen?“, fragte Abby.

„Nein, keine Zeit mehr, es gibt dort Partyhäppchen, die genügen!“

Und sie zog ihren Vater mit sich aus dem Haus. Gleich darauf hörte Abby den Motor des alten Ford Touring dröhnen und sich schnell entfernen. Als alles wieder still war, sank sie auf einen Stuhl und schenkte sich ein Glas Wein ein.

Trotz der seit sieben Jahren herrschenden Prohibition, sahen weder Robert noch Abby ein, dass man auf diesen Genuss verzichten musste. Sie hatten ihre geheimen Quellen, bezogen Whisky und Wein aus Mexiko und kannten auch in der Umgebung einige versteckte Bars, in denen unter der Theke Alkohol ausgeschenkt wurde.

Die Ordnungshüter sahen größtenteils daran vorbei, niemand war so wirklich glücklich mit dem Gesetz, außer die weltfremden christlichen Puritaner. Mit denen hatte Abby sowieso noch nie etwas anfangen können. Sie war in einem Mormonenhaushalt aufgewachsen, das hatte ihr fürs Leben gereicht.

Ihre Gedanken kehrten zu Betty zurück. Vielleicht hatte Robert ja recht, aber wohl war ihr nicht dabei, ihre Tochter zu diesen wildfremden Menschen zu lassen. Sie sehnte sich zurück nach der Zeit, als Betty noch kleiner gewesen war und all ihre Bestrebungen nur ihren Tieren galten.

Und wie immer, wenn Abby so allein am Tisch saß, kamen die Erinnerungen. Sie hatte eine aufregende Vergangenheit gehabt, mit 16 war sie von zuhause ausgerissen, hatte sich den Outlaws in Utah und Wyoming angeschlossen, sie hatte Butch Cassidy und Elzy Lay kennengelernt und mit ihnen zusammengelebt.

Doch dann hatte sie den Trail verlassen und in San Francisco einen reichen Erben und künftigen Teilhaber einer Kaufhauskette geheiratet. Die Ehe hatte beinahe 16 Jahre lang gehalten, dann war sie zerbrochen.

Die gemeinsame Tochter Alison hatte auf Abbys Betreiben und gegen den Willen ihres Vaters James Hart Medizin studieren dürfen und war eine berühmte Ärztin für Frauenleiden geworden. Viele kamen von weit her, um sich behandeln zu lassen.

Abby war zu Butch Cassidy zurückgekehrt, der nach seinem angeblichen Tod in Bolivien unerkannt in den USA lebte und seinen richtigen Namen Robert zurückgenommen hatte. Sie waren nach Los Angeles gezogen, hatten eine Ranch erworben und sich mit der Beute aus den ehemaligen Raubzügen unter dem Namen Williams ein gutes Leben aufgebaut. Ihr Glück wurde von der gemeinsamen Tochter Elizabeth gekrönt.

Abby wäre bei der Geburt beinahe gestorben und daraufhin hatte man ihrem ersten Mann James ihren Tod mitgeteilt, so dass er aufhörte, nach ihr und Butch Cassidy zu suchen.

Dass Alison ihre Mutter für tot hielt, war eine Notwendigkeit, aber blieb ein ständiger Schmerz für Abby, die sich oft nach ihrer ersten Tochter sehnte.

Immerhin wurde sie über Alisons Wohlergehen von ihren besten Freunden Mary und Elzy Lay informiert, denen Alison regelmäßig schrieb. Genauer gesagt hatte es Mary inzwischen übernommen, die Briefe weiterzuleiten, denn mit Elzy, nun ja …

Elzy war von jeher jemand gewesen, der es nicht lange an einem Ort aushielt. Ein richtiger Familienmensch war er nie geworden, als seine Kinder klein gewesen waren, hatte er es versucht, er liebte seine Familie, aber noch mehr liebte er die Freiheit. Und die nahm er sich, er ging monatelang auf Expeditionen, um nach Öl zu suchen oder irgendwelche geologischen Aufträge zu erledigen.

Unvermittelt tauchte er immer wieder bei Abby und Robert auf, wohnte eine Zeitlang bei ihnen und kehrte dann zu seiner Familie zurück, wenn die beiden ihm lange genug ins Gewissen geredet hatten.

Abby hatte immer sehr viel für Elzy empfunden und es hatte eine Zeit gegeben, da hatten zwischen ihnen Funken gesprüht.

Das war nun nicht mehr der Fall, Elzy war ihr bester Freund, das war alles. Und Elzy sah das genauso, sie verstanden sich nach wie vor gut, konnten über alles mit-320einander reden, doch weder Robert noch Abby waren damit einverstanden, wie er seine Familie vernachlässigte. Sein Sohn James war inzwischen 17 und die Tochter Mary-Lucille 15, beide standen schon beinahe auf eigenen Füßen, dennoch vermissten sie ihren Vater oft und hätten ihn an ihrer Seite gebraucht.

Sie wussten ebenso wie Betty nicht, dass Elzy, Robert und Abby einst auf dem Outlaw Trail gewesen waren und in Roberts und Elzys Fall gesuchte Räuber, die auch beide eine Gefängnisstrafe abgesessen hatten.

Während Abby gedankenverloren ihren Wein trank, saßen Vater und Tochter im Auto auf dem Weg nach Hollywood.

Betty diktierte die Strecke zum Sunset Boulevard und bald darauf fuhren die beiden die Auffahrt zu einer prächtigen, hell erleuchteten Villa hinauf.

Robert stellte den Motor ab und wollte aussteigen, doch Betty hielt ihn zurück. „Daddy, nein, bitte, bleib hier, du musst da nicht mitkommen!“

„Aber ich will wissen, zu wem ich dich lasse!“

„Daddy, du würdest mich blamieren, keiner macht das! Man würde mich auslachen!“

„Wenn sie dich deswegen auslachen, nehme ich dich gleich mit zurück, dann sind das nicht die richtigen Leute für dich!“

„Daddy, sieh dich doch an, du kommst direkt von der Koppel, du hast dich nicht einmal umgezogen und gewaschen, willst du dich so diesen reichen Leuten zeigen?“

Robert starrte seine Tochter an und blickte dann an sich herab. Ja, er hatte seine Arbeitskleidung an, sie war gut genug für sein Leben auf der Ranch, da war sie doch auch gut genug für diese Neuankömmlinge.

Aber als er den Diener musterte, der in seiner tadellosen, feinen Uniform für seine Tochter die Tür öffnete, gab er klein bei.

„Also gut, dann hole ich dich um zehn Uhr!“

„Um elf Uhr! Bitte, Daddy!“

Betty gab ihrem Vater einen Kuss und verschwand eilig ins Haus. Robert startete den Wagen wieder und fuhr langsam die Auffahrt hinunter, machte Platz für eine glänzende, nagelneue Limousine, die hupend an ihm vorbeirauschte, und freute sich auf zuhause.

Er konnte nicht verstehen, warum seine Tochter diese Umgebung seiner stillen, einfachen Ranch vorzog. Es lag doch nicht am Geld, sie hatten wirklich genug, aber sie kauften nur das Notwendige.

Früher, ja, da hatte er mit dem Geld um sich geworfen, er hatte es großzügig unter die Leute verteilt, hatte sich gefreut, wenn er helfen konnte, aber jetzt hatte Abby ein Auge darauf und sie gab nicht leichtfertig Geld aus.

Vielleicht hatte seine Tochter seinen Hang zur Großspurigkeit geerbt, schließlich war er als junger Mann immer tadellos gekleidet gewesen und hatte viel Wert auf sein Äußeres gelegt.

Er hatte es genossen, in den feinsten Hotels zu logieren und in den teuersten Restaurants zu speisen, die in größeren Orten zu finden gewesen waren.

Meistens war er allerdings froh gewesen, überhaupt etwas zu bekommen, und wenn er an ‚The Hole in the Wall‘ dachte oder an ‚Robbers Roost‘, die beiden ehemaligen Schlupfwinkel, dann lebte er jetzt dagegen geradezu in Luxus.

Er überlegte, was er Abby sagen würde, er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er wieder einmal nachgegeben hatte. Aber er hatte nicht gewollt, dass Betty sich wegen ihres Vaters schämen musste.

Wie erwartet reagierte Abby zornig.

„Wir haben mehr Geld als diese Leute!“, rief sie. „Warum hast du Respekt vor denen?“

Robert hob hilflos die Schultern.

„Abby, sie würden es nicht verstehen. Ich ziehe mich jetzt um und ich würde gerne etwas essen!“

Abby wandte sich wortlos ab und trug die vorbereitete Mahlzeit auf. Warum nur konnte Robert nicht bestimmter auftreten? Sie fühlte sich allein gelassen, ihr Mann fiel ihr ständig in den Rücken, wenn es um Betty ging.

Nicht zum ersten Mal überlegte sie, ob es nicht besser wäre, wieder einmal einen Schlussstrich zu ziehen. Die 16 schien in ihrem Leben eine magische Zahl zu sein, mit 16 war sie von zuhause geflohen, ihre erste Ehe hatte beinahe 16 Jahre gehalten, nun war ihre Tochter 16 …

Aber sie war älter geworden, oft plagten sie Kreuzschmerzen, ihr Augenlicht ließ nach, ihr linkes Bein, das einst gebrochen war, als sie die Bandidos jagten, machte ihr Probleme, das Leben war nicht mehr so einfach und unkompliziert wie früher.

Und sie fühlte immer noch die starke Verbundenheit mit Robert, oder Bob, wie sie ihn liebevoll nannte, die beinahe ihr ganzes Leben bestimmt hatte.

Wie könnte sie ohne ihn leben?

Wie könnte er ohne sie leben?

Robert kam aus dem Badezimmer, er hatte sich umgezogen, trug eine schwarze Hose und ein weißes Hemd, sogar eine Krawatte hatte er umgebunden, er sah nun nicht mehr wie ein einfacher Viehtreiber aus, sondern vermittelte den Eindruck eines wohlhabenden Kaliforniers.

Sein inzwischen ergrautes Haar war trotz seiner 61 Jahre noch voll, er hatte schon immer ein wenig bullig gewirkt, aber nun war ihm der Wohlstand auch anzumerken, er war dicklich geworden, wie Abby nüchtern bemerkte.

Nur seine blauen Augen … selbst hinter der notwendig gewordenen Brille sahen sie mehr als andere.

Der durchdringende Blick verriet, warum Robert jahrelang alle Gesetzeshüter genarrt hatte, und Abby hatte gelernt, dass Robert immer mehr wusste, als ob er Gedanken lesen könnte. Nun gab er sich jedoch schuldbewusst, setzte sich ohne ein Wort an den Tisch und griff tüchtig zu. Schließlich war der Tag lang gewesen und die Arbeit wie üblich nicht einfach.

Doch nach einer Weile hielt er inne.

„Willst du gar nichts essen?“, fragte er Abby.

„Ich habe keinen Appetit.“

Er seufzte.

„Also sag, was ist los?“

„Du weißt sonst immer alles, denk dir deinen Teil!“

„Ich habe keine Lust auf Ratespiele, Abby, nicht nach so einem harten Tag. Wenn es um Betty geht …“

„Es geht um Betty. Ich versuche, ihr Grenzen zu setzen, aber das interessiert dich nicht, du möchtest nur deine Ruhe haben. Sie ist zu jung, um tun zu können, was sie will, in der heutigen Zeit ist alles anders.“

Robert musterte seine Frau eindringlich.

„Bist du das wirklich, Abby?“, fragte er schließlich. „Als du 16 warst, durfte dir keiner mit irgendwelchen Vorschriften kommen. Du erinnerst dich? Oder ist es tatsächlich zu lange her?“

Abby verdrehte unwillig die Augen.

„Siehst du nicht den Unterschied? Betty steht nicht auf eigenen Füßen, wie ich es tat. Sie ahmt diese Leute nach, von denen keiner weiß, wo sie herstammen und wie sie zu ihrem Geld gekommen sind!“

„Das weiß zum Glück auch kein Mensch von uns beiden, woher wir unseren Reichtum haben!“

„Robert! Bleib endlich beim Punkt! Es geht darum, dass Betty sich beeinflussen lässt, sie geht nicht ihren eigenen Weg, sondern den dieser Leute. Diese Penny, wenn ich den Namen schon höre, kein Mensch heißt Penny.“

„Es ist eine Abkürzung, wie Abby eine Kurzform von Abigail ist, das Mädchen wird Penelope heißen.“

Robert blieb bewundernswert gelassen.

„Du hast für alles eine Entschuldigung und Erklärung!“

„Ja und? Ist doch besser, als keine zu haben!“

„Und was sagst du dazu, dass unsere Tochter so sein will, wie diese überheblichen Menschen vom Sunset Boulevard? Das passt doch überhaupt nicht zu ihr, nicht zu unserem Leben, nicht zu dem, wie wir sie erzogen haben.“

„Ich denke, dasselbe haben unsere Eltern von uns beiden auch gesagt. Vielleicht ist es ihr Weg, den sie gehen muss.“

„Wie kannst du es wagen, meine Eltern hier ins Spiel zu bringen, du weißt, was sie mir antun wollten!“

„Sie wollten das Beste für dich, Abby!“

„Das Beste!“, höhnte sie. „Sie wollten mich, wie du weißt, verschachern, ich selbst war ihnen egal, aber mir ist Betty nicht egal!“

„Mir auch nicht! Deswegen werde ich sie um elf Uhr abholen.“

„Sagtest du nicht zehn Uhr?“

„Nein, es war elf Uhr. Und nun wäre ich dir sehr verbunden, wenn ich in Ruhe zu Ende essen könnte, dann werde ich noch einmal zu den Pferden schauen, bei der Grauen dürfte es bald so weit sein, es könnte Probleme geben bei der Geburt.“

„Das ist alles, was du willst, deine Pferde und deine Ruhe. Vielleicht aber will ich noch mehr von meinem Leben, als dir gute Mahlzeiten zu bereiten und für dein Wohlbefinden zu sorgen!“

Robert ließ seine Gabel sinken und blickte seine Frau durchdringend an.

„Du musst das nicht, Abby, das weißt du. Ich habe dir immer gesagt, dass du frei bist zu tun, was immer du tun willst. Nichts hält dich hier! Höchstens die Tatsache, dass ich dich liebe, nach wie vor, falls dir das noch etwas bedeutet. Aber wenn du gehen willst, dann geh!“

Sie hielt seinem Blick stand.

„Vielleicht tue ich das, Bob, vielleicht muss ich einfach mal eine Zeitlang weg. Ich werde morgen ins Strandhaus fahren und ein paar Tage bleiben. Ich ersticke hier gerade!“

Er nickte. Er wusste, das Meer hatte immer eine beruhigende Wirkung auf Abby, die Weite des Ozeans zeigte ihr die Grenzenlosigkeit der Welt und all die Möglichkeiten, die sie ergreifen konnte, wenn sie nur wollte.

Wahrscheinlich war es aber wirklich an der Zeit, dass Abby wieder eine Reise unternahm, weit weg von allem und warum nicht gleich zusammen mit Betty?

Mit ihrer ersten Tochter Alison hatte sie das schließlich auch getan und es hatte die beiden damals eng zusammengebracht.

Robert überlegte nicht lange, er kannte Abby seit beinahe 40 Jahren, er musste es nur so hinbiegen, als sei es ihre eigene Idee gewesen.

Sie ließ es nicht zu, dass jemand über sie bestimmte.

„Es wäre eventuell gut, wenn Betty eine Zeitlang aus dieser Umgebung käme, ich sehe das schon auch so wie du, Abby, ich mag diese Leute ebenfalls nicht. Vielleicht sollte Betty einmal etwas ganz anderes erfahren, sie kennt außer Kalifornien nichts von der Welt.“

Abby starrte Robert mit offenem Mund an.

Was deutete er an?

„Du kannst doch nicht weg von der Ranch! Du trennst dich bestimmt nicht von hier!“

„Warum nicht? Ich habe genug Leute hier, mit denen alles einfach weiterlaufen würde. Aber ich wäre tatsächlich froh, wenn ich nicht wegmüsste. Doch wenn du es unbedingt willst, Abby, ein Wort von dir, und wir verschwinden von hier. Wir können überall hin.“

„Wir müssten ja nicht für immer gehen. Wir könnten eine lange Reise machen.“

„Ja, könnten wir, auch wenn ich ehrlich gesagt ungern diese Strapazen auf mich nehme, aber wenn du es wünscht, Abby, dann reisen wir.“

Sie blickte ihn forschend an. Hatte er ihr etwas anderes mitteilen wollen? Sie wusste, er war inzwischen in sein Land verwurzelt, er war Ranchbesitzer mit Leib und Seele, seine Pferde waren sein ein und alles, er würde nur ihretwegen verreisen, lieber jedoch würde er bleiben.

Er würde bleiben, er würde auf sie warten, er gab sie frei, solange sie es wollte, sie konnte weg, in die Ferne … alle Sehnsüchte kehrten zurück, wie war es schön gewesen, den Fuß in jede beliebige Richtung lenken zu können, wie aufregend war es gewesen, die Ozeane zu überqueren, andere Länder zu sehen, ferne Kontinente …

Robert konnte aus Abbys Gesicht lesen wie in einem Buch. Es würde nicht mehr lange dauern, er musste nur abwarten.

Abby dachte zurück an ihre letzte richtige Reise zusammen mit Alison, ihrer Tochter.

Ja, einmal waren sie mit den Lays am Grand Canyon gewesen, aber das zählte in ihren Augen nicht, das war nur ein Ausflug gewesen.

Eine Reise, das hieß auch, dass man ziellos war, dass man sich treiben ließ, es bedeutete lange Zugfahrten, Unbequemlichkeiten, aber so viel Neues zu entdecken, so viel Schönes.

Wie glücklich und aufgeregt waren sie und Alison damals gewesen, sie hatten das Autofahren gelernt und waren einfach zusammen aufgebrochen, kein Berg war ihnen zu steil gewesen, die Reise hatte zu Robert geführt und am Ende für Alison wieder nach San Francisco.

Was sprach eigentlich dagegen, ihrer zweiten Tochter auch diese Möglichkeit zu bieten?

War es nicht an der Zeit, dass Betty erkannte, dass die Welt nicht nur aus Los Angeles und Hollywood bestand?

Zögernd richtete sie wieder das Wort an ihren Mann. „Ich könnte auch mit Betty allein aufbrechen, so wie ich es mit Alison tat vor vielen Jahren, es würde uns vielleicht guttun.“

Er atmete heimlich auf, behielt jedoch seine Ruhe bei.

„Das ist eine glänzende Idee, wenn ich es recht überlege. Auch wenn ich euch schrecklich vermissen würde, aber ich hätte die Gewissheit, dass ihr zu mir zurückkehrt! Die habe ich doch?“

Abby musste lachen, ihre Anspannung löste sich, auch ihr Zorn auf Robert hatte sich gelegt.

Sie stand auf, ging zu ihm und setzte sich auf seinen Schoß. Zärtlich umarmte sie ihn und küsste ihn.

„Ich verspreche es. Ich könnte nicht ohne dich leben, nicht auf Dauer“, raunte sie in sein Ohr.

Und dann lächelte sie ihn wissend an.

„Das war von Beginn an dein Plan? Mich mit Betty wegzuschicken auf eine Reise?“

„Wieso? Es war doch jetzt dein Vorschlag“, grinste er.

„Du weißt ganz genau, wie du mich zu allem bringen kannst, was du willst, das ist dir immer gelungen. Wie Elzy, er manipuliert mich auch ständig. Ich hatte nie eine Chance gegen euch!“

„Das ist Unsinn! Wir haben immer nach deiner Pfeife getanzt. Dein Wunsch war uns stets Befehl!“

„Ganz bestimmt!“, prustete sie. „Genau so war es! Und jetzt iss fertig, ich glaube, ich mag auch etwas, mein Appetit ist zurückgekehrt!“

„Ich habe fast befürchtet, dass ich nicht alles bekomme“, neckte er sie.

Sie beendeten ihr Mahl friedlich und waren beide froh, wieder versöhnt zu sein. Auch wenn der eigentliche Grund für den Streit nach wie vor zwischen ihnen stand.

Aber das konnten sie genauso gut an einem anderen Tag ausfechten.

Robert fuhr pünktlich los, um Betty abzuholen, und sie war dann doch um halb 12 bereit, zu ihrem Vater in den Wagen zu steigen.

„Hast du getrunken?“, fragte er misstrauisch, denn sie wollte gar nicht mehr aufhören, sinnlos zu kichern und zu erzählen.

„Nur ein wenig“, lachte sie. „Es war wundervoll, Daddy, vielen Dank, dass ich dabei sein durfte! Penny hat ein Grammophon und wir haben getanzt!“

„Zu Jazzmusik?“

„Ja, natürlich zu Jazzmusik. Der beste Tänzer ist Eric, aber Luke kann es auch gut. Nur Eric sieht viel besser aus, er hat so wundervolle blaue Augen, fast so wie deine, Daddy!“ In diesem Ton ging es weiter, bis sie zuhause ankamen.

„Tu mir einen Gefallen, Betty“, bat Robert. „Nimm dich jetzt zusammen und zeig dich deiner Mutter nicht in diesem Zustand, sie wird uns schimpfen!“

„Ich bin gaaaaaanz still!“, flüsterte Betty, stolperte die Veranda hinauf und fiel hin. „Hoppla!“, rief sie lachend und machte gleich darauf „Pssst!“

Robert half ihr vom Boden hoch und ließ sie dann eintreten. Zu seiner großen Erleichterung war Abby schon zu Bett gegangen und bekam nicht mit, was mit ihrer Tochter los war. Das hätte bestimmt zu neuem Streit geführt.

Doch Betty war noch nicht bereit, zu Bett zu gehen. „Komm, Daddy, wir wollen tanzen! Ich bringe dir das bei, es nennt sich Charleston und geht ganz einfach“, rief sie halblaut, fasste ihn an den Händen und versuchte, ihn zu einem flotten Tanz zu bewegen.

Aber er führte sie ins Badezimmer.

„Schluss jetzt!“, befahl er. „Geh schlafen, wir sprechen uns morgen!“

„Ach Daddy, sei doch nicht so ein Spielverderber! Sonst will ich zurück zur Party, die sind sicher noch alle da.“

Plötzlich öffnete sich die Tür und Abby stand mit eisiger Miene im Zimmer.

„Ich werde dir nicht mehr erlauben, zu diesen Leuten zu gehen!“, verkündete sie streng. „Morgen fährst du mit mir zum Strandhaus, wenn du wieder nüchtern bist. Dort werden wir eine Weile bleiben. Ohne Daddy! Robert, du wirst zu diesen Leuten fahren und ihnen die Meinung sagen. Wie können sie es zulassen, dass die Kinder Alkohol trinken! Sie könnten alle verhaftet werden.“

„Aber Mutter …“

„Kein Wort mehr, Betty! Ich will heute kein Wort mehr von dir hören.“

Betty baute sich vor ihrer Mutter auf, ihr Gesicht war rot angelaufen vor Wut.

„Du wirst mir das nicht verderben! Das sind meine Freunde! Daddy wird ganz bestimmt nicht dorthin fahren, wir haben ein wenig … getrunken. Das ist normal, alle machen das. Wir sind keine Kinder mehr! Du hast das auch getan, du wirst mir das nicht kaputt machen! Du bist so altmodisch, Mummy, ich schäme mich für dich und ich würde mich zu Tode schämen, wenn Daddy …“

Abby gab ihrer Tochter eine schallende Ohrfeige. Betty hielt sich die schmerzende Wange und starrte ihre Mutter fassungslos an.

„Du gehst jetzt zu Bett, und zwar schnell!“, befahl Abby mit erhobener Stimme.

Robert nahm Betty am Arm, zog sie aus Abbys Reichweite und schob sie ins Bad. Abby hörte sie schluchzen und vernahm Roberts tröstende Worte.

Sie ärgerte sich schon wieder darüber, wieso war er nicht strenger, wieso hielt er erneut zu Betty? Sie wandte sich um und stieg die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer.

Schließlich kam Robert und legte sich zu ihr ins Bett. Als er sie in seine Arme ziehen wollte, wehrte sie ihn ab und drehte sich von ihm weg.

Er versuchte es kein zweites Mal, sondern schloss ergeben die Augen. Morgen lag wieder ein anstrengender Tag vor ihm und es war spät geworden.

Dennoch war er beunruhigt.

Ihm war die kleine Pause nicht entgangen, die Betty gemacht hatte, als sie davon gesprochen hatte, dass sie ein wenig getrunken hätten.

Er war froh, dass Abby im Strandhaus ein Auge auf ihre Tochter haben würde.

Im Strandhaus

Es war nicht weiter schwierig gewesen, Betty ins Auto zu setzen und nach Santa Monica zu bringen, Abby hatte sich sehr über ihre plötzlich so friedfertige Tochter gewundert, aber vielleicht wurde sie doch vernünftig.

Betty schien still und bedrückt, sie sprach kein Wort mit ihrer Mutter. Am Strandhaus zog sie sofort ihre Schuhe aus und lief zum Strand. Abby beobachtete sie von der Veranda aus, sie fühlte, da war etwas gar nicht in Ordnung. Reagierte sie zu hart? Zu streng? Sie war dabei, das Vertrauen ihrer Tochter zu verlieren, aber sie war nicht bereit, es wie Robert durch Nachgiebigkeit zu erkaufen.

Betty war am Vorabend eindeutig betrunken gewesen, vollkommen aufgedreht und nicht sie selbst.

Abby versuchte, sich zu erinnern, wie es bei ihr gewesen war, damals in Lander, als sie die ersten Erfahrungen mit Alkohol gemacht hatte. Sie war ebenfalls 16 gewesen, aber auf sich allein gestellt und für sich selbst verantwortlich. Sie hatte nicht getrunken, um Freunden zu imponieren, sondern einfach, weil sie es wollte, und wenn sie ehrlich war, hatte es immer Menschen gegeben, die aufgepasst hatten, dass ihr nichts geschehen würde. Sie hatte den Männern vertrauen können.

Bei Betty hatte sie das Gefühl, dass niemand auf sie achten würde, im Gegenteil, man würde es vielleicht ausnützen, wenn Betty nicht mehr wusste, was um sie herum geschah. Davor musste sie ihre Tochter bewahren, koste es, was es wolle.

Sie ging ins Haus, um die Taschen auszupacken.

Da hörte sie den lauten Motor eines Autos, das sich näherte und dann vor dem Haus anhielt.

Sie blickte aus dem Fenster und was sie sah, ließ sie vor Schreck erstarren.

In dem offenen Wagen saß eine Gruppe junger Leute und Betty schickte sich gerade an, zu ihnen einzusteigen. Abby rannte aus dem Haus, doch der Fahrer des Wagens hatte bereits Gas gegeben und fuhr mit ihrer Tochter davon. Vernichtet sank Abby auf einen Stuhl.

Natürlich, Betty musste noch in der Nacht oder früh am Morgen ihre Freunde per Telefon informiert haben, deswegen war sie so willig mitgefahren.

Sie biss sich auf die Lippen, es hatte keinen Zweck, Betty zu suchen, sie hatte verloren.

Sie konnte nur hoffen, dass Betty zurückkehren würde.

Abby blieb den ganzen Tag im Strandhaus und wartete. Am Abend läutete das Telefon. Es war Robert.

„Betty hat angerufen!“, berichtete er. „Sie erzählte mir, dass ihre Freunde sie abgeholt hätten, sie wird bald heimkommen, hierher auf die Ranch. Es ist alles in Ordnung, Abby, mach dir keine Sorgen. Sie will einfach nicht wie ein kleines Kind behandelt werden.“

„Nichts ist in Ordnung, Bob, da stimmt etwas nicht!“

„Lass sie erwachsen werden.“

„Mit diesen Leuten wird sie nicht erwachsen, das weißt du so gut wie ich!“

„Bei dir im Strandhaus wird sie es auch nicht. Ja, ich gebe zu, mir wäre es lieber, sie wäre bei dir. Aber es hilft nichts. Ich werde mich um sie kümmern und mit ihr sprechen.“

„Du gibst ihr sowieso in allem nach.“

„Wir können sie nicht einsperren, wir können nur darauf hoffen, dass sie uns weiterhin vertraut und bei uns Hilfe sucht, wenn sie sie braucht.“

Abby schwieg eine Weile.

„Was machen wir falsch, Bob?“, fragte sie schließlich.

„Wir machen nichts falsch, wir lieben unsere Tochter, wollen das Beste für sie, was kann daran falsch sein?“

„Ich habe so ein ungutes Gefühl, ich wäre nicht so, du weißt, auf mein Gefühl konnte man immer vertrauen.“

Abermals herrschte Stille, die schließlich von Robert unterbrochen wurde.

„Ich vermisse dich, Abby, wann kommst du wieder heim?“

„Ich weiß es nicht. Morgen vielleicht, ich brauche ein wenig Zeit hier.“

„Soll ich zu dir kommen?“

„Nein, Bob, ich will für mich sein, bitte versteh mich.“

„Wie du wünscht, Abby, dann schlaf gut heute und mach dir nicht zu viel Gedanken. Geh ans Meer. Das wird dir helfen!“

Abby schlief schlecht in der Nacht, sie war es nicht gewohnt, ohne Robert zu sein, er fehlte an ihrer Seite, doch sie wusste, sie brauchte diese Zeit für sich allein. Sie hasste sich selbst dafür, dass sie alles in Frage stellte, was ihr immer so wichtig gewesen war, aber sie war enttäuscht von Robert, der sie nicht so unterstützte, wie er es tun hätte müssen ihrer Meinung nach.

Er wollte es immer allen recht machen, es war kaum zu glauben, dass er einst der Anführer der Wilden Horde gewesen war, und verantwortlich für so viele gut geplante Überfälle. Doch Abby wusste auch, dass er sich nicht mit Gewalt durchgesetzt hatte, sondern mit seiner Intelligenz und Gewitztheit. Und er hatte Elzy Lay an seiner Seite gehabt, den treffsicheren Schützen und das Hirn der Truppe, wie Robert häufig gesagt hatte.

Elzy … wo er wohl gerade war?

Er hatte Robert oft darauf hingewiesen, dass er bei Betty mit strengerer Hand agieren müsste. Aber Elzy war selbst nicht das Musterbeispiel eines Vaters geworden, ja, seine Kinder waren wirklich gut erzogen, er hatte sie liebevoll umsorgt, als sie kleiner waren, doch schon damals war sein Wunsch nach Freiheit unübersehbar gewesen. Mary hatte ihnen erst viel später verraten, wie oft Elzy unterwegs gewesen war und die Familie allein gelassen hatte.

So war es in der Hauptsache Mary gewesen, die das Wohl der Familie bestimmte.

Genaugenommen hatte Elzy nur das gemacht, was Mary von ihm verlangt hatte, war den Weg des geringsten Widerstands gegangen, und wenn er es nicht mehr ausgehalten hatte, war er einfach verschwunden.

Abby hatte immer gewusst, dass es mit Elzy nie eine wirkliche Beziehung geben würde, schon als sie ihn damals kennengelernt hatte, war sie kaum auf sein Werben eingegangen, sie mochte ihn als Freund, auch als Liebhaber hatte sie ihn geschätzt, aber sie hatte stets gespürt, dass ihm seine Unabhängigkeit wichtiger war als alles andere.

Und in letzter Zeit hatte er sich verändert. Er trank meistens mehr, als ihm guttat, versank dann in Selbstmitleid, gab sich die Schuld an so vielem und behauptete, sich nach seinen Kindern zu sehnen, vor allem nach Marvel aus seiner ersten Ehe.

Mary hatte es allerdings inzwischen übernommen, sich auch um diese Tochter zu kümmern, und soweit Abby mitbekommen hatte, hatte Mary sich mit Maud, Elzys ehemaliger Frau, angefreundet und besuchte sie oft.

Endlich fand Abby für ein paar Stunden Ruhe, dennoch erwachte sie am nächsten Morgen unausgeschlafen. Sie erhob sich, holte sich aus dem Schrank ein Stück Brot und wanderte barfuß zum Meer hinunter.

Es war ein herrlicher Sommertag, keine Spur des üblichen Nebels war zu sehen, die Wellen schlugen sanft an den Strand und Abby watete durch das kalte Wasser des Pazifiks. Sehnsüchtig starrte sie in die Ferne, so viel gab es noch zu entdecken.

Sie wurde älter und sie spürte, wie ihr die Zeit durch die Finger rann. Wenn sie nicht bald aufbrechen würde, würde sie es nicht mehr tun.

Sie war in Südamerika und Europa gewesen, es gab noch Asien und Australien, sie konnte einfach auf ein Schiff steigen und losfahren, Robert würde es verstehen, aber er würde sie nicht begleiten wollen. Er fühlte sich bei seinen Pferden am wohlsten.

Wie würde es sein, monatelang von ihm getrennt zu sein? Sie wusste, sie würde sich nach ihm sehnen, aber was wog schwerer?

Und was sollte sie mit Betty tun? Sie mitnehmen?

Gegen ihren Willen?

Abby hatte wenig Lust auf ständige Kämpfe mit ihrer eigensinnigen Tochter, doch sie bei Robert zu lassen, schien ihr ein Ding der Unmöglichkeit.

Und wer wusste schon, was auf so einer Reise alles passieren würde.

Der Beschluss

Während Abby sich ihren Gedanken überließ, machte sich Robert daran, seine Tochter aufzuwecken. Sie war spät nachts nach Hause gekommen und wieder völlig aufgedreht gewesen, sodass lange keine Ruhe eingekehrt war. Harte Arbeit auf der Koppel würde ihr guttun, davon war er überzeugt.

Also ging er in ihr Zimmer und holte sie ziemlich unsanft aus dem Bett. Sie war kaum fähig, aufrecht zu stehen, stöhnte zum Steinerweichen und lief dann hinunter in das Badezimmer, um sich zu übergeben.

Wenig später fand er sie schlafend auf dem Boden vor dem Waschbecken. Er betätigte die Pumpe und hielt ihren Kopf unbarmherzig ins kalte Wasser.

Sie schrie empört auf und wehrte sich, doch er gab nicht nach, immerhin war sie jetzt wach.

Sie zitterte am ganzen Körper und sah so elend aus, dass sie ihm schon wieder leidtat.

Am liebsten hätte er sie ins Bett geschickt, doch es nützte nichts, Abby hatte recht, nun mussten Grenzen gesetzt und Regeln aufgestellt werden.

„Zieh dich an und komm raus, du musst helfen. Da ist eine trächtige Stute, die eine schwere Geburt vor sich hat.“

„Das ist mir egal!“, gab Betty trotzig zurück. „Mir sind deine Pferde egal. Ich will weg von hier, hier verkümmere ich!“

Robert tat, als hätte er das nicht gehört, doch es hatte ihm einen Stich ins Herz gegeben. Er hatte seine Tochter nie anders als tierliebend erlebt, sogar Klapperschlangen hatte sie vor ihm gerettet. Ihre Hunde, ihre Katze waren ihr ein und alles gewesen, ihr Pferd Dorothy war von ihr bestens gepflegt und behütet worden, doch nun war ihr das einerlei.

Robert wollte das einfach nicht glauben, niemand konnte sich in so kurzer Zeit dermaßen grundlegend ändern.

„Ich gebe dir fünf Minuten, dann bist du draußen bei mir auf der Koppel. Essen wirst du sowieso nichts, wenn ich dich so ansehe. Ich erwarte dich. Es wäre besser, wenn ich dich nicht holen müsste, denn das werde ich tun!“

Er ließ sie stehen und ging hinaus.

Betty ließ die fünf Minuten verstreichen, doch dann erschien sie tatsächlich. Sie hatte sich Hose und Hemd angezogen und sah wieder vertraut aus. Wenn nur das blasse Gesicht und die blutunterlaufenen Augen nicht gewesen wären …

Und ihm fiel auf, dass sie dünner geworden war.

Doch er ließ sich nichts anmerken, sondern gab ihr ein paar Aufgaben, die sie beschäftigten. Er atmete erleichtert auf, als er sah, dass sie mit den Tieren wieder zärtlich umging, bei ihnen Halt und Trost suchte, etwas von ihrem alten Selbst kehrte zurück.

Und dann war sie auch dabei, als die trächtige Stute tatsächlich so weit war und es Probleme gab, wie Robert vorausgesagt hatte. Gemeinsam halfen sie dem Tier, ein Fohlen zur Welt zu bringen, es war eine anstrengende Sache gewesen und aufatmend standen Vater und Tochter schließlich vor dem neugeborenen Hengst, der zum Glück lebte, aber noch sehr schwach auf den Beinen war.

Robert musste daran denken, wie aufgeregt Betty früher gewesen war, wenn ein Pferdchen das Licht der Welt erblickt hatte, nun wirkte sie beinahe gleichgültig.

Sobald alles erledigt war, wandte sie sich zum Gehen.

„Wo willst du hin?“, fragte er.

„Ich ziehe mich um, ich werde gleich abgeholt werden. Meine Freunde kommen.“

„Mir wäre es lieber, du bleibst heute hier.“

„Mag sein, ich will aber weg. Ich will etwas erleben, wir wollen einen Ausflug in die Stadt machen.“

„In die Stadt. Und wann gedenkst du heimzukommen?“

„Ich weiß es noch nicht.“

„Du bist heute um acht Uhr daheim, ansonsten …“

„Ansonsten was?“

Er blickte sie ernst an.

„Ich fürchte, das willst du nicht erleben.“

Sie lächelte leicht.

„Ach, Daddy, du wirkst so albern, wenn du versuchst, streng zu sein. Du kannst dich ja nicht einmal gegen Mutter durchsetzen. Bleib bei deinen Pferden, etwas anderes hast du dein Leben lang ja nicht gemacht und gesehen. Ich will aber mehr!“

Robert schluckte diese Behauptung ungerührt.

Betty hatte keine Ahnung, wer und wo er gewesen war. Wie sollte sie auch?

Abby und er hatten sich alle Mühe gegeben, ihren Lebenslauf so zu beschönigen, dass niemand auch nur ansatzweise die Wahrheit herausfinden konnte.

Butch Cassidy wurde nach wie vor gesucht, das Pinkerton - Detektivbüro hatte noch nicht aufgegeben, auch wenn eigentlich allgemein angenommen wurde, dass er in Bolivien erschossen worden war.

Abbys erster Ehemann James wusste Bescheid, dass er noch lebte, doch zusammen mit Elzy hatten sie eine falsche Spur nach Südamerika gelegt, James Harts Bemühungen ihn aufzufinden, würden immer ins Leere laufen.

Von Abby selbst hatte James einen irrtümlich ausgestellten Totenschein erhalten, er musste annehmen, dass Abby und Betty bei der Geburt gestorben waren.

Robert räusperte sich.

„Ich kann dir nur raten, heute um acht Uhr zuhause zu sein, Betty. Ich warne dich.“

„Was willst du dann tun? Mich hinauswerfen? Nur zu gern! Ich habe es satt, hier zu leben.“

„Sag so etwas nicht leichtfertig. Wir sehen uns um acht!“

Er wandte sich um und ließ Betty einfach stehen. Sie hob die Schultern und lief ins Haus, um sich zu baden, zu schminken und frisch anzukleiden.

Als sie abgeholt wurde, war ihr Vater nirgends zu sehen, sie stieg in das Auto und setzte sich zu ihrer Freundin Penny auf den Rücksitz.

„Ihr habt ja viele Pferde!“, staunte der 19-jährige Eric, der am Steuer saß.

„Wir könnten doch einmal eine Reitpartie unternehmen!“, schlug Luke vor. „Ich wette, keiner reitet so gut wie ich!“

Diese Aussage wurde mit Gelächter quittiert und das Auto verließ hupend den Hof.

Am späten Nachmittag kam Abby heim. Sie packte ihre Sachen aus und begab sich dann zu Robert auf die Koppel. Er freute sich sie zu sehen und sie beschlossen, einen kleinen Ausritt zu unternehmen.

Das war Robert das Liebste, er ritt über sein Land und war stolz darauf. Das Grundstück im Norden, das für Elzy und seine Familie gedacht gewesen war, hatten sie allerdings inzwischen verkauft, die Lays würden nicht herziehen, das hatte sich schon lange abgezeichnet.

Eine Weile ritten sie schweigend dahin.

Schließlich fragte Abby: „Ist Betty wenigstens hier gewesen?“

Robert überlegte, was er ihr verraten sollte, dann kam er mit sich überein, die Wahrheit zu sagen. Abby würde es sowieso früher oder später herausfinden.

„Ja, sie kam heim, sie war vollkommen überdreht, ich habe sie am Morgen zum Arbeiten geholt, gegen Nachmittag ist sie wieder weg.“

„Und du hast sie einfach gehen lassen?“

„Sie wäre immer gegangen, ich hätte sie einsperren müssen, mit Gewalt zurückhalten, das wollte ich nicht, ich habe ihr dringend geraten, um acht Uhr zuhause zu sein.“

„Wie dringend?“

„Sehr dringend.“

„Ich bin gespannt, ob sie kommt. Und ob sie wieder so betrunken ist.“

„Ich fürchte, es ist nicht nur der Alkohol, Abby.“

„Was willst du damit sagen?“

„Hast du etwas unternommen wegen deiner geplanten Reise? Wohin willst du mit ihr?“

Abby sah ihren Mann von der Seite her an.

„Warum weißt du immer so über mich Bescheid?“

„Ich kenne dich seit 40 Jahren. Es ist mir schon lange bewusst, dass du noch nicht alles von der Welt gesehen hast. Also, wohin geht es und wann könnt ihr los?“

„Ich habe für den 1. Oktober gebucht, zunächst nach Hongkong.“

„Hongkong? Wo liegt das?“

„In Asien, es ist im Süden von China, aber es gehört zu Großbritannien. Ich habe viel darüber gelesen.“

„Das dürfte weit genug sein, ihr werdet lange mit dem Schiff reisen. Ich hoffe, du hast zwei Passagen gebucht!“

„Ja, habe ich.“

Robert seufzte erleichtert auf.

„Das ist gut. Und du sagst, zunächst, das heißt, ihr werdet noch länger unterwegs sein?“

„Wie es aussieht, Monate, vielleicht ein halbes Jahr, da gibt es Indien, du weißt!“

„Ich weiß, Abby, Elefanten, Tiger, nach dem Film ‚Das indische Grabmal‘ gab es für dich lange kein anderes Thema mehr! Oktober, das heißt, in nicht ganz zwei Monaten. Früher geht es nicht, nehme ich an?“

„Willst du mich loshaben? Warum bist du so glücklich darüber?“, fragte Abby erstaunt und betroffen.

Er hielt sein Pferd an und nahm ihre Hand.

„Ich werde der glücklichste Mensch sein, wenn du wieder da bist. Ich werde mich jeden einzelnen Tag, jede Minute nach dir sehnen. Aber es ist leider absolut notwendig, dass Betty aus dieser Umgebung kommt. Sie kann die Schule nachholen, sie geht sowieso nicht gerne hin.“

„Willst du mir nicht endlich alles sagen?“

„Ich fürchte, Betty trinkt nicht nur Alkohol, ich glaube ihr sogar, wenn sie behauptet, dass sie kaum welchen zu sich nimmt.“

„Aber warum …?“

„Kokain!“

Abby starrte Robert entsetzt an. Kokain, die Droge, die seit 1914 verboten war, die vorher als Wundermittel angepriesen worden war, weil sie die Menschen zu Höchstleistungen trieb. Aber die Folgen, wer hatte nicht davon gehört, in San Francisco hatte es mehr als genug Menschen gegeben, die durch den Genuss von Kokain völlig verarmt auf der Straße gelandet waren, bettelnd, von Wahnvorstellung geplagt.

Kokain machte abhängig, beinahe von Beginn an, jeder wusste das. Auch Betty war davor gewarnt worden, hatte Robert recht? Ihre Tochter war einer Droge verfallen?

„Woher willst du das wissen?“

„Ich habe keine Ahnung, ob es wirklich Kokain ist, aber als ich in Südamerika war, habe ich viele erlebt, die es nahmen. Erst diese Euphorie, dann die Gleichgültigkeit, und vor allem die Augen. Und hast du eigentlich bemerkt, dass Betty abgenommen hat?“

Abby dachte nach und war entsetzt.

„Ja, stimmt, du hast recht. Ich hätte es erkennen sollen. Kokain war in San Francisco eine Zeitlang ein großes Problem. Man konnte es in jeder Spelunke bekommen. Was denkst du, wie lange nimmt sie es schon?“

„Ich hoffe, noch nicht allzu lange. Sie muss, so bald es geht, weg hier. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Wenn du nicht abreisen würdest mit ihr, hätte ich es getan.“

„Wir können nicht schneller weg, Bob. So oft fahren diese Schiffe nicht und sie sind ausgebucht.“

„Wir dürfen es ihr nicht sagen, wir müssen sie einfach lassen, müssen versuchen, ihr Grenzen zu setzen, nur wenn wir zu hart sind, verlieren wir sie. Also geben wir scheinbar nach. Und dann bringen wir sie auf das Schiff, bis sie mitkriegt, was los ist, muss sie auf hoher See sein.“

„Und wenn wir die Polizei informieren?“

„Was soll das bewirken, Abby? Überlege, man wird die jungen Leute vielleicht sogar verhaften, ihnen die Zukunft verbauen, aber wird man ihnen helfen? Sie werden nur wütend, trotzig, sie werden genau dort weitermachen, wo sie aufhörten.“

„Aber irgendjemand muss ihnen das Kokain doch verkaufen! Die müssen wir kriegen!“

„Du verhaftest einen, zehn andere stehen bereit. Ja, wir können jetzt versuchen, die Welt zu retten, ich will unsere Tochter retten. In diesem Fall ist mir die Welt egal!“

„Betty ist wichtiger!“, stimmte Abby ohne Zögern zu.

„Ich sehe, wir sind uns einig. Wir werden sie schalten und walten lassen, ihr Einhalt gebieten, wo es geht, aber dann werden wir sie auf das Schiff befördern. Weg von allem.“

Er drückte ihre Hand noch einmal fest und sie ritten weiter über ihr Land.

Trotz allem fühlte Abby sich besser, sie hatte zwar ein schlechtes Gewissen, weil sie ihre Liebe zu Robert in Frage gestellt hatte, aber nun wusste sie wieder, dass sie zu ihm gehörte und er zu ihr, untrennbar.

Später saßen sie auf ihrer Veranda, sie hatten zu Abend gegessen und genossen den Sonnenuntergang bei einem Glas Wein. Beide hatten die Uhr in der Küche im Auge gehabt, würde Betty rechtzeitig kommen?

Sie waren erleichtert, als sich gegen halb neun ein Auto näherte, und tatsächlich stieg ein junges Mädchen aus, das sie zunächst nicht erkannten.

Sie hatte kurze blonde Haare, die eng am Kopf anlagen, einen sogenannten Pagenschnitt mit einem Pony, und sie trug ein Kleid mit einem geradezu unverschämt kurzen Rock, der oberhalb der Knie endete.

Das Mädchen beugte sich noch einmal in den Wagen und wurde offensichtlich von jemandem intensiv geküsst.

Abby und Robert begriffen, dass sie ihre völlig veränderte Betty beobachteten, und waren starr vor Entsetzen.

Und dann tönte aus dem Auto ein lauter Ruf: „Wer sind denn diese alten Leute? Sind das deine Großeltern, Liz?“

Robert und Abby sahen sich sprachlos an.

Betty war die Situation sichtlich unangenehm. Sie winkte ihren Freunden noch einmal zu und verabschiedete sich. „Bis morgen dann!“

Das Auto fuhr wieder hupend vom Hof und Betty schlenderte langsam zur Veranda hinauf.

„Was starrt ihr mich so an?“, fragte sie ihre Eltern.

„Du siehst so anders aus“, suchte Robert nach Worten.

„Deine schönen langen Haare …“, bedauerte Abby.

„Alle tragen das jetzt so. Ich bin kein Kind mehr, ich bin erwachsen und möchte das auch zeigen!“

Abby musste daran denken, wie sie ihrer Tochter jeden Morgen die Zöpfe geflochten hatte. Das war doch noch gar nicht so lange her …

Betty warf den Kopf nach hinten.

„Und, seid ihr jetzt zufrieden, dass ihr mich wieder hier habt? Ich bin pünktlich heimgekommen!“

„Fast pünktlich!“, wandte Robert ein.

„Die halbe Stunde ist doch egal!“, rief Betty verächtlich. „Aber es ist eine halbe Stunde weniger, die ich hier verbringen muss. Ich werde nun in mein Zimmer gehen.“

„Willst du nicht noch etwas essen?“, fragte Abby.

„Nein danke! Ich habe in der Stadt gegessen. Dort bekommt man wenigstens exklusive Dinge, aber von denen habt ihr ja sowieso keine Ahnung!“

Sie lief ins Haus und knallte die Tür hinter sich zu.

Abby stand auf, ihre Miene verhieß wenig Gutes, doch Robert hielt sie zurück. „Es hat keinen Sinn, Abby!“

„Sie kann sich uns gegenüber nicht so benehmen! Das ist respektlos!“

„Sie ist wütend, aber sie hat gehorcht, das ist immerhin etwas. Lass sie einfach schmollen.“

„Diese Frisur, dieses Kleid, es ist fürchterlich!“

„Viele Frauen sehen so aus, sie geht mit der Mode.“

„Gefällt dir das denn?“

„Nein, aber das muss es auch nicht. Sie muss sich gefallen.“

„Ich denke nicht, dass es das tut. Ich glaube, sie fühlt sich schrecklich. Ihr Gesicht wirkt nun so breit …“

„Ja, sie hat ein Parker Gesicht bekommen, die Nase und die Form, in meiner Familie sind alle so. Du solltest sie wirklich einmal kennenlernen. Ich möchte dich so gerne meiner Familie vorstellen, bevor ich sterbe.“

„Du stirbst noch lange nicht, versprich mir das!“

„Wer weiß? Anscheinend sind wir im Alter von Großeltern“, seufzte Robert.

„Das war unverschämt, ja, wir waren nicht mehr die Jüngsten, als Betty sich ankündigte, aber ich war noch keine 40.“

„Mach dir keine Gedanken, Abby, für mich bleibst du immer jung. Und die Schönste! Du wirst mit jedem Tag schöner, das weißt du!“

„Sind wir vielleicht wirklich zu alt für unsere Tochter?“, fragte Abby nachdenklich.

„Und wenn? Das ist etwas, das wir leider nicht ändern können.“

Sie nahmen einen tiefen Schluck von ihrem Wein und genossen weiter den Sonnenuntergang. Aber er erschien ihnen nicht mehr so friedlich und schön wie noch vor einer halben Stunde.

Die nächsten Tage und Wochen vergingen mit Streiterei und Unruhe. Abby musste sich sehr zusammennehmen, dass sie ihrer Tochter nicht einfach eine Tracht Prügel verpasste, aber das hätte sie vollends aus dem Haus getrieben.

Betty bestand darauf, dass sie nun ‚Liz‘ hieß, denn ‚Betty‘ war ein altmodischer Kindername, so wollte sie nicht mehr genannt werden.

Weder Robert noch Abby gingen darauf ein, Betty stellte sich taub, wenn man sie nicht mit Liz ansprach, doch das nützte ihr wenig. Sie musste im Gegenteil feststellen, dass ihre Eltern plötzlich zusammenhielten und es nicht immer so leicht war, ihren Kopf durchzusetzen.

Ihre Drohung, einfach davonzulaufen, verpuffte, als Robert ihr die Tür öffnete und ihr empfahl: „Komm rechtzeitig wieder, bevor du verhungerst! Du weißt, wann es bei uns Essen gibt!“

Zähneknirschend musste Betty einsehen, dass sie zwar für ein paar Tage irgendwo unterkommen konnte, doch dann brauchte sie Geld.

Das Leben mit ihren Freunden war teuer, die ganze Kleidung, die sie kaufen musste, die Schminksachen, der Friseur und nicht zuletzt die Getränke und das exklusive Essen kosteten sie ihre gesamten Ersparnisse.

Sie hatte schon mehrmals ihren Vater heimlich um Geld bitten müssen, hatte ihm vorgeweint, dass sie Schulden gemacht hätte, und er hatte ihr dann jedes Mal geholfen. Er wollte nicht, dass sie vielleicht Straftaten beging, um sich Geld zu beschaffen.

Er hoffte, dass sie es nicht für Kokain verwendete, und wenn, hätte er es auch nicht ändern können. Sie hatte die Droge offensichtlich nicht mehr sehr häufig konsumiert, wahrscheinlich konnte sie es sich einfach nicht leisten.

Abby mahnte sie zusätzlich mehrmals zur Vorsicht, der intensive Kuss, den sie beobachtet hatte, hatte ihr genug verraten. Betty schien sehr in diesen Eric verliebt zu sein und die beiden hielten bestimmt nicht nur Händchen.

Abby und Robert konnten nur hoffen, dass bis Oktober nichts passieren würde.

Sie hatten beschlossen, ihrer Tochter nichts von der Reise zu sagen. Es würde sowieso Drama genug geben, wenn es so weit war, sie wollten auch verhindern, dass Betty irgendwo untertauchte, um nicht mitfahren zu müssen.

Wie sie sie an Bord schaffen würden, wussten sie allerdings noch nicht.

Marys Brief

Es war inzwischen Ende September geworden, die Reise rückte unaufhaltsam näher. Abby war unterwegs, um notwendige Dinge einzukaufen, als der Postbote auf die Ranch fuhr und Robert einen dicken Brief brachte. Er war von Mary Lay und Robert nahm sich sofort die Zeit, um ihn zu öffnen und zu lesen. Wie üblich war auch ein Schreiben von Abbys Tochter Alison dabei, das legte er zur Seite, denn das sollte Abby zuerst in die Hand bekommen.

Doch schon nach wenigen Zeilen ließ Robert Marys Brief betroffen sinken. Was würde Abby sagen?

Als Abby nach kurzer Zeit in den Hof einfuhr, hatte er schon auf sie gewartet.

Er half ihr, die Einkäufe ins Haus zu tragen, doch sie räumte sie gar nicht weg, sondern fragte: „Was gibt es? Ich sehe es dir an, ist etwas mit Betty?“

„Nein. Nicht mit Betty. Aber ich habe dennoch schlechte Nachrichten. James Hart ist tot.“

Abby setzte sich.

„James? Du meinst ... James Hart? Meinen … ehemaligen Mann? Er ist tot? Wieso?“ Sie war fassungslos.

„Was ganz genau passiert ist, weiß ich nicht, das steht in Alisons Brief, den ich noch nicht gelesen habe. Aber er hatte wohl einen Autounfall an der Küste. Er ist die Klippen hinunter ins Meer gestürzt.“

„Wie schrecklich! War er allein?“

„Das schreibt Mary nicht. Es tut mir leid, Abby, ich weiß, du hast ihn einmal sehr geliebt.“

Sie starrte vor sich hin.

„Ja, ich liebte ihn, wirklich, wir hatten eine gute Zeit zusammen, wir hatten Alison. Ich war glücklich mit ihm.“

Sie versank in Erinnerungen. Sie sah sich selbst als junges Mädchen am Strand beim Cliff House in San Francisco, sie war unglücklich gewesen wegen eines anderen Mannes und dann war James Hart in ihr Leben getreten. Es war eine leidenschaftliche Beziehung gewesen, sie dachte an ihre Reisen, an die Gefahren, die sie überwunden und die Abenteuer, die sie gemeinsam bestanden hatten. Sie hatten zusammen das große Erdbeben überlebt, die schrecklichen Bilder würden sie bis zu ihrem Tod verfolgen, das wusste sie.

James war ihr Halt gewesen und dann hatte sich alles verändert, die Ehe war zerbrochen.

Immerhin hatten sie sich einigermaßen friedlich getrennt, sie hatte ihm nie etwas Böses gewünscht, er hatte wieder geheiratet und vier Kinder bekommen, wie sie von Alison wusste. Aber ganz getraut hatte sie ihm nie mehr, er hatte Robert einmal verraten und ihn jagen lassen, deshalb hatten sie sich abgesichert.

Robert zog Abby hoch, nahm sie sanft in den Arm und küsste die Tränen von ihren Augen. Sie lehnte sich dankbar an ihn und lauschte auf seinen Herzschlag. Das war für sie immer die beste Medizin gewesen, von Anfang an hatte sie sich bei Robert geborgen gefühlt und sofort beruhigt, wenn sie aus der Bahn geworfen worden war. Er allein hatte ihre aus den Fugen geratene Welt immer wieder zurechtgebogen.

„Wie es wohl Alison trägt?“, fragte sie sich schließlich, nahm Alisons Brief und las laut vor:

San Francisco, 4. September 1927

Liebe Mary, lieber Elzy,

Es ist etwas Schreckliches passiert, mein Vater ist zusammen mit einer seiner Freundinnen tödlich verunglückt.

Er fuhr immer gerne zu schnell und das hat er wohl vor fünf Tagen auch gemacht, er raste die Küstenstraße entlang und Zeugen beobachteten, wie er von der Straße abkam und über die Klippen hinunter ins Meer stürzte. Man hat allerhand versucht, den Wagen zu bergen, aber die Stelle ist dort unzugänglich.

Das Auto ist im Wasser versunken und nicht mehr auffindbar. So wissen wir nicht einmal, wie er gestorben ist.

Caroline grämt sich furchtbar, aber ich glaube weniger wegen Vater, sondern deswegen, weil nun alle Welt weiß, dass Vater seit längerer Zeit mit einer anderen zusammenlebte.

Man hat eine Beerdigungsfeier für ihn organisiert, sie war gestern und es war eine traurige Angelegenheit. So viele Menschen kamen, sie passten gar nicht in die Kirche, und Caroline war nicht ansprechbar, sie hatte einen schwarzen Schleier vor ihrem Gesicht, so konnte niemand wirklich sagen, ob sie weinte oder nicht.

Ich glaube nicht, dass sie sehr trauert.

Sie erbt nun das ganze Hart-Vermögen, besser gesagt, ihre Kinder erben es, sie darf es nur verwalten. Ich wurde aus dem Testament gestrichen, ich bekomme nichts vom Geld meines Vaters, was sagt ihr dazu?

Ich bin doch seine erste Tochter, ich habe das gleiche Recht auf das Geld wie meine Geschwister. Ich weiß, dass mein Vater mit meinem Leben lange Zeit nicht einverstanden war, aber dass er mich aus dem Testament entfernen ließ, ist nicht akzeptabel. Es ist, als hätten meine Mutter und ich nie existiert.

Gerade die letzten Jahre hatte er sich meinetwegen nicht zu schämen brauchen. Ich habe eine gutgehende Praxis, viele kommen von weit her, um meinen Rat zu holen, mein Ruf als Ärztin ist tadellos, mein Privatleben halte ich verborgen, das geht niemanden etwas an.

Genau gesagt habe ich zurzeit gar kein Privatleben, ich hätte nicht die Muße dazu.

Ich arbeite nämlich inzwischen wieder an der Universitätsklinik mit und bin im Operationsteam. Das mache ich vormittags, nachmittags kümmere ich mich um meine Patientinnen. Ich stellte eine weitere Ärztin für meine Praxis an, sie heißt Veronica und hat gerade ihre Doktorarbeit fertiggeschrieben. Sie ist wirklich hervorragend und sehr gründlich in allem.

Aber davon wollte ich ja gar nicht erzählen.

Ich ging heute zu Caroline und forderte sie auf, mir meinen Anteil am Erbe auszuzahlen. Sie reagierte sehr böse, sie sagte, sie selbst sei es gewesen, die Vater dazu aufgefordert hatte, ihn quasi gezwungen hatte, mich aus dem Testament zu nehmen, da ich ein Schandfleck sei.

Ich werde mir nun einen Anwalt suchen. Sie kann mir mein Erbe nicht vorenthalten. Vater und ich haben uns in diesem Jahr ein paar Mal getroffen, ich denke jetzt, das war heimlich, davon wusste Caroline nichts. Wir gingen in ein schönes Restaurant und wir redeten über alte Zeiten, über Mutter, er konnte sie auch nie vergessen.

Wir verstanden uns gut, viel besser als die Jahre zuvor. Es tut mir jetzt leid, dass ich ihn oft so vor den Kopf stieß mit meinem Verhalten, er sagte aber auch, dass er selbst Fehler gemacht habe, gerade als es um das Thema Frauenwahlrecht ging. Er sei damals im Irrtum gewesen und ich hätte alles richtig gemacht. Das war schön zu hören!

Auf jeden Fall lasse ich es nicht zu, dass ich von Vater nichts bekomme. Es ist schlimm, dass er so einen schrecklichen Tod sterben musste, ich will gar nicht daran denken.