Abenteuer Ocean Race - Boris Herrmann - E-Book

Abenteuer Ocean Race E-Book

Boris Herrmann

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Beschreibung

Das neue Buch der Autoren des SPIEGEL-Bestsellers »Allein zwischen Himmel und Meer«: Weltklassesegler Boris Herrmann und sein Team Malizia auf der Superregatta The Ocean Race – Exklusive Einblicke, schöne Ausstattung, viele eindrucksvolle Abbildungen

Das Ocean Race ist der härteste Teamwettbewerb im Segeln, vielleicht sogar der ganzen Sportwelt. 2023 geht auch die „Malizia-Seaexplorer“ des deutschen Spitzenseglers Boris Herrmann an den Start. Boris und Rosalin, Will, Nico und Antoine treiben ihr Schiff mit höchster Geschwindigkeit durch die Weiten der Ozeane und müssen dabei monatelang auf wenigen Quadratmetern miteinander auskommen. Im Südpolarmeer droht der Mast zu brechen, vor Kap Hoorn wird Rosalin aus der Koje geschleudert, im Nordatlantik stellt die Crew einen neuen Geschwindigkeits-Weltrekord auf. Boris Herrmann und Andreas Wolfers erzählen in ihrem neuen Buch von einer unglaublichen Teamleistung, von Dramen, intimen Momenten, Selbstfindung und Kampfeslust. Von Glücksgefühlen, Rückschlägen und der Kraft, sich immer wieder aufzurichten. Und nicht zuletzt von der Magie der Ozeane. Mit seiner schönen Ausstattung und den zahlreichen Farbfotos von Bord der »Malizia« ist das Buch ein ideales Geschenk für alle Segelfans.

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Seitenzahl: 461

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Über das Buch

Das Ocean Race ist der härteste Teamwettbewerb im Segeln, vielleicht sogar der ganzen Sportwelt: Vier Männer und eine Frau jagen auf einer Rennyacht um die Erde, im Kampf mit anderen Yachten. 2023 geht auch die Malizia des deutschen Spitzenseglers Boris Herrmann an den Start. Boris und Rosalin, Will, Nico und Antoine treiben ihr Schiff mit höchster Geschwindigkeit durch die Weiten der Ozeane und müssen dabei monatelang auf wenigen Quadratmetern miteinander auskommen. Im Südpolarmeer droht der Mast zu brechen, vor Kap Hoorn wird Rosalin aus der Koje geschleudert, im Nordatlantik stellt die Crew einen neuen Geschwindigkeits-Weltrekord auf. Boris Herrmann und Andreas Wolfers erzählen in ihrem neuen Buch von einer unglaublichen Teamleistung, von Dramen, intimen Momenten, Selbstfindung und Kampfeslust. Von Glücksgefühlen, Rückschlägen und der Kraft, sich immer wieder aufzurichten. Und nicht zuletzt von der Magie der Ozeane. Das Buch enthält zahlreiche Farbfotos von Bord der Malizia.

Boris Herrmann, geboren 1981 in Oldenburg, ist der bekannteste deutsche Segler. Der Profisportler nahm Ende 2020 an der Vendée Globe teil, einer Regatta für Solo-Segler, die nonstop um die Erde führt. Sein Buch über das Rennen, »Allein zwischen Himmel und Meer«, wurde ein großer Bestsellererfolg. 2023 startete Herrmann mit einer neuen Rennyacht und einem vierköpfigen Team zum Ocean Race. Die seit 50 Jahren durchgeführte Regatta um die Erde gilt als härtester Teamwettbewerb der Sportwelt. Gemeinsam mit seiner Frau Birte Lorenzen-Herrmann betreibt er das internationale Bildungsprojekt »Malizia Ocean Challenge« für Schulen.

Andreas Wolfers, geboren 1958, ist Journalist und Autor. Er arbeitete 13 Jahre als Reporter beim Magazin GEO, war Textchef des STERN und leitete von 2007 bis 2019 die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Als gebürtiger Flensburger segelt Wolfers seit seiner Kindheit, auch den Atlantik hat er schon überquert. Wie den Bestseller Allein zwischen Himmel und Meer hat er das Buch über das Ocean Race gemeinsam mit Boris Herrmann verfasst. Wolfers reiste mit dem Team Malizia zu allen Zwischenstopps, während der Wettfahrten schickten Herrmann und seine Crew ihm regelmäßig Sprachnachrichten von See.

»In 80 Tagen um die Welt, an die Grenzen menschlichen Könnens und darüber hinaus. Innenschau eines Extremseglers im Kampf mit den Meeren und sich selbst. Näher wird man Boris Herrmann und dem vielleicht letzten großen Abenteuer auf hoher See nicht kommen.«STERN über »Allein zwischen Himmel und Meer«

»Eine Tour wie aus einem Hollywood-Drehbuch.«ARD brisant über »Allein zwischen Himmel und Meer«

www.cbertelsmann.de

Boris Herrmann

Andreas Wolfers

Abenteuer Ocean Race

Mit meinem Team beim Rennen um die Welt

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2023 C.Bertelsmann

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Lektorat: Heike Gronemeier, München

Fachlektorat: Tatjana Pokorny

Karte [>>]: Peter Palm, Berlin

Bildbearbeitung: Mohn Media Mohndruck GmbH, Gütersloh

Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Coverabbildungen: Antoine Auriol/Team Malizia

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-31107-0V002

www.cbertelsmann.de

Für die Frauen und Männervom Team Malizia.Ihr habt dieses Abenteuer möglich gemacht,auf See und an Land

Inhalt

Vorwort

Die Crew

1  Kampf vor Gibraltar

2  Inseln unter dem Passat

3  Die Aufholjagd

4  Apollo 13

5  Surfen im Eismeer

6  Unfall vor Kap Hoorn

7  Brasilianische Nächte

8  Pokerstrecke mit Mastbruch

9  Der Weltrekord

10  Im Kessel von Kiel

11  Sieg in Genua

Das Team an Land

Dank

ANHANG

Illustrationen zur »Malizia«

Glossar der Seglersprache

Mit Bojen und Bordlabor: Klimaforschung

My Ocean Challenge: Bildungsprogramm

© Antoine Auriol/Team Malizia

Vorwort

Gut dreißig Tage lang sind wir durch das Südpolarmeer gesegelt, rund um die Antarktis, vor ein paar Tagen haben wir Kap Hoorn umrundet. Wir haben inzwischen eine halbe Weltreise hinter uns – und trotzdem liegt unser schärfster Konkurrent in Sichtweite. Es ist, als seien wir vor der brasilianischen Küste gerade erst gestartet. Tagsüber sehen wir das schwarze Dreieck seiner Segel, nachts das glühende Topplicht.

Das Duell vor Brasilien gehört zu den magischen Momenten dieses Ocean Race. Als ich vor zwei Jahren an der Vendée Globe teilnahm, dem legendären Solorennen um die Welt, da zerrieb mich monatelang das Gefühl der Einsamkeit. Nun bin ich nicht allein. Ich teile mir das Schiff mit einer Frau und drei Männern, in gut hundert Tagen jagen wir um den Erdball. Und es berauscht mich, wie viel größer und intensiver ein Abenteuer ist, das man zusammen mit anderen erlebt.

Alle zwanzig Minuten vergleicht unser Navigationsprogramm die Durchschnittsgeschwindigkeit der Malizia mit der unseres Gegners vor Brasilien. Leuchtet dann ein kleiner Ball auf dem Monitor in Grün auf, das Zeichen, dass wir schneller sind, ertönt im Cockpit Triumphgeschrei. Leuchtet der Ball in Rot, fallen wir gerade zurück. Für uns ist der rote Ball die Aufforderung, noch härter zu arbeiten. Wir versuchen alles, um die anderen nicht davonfahren zu lassen, ändern hier und da etwas am Trimm, justieren Kleinigkeiten, und starren gebannt auf den Bildschirm, ob sich das auswirkt. Wir sind zu Tode erschöpft, doch die Speed-Ampel hält uns auf den Beinen wie eine Wachdroge.

Zwei Tage und Nächte geht das schon so. Es ist, als hätten sich unsere beiden Schiffe ineinander verbissen. Die See ist sehr rau, die Böen erreichen Windstärke neun. Die Malizia rast über die Wellenberge, und unsere Finger kleben auf den Tasten des Autopiloten, der von diesen Bedingungen überfordert ist. Die pausenlose Konzentration strengt an, und alle halbe Stunde wechseln wir uns beim Steuern ab. Auf der digitalen Seekarte sehen wir den Gegner, zum Greifen nah. Wer wird länger durchhalten?

Und dann passiert es: Das andere Boot kentert. Nach einer Hammerböe liegt es flach auf der Seite, Wasser dringt ins Cockpit ein, im Großsegel sind die Latten gebrochen. Später erfahren wir, dass die Crew fast eine Stunde braucht, um das Schiff wieder in Griff zu bekommen. Diese Stunde reicht uns. Wir erreichen als Erste die Ziellinie vor der brasilianischen Hafenstadt Itajaí.

Das tagelange Duell hat sich tief in meine Erinnerung gegraben. Mit ihm haben wir die Königsetappe durch das Eismeer gewonnen, die längste Etappe in der Geschichte des Ocean Race. Außerdem haben dieser Zweikampf und der wochenlange Ritt zuvor gezeigt, dass sich das Risiko, das wir beim Bau der neuen Malizia eingegangen sind, gelohnt hat. Wir wollten einen Rumpf entwerfen, der die Rennyacht schneller und sicherer durch die brutale See des Südpolarmeers rauschen lässt als die alte Malizia. Wir sind damals einen eigenwilligen Weg gegangen, kritisch beäugt und belächelt. Denn wir haben mit einem Dogma des Yachtdesigns gebrochen.

Bis dahin sollten Rennyachten unten flach und gerade sein, um wenig Widerstand zu erzeugen. Ich aber wollte ein Schiff, das von der Seite betrachtet eher bananenförmig aussieht. Ich erinnere mich, wie ich einem erfolgreichen Yachtarchitekten bei einem Telefonat von der Idee erzählte. Er bat mich, in die Küche zu gehen, den Wasserhahn zu öffnen und einen Löffel seitlich an den Strahl zu halten. Ich tat es – und sah, wie der Löffel sofort angesaugt wurde. Dies sei der Grund, sagte der Architekt, weshalb wir keinesfalls ein rundliches Schiff bauen sollten. Aber nun lag die Rennyacht, die er designt hatte, vor Brasilien auf der Seite, nicht zum ersten Mal bei diesem Rennen. Was nützt dir ein schnelles Schiff, wenn es bei harten Bedingungen nicht sicher ist, nicht seetüchtig? Als wir mit unserem bananenförmigen Rumpf und 25 Knoten dem Etappenziel entgegenrasten, empfand ich dennoch keine Genugtuung, nur Erleichterung, große Erleichterung.

© Sailing Energy/The Ocean Race

Nachts, beim Überqueren der Ziellinie vor der brasilianischen Küste, umkreisten uns zahlreiche Boote. Wir standen zu fünft auf dem Vordeck, Arm in Arm, im Lichtkegel der Scheinwerfer. Wir hatten es geschafft! Ein Moment der Innigkeit, den ich nicht vergessen werde. Im Hafen von Itajaí erwartete uns das ganze Team Malizia. Bei der Preisverleihung stürmten alle 36 Leute die Bühne und jubelten und tanzten. Es war magisch, und ich hatte das Gefühl, mich in die Arme meines Teams fallen lassen, ihm einfach folgen zu können.

Das Ocean Race verdankt seine Faszination gleich mehreren Besonderheiten. Da ist diese unfassbare Herausforderung, der sich fünf Menschen monatelang auf engstem Raum stellen. Es ist die schiere Größe und Wildnis der ozeanischen Welt, die wir durchqueren. Und es ist das Leben, das alle Mannschaften mit ihren Teams an Land teilen, bei den Stopps in den Häfen zwischendurch. Es ist ein Vagabundenleben von dreißig, vierzig Frauen und Männern pro Team, die gemeinsam um die Welt reisen, ihre Camps in den Häfen aufbauen, mittags und abends an langen Bierzelttischen essen, manche Nächte durcharbeiten, an anderen bis Sonnenaufgang feiern.

Eigentlich ist es ja zutiefst un-nützlich, um die Welt zu segeln. Aber das Rennen trägt viel dazu bei, Menschen mit Themen vertraut zu machen, an denen sie andernfalls vielleicht wenig Interesse hätten. Auch das macht für mich die Faszination Ocean Race aus. Auf den Kapverden haben wir auf einer Konferenz zum Ozeanschutz mit UN-Generalsekretär Guterres auf der Bühne gesessen und diskutiert. In Kapstadt und bei anderen Zwischenstopps haben wir mit Schulklassen darüber gesprochen, wie sie den Klimawandel erleben. Wir haben Konferenzen mit Umweltaktivistinnen und unseren Sponsoren organisiert und erregte Debatten erlebt, die uns aus unserer Seglerblase holten und mit den großen Fragen unserer Zeit konfrontierten. Unser Sport, vor allem das Ocean Race bietet eine großartige Plattform, um die Welt der Ozeane ins Bewusstsein der Menschen zu holen, um auf ihre Gefährdung aufmerksam zu machen und gemeinsam etwas zu bewegen.

Während des Rennens haben wir viele Menschen mitnehmen können, über Monate hinweg haben sie unsere Reise in den Medien verfolgt. Das Abenteuer Ocean Race bekommt für mich so noch einen weiteren Sinn: indem wir es teilen. Auch mit Ihnen möchten wir es teilen, mit unseren Leserinnen und Lesern.

© Andreas Wolfers

Mit Andreas Wolfers, Journalist und Mit-Autor dieses Buchs, habe ich schon während meiner Teilnahme an der Vendée Globe 2020/21 zusammengearbeitet, unser Buch über die Regatta trägt den Titel Allein zwischen Himmel und Meer. Beim Ocean Race hat Andreas uns um die Welt begleitet, auf dem Landweg, wie ein Reiseschriftsteller bei den Expeditionen vergangener Jahrhunderte. Während der einzelnen Etappen hielten wir ständig Kontakt miteinander; in langen Sprachnachrichten beschrieb ich ihm, was uns gerade passierte. Erreichten wir einen Zwischenstopp, saß er jedes Mal in dem Begleitboot unseres Teams, das der Malizia entgegenkam. Fuhren wir hinaus zum Start der nächsten Etappe, saß er wieder in dem Boot. Manchmal winkte er, aber meistens hatte er eines seiner roten Notizbücher aufgeklappt und notierte, was ihm gerade auffiel.

Meine Nachrichten vom Meer sind die Grundlage seines Texts. Auch meine Mitsegler haben ihm Audionachrichten geschickt. Hinzu kamen zahlreiche Gespräche, die er in den Häfen mit uns und anderen Mitgliedern von Team Malizia führte. Entstanden ist ein Buch mit zwei Erzählebenen: Andreas hat all die Informationen zu einer packenden Nahaufnahme des Ocean Race zusammengefügt. Zugleich kommen wir, die Crew, mit langen Auszügen aus unseren Sprachnachrichten zu Wort: Will, Rosalin, Nico, Antoine und ich.

Das Ocean Race hat uns auf unterschiedliche Weise ergriffen. Um davon so authentisch wie möglich zu erzählen, haben wir uns zu dieser Vielstimmigkeit entschlossen. Ich möchte Sie, liebe Leserin, lieber Leser, mit diesem Buch einladen, uns zu begleiten – auf ein sechsmonatiges Abenteuer, das geprägt war von einer unglaublichen Teamleistung, von Dramen, intimen Momenten, Selbstfindung und Kampfeslust. Von Glücksgefühlen, Rückschlägen und der Kraft, sich immer wieder aufzurichten. Und von der ewigen Magie des Ozeans.

Boris Herrmann im September 2023

Die Crew

© Ricardo Pinto/Team Malizia

Eigentlich muss BorisHerrmann, 42, nicht näher vorgestellt werden. Als Deutschlands bekanntester Segler hat er unzählige Menschen mit seinen Abenteuern auf den Meeren gefesselt: 2020 bei der berühmten Solo-Regatta Vendée Globe, 2023 beim Ocean Race, diesmal mit Crew um die Erde. Der Ozean ist seit 23 Jahren sein Wirkungsfeld, als Segler, als begnadeter Erzähler – und als Fürsprecher für mehr Ozean- und Klimaschutz, der mit seiner Kampagne »A Race We Must Win« aufklären und inspirieren will.

© Antoine Auriol/Team Malizia

Seit 2019 ist der Brite Will Harris, 29, der Co-Skipper von Boris. In Southampton studierte er Ozeanografie, in der Bretagne erwarb er seine Kenntnisse als Hochseesegler. Er ist technisch enorm versiert, kennt sich in der Bordelektronik ebenso aus wie im Bootsbau. Bevor Boris ihn holte, engagierten ihn andere Teams mehrfach als klugen Navigator und Taktiker. Will ist sportlich hoch ambitioniert, hinter seiner ruhigen, unaufgeregten Art brennt ein unbedingter Wille zum Erfolg. Sein glühendster Wunsch: mit einem eigenen Schiff zur Vendée Globe 2028 antreten. Beim Ocean Race vertritt er Boris auf zwei der sieben Etappen, als jüngster Skipper der gesamten Flotte.

© Antoine Auriol/Team Malizia

Bei einer Regatta lernt Will 2021 die niederländische Profiseglerin Rosalin Kuiper kennen, damals erst 25 Jahre alt. Er empfiehlt sie Boris, der rasch den Eindruck gewinnt: Rosie passt zu uns. Sie hat Offshore-Regatten im Mittelmeer und in Australien gesegelt, klettert beherzt bis zur Spitze eines 30-Meter-Masts, kann eine Lichtmaschine reparieren. Sie ist ehrgeizig, hat einen unbändigen Wissensdurst – und belebt das Team mit unerschütterlich guter Laune und einer schnörkellosen Art zu reden. Was beides hilfreich sein kann, wenn fünf Menschen monatelang auf engem Raum zusammenleben. Dass sie an Bord die einzige Frau ist, sei völlig unerheblich, sagt sie. Der Charakter zähle, sonst nichts.

© Ricardo Pinto/Team Malizia

Nicolas »Nico« Lunven, 41, gilt als einer der besten Navigatoren der französischen Seglerszene, »The Brain« nennen sie ihn respektvoll. Bei Preisverleihungen steht er meist in der zweiten Reihe, lieber hockt er am Rechner und analysiert die Daten komplexer Wettervorhersagen. Seine stille, zurückhaltende Art könnte dazu verleiten, ihn zu unterschätzen. Zweimal hat er die Solitaire du Figaro gewonnen, eine Art Weltmeisterschaft der Einhandsegler. Sie besteht aus drei mehrtägigen Regatten hintereinander, mit sehr wenig Schlaf; ein erbarmungsloser Härtetest. Nicos Vater nahm am ersten Ocean Race vor fünfzig Jahren teil, für Nico ist es 2023 das dritte Mal, nun als Navigator der Malizia.

© Ricardo Pinto/Team Malizia

Einmal stieg er mit seinem Kiteboard in die flachen Wasserbecken vor dem Eiffelturm und surfte umher, bis die Polizei kam. Für Antoine Auriol, 39, ist jede Wasserfläche eine Arena. 2010 wurde er Weltmeister im Kiteboarden. Als Filmemacher produziert er Dokumentationen für das Fernsehen, meist Naturfilme. Der Franzose hat keine Hochsee-Erfahrung, trotzdem segelt er mit der Malizia um die Erde, als »Onboard-Reporter«. Er dokumentiert täglich mit Videos und Fotos, was auf der Rennyacht passiert. Und mit Hilfe seiner Kameradrohne, die ihn schnell als »Fly Captain« berühmt macht. Zu Beginn des Ocean Race ist Antoine oft seekrank, später so seefest, dass er Yoga auf dem Vordeck macht.

© Antoine Auriol/Team Malizia

Der Bretone hat die Solitaire du Figaro dreimal gewonnen, nahm an der Vendée Globe teil und gehört zu den besten französischen Einhandseglern. Mit 49 Jahren ist Yann Eliès der Senior an Bord, ein Instinkt-Segler, der alles dransetzt, bei jedem Wetter noch ein bisschen mehr Geschwindigkeit aus dem Boot zu holen – und der dann seinen E-Book-Reader rausholt und liest oder an Deck geht und eine Selbstgedrehte raucht. Yann engagiert sich auch als Trainer für Profisegler, seine Firma hat er naheliegenderweise »Full Speed« genannt. Seit mehreren Jahren berät er unter anderem Boris. Beim Ocean Race steigt er bei der zweiten Etappe für Boris ein, bei einer anderen für Nico.

© Marie Lefloch/Team Malizia

Als promovierte Informatikerin, spezialisiert auf Medizintechnik, hatte Axelle Pillain, 33, eine Karriere in der Industrie vor sich. Doch die Französin, seit ihrer Kindheit eine begeisterte Seglerin, hat sich für ein Leben als Profiseglerin entschieden. Neben der Teilnahme an Regatten arbeitete sie bis 2022 in einer Spezialfirma für Bordelektronik, dann wurde sie vom Team Malizia abgeworben. Kaum jemand ist so eng wie sie mit der komplexesten Anlage an Bord vertraut, dem Autopiloten. Nach Trainingstagen analysiert sie die digitalen Leistungsdaten der Malizia, noch lieber aber segelt sie selbst mit. Während des Ocean Race springt Axelle auf einer Etappe in Europa für Nico ein.

© Ricardo Pinto/Team Malizia

Sein Name klingt englisch, doch Christopher Pratt, 42, ist Franzose. Wie Yann und Nico wird er als Profisegler von unterschiedlichen Teams engagiert. Mehrere Jahre lang begleitete er einige der besten Hochseesegler bei den in Frankreich populären Zweihand-Regatten. Zugleich hat Chris als studierter Sportpsychologe, im heimischen Marseille ein Zentrum für Sport und Coaching aufgebaut: mit Segeln als Methode, um Teams in Unternehmen zu formen und Führungskräfte zu schulen. Chris steigt in Brasilien für eine Etappe zu. Es ist sein erstes Rennen mit der Malizia – aber mit der Bootsklasse der Imocas, zu der auch die Malizia gehört, ist er seit 2010 vertraut, ebenso lang wie Boris.

Abflug vor Alicante: Die gebogenen Foils heben die Malizia aus dem Wasser.

© Ricardo Pinto/Team Malizia

1  Kampf vor Gibraltar

Stürmischer Auftakt. Reparatur in letzter Minute, dann Windstärke zehn von vorn

Die Nachricht erreicht Boris einen Monat vor dem Start, im Urlaub auf Teneriffa. Er ist kurz zuvor allein über den Atlantik gesegelt, bei der Route du Rhum, einer legendären Einhandregatta von Frankreich in die Karibik. Nun erholt er sich mit seiner Frau und der dreijährigen Tochter in einer Ferienwohnung am Strand. Kräfte sammeln für das Ocean Race. Draußen fällt warmer Nieselregen, Boris absolviert im Wohnzimmer seine Yoga-Übungen. Als er wie immer mit dem »Herabschauenden Hund« enden will, sieht er auf seinem Handy eine Nachricht aufleuchten. Holly Cova, Teamchefin des Malizia-Rennstalls, hat sie geschickt: Es gibt ein Problem mit den Foils, den seitlichen Tragflügeln der Rennyacht. Ein gravierendes Problem.

Nach Ende der Regatta in der Karibik war Boris zu seiner Familie geflogen und hatte das Schiff der Crew überlassen, die es zurück über den Atlantik segelte, direkt in die spanische Mittelmeerstadt Alicante, wo das Ocean Race in wenigen Wochen starten wird. Die Malizia wurde an Land gehoben, und ein Ingenieur fahndete mit einem Ultraschall-Gerät nach möglichen Rissen im Rumpf, Mast, Kiel und in den Foils, ein übliches Verfahren nach längeren Rennen. Als er mit dem Schallkopf über die Foils strich, entdeckte er auf dem Handmonitor alarmierend helle Streifen: Tiefe Risse durchziehen beide Flügel.

Die seitlich herausragenden Foils sind der Turbo dieser Rennyachten. Ihre Profile sind geformt wie die Tragflächen eines Flugzeugs. Ab einer bestimmten Geschwindigkeit heben sie eine Yacht aus dem Wasser, das Schiff beschleunigt spürbar. Die Foils der Malizia, das ist nach der Untersuchung klar, würden im nächsten Sturm brechen.

Boris

Die Nachricht von Holly traf mich völlig unvorbereitet, aus heiterem Himmel. Wir haben kurz miteinander telefoniert, danach ging ich davon aus, dass wir es schon hinbekommen würden, die Foils rechtzeitig zu reparieren. Ich glaube, mein Hirn weigerte sich einfach, die Alternative für möglich zu halten. Keine Foils, kein Ocean Race: Das kann nicht sein!

Zwei Tage später informiert mich Holly, dass der Hersteller mit mindestens zwei Monaten für die Reparatur rechnet. Ich bin fassungslos. Das war es dann wohl. Neue Foils zu bauen, dauert etwa ein halbes Jahr. Und die Chance, dass wir irgendwo ein passendes Paar finden und kaufen können, ist minimal. Es gibt weltweit etwa sechzig unserer Imoca-Rennyachten mit Foils, jede Yacht sieht ein bisschen anders aus – weshalb die Tragflügel immer Maßanfertigungen sind. Holly sagt, dass sie und unser Technischer Direktor sich jetzt ans Telefon hängen werden, auf der Jagd nach Ersatzflügeln. Wir schaffen das, meint sie. Auch wenn ich sie in ihrer Zuversicht bestärke, scheint die Sache nüchtern betrachtet aussichtslos. In vier Wochen fällt in Alicante der Startschuss.

Ich sitze in der Ferienwohnung, starre aufs Meer und spüre, dass dies einer der Momente ist, an die man sich jahrzehntelang erinnert. Zerplatzt gerade ein Lebenstraum? Das Ocean Race gibt es seit 1973, seit fünfzig Jahren, es ist eine der ältesten und berühmtesten Regatten überhaupt. Als Schüler blätterte ich gern in Segelbüchern, und am meisten faszinierten mich dabei die Bücher, die vom Ocean Race handelten, von Mannschaften, die sich im Eismeer auf die Suche nach Stürmen machten, um schneller als die anderen nach Kap Hoorn zu gelangen. Die Abenteuer, von denen sie erzählten, und auch die Bilder davon hatten eine Magie, die viel dazu beitrug, dass ich mir damals vorzustellen begann, irgendwann selbst an diesem Rennen teilzunehmen.

Aber erst kam die Vendée Globe. Sie gilt als das Härteste, was man sich als Solosegler zumuten kann: allein und ohne Zwischenstopp einmal um den Erdball. Die Regatta gibt es immerhin auch schon seit 34 Jahren. Bei der letzten Ausgabe 2020/21 habe ich teilgenommen, als erster Deutscher überhaupt. Ich habe das nicht gemacht, weil ich gern allein segele, sondern obwohl ich ungern allein segele. Mich hat einfach die ultimative Herausforderung gereizt. Würde ich dieses Rennen wirklich durchhalten, vielleicht sogar mit einem anständigen Ergebnis? Nach achtzig Tagen um die Erde erreichte ich das Ziel, als Fünfter von 33 Teilnehmern, das war ein irrer Erfolg.

Die Vendée Globe war ein großes Abenteuer – und zugleich ein erbarmungsloser, unablässiger Kampf, mit dem Wetter, mit dem Boot, aber vor allem mit mir selbst. Fast drei Monate lang in dunkler Einsamkeit, das hatte mir schwer zu schaffen gemacht. Es gab in der ganzen Zeit nur wenige Tage, die ich wirklich genießen konnte.

Während des Rennens hatte ich mir geschworen, so etwas nie wieder zu machen. Nach dem Rennen erklärte ich, bei der nächsten Vendée Globe, die Ende 2024 startet, auf jeden Fall antreten zu wollen. Tja. Menschen verhalten sich manchmal widersprüchlich. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die am schwersten erkämpften Erfolge nun mal am süßesten schmecken. Vor allem aber reizte mich der Weg zum Start, der Aufbau einer neuen Kampagne, auch das ist ja ein großes, eigenes Abenteuer, das mich vier Jahre lang in Atem halten würde.

Nur wenige Wochen nach dem Ende der Vendée Globe trafen mein kleines Team und ich zwei Entscheidungen: Wir nehmen am Ocean Race teil. Und wir bauen eine neue, bessere Malizia. Ein Schiff für die zwei wichtigsten Segelrennen um die Welt. Die Veranstalter nennen das Ocean Race den härtesten Teamwettkampf der Sportwelt. Ich glaube, sie haben recht. Ich kenne zumindest keinen Wettkampf, der einem Team über so lange Zeit hinweg so viel abverlangt, körperlich und mental. Die Route ähnelt der Strecke der Vendée Globe – aber diesmal wird auf jedem Schiff eine kleine, verschworene Mannschaft die Erde umrunden. So wie in den Büchern meiner Jugend.

Als wir die Entscheidung fällten, lag der Start des Ocean Race keine zwei Jahre mehr entfernt. Normalerweise braucht man die Zeit schon allein dafür, so eine komplexe Rennyacht zu verstehen. Ich hatte noch nicht mal eine Zeichnung von dem Schiff, nur ein paar Ideenskizzen. Wir vergrößerten das Team, dann legten wir los. Eines der besten Büros für Yachtdesign entwarf das Schiff, eine französische Werft baute es. Im Frühsommer 2022 arbeiteten bis zu fünfzig Leute gleichzeitig an der neuen Malizia. Wie geplant ließen wir sie im Juli 2022 zu Wasser, danach trainierten wir in der Bretagne, segelten zur Schiffstaufe nach Hamburg, dann die Regatta über den Atlantik. Jetzt haben wir noch einen Monat in Alicante eingeplant, um uns in Ruhe auf den Start des Ocean Race vorzubereiten.

Der Weg dorthin war kein Marathonlauf, es war ein Sprint nach dem anderen. Wir haben jeden Termin eingehalten, alles hat funktioniert wie geplant, alle haben ihr Bestes gegeben, damit in Alicante das große Abenteuer beginnen kann. Und nun soll all das vergebens gewesen sein?

~

In dem Mittelmeerhafen laufen sich die Teams warm. Elf Rennställe haben gemeldet: sechs in der alten Bootsklasse der VOR65, fünf moderne Imoca-Yachten. Die Teams der Imocas, zu denen auch die Malizia gehört, errichten ihre hallengroßen Zelte nebeneinander auf der Außenmole von Alicante. Drinnen stehen Bürocontainer und Werkstätten, draußen haben sie Tische und Bänke aufgebaut, um zu essen, Musik zu hören oder mit den Nachbarn zu quatschen. Die Stimmung erinnert an ein Zeltlager unter alten Bekannten. Sie alle gehören zu den besten Offshore-Seglern der Welt, eine Elite, die sich regelmäßig bei großen Langstreckenrennen wiedersieht. Auch Olympiateilnehmer sind dabei; sie haben sich irgendwann entschlossen, nicht länger in Küstennähe um Bojen zu segeln, sondern hinaus aufs Meer zu fahren, für Regatten von Kontinent zu Kontinent.

Das Ocean Race ist für sie alle das Fernziel gewesen. Mehr geht nicht. Nun haben sie es tatsächlich geschafft, sie haben einen Platz in einer Crew erhalten und werden an dem legendären Rennen teilnehmen.

Team Malizia besteht aus knapp vierzig Seglern und Nichtseglern. Sie stellen den jüngsten Rennstall des Ocean Race, fast alle sind zwischen Mitte zwanzig und vierzig Jahren alt. Es ist ein sehr internationales Team, die Frauen und Männer kommen aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Spanien, Portugal, mehrere aus Neuseeland und den USA. Die meisten gehören seit etwa einem Jahr dazu: als Profis für Bootsbau oder Elektronik, für Sponsoren-Kontakte oder Kommunikation auf Social Media.

Team-Director Holly Cova, 33 Jahre alt, souveräne Dirigentin des Rennstalls, hat alle darauf eingeschworen, trotz des Desasters mit den Foils ungerührt weiterzumachen. Ab acht Uhr morgens summt es in der Zelthalle. Das »Tech-Team« arbeitet die Liste mit Ideen ab, was sich an Bord noch alles verbessern ließe. Die Liste ist nach dem Atlantikrennen auf 438 Positionen angewachsen, vom Kauf neuer Schlafsäcke bis zum Anbringen zusätzlicher Griffe unter dem Kabinendach. Eine Sicherheitsmaßnahme für den wilden Ritt durch das Eismeer.

Das »Commercial Team« kümmert sich darum, dass auch an Land die Tour um die Welt klappt: Der gesamte Rennstall wird zu den sechs Hafenstädten reisen, in denen die Flotte der Yachten zwischendurch für ein, zwei Wochen stoppt. Da müssen Team-Basen und Veranstaltungen organisiert werden, Flüge, Leihräder und Unterkünfte. In Alicante sind die »Malizianer«, wie sie sich nennen, in elf Airbnb-Wohnungen untergekommen. Morgens treffen sie sich am Hafen, abends kochen sie zusammen, anschließend ziehen sie häufig um den Block. Team Malizia ist bereit, als Wanderzirkus auf Welttournee zu gehen.

Doch dazu fehlt das Boot. Noch immer ist die Malizia flügellahm, buchstäblich. Da meldet sich aus Frankreich der Hersteller der alten Foils: Das Unternehmen hat für eine Imoca-Yacht, die noch gebaut werden soll, die Tragflügel bereits fertiggestellt. Die Maße ähnelten denen der Malizia. Vielleicht ließe sich da ja was machen?

Boris

Ich bin viermal um die Welt gesegelt und habe rund zwanzigmal den Atlantik überquert. Ich habe an Regatten im Mittelmeer und im Pazifik teilgenommen und die Arktis auf der Nordostpassage durchquert. Ich habe mich also mit vielen unterschiedlichen Yachten vertraut gemacht – aber keine kenne ich bis in die innersten Strukturen so gut wie die neue Malizia. Sie ist die einzige Yacht, die ich selbst mitentworfen und gebaut habe. Sie ist mein Baby. Die Risse in den Foils haben mich daher auch persönlich getroffen; ein bisschen fühlt es sich an, als hätte ich meine Fürsorgepflicht vernachlässigt.

Und dann erfahren wir plötzlich, es gebe da ein Paar Foils, das wir vielleicht gebrauchen könnten. Die Nachricht hat mich so fassungslos gemacht wie zuvor die Schadensmeldung. Was für eine Fügung! Wir ließen uns die Maße schicken, setzten uns an den Computer und schoben die Foils in das 3D-Modell unseres Schiffs. Sie schienen tatsächlich zu passen. Holly und ich fackelten nicht lange und kauften die Teile.

Passende Maße, um sie im Rumpf zu fixieren, sind das eine. Unsere alten Flügel knickten außen allerdings wie ein angewinkelter Arm in die Luft, die neuen biegen sich im Halbkreis nach oben. Keine Ahnung, ob uns das schneller oder langsamer machen wird. Im Grunde genommen ist es so, als würde bei einem Formel-1-Wagen kurz vor dem Rennen der Motor gegen ein neues, unbekanntes Modell ausgetauscht. Nicht das, was man sich wünscht – aber: Wir können starten!

Unsere vor dreißig Jahren entwickelten Yachten waren vor allem dazu gedacht, lange Rennen mit nur einer oder zwei Personen an Bord zu segeln. Das ist bei einer 18-Meter-Yacht eine große Herausforderung und erfordert eine klug durchdachte Ausstattung. Was wiederum dazu führte, dass unsere »Imocas«, so benannt nach der Klassenvereinigung, zum Ideenlabor des Yachtbaus wurden. Von schwenkbaren Kiels bis zu Infrarotkameras auf der Mastspitze: Viele Innovationen, die eine Rennyacht schneller und auch sicherer machen sollten, wurden zuerst bei Imocas ausprobiert. Mit Tragflügeln hatten auch schon andere experimentiert, aber die Imoca-Architekten haben viel dazu beigetragen, dass das Foilen zu einer eigenen Wissenschaft geworden ist.

Die Helden aus meinen alten Büchern wären entgeistert gewesen, hätte man ihnen damals Bilder von den Rennmaschinen gezeigt, mit denen wir heute starten. Mir gefällt diese Verwandlung des Hochseesports. Noch immer brauchst du Gespür, um sicher durch einen Sturm zu kommen. Noch immer musst du Segelsäcke mit der Hand schleppen und lernen, in einem stampfenden Boot Schlaf zu finden. Und natürlich kannst du auch auf einer Imoca die Natur da draußen genießen, etwa die Magie eines Sonnenaufgangs auf See. Es ist halt nur allerhand Technik hinzugekommen. Sie macht unsere Boote schneller, aber auch anspruchsvoller; manchmal kommen sie mir vor wie nervöse, hypersensible Wesen. Wir haben Hunderte von Möglichkeiten, sie optimal einzustellen, die Segel, den Kiel, die Foils, den drehbaren Mast und vieles mehr. Ich mag es, das alles auszuprobieren und jeden Tag ein bisschen besser zu verstehen.

Und noch etwas hat sich verändert: Rennen wie das Ocean Race werden inzwischen zur Hälfte an Land entschieden. Weil die Schiffe, wenn wir sie wochenlang durch schwere See geprügelt haben, oft als Baustellen am Zwischenstopp ankommen. Um sie bis zum nächsten Start wieder herzurichten, bleiben den Tech-Teams manchmal nur eine Handvoll Tage. Bei der Vendée Globe musste das Boot einmal zu 100 Prozent in Topform sein, diesmal müssen wir das siebenmal hinbekommen. Dir nützen also die besten Mitsegler auf See nichts, wenn du keine guten Bootsbauer an Land hast. Wenn wir zur nächsten Etappe aufbrechen, müssen wir darauf vertrauen können, unsere Schiffe wieder bis an die Grenzen der Belastung treiben zu können. Wir beachten diese Grenzen genau – aber es darf nicht sein, dass dir das Schiff schon vorher um die Ohren fliegt.

Die Bootsbauer in unserem Team sind Profis. Ich denke, sie werden es schaffen, in den drei Wochen bis zum Start das Schiff mit den neuen Foils in Topform zu bringen. Für uns hat das Ocean Race bereits begonnen.

Die Tragflügel der Rennyachten sind ein technologisches Wunderwerk, ein Meisterstück von Designern, Datenexperten und Bootsbauern. Sie sehen aus wie elegante Skulpturen: schmale, dünne Schwingen, die zu beiden Seiten der Yacht vier Meter hinausragen, meist in sanftem Schwung nach oben gebogen. Sie bestehen aus bis zu 400 Schichten Kohlefasern, von Robotern millimetergenau ausgerichtet, im Hochdruckofen miteinander verbacken und so stabil, dass sie 25 Tonnen Drucklast aushalten. Sind die Foils für eine Yacht bestimmt, die an einem Rennen um die Welt teilnehmen will, schicken Datenanalysten sie vor dem Bau virtuell auf die Reise. Sie kombinieren am Rechner die lokalen Wetterdaten entlang der gesamten Strecke mit den Leistungsdaten der Yacht, um herauszubekommen, was für diese Route und diese Yacht die bestgeeignete Form der Foils wäre.

Die Mechanik eines Tragflügels ist simpel. Neigt sich das Segelboot im Wind zur Seite, fährt das Foil auf dieser Seite tief durchs Wasser und erzeugt mit seinem Flügelprofil automatisch Auftrieb. Schon bei mittlerem Wind wird die Yacht emporgehoben, so hoch, bis sie nur noch auf ihrer Heckpartie und einem Foil über das Wasser glitscht. Der Reibungswiderstand verringert sich erheblich, das Schiff beschleunigt rasant.

Nimmt der Wind zu, will er die Yacht noch stärker zur Seite drücken. Doch dem widersetzt sich das Foil auf eben dieser Seite; es will mit zunehmender Geschwindigkeit die Yacht zurück in die waagerechte Position drücken. Beide Kräfte wirken gegeneinander – bis irgendwann entweder der Mast bricht oder das Foil. Damit das nicht passiert, messen in Mast und Foil unsichtbare Sensoren die Drucklast an mehreren Stellen und leiten sie über haarfeine Glasfaserkabel an den Zentralrechner im Cockpit weiter. Überschreitet irgendwo eine Last den Grenzwert, schrillt ein Alarm.

Die Foils sind insofern auch ein Symbol: für die Fähigkeit der Rennyachten, sich selbst zu zerstören. Wer eine Imoca sicher um die Welt bringen will, muss vor allem lernen, sie zu zügeln.

Um die neuen Flügel der Malizia millimetergenau durch zwei seitliche Schlitze in den Rumpf schieben zu können, müssen die Bootsbauer des Teams, wie sich herausstellt, doch noch einige Änderungen vornehmen. Außerdem sind die Foils noch im Rohzustand, nicht gespachtelt, nicht besprüht, nicht geschliffen. Wer mehrere Hunderttausend Euro Kaufpreis gezahlt hat, wird die finale Feinarbeit nicht irgendjemandem anvertrauen. Er wird die Besten des Fachs haben wollen. Holly engagiert die »Waschbären«.

Der Engländer Ed Wheelhouse, 51, und der Spanier Rayco Perez Miranda, 31, reisen seit sechs Jahren als Team um die Welt, von Australien bis zu den Bermudas, überall dorthin, wo die Eigner von Hochgeschwindigkeitsyachten sicherstellen wollen, dass ihr Schiff unter Wasser von perfekter Ebenmäßigkeit ist. Nicht einfach bloß glatt und gerade, sondern absolut makellos. Ohne eine einzige Unebenheit, und sei sie auch noch so winzig, am Rumpf, Kiel oder an den Foils. Nichts soll das Schiff bei seinem Rauschen durch das Wasser bremsen.

Mit Fingerspitzengefühl: Rayco prüft, ob der Tragflügel makelos ist.

© Andreas Wolfers

Für ihre Arbeit brauchen die beiden nur ein paar Spritzpistolen, Spachtelmasse, Schleifpapier. Und die Sensibilität ihrer Hände und Fingerkuppen. Ihr ausgeprägter Tastsinn hat ihnen in der Welt der Profisegler den Ehrentitel »the two raccoons« eingebracht, die zwei Waschbären. Die Tiere sind bekannt für ihre hyperempfindlichen Vorderpfoten; in flachem Wasser können sie damit die Bewegungen von Fischen und Krebsen spüren, bevor sie nach ihnen greifen.

Rayco und Ed haben schon die ersten Foils der Malizia veredelt. Nun nehmen sie die neuen Flügel in ihre Hände. Die Foils liegen, seitlich gekippt, auf mehreren Böcken, zwei graue, zungenartige Skulpturen in S-Form, sechs Meter lang, einen halben Meter breit, acht Zentimeter dick. Die Männer spachteln und glätten sie, spritzen sie erst weiß, dann rot, schleifen sie immer wieder per Hand, jedes Mal mit etwas feinerem Schleifpapier. Niemals, sagen sie, würden sie mithilfe einer Maschine schleifen, die spürt doch nichts!

Schließlich stellt sich Rayco, ein kräftiger, massiv tätowierter Mann, vor ein Foil, schließt die Augen und fährt mit beiden Handflächen über die gewölbte Außenhaut. Mit geradezu sinnlicher Langsamkeit streicht er über die blanke Fläche, vor und zurück, hoch und runter. Er nutzt immer beide Hände gleichzeitig, sagt er, weil dann »die eine Hand der anderen signalisieren kann, wenn sie etwas spürt«. Ab und zu stockt Rayco, greift nach einem Schleifpapier, das selbst schon fast so blank ist wie Schreibpapier, und bessert nach. Ist er sich unsicher, macht er den »Killer-Test«: Er bewegt eine Neonröhre über die glänzende Fläche und prüft, ob in ihrem Spiegelbild eine Unregelmäßigkeit zu erkennen ist. Ed Wheelhouse fühlt sich das zweite Foil entlang. Acht Tage lang versenken sich die beiden in ihren Perfektionismus, dann sind sie zufrieden.

Passen sie? Die neuen Foils werden in den Rumpf geschoben.

© Jimmy Horel/Team Malizia

Die meisten Malizianer verbringen die Weihnachtsfeiertage 2022 in der Basis. Auch Silvester und Neujahr stehen sie an den Werkbänken, basteln am Boot oder sitzen in den Bürocontainern vor ihren Rechnern. Am Abend des 4. Januar soll das erste neue Foil in den Rumpf der Malizia eingefügt werden. Am Kran schwebt der 280 Kilogramm schwere Flügel zu dem hoch aufgebockten Schiff. Zentimeterweise rutscht der knapp zwei Meter lange Schaft hinein. Das Foil passt, ebenso das zweite. Noch in der gleichen Nacht wird das Schiff zu Wasser gelassen. Ed und Rayco, die Bootsbauer und Elektroniker, die Experten für Segel, Mast und Tauwerk, sie alle haben es tatsächlich geschafft. Zehn Tage vor dem Start funktioniert die Malizia wieder.

Boris

Am nächsten Tag sind wir hinausgefahren, haben Segel gesetzt und auf die erste kräftige Böe gewartet. Als sie kommt und das Schiff leicht auf die Seite drückt, hören wir auf zu reden und lauschen den Foils. Ihr Summen verwandelt sich in ein Jaulen, in einen schrillen, immer höheren Ton. Die Malizia beginnt, sich vorne aufzurichten, und schießt durchs Wasser. So soll es sein! Will Harris, mein engster Mitsegler, und ich schauen uns an und grinsen. Wir müssen nichts sagen. Wir sind einfach nur erleichtert, unfassbar erleichtert. Wir werden dabei sein.

Zieht man die Zeit in den Zwischenstopps ab, werden wir über hundert Tage auf See verbringen. Die Strecke führt größtenteils durch kalte, stürmische Regionen, wir werden uns fast immer unter Deck aufhalten. Das Ocean Race lässt sich daher auch so beschreiben: Eine Frau und vier Männer müssen hundert Tage lang auf zwölf Quadratmetern miteinander auskommen. Gibt es Stress, können sie nicht vor die Tür gehen. Gibt es einen Unfall, müssen sie sich gegenseitig verarzten. Und halten sie das Ganze nicht mehr aus, müssen sie es trotzdem aushalten, bis zum nächsten Hafen.

Die Wettfahrtregeln schreiben vor, dass die Crew aus vier Personen besteht, mindestens eine davon muss eine Frau sein. Immer zwei Personen fahren Wache, die beiden anderen können schlafen. Nach mehreren Stunden wird gewechselt. De facto werden unsere Schiffe also von nur zwei Personen gesegelt, bei größeren Manövern holen sie allerdings die anderen zu Hilfe. Der fünfte Mensch an Bord ist der Bordreporter. Sein Job ist es, unser Rennen zu dokumentieren, die Dramen, den Alltag, die spektakuläre Natur. Schon bei den letzten Rennen gab es dafür auf jedem Schiff zusätzlich einen Mann oder eine Frau, und ihre Videos und Fotos waren wirklich beeindruckend. Der Reporter darf uns beim Segeln nicht unterstützen, da sind die Regeln streng. Sie gestatten ihm nur, im Haushalt mitzuhelfen, also Seewasser vom Boden aufzuwischen, die Müllsäcke auszuwechseln und so etwas.

Wir werden uns auf eine so intensive Weise kennenlernen, wie man es sonst niemals erlebt. Hundert Tage in einer schaukelnden Zelle. Was werden wir dabei an den anderen und was an uns selbst entdecken? Wie werden wir auch in schwierigen Situationen miteinander klarkommen? Für mich ist diese Herausforderung mindestens so spannend wie das Rennen selbst.

Will habe ich schon 2019 in mein Team geholt, für eine Regatta zu zweit über den Atlantik. Wir merkten schnell, wie gut wir zusammenpassen, in allen Situationen, sogar in der Freizeit, wenn wir an den nächsten Strand fahren und kitesurfen. Will vertraue ich blind. Rosalin, die alle nur Rosie nennen, stieß vor einem Jahr zu uns. Sie ist erst 27, die Jüngste des gesamten Ocean Race. Sie hat viel Erfahrung und technisch eine Menge drauf. Ich habe erst wenige Tage am Stück mit ihr gesegelt. Ich bin gespannt; ich mag ihren enormen Wissenshunger und ihren Ehrgeiz. Außerdem wird sie uns guttun mit ihrer offenen, munteren Art.

Nico wiederum kenne ich schon seit Jahren aus der Bretagne, er ist ein versierter Imoca-Segler. Vor allem ist er einer der besten Navigatoren der Offshore-Szene; ein stiller, zurückhaltender Mensch – und ein Rockstar unter Frankreichs Seglern. Nico wird uns sagen, wo es langgeht.

So, und dann haben wir noch jemanden dabei, der noch nie eine Nacht auf einem Segelboot verbracht hat: Antoine, unser Bordreporter. Ist es riskant, so jemanden auf ein Segelrennen um die Welt mitzunehmen? Ja, das ist es. Aber ich glaube an Antoine, und ich freue mich auf ihn. Er ist sportlich und zäh, Kitesurf-Weltmeister, Filmemacher, hat eine enorm positive Ausstrahlung – und er schaut auf das, was wir hier veranstalten, mit einer Mischung aus Begeisterung und Befremden. Sein Blick von außen wird uns dabei helfen, auf dem Boden zu bleiben und uns daran zu erinnern, was wirklich zählt.

Unsere Wohngemeinschaft ist, nun ja, eher karg ausgestattet. Wir haben keine Dusche, sondern Feuchttücher; solange das Meer warm ist, können wir uns außerdem in die Gischt stellen, die über das Deck schießt. Wir haben keine Heizung, sie würde zu viel Energie kosten. Unsere Toilette ist ein blauer Plastikeimer, den wir über Bord ausleeren. Unsere Küche ist ein Wasserkocher. Die zwei, die nie zusammen Wache haben, teilen sich einen Schlafsack; das spart Platz und Gewicht und hat den Vorteil, dass man nach einer kalten Wache im Südpolarmeer in einen warmen Schlafsack schlüpfen kann.

Mag sein, dass sich das alles etwas spartanisch anhört. So ganz anders als in früheren Zeiten. Auf der mexikanischen Yacht, die vor fünfzig Jahren das erste Ocean Race gewann, aßen sie mit Messer und Gabel, von Tellern aus Porzellan, und öffneten jeden Abend mehrere Flaschen Wein. Heute löffeln wir gefriergetrocknete Nahrung aus Tüten, in die wir kochendes Wasser gegossen haben. Und zu trinken gibt es Meerwasser aus der Entsalzungsanlage an Bord, mit einer Vitamintablette drin.

Damals bestanden die Mannschaften aus abenteuerlustigen Amateuren, die im Urlaub auch mal gut essen wollen. Heute gehen hier fünf Mannschaften an den Start, die ausschließlich aus Profis bestehen, aus lauter Weltklasse-Seglern. Jedes Team könnte siegen, und wir werden bis zum Schluss ein spannendes Rennen erleben.

Mir gefällt die Professionalisierung. Wir alle machen das ja nicht aus Spaß, wir leben davon, über die Meere zu segeln, das ist unser Beruf. Was für ein Privileg. Dafür verzichte ich gern auf Porzellanteller. Außerdem habe ich sichergestellt, dass wir genügend dunkle Schokolade und Haribo an Bord haben.

Eine Woche vor dem Start öffnet der »Ocean Live Park«. In jeder Hafenstadt, in der die Flotte Station macht, wird es diesen Park geben, er ist das Schaufenster des Ocean Race. In Alicante schieben sich täglich gut 30 000 Besucher über die Kaianlagen, sie stehen staunend an den Stegen mit den Rennyachten, strömen in Ausstellungen über Meeresschutz und Klimawandel, zwängen sich in Modelle der Yachten. Freiluftkinos zeigen Filme über die alten Rennen, auf zwei Bühnen treten spanische Rockbands auf. Es ist ein Volksfest.

In einem Nebengebäude treffen sich die Seglerinnen und Segler zu einem Crashkurs in Notfallmedizin. Es ist eine Pflichtveranstaltung. Dr. Spike Briggs, ein Unfallchirurg aus England, zeigt auf der Leinwand die Aufnahme eines Seglers vom letzten Rennen. Sein Mund ist ein einziger blutiger Schlund. Bei einem Manöver ist ihm eine Winschkurbel ins Gesicht geschlagen. »Wir können euch dabei helfen, was ihr in solchen Fällen tun müsst, an jedem Ort der Erde«, sagt Briggs. »Aber wir können es nicht für euch tun.«

Briggs hat schon alles erlebt, was Menschen bei einem Segelrennen zustoßen kann. Seit 2008 steht er als »Chief Medical Adviser« dem Ocean Race zur Seite. Jedes Mal stattet er die Medizinkoffer der Yachten aus und legt präzise Gebrauchsanweisungen dazu. In seinem Zentrum für Telemedizin im englischen Southampton sind er und mehrere Ärztinnen und Ärzte während des Rennens rund um die Uhr erreichbar, für Diagnosen und Hilfe per Videocall bei Operationen. Er empfiehlt jeder Crew, ein kleines Endoskop mitzunehmen, das sich ans Handy anschließen lässt, für Fotoaufnahmen in Mund oder Ohr.

Der Chirurg und mehrere Kollegen wollen zwei Tage lang mit den Mannschaften üben, was sie hoffentlich nie anwenden müssen: etwa ein gebrochenes Bein zu schienen, Wunden zu nähen, einen gesplitterten Zahn zu kitten. Drei Tische sind aufgebaut, an jedem sitzt ein Arzt und trainiert die reihum rotierenden Teams. Speeddating am OP-Tisch.

Jedes Team hat wie vorgeschrieben mindestens zwei Leute geschickt. Simon Fisher vom US-Team 11th Hour Racing kennt den Notfallkurs so gut wie kein anderer Segler, er hat schon fünf Ocean Races hinter sich. »SiFi«, wie ihn alle nennen, ist als Navigator eine Legende, er könne, so heißt es, auch mit geschlossenen Augen um die Welt segeln. Sein Skipper Charlie Enright war zweimal bei dem Rennen dabei, der Bordreporter Amory Ross bereits dreimal. Kein anderes Team hat sich intensiver auf das Ocean Race vorbereitet, die US-Mannschaft trainiert seit drei Jahren. Wir sind dabei, um zu siegen, hat Enright erklärt.

Auch Kevin Escoffier, Skipper des Teams Holcim, nutzt den Medizinkurs zur Auffrischung. Er gehörte zur Crew der Yacht Dongfeng, die unter chinesischer Flagge erfolgreich an den beiden letzten Ocean Races teilnahm, mit einem dritten und einem ersten Platz. 2020 lag er bei der Vendée Globe ebenfalls in der Spitzengruppe, als sein Schiff bei einem Sturm im Südpolarmeer auseinanderbrach und sofort sank. Eine Nacht lang suchten vier Segler, darunter auch Boris Herrmann, nach der Rettungsinsel mit Escoffier, dann fanden sie ihn. Für das Ocean Race hat Escoffier eine Crew aus französischen und britischen Profiseglern zusammengestellt. Und auch eine Deutsche gehört dazu: Susann Beucke aus Kiel, 31, Silbermedaillengewinnerin bei den Olympischen Segelwettbewerben 2021.

Die Crew von Biotherm besteht inklusive der vier Ersatzsegler zur Hälfte aus Frauen. Fast alle an Bord gehören zu Frankreichs besten Einhandseglerinnen und -seglern, drei von ihnen haben bereits an der Vendée Globe teilgenommen. Nun besteht ihre Herausforderung darin, nicht mehr allein zurechtkommen zu müssen.

Schließlich noch das Team Guyot. Es ist ein französisch-deutsches Projekt: mit dem Vendée-Globe-Segler Benjamin Dutreux als Skipper und dem Deutschen Robert Stanjek als Co-Skipper. Der 41-jährige Berliner war Starboot-Weltmeister, Olympia-Sechster 2012 und wechselte vor acht Jahren ins Lager der Hochseesegler, vorangetrieben von dem Traum, einmal am Ocean Race teilzunehmen. Mit in seiner Crew: eine britische Olympiaseglerin, ein Berliner Junioren-Weltmeister und ein weiterer Vendée-Globe-Teilnehmer aus Frankreich.

All die Erfolge helfen nicht, als die Seglerinnen und Segler gebeten werden, sich an Tisch 2 gegenseitig Infusionsnadeln in eine Armvene zu schieben. Mehrere winken ab, ein bulliger Spanier verlässt bleich den Raum. Malizias Bordreporter Antoine nimmt das Angebot von Dr. Briggs an, dem Arzt die Infusion anzulegen. Am Nachbartisch beugt sich Will über ein lappenartiges Fleisch-Imitat, um mehrere Wunden zu nähen. Rosalin versucht mit zwei US-Seglern, einem am Boden liegenden Franzosen, der einen Beinbruch simuliert, eine aufblasbare Schiene anzulegen.

»Hinter diesem Kurs steckt noch eine zweite Absicht«, sagt Briggs später in kleiner Runde. »Die Segler lernen sich auf eine sehr persönliche, fast schon intime Weise kennen. Sie berühren sich, reden zwei Tage lang viel miteinander. Danach sieht jeder den anderen nicht mehr nur als Konkurrenten – und das wird helfen, wenn sie mit dem Messer zwischen den Zähnen ins Rennen starten.«

~

In Alicante, im Zielhafen Genua und in jedem der sechs Stopps dazwischen wird es ein »In-Port-Race« geben: ein ein- bis zweistündiges Rennen, das um Bojen führt, die direkt vor dem Hafen ausliegen. Für die Crews sind die Sprintstrecken eine heikle Angelegenheit. Sie müssen ihre Schiffe, gebaut für die Langstrecke, auf engem Raum wenden und halsen, häufiger als manchmal wochenlang auf See. Den Besuchern der »Ocean Live Parks« bieten die Rennen die Möglichkeit, die Yachten in Aktion zu beobachten, die großen Begleitfähren sind meist schon Wochen im Voraus ausgebucht. Die Ergebnisse werden für die finale Gesamtwertung keine Bedeutung haben – außer bei gleichem Punktestand für zwei Teams. Dann zählt, wer bei den Hafenrennen besser abgeschnitten hat.

Für Boris und seine Crew bietet das erste In-Port-Rennen vor allem die Chance, im Vergleich mit den anderen Yachten zu erkennen, wie gut die neuen Foils funktionieren. Nach dem Start liegt die Malizia auf dem vierten Platz, dann kämpft sich die Crew nach vorn und erreicht das Ziel als führendes Schiff. Erstes Rennen, erster Sieg! Bei der Preisverleihung greift Boris nach dem Mikrofon und widmet den Erfolg dem Tech-Team: »Vor zwei Wochen hatten wir noch keine Foils, heute haben wir gesiegt. Das haben wir euch zu verdanken, das ist euer Triumph.« Abends schieben die Bootsbauer im Malizia-Zelt die Werkbänke zur Seite und bauen eine Musikanlage auf. Die Party, zu der auch die anderen Teams kommen, wirkt wie eine Befreiung.

Die Crews der fünf Yachten gehören zu den besten Hochseeseglern der Welt.

© Sailing Energy/The Ocean Race

Rosalin

Für mich als Seglerin war das Ocean Race immer der Everest. Als ich vor zehn Jahren das erste Mal davon erzählte, meinten alle bloß, ich solle mir lieber etwas anderes vornehmen. Nun habe ich es geschafft. Ich bin bestimmt nicht die beste Seglerin der Welt, aber ich habe gearbeitet wie verrückt.

Als Frau musste ich zusätzlich darum kämpfen, überhaupt ernst genommen zu werden. Hochseesegeln ist immer noch eine männerdominierte Angelegenheit. Auf vielen Regatten war ich die einzige Frau an Bord. Die Blonde aus Holland, niedlich, aber hoch in den Mast schicken wir lieber einen Kerl – so lief das. Nun werde ich mit vier Männern um die Welt segeln, und ich glaube, ich habe Glück mit ihnen. Ich erlebe sie alle als ziemlich entspannt und respektvoll, niemand dabei mit anstrengendem Ego. Vielleicht hat es damit zu tun, dass Boris, Will und Nico viel Einhandsegelei hinter sich haben. Und ohne Beta-Tiere an Bord macht es ja keinen Sinn, zum Alpha-Tier zu werden.

Ich bin mit den anderen aus der Karibik nach Alicante gesegelt, es war meine bisher längste Tour auf der Malizia. Es fällt mir nicht leicht, mich daran zu gewöhnen, die meiste Zeit im geschlossenen Cockpit zu stehen. Ich bin ein Naturmensch, ich liebe Segeln auch dafür, den Wind und spritzendes Wasser im Gesicht zu spüren. Auf den neuen Rennyachten stehst du unter Deck und schaust auf die Computer und bisweilen aus dem Fenster, abgeschottet von der Außenwelt. Aber ich weiß eben auch, dass ich genau dafür im Südpolarmeer dankbar sein werde. Ich war noch nie im Eismeer. Und nun gleich sechs Wochen am Stück. Wir werden Kapstadt als Menschen verlassen und Kap Hoorn als Tiere des Polarmeers erreichen, so stelle ich mir das vor. Vielleicht als Albatrosse.

Wir werden keine Privatsphäre an Bord haben. Müssen wir aufs Klo, klettern wir mit dem Eimer in der Hand ins Vorschiff, dorthin, wo die Segelsäcke lagern. Ansonsten bleibt nichts verborgen. Ich glaube allerdings nicht, dass mir das sehr zu schaffen machen wird. Bei unserer Tour über den Atlantik habe ich gemerkt, wie viel einfacher unser Zusammenleben schon allein dadurch wird, dass es einen festen Wachrhythmus gibt, jeder immer genau weiß, was er zu tun hat, und alle das gleiche Ziel haben. Würden wir zusammen in den Urlaub fahren, hätten wir mehr Stress. Wo geht’s heute hin, wer kocht, was machen wir am Abend? Ist hier alles schon geklärt. Ich bin also ganz zuversichtlich, trotz der Enge an Bord.

Zu meinen Aufgaben hier in Alicante gehörte es, die Lebensmittel für die ersten zwei Etappen zusammenzustellen. Ein Ernährungsberater für Spitzensportler hat mir dabei geholfen. Zuerst haben wir alles in unserer Halle ausgebreitet, es sah aus wie in einem Pfadfinderlager. Dann haben wir für jeden Tag fünf Beutel gefüllt, für jeden von uns gibt es drei Mahlzeiten, gefriergetrocknet oder vorgekocht, dazu haben wir Nachtisch und Nüsse gepackt, Süßigkeiten und Trockenfrüchte, alles lecker. Bei meinen Tagesrationen sieht manches anders aus, weil ich weder Gluten noch Laktose vertrage. Hinzu kommen noch allerhand Pillen, mein Magen ist ein Sensibelchen. Aber auch damit lässt es sich gut segeln.

Heute ist der letzte Tag vor dem Start. Wir haben zwei Kisten mit Obst, Schinken und Käse an Bord gebracht, außerdem Taschenlampen und zwei Dutzend Schatullen mit Ohrstöpseln; der Lärm im Schiff, wenn es durch die Wellen kracht, wird grauenhaft sein. Die großen Taschen mit den Lebensmitteln haben wir im Vorschiff festgebunden. Die Rationen für die ersten zwei Tage habe ich allerdings schon rausgeholt und in unserer Kabine verstaut. Die Meteorologen sagen bis Gibraltar einen schweren Sturm mit heftigem Seegang voraus. Da klettert niemand gern durch ein bockendes Vorschiff.

Die Vorhersagen treffen zu. Bei Sonne und frischem Wind machen sich die fünf Yachten auf den Weg um die Erde. Beim Auslaufen vibriert der Hafen vom Jubel der Zuschauer, auf dem Wasser drängen sich Hunderte von Begleitbooten. Der Start verläuft reibungslos. Endlich geht es los!

Doch dann, nach einer ruhigen Nacht, fällt im Morgengrauen der Sturm über die Flotte her. Vom Atlantik her braust eine Kaltfront durch die Enge von Gibraltar ins Mittelmeer und trifft die Schiffe von vorn, mit Böen bis zu Windstärke Zehn. Die See rollt, von den Brechern reißen auf breiter Front die Schaumköpfe ab, die Gischt nimmt jede Sicht. Es ist, als schickte das Ocean Race die Mannschaften gleich zu Beginn durch eine Feuertaufe.

Wie die Malizia sind auch Holcim und Biotherm erst vor gut einem halben Jahr zu Wasser gelassen worden, keine Mannschaft hat mit ihren Schiffen bisher solche Bedingungen erlebt. Und mit den neuen Foils waren Boris und seine Crew in Alicante nur viermal auf dem Wasser. Die Mannschaften schalten vom Rennmodus in den Überlebensmodus um, alles andere wäre fahrlässig. Und zudem unnötig: Von den 31 000 Seemeilen des Rennens haben die Schiffe gerade mal 200 Seemeilen zurückgelegt. Die Teams entscheiden sich, ihre Segelfläche auf das Minimum zu reduzieren, sie setzen die Sturmfock und verkleinern das Großsegel bis ins dritte Reff. Die Rennyachten heben ab, nicht zum eleganten Flug auf den Foils, vielmehr schießen sie wie auf Rampen über steilen, anrauschenden Wellen, um dann ins Tal zu krachen.

Den ganzen Tag und die folgende Nacht hindurch versuchen die Mannschaften, sich dicht an der spanischen Küste entlang Richtung Gibraltar vorzukämpfen. Sie setzen darauf, im Schatten der Berge auf etwas weniger Wind und Seegang zu treffen. Doch der Sturm bläst ihnen parallel zur Küste entgegen, mit erbarmungsloser Stärke. Mindestens einmal die Stunde müssen sie eine Wende fahren, was bei diesem Wetter Schwerstarbeit bedeutet. Bevor die Mannschaft den Kurs so ändert, dass der Wind danach von der anderen Seite in die Segel bläst, muss sie unter Deck allen beweglichen Ballast »stacken«, ihn also zum Gewichtsausgleich von der einen Schiffsseite auf die gegenüberliegende Seite schleppen, auf die neue Luvseite. Die Säcke mit den Segeln und Nahrungsmitteln wiegen gut sechzig Kilo, und wer sie in dem dunklen, springenden Vorschiff umwuchten will, braucht Knieschützer und Rugbyhelm, manche Segler tragen auch Zahnschienen. Es ist, als würde man um Mitternacht geweckt, um jemandem beim Umzug zu helfen. Wer Freiwache hat, darf anschließend zurück in die Koje, nur um eine halbe Stunde später erneut geweckt zu werden.

Cockpit mit Ausblick: Boris kontrolliert die Segel, Rosalin die Seekarte.

© Antoine Auriol/Team Malizia

Alicante war anstrengend und abwechslungsreich. Der Regattabeginn ist brutal, grau, eintönig. Es geht nur noch um eines: das Schiff sicher in den Atlantik zu bringen und selber so lange durchzuhalten. Auf der Malizia kommen die Segler in vierzig Stunden auf zwei, drei Stunden Schlaf. Sie reden nur wenig miteinander, was auch an den Stöpseln liegt, die sie sich tief in die Ohren geschoben haben, anders ist der Krach kaum zu ertragen. Antoine liegt die ganze Zeit schwer seekrank in seiner Koje. Er steht nur auf, um sich kurz zu erbrechen. Er ist fassungslos, auf was er sich eingelassen hat.

Auf einem Parkplatz in Alicante wartet der Werkstattwagen von Team Malizia, aufgetankt und abfahrtsbereit. Sollte das Schiff nach einem Schaden einen Hafen in Südspanien anlaufen müssen, würden mehrere Leute des Tech-Teams dorthin rasen. Sie können in ihrer mobilen Ambulanz laminieren, schweißen, Segel nähen, gebrochene Beschläge tauschen. Liegt der Nothafen weniger als hundert Seemeilen von Alicante entfernt, würde Malizia eine zweistündige Zeitstrafe kassieren, liegt er weiter entfernt, wären es zwölf Stunden. Bis Gibraltar könnte das Team zu Hilfe eilen, danach sind die Segler auf hoher See. Doch es kommt kein Anruf. Zwei Nächte nach dem Start passiert die Malizia die Meerenge zwischen Europa und Afrika, sie liegt an dritter Stelle.

Auch im Atlantik stürmt es kräftig, aber nun zeigt der Bug nach Süden. Der Wind kommt schräg von hinten, die Malizia stampft nicht mehr, sondern glitscht schräg aufgerichtet über die Wellen – und an Bord beginnt ein neues Leben. Die Crew nimmt die Stöpsel aus den Ohren. Will kocht sich die erste warme Mahlzeit seit dem Start, Antoine taucht mit schrägem Grinsen im Cockpit auf, Rosie schaltet eine kleine Lautsprecherbox ein und stellt ihre Musik-Playlists vor. Auf Höhe der Kanarischen Inseln ist es so warm, dass sich alle nur noch barfuß und in Shorts an Bord bewegen. Noch ein, zwei Tage, dann wird die Flotte in die Passatzone geraten, auf die Autobahn in Richtung Äquator.

Will

Was für ein Auftakt! Da gab es kein Warmlaufen, keine Schonzeit, das war aus dem Stand ein brutaler Härtetest. Ich kam zwei Tage noch nicht mal dazu, mir die Zähne zu putzen. Den Beginn unserer Reise um die Welt hatte ich mir anders vorgestellt.

Zugleich war ich froh, dass es endlich losging. Normalerweise bin ich ein ziemlich kontrollierter Mensch, emotional ausgeglichen. Doch in der Woche vor dem Start wachte ich jeden Morgen gegen fünf Uhr auf und erschrak, wie unvorbereitet ich für dieses Rennen war. Ich sah all die anderen Segler vor mir, die noch lauter Sachen gemacht hatten, die ich versäumt habe. Ich war überzeugt, dass sie mehr trainiert hatten, die Route im Schlaf kennen und natürlich auch einen Mentaltrainer an ihrer Seite haben. Erst wenn ich aufstand und begann, stur meine Liste abzuarbeiten, ließ der Druck nach.

Arbeitsteilung in der Achterkabine: Will navigiert, jemand schläft.

© Antoine Auriol/Team Malizia