Ach, das liebe Geld! - Franziska zu Reventlow - E-Book

Ach, das liebe Geld! E-Book

Franziska zu Reventlow

4,8

Beschreibung

Der zuerst unter dem Titel "Der Geldkomplex" erschienene humoristische Briefroman ist der letzte vollendete Roman der "Schwabinger Gräfin", die hier recht unverstellt ihre eigene ständige Geldnot thematisiert. Die Ich-Erzählerin diagnostiziert bei sich selbst (frei nach "Professor Freud in Wien") einen "Geldkomplex" und begibt sich, um besagten Komplex zu heilen, in ein teueres Sanatorium, wo sie die Bekanntschaft allerlei umtriebiger und spleeniger Existenzen macht. Aber kann sie dort auch ihren Komplex ablegen? Oder lässt sich ein solcher Geldkomplex womöglich eben auch nur mit Geld heilen? Ein hintergründig-amüsanter Roman von einer ungewöhnlichen Frau.AUTORENPORTRÄTFanny (Franziska) Gräfin zu Reventlow (1871–1918) war eine deutsche Schriftstellerin. Die Tochter des preußischen Landrats Ludwig Graf zu Reventlow wurde im Familienschloss in Husum sowie in einem Mädchenpensionat in Thüringen zur "höheren Tochter" erzogen. Nachdem sie 1887 wegen "Widerspenstigkeit" des Internats verwiesen und sich 1893 auf Lebenszeit mit ihrer Familie überworfen hatte, zog sie nach München, wo sie in ärmlichen Verhältnissen lebte und sich und ihren unehelichen Sohn mit Literaturübersetzungen sowie allerlei Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Um die Jahrhundertwende bildete die "Skandalgräfin" eine zentrale Figur der Schwabinger Boheme, der sie mit ihrem Schlüsselroman Herrn Dames Aufzeichnungen (1913) ein Denkmal setzte. 1910 übersiedelte sie in die Aussteigerkolonie auf dem Monte Verità bei Ascona im Tessin. 1918 starb sie an den Folgen eines Fahrradsturzes in einem Krankenhaus in Locarno.-

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Franziska zu Reventlow

Ach, das liebe Geld!

Romanmeinen Gläubigern zugeeignet

Saga

1

Meine liebe Maria!

Aus einem eindringlichen Brief von B..., der mir durch das Konsulat nachgeschickt wurde, sehe ich, dass man sich um meinen Verbleib beunruhigt.

Es nahm sich vielleicht nicht gerade freundschaftlich aus, dass ich so spurlos verschollen bin und auf nichts mehr antworte (hab noch nachträglich vielen Dank für deine verschiedenen Briefe) – aber glaube mir, es geschah zum Teil aus zarter Rücksicht. Erwarte nur ja nicht, dass die hiermit wieder eröffnete Korrespondenz von allzu erfreulichen Tatsachen handeln wird.

B... meint, und ihr anderen am Ende auch, ich hätte längst die berühmte Erbschaft angetreten und damit das Weite gesucht. Nein, das stimmt nicht, der alte Herr ist ja noch nicht einmal tot. Aber jedenfalls kann es nicht lange mehr dauern, und das ist einer von den Gründen, weshalb ich hier bin – bitte, erschrick nicht – in einer Nervenheilanstalt, oder sagen wir lieber Sanatorium, das klingt immerhin noch etwas milder.

Sanatorium – ich seh’ dich und mit dir alle die anderen verständnislos den Kopf schütteln. Ich bin auch nicht nervenkrank, nicht einmal besonders nervös, ich habe nur einen ›Geldkomplex‹.

Ich hoffe zu Gott, du weißt, was ein Komplex in diesem, nämlich im pathologischen, Sinne bedeutet? Etwa so: verdrängte, nicht ausgelebte Gefühle, Triebe und dergleichen, die sich, ich glaube, im Unterbewusstsein zusammenballen und einem seelische Beschwerden verursachen. Es handelt sich da um irgendeine neue Nervenheilmethode, die man Psychoanalyse nennt. Erfunden hat sie der bekannte Professor Freud in Wien – dies nur, damit du verstehst, weshalb ihre Anhänger ›Freudianer‹ heißen. Man möchte sonst glauben, es bedeute irgend etwas besonders Lustiges oder gar Zweifelhaftes.

Aber es gibt eine Menge Leute, die dir das besser auseinandersetzen können als ich, und ich rate dir, dich lieber an diese zu wenden. Ich selbst hatte auch bisher von diesen Geschichten keine Ahnung und würde mich absolut nicht dafür interessieren – wenn nicht ein ›Freudianer‹ meinen Geldkomplex entdeckt hätte.

Es gibt gewiss nichts Faderes, als eine eigene Leidensgeschichte zu erzählen, und ich erzähle im Ganzen lieber Freudengeschichten. Die Nervenheilanstalt hat aber sicher in euren Augen etwas so Blamables, dass ich mich doch rechtfertigen und dir den trüben Hergang näher erzählen möchte. Du musst halt Nachsicht haben, wenn ich dabei etwas weitschweifig und manchmal konfus werde.

Liebe Maria, wir haben uns letztes Jahr wenig gesehen, da du meist fort warst, aber du weißt, dass mein Dasein schon vorher nur noch eine einzige wirtschaftliche Krisis war. Wie oft habt ihr in eurer Verblendung meinen Optimismus und meine Todesverachtung bewundert – mit Unrecht, denn gerade das ist mein Verderben gewesen. Ich habe die Sache mit dem Geld niemals ernst genug genommen, ließ es so hingehen und dachte, es würde schon einmal anders werden. Kurz, um mich im Freudianerjargon auszudrücken – ich habe es entschieden ins Unterbewusstsein verdrängt, und das hat es sich nicht gefallen lassen. Bitte, haltet mich nicht für ernstlich gestört, aber ich bin tatsächlich dahin gekommen, es – das Geld – als ein persönliches Wesen aufzufassen, zu dem man eine ausgesprochene und in meinem Falle qualvolle Beziehung hat. Mit Ehrfurcht und Entgegenkommen könnte man es vielleicht gewinnen, mit Hass und Verachtung unschädlich machen, aber durch liebevolle Indolenz verdirbt man’s vollständig mit ihm. Und das muss ich getan haben, ich ließ es kommen und gehen, wie es gerade kam und ging –, ach, der verfluchte Optimismus, den ihr so nett gefunden habt. Als ich dann merkte, dass es anfing, sich immer feindlicher gegen mich zu stellen, habe ich es gelockt, bin ihm nachgelaufen; aber es war schon zu spät – es wollte nicht mehr.

Also – die wirtschaftliche Krisis erreichte einen nie geahnten Höhepunkt. Du hast ja oft genug bei mir gewohnt, Maria, und kennst das aus eigener Anschauung – die Wohnung ist gekündigt, jedes menschenwürdige Einrichtungsstück gepfändet oder schon auf Nimmerwiedersehen abgeholt – es klingelt beständig, aber man macht nicht mehr auf – jedes Poststück, das ins Haus kommt, beginnt ›Im Namen des Königs ...‹ usw. Trotzdem tauchen immer neue Leute auf, die Geld wollen, Geld, Geld und noch einmal Geld. Die ganze Atmosphäre bekommt etwas Überhitztes, Widernatürliches, schwirrt von abnormen Anforderungen. Es ist einfach nichts da, und doch hört, sieht, liest und erfährt man nichts anderes mehr, als dass jeder ›sein Geld‹ haben will.

Du hast dann manchmal behauptet, es ginge bei mir wie in den Lesebuchgeschichten, wo fromme Leute eine Kirche oder dergleichen nützliche Dinge bauen wollen, ohne jegliches Kapital, aber mit unerschütterlichem Gottvertrauen. Schon wollen sie verzweifeln, richten aber gläubig den Blick gen Himmel – sieh, da klingelt es, und ein anonymer Wohltäter schickt eine unwahrscheinliche Summe.

Das war einmal – das war manches Mal – aber eben bei jener letzten Krisis war keine Rede davon. Die Wohltäter waren ausgestorben, verschwunden, verreist, erzürnt oder nicht mehr zu haben. Ich hatte auch das blinde Gottvertrauen nicht mehr und fühlte, dass die Kluft, die sich zwischen ihm – dem Geld – und mir aufgetan hatte, nicht mehr zu überbrücken war. Es begann sich an mir zu rächen, und das Infame an dieser Rache war, dass es mich nicht nur mied, sondern eben durch seine völlige Abwesenheit alle meine Gedanken und Gefühle ausschließlich erfüllte, mich vollständig in Anspruch nahm und sich nicht mehr ins Unterbewusstsein verdrängen ließ.

Es gibt Momente, wo Leute anfangen zu beten. Und es gab einen Moment, wo ich anfing zu rechnen, blind und inbrünstig zu rechnen. Ich rechnete beim Aufwachen und beim Einschlafen, rechnete, wo ich ging und stand, rechnete all die Summen, die ich brauchte, in meinem früheren Leben gebraucht hätte und späterhin brauchen würde, zusammen und wieder auseinander, kalkulierte alle vorhandenen und nicht vorhandenen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in der Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit.

Mein ganzes Leben zog wieder an mir vorüber bis in die kleinste pekuniäre Einzelheit, ich sah ein, dass ich niemals genug Geld gehabt hatte und voraussichtlich nie genug haben würde – alle verdrängten Begehrlichkeiten, alle gescheiterten Luxusträume wachten wieder auf, alles, was ich jemals hätte tun oder kaufen mögen und nicht getan oder gekauft hatte, gaukelte mahnend vor meinem inneren Auge, und so ging es fort bis ins Endlose ...

Dass man in dieser Verfassung nicht sehr umgänglich ist, kannst du dir denken. Ich fühlte denn auch, dass die Bekannten kein besonderes Vergnügen mehr an meinem Verkehr hatten. Sie fanden mich langweilig, präokkupiert und zitterten vor Geldansinnen. Darin hatten sie auch vollkommen Recht, denn war ich mit Menschen zusammen, so tat ich im Stillen nichts anderes als sie taxieren und geeignete Momente abwarten, um sie zu einer Anleihe, einer Schiebung oder Unterschrift zu verlocken ...

Ich möchte nicht gar zu ausführlich werden – um deinetwillen wie um meiner selbst willen. Denn wenn ich näher darauf eingehe, bekomme ich heute noch Rechenanfälle. Es kam dann schließlich ein Tag – so etwa Anfang oder Mitte Mai –, wo ich morgens vor die Stadt hinaus ging, um auf andere Gedanken zu kommen. Aber es nützte gar nichts – gleich auf dem Wege begegnete mir ein Hotelwagen, ich las stumpfsinnig die Aufschrift: ›Zu den vier Jahreszeiten‹ und überlegte mechanisch, was denn eigentlich für eine Jahreszeit sei, während ich durch die Wiesen ging. Alles stand in Blüte und Sonnenschein, Lerchen sangen und im Teich quakten die Frösche – anscheinend vor Vergnügen. Ich beneidete sie. Und wieder fingen meine Gedanken an unaufhaltsam um den einen Punkt zu wirbeln ... Ja, es wird wohl Frühling sein, aber was geht mich das an? Es gibt keine Jahreszeiten, keinen Sonnenschein und keine Blüten – es gibt keinen Lerchengesang und keine Frösche – es gibt nur Geld. Das alles tut, als ob es glücklich wäre, und doch gibt es kein Glück und keine Tragik, denn mit Geld lässt sich jede Tragik aushalten, und ohne Geld geht auch das Glück zum Teufel oder man kann nichts damit anfangen.

So strich ich alles durch und setzte dafür Geld. Das hatte tatsächlich etwas Erlösendes, bis mir dann wieder aufs Herz fiel, dass es in meinem Fall ja eben keines gab, und nun fing alles wieder von vorne an.

Ich will mich deiner erbarmen, Maria, und es nicht noch weiter ausmalen ...

Eben an jenem Morgen traf ich dann einen mir flüchtig bekannten Nervenarzt, einen ›Freudianer‹. Ich wollte mich unbefangen mit ihm unterhalten, konnte aber aus meinem Gedankengang nicht mehr herauskommen. Er wurde aufmerksam, interessierte sich, tat alle möglichen Fragen, dann blieb er mitten im Wege stehen, sah mich enthusiastisch an und stellte fest: Ich litte an einem schweren Geldkomplex, und den könne man nur durch psychoanalytische Behandlung heilen, die er am liebsten selbst übernehmen wollte. Im weiteren Verlauf des Gesprächs schlug er mir vor, ich solle mich einstweilen in die Anstalt seines väterlichen Freundes, Professor X., begeben, er selbst habe die Absicht, seine Ferien dort zu verbringen, und werde also nachkommen. Dem Professor X. möchte ich nur um Gottes willen nicht von der geplanten Behandlung sagen, denn er sei ein erbitterter Gegner allen Freudianertums. Ich könnte mich ja auf irgendeine fixe Idee hinausreden und ein wenig simulieren.

Anfangs war ich etwas unschlüssig und ziemlich erschrocken über den Gedanken, mit einer pathologischen Sache behaftet zu sein. Das heißt, ich hatte wohl selbst schon geahnt, dass es nicht mehr ganz richtig mit mir war. Andererseits aber hatte der Gedanke, diesen Zustand wieder loszuwerden, vieles für sich – das fürchterliche Rechnen und die beständigen Geldgedanken mussten mich binnen kurzem ganz zugrunde richten. Wenn es in dieser Weise fortging, war ich sowieso nicht imstande, mich ernstlich mit der Ordnung meiner Angelegenheiten zu befassen.

Als ich kurz darauf die Nachricht von der schweren Erkrankung des alten Erbherrn bekam, war mein Entschluss gefasst, denn nun auch noch mit positiven Kapitalsmöglichkeiten zu rechnen, das ging, weiß Gott, über meine Kraft.

So stellte ich meine Angelegenheiten, meine Gläubiger, und alles übrige in Gottes Hand, fuhr hierher und tat sowohl der Welt wie mir selbst gegenüber, als ob ich nicht mehr existierte.

Aber selbst die Erinnerungen greifen mich noch zu sehr an, und ich glaube, wir haben für heute beide genug ... ein andermal mehr.

2

Wie mir denn hier zumut ist, willst du wissen? – Einstweilen ist es so ziemlich die dümmste Situation, die mir das Leben bisher serviert hat, und mit törichten Situationen war es freigebig genug.

Ich war noch nie in einem Sanatorium und habe noch nicht recht heraus, wie man sich hier zu benehmen hat. Der Professor nahm mich natürlich eingehend ins Verhör, und ich war in einiger Verlegenheit, was ich ihm sagen sollte. Da ich nun am ersten Abend meine Mitpatienten ziemlich unsympathisch fand, gab ich an, ich litte an krankhafter Menschenscheu – so konnte ich mich doch wenigstens ruppig benehmen, wenn mir die Leute ernstlich auf die Nerven fielen. Aber er meinte, dann wolle er mich lieber vorläufig isolieren. Ich sollte die Mahlzeiten alleine auf meinem Zimmer nehmen usw. – Nein, um Gottes willen, das wollte ich nicht, zuviel Alleinsein machte mich vollends verrückt. – Nun, er wolle mir gern möglichste Freiheit lassen, soweit ich nicht störend auf andere einwirke, etwa die Abneigung gegen meine Mitmenschen in auffallender Weise äußern sollte. – Nein, nein, das würde ich ganz gewiss nicht tun, sagte ich voller Überzeugung – er sah mich daraufhin ganz erstaunt an und schüttelte den Kopf. – Pause – angestrengtes Nachdenken. Dann beklagte ich mich über Schlaflosigkeit, Depressionszustände und was mir gerade in den Sinn kam. – Wie sich die äußerten – nämlich die Depressionen –, ob ich etwa oft und ohne Grund Neigung zum Weinen fühle? Darüber fiel ich wieder aus der Rolle und musste über dieses merkwürdige Ansinnen herzlich lachen. Aber er hielt das, Gott sei Dank, für nervös, legte mir väterlich die Hand auf die Schulter und meinte, ich hätte am Ende irgendwelche schweren seelischen Erschütterungen durchgemacht ... ach, du lieber Gott, auch ohne den Geldkomplex zu erwähnen, konnte ich ihm doch nicht gut sagen: ja gewiss – aber sie lagen ausschließlich auf pekuniärem Gebiet – ich war mein Leben lang allen menschlichen und seelischen Konflikten gewachsen, nur den wirtschaftlichen nicht. Weder glückliche noch unglückliche Liebe, weder Ehe noch Ehebruch, sondern ausschließlich Gläubiger, Hausherren und Lieferanten haben es dahin gebracht, mich psychisch zu zerrütten.

Schwerlich hätte der Professor das richtige Verständnis gehabt, und ihm wären höchstens Bedenken über meine Zahlungsfähigkeit aufgestiegen.

Dann fuhr es mir plötzlich durch den Kopf: Gott im Himmel, wenn nun am Ende ein Wunder geschähe, der alte Erbherr sich wieder erholte und ich auch hier meinen pekuniären Verpflichtungen nicht nachkommen könnte! Die Geldgedanken, die ich seit ein paar Tagen fast vergessen hatte, fielen wieder über mich her wie ein Schwarm von Raben. Ich war außer Stande etwas zu sagen, was der Professor wohl auf die seelischen Erschütterungen schob und mich voller Teilnahme gehen ließ.

Immerhin hatte ich den Eindruck, dass er mich für ziemlich übergeschnappt hielt.

Du musst ja auch selbst sehen, Maria, wie es um mich steht. Ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst ... habe ich mir früher je Gedanken gemacht, wie man sich am Ende irgendeines Aufenthaltes aus der Affäre ziehen würde? Vielleicht bin ich schon auf dem Wege zum Verfolgungswahn, denn ich habe längst angefangen in jedem Menschen den eventuellen Gläubiger zu sehen. Das geht nun auch hier schon wieder los. Der gute Professor ist wirklich sehr nett mit mir – aber eines Tages wird er mir unweigerlich als Gläubiger gegenüberstehen – die anderen Patienten – wer weiß, ob ich nicht in die Lage kommen werde, sie anpumpen zu müssen – und das Personal, das sicher fürstliche Trinkgelder erwartet ... nein, glaubt mir nur, die Bestie im Menschen, vor der so oft gewarnt wird, braucht man nicht halb so zu fürchten wie den Gläubiger im Menschen.

Apropos, um die in M... habe ich mich nicht weiter bekümmert, mögen sie sich untereinander um meinen Nachlass zerfleischen. Die Flüche der ›Ausgesogenen und Betrogenen‹ hallen nur manchmal noch auf Umwegen zu mir herüber. Einige haben ihre Forderungen dem Verein ›Kreditreform‹ übergeben, und dieser schlug mir vor, mich gütlich mit ihnen zu einigen, sonst käme mein Name auf eine schwarze Liste, die an achtzigtausend Kaufleute versandt würde. Es war das einzige Schreiben dieser Art, das mich wirklich sympathisch berührte, und ich möchte jenen menschenfreundlichen Verein dafür segnen. Es ist wohltuend, zu denken, wie Schulden sich einfach dadurch erledigen, dass man auf eine Liste kommt und dass man mit jenen achtzigtausend Kaufleuten gar nichts zu tun hat, sie zum Mindesten nicht auch noch Geld von mir beanspruchen. Kurz nach Empfang dieses Schreibens hatte ich einen Traum: Ich war in einer Wüste, und die achtzigtausend Kaufleute kamen als Karawane auf mich zu, umringten mich, boten mir mit mildem Lächeln alles Mögliche an und wollten mir ein Kamel zum Reiten geben. Bis dahin war der Traum sehr schön, aber dann bemerkte ich plötzlich, dass das Kamel ein Menschengesicht hatte, und zwar sah es aus wie mein letzter Hausherr in M... Darüber erschrak ich so, dass ich ganz verstört aufwachte.

Du musst wissen, dass die Freudianer sich im Interesse der Patienten auch mit Traumdeutung befassen. Dies war jedenfalls ein richtiger Komplextraum, und ich habe ihn mir deshalb notiert, um für Baumann Material zu sammeln. Womit soll ich ihn sonst beschäftigen?

Vorläufig behandelt mich der Professor nach der hier üblichen Methode mit Tageseinteilung, Ruhestunden, Bädern, Wickeln und dergleichen mittelalterlichen Foltern. Es ist zum Gotterbarmen, und ich möchte wissen, ob die Leute ihre Seelenschocks oder Depressionen wirklich dadurch loswerden. Auf mich wirkt es gerade umgekehrt, ich fange jetzt erst an nervös zu werden.